Politikmaßnahmen zur Beeinflussung der Erwerbsbeteiligung, also der Angebotsseite des Arbeitsmarktes, finden zunehmend mehr Beachtung: Zur Integration der Frauen in den Arbeitsmarkt werden Eltemurlaub, Teilzeitarbeit und eine familienstatusunabhängige Einkommensteuer diskutiert. Zur Entlastung des Arbeitsmarktes wurde in der Bundesrepublik das Vorruhestandsgesetz eingeführt und gleichzeitig wird mit Blick auf den drohenden „Rentnerberg" über Möglichkeiten einer höheren Alterserwerbstätigkeit nachgedacht. Eine Teilrente, die Teilzeitarbeit und (Teil-) Rentenbezug miteinander kombiniert, wird zur Vermeidung des „Rentnerschocks" als weicher Übergang vom Berufs-in das Pensionärsleben vorgeschlagen. So engagiert diese Maßnahmen teilweise auch vertreten werden, so unklar ist aber ihre tatsächliche Wirkung auf die Erwerbsentscheidung. In diesem Beitrag werden daher in einem internationalen Vergleich zwischen Schweden und der Bundesrepublik Deutschland die Wirksamkeit solcher oder ähnlicher Maßnahmen analysiert. Beide Länder haben eine teils entgegengerichtete, teils aber auch gleichgerichtete Gesellschafts-und Sozialpolitik verfolgt. Insbesondere die Erwerbsbeteiligung der Frauen ist in Schwedensehr viel höher als in der Bundesrepublik. In Schweden wurden frühzeitig ein Eltern-und Pflegeurlaub für berufstätige Eltern mit einer Arbeitsplatzgarantie sowie ein Recht auf Teilzeitarbeit eingeführt. Die Rentenregelungen ermöglichen in Schweden wie in der Bundesrepublik ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben, gleichzeitig wurde in Schweden die Teilrente eingeführt. Schweden ist also ein „Vorreiter" bei zahlreichen wohlfahrtsstaatlichen Maßnahmen und deshalb ein ideales Vergleichsland für die Bundesrepublik. Die empirischen Analysen zeigen zwar, daß das Erwerbsverhalten im hohen Maße habitualisiert ist und durch langfristige Faktoren geprägt wird. Aber dennoch wird es auch durch institutioneile Faktoren beeinflußt, wobei überwiegend diejenigen Maßnahmen erfolgreich waren, die reale Handlungsoptionen eröffneten. Weniger bedeutend ist dagegen eine Sozialpolitik, die lediglich finanzielle Anreize bietet.
I. Problemaufriß: Verändertes Erwerbsverhalten
Für die Mitte der neunziger Jahre wird eine Entlastung unseres Arbeitsmarktes in Aussicht gestellt und sogar schon vor einer Arbeitskräfteknappheit gewarnt, weil dann die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter abnehmen und deshalb die Zahl der Arbeitssuchenden sinken wird. Bis dahin sollen arbeitsangebotsreduzierende Maßnahmen wie z. B. die Vorruhestandsregelung wenigstens vorübergehend für eine Entlastung des Arbeitsmarktes sorgen. Vorausblickend wird aber auch schon auf den „Rentnerberg“ hingewiesen, der nach der Jahrtausendwende die Relation von aktiver, am Erwerbsleben beteiligter Bevölkerung zur inaktiven Bevölkerung zu verschlechtern droht. Es wird über eine zukünftig erhöhte Alterserwerbstätigkeit nachgedacht, um die Belastungen der aktiven Bevölkerung durch die Transfers an den inaktiven Teil nicht zu hoch werden zu lassen und gleichzeitig das Renten-niveau nicht zu stark abzusenken.
Diese nur sehr grob skizzierten Zusammenhänge verdeutlichen, daß die Bevölkerungsstruktur, die Arbeitsmarktlage, die Erwerbsbeteiligung und institutioneile Regelungen, wie beispielsweise das Sozialversicherungssystem, eng miteinander verknüpft sind.
Die Zahl der Erwerbspersonen eines Landes hängt zum einen von der Bevölkerungsgröße und zum anderen von der Beteiligung der Bevölkerung am Erwerbsleben ab. Welche Faktoren beeinflussen aber die Erwerbsbeteiligung? Ist es nur die Struktur der Bevölkerung nach Alter, Geschlecht und Kinderzahl, sind es Lohn-und Einkommensgrößen oder sind es Politiken wie z. B. die Rentengesetze?
Im Mittelpunkt dieses Beitrages soll die Frage stehen, inwieweit bestehende Entwicklungen der Erwerbsbeteiligung durch die Politik unterstützt, gebremst oder korrigiert werden können. Zur Beurteilung der Effekte von politisch gesetzten Regelungen ist es notwendig, auch die Wirkungen der anderen oben erwähnten Faktoren zu kennen. Im Vordergrund sollen hier die spezifischen Effekte von Politikmaßnahmen stehen, wobei sich die Abhandlung auf einen internationalen Vergleich der Erwerbsbeteiligungsentwicklungen und ihrer Determinanten in Schweden und der Bundesrepublik Deutschland über einen Zeitraum von zwei Jahrzehnten stützt
Schweden ist als Vergleichsland für die Bundesrepublik deshalb besonders interessant, weil dort eine ähnliche Erwerbsentwicklung bei den Männern aufgetreten ist, bei den Frauen jedoch eine sehr viel rasantere Zunahme der Erwerbsbeteiligung im Vergleich zur Bundesrepublik festzustellen ist. Gleichzeitig wurden in Schweden Politiken mit ähnlichen Zielsetzungen wie in der Bundesrepublik angewandt, aber es wurden auch Politikmaßnahmen ergriffen, die die Integration von Frauen in das Erwerbsleben erleichtern bzw. überhaupt ermöglichen sollten. Das schwedische Steuersystem wurde z. B. von gemeinsamer auf getrennte Veranlagung von Ehegatten umgestellt, was als förderlich für die Frauenerwerbsbeteiligung angesehen wurde. Parallel dazu wurden Maßnahmen ergriffen, die eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen sollten. So gibt es in Schweden einen Pflegeurlaub, einen Elternurlaub und ein Recht auf Teilzeitarbeit für Eltern kleinerer Kinder. Dieses sind Politiken, die auch in der Bundesrepublik diskutiert werden, weshalb die schwedischen Entwicklungen hervorragend geeignet sind, um die Wirksamkeit dieser Maßnahmen zu analysieren.
Die Erwerbsbeteiligung der Männer ging während der letzten zwei Jahrzehnte sowohl in der Bundesrepublik als auch in Schweden zurück (Graphik 1), wohingegen die Entwicklung bei den Frauen sehr unterschiedlich verlief. Die schwedischen Frauen waren zwar schon 1963 stärker am Erwerbsleben beteiligt als die deutschen Frauen, aber seitdem ist die Entwicklung in Schweden sehr viel schneller verlaufen als in der Bundesrepublik. Die Erwerbs-beteiligung der Schwedinnen ist in den achtziger Jahren nurmehr um 10 %-Punkte niedriger als die der schwedischen Männer, während in der Bundesrepublik der Abstand noch immer rund 30 %-Punkte beträgt.
Auf den ersten Blick scheint der Zusammenhang klar: In Schweden wurde eine aktivere Integrationspolitik betrieben, und die Erwerbsbeteiligung stieg dort stärker als in der Bundesrepublik; also ist die aufgetretene Entwicklung ursächlich auf die Politikmaßnahmen zurückzuführen. Aber wie haben sich die übrigen Faktoren in Schweden und der Bundesrepublik entwickelt, und sind sie nicht möglicherweise dominierend für die aufgetretenen Entwicklungen, so daß eine Zurechnung auf die Politik zwar plausibel, aber doch nur vordergründig richtig wäre? Eventuell ist der drastische Anstieg der Frauenerwerbsquote in Schweden ja auf einen Rück-gang des Anteils verheirateter Frauen und der Frauen mit Kindern zurückzuführen, so daß die Entwicklung durch Strukturfaktoren und nicht durch ein verändertes Erwerbsverhalten, das allein durch Politik beeinflußbar ist, zu erklären wäre. Im folgenden soll deshalb zunächst die Bedeutung der Strukturfaktoren für die Erwerbsquotenentwicklung in Schweden und der Bundesrepublik untersucht werden, bevor die Wirkungen von politischen Maßnahmen behandelt werden.
II. Die Bedeutung der Strukturfaktoren für die Entwicklung der Erwerbsbeteiligung
Abbildung 4
Tabelle 1: Erwerbsquoten in Schweden und der Bundesrepublik Deutschland
Tabelle 1: Erwerbsquoten in Schweden und der Bundesrepublik Deutschland
Die insgesamt sehr hohe Veränderung der Frauenerwerbsbeteiligung in Schweden von 1963 bis 1983 um nahezu 18 % ist nur zu einem geringen Teil auf die Zunahme der unverheirateten Frauen zurückzuführen. Ganz überwiegend wird die Gesamtentwicklung bei den Frauen durch die um 26 %-Punkte gestiegene Erwerbsquote der verheirateten Frauen bestimmt. Sowohl bei den Frauen ohne als auch bei den Frauen mit Kindern unter sieben Jahren nahm hier die Beteiligung am Erwerbsleben zu. Die zunehmende Berufstätigkeit der schwedischen Frauen ist also keineswegs auf einen Rückgang des Anteils von Müttern mit kleineren Kindern zurückzuführen, sondern ganz im Gegenteil haben gerade verheiratete Frauen mit einem Kind unter sieben Jahren, dem Einschulungsalter in Schweden, ihre Erwerbsbeteiligung mehr als verdoppelt. Um rund 45 % stieg hier die Erwerbsquote an, was praktisch ausschließlich mit einer Veränderung des Erwerbs-verhaltens zu erklären ist. Die erhöhte Frauenerwerbstätigkeit wurde also keineswegs mit einem Verzicht auf Kinder „erkauft“.
Der Familienstatus spielt offensichtlich für die Beteiligung am Erwerbsleben im Schweden der achtziger Jahre keine Rolle mehr (vgl. Tabelle 1). Schwedische Frauen sind erwerbstätig, gleichgültig, ob sie verheiratet sind oder nicht. Es scheint sogar die Welt auf dem Kopf zu stehen, denn die Erwerbsquote der verheirateten Frauen ist höher als die der unverheirateten Frauen, und zwar auch dann, wenn Kinder vorhanden sind. Dies ist allerdings auf unterschiedliche Altersstrukturen zurückzuführen: Unverheiratete Frauen sind ganz überwiegend in den Altersgruppen zu finden, die eine hohe Bildungsbeteiligung und damit eine entsprechend geringe Erwerbsbeteiligung aufweisen, während verheiratete Frauen und insbesondere auch Frauen mit Kindern in den aktiven Altersgruppen am stärksten vertreten sind. Die Berücksichtigung der unterschiedlichen Altersstrukturen hebt denn auch die Unterschiede der Globalquoten auf, was aber zugleich deutlich macht, daß der Familienstatus für die Berufstätigkeit von Frauen in Schweden kein Einflußfaktor mehr ist 2).
Die insgesamt leicht gestiegene Erwerbsbeteiligung der Frauen in der Bundesrepublik ist auf unterschiedliche Entwicklungen bei den verheirateten und unverheirateten Frauen zurückzuführen. Die Erwerbsquote der unverheirateten Frauen ging um rund 10 %-Punkte zurück, was ausschließlich mit einer negativen Entwicklung des Erwerbsverhaltens zu erklären ist. Bei den verheirateten Frauen nahm sie dagegen um den gleichen Prozentsatz zu; dies ist ebenfalls auf eine Veränderung des Er-
werbsverhaltens zurückzuführen, das hier aber deutlich positiv ist. Eine Differenzierung der Statistik nach dem Alter des jüngsten Kindes, wie es in der schwedischen Erwerbsstatistik möglich ist, war mit dem bundesrepublikanischen Datenmaterial nicht durchführbar. Die Entwicklung der Erwerbstätigenquoten (in einem Beschäftigungsverhältnis stehende Erwerbspersonen zur Bevölkerung) zeigte jedoch, daß es auch in der Bundesrepublik 2) Ebd. die Frauen mit Kindern — hier allerdings bis zu 17 Jahre alt — sind, die die Erwerbstätigenquote erhöhten, wenngleich die Steigerung hier nur rund 8%-Punkte betrug.
Sowohl in Schweden als auch in der Bundesrepublik ging die Erwerbsbeteiligung der Männer zurück, was auf altersgruppenspezifisch höchst unterschiedliche Entwicklungen zurückzuführen ist. Männer in den Kemaltersgruppen von 30 bis 55 Jahren veränderten ihre Erwerbsbeteiligung im Analysezeitraum praktisch nicht; dies weist auf die überaus starke sozio-kulturelle Rollendefinition der Männer im Erwerbsleben hin. Lediglich in den Randaltersgruppen traten bei den Männern bedeutsame Veränderungen der Erwerbsbeteiligung auf: In beiden Ländern verminderte sich die Erwerbsbeteiligung der jüngeren Altersgruppen durch das verstärkte Bildungsengagement. Allerdings trat hier in Schweden Mitte der siebziger Jahre eine wieder erhöhte Erwerbsbeteiligung auf, was jedoch nicht auf einen Rollenwechsel — Erwerbsbeteiligung statt Bildungsbeteiligung —, sondern auf eine Kombination von Bildung und (Teilzeit-) Beschäftigung zurückzuführen ist. In den oberen Altersgruppen, in denen bei den Männern teilweise drastische Erwerbsbeteiligungsverminderungen auftraten, dürften Alternativrollen (Rente) die Entwicklung beeinflußt haben (vgl. weiter unten).
Die Strukturfaktoren sind sowohl in der Bundesrepublik als auch in Schweden zwar für den Vergleich von Erwerbsquoten — beispielsweise zwischen den verheirateten und unverheirateten Frauen — relevant, für eine zeitraumbezogene Analyse können sie jedoch keine bedeutenden Erklärungsanteile liefern. Vielmehr zeigt sich, daß in beiden Ländern Veränderungen des Erwerbsverhaltens für die Erwerbsquotenentwicklungen bedeutsam sind. Das Erwerbsverhalten wird aber wahrscheinlich auch von gesetzgeberischen Maßnahmen beeinflußt. Ob dies der Fall ist, soll im folgenden anhand der Wirkungen spezifischer Maßnahmen auf die Erwerbsbeteiligungsentwicklung in Schweden und der Bundesrepublik untersucht werden.
III. Erwerbsbeteiligung und Politik
Abbildung 5
Tabelle 2: Anteil der Abwesenden an den Beschäftigten in Schweden
Tabelle 2: Anteil der Abwesenden an den Beschäftigten in Schweden
In der Übersicht auf S. 46 sind einige ausgewählte gesetzgeberische Maßnahmen aufgeführt, die das Erwerbsverhalten in beiden Ländern beeinflußt haben können. Sowohl in Schweden als auch in der Bundesrepublik ist die Rentengesetzgebung insgesamt auf eine Verminderung der Erwerbsbeteiligung älterer Arbeitnehmer ausgerichtet gewesen. In Schweden ist aber die Einführung der Teilrente, eine Kombination aus Teil-Rentenbezug und Erwerbstätigkeit, besonders hervorzuheben, weil dies eine Form des „weichen“ Übergangs von der Erwerbstätigkeit in die Rente ist. Ferner war die Mutter-und Elternschaftsgesetzgebung in Schweden explizit darauf ausgerichtet, Erwerbstätigkeit und Familienleben miteinander vereinbar zu machen, wobei alle Regelungen prinzipiell für Mütter wie für Väter gelten. Darüber hinaus wurde in Schweden das Einkommensteuersystem von der gemeinsamen auf die getrennte Veranlagung von Ehegatten umgestellt. Jeder Schwede und jede Schwedin zahlt im Prinzip unabhängig vom Familienstatus Einkommensteuer. Hinter diesem Besteuerungsprinzip steht das Bild von selbständigen, auch finanziell unabhängigen Individuen, während das Steuersystem der Bundesrepublik mit der Halbierung der Steuersätze bei Ehepaaren deutlich dem traditionellen Bild der Einverdiener-Familie verhaftet ist. Von der Umstellung des schwedischen Steuersystems auf die Individualbesteuerung hatte man sich einen positiven Effekt auf die Erwerbsbeteiligung der Frauen erhofft, da deren Einkommen, das in der Regel das zweite Einkommen ist, mit deutlich geringeren Steuersätzen belegt wurde. Es zeigt sich jedoch, daß die erhoffte Wirkung kaum statistisch signifikant nachgewiesen werden kann Die Analyse hat ergeben, daß weniger die finanziellen Anreize — wie die Senkung der marginalen Steuer-sätze — als vielmehr die substantiellen, realen sozialpolitischen Maßnahmen das Erwerbsverhalten beeinflußt haben. Hierzu zählen die Mutter-und Eltemschaftsgesetze sowie die Rentengesetzgebung, deren Wirkung auf die Erwerbsbeteiligung im folgenden behandelt werden soll.
1. Regelungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf In Schweden gelten Möglichkeiten der Kinderbetreuung generell für beide Elternteile. Die schwedische Gesetzgebung erläßt alle Gesetze nach dem Prinzip, daß beide Geschlechter gleich zu behandeln sind und keines der Geschlechter Vor-oder Nachteile aus den Regelungen ziehen soll. Allerdings werden die Angebote der Eltemschaftsgesetze auch in Schweden ganz überwiegend von den Frauen in Anspruch genommen, was zeigt, daß auch dort die traditionelle Rollenteilung mit der dominanten Stellung des Mannes im Erwerbsleben und der Verantwortung der Frau für Familie und Haushalt noch immer verankert ist. Die Eltemschaftsgesetze erlauben die Inanspruchnahme eines maximal 60tägigen Pflegeurlaubs für Eltern erkrankter Kinder unter zwölf Jahren. Dieser Pflege-urlaub kann immer dann in Anspruch genommen werden, wenn das zu versorgende Kind erkrankt ist oder aus sonstigen Gründen der Pflege bedarf. Die tatsächliche Inanspruchnahme des Pflegeurlaubs beträgt nur in Ausnahmefällen 60 Tage und liegt in der Regel sehr weit darunter. Aber die Möglichkeit der Inanspruchnahme eines notfalls auch ausreichend langen Pflegeurlaubs erlaubt es den Müttern, erwerbstätig zu sein, weil sie sich jederzeit der Pflege ihres erkrankten Kindes widmen können. Eltern können neben der Inanspruchnahme des normalen Elternurlaubs (sechs Monate) auch einen besonderen Elternurlaub bis zum Kindesalter von 18 Monaten mit Arbeitsplatzgarantie beanspruchen, der allerdings unbezahlt ist. Beide Elternteile erhalten aber bei der Geburt eines Kindes einen aufteilbaren Anspruch von zusammen 180 Urlaubs-tagen, die von der Elternschaftsversicherung bezahlt werden. Es gibt also eine Reihe von Freistellungsmöglichkeiten, die es den schwedischen Frauen erleichtern, Familie und Beruf miteinander zu kombinieren. Diese Freistellungsmöglichkeiten haben — ähnlich wie Erholungsurlaube — zur Folge, daß die Freigestellten in der Statistik weiterhin als Beschäftigte gezählt werden (sie haben einen Arbeitsvertrag). aber dennoch nicht im eigentlichen Sinne beschäftigt sind. In der Bundesrepublik und in Schweden wird im Prinzip die gleiche Klassifikation der Bevölkerung nach dem Erwerbsstatus verwendet, so daß der Mikrozensus und die schwedischen „labour force surveys" aufgrund der statistischen Definitionen vergleichbar sind. Als Beschäftigter zählt in beiden Ländern, wer in der Berichtswoche mindestens eine Stunde einer auf Erwerb gerichteten Tätigkeit nachgegangen ist. Als Beschäftigte werden auch diejenigen gezählt, die einen Beschäftigungskontrakt haben, aber vorübergehend (während der Berichtswoche) nicht am Arbeitsplatz sind. Beschäftigte, die sich im Urlaub befinden, die erkrankt oder die aus einem anderen Grund, z. B. wegen des Mutterschaftsurlaubs, nicht am Arbeitsplatz sind, werden ebenfalls als Erwerbstätige bzw. Beschäftigte klassifiziert. Hier wird nach den statistischen Konzepten beider Länder in gleicher Weise verfahren, aber es gibt Unterschiede in der Zahl der Freistellungsmöglichkeiten und in der Länge der Freistellungen, die in Schweden sehr viel großzügiger ausfallen als in der Bundesrepublik (vgl. die Übersicht auf S. 46).
Abbildung 6
Tabelle 3: Anteile der Arbeitszeitkategorien bei den anwesenden Beschäftigten in Schweden
Tabelle 3: Anteile der Arbeitszeitkategorien bei den anwesenden Beschäftigten in Schweden
Die Inanspruchnahme der Elternschaftsregelungen muß sich also auf die Anzahl der von der Arbeit Freigestellten niederschlagen, was mit Hilfe der vorzüglichen schwedischen Erwerbsstatistik überprüft werden kann. Deutlich treten hier die geschlechtsspezifischen Unterschiede insbesondere in den achtziger Jahren hervor (vgl. Tabelle 2). Zur Beurteilung der Abwesenheitsquoten ist zu beachten, daß allein die Inanspruchnahme des fünfwöchigen gesetzlichen Mindesturlaubs in Schweden eine Abwesenheitsquote von etwa 10% ergibt. Die Abwesenheitsquote der Männer liegt nur leicht über diesem Wert, was vor allem durch Urlaubszeiten, die über den fünfwöchigen Mindesturlaub hinausgehen, durch Militärdienst, Bildungsurlaube und Krankheitszeiten zu erklären ist. Bei den Frauen wird die insgesamt relativ hohe Abwesenheitsquote vor allem durch Frauen mit kleineren Kindern bestimmt. Die Abwesenheitsquote der Frauen mit älteren Kindern liegt dagegen nicht wesentlich über der der Männer.
Die Eltemschaftsregelungen haben zu einem deutlichen Anstieg der Abwesenheitsquote bei den begünstigten Frauen mit kleinen Kindern geführt. Dies ist für die statistisch ausgewiesene Erwerbsbeteiligung der Frauen von mehrfacher Bedeutung: Einerseits werden Freigestellte statistisch als Beschäftigte klassifiziert und erhöhen somit direkt die Erwerbsquote. Andererseits sind durch die Inanspruchnahme der Freistellung Arbeitsplätze unbesetzt, so daß sich zusätzliche Erwerbsmöglichkeiten erschließen, die sich möglicherweise positiv auf die Erwerbsbeteiligung auswirken. Der bedeutendste Effekt der Freistellungsregelungen dürfte jedoch darin zu sehen sein, daß die schwedischen Frauen eine sichere Rückkehroption ins Erwerbsleben haben. Mehrere Analysen haben gezeigt, daß hierin einer der wichtigsten Faktoren für die Wiedereingliederung von Frauen in das Erwerbsleben nach einer Unterbrechung im Zusammenhang mit der Geburt von Kindern zu sehen ist Würde man die Abwesenden nicht zu den Beschäftigten rechnen, so wäre die Erwerbsquote der schwedischen Frauen mit Kindern unter sieben Jahren um rund 25 %-Punkte niedriger als die 1983 ausgewiesene Quote von 81 %.
Auch in der Bundesrepublik führt der Mutterschaftsurlaub dazu, daß ein Teil der Mütter als Beschäftigte gezählt werden, obwohl sie von ihrer Arbeit freigestellt sind. Eine Analyse von Cramer hat gezeigt, daß die Einführung des Mutterschaftsurlaubs den Anteil der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Frauen, die freigestellt sind, um rund 100 000 Personen hat ansteigen lassen. Diese Angebote, die Beruf und Familie miteinander vereinbaren sollen, haben also auch in der Bundesrepublik Wirkung gezeigt. Allerdings bleibt festzuhalten, daß die schwedischen Regelungen sehr viel generöser sind und vor allem die Option des 60tägigen Pflegeurlaubs von außerordentlicher Bedeutung für die Berufstätigkeit von Müttern ist. Die schwedischen Eltemschaftsregelungen beinhalten auch das Recht auf Teilzeitarbeit für Eltern mit Kindern unter acht Jahren. Sie können ihre Arbeitszeit auf % (6-Stunden-Tag) der normalerweise gearbeiteten Stunden ohne Lohnausgleich reduzieren. Teile des von der Eltemschaftsversicherung gezahlten Eltemurlaubs können auch zur Kompensation des Einkommensausfalls durch die Arbeitszeitverkürzung in Anspruch genommen werden. Der 6-Stunden-Tag spielt in der schwedischen Diskussion eine besondere Rolle und wird hier nicht aus beschäftigungspolitischen Gründen gefordert, sondern um eine gleichberechtigte Partnerschaft in der Ehe zwischen Männern und Frauen zu ermöglichen. Teilzeitarbeit nimmt zwar bei den Männern etwas zu, ist jedoch auch 1983 noch immer relativ gering. Außerdem konzentriert sich die Teilzeitarbeit der Männer in den unteren Altersgruppen, wo Bildungsbeteiligung und Erwerbsarbeit miteinander kombiniert werden, sowie in den oberen Altersgruppen, wo die Entwicklung hin zu mehr Teilzeitarbeit auch auf die Teilrente zurückzuführen ist (vgl. weiter unten). In den mittleren Altersgruppen sind die schwedischen wie auch die deutschen Männer fast ausnahmslos in Vollzeitarbeit beschäftigt. Die Männer in den Kemaltersgruppen haben also nicht nur eine hohe Erwerbsbeteiligung, sondern sie sind auch in der Regel vollzeiterwerbstätig.
Ganz anders als bei den Männern sieht die Verteilung bei den schwedischen Frauen aus: Hier sind die Teilzeitkategorien, insbesondere die von 20 bis 34 Stunden, stark vertreten, wenn auch die Mehrheit der schwedischen Frauen mehr als 35 Stunden (Vollzeit) arbeitet. Bei Frauen mit Kindern unter sieben Jahren ist jedoch bereits zu Beginn der siebziger Jahre die Arbeitszeitkategorie „ 20 bis 34 Stunden“ ungefähr gleich häufig vertreten wie die Vollzeitarbeit, und in den achtziger Jahren arbeiten mehr als 50 % der verheirateten Frauen mit einem Kind unter sieben Jahren Teilzeit zwischen 20 und 34 Stunden. Ein abnehmender Trend ist dagegen in der Arbeitszeitkategorie bis 19 Stunden sowohl bei den Frauen insgesamt als auch Bei den verheirateten Frauen mit Kindern unter sieben Jahren festzustellen. Zwar sind in Schweden auch geringfügigere Arbeitszeiten fast vollständig durch das Sozialversicherungssystem abgedeckt, doch zeigt diese Entwicklung auch, daß geringfügige Teilzeit-wie auch Vollzeitbeschäftigung weniger gewünscht wird, wenn Kinder zu betreuen sind. In der Bundesrepublik ist es dagegen gerade die Teilzeitkategorie mit weniger als 20 Stunden, die expandiert; hier handelt es sich zudem häufig noch um Beschäftigungsverhältnisse, die nicht von der Sozialversicherung erfaßt werden Teilzeitarbeit wird in Schweden also vor allem von verheirateten Frauen mit einem Kind unter sieben Jahren ausgeübt. Die reduzierte Arbeitszeit ist eine Möglichkeit für die Frauen, Familie und Beruf miteinander zu kombinieren. Rund 45% der teilzeitarbeitenden Schwedinnen nannten denn auch Haushaltsverpflichtungen als Grund für ihre Teilzeitarbeit. Dieser Grund spielt bei den Männern, wie es aus der oben beschriebenen Altersverteilung bei der Inanspruchnahme von Teilzeitarbeit schon zu vermuten ist, nur eine untergeordnete Rolle; lediglich 4 % der teilzeitbeschäftigten Schweden nannten Haushalts-verpflichtungen als Grund für ihre Teilzeitarbeit
2. Rentenpolitik In Schweden wie auch in der Bundesrepublik war die Rentengesetzgebung insgesamt darauf gerich-tet, ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu ermöglichen, was einerseits sozialpolitisch, andererseits aber auch arbeitsmarktpolitisch motiviert war. In der Bundesrepublik wurde mit der großen Rentenreform von 1957 die dynamisierte Rente nach dem Generationenvertrag eingeführt, die einen Anstieg der Renten auch nach Eintritt des Rentenfalles vorsah. Schweden führte erst 1960 als eine der großen Reformen des damaligen schwedischen Ministerpräsidenten Tage Erlander die „Zusatzpension“ zusätzlich zur Basispension, die alle schwedischen Bürger unabhängig von der vorherigen Erwerbstätigkeit erhalten, ein. Mit der „Zusatzpension“ wurde in Schweden ein der Bundesrepublik vergleichbares Rentensystem etabliert, das das Rentenniveau an der Höhe der Beiträge und der Dauer der Beschäftigung ausrichtet. Die ersten, allerdings sehr niedrigen Renten nach der „Zusatzpension“ wurden 1963 ausgezahlt.
In den Folgejahren stieg das Rentenniveau der „Zusatzpension“ kontinuierlich an und erreichte 1979 erstmals die volle Höhe bei Altersrenten. Die bis dahin relativ geringe Altersversorgung zwang also die älteren Schweden zu einer vergleichsweise hohen Alterserwerbstätigkeit. Erst 1976 wurde die allgemeine Rentenaltersgrenze von 67 auf 65 Jahren herabgesetzt (vgl. Übersicht 1), was eine durchschlagende Wirkung auf die Erwerbsbeteiligung der älteren Schweden hatte, obwohl die Herabsetzung der Rentenaltersgrenze sie nicht zum Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zwang, sondern im Gegenteil gleichzeitig eine Flexibilisierung der Alters-grenze eingeführt wurde.
1970 wurde in Schweden älteren Arbeitnehmern mit gesundheitlichen Einschränkungen bei ungünstiger Arbeitsmarktlage der Bezug einer Frühpension ermöglicht; die Bindung an die medizinischen Gründe wurde sukzessive aufgehoben. Seit 1974 können Arbeitnehmer ab 60 Jahren vorzeitig in Rente wechseln, wenn sie eine Arbeitslosigkeitsdauer von 450 Tagen durchlaufen haben. Mit der Herabsetzung der Rentenaltersgrenze 1976 auf 65 Jahre wurde gleichzeitig eine Flexibilisierung des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben eingeführt. Arbeitnehmer können wählen, wann sie zwischen dem 60. und dem 70. Lebensjahr aus dem Erwerbsleben ausscheiden wollen, was aber mit entsprechenden versicherungsmathematischen Ab-schlägen (vor dem 65. Lebensjahr) bzw. Zuschlägen (bei Weiterarbeit über das 65. Lebensjahr hinaus) verbunden ist Die Überprüfung der vorzei-
tigen Verrentungsmöglichkeiten ergab negative Wirkungen auf die Erwerbsbeteiligung, die allerdings häufig nicht signifikant waren. Auch die Einbeziehung der Arbeitsmarktlage in die Analyse führte zu keinen substantiell anderen Ergebnissen.
Eine Besonderheit im schwedischen Rentenrecht ist die 1976 eingeführte Teilpension, die es den älteren Schweden zwischen dem 60. und dem 65. Lebensjahr erlaubt, ihre Arbeitszeit zu reduzieren. Die Arbeitszeitverkürzung muß mindestens fünf Stunden betragen; nach Verkürzung müssen noch mindestens 17 Stunden pro Woche gearbeitet werden. Das durch die Arbeitszeitverkürzung ausgefallene Einkommen wurde bis 1980 zu 65 % des Bruttobetrages von der Rentenversicherung ausgeglichen. Im Oktober 1980 kürzte die damalige bürgerliche Regierung Schwedens die Höhe der Kompensationszahlungen auf 50%; die Regierung Olof Palme erhöhte jedoch die Kompensationszahlung wieder, was auch im damaligen Wahlkampf eine zentrale Rolle spielte und eine explizite Wahlaussage der Sozialdemokraten war. Die schwedische Teilrente erlaubt also den „weichen“ Übergang in das Ruhestandsleben, und es ist eine positive Wirkung dieser Regelung auf die Erwerbsbeteiligung zu vermuten.
Es ist allerdings auch sehr plausibel, daß die Option der Teilrente nicht die Entscheidung über Arbeit und Ruhestand als vielmehr die Wahl zwischen Vollzeit-und Teilzeitbeschäftigung beeinflußt hat. Wenn aber die Teilrente zu einer verstärkten Inanspruchnahme von Teilzeitarbeit bei sonst ohnehin Erwerbstätigen geführt hat, dann konnte sich dies nicht in der Erwerbsquote niederschlagen. Allerdings müßte sich dann eine Verschiebung hin zu den Teilzeitanteilen bei den älteren Arbeitnehmern ergeben. Hier wurden in der Tat statistisch signifikante Effekte bei den schwedischen Männern ermittelt. Nach 1976 haben die Teilzeitanteile deutlich zugenommen, und zum Zeitpunkt der Senkung der Kompensationszahlungen (1980) zeigt sich wieder ein leichter Anstieg der Wechsel von Teilzeitbeschäftigung zurück auf Vollzeitbeschäftigung. Insgesamt kann daraus der Schluß gezogen werden, daß die Teilrente eher die Akzeptanz der Teilzeitarbeit als das längere Verbleiben in der Erwerbstätigkeit bei den älteren schwedischen Arbeitnehmern gefördert hat, was nicht zuletzt mit dem Einkommensniveau zu erklären ist. Es ist auch zu vermuten, daß ein frühzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben weniger durch individuelle Wahl als vielmehr durch Strukturwandel und Arbeitsmarkt-probleme verursacht wird, worauf eine Analyse von Berglind hinweist.
Im Gegensatz zu den schwedischen Männern und den nicht verheirateten Frauen zeigte sich bei den verheirateten Frauen in Schweden im Alter von 60 bis 65 Jahren eine zunehmende Erwerbsbeteiligung. Dies läßt sich mit unterschiedlichen Erwerbs-biographien erklären: Die älteren verheirateten Schwedinnen hatten im allgemeinen noch eine durch Kindererziehungszeiten unterbrochene Er-werbsbiographie und deshalb relativ geringe eigene Rentenansprüche, so daß sie zur „Aufbesserung“ ihrer eigenen Altersversorgung auch im höheren Alter noch erwerbstätig sind, um so Rentenpunkte für die eigenständige Versorgung zu sammeln.
In der Bundesrepublik ermöglichte die dynamische Altersrente einen Rückgang der Erwerbsbeteiligung der älteren Arbeitnehmer, wobei zu beachten ist, daß der Bezug einer Altersrente bei Männern ab Vollendung des 65. Lebensjahres und bei Frauen bereits ab Vollendung des 60. Lebensjahres möglich ist. Zu Beginn der sechziger Jahre arbeiteten aber dennoch rund 35 % der Männer im Alter von 65 und 69 Jahren und immerhin noch 21 % der Männer von 70 bis 74 Jahren. Bei den Frauen lagen diese Anteile erwartungsgemäß erheblich niedriger (12 % bei den 65-bis 69jährigen, 7, 2 % bei den 70-bis 74jährigen). 1982 waren dagegen nur noch rund % der 65-bis 69jährigen Männer und 6, 3 % der 70-bis 74jährigen Männer berufstätig. Bei den Frauen lagen die entsprechenden Anteile bei 5 % und 3%. Auch in der Bundesrepublik ist also die Erwerbsbeteiligung der über 65jährigen deutlich zurückgegangen. Aber auch die jüngeren Altersgruppen zeigen einen deutlichen Rückgang der Erwerbsbeteiligung. Die Erwerbsquote der 60-bis 64jährigen Männer ging von rund 73% 1963 auf 44% 1982 zurück. Die Erwerbsbeteiligung der Frauen verringerte sich von rund 21 % auf etwa 13 % im gleichen Zeitraum.
Die Entwicklung der Erwerbsbeteiligung bei den 60-bis 64jährigen Männern dürfte auf eine Reihe von Gesetzesänderungen im Rahmen der Rentenversicherung zurückzuführen sein. Seit 1973 ist es im Rahmen der „Kleinen Rentenreform“ möglich, ohne Abschläge bereits mit 63 Jahren in Rente zu gehen. Für Schwerbehinderte wurde die flexible Altersgrenze auf 62 Jahre festgelegt, 1979 wurde sie auf 61 Jahre und 1980 um ein weiteres Jahr auf 60 Jahre gesenkt. Darüber hinaus ist die Definition der Erwerbsunfähigkeit vom Bundessozialgericht an die Arbeitsmarktlage gekoppelt worden. Auch dann, wenn „lediglich“ eine Berufsunfähigkeit vorliegt, die Arbeitsmarktlage es aber nicht erlaubt, einen angemessenen (Teilzeit-) Arbeitsplatz zu finden, wird die Erwerbsunfähigkeit festgestellt. Die sogenannte „ 59er-Regelung“ war bereits seit 1957 in Kraft, gewann jedoch erst in den siebziger Jahren mit der sich verschlechternden Arbeitsmarktlage an Bedeutung. Mittels Sozialplanregelungen wurde versucht, die vor der Rentengewährung geforderte einjährige Arbeitslosigkeitszeit aufzubessem. Hierbei ist festzustellen, daß die vorzeitigen Wechsel in den Ruhestand vorwiegend bei Arbeitnehmern mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen und monotonen Arbeitsbedingungen auf eine hohe Akzeptanz stießen 10). Diese auf Befragungen basierenden Ergebnisse wurden auch durch Querschnittsanalysen mit Makrodaten bestätigt, wonach sich zeigte, daß gesundheitliche Einschränkungen mit belastenden Arbeitsbedingungen hoch korrelieren und darüber hinaus zu einer niedrigeren Erwerbstätigkeit älterer Personen führen
Die Überprüfung der Zusammenhänge zwischen den Änderungen im Rentenrecht und der Erwerbs-beteiligung ergab bei den Frauen keinen statistisch signifikanten Zusammenhang. Dies ist so zu erklären, daß Frauen, die über die Vollendung des 60. Lebensjahres hinaus erwerbstätig sind, dies nicht zuletzt zum Erwerb zusätzlicher Rentenansprüche. tun, um entweder die Mindestanwartschaft oder eine höhere Rente zu erhalten. Eine Erwerbstätigkeit, die gerade darauf ausgerichtet ist, zusätzliche Rentenanwartschaften zu erwerben, dürfte von den skizzierten Veränderungen im Rentenrecht kaum beeinflußt werden.
Bei den Männern zeigten sich hingegen deutlich signifikante Effekte der Einführung der flexiblen Altersgrenze, die stark vermindernd auf die Erwerbstätigkeit der begünstigten Altersgruppen (63, 64 und 65 Jahre) wirkten. Auch die sukzessive Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze für Schwerbehinderte von 62 auf 60 Jahre (vgl. Übersicht 1) zeigte bei den Männern deutliche Wirkungen.
IV. Schlußfolgerungen
Die vergleichende Längsschnittanalyse der Entwicklungen der Erwerbsbeteiligung in Schweden und der Bundesrepublik zeigt, daß sich Veränderungen überwiegend langfristig und kontinuierlich vollziehen. Zu Abweichungen von den langfristigen Trends kommt es nur dann, wenn das institutionelle Umfeld deutlich verändert wird. Offenbar sind es nicht die marginalen und temporären, sondern vielmehr die dauerhaften, tiefergehenden Änderungen des institutionellen Gefüges, die die Erwerbsentscheidung beeinflussen. Dabei zeigt sich, daß weniger die auf monetäre Größen zielenden Instrumente als vielmehr die Eröffnung realer Handlungsoptionen durch die Politik von Bedeutung ist. Die langfristigen Trends werden in allen industriellen Ländern durch die strukturellen Veränderungen der Industriegesellschaften getragen, die zu einer zunehmenden Auflösung traditioneller Versorgungsmuster (wie etwa der Ehe) führen und deshalb eine zunehmend eigenständige ökonomische Sicherung auch der Frauen erfordern Parallel dazu wandelt sich das Bild von der Frau in der Gesellschaft auch in bezug auf ihre Integration in die Erwerbsarbeit — wohl nicht zuletzt aufgrund des sich angleichenden Bildungsniveaus zwischen den Geschlechtern — grundlegend mit der Folge einer höheren Bildungs-und Erwerbsbeteiligung
Dieses Muster der Erwerbsbeteiligungsentwicklung der Frauen zeigt sich sowohl in Schweden als auch in der Bundesrepublik, wenngleich die schwedischen Frauen sehr viel stärker im Erwerbsleben integriert sind. Eine zunehmende Erwerbsbeteiligung muß nicht mit einem Geburtenrückgang verbunden sein, wie es das Beispiel Schweden zeigt. Hier waren es gerade Frauen mit kleinen Kindern, die ihre Erwerbsbeteiligung besonders stark erhöht haben. Obwohl das berufliche Engagement in Schweden sehr viel größer ist, ist die schwedische Geburtenrate höher als die der Bundesrepublik. Familie und Beruf sind in Schweden besser miteinander vereinbar, denn noch immer ist auch für Schwedinnen die Geburt eines Kindes ein markanter Punkt in ihrer Erwerbsbiographie, der aber nicht zum völligen Rückzug aus dem Erwerbsleben führt, sondern nur zu einer Unterbrechung mit der Rückkehroption in das alte Beschäftigungsverhältnis auch nach einer längeren Phase der Kinderbetreuung. Schon 1963 waren zwar die Schwedinnen in höherem Maße berufstätig als die deutschen Frauen, jedoch nahm diese Differenz im Laufe der Zeit noch zu. Während die verheirateten deutschen Frauen ihre Erwerbsbeteiligung in zwei Jahrzehnten um rund 10%-Punkte erhöhten, legten die verheirateten Schwedinnen um rund 25%-Punkte zu.
In Schweden waren es dabei insbesondere die Eltemschaftsurlaube, der Pflegeurlaub, der eine Arbeitsbefreiung Von bis zu 60 Tagen im Jahr bei Erkrankung der zu versorgenden Kinder vorsieht, sowie das Recht auf Teilzeitarbeit, die die Erwerbs-beteiligung der schwedischen Frauen deutlich förderten. Würden in der Bundesrepublik „schwedische Verhältnisse“ herrschen, dann wären 1982 nicht rund 44 % der 16-bis 74jährigen verheirateten Frauen, sondern rund 73 % erwerbstätig gewesen.
In absoluten Zahlen würde dies bedeuten, daß rund Vier Millionen verheirateter Frauen zusätzlich auf dem Arbeitsmarkt wären. Ähnlich sieht es bei den unverheirateten Frauen aus, hier wären rund 800 000 Frauen zusätzlich auf dem Arbeitsmarkt, und auch die Männer würden mit rund 500 000 zahlreicher auf dem Arbeitsmarkt sein.
Diese hypothetische Übertragung der „schwedischen Verhältnisse“ auf die Bundesrepublik ist aber nicht mit entsprechend höheren Arbeitslosenzahlen gleichzusetzen, denn in Schweden wurde diese positive Erwerbsbeteiligungsentwicklung nicht bei steigendem, sondern vielmehr bei einem sinkenden Arbeitsvolumen erreicht. Was sich indes in Schweden drastisch verändert hat, ist die Verteilung der Arbeit auf Personen. Das Arbeitsvolumen wurde in Schweden gleichmäßiger verteilt; dies ist insbesondere durch das verstärkte Angebot an Teilzeitarbeitsplätzen und die zahlreichen Freistellungsmöglichkeiten erreicht worden. Übertragen auf die Bundesrepublik würde dies bedeuten, daß die Zahl der Teilzeitbeschäftigten drastisch steigen müßte und daß gleichzeitig der Anteil der am Arbeitsplatz Anwesenden an den Beschäftigten insgesamt um rund 10% geringer ausfallen würde. Umgekehrt heißt dies, daß eine verstärkte Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt eng an die Einführung der skizzierten Maßnahmen gekoppelt ist. Erforderlich ist also eine höhere Flexibilität am Arbeitsmarkt, die aber an den Bedürfnissen der Familien orientiert sein muß, denn eine lediglich an den Erfordernissen des Produktionsprozesses orientierte Flexibilität stünde wohl eher der Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Weg
Familienpolitik kann, wie das schwedische Beispiel beweist, sehr wohl auf eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf gerichtet sein und muß sich nicht an einer Reaktivierung tradierter Rollenmuster ausrichten. Dennoch zeigt die Verteilung der Teilzeitarbeit und die Inanspruchnahme der Freistellungsregelungen, daß es auch in Schweden noch überwiegend die Frauen sind, die beide Lebensbereiche — die Berufswelt und die Familie — miteinander vereinbaren müssen. Vor diesem Hintergrund sind auch die Forderungen nach einem 6-Stunden-Tag zu sehen, der in Schweden weniger aus beschäftigungspolitischen Erwägungen heraus gefordert wird, sondern um eine gleichmäßige Partizipation von Männern und Frauen am Erwerbs-und Familienleben zu ermöglichen. Sozialpolitische Maßnahmen in Schweden und in der Bundesrepublik Deutschland SCHWEDEN Steuergesetze 1971 Die Individualbesteuerung wird obligatorisch Rentengesetze 1960 Einführung der Zusatzpension zusätzlich zur Basispension 1963 Auszahlung der ersten, sehr geringen Alterspensionen aus der Zusatzversicherung 1970 Die Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente wird bei älteren Arbeitnehmern von der Arbeitsmarktlage abhängig gemacht 1974 Arbeitnehmer ab 60 Jahren können nach 450 Tagen Arbeitslosengeldbezuges vorzeitig in Rente gehen 1976 Die Rentenaltersgrenze wird von 67 auf 65 Jahre reduziert und gleichzeitig flexibilisiert (60 bis 70 Jahre)
Die Teilrente, die Teilzeitarbeit und Renten kombiniert, wird mit einer 65% igen Kompensation für die Bruttoeinkommensminderung eingeführt 1979 Die Zusatzpension erreicht für Altersrentner erstmals die volle vorgesehene Höhe 1981 Die Kompensation des ausgefallenen Einkommens bei der Teilrente wird auf 50 % gesenkt 1987 Erhöhung der Kompensation des ausgefallenen Einkommens bei der Teilrente auf 65 % Mutter-/Elternschaftsgesetze 1974 Die Mutterschaftsversicherung wird auf eine Elternschaftsversicherung umgestellt. Beide Elternteile erhalten einen aufteilbaren Anspruch von zusammen 180 bezahlten Urlaubstagen bei der Geburt eines Kindes 1979 Pflegeurlaub bis maximal 60 Tage pro Jahr für Eltern erkrankter Kinder unter 12 Jahren Arbeitszeitverkürzungsrecht für Eltern mit Kindern unter 8 Jahren Eltern können unbezahlten Urlaub mit Arbeitsplatzgarantie bis zum Kindesalter von 18 Monaten beanspruchen BUNDESREPUBLIK Steuergesetze 1974 Durch die Änderung des Kindergeldsystems entfällt der Steuerfreibetrag für Kinder zugunsten eines einkommensunabhängigen Festbetrages 1986 Der zwischenzeitlich wieder eingeführte Kinderfreibetrag wird von 432 DM auf 2 484 DM angehoben Rentengesetze 1957 „Große Rentenreform“: Einführung der dynamisierten Rente nach dem Generationenvertrag 1973 Die flexible Altersgrenze ermöglicht eine Verrentung nach Vollendung des 63. Lebensjahres ohne versicherungsmathematische Abschläge 1978 Für Schwerbehinderte wird die flexible Altersgrenze auf 62 Jahre gesenkt 1980 Für Schwerbehinderte wird die flexible Altersgrenze auf 60 Jahre gesenkt 1984 Das Vorruhestandsgesetz erlaubt es Arbeitnehmern, mit 58 Jahren in den Vorruhestand zu treten Mutter-/Elternschaftsgesetze 1976 Erstes Gesetz zur Reform des Ehe-und Familienrechts Formelle Gleichstellung von Mann und Frau 1979 Einführung des Mutterschaftsurlaubs 1986 Erziehungsgeldgesetz mit Regelung eines Erziehungsurlaubs
Ronald Schettkat, Dr. rer. oec., Dipl. -Volksw., Dipl. -Ingenieur, geb. 1954; Studium der Flugzeugtechnik, Statistik und Wirtschaftswissenschaften in Hamburg und Berlin; Lehrtätigkeit an der Technischen Universität Berlin; seit 1981 Wissenschaftler am Internationalen Institut für Management und Verwaltung (Schwerpunkt Arbeitsmarkt und Beschäftigung) des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung. Veröffentlichungen u. a.: Arbeitszeitverkürzung, öffentliche Haushalte, Nettoeinkommen und private Nachfrage, in: Wirtschaftsdienst, August 1983; (zusammen mit F. W. Scharpf) Arbeitszeitverkürzung als flankierendes Instrument einer wachstumsorientierten Beschäftigungspolitik, in: H. -J. Krupp /B. Roh-wer /K. W. Rothschild (Hrsg.), Wege zur Vollbeschäftigung, Freiburg 1986; Erwerbsbeteiligung und Politik. Theoretische und empirische Analysen von Determinanten und Dynamik des Arbeitsangebots in Schweden und der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1987.