Die wirtschaftliche Entwicklung der Türkei seit 1973
Faruk en
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Zusammenfassung
Nachdem das Schwellenland Türkei am 14. April 1987 den Antrag aufErwerb der Vollmitgliedschaft in der EG gestellt hat, ist ihre wirtschaftliche Entwicklung für die EG-Mitgliedsstaaten interessanter geworden. Der soziale und politische Wandel in der Türkei, der stets eine sehr starke Westorientierung beinhaltete, hat eine fast 65jährige Tradition. Allerdings wurde die demokratische Entwicklung seit 1960 dreimal durch Militärinterventionen unterbrochen. Die türkische Wirtschaftskrise, die durch die drastischen Ölpreiserhöhungen von 1973 ausgelöst wurde und sich nach der Zypern-Intervention im Sommer 1974 verschärfte, dauerte bis zum Ende der siebziger Jahre. Während dieser Zeit wuchs das Außenhandelsdefizit der Türkei ständig. Zunehmende Devisenknappheit und stark steigende Auslandsschulden prägten die türkische Wirtschaft, so daß die Kapazitätsauslastung in der Industrie auf 56 Prozent schrumpfte und die Inflationsrate 1980 auf 108 Prozent stieg. Die neue liberale Wirtschaftspolitik, die Turgut Özal eingeleitet hat, zielt aufeine Exportexpansion und auf den Erhalt von Bauaufträgen hauptsächlich aus den arabisch-islamischen Staaten. Diese Wirtschaftspolitik hat der Türkei bereits zu beachtlichen außenwirtschaftlichen Erfolgen verhelfen. Die Türkei konnte ihre Exporte von 1979 bis Ende 1987 um mehr als das 4, 5fache steigern. Diese Exportsteigerung beruhte allerdings hauptsächlich auf einer Beschränkung der inländischen Nachfrage. Die Türkei ist auf dem Wege von einer Agrar-zu einer Industriegesellschaft. Während die türkische Landwirtschaft und die türkische Infrastruktur noch als unterentwickelt zu bezeichnen sind, kann sich die türkische Industrie doch in verschiedenen Bereichen mit den anderen EG-Staaten messen. Obwohl sie heute noch mit verschiedenen wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen hat, wäre die Türkei längerfristig eine Bereicherungder EG, zumal sie mit ihrer ständig wachsenden Bevölkerung einen interessanten Absatzmarkt bieten kann.
Das Schwellenland Türkei, das am 14. April 1987 den Antrag auf Erwerb der Vollmitgliedschaft in der EG gestellt hat, zieht nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch in den übrigen Mitgliedstaaten der EG das Interesse auf sich. Demokratische und islamisch-fundamentalische Entwicklungen auf der einen Seite und Engpässe in Sozialstruktur und Wirtschaft auf der anderen Seite bilden gegenwärtig die aktuellsten Probleme dieses Landes.
Der soziale und politische Wandel innerhalb der türkischen Republik, der auch stets eine Westorientierung beinhaltete, hat eine fast 65jährige Tradition. Die Entwicklung der türkischen Demokratie, die erst durch die Zulassung mehrerer Parteien im Jahre 1946 ermöglicht wurde, ist zwar seit 1960 dreimal durch Militärinterventionen unterbrochen worden, dennoch machte die Etablierung der Demokratie in den letzten 42 Jahren große Fortschritte. Ähnliche Fortschritte sind bisher innerhalb der türkischen Wirtschaft nicht in dem gleichen Umfang zu sehen. Die voneinander stark abweichenden Wirtschaftspolitiken der einzelnen Regierungen seit Gründung der Republik sorgten für wirtschaftliche Instabilität. Besonders nach der weltweiten Ölkrise von 1973 litt die Türkei lange Zeit unter großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, deren politische und gesellschaftliche Folgen die gesamten siebziger Jahre geprägt haben.
I. Die türkische Wirtschaft der siebziger Jahre
Abbildung 1
Tabelle 1
Tabelle 1
Nach dem zweiten Staatsstreich (1971) wurde die Türkei bis zu den Wahlen von 1973 von sogenannten überparteilichen Regierungen geführt, die zwar verschiedene Reformen — so u. a. Bodenreform und Steuerreform — durchführen wollten, diese Absicht indes letztlich nicht verwirklichen konnten. Erst die Wahlen im Jahre 1973 brachten der Türkei umfassendere Ansätze zu Neuerungen in wirtschaftspolitischer und sozioökonomischer Hinsicht. Die Republikanische Volkspartei, die sich nach einem politischen Wandel im Jahre 1972 unter dem neuen Parteivorsitzenden B. Ecevit zu einer sozialdemokratischen Partei entwickelt hatte, konnte sich 1973 nach 23 Jahren zum ersten Male wieder als größte Partei im Lande profilieren. Sie errang 34 Prozent der Stimmen; Anfang 1974 bildete B. Ecevit mit der proislamisch eingestellten Nationalen Heilspartei eine Koalitionsregierung. Die türkischen Sozialdemokraten wollten während ihrer Regierungsphase ein neues Wirtschaftskonzept, den „Volkssektor“, verwirklichen. Der Volkssektor sollte neben dem Privat-und dem Staatssektor mit stark gemeinwirtschaftlichen Elementen aufgebaut werden und zwischen den Wirtschaftsformen der Planwirtschaft und der freien Marktwirtschaft stehen. Ziel des sozialdemokratischen Konzepts war eine Verbesserung der Strukturen von Landwirtschaft und Industrie und damit eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung durch die Minimierung des bestehenden Gefälles zwischen hohen und niedrigen Einkommen. Der Volkssektor, der in die türkische Wirtschaftsgeschichte als Versuch des „Dritten Weges“ einging, sollte sich aus den in der Türkei traditionell zahlreich vorhandenen Genossenschaften, den Sozial-versicherungen, Volksaktionsgesellschaften, Arbeitnehmergesellschaften, Gewerkschaften und ihren wirtschaftlichen Einrichtungen sowie aus den Verbänden für Beamte. Arbeitnehmer und Offiziere zusammensetzen
Abbildung 6
Türkische Investitionen in der Bundesrepublik Deutsche Investitionen in der Türkei
Türkische Investitionen in der Bundesrepublik Deutsche Investitionen in der Türkei
Die Ende 1973 einsetzende türkische Wirtschaftskrise gab der Realisierung dieses neuen Konzepts jedoch keine Chance. Die Sozialdemokraten mußten nach kurzer Zeit das völlige Scheitern ihrer Wirtschaftspolitik erleben.
Abbildung 7
Tabelle 7
Tabelle 7
Die türkische Wirtschaftskrise von 1973 hatte zwei grundlegende Ursachen. In erster Linie litt die Türkei 1973 unter den drastischen Ölpreiserhöhungen. Ab November 1973 reichten die Gesamtexporteinnahmen der Türkei gerade zur Begleichung der Ölimporte. Die Entscheidung für das Öl als Energiequelle bei gleichzeitiger Vernachlässigung der heimischen Energiequellen wie Kohle und Wasser, die in den sechziger Jahren gefallen war, brachte der Türkei immer große finanzielle Engpässe, die sich nach der türkischen Zypern-Intervention im Jahre 1974 zuspitzten. Diese militärische Aktion kostete die Türkei seinerzeit 15 Milliarden T. L. (Türk-Lirasi, türkische Pfund) und damit ein Fünftel ihres Gesamthaushaltes für 1974. Zudem trug auch noch das durch die Zypern-Intervention hervorgerufene Waffenembargo der USA zu einer rapiden Verschlechterung der Lage der türkischen Wirtschaft bei.
Gleichzeitig wuchs auch das Außenhandelsdefizit ständig. Während es 1972 noch 666, 7 Millionen US-Dollar betragen hatte, stieg es bereits 1974 sprunghaft auf 245 Milliarden US-Dollar. Auch in den folgenden Jahren setzte sich diese Entwicklung fort. Die Außenhandelsindikatoren für diese Epoche zeigen, daß die chronischen Handelsdefizite, die seit 1946 unverändert und stetig zunehmend bestanden. und die starke Importabhängigkeit, die besonders durch Ölausgaben immer mehr wuchs, weiter andauerten. Die negative Entwicklung der Außenhandelsbilanz der Türkei während der siebziger Jahre, insbesondere seit 1974, wird in Tabelle 1 deutlich.
In den Jahren 1975— 1977 und 1980 hatte die Türkei ihre bisher größten Außenhandelsdefizite zu verzeichnen, die in erster Linie auf den drastischen Preiserhöhungen der Ölimporte beruhten. In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre verstärkte sich zudem die Rezession in den drei wichtigsten Industriesektoren, nämlich in der Bau-, Textil-und Autoindustrie. Damit begann für die Republik Türkei in wirtschaftlicher Hinsicht die schwerste Zeit seit ihrem Bestehen. Das ständig wachsende Außenhandelsdefizit, steigende Auslandsschulden und die zunehmende Arbeitslosigkeit kennzeichneten die Wirtschaftslage des Landes. Ursachen dafür waren die politische Instabilität im Parlament, die häufigen Regierungswechsel und die Abhängigkeit der türkischen Industrie vom Ausland.
Nach einer kurzen Koalitionsregierung unter Ecevit vom 1. Februar bis 15. September 1974 wurde 1975 die erste „Nationale-Front-Regierung" gebildet. Die vier konservativen Parteien regierten unter Führung des Vorsitzenden der Gerechtigkeitspartei, S. Demirel, von 1975 bis 1977. Während dieser Phase wuchsen die wirtschaftlichen Probleme weiter. Die Regierung Demirel nahm von ausländischen Banken in erster Linie kurz-bis mittelfristige Kredite zu hohen Zinsen auf, um in der Türkei langfristige Investitionen zu finanzieren. Diese Kreditpolitik ließ die Auslandsschulden immer mehr ansteigen. Wegen steigender Ausgaben für Ölimporte fehlten Devisen für Importe, insbesondere für Rohstoffe und Industriegüter. Differenzen unter den Koalitionspartnern und den Kabinettsmitgliedern führten zudem zu Versäumnissen bei den Verhandlungen mit ausländischen Importeuren der von halbstaatlichen Unternehmen exportierten landwirtschaftlichen Güter wie Haselnüsse. Weizen und Tabak, die damals über 30 Prozent der türkischen Exportgüter bildeten. Insbesondere 1977 verschlechterte sich die Außenhandelsbilanz drastisch. Während der Export gegenüber dem Vorjahr um 200 Millionen Dollar zurückging, wurde der Import um 13 Prozent, d. h. 660 Millionen Dollar, gesteigert 2).
Mit diesen wirtschaftlichen Schwierigkeiten ging die Türkei im Juni 1977 in die Wahlen. Auch bei diesen Wahlen erzielte die sozialdemokratische Volkspartei — wie 1973 — die meisten Stimmen, konnte jedoch nicht die absolute Mehrheit erringen. Der Versuch einer sozialdemokratischen Minderheitsregierung scheiterte nach kurzer Zeit, so daß Demirel an die Spitze der zweiten „NationaleFront-Regierung“ treten konnte, die von August 1977 bis Ende Dezember 1977 währte. Von Januar 1978 bis November 1979 folgte dann eine Koalition aus Republikanischer Volkspartei und elf unabhängigen Parlamentariern unter Ecevit. Auch dieser Regierung gelang es allerdings ebenfalls nicht, die Wirtschaftsprobleme der Türkei zu lösen.
Die wirtschaftliche Zielsetzung der sozialdemokratischen Regierung, die den Aufbau eines starken gemeinwirtschaftlichen Sektor mit betrieblichen bzw. überbetrieblichen Mitbestimmung beinhaltete, konnte nicht zuletzt aufgrund der durch die Vorschriften des Internationalen Währungsfonds (IWF) hervorgerufene Verzögerung ausländischer Kredite im Jahre 1978 nur in ganz begrenztem Umfang realisiert werden. Ohnehin erlebte die türkische Gesamtwirtschaft aufgrund der fehlerhaften Wirtschaftspolitik der vorherigen Regierung Demirels sowie der großen Devisenknappheit schwierige Zeiten. Die industriellen Unternehmen konnten nur mit einer durchschnittlichen Kapazität von 56 Prozent produzieren; zugleich stieg die Inflationsrate auf 43. 6 Prozent, wodurch die Wirtschaft des Landes weiter belastet wurde. Insgesamt ist festzustellen, daß das chaotische Erbe der rechts-konservativen Koalitionsregierung in den Jahren 1978 und 1979 unter Ecevit zwar vermindert, aber nicht überwunden werden konnte.
Die Teilsenatswahlen und die Wahlniederlage der Republikanischen Volkspartei im Oktober 1979 brachten der Türkei erneut einen Regierungswechsel. mit dem die 22monatige Regierungszeit der türkischen Sozialdemokraten endete. In das Jahr 1980 ging die Türkei wieder mit einer konservativen Regierung unter S. Demirel.
Die Entwicklung der türkischen Wirtschaft in den siebziger Jahren war vor allem durch das Anwachsen der Auslandsverschuldung geprägt. Während der siebziger Jahre nahmen die Auslandsschulden der Türkei so rapide zu, daß schließlich die Kreditgeber im Rahmen einer Standardstabilisierungspolitik ein Übereinkommen mit dem IWF als Vorbedingung für die Zusage neuer Kredite vorschlugen. Das Ausmaß der zunehmenden Auslandsverschuldung läßt sich Tabelle 2 entnehmen.
Die sprunghafte Steigerung der Auslandsschulden im Jahre 1977 um 4 330 Milliarden Dollar, die ausschließlich aus kurz-und mittelfristigen Krediten resultierte, erhöhte sich 1978 erneut um 2, 151 Milliarden Dollar. Auch die Zinszahlungen nahmen zu. 1977 mußte die Türkei 534 Milharden Dollar und 1978 645 Millionen Dollar an Zinsen zahlen. Ende 1979 waren 43 Prozent der Auslandsschulden kurzfristige Kredite, die in weniger als drei Jahren zurückgezahlt werden mußten. 1979 mußte die Türkei neben den Zinszahlungen knapp zwei Milliarden Dollar Kapital zurückzahlen
II. Die türkische Wirtschaft in den achtziger Jahren
Abbildung 2
Tabelle 2
Tabelle 2
Der Eintritt in die achtziger Jahre brachte der Türkei eine neue Wirtschaftspolitik. Die Minderheitsregierung Demirel verkündete die völlige Liberalisierung der Wirtschaft, eine Maßnahme, die ohne Übertreibung als größte wirtschaftliche Änderung seit Gründung der Republik im Jahre 1923 bezeichnet werden kann.
Mit den wirtschaftlichen Entscheidungen vom 25. Januar 1980 fand zunächst nach den Empfehlungen des IWF eine 48prozentige Abwertung der türkischen Währung statt. Für ausländische Investitionen wurden neue Förderungsmöglichkeiten vorgesehen. Zugleich wurden die bestehenden Begrenzungen für den Gewinntransfer der ausländischen Investoren aufgehoben. Im Anschluß an drastische Preiserhöhungen für die Güter der halbstaatlichen Unternehmen von 100 bis zu 300 Prozent wurde die Politik der freien Preisbildung zugelassen. Auf diese Weise wollte man einen starken Konsumverzicht hervorrufen. Die Kredit-und Sparzinsen wurden freigegeben, so daß die Sparzinsen auf 50 bzw. 55 Prozent stiegen. Auf der anderen Seite bewirkte diese Maßnahme ein Ansteigen der Kreditzinsen auf 70 Prozent. Die Funktion des staatlichen Planungsamtes wurde stark beschränkt.
Die Aufhebung der Preisbindung und die neue Wirtschaftspolitik schufen 1980 zusätzliche Probleme, da weite Teile der Bevölkerung. Beamte ebenso wie Arbeiter, immer stärker unter den Folgen der Inflation und zu hoher Besteuerung litten. Die Inflationsrate stieg auf 108 Prozent. Trotz der erst Anfang des Jahres vorgenommenen radikalen Abwertung der Währung gelang es nicht, die Exporteinnahmen und die Überweisungen der türkischen Arbeitnehmer im Ausland in die Türkei in dem erwarteten Umfang zu steigern. Die hohe Inflation und die Empfehlung der Regierung zu nur mäßigen Lohnerhöhungen von 56 Prozent sorgten dafür, daß sich im September 1980 etwa 55 000 Arbeiter im Streik befanden.
Der von westlichen Regierungen angesichts dieser Probleme längst erwartete Militärputsch fand am 12. September 1980 statt. Das fünfköpfige Nationale Sicherheitskommitee unter dem Vorsitzenden General Kenan Evren setzte die erfolglose Regierung Demirel ab. untersagte die Tätigkeit aller Parteien und löste das Parlament auf. Die von Demirel eingeleitete Wirtschaftspolitik wurde allerdings nach dem Militärputsch mit einigen Ergänzungen fortgesetzt. Die erste Ergänzung war die seit langem erwartete Steuerreform. Die zweite war ein Lohnstopp, verbunden mit einem Streikverbot. Seit September 1980 betrug die oberste Grenze für Lohnerhöhungen 60 Prozent. Diese Regelung galt bis Ende 1981. 1982 wurde diese Obergrenze dann auf 25 Prozent gesenkt. Den Beamten wurden für 1981 Gehaltssteigerungen von maximal 38 Prozent genehmigt.
Diese wirtschaftspolitischen Schritte zeigten 1981 deutliche Auswirkungen. Die Inflationsrate sank auf 40 Prozent, was primär auf dem erzwungenen Konsumverzicht breiter Bevölkerungsschichten beruhte, den die starken Realeinkommensverluste hervorgerufen hatten. Die Landbevölkerung sowie Arbeiter und Beamte, d. h. 85, Prozent der Gesamtbevölkerung, litten unter starken Kaufkraft-verlusten.
Die Höchstpreispolitik, deren Ziel eine Senkung der Inlandnachfrage und eine Steigerung des Exports war, zeigte indes 1981 nur mäßige Erfolge. Die Türkei, deren Exporte 1981 zum ersten Mal in ihrer Geschichte auf über 4. 2 Milliarden Dollar stiegen, profitierte hauptsächlich von ihren Beziehungen mit den arabischen Staaten. Iran, Irak und Libyen nahmen die wichtigsten Plätze bei den türkischen Exportländern ein. Auch 1981 ließen sich keine großen Änderungen innerhalb der Struktur der türkischen Exporte feststellen.
Der mengenmäßige Rückgang der Exporte stellt seit 1978 ein Problem dar. das auch im Jahr 1981 nicht zufriedenstellend gelöst werden konnte. Die freizügige Förderung der Privatindustrie auf Kosten des Staatssektors sowie die Exportförderung durch den Staat konnten nicht verhindern, daß die türkische Wirtschaft in einigen wichtigen Bereichen große Produktionsverluste hinnehmen mußte. Trotz Streikverbots und Lohnstopps litten nämlich wichtige Industriebereiche wie Bau-, Auto-und Textilindustrie weiterhin stark unter mangelnder inländischer Nachfrage, so daß sie ihre Produktion stark reduzieren mußten.
Das wichtigste Problem der Türkei, die Arbeitslosigkeit, wird zur Zeit ebenfalls sehr stark durch die neue Wirtschaftspolitik beeinflußt. Die Türkei war seit 1963, als das staatliche Planungsamt die Wirtschaft nach Fünfjahresplänen aufgebaut hatte, an hohe Wachstumsraten zwischen sechs und acht Prozent gewöhnt, wobei jährlich bis zu 450 000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden konnten. 1979 hatte die Türkei erstmals ein Null-Wachstum zu verzeichnen. Die Verschlechterung der Wachstumsrate auf 2. 2 Prozent im Jahre 1980 brachteder Türkei unüberwindbare arbeitsmarktpolitische Engpässe. 1981 konnte die Wachstumsrate wieder auf 4. 4 Prozent erhöht werden. Geht man davon aus, daß in der Türkei in den achtziger Jahren jährlich 950 000 neue potentielle Arbeitskräfte auf den Markt drängen, und daß eine Wachstumsrate von ein Prozent ca. 60 000 neue Arbeitsplätze bringt, so werden die Probleme des türkischen Arbeitsmarktes deutlich 4).
Zur Überwindung dieser Probleme wären enorme Investitionen nötig. Für die Schaffung eines Arbeitsplatzes in der Industrie benötigte man im Jahre 1980 eine Investitionssumme von mindestens 20 000 US-Dollar. Ein neuer Arbeitsplatz in speziellen Industriebereichen kostete sogar 50 000 bis 250 000 Dollar Um in den Jahren 1981 bis 1985 4, 75 Millionen Arbeitsplätze zu schaffen, hätte es eines Investitionsaufwandes von 18, 5 Milliarden Dollar bedurft.
Allerdings sind auch positive Entwicklungen festzustellen. Aufgrund der Anfang 1980 eingeleiteten und in den folgenden Jahren mit immer neuen wirtschaftspolitischen Maßnahmen ergänzten Wirtschaftspolitik gewannen die Türken wieder das Vertrauen der internationalen Institutionen wie OECD, IWF und Weltbank. Darüber hinaus zeigten die westeuropäischen Staaten am Handel mit der Türkei zunehmend Interesse Zudem erzielte das Land aufgrund der neuen, auf eine Exportexpansion ausgerichteten Wirtschaftspolitik Özals große Anteile an den Exporten in die arabisch-islamischen Staaten bzw. an den Bauaufträgen aus diesen Staaten. Wesentlich war dabei vor allem, daß von ihrem wertmäßigen Importvolumen her bedeutende Länder wie Iran, Irak, Libyen und Saudi-Arabien zu Exportpartnern der Türkei wurden. Diese Länder, die in der OPEC organisiert sind und der Türkei beim Ölimport zum Teil Angebote zu besonderen Konditionen machten, gewannen seit 1979 für die Türkei rasch auch als Absatzländer an Bedeutung. 1. Der Stellenwert der arabischen Staaten für die türkische Wirtschaft am Anfang der achtziger Jahre Der Anteil der türkischen Exporte in die OPEC-Staaten Libyen, Irak, Iran und Saudi-Arabien am Gesamtexportvolumen stieg von 9, 6 Prozent im Jahre 1979 auf 13, 4 Prozent 1980 und auf 34, Prozent im Jahre 1981 7). Ein Jahr später erhöhte sich dieser Anteil sogar auf 48 Prozent 6 Prozent im Jahre 1979 auf 13, 4 Prozent 1980 und auf 34, 7 Prozent im Jahre 1981 7). Ein Jahr später erhöhte sich dieser Anteil sogar auf 48 Prozent 8). Diese Zahlen zeigen, in welchem Maße sich die Türkei mit Hilfe der neuen exportorientierten Wirtschaftspolitik neue Märkte erschließen konnte. Bis Ende 1984 nahmen die Exporte in die genannten Staaten ständig zu.
Während der ersten Hälfte der achtziger Jahre gewannen die arabischen Staaten auch auf dem Dienstleistungssektor an Bedeutung. Von 1981 an nahm die Zahl der türkischen Baufirmen, die Aufträge in Libyen, Irak, Iran, Saudi-Arabien, Jordanien, Tunesien, Bahrein und den Vereinigten Arabischen Emiraten wahrnahmen, ständig zu und erreichte 1984 mit 296 ihren Höchststand. Das Gesamtvolumen der Bauaufträge überschritt 1984 die 15 Milliarden-Dollar-Grenze. Im Auftrage türkischer Baufirmen arbeiteten 1984 über 200 000 türkische Arbeiter in arabischen Staaten, vor allem in Libyen und Saudi-Arabien. Ihre Geldüberweisungen konnten die abnehmenden Überweisungen der Türken in der Bundesrepublik Deutschland ausgleichen 9).
Diese Entwicklung hat sich indes seit 1985 verlangsamt. Wegen sinkender Öleinnahmen der Länder des Mittleren Ostens kam es insbesondere zu Schwierigkeiten mit Libyen und Irak bei der fristgerechten Zahlungsabwicklung, so daß sich die türkischen Baufirmen aus diesen Staaten langsam zurückziehen mußten. Ende 1987 sind lediglich noch ca. 20 Firmen mit 60 Bauaufträgen in arabischen Staaten tätig. Libyen, dessen Auftragsvolumen mit 364 Milliarden Dollar Anfang 1983 den Höchststand erreicht hatte 10). konnte seit 1985 keine neuen Aufträge mehr vergeben.
Vergleichbare Erfolge wie auf dem Dienstleistungssektor verbuchte die Türkei auch in den Jahren 1982 und 1983 bei der Steigerung ihrer Exporte in die islamischen Staaten. Im Jahre 1983 gingen 19 Prozent des türkischen Gesamtexports im Wert von 1 087 Milliarden Dollar in den Iran und 6, 4 Prozent im Wert von 363, 7 Millionen Dollar nach Saudi-Arabien Ende 1983 flossen über 46 Prozent der türkischen Exporte in die arabischen bzw. islamischen Staaten. Insgesamt gesehen trifft die Aussage zu, daß die Türkei die Erhöhung ihres wirtschaftlichen Gesamtvolumens während der ersten vier Jahre der achtziger Jahre durch das Eindringen in die neuen Märkte Libyen, Iran, Irak und Saudi-Arabien erreicht hat.
Aufgrund der Erschließung der neuen Märkte konnte die Türkei ihre Gesamtexporte, die 1979 lediglich 2, 261 Milliarden Dollar betragen hatten, 1981 auf 4, 702 Milliarden Dollar, 1983 auf 5. 727 Milliarden Dollar und 1984 auf 7, 133 Milliarden Dollar erhöhen Diese wirtschaftlichen Erfolge und die starke Zunahme ökonomischer Kontakte sorgten auch für eine politische Annäherung der Türkei an die islamische Welt: Die Türkei nahm regelmäßig an den islamischen Weltkonferenzen teil und wurde Mitglied dieser Organisation. Diese Politik hatte vier Ziele. In erster Linie wollte die Türkei mit bilateralen Beziehungen ihr Exportvolumen steigern. Präferenzen bei der Vergabe von Bauaufträgen gewinnen und Öl zu Sonderkonditionen beziehen, was ihr bei Iran, Irak und Libyen auch sehr gut gelang. Zudem wollte man die islamischen Staaten im Zypern-Konflikt für die türkische Seite gewinnen und dadurch die Anerkennung der türkischen Republik Nordzypern durch diese Staaten erreichen. Dies gelang der Türkei jedoch nicht.
2. Neue Ansätze in der Außenhandelspolitik und ihre Ergebnisse Die wirtschaftlichen Beschlüsse vom 25. Januar 1980. die im Sommer 1980 von einer drastischen Erhöhung bzw. einer Freigabe der Zinssätze ergänzt wurden, zielten — wie eingangs erwähnt — auf eine Drosselung der inländischen Nachfrage und auf eine Steigerung der Exporte. Unbeschadet der sozialen Folgen im Lande war die Türkei mit ihrer neuen Wirtschaftspolitik im Außenhandelsbereich erfolgreich. Eine expansive und stark subventionierte Exportpolitik der Regierung nahm seit 1981 den höchsten Stellenwert in der türkischen Wirtschaftspolitik ein. Die weltmarktorientierte Entwicklungsstrategie und das eingeführte Stabilisierungsprogramm verminderten zunehmend das außenwirtschaftliche Ungleichgewicht. In der Zeit von 1979 bis 1985 stiegen die türkischen Exporte — wie sich Tabelle 3 entnehmen läßt — deutlich an. Die Türkei, deren Exportvolumen 1979 lediglich 2. 261 Milliarden Dollar betragen hatte, erreichte 1985 eine Exportsumme von 7. 958 Milliarden Dollar Dabei nahmen die Exporte landwirtschaftlicher Güter ab. während die Industriegüterexporte stetig anstiegen. 1980 machte der Export landwirtschaftlicher Güter noch 57. 44 Prozent des türkischen Gesamtexports aus. 1985 betrug ihr Anteil 21, 6 Prozent. Der Anteil der Industrieprodukte wuchs von 36 Prozent im Jahr 1980 auf 75. 3 Prozent im Jahre 1985. Zugleich ist eine Zunahme des Gesamtexports am Bruttoinlandsprodukt von 1979 bis 1985 festzustellen. Während die Exporte 1979 lediglich 3. 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachten, beliefen sie sich 1980 auf 5. 1 Prozent, 1982 auf 10. 9 Prozent und 1985 auf 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Diese innerhalb von sechs Jahren erzielte Exportsteigerung beweist, daß die neue Wirtschaftspolitik auf dem Gebiet der Exportsteigerung erfolgreich war — ein Erfolg, der auch dazu führte, daß ein wachsender Anteil der Ausgaben für Importe durch Einnahmen aus den Exporten gedeckt werden konnte (siehe Tabelle 4). Besondere Bedeutung hatten dabei die Exporte in die islamischen Länder, deren Anteil am türkischen Gesamtexport 1980 noch 22. 1 Prozent, 1981 aber schon 41. 8 Prozent und 1982 sogar 48, 2 Prozent betrug. 1985 gingen 42. 8 Prozent aller türkischen Exporte in die islamischen Staaten (siehe Tabelle 5). Seit 1985 weisen diese Exporte allerdings eine abnehmende Tendenz auf.
3. Die Arbeitsmarktlage in der ersten Hälfte der achtziger Jahre Wie bereits erwähnt, machte sich die neue Wirtschaftspolitik Anfang der achtziger Jahre auch auf dem Arbeitsmarkt stark bemerkbar. Die Politik, die inländische Nachfrage zu drosseln. Löhne und Gehälter nicht über die jeweilige Inflationsrate zu erhöhen, und zudem die hohen Zinssätze sorgten für eine Zunahme der Arbeitslosigkeit. Die Zahl der Arbeitslosen stieg von 1977 bis 1980 nach offiziellen Angaben von 13, 1 Prozent auf 14. 25 Prozent 15). 1982 wuchs sie auf 17, 1 Prozent und 1985 auf 20. 9 Prozent 1 Prozent und 1985 auf 20. 9 Prozent.
Die stetige Zunahme der Zahl Arbeitsloser (die Dunkelziffer dürfte erheblich höher liegen) stellte die Bevölkerung vor große Probleme 17). In der Zeit von 1980 bis 1985 hatten die Arbeitnehmer Realeinkommensverluste von 56 Prozent hinzunehmen. Umfassende und zuverlässige Daten über die Höhe der Arbeitsentgelte nicht selbständiger Erwerbstätiger und über das Einkommen der privaten Haushalte hegen zwar nicht vor. Dennoch besteht kein Zweifel, daß die Beschränkung der Tariffreiheit und gewerkschaftlicher Aktivitäten im allgemeinen zu einer Verschlechterung der sozialen und ökonomischen Lage der Arbeitnehmer führte. Dabei wirkte sich allerdings das vorherrschende System der Großfamilie, das dem einzelnen ein gewisses Maß an sozialer Sicherheit bietet, als dämpfender Faktor 4. Auswirkungen der neuen Wirtschaftspolitik auf die Preisentwicklung Eines der wichtigsten Ziele der neuen Wirtschaftspolitik war neben einer Exportsteigerung die Bekämpfung der Inflation. Anfang 1980 ging man davon aus. daß eine Reduktion der hohen Defizite der halbstaatlichen Unternehmen durch restriktive Maßnahmen und eine drastische Verringerung der inländischen Nachfrage die hohen Inflationsraten der späten siebziger Jahre sinken Lassen wurden.
Halbstaatliche und gemeinwirtschaftliche . Aktivitäten hatten in der Türkei schon . Anfang der dreißiger Jahre begonnen. Das erste halbstaatliche Unternehmen entstand 1933 mit der Sümerbank. Ende der siebziger Jahre wurden bereits knapp 50 Prozent der jährlichen Investitionen von halbstaatli15) chen Unternehmen getätigt Ab 1980 versuchte nun die Regierung, die Defizite dieser Unternehmen nicht mehr zu decken und ihre Investitionen stark zu reduzieren, um den Staatshaushalt zu entlasten. Gleichzeitig verfügte Preiserhöhungen für die Produkte der halbstaatlichen Unternehmen bewirkten einen starken Rückgang der Nachfrage. Der zusätzlich verhängte Lohnstopp und die Festlegung von Lohnerhöhungen auf durchschnittlich 25 Prozent jährlich führten zu einer deutlichen Verringerung der Inflationsrate. Die Inflationsrate von 80 Prozent im Jahre 1979 und 108 Prozent im Jahre 1982 sank 1981 auf 36. 8 Prozent und 1982 auf 25. 2 Prozent Die Jahre 1981/82 bildeten die erfolgreichste Zeit der Regierung bei der Bekämpfung der Inflationsrate. Man legte Wert auf einen ausgeglichenen Jahreshaushalt. Die industrielle Produktion. die 1979 und 1980 um elf Prozent zurückgegangen war. nahm in den Jahren 1981 und 1982 wieder zu und erreichte den Stand des Jahres 1978 Die Hochzinspolitik ließ zudem die Spar-neigung zunehmen, was ebenfalls zum Rückgang der Inflationsrate beitrug.
Der Erfolg dieser Politik währte jedoch nicht lange. 1983 stieg die Inflationsrate auf 30. 6 Prozent und 1984 auf 52 Prozent; durch eine erneute Erhöhung der Zinssätze konnte sie 1985 auf 40 Prozent gesenkt werden In das Jahr 1986 ging die Türkei mit einer Inflationsrate von 29, 6 Prozent Diese relativ niedrige Inflationsrate beruhte in erster Linie auf der externen Entwicklung, so auf dem Sinken des Ölpreises von 26 Dollar auf ca. zehn Dollar pro Barrel. Eine gute Ernte sorgte außerdem für den Rückgang der Preise für Landwirtschaftsprodukte.
III. Das Ziel der EG-Vollmitgliedschaft
Abbildung 3
Tabelle 3
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Nimmt man eine Gesamtanalyse der Wirtschaft und der Politik der Türkei nach der Militärintervention vom 12. September 1980 vor, so stößt man in der ersten Hälfte der achtziger Jahre auf zwei bedeutsame Entwicklungen:
Mit ihrer Verurteilung der Militärintervention distanzierten sich die westeuropäischen Staaten von der Türkei, so daß diese sich — auch aus wirtschaftlichen Gründen — stärker den islamischen Ländern und den USA näherte. Der Rückgang der türkischen Exporte in die OECD-Staaten von 64 Prozent im Jahre 1979 auf 44 Prozent im Jahre 1982 zeigt diesen Trend deutlich. Auch im politischen Bereich gestalteten sich die Beziehungen mit der islamischen Welt enger. Gleichzeitig verbesserte sich das Verhältnis zu den USA, das seit 1946 verschiedene Hoch-und Tiefpunkte erfahren hatte
Diese Situation änderte sich im Jahre 1986. Im Frühjahr 1986 besuchte der deutsche Bundespräsident Richard von Weizsäcker als erster westeuropäischer Staatspräsident nach der Militärintervention die Türkei, und nach dem Regierungswechsel in Frankreich verbesserten sich allmählich auch die Beziehungen zu diesem Land, die bis dahin hauptsächlich wegen der griechenfreundlichen Außenpolitik Frankreichs und seiner Unterstützung von Minderheiten wie Armenier und Kurden seit den siebziger Jahren recht kühl gewesen waren. Gleichzeitig verloren die islamischen Staaten wegen sinkender Öleinnahmen ihren Reiz als Handelspartner für die Türkei. Mit einem fortschreitenden Demokratisierungsprozeß im Lande versuchte die Türkei, ihre Beziehungen mit den westeuropäischen Staaten zu verbessern, wobei für die Türkei die Bundesrepublik Deutschland der wichtigste Partner war. Die Absicht, einen Antrag auf Vollmitgliedschaft in der EG zu stellen, manifestierte sich seit Ende 1985 im Anschluß an die Süderweiterung der EG durch die Vollmitgliedschaft Griechenlands, Spaniens und Portugals. Vor allem die EG-Mitgliedschaft Griechenlands verstärkte die türkischen Bemühungen um den Anschluß an Europa. Die Türkei bemühte sich insbesondere um eine Förderung ausländischer Investitionen und um die Entwicklung des Tourismus. Dies war nicht zuletzt deshalb erforderlich, weil die Devisenüberweisungen in die Türkei, besonders aus der Bundesrepublik Deutschland, allmählich zurückgingen.
Da der heftigste Widerstand gegen die von der Türkei angestrebte Vollmitgliedschaft in der EG von der Bundesrepublik Deutschland ausgeht, die gleichzeitig wichtigster Handelspartner der Türkei ist, soll zunächst auf die wirtschaftlichen Beziehungen dieser beiden potentiellen EG-Partner eingegangen werden. 1. Deutsch-türkische Wirtschaftsbeziehungen Die deutsch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen haben eine lange Vergangenheit. Sie nahmen ihren Anfang im 19. Jahrhundert und wurden während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts intensiviert. Engere Kontakte ergaben sich bei der Errichtung der Bagdad-Bahn durch die Deutschen; die Deutsche Bank knüpfte finanzielle Beziehungen zum Osmanischen Finanzministerium an.
Eine Vertiefung der deutsch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen fand nach der Gründung der türkischen Republik seit 1923 statt. Die Bundesrepublik Deutschland, die unter den Exportländern der Türkei in den Jahren 1984, 1985 und 1986 die erste Stelle einnimmt, hat auch unter den türkischen Importländern den ersten Rang behaupten können. Im Jahre 1987 hat sich dieser Trend weiter verstärkt. Von Januar bis Ende Juli 1987 sind die türkischen Exporte in die Bundesrepublik Deutschland im Vergleich zu dem gleichen Zeitraum im Vorjahr von 745. 8 Millionen Dollar auf 1, 105 Milliarden Dollar um 48, 2 Prozent gestiegen. Einen dementsprechenden Fortschritt im Bereich deutscher Direktinvestitionen in der Türkei konnte man bis Ende 1985 nicht feststellen. a) Deutsche Investitionen in der Türkei Die deutschen Direktinvestitionen in der Türkei stiegen von 1954 bis 1984 auf 199. 3 Millionen DM. Im Jahre 1985 erhöhte sich ihr Volumen lediglich um 18, 9 Millionen DM auf 218, 2 Millionen DM. Seit der Liberalisierung der türkischen Wirtschaftspolitik haben 41 türkische Firmen Kapital aus der Türkei in die Bundesrepublik transferiert und dort investiert. 1978 betrugen die Investitionen aus der Türkei in der Bundesrepublik noch 5, 1 Millionen DM gegenüber 41, 1 Millionen DM 1983 und 46, 1 Millionen DM 1984. Ende 1985 ergab sich eine Steigerung auf 49, 7 Millionen DM, eine Summe, die knapp einem Viertel der deutschen Investitionen in der Türkei entspricht.
Dieser Trend hielt in den Jahren 1986 und 1987 an. Mit dem Kauf der Kreiss-Bank (Hamburg) durch die türkische Großholding ukorova-Gruppe erreichen die türkischen Direktinvestitionen in der Bundesrepublik Deutschland nunmehr fast die 70 Millionen DM-Grenze. Nach den offiziellen Daten des Wirtschaftsministeriums in Bonn wurden von deutschen Firmen in der Türkei von 1979 bis 1985 80 Millionen DM investiert, während seit 1979 türkische Unternehmer für 44, 6 Millionen DM Investitionen in der Bundesrepublik Deutschland getätigt haben.
Die Zurückhaltung deutscher Investoren während der siebziger Jahre beruhte hauptsächlich auf der politischen Instabilität in der Türkei und auf den Schwierigkeiten des Gewinntransfers. Aber auch nach den Wahlen von 1983 konnte man trotz der neu geschaffenen großen Anreize für ausländische Direktinvestitionen in der Türkei, die die ÖzalRegierung geschaffen hatte, bis Ende 1985 keine großen Fortschritte erzielen.
Die Vernachlässigung der Türkei durch deutsche Investoren endete 1986. 1986 betrugen die deutschen Nettotransferleistungen 44, 3 Millionen DM. Damit nahmen die deutschen Unternehmen unter den ausländischen Investoren in der Türkei eine führende Stellung ein. Gemessen an der Anzahl investierender ausländischer Firmen stehen sie sogar an erster Stelle. Dabei ist es von Bedeutung, daß die Bundesregierung Investitionen kleinerer und mittlerer deutscher Unternehmen in Entwicklungs-bzw. Schwellenländem mit einem umfangreichen Instrumentarium fördert. Der Geschäftsführer der Deutschen Entwicklungsgesellschaft, Horst Schröder, nannte kürzlich die Türkei besonders für deutsche Investitionen im Tourismusbereich einen ausgesprochenen „Renner“. Im Anschluß an die Finanzierung des zweiten Robinson-Clubs im Süden der Türkei mit einem Betrag von 6, 5 Millionen DM rechnet die Deutsche Entwicklungsgesellschaft mit sechs neuen Projekten für die nächste Zeit.
Die steigende Zahl der deutschen Touristen in der Türkei animiert neuerdings verstärkt deutsche Investoren zu Neuinvestitionen in der Türkei. Die Zahl der deutschen Touristen ist mit 388 200 im Jahre 1986 gegenüber dem Vorjahr um 29, 6 Prozent gestiegen. 1986 kamen ca. 195 000 Deutsche als Pauschaltouristen in die Türkei. 1987 rechnete man in der Türkei schon mit 510 000 deutschen Touristen, davon ca. 250 000 Pauschaltouristen. Insgesamt bieten in diesem Jahr 36 Veranstalter Reisen in die Türkei an; das Interesse an weiteren Investitionen wächst.
Auch deutsch-türkische joint ventures im Tourismusbereich versprechen neue Impulse. Das neue 2 200 Betten-Feriendorf in Bodrum, ein 60 Millionen DM-Projekt, beruht auf deutscher Initiative. Die Jasmin-Tourismus GmbH ist eine der deutschen Firmen, die — wie viele andere — mit türkischen Partnern in der Türkei gemeinsam investieren. TUI und Neckermann als Großveranstalter und Sonnenreisen als Türkei-Spezialist bilden die wichtigsten Unternehmen, die gemeinsam mit türkischen Partnern in der Türkei in Feriendörfer und Hotels investieren.
Das Bemühen der staatseigenen Tourismus-Investitionsbank um ausländische Investoren trägt seit 1986 Früchte. Das steigende Interesse deutscher Firmen im Türkei-Geschäft konnte man jüngst bei der Beteiligung deutscher Unternehmen an der 56. Internationalen Izmir-Messe feststellen, an der 55 deutsche Firmen teilnahmen. b) Türkische Selbständige in der Bundesrepublik Deutschland Während sich die Türkei um ausländische Investoren bemühte, vollzog sich in der Bundesrepublik Deutschland eine neue Entwicklung, die der Türkei kurzfristig Probleme bereitete. Die türkischen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland hatten während der sechziger und siebziger Jahre in der Hoffnung, in die Türkei zurückzukehren, in der Türkei Investitionen getätigt, von denen als Kollektivinvestitionen die sogenannten Arbeitnehmergesellschaften besonders hervorzuheben sind. Nach dem Scheitern der Investitionen im Heimatland haben die meisten Türken ihre Rückkehrabsicht zurückgestellt Die Türken, die früher sehr viel gespart haben, konsumieren nun heute wie die Bundesbürger und investieren auch in der Bundesrepublik Deutschland. Ende 1985 schätzte man die Zahl der türkischen Selbständigen auf 22 000. Wenn man die zunehmende Zahl türkischer Selbständiger im Bundesland Nordrhein-Westfalen in den letzten Monaten zugrunde legt, kann man die Zahl der Selbständigen für Ende 1987 auf 30 000 schätzen. Die Zahi der von ihnen neugeschaffenen Arbeitsplätze beläuft sich auf 90 000 bis 105 000.
Im Rahmen einer Untersuchung des Zentrums für Türkeistudien unter 315 türkischen Selbständigen hat man versucht, die Höhe der Investitionen und der Jahresumsätze der türkischen Unternehmen in der Bundesrepublik zu ermitteln. Durchschnittlich wurden pro Betrieb 173 000 DM investiert. Der durchschnittliche Umsatz beträgt ca. 790 000 DM Überträgt man diese Zahlen mit aller gebotenen Vorsicht auf die insgesamt 22 000 türkischen Selbständigen im Jahr 1985, um deren wirtschaftlichen Stellenwert einmal grob festzustellen, so kommt man zu Zahlen, die man ernst nehmen kann: Bei einem Gesamtinvestitionsvolumen von 3, 806 Milliarden DM beträgt das jährliche Umsatz-volumen knapp 17, 1 Milliarden DM. Die Größe dieser Zahlen zeigt deutlich, wie sich die Investitionen der Türken in den letzten Jahren ausgeweitet und etabliert haben.
Die gleiche Entwicklung wie in der Bundesrepublik stellt man im übrigen in den Niederlanden fest, in denen gegenwärtig ca. 150 000 Türken leben. In den letzten Jahren haben sich dort über 2 000 Türken selbständig gemacht, und ihr Investitionsvolumen vergrößert sich von Jahr zu Jahr. Parallelen dazu findet man auch in Belgien, Frankreich und Schweden.
Schon bevor die Türkei wirtschaftlich und politisch gesehen Vollmitglied der EG werden konnte, konnten sich also Türken, die zunächst als Arbeiter in verschiedene EG-Staaten kamen, dort als Unternehmer etablieren. Wenn man allein in der Bundesrepublik die Palette der türkischen Selbständigen analysiert, so findet man unter ihnen vom großen Reiseveranstalter bis zum Videokassettenhersteller. von Wach-und Schließgesellschaften bis zur Detektei die verschiedensten Branchen. Mit diesen Aktivitäten etabliert sich ein türkischer Mittelstand in der Bundesrepublik Deutschland, der auch mittelfristig eine wirtschaftliche Brücke zwischen der Türkei und der Bundesrepublik Deutschland bauen kann. 2. Die Beantragung der Vollmitgliedschaft in der EG und die gegenwärtige wirtschaftliche Lage des Landes Der von der türkischen Regierung angekündigte Antrag auf Erwerb der Vollmitgliedschaft in der EG wurde am 14. April 1987 gestellt. Damit hat die Türkei das ihr aufgrund des Römischen Vertrages zustehende Recht in Anspruch genommen. Mit Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens zwischen der Türkei und der EWG am 12. September 1963 und mit dem Inkrafttreten dieses Abkommens am 1. Dezember 1964 hatte die Türkei ihren zukünftigen Weg politisch und wirtschaftlich festgelegt. Damals begrüßte man in der EWG diesen Schritt und war auch bereit, der Türkei bestimmte Rechte zuzugestehen — so die Freizügigkeit vom 1. Dezember 1986 an. die die EG-Staaten nun in den achtziger Jahren wieder rückgängig zu machen beabsichtigen. Die EG hat seit 1981 drei neue Staa-ten _ Griechenland, Portugal und Spanien — als Mitglieder akzeptiert und damit ihre Grenzen und die Zahl der sogenannten EG-Bürger wesentlich erweitert bzw. erhöht, während der Antrag der Türkei auf überwiegende Ablehnung stößt.
Vergleicht man das Pro-Kopf-Einkommen der Türkei mit dem der einzelnen Mitgliedstaaten der EG. so findet man die Türkei am Ende der Skala.
Wie aus Tabelle 7 hervorgeht, weisen die Pro-Kopf-Einkommen der einzelnen Länder eine Spannweite von 11: 1 auf. wenn sie auf der Grundlage von Wechselkursparitäten errechnet werden. Sie verringern sich allerdings beträchtlich, wenn Kaufkraftparitäten zugrunde gelegt werden Hinzu kommt, daß die Türkei im Vergleich zu den EG-Mitgliedsstaaten die größten Einkommensunterschiede innerhalb der einzelnen Bevölkerungsschichten aufweist. Während die oberen 20 Prozent der Bevölkerung mit 56, 5 Prozent an dem Volkseinkommen partizipieren, nehmen die unteren 20 Prozent nur mit 3, 5 Prozent daran teil
Die Wirtschaftsstruktur der Türkei hat sich seit 1950 deutlich geändert. Während der Anteil des Industriesektors am Bruttoinlandsprodukt 1950 lediglich 11, 9 Prozent betragen hatte, stieg er 1985 auf 7 Prozent, während der Anteil der Landwirtschaft von 44, 8 Prozent im Jahre 1950 auf 19, 6 Prozent im Jahre 1985 sank 29).
Nach ersten Schätzungen ist für 1987 mit einem weiteren Anstieg des Anteils des Industriesektors am Bruttoinlandsprodukt auf knapp 32 Prozent zu rechnen. Nach den ersten Daten für das Jahr 1987 sind die Exporte in den ersten neun Monaten gegenüber dem vergleichbaren Vorjahreszeitraum um 34, 1 Prozent gestiegen. Ende Oktober 1987 beliefen sich die türkischen Exporte auf 7, 883 Milliarden Dollar und die Importe auf 11, 105 Milliarden Dollar Prozent zu rechnen. Nach den ersten Daten für das Jahr 1987 sind die Exporte in den ersten neun Monaten gegenüber dem vergleichbaren Vorjahreszeitraum um 34, 1 Prozent gestiegen. Ende Oktober 1987 beliefen sich die türkischen Exporte auf 7, 883 Milliarden Dollar und die Importe auf 11, 105 Milliarden Dollar. Über 75 Prozent der türkischen Exporte bestanden aus Industriegütern. Ende des Jahres 1987 rechnete die Türkei mit einem Exportvolumen von mehr als zehn Milliarden Dollar bei einem Import-volumen von über 14 Milliarden Dollar. Damit konnte die Türkei ihre Exporte von 1979 bis Ende 1987 um mehr als das 4, 5fache erhöhen, während die Importe während dieser Zeit um knapp das dreifache anstiegen.
Vergleicht man die türkische Industrie mit den Industrien der drei neuen EG-Mitgliedern Griechenland. Spanien und Portugal, stellt man fest, daß die Türkei große Fortschritte gemacht hat 31). In verschiedenen Industriebereichen wie Lebensmittel-, Textil-, Glas-, Keramik-und Lederindustrie kann die Türkei heutzutage ohne weiteres mit EG-Ländern konkurrieren. Nach einer Untersuchung der türkischen Stiftung für wirtschaftliche Entwicklung in Istanbul, die sich mit den EG-Fragen befaßt, kann die türkische Industrie auf 38 von 64 analysierten Industriesektoren mit den EG-Staaten konkurrieren 32).
Problematisch ist die Lage der Türkei im Bereich der Landwirtschaft und der Sozialstruktur. In der Landwirtschaft und auch im Bereich der Infrastrukturen wird die Türkei erhebliche Unterstützung und Subventionen von Seiten der EG benötigen. Wie dies auch bei den drei neuen südeuropäischen EG-Mitgliedstaaten der Fall war, wird die Türkei aus der EG-Kasse am Anfang sehr viel Subventionen in Anspruch nehmen; längerfristig wird die EG von diesem dynamischen Mitgliedstaat jedoch wirtschaftlich profitieren.
Schon jetzt zeichnen sich in der Türkei zum Beispiel deutliche Verbesserungen der Infrastruktur ab. Die Fortschritte, die in jüngster Zeit gemacht worden sind, zeigt insbesondere das „Südostanatolische Projekt“. Mit Hilfe des Atatürk-Staudammes nördlich von Urfa. an dessen Bau 7 000 Arbeiter seit zwei Jahren tätig sind, wird man in Kürze ein Fünftel des Elektrizitätsbedarfs der Türkei erzeugen können. Es werden insgesamt 13 Staudämme mit Wasser-und Elektrizitätswerken zwischen Euphrat und Tigris entstehen, so daß die Türkei Anfang des 21. Jahrhunderts der größte Agrarexporteur im Vorderen Orient sein wird. Den größten Teil dieses Projekts finanziert die Türkei mit eigenen Mitteln.
IV. Schlußfolgerungen
Abbildung 4
Tabelle 4
Tabelle 4
41. 1 Prozent der türkischen Importe stammten 1986 aus der EG, 43, 8 Prozent der Exporte flossen in die EG-Staaten Diese positiven Handelsbeziehungen setzten sich auch 1987 fort. Die Türkei ist zur Aufrechterhaltung ihrer wirtschaftlichen Entwicklung im Rahmen einer Politik der nachholenden Industrialisierung in einem besonderen Maße auf die intensiven Wirtschaftsbeziehungen mit dem Westen bzw. mit der EG angewiesen. Allerdings signalisieren die EG-Mitglieder bisher kein Interesse, mehr zu tun, als nur normale wirtschaftliche Beziehungen zur Türkei aufzunehmen obwohl die Türkei mit einer Bevölkerungszahl von 52 Millionen und einer Bevölkerungswachstumsrate von jährlich 2, 88 Prozent einen interessanten Markt mit einer zwar geringen Kaufkraft, aber sehr hohen Nachfrage nach langlebigen Konsumgütem bietet. Das im Vergleich zu Spanien, Portugal und Griechenland geringe Volumen ausländischer Investitionen in der Türkei könnte sich in den nächsten Jahren im wirtschaftlichen Interesse aller Staaten erhöhen.
Abgesehen von wirtschaftlichen und sozialen Faktoren wird die Türkei auch in den Bereichen „Gesetzgebung“ und „Demokratieverständnis“ einiges ändern müssen, um den Anschluß an Europa zu erreichen. Daß die Türken dazu imstande sind, war bereits nach dem Untergang des Osmanischen Reiches seit der Gründung der modernen Türkei ab 1923 festzustellen. Nach der Abschaffung des islamischen Rechts hat man sehr bald das schweizerische Zivilrecht und das deutsche Handelsgesetz übernommen und praktiziert.
Die einzige Gruppe, die in der Türkei die EG-Voll-mitgliedschaft ablehnt, ist die Gruppe der islamischen Fundamentalisten. Daß in der Türkei diese Gruppe keine Massenbasis besitzt, zeigt das bisherige Wahlverhalten der Türken. Religiöse Fanatiker haben bei der Wählerschaft nie große Resonanz gefunden. Bei den Wahlen im November 1987 bekamen die Fundamentalisten lediglich sieben Prozent der Stimmen. Ein weitgehender gesellschaftlicher Konsens über den Antrag der Türkei kann also vorausgesetzt werden. Dieser Konsens bedeutet ein Votum der Türken für Europa.
Daß in politischer Hinsicht Grund genug besteht, die Türkei nicht zu enttäuschen, steht außer Frage. Wirtschaftliche Hindernisse auf dem Weg in die Gemeinschaft werden sich beseitigen lassen — mag dies auch bis zum Jahre 2000 dauern.
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