I. Zum theologischen Interesse an der Verfassungsdiskussion
1. Theologie und Kirche vor den anstehenden Grundgesetzänderungen Das menschenverachtende DDR-Regime ist zusammengebrochen, woran die Kirchen offenbar einen beträchtlichen Anteil hatten. Die deutsche Vereinigung ist lange vollzogen, dennoch ist und bleibt in den Köpfen und Herzen der durch vierzigjährige kommunistische Diktatur gedemütigten und verbogenen 16 Millionen Menschen im östlichen Deutschland vieles terminologisch und wertmäßig sozialistisch besetzt. Obwohl auf dem Gebiete der neuen fünf Bundesländer Pastoren politische Ämter bekleiden, herrscht dort insgesamt noch immer eine kirchliche „Staatsphobie“, die sich dann namentlich in Fragen des Religionsunterrichts an den Schulen sowie bezüglich der Militärseelsorge Ausdruck verschafft.
Von sehr viel grundlegenderer Bedeutung ist aber, welchen Einfluß einerseits diese Haltung der Kirchen und andererseits die Einstellungen aller anderen Bürger im Osten Deutschlands auf die Diskussion über eine neue Verfassung haben wird. Denn nach Artikel 146 GG verliert das alte Grundgesetz an dem Tage seine Gültigkeit, „an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist“. Wenn nun auch in diesen Fragen primär Politiker und entsprechende Fachjuristen gefordert sind, so gibt doch Art. 21 Abs. 1 des Grundgesetzes den politischen Parteien bei der politischen Willensbildung kein Monopol. Insofern ist es allein aus einem solchen formalen Grund legitim, daß sich auch andere gesellschaftliche Gruppen an der Diskussion um eine neue Verfassung beteiligen, z. B. auch die Kirchen, zumal sie durch einige Artikel des Grundgesetzes unmittelbar (z. B. Art. 7 Abs. III; Art. 140) oder mittelbar (z. B. Art. 3 Abs. III; Art. 4) berührt sind, und zumal es offenbar für Juristen „traditionsgemäß... peinlich“ ist, sich mit theologischen Fragen zu befassen 1). Abs. III; Art. 4) berührt sind, und zumal es offenbar für Juristen „traditionsgemäß... peinlich“ ist, sich mit theologischen Fragen zu befassen 1).
In der politischen Landschaft des neuen vereinigten Deutschlands taucht in diesem Zusammenhang, obwohl sich die politische Wirklichkeit erheblich geändert hat, kaum die Meinung auf, nunmehr eine vollkommen neue Verfassung entwerfen zu müssen. Zu sehr hat sich für viele Menschen „im Westen“ das Grundgesetz in den letzten vierzig Jahren bewährt. Außerdem war sein Geltungsbereich für viele Übersiedler der Jahre 1989/90 ein Ziel unüberbietbarer Attraktivität.
Andererseits folgt aus formalen Zwangsläufigkeiten der Vereinigung bzw.des Vereinigungsvertrages die Notwendigkeit zur Änderung einiger Artikel des Grundgesetzes (z. B. Art. 23, aber auch die Präambel) 2). Allerdings wollen manche die Gunst der Stunde nutzen, um neue grundlegende Bestimmungen wie z. B.den Umweltschutz, einen UNO-Einsatz der Streitkräfte, das Recht auf Arbeit oder auf Volksabstimmung, in eine solche neue Verfassung aufzunehmen. 2. Zur Vorgehensweise aus sozialethischer Perspektive Nun finden sich unter den Christen im westlichen Teil Deutschlands, aber auch im Osten genügend Stimmen, die z. B. die Verfassungskämpfe des 19. Jahrhunderts 3), wie mögliche konstitutionelle Veränderungen des neuen deutschen Staates und sogar eine verfassungsgemäße Verankerung eines kämpferischen Atheismus als irrelevant für ihre christliche Existenz betrachten. Ohne einer solchen quietistischen Position ihr gewisses Recht abzusprechen, soll ihr hier jedoch nicht gefolgt werden.
Auf der anderen Seite ist es eine der natürlichsten Regungen institutionaler kirchlicher Bestandssi- cherung, jede mögliche rechtliche Veränderung im Verhältnis des Staates zur Kirche genau zu beobachten und sich dann darum zu bemühen, daß die Kirche bei Grundgesetzänderungen keinen Schaden nimmt. In einem solchen mehr „kirchenjuristischen“ Interesse steht und stand daher schon immer eine sachkundige Beschäftigung mit den Art. 3 Abs. III; 7 Abs. III; und 140 des Grundgesetzes, denen gegebenenfalls noch Art. 33 Abs. III; 38 I; 56; 116 Abs. II sowie 141 hinzuzufügen wären.
Aber auch in dieser Weise soll das Grundgesetz hier nicht diskutiert werden. Der Verweis auf die einschlägige staatskirchenrechtliche Literatur zu den bekannten grundsätzlichen Bestimmungen des Grundgesetzes zu den Kirchen-, Religions-, Glaubens-und Gewissensfragen mag hier ge Abs. III; und 140 des Grundgesetzes, denen gegebenenfalls noch Art. 33 Abs. III; 38 I; 56; 116 Abs. II sowie 141 hinzuzufügen wären.
Aber auch in dieser Weise soll das Grundgesetz hier nicht diskutiert werden. Der Verweis auf die einschlägige staatskirchenrechtliche Literatur zu den bekannten grundsätzlichen Bestimmungen des Grundgesetzes zu den Kirchen-, Religions-, Glaubens-und Gewissensfragen mag hier genügen 4).
Um einige ausgewählte theologische Beobachtungen und Anfragen zu stellen, soll hier vielmehr die Perspektive der Sozialethik 5), die sich u. a. mit der christlichen Verantwortung für Staat und Gesellschaft beschäftigt, gewählt werden. Das hat ferner systematische Berechtigung, da es gute Gründe gibt, eine Verfassung als den „ethischen Grund-konsens“ einer Gesellschaft aufzufassen 6).
Sollte dabei etwas anderes am Anfang stehen als die schlichte Überzeugung, daß die in Verfassung bzw. im Grundgesetz festgeschriebenen Grundsätze Ausgangspunkt für alle Gesetzgebung und damit für wichtige Strukturen des gemeinschaftlichen Lebens in unserer Gesellschaft, also eine „normierende und korrigierende Funktion gegenüber der geschichtlichen Wirklichkeit“ sein sollen 7)? Jenseits aller für einen Theologen schwer durchschaubaren verfassungsrechtlichen Details soll hier nun der Blick auf das dabei offenbar zugrunde gelegte Menschenbild geworfen werden.
Es ist damit jenes Menschenbild gemeint, wie es sich hauptsächlich in der Präambel und dem ersten Artikel des Grundgesetzes findet. Auch das Bundesverfassungsgericht nimmt verschiedentlich auf dieses Menschenbild Bezug allerdings ohne es damit schon vollständig zu umreißen. Weil nun auf Präambel und Artikel 1 das Grundgesetz als Ganzes ruht, und weil auf sie hin alle Grundrechte zugeschnitten sind, muß das in ihnen berücksichtigte Menschenbild genauso grundlegend für die weiteren Grundrechte und die weitere Gesetzgebung sein 9a). Wie könnte man aber Aufschluß über dieses nicht expressis verbis fixierte Menschenbild bekommen, wenn man nicht über den formalen Inhalt von Präambel und Art. 1 hinaus die „mitschwingende Ideenwelt“ einbezöge.
II, Zum geistes-und verfassungsgeschichtlichen Rahmen
1. Demokratischer Diskurs und normative Verankerungen Die Väter des Grundgesetzes wollten mit ihrem Werk die Grundlage für einen säkularen demokratischen Staat nach den Grundsätzen der Volkssouveränität legen, was zwar einerseits das Recht und die Pflicht zur öffentlichen Diskussion aller entscheidenden Tatbestände einschließt, jedoch andererseits die positivistisch-wissenschaftlich fundierten Diskussionen eines vor allem von G. Jellinek, M. Weber und G. Radbruch gepflegten „Wertrelativismus in Gang setzte. Die Erfahrungen der Weimarer Republik zeigten aber gerade, daß man die Verfassungsprinzipien eben nicht zum Gegenstand eines alltäglich möglicherweise wechselnden öffentlichen Zustimmungsprozesses machen kann, ohne die Verläßlichkeit und Vertrauenswürdigkeit, die doch ganz eng mit dem Rechtsstaat zusammengehören, aufs Spiel zu setzen Außerdem spielte der Gedanke einer vorpositiven Verankerung des Rechtes eine nicht zu unterschätzende Rolle
Konsequenterweise legte man deshalb im Artikel 79 Abs. III die grundsätzliche Unabänderlichkeit von Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes fest. Unabänderlich sollte deshalb auch sein, daß man das Grundgesetz und die Grundrechte im Gegensatz zur Weimarer Verfassung bewußt nicht „wertneutral“ sondern im Sinne einer „objektiven Wertordnung“ und zwar „anthropozentrisch“ mit der Würde des Menschen als „obersten Wert“ auszurichten gedachte.
Das bedeutete nur zu deutlich (offenbar in bewußtem Kontrast zu der wertbezogenen „nationalen“ Dezision C. Schmitts, aber in gewisser Nähe zu seinem dezisionistischen Verfassungsbegriff eine nachdrückliche Bindung des Grundgesetzes an ein bestimmtes Menschenbild Das ist aber nur eine Manifestation der Tatsache, daß -so das Bundesverfassungsgericht -„dem Grundgesetz Prinzipien der Staatsgestaltung zugrunde(liegen), die sich nur aus der geschichtlichen Erfahrung und der geistig-sittlichen Auseinandersetzung mit dem vorangegangenen System des Totalitarismus erklären lassen“ was letzten Endes der Auffassung Jellineks entspricht, daß die erste Verfassung eines Staates nicht allein juristisch, sondern historisch begriffen werden könne
Genauer erklärt das Bundesverfassungsgericht zur Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes: „Gegenüber der Allmacht des totalitären Staates, der schrankenlose Herrschaft über alle Bereiche des sozialen Lebens für sich beanspruchte und dem bei der Verfolgung seiner Staatsziele die Rücksicht auch auf das Leben des einzelnen nichts bedeutete, hat das Grundgesetz eine wertgebundene Ordnung aufgerichtet, die den einzelnen Menschen und sei; ne Würde in den Mittelpunkt aller seiner Regelungen stellt.“ Insofern muß zur Erhebung des Menschenbildes des Grundgesetzes in einer zweiten Vorüberlegung ein kurzer Blick auf die großen geistigen Bewegungen während der Entstehungszeit des Grundgesetzes geworfen werden. Die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes kann, obwohl im Artikel 1 Abs. II von „unveräußerlichen und unverletzlichen Menschenrechten“ die Rede ist, kaum aus der allgemeinen historischen Entwicklung der Menschenrechte abgeleitet werden sondern allein aus der jüngeren deutschen Geschichte. 2. Die Entstehung des Grundgesetzes in der Frontstellung gegen den vergangenen Totalitarismus und Kollektivismus Zunächst stellt sich die Frage, wie es damals in der Situation der totalen Kapitulation und völligen Auflösung eines totalitären Staates möglich sein konnte, solche geistigen Kräfte zu entdecken und zu mobilisieren, die in der Lage waren, eine neue staatliche Grundordnung zu entwickeln, und zwar dergestalt, daß die Rechtssätze nicht etwa nur durch das Diktat der Siegermächte nachvollzogen würden 25), sondern so, daß sie aus eigenen geistigen Quellen geschöpft und darum bleibend verläßlich sind. Wie sollte im Hinblick auf die Nachkriegssituation an dem sogenannten Stuttgarter Schuldbekenntnis der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 18. /19. Oktober 1945 vorübergegangen werden, in dem maßgebliche Orientierungen und Umorientierungen in Deutschland ihren Ausdruck fanden? In der Situation nach der bedingungslosen Kapitulation, in der es keine andere offizielle oder anerkannte gesamtdeutsche Repräsentation gab, hatte doch die Kirche, die im Gegensatz zu dem besiegten Staat nicht nur mit manchen dunklen Flecken „respektabel“ 26) , sondern letzten Endes als „Sieger aus dem Kirchenkampf“ hervorgegangen war stellvertretend für das ganze Volk ihre Stimme erhoben. Denn das Wort der Kirche hatte damals Bedeutung, und man erwartete von ihr Orientierung und Wegweisung So hatte es schon bedeutendes Gewicht, als maßgebliche Vertreter der Kirche, die persönlich erheblichen Widerstand und beträchtliche Opfer im Kampf gegen den Nationalsozialismus geleistet hatten, bekannten: „Mit großem Schmerz sagen wir: Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden. ... Wohl haben wir lange Jahre hindurch im Namen Jesu Christi gegen den Geist gekämpft, der im nationalsozialistischen Gewaltregiment seinen furchtbaren Ausdruck gefunden hat; aber wir klagen uns an, daß wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher ge-glaubt und nicht brennender geliebt haben.... Wir hoffen zu... Gott., daß er unsere Kirchen als sein Werkzeug brauchen und ihnen Vollmacht geben wird, sein Wort zu verkündigen und seinem Willen Gehorsam zu schaffen bei uns selbst und bei unserem ganzen Volk.“
Dieses Bekenntnis repräsentierte vor der Weltöffentlichkeit die neue Einstellung der Menschen, sich nunmehr in Neuaufbau und Neuaufbruch bewußt auch neuen Lebensorientierungen zuzuwenden. Warum hätten sich in dieser Situation, und da sich die Schwäche eines reinen liberalen Rechtspositivismus im Untergang der Weimarer Republik genügend manifestiert hatte, die Väter des Grundgesetzes scheuen sollen, das zu entwickelnde neue freiheitliche, säkulare und pluralistische Staatswesen dennoch auf traditionelle Werte zu beziehen? Signifikanter Ausdruck dieser Bestrebungen ist die Präambel des Grundgesetzes, die keineswegs als bedeutungsloses Vorwort zur Verfassung aufzufassen ist. Denn nicht nur der breite Strom der herrschenden Meinung sondern auch alternative Betrachtungen billigen der Präambel „rechtlichen Gehalt“ zu. Dieses beinhaltet zwar kein unmittelbares subjektives Recht einzelner Personen beeinflußt aber die jeweilige Auslegung und begründet die Rechtspflichten aller Staatsorgane
III. Wie steht der Mensch im vereinigten Deutschland zur invocatio dei der Präambel des Grundgesetzes?
1. Die invocatio dei als Ausdruck eines traditionellen (christlichen) Menschenbildes Ähnlich wie in vielen Landesverfassungen knüpfte man in der Präambel an die Verantwor-tung vor Gott an Es ist der auffälligste Nachweis dafür, daß die Mitglieder des Parlamentarischen Rates sich bei ihren Beschlüssen nicht von einer „bindungslosen Staats-und Volkssouveränität“, sondern von bestimmten „überstaatlichen Normen“ leiten lassen wollten. Absicht war dabei nicht, etwa die verfassunggebende Gewalt des Vol-kes zu beseitigen, sondern sie zu begrenzen In diesem Sinne wird in der Präambel der ethische Rahmen abgesteckt, in dem sich die Staatsgewalt bewegen will und soll
Zu diesem Bild der ethisch begrenzten Staatsgewalt konnte nicht das Bild eines völlig autonomen und unabhängigen Menschen gehören, sondern das Bild des Menschen in Bindung und Abhängigkeit von einer höheren Instanz. Diese Instanz verstand man, namentlich A. Süsterhenn und Th. Heuss im Gegensatz zur gerade durchlittenen Geschichte nicht als Gemeinschaft, Kollektiv, „Gesetz der Geschichte“, „Vorsehung“ oder sonst irgendeinen metaphysischen Bezug, sondern schlicht und traditionell und dennoch offen als „Gott“, nämlich als den „Christengott“, „in dessen Lehre sie aufgewachsen waren, zu dem sie im Krieg gebetet hatten und von dem ein . Bewußtsein* der . Verantwortung* abzuleiten und für das deutsche Volk auszusprechen sie sich fähig, ja berufen fühlten“
Diese Festlegung begriff man damals offenbar als eindeutig und inhaltsschwer genug, obwohl dadurch für den Juristen noch nicht im einzelnen angegeben wird, welche konkreten normativen Eingrenzungen daraus für die Auslegung des Grundgesetzes selbst und andere Gesetze folgen. Möglicherweise ist das ein formaler Grund dafür, daß die Anrufung Gottes und damit ein Bild des Menschen in demütigem Gehorsam vor Gott in Wissenschaft und Praxis nur eine geringe Resonanz gefunden hat Aber abgesehen von solchen formalen Beobachtungen mußte Wertenbruch bereits 1958 inhaltlich analysieren, daß in der Rechtswissenschaft die Theonomie der menschlichen Autonomie gewichen sei 2. Emanzipatorische Umbrüche in den siebziger Jahren Über die Rechtswissenschaft hinaus zeigte sich dann spätestens in der Grundwertediskussion der siebziger Jahre, daß sich viele Menschen in der damaligen Bundesrepublik mit ihrem Leben nicht mehr in dieser traditionellen Schlichtheit „vor Gott“ empfanden und daß deshalb der religiöse Anruf „verschüttet“ sei Rückwirkend auf die Verfassungsdiskussion hieß das nicht nur, daß die erdrückende Mehrheit der Juristen diese Dimension des Menschenbildes „vergessen“ hätte sondern bedeutete zwangsläufig, daß der verfassungsmäßig bislang weitgehend unterstellte christliche Glaube „nicht mehr Gemeingut der Rechtsgemeinschaft“ sei Dagegen steht allerdings die Auffassung von Peters, daß die Anerkennung Gottes niemals von einer Volksmeinung und möglicher Glaubenslosigkeit abhängen könne Nun mußte eine Abwehr vom christlichen Menschenbild aber noch nicht grundsätzliche Folgen für die Gesetzgebung nach sich ziehen, da das noch ungebrochene und kaum gegen die ursprünglichen Intentionen ausgelegte Grundgesetz für eine gewisse Kontinuität sorgte. Außerdem bedeutete der Wertewandel der siebziger Jahre zwar gesellschaftspolitisch einen „Machtverlust“ für die Kirchen der „alten“ Bundesrepublik, aber nicht ihre Auflösung; auch nicht eine Auflösung der aus dem Gesamtduktus des Grundgesetzes gebotenen Kooperation des Staates mit den Religionsgemeinschaften, noch eine Auflösung der nahezu von ihnen allein im säkularen Staat gehüteten und geförderten Normen und Werte.
Manche „modernere“ und „liberalere“ Interpretation der Präambel spiegelt dennoch bereits die Ergebnisse des genannten Wertewandels von nahezu demütiger Verantwortung vor Gott zu emanzipatorischer Autonomie und Bindungslosigkeit. So will z. B. Ingo v. Münch die invocatio dei im Grundgesetz lediglich als „nicht ungewöhnlich“ betrachten, ihr aber keinen konkreteren Gehalt zumessen. Zwar werde hier die „Absage an den Atheismus als Staatsreligion“ bekräftigt, was aber nicht als „allg(emeine) pro-christliche Auslegungsvermutung“ mißdeutet werden dürfe 3. Abschaffung der invocatio dei als Ausdruck eines neuen Menschenbildes?
Daneben und darüber hinaus erheben sich in der gegenwärtigen verfassungsrechtlichen Diskussion durchaus Stimmen, die die Auffassung vertreten, daß die Anrufung Gottes nicht nur zu einer religiösen Bindung aus der Verfassung führe, sondern sogar in die Irre leite und eines rechtlichen Sinngehalts entbehre Hier findet sich im westlichen Teil der Bundesrepublik ein beträchtliches Potential, das sich deshalb, weil es sich einem ganz anderen Menschenbild verpflichtet fühlt, nicht nur formal, sondern auch inhaltlich in Verfassung und Staat jegliche „Verantwortung vor Gott“ leugnen und in diesem Sinne Präambel und Grundgesetz ändern will.
Was nun jedoch weiter die größtenteils atheistisch geprägten Menschen in den östlichen Landesteilen angeht, so können sie noch viel weniger mit dem Begriff „Gott“ und darum auch mit einer „Verantwortung vor Gott“ etwas anfangen. Und von den kirchlich gebundenen Menschen ist, wie bereits gesagt, aufgrund ihrer „Staatsphobie“ kein positiver Beitrag in dieser Verfassungsdiskussion zu erwarten. Da die Präambel nicht zu den durch Art. 79 Abs. III vor Veränderung geschützten Grundgesetzartikeln gehört ist es um so wahrscheinlicher, daß sie geändert wird, sofern die erforderliche parlamentarische Zweidrittelmehrheit erreicht wird.
Das führt bereits an dieser Stelle zu der entscheidenden Frage hinsichtlich des Menschenbildes des Grundgesetzes, wie es bisher in der Präambel festgehalten war und von dort aus „Direktionskraft“ entfalten sollte: Wie kann zukünftig in einer revidierten und dann wahrscheinlich „Gott-losen“ Verfassung, die dann wohl das Bild von einem autonomen Menschen zeichnet, der niemandem außer sich selbst mehr Rechenschaft und Verantwortung schuldig ist, der bewährte Grundtenor des alten Grundgesetzes weiter wirksam sein?
Wo sollten solche Tendenzen mehr durchschlagen, als bei der für das Grundgesetz zentralen Vorstellung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. I)? Im Gegensatz zur Präambel sind zwar die Bestimmungen des Grundgesetzes über die Menschenwürde nach Art. 79 Abs. III nicht änderbar. Damit ist aber nicht ausgeschlossen, daß schwerwiegende Änderungen von Begründungs-und Interpretationsmustern nicht auch schwerwiegende Folgen in der gesamten Gesetzgebung und Lebenswelt ’im vereinigten Deutschland haben könnten.
IV. Woher hat der Mensch seine Würde?
1. Menschenwürde als theologisches und staatsrechtliches Novum Für die Theologie ist die Beschäftigung mit der Menschenwürde eine relativ neue Frage; denn bis in die sechziger Jahre hinein stand in der theologischen Diskussion in Deutschland dieser Begriff unter dem Verdikt, „als Schlagwort aus der aufklärerisch-idealistischen Freiheitsidee herzukommen und (deshalb) kein Thema der Theologie... zu sein“
Aber auch für das Staatsrecht ist der Begriff der Menschenwürde als Bestandteil des positiven Rechtes neu bzw. „noch ungewohnt“ und tritt wohl in der irischen Verfassung von 1937 zuerst auf Der Umstand, daß der Begriff der Menschenwürde kaum Geschichte hat, ist insofern nicht verwunderlich, weil allein nach liberaler Auffassung die Würde des Menschen den Staat nichts angeht Diese Position war jedoch nicht die der bundesdeutschen Verfassungsväter. Sie beschäftigten sich durchaus mit der „Würde“ des Menschen und verstanden unter ihr das, „was den Menschen im spezifischen und wesenhaften Sinne ausmacht“ Dieser im Art. 1 Abs. 1 GG verankerte Begriff der „Würde“ des Menschen steht damit also in besonderer Weise für das Menschenbild des Grundgesetzes und hat unmittelbaren Einfluß aufdas gesamte Gesetzeswerk. Denn bekanntlich ist nach dem weiteren Wortlaut dieses Artikels diese Würde, dieses Menschenbild, unantastbar und von aller staatlichen Gewalt zu achten und zu schützen. Die nach manchen Stimmen im Abs. 2 daraus abgeleiteten unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechte werden ferner als „Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt“ bekannt. Und die daraus nachfolgenden Grundrechte (Abs. 3) binden wiederum „Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht“. Insofern ist die Menschenwürde der höchste Wert der Verfassung und durchdringt alle Bestimmungen des Grundgesetzes
Wie diese Bindung zu erfolgen hat, wird jedoch in den nachfolgenden Stellen und in der Gesetzgebung kaum positiv, sondern meist negativ abgegrenzt. Wenn das Bundesverfassungsgericht, wie bereits erwähnt, immer wieder darauf verweist, daß die Grundrechte eine „objektive Wertordnung“ bilden so hat es noch lange nicht geklärt, was es denn nun genau unter „Werten“ und einer „Ordnung“ solcher Werte versteht 2. Problematische Versuche, Menschenwürde zu definieren Das hindert das Bundesverfassungsgericht nicht, immer wieder an das Menschenbild des Grundgesetzes anzuknüpfen um die Schranken der Grundrechte zu entwickeln. Daneben gibt es außerhalb der von ihm und auch vielfach in der Literatur begangenen via negationis diverse Versuche, die Menschenwürde positiv zu fixieren So etwa führt der Bundesgerichtshof aus, daß sie darin bestehe, daß der Mensch als geistig-sittliches Wesen darauf angelegt sei, in Freiheit und Selbstbewußtsein sich selbst zu bestimmen und in der Umwelt zu verwirklichen In einem populären Kommentar heißt es: „Jeder Mensch ist kraft seines Geistes, der ihn abhebt von der unpersönlichen Natur und ihn aus eigener Entscheidung dazu befähigt, seiner selbst bewußt zu werden, sich selbst zu bestimmen und sich und die Umwelt zu gestalten.“ Oder: „Menschenwürde bedeutet Wertsein jedes einzelnen Menschen für sich selbst und um seiner selbst willen.“ Oder: „Menschenwürde manifestiert sich in der Schaffung eines möglichst weiten individuellen Autonomiebereichs und in seiner aktiven Nutzung für die Erhaltung und Bereicherung... von menschlichem Leben mittels maximaler Entfaltung der schöpferischen -das heißt diesen Zielen zugute kommenden -Potentialitäten jedes Menschen“, was dann noch als personelle und gesellschaftliche Komponenten unterschieden wird
Solche Fixierungen stehen jedoch in Spannung zu neueren Vorschlägen, das jeweils aktuelle Menschenbild mit Hilfe der Geisteswissenschaften zu entwickeln und dann die Grundrechte des Grundgesetzes darauf zu beziehen Nicht nur letztere Vorschläge sind als Indiz dafür zu werten, daß man immer wieder versucht, eher Unbeschreibbares irgendwie beschreibbar zu machen. Klarheit könnte hier aber gewonnen werden, wenn man genauer um Art und Gehalt der vorstaatlichen Begründung des Menschenbildes bzw.der Menschenwürde im Grundgesetz wüßte. Ausgangspunkt der Debatten im Parlamentarischen Rat über die Würde des Menschen bildete offenbar vor allem das Menschenbild Kants oder die christliche „imago-dei“ -Lehre Später wurden aber auch weitere historische Verankerungen und Verwurzelungen diskutiert 3. Menschenwürde aus dem Menschenbild Kantscher Philosophie?
Wenn es aber stimmt, daß die oben und auch sonst vielfach zugrunde gelegten Vorstellungen bezüglich des Menschenbildes des Grundgesetzes letzten Endes aus dem Menschenbild Kants abgeleitet sind so hätte man vor allem auf die Bedeutung der Vernunft und der sittlichen Autonomie für den Menschen zu achten. Zwar kann Kant den Menschen aus vielen Bedrängungen und Manipulationsversuchen herausziehen dadurch, daß er ihn als „Zweck an sich selbst“ bezeichnet. Bedingung dafür, „Zweck an sich selbst“ zu sein, ist bei ihm allerdings „Moralität“. Also sei „Sittlichkeit und die Menschheit, sofern sie zu derselben fähig ist, dasjenige, was allein Würde hat“ Diese Koppelung der Würde an die Sittlichkeit läßt bezweifeln, daß primär das Menschenbild Kants für das Menschenbild des Grundgesetzes bzw. die in ihm umrissene Menschenwürde maßgeblich sein kann denn nach den ethisch überzeugenden Vorstellungen des Grundgesetzes behält selbst der, der den Ansprüchen des Sittengesetzes bzw.der Menschenwürde nicht genügt, also auch der Straftäter, seine Menschenwürde und er bleibt ein Mensch während er bei Kant „ohne alles moralische Gefühl... kein Mensch“ ist und sich die Menschheit „in bloße Tierheit“ auflöst
Damit verbleiben zur Fundierung der Würde im Menschenbild des Grundgesetzes eigentlich nur noch christlich begründete Vorstellungen Wenig hilfreich ist, in liberaler Weise zwar zuzugestehen, daß die geistesgeschichtliche Tradition, in der der Begriff der Menschenwürde steht, bei seiner Auslegung zu berücksichtigen sei, sie dann aber als nicht ausschließlich bestimmend zu betrachten und auch keine anderen Maßstäbe anzugeben. Das muß letzten Endes interpretatorischen Beliebigkeiten Tür und Tor öffnen. Deshalb ist kurz daran zu erinnern, wie aus christlicher Sicht die Würde des Menschen allein als Gabe Gottes geglaubt werden kann und darf. Es muß also ein kurzer Blick auf die christliche „imago-dei“ -Lehre geworfen werden: 4. Menschenwürde aus der „Gottesebenbildlichkeit“ des Menschen?
Im Katholizismus meint man relativ einfach, mit Hilfe eines Naturrechts über die Zerstörung der Gottebenbildlichkeit des Menschen durch den Sündenfall hinwegzukommen obwohl doch das Wesen des Menschen nicht aus seiner „Natur“, also aus dem, was von sich aus da ist und wirkt, abgeleitet werden kann Darum herrscht im Protestantismus weitgehend Einigkeit, daß es sich bei der Gottebenbildlichkeit ausschließlich um einen teleologischen und nicht um einen ontologischen Begriff handelt Die imago dei bedeute eben letzten Endes die Gemeinschaft mit Gott als „Gabe und Aufgabe“ 83. Christlich sei deshalb die Gottebenbildlichkeit des Menschen am Ende nur im „Urbilde Jesu Christi“ erfaßbar. Sie werde dem Menschen allein „in Christus“ zuteil -also gegenüber allen anderen Geschöpfen durch den Vorrang, zur Erlösung durch Jesus Christus befähigt zu sein. Darum könne die „imago Dei im positiven Modus nichts anderes... (sein) als -der Glaube“
Christlicher Glaube kann jedoch einerseits in einem säkularen Staat nicht zur Verpflichtung gemacht werden. Andererseits gehört es zur Natur des Glaubens, daß er im Kem nur freiwillig annehmbar ist. In diesem Glauben, bei dem es sich um Heil und Erlösung des Menschen und der Menschheit überhaupt handelt, gehen allerdings Christen weit über jegliche staatliche Gebote hinaus, und es gilt: „wenn alle Welt rechte Christen, das ist rechte Gläubige, wären, so wäre kein Fürst, König, Herr, Schwert noch Recht notwendig oder von Nutzen“ Denn Christen bringen dem Mit-christen und dem Nächsten überhaupt nicht nur Würde entgegen, sondern sogar Liebe zum(r) christlichen Mitbruder (-Schwester) bzw. Nächstenliebe. Das christologisch recht verstandene Menschenbild aus der Gottebenbildlichkeit des Menschen begründet also nicht die Rechtsfigur der Menschenwürde, sondern macht sie überflüssig.
Darum kann es in der Demokratiedenkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland nur sehr vorsichtig und indirekt heißen, daß der „Gedanke der Menschenwürde inhaltlich eine Konsequenz der biblischen Lehre von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen als Geschöpf Gottes (Gen. 1, 27)“ sei Aber vollkommen resignativen Charakter hat es, wenn Wintrich bemerkt: „Vom Standpunkt des Christen aus bedeutet Menschenwürde nichts anderes, als die Säkularisierung des Gedankens der Gottebenbildlichkeit des Menschen“ Eine solche „sekundäre“ säkularisierte Ableitung der Menschenwürde und damit auch des Menschenbildes des Grundgesetzes wäre allerdings theologisch unbefriedigend. Denn es wäre doch zu fragen, wenn man sich derart fundamental auf einen Säkularisierungsprozeß einläßt, warum dann nicht noch weitere Säkularisierungsschritte legitim wären, um auch noch letzte christliche Elemente im Menschenbild des Grundgesetzes preiszugeben. 5. Menschenwürde als „weltliches Ding“
Wegen der Unvollkommenheit und Sünde der Christen und Nichtchristen ist jedoch aus theologischer Sicht die Existenz von Staat und Rechtsordnung vonnöten und von Gott geboten -allerdings nicht, um die Menschen zum Heil zu führen, sondern um ihr Wohl zu sichern. Die in diesen staatlichen und rechtlichen Rahmen zu stellenden Begriffe der Menschenwürde und Menschenrechte sind darum also kein „sacramentum“, sondern nur ein „weltliches Ding“ zum irdischen Wohl dieser Welt was sie aus lutherischer Sicht wie alles Weltliche und alles Recht keineswegs, der Gewalt und Obhut Gottes entzieht. Genauso wie dem Staat deshalb Respekt und Achtung zuzukommen hat, weil die Aufgaben des Schutzes, der Ordnung und der Fürsorge für den Menschen als von Gott verliehen bekannt werden
Diese christliche Perspektive bezüglich des einzelnen und seiner Würde bzw. bezüglich des Staates ist unabdingbar mit der Überzeugung verklammert, daß der Mensch „seine letztgültige eigene Wirklichkeit in seiner Beziehung zu Gott und nicht in der politischen Sozialität findet“ Neigt vor allem die Politik dazu, den Menschen trotz grundgesetzlicher Vorgaben als homo politicus vollkommen zu vereinnahmen und zu manipulieren, so gehört doch zum christlichen Menschenbild, auf das eben unübersehbar durch die invocatio dei in der Präambel hingewiesen wird, die Überzeugung: Eine „Anerkennung der Menschenwürde als , das Allgemeine des Rechts* kann nur dann eine verantwortbare rechtliche Form finden und bewahren, wenn das Bewußtsein lebendig ist, daß der Mensch dem Menschen in einem letzten Sinne nicht zur Disposition steht, die Würde des Menschen also ein Jenseits* im , Diesseits* des Staates repräsentiert“
Weil so der Mensch vor Gott im Letzten dem Staat unverfügbar bleibt, muß sich das z. B. exemplarisch vor allem am Recht auf Leben (Art. 2II), an der Gewissens-und Religionsfreiheit (Art. 4) und der Meinungsfreiheit (Art. 5) konkretisieren Darin muß sich zeigen, daß die „Würde des Menschen als Gabe Gottes...der Maßstab (ist), den die politische und gesellschaftliche Gestaltung des Gemeinwesens zu achten hat und dem sie nach menschlicher Einsicht gerecht werden muß“
Aus diesen Wurzeln des Menschenbildes des Grundgesetzes und der so verstandenen Würde des Menschen leitet sich aber auch noch etwas Weiteres ab, was sich kaum oder nur andeutungsweise im Art. 20 IV GG niederschlägt: Wenn der Staat durch Gesetze und Gebote diesem Auftrag nicht nachkommen sollte, muß der Christ auf jeden Fall „Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg. 5, 29). Muß das nicht hinsichtlich einer christlich begründeten Menschenwürde heißen, daß für den Fall eines neuen „Gott-losen“ Grundgesetzes, in dem darum mangels bindender Fundierung mit der Menschenwürde Interpretationswillkür oder deshalb gar eine Vergewaltigung des Menschen getrieben werden sollte, nicht nurfür den Christen sondern für jedermann Widerspruch bzw. Ungehorsam geboten ist? Ein Christ wird sich natürlich im gleichen Atemzuge darüber hinaus gegen eine nunmehr eventuell vorherr-schende menschenunwürdige Fehlinterpretationen des Grundgesetzes im Sinne christlicher Nächstenliebe für eine Wahrung der Menschenwürde seines Nächsten einsetzen
V. Schluß
Eigentlich können die bisherigen Überlegungen nur als Anregung verstanden werden, nunmehr an diversen Bestimmungen des Grundgesetzes detailliert zu prüfen, wo nun im einzelnen durch zu erwartende Änderungen des Grundgesetzes gefährliche Weichenstellungen zu Lasten des Menschen befürchtet werden müßten. Auf die die Kirche unmittelbar betreffenden Bestimmungen des Grundgesetzes (vor allem Art. 4; Art. 7 Abs. II und III oder Art. 140) wurde bereits eingangs hingewiesen. Dem sozialethischen Duktus entsprechend wäre eigentlich nunmehr intensiver auf den Art. 2-des Grundgesetzes über die freie Entfaltung der Persönlichkeit einzugehen, der (besonders Abs. I) z. T. als geglücktes Wagnis bezeichnet wird, das sich aus dem Verfassungsleben in der Bundesrepublik nicht mehr wegdenken lasse Für gewichtige Stimmen in der Verfassungsdiskussion folgt dabei aus der Menschenwürde die Vorstellung von einer „Persönlichkeit“ „Persönlichkeit“ muß dabei offenbar als Begriff der christlich-philosophischen Anthropologie verstanden werden was nur konsequent ist, wenn er aus einer christlich begriffenen Menschenwürde abgeleitet ist. Ebenso konsequent hatten die Väter des Grundgesetzes keine Scheu, diese freie Persönlichkeit des Art. 2 mit einem wie auch immer gearteten „Sittengesetz“ zusammenzudenken. Wenn gegenüber dieser traditionellen, historisch auf abendländisch christlichem Boden gewachseneu Auffassung Ingo v. Münch aus seiner liberalen Sicht beklagt, wie „unglücklich... die Aufnahme des Sittengesetzes in die Schrankentrias des Art. 2 Abs. I“ sei so bleibt die Frage unbeantwortet, welche notwendigen Schranken er und andere denn sonst gegen individuelle Beliebigkeit und Vergewaltigung des Einen durch die freie Entfaltung des Anderen entgegensetzen will.
In diesem Sinne wäre es erforderlich, in der sozial-ethischen Betrachtung des grundgesetzlichen Menschenbildes alle weiteren aus Präambel und Menschenwürde fließenden Grundrechte zu erörtern, etwa so, wie sie Benda in das Menschenbild und die Wertordnung des Grundgesetzes einzeichnet: vor allem Freiheit, Gleichheit, Glaubensfreiheit, Recht der freien Meinungsäußerung und Pressefreiheit, Schutz der Familie, Versammlungs-, Vereinigungs-und Berufsfreiheit, Gewährleistung und Sozialgebundenheit des Eigentums u. a.
Vielleicht haben aber diese notwendigerweise nur bruchstückhaften und selektiven Beobachtungen und Anfragen eines Theologen zum Menschenbild des Grundgesetzes zweierlei deutlich machen können: In Richtung auf Theologie und Kirche, wie wichtig es ist, sich in der jetzt anstehenden Verfassungsdebatte nicht nur durch einige wenige Kirchenjuristen zu beteiligen, sondern durch und mit der ganzen Breite ihrer Glieder. In Richtung auf den Staat, damit die im Menschenbild des Grundgesetzes verankerten Normen und Werte nicht leichtfertig beseitigt oder der Vergessenheit preisgegeben werden können. Dieses geschieht weniger aus dem Grund, daß dann Streit und Konflikt mit den berufenen Vertretern der Kirche und mit den vielen im Staat selbst engagierten Christen zu erwarten ist und der Staat nicht mehr seinen von Gott gegebenen Auftrag erfüllen kann, sondern weil sonst das Gemeinwesen als Ganzes unheilbaren Schaden nimmt.