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Europäische Zentralbank. Europäische Währungsunion ante portas? | APuZ 7-8/1992 | bpb.de

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APuZ 7-8/1992 Europäische Wirtschafts-und Währungsunion. Von der Marktintegration zur politischen Integration Wettbewerb und Wachstum im europäischen Binnenmarkt Europäische Zentralbank. Europäische Währungsunion ante portas? Ordnungspolitik im Reformprozeß Osteuropas

Europäische Zentralbank. Europäische Währungsunion ante portas?

Rolf H. Hasse

/ 22 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

In Maastricht hat der Europäische Rat einen Vertrag zur europäischen Währungsunion verabschiedet, die 1997 oder spätestens 1999 beginnt. Dieser nunmehr dritte Anlauf zur Währungsunion hat bessere Chancen, verwirklicht zu werden, weil die wirtschaftlichen, wirtschafts-und währungspolitischen und die politischen Grundvoraussetzungen besser sind als 1969/70 oder ab 1979. Es wird bewußt ein Untersuchungsrahmen gewählt, der den währungstheoretischen und währungstechnischen Rahmen verläßt. Die Währungsunion und die Europäische Zentralbank sind genuin politische Ziele und müssen auch in diesen Zusammenhängen beurteilt werden. Ferner wird anhand mehrerer Kriterien überprüft, ob und in welchem Ausmaß sich die Integrationsstrategien der „Monetaristen“ und „Ökonomisten“ angenähert haben. Dies ist ein wichtiger Indikator für materielle Integrationsfortschritte, zumal diese Unterschiede die Ansätze von 1969/70 und ab 1979 scheitern ließen bzw. bremsten. Die feststellbaren Veränderungen beruhen auf einer Übernahme bzw. Annäherung an die Integrationsstrategie der „Ökonomisten“. Hinzu kommen die Herausforderungen an die EG, die sich aus der Umbruchsituation in Osteuropa ergeben und wie ein Stimulans wirken können. Dennoch dürfen die gewichtigen Risiken nicht übersehen werden, die angesichts des progressiven Zeitrahmens darin bestehen, daß zentrale Probleme weiter ausgeklammert bleiben oder nur unzureichend gelöst worden sind. Die politische Bewährungsprobe werden die kommenden Jahre bringen, die größere wirtschaftliche Spannungen aufweisen werden als die „Schönwetterperiode“ der achtziger Jahre. Insofern wird noch rechtzeitig die Ernsthaftigkeit des politischen Willens geprüft, eine Währungsunion als Stabilitätsgemeinschaft zu verwirklichen.

I. Das historisch-politische Erbe als Stimulus

Abbildung: Europäische Währungsunion

Die Tagung des Europäischen Rates am 9. /10. Dezember 1991 hat im Bereich der Währungsintegration Ergebnisse gebracht, die politisch tiefgreifende Veränderungen bringen sollen. Nach den unmittelbaren, heftigen Reaktionen in einigen Zeitungen („Verrat an der DM“, „Die D-Mark über den Tisch gezogen“) ist plötzlich kein Kommentar mehr zu entdecken. Wie in den Monaten zuvor ist die Diskussion aus dem öffentlichen Interesse verschwunden und in die Zirkel der Experten zurückgekehrt. Erst wenn die Ratifizierungsverfahren für die Verträge von Maastricht im Laufe des Jahres 1992 beginnen werden, wird deren politische Bedeutung in die Schlagzeilen zurückkehren.

Für die Analyse der währungspolitischen Lösungen der EG wird ein Untersuchungsrahmen gewählt, der den währungstechnischen Rahmen sprengt. Die europäische Währungsunion und die Europäische ! Zentralbank sind genuin politische Ziele, sie werden innerhalb und außerhalb der EG politische Rückwirkungen haben. Diese politischen Elemente können den Integrationsprozeß hemmen oder beschleunigen. Sie müssen aber bekannt sein, um ihren Einfluß abschätzen zu können.

Die EWG war ein Ansatz, Deutschland in die westliche Staatengemeinschaft einzubetten und darüber hinaus auf die östliche Herausforderung des Kalten Krieges zu antworten. Die erfolgreiche zwischenstaatliche Kooperation und Koordinierung und die Erfolge der wirtschaftlichen Integration im Westen erodierten permanent die ideologische und wirtschaftliche Basis des östlichen Wirtschaftsrates (COMECON). Eine Nebenwirkung dieser Konfrontation war die ökonomische Teilung Westeuropas in EWG und Freihandelszone (EFTA).

Nunmehr ist der COMECON zusammengebrochen und seine Länder sind dabei, Demokratie und Marktwirtschaft einzuführen. Darüber hinaus ist beabsichtigt, durch den Vertrag über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) die wirtschaftliche Spaltung Westeuropas zu verringern. Die EG hat die Herausforderungen „gewonnen“. Gleichzeitig sind ihr neue Verantwortungen zugewachsen: -Sie ist der Anker für die erforderliche politische und wirtschaftliche Stabilität in Europa geworden.

-Sie ist der Maßstab für die Umstrukturierung der politischen und wirtschaftlichen Ordnungen in Osteuropa.

-Sie ist die Hauptquelle für private und öffentliche Kapitaltransfers in die Reformländer Ost-europas.

Anders als in den fünfziger Jahren hat die EG nun die Führung zu übernehmen, weil die Unterstützung durch die USA aus mehreren Gründen unsicher geworden ist. Die EG hat daher in verstärktem Maße die Außenwirkungen ihrer Beschlüsse zu beachten.

Die wichtigsten positiven externen Effekte kann sie erzielen, wenn die EG-Länder eine Wirtschafts-, Geld-und Währungspolitik verfolgen, in der wirtschaftliche Prosperität und Geldwertsicherheit als Mittel für politische Stabilität in Europa verstanden werden. Dies ist die neue Herausforderung für die EG. Sie gilt ab sofort, also für den Integrationsprozeß in der Übergangszeit gleichermaßen wie für die vollendete Währungsunion mit einer zentralisierten Geld-und Währungspolitik in der Europäischen Zentralbank (EZB).

II. Ende des Streites zwischen Ökonomisten und Monetaristen?

Tabelle: Konvergenz-Kriterien: Welche EG-Mitgliedstaaten wären 1991 reif für die Währungsunion? Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9. Dezember 1991; eigene Ergänzungen und Berechnungen.

1. Leitlinien der Integrationsstrategien Mit den Beschlüssen von Maastricht wird der dritte direkte Anlauf abgeschlossen, eine Europäische Währungsunion (EWU) zu schaffen Der erste Anlauf wurde auf der Gipfelkonferenz von Den Haag (1. /2. Dezember 1969) eingeleitet und führte zum Werner-Plan und zu den Ratsbeschlüssen vom 22. März 1971 und 21. März 1972 über die stufenweise Verwirklichung der Wirtschafts-und Währungsunion. Der zweite Versuch wurde über das Europäische Währungssystem eingeleitet, das am 13. März 1979 in Kraft trat, aber währungspolitisch bescheidenere Ziele anstrebte.

Mit dem dritten Anlauf, der nunmehr zu den Beschlüssen von Maastricht führte, versuchten die EG-Staaten, eine politische Konzeption wiederaufzunehmen, die bereits Grundlage des ersten Anlaufs von 1969 gewesen war: die Erweiterung der EG mit einer Vertiefung der wirtschaftlichen Integration zu verbinden. Diese Zielsetzung ist ergänzt worden, indem nunmehr angestrebt wird, die Vertiefung vor einer erneuten Erweiterung der EG abzuschließen. Das Ziel der Währungsunion rückte wieder in den Mittelpunkt, zumal die zweite Säule der Strategie von 1969 -die Wirtschaftsunion -durch das Binnenmarktprogramm 92 und die Einheitliche Europäische Akte politische Realität geworden war. Mit dem Vorschlag, frühzeitig eine EZB einzurichten, wurde nicht nur die bisher ausgeklammerte Diskussion über den institutionellen Aufbau einer europäischen Währungsunion zum ersten Mal in den Mittelpunkt der politischen Diskussion gestellt. Es wurde darüber hinaus ein unorthodox erscheinender Weg gewählt, einen Integrationsfortschritt über eine Institution anzustreben, die eindeutig zur Endstufe der Währungsunion gehörte.

Der Vorschlag rief zwiespältige Gefühle hervor. Einerseits zielte er in das politische Zentrum der „nationalen, monetären Identität“, die sich aus der nationalen Zentralbank, der nationalen Geldpolitik und der nationalen Währungspolitik zusammensetzt. Er förderte Hoffnungen, daß mit der Schaffung einer EZB zwei Bedingungen für das Gelingen des Integrationsprozesses erfüllt werden: die Anerkennung des politischen Gehalts einer Währungsunion und die Ausrichtung aller Entscheidungen sofort auf das Endziel (finales Denken). Andererseits weckten die Initiativen zu diesem Vorschlag massive Zweifel an dieser Zielsetzung. Die 1987/88 vom französischen Finanzminister, E. Balladur, und dem italienischen Finanzminister, G. Amato, formulierten Vorschläge richteten sich primär gegen die „Überstabilitätspolitik“ der Deutschen Bundesbank und waren insoweit ein klarer Versuch, die Position der Deutschen Bundesbank als quasi europäische Zentralbank und die DM als „monetären Anker“ des EWS auszuhebeln

Damit bestand die Gefahr, daß der Streit zwischen „Ökonomisten“ und „Monetaristen“ erneut aufbrach und Integrationsfortschritte wie die ab 1969 verhindern würde Vor diesem Hintergrund ist es zweckmäßig, die Standorte und Positionen innerhalb der gegensätzlichen Integrationsstrategien zu bestimmen (vgl. Abb.). Im Rahmen der Zielsetzungen einer europäischen Währungsunion als Stabilitätsgemeinschaft wurde außerhalb der wissenschaftlichen Ebene nur die Option eines allmählichen Überganges erwogen, die auch die Ablösung des Festkursblocks (es bestehen weiterhin nationale Währungen, deren Wechselkurse irreversibel festgeschrieben worden sind) durch die Einführung einer Einheitswährung einschließt. Die Strategie des allmählichen Übergangs weist deutliche Differenzierungen nicht nur zwischen dem funktionellen Integrationsweg (evolutorische Ansätze, Parallelwährung, Vorschläge der britischen Regierung im November 1989 und Januar 1991 und dem institutionellen Integrationsweg auf. Der institutioneile Ansatz (Absicherung der Integration durch Institutionen, Einsatz von Institutionen als Integrationsvehikel) ist seit dem ersten ernsthaften Anlauf von der Kontroverse zwischen „Monetaristen“ (Hauptvertreter Frankreich, Sachzwangstrategie, Vehikelstrategie) und „Ökonomisten“ (Hauptvertreter Bundesrepublik, Krönungstheorie) geprägt gewesen

Die vom Europäischen Rat in Hannover am 27. Juni 1988 eingesetzte Kommission (Delors-Kommission) folgte in ihrem Abschlußbericht vom 12. April 1989 dem institutionellen Ansatz Dieser Bericht wurde zwar einmütig angenommen, er beendete die Kontroverse aber keineswegs. Trotz der positiven und eindeutigen Aussagen zur ersten Stufe (Herstellung der Konvertibilität, Liberalisierung des Kapitalverkehrs) und zur Endstufe (Unabhängigkeit der EZB, Priorität des Zieles der Geldwertstabilität, Subsidiaritätsprinzip in der Wirtschaftspolitik) blieb die für den Integrationsprozeß essentielle zweite Stufe offen. Der Bericht offenbarte sogar materiell Uneinigkeit durch das Minderheitenvotum Frankreichs zugunsten eines Europäischen Reservefonds, der alle Elemente der „monetaristischen“ Strategie enthielt

Die offizielle Diskussion und die Verhandlungen in der Regierungskonferenz über die Währungsunion, die im Dezember 1990 begann, folgten dem Delors-Bericht. Aus diesen Gründen ist es empfehlenswert, die wichtigsten Streitpunkte als Krite-* rien zu nehmen, um Fortschritte und weiterhin bestehende Integrationsdefizite herauszufinden, die den Prozeß bremsen können. 2. Hauptstreitpunkte zwischen Ökonomisten und Monetaristen Die Kontroverse soll entlang den Forderungen der „Ökonomisten“ skizziert werden, die ursprünglich von den „Monetaristen“ vehement abgelehnt worden sind. 1. Priorität für das Ziel der Preisstabilität und für eine unabhängige Zentralbank: Die Währungsunion muß zu einer Stabilitätsgemeinschaft führen. Das Stabilitätsziel soll die prinzipielle Leitlinie der Wirtschaftspolitik und die alleinige Ausrichtung für die Geldpolitik sein, die in einer vollendeten Währungsunion von einer unabhängigen EZB ausgeübt würde. Die „Monetaristen“ widersetzten sich der Priorität des Stabilitätsziels und forderten, daß Wachstum als gleichrangiges Ziel berücksichB tigt werden sollte. Die geforderte Unabhängigkeit der EZB traf auf Widerspruch, der offen (direkte Ablehnung) oder verdeckt (Einbindung der Geldpolitik in wirtschaftspolitische Leitlinien, die vom Ministerrat verabschiedet werden) vorgetragen wurden. 2. Wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Konvergenz: Eine strikte Vorbedingung für monetäre Integrationsfortschritte und insbesondere für eine Währungsunion ist wirtschaftliche Konvergenz (Angleichung der Inflationsraten auf niedrigem Niveau). Vor allem die Verringerung der Bandbreiten der Wechselkurse, die Einschränkung der Wechselkursänderungen und die endgültige Festschreibung der Wechselkurse setzen wirtschaftliche Konvergenz bei Stabilität voraus, die auf wirtschaftspolitischer Konvergenz (Koordinierung der nationalen Geld-und Fiskalpolitik) beruht. 3. Konvertibilität der Währungen: Als ersten Schritt und als Beweis für die unumkehrbare monetäre Integration sollten die teilnehmenden Länder die volle Konvertibilität ihrer Währungen untereinander und gegenüber Drittstaaten herstellen. Damit würden die nationalen Finanzmärkte geöffnet und desintegrative Politiken mit Hilfe von Beschränkungen des Kapitalverkehrs wären nicht mehr möglich. 4. Beachtung der Interdependenz von Währungsunion und politischer Union: In einer Währungsunion werden die drei Säulen der nationalen monetären Souveränität (Zentralbank, Geldpolitik, Währung) ganz oder teilweise auf die Gemeinschaftsebene übertragen. Dieses Integrationsziel verlangt deshalb ein hohes Maß an politischem Konsens, der am eindeutigsten in einer politischen Union erreicht und gesichert werden kann. 5. Marktwirtschaftliche Ordnung für Güter-und Finanzmärkte: Eine nur indirekt formulierte aber fundamentale Kontroverse zwischen „Ökonomisten“ und „Monetaristen“ lag in ihren unterschiedlichen ordnungspolitischen Konzeptionen. Die „Ökonomisten“ vertrauten auf die Wirkungen offener Märkte, während die „Monetaristen“ stärker zu staatlichen Eingriffen in den Wirtschaftsprozeß neigten. 3. Stand und Aussichten der monetären Integration a) Übergangsregelungen Die Analyse des Integrationsprozesses bis Maastricht und der Regierungskonferenz führen zu denselben zwiespältigen Ergebnissen wie die Beurteilung des Berichts der Delors-Kommission von April 1989. Den erfreulich klaren Aussagen über die Endstufe stehen sehr vage Vorstellungen oder gar weiße Flecken für die Gestaltung der Übergangsstufe ab 1994 gegenüber. Die wirtSchafts-und währungspolitische Entwicklung wird aber nicht allein durch die kodifizierten Grundsätze der Endstufe der Währungsunion geleitet. Vielmehr kann sich wie in jeder Teilordnung des politischen Lebens eine eigene „Verfassungswirklichkeit“ herausbilden. Deshalb müssen Auslassungen und unklare Regelungen der Übergangsund Endstufe daraufhin überprüft werden, inwieweit sie Potentiale für materielle Abweichungen von den Zielen der Währungsunion ermöglichen. Dies ist auch deshalb von Bedeutung, weil der Übergang in die Endstufe der Währungsunion (Art. 109 F und 109 G), die spätestens zum 1. Januar 1999 erfolgen soll, als zweistufiger Prozeß mit abnehmenden politischen Bedingungen konzipiert worden ist.

Die Prüfung der wirtschaftlichen Konvergenz (vgl. Tabelle) wird ebensowenig verändert wie das mehrstufige Verfahren der politischen Entscheidung: Konvergenzbericht der Kommission und des Europäischen Währungsinstituts; Entscheidung des Rates der Wirtschafts-und Finanzminister (ECOFIN) mit qualifizierter Mehrheit; politische Entscheidung durch den Rat in der Zusammensetzung der Staats-und Regierungschefs (Europäischer Rat). Das Europäische Parlament wird vom Ministerrat konsultiert. Spätestens zum 31. Dezember 1996 entscheidet der Europäische Rat mit qualifizierter Mehrheit, ob eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten die Voraussetzungen der Konvergenz erfüllt, in die Endstufe einzutreten. Bei positivem Ergebnis wird der Zeitpunkt des Beginns der Währungsunion festgelegt. Wenn keine Mehrheit die Konvergenzkriterien erfüllt oder der Europäische Rat den Zeitpunkt des Übergangs in die Endstufe bis Ende 1997 nicht festgelegt hat, beginnt die Endstufe der Währungsunion am 1. Januar 1999. Zuvor wird bis zum 1. Juli 1998 die ab 1997 jährliche Prüfung der wirtschaftlichen Konvergenz wiederholt, und der Europäische Rat bestätigt mit qualifizierter Mehrheit die Liste der Mitgliedstaaten, die die Kriterien der wirtschaftlichen Konvergenz erfüllen und Anfang 1999 in die Währungsunion eintreten. Großbritannien hat sich ein isoliertes Entscheidungsrecht für den Eintritt in die Endstufe vorbehalten; Dänemark hat einen verfassungsrechtlichen Vorbehalt notifizieren lassen, falls für den Eintritt in die Endstufe eine Volksbefragung erforderlich sein sollte. Beide Länder zählen im Prüfungsverfahren nicht zur „Mehrheit der Mitgliedstaaten“. b) Aussagen zur Wirtschaftsordnung Aus dem Wissen um die heftigen ordnungspolitischen Kontroversen der sechziger und siebziger Jahre und auch der aktuellen Auseinandersetzungen über die französischen Forderungen nach einer europäischen Industriepolitik sollten die eindeutigen Aussagen zur Wirtschaftsordnung hervorgehoben werden. Sowohl in den Grundsätzen (Art. 3 A) als auch in den Artikeln zur Wirtschaftspolitik (102 A) und Geldpolitik (105) wird deutlich formuliert, daß die Mitgliedsländer -eine Wirtschaftspolitik anwenden, die aufbaut auf der „engen Koordinierung der Wirtschaftspolitiken der Mitgliedsstaaten, dem Binnenmarkt und auf der Festlegung gemeinsamer Ziele beruht und dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet ist“ (Art. 3 A, Absatz 1);

-„die Festlegung und Durchführung einer einheitlichen Geld-sowie Wechselkurspolitik (verwirklichen), die beide vorrangig das Ziel der Preisstabilität verfolgen und unbeschadet dieses Ziels die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Gemeinschaft unter Beachtung des Grundsatzes einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb unterstützen sollen“ (Art. 3 A, Absatz 2).

Diese Grundsätze werden teils wörtlich (Art. 105), teils mit Ergänzungen in den speziellen Artikeln zur Wirtschafts-und Geldpolitik wiederholt

Sicherlich ist es richtig festzustellen, daß die EG einen Prozeß nachvollzieht, der auf der KSZE-Konferenz in Bonn 1990 vorgeprägt worden ist. Aber die explizite Hervorhebung der Marktwirtschaft und ihrer Prinzipien (Wettbewerb, Offenheit der Märkte, effiziente Allokation) setzt nicht nur für den internen Bereich neue Maßstäbe für die Wirtschafts-, Währungs-und Geldpolitik sowie die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes. Die rechtlich neue Qualität muß auch aus der Verantwortung den Ländern gegenüber gesehen werden, die ihre Volkswirtschaften marktwirt-schaftlich reformieren und die EG und ihre Mitglieder als Referenzmaß nehmen. Die EG wird sehr bald beweisen müssen, wie ernsthaft sie diese Grundsätze zu verwirklichen gedenkt. c) Die Konvertibilität der Währungen Die Konvertibilität der Währungen ist eine Voraussetzung für den Eintritt in die erste Stufe zur Währungsunion am 1. Juli 1990 gewesen und wurde von fast allen Ländern erfüllt. Ausnahmen gibt es nur noch für Spanien und Irland (bis Ende 1992) sowie Griechenland und Portugal (bis Ende 1995). Damit wurde ein Prüfstein der „ökonomistischen“ Integrationsstrategie im Delors-Bericht übernommen und verwirklicht.

Darüber hinaus ist festzustellen, daß die neuen Artikel 73 A bis F, die die bisherigen Artikel 67 bis 73 ersetzen werden, deutliche Verbesserungen für die Freiheit des Kapitalverkehrs innerhalb der Gemeinschaft und auch gegenüber Drittstaaten bringen d) Priorität des Ziels der Preisstabilität und der Unabhängigkeit der EZB Diese beiden komplementären Zielsetzungen wurden von vielen Mitgliedstaaten lange als deutsche Marotte betrachtet und offen nur von den Niederlanden unterstützt. Obwohl sich in den achtziger Jahren international die Zielprioritäten der Wirtschaftspolitiken stärker der deutschen Position an-genähert haben, wurden die Bundesrepublik und vor allem die Deutsche Bundesbank häufig beschuldigt, eine „Überstabilitätspolitik“ zu betreiben. Der Kem dieser Klagen lag in der Dominanz der DM, die zum monetären Anker des Europäischen Währungssystems wurde, und in der Position der Deutschen Bundesbank, die der Funktion nach eine heimliche europäische Zentralbank ist. Die ersten Initiativen zugunsten einer EZB zielten deshalb auch gegen die Dominanz der DM und der Deutschen Bundesbank. Die Ziele waren wirtschaftspolitischer und politischer Natur (Verringerung des Stabilitätsdrucks und Minderung des Verlusts an politischen Entscheidungsspielräumen in der Geldpolitik

Der Vertragstext weist eine deutliche Tendenz zugunsten der Preisstabilität als Ziel der Geldpolitik auf. In den entscheidenden Artikeln (Art. 3A, Absatz 2, 105, 109) wird hervorgehoben, daß das primäre und alleinige Ziel der Geldpolitik die Preisstabilität sei. Diese Festschreibung ist nicht nur das Ergebnis deutscher Forderungen oder Verhandlungskunst, sondern vielmehr das Resultat des internationalen Wandels der Prioritäten der nationalen Wirtschaftspolitiken, vor allem in Frankreich seit 1983. Dahinter stehen die schlechten Erfahrungen mit der Inflation als Wachstumsstimulanz oder Mittel der Beschäftigungspolitik (Keynesianismus und verwandte Theorien). Es ist aber auch die Anerkennung der theoretischen Erkenntnisse, daß die Geldpolitik immer dann zu unbefriedigenden Ergebnissen führt, wenn sie mehrere Ziele gleichrangig anstrebt

Bei der Bewertung der Unabhängigkeit der EZB muß zwischen der formalen und der materiellen Unabhängigkeit unterschieden werden. Der Vertrag und die dazugehörenden Statuten des Europäischen Systems von Zentralbanken sichern formal alle drei Elemente (personelle, finanzielle, funktionelle) der Unabhängigkeit der EZB. Dennoch sind permanente Angriffe auf die materielle Unabhängigkeit festzustellen. Diese sind zu erkennen in den Forderungen -nach einer starken wirtschaftspolitischen Kompetenz auf der Gemeinschaftsebene („grande orientation“), die auch die Geldpolitik einschließen soll, -und nach der alleinigen Kompetenz politischer Organe in der Wechselkurspolitik.

Die Gefahr einer verschleierten wirtschaftspolitischen Einbindung der EZB scheint durch die Formulierung des Artikels 105 gebannt zu sein. Er lehnt sich an Artikel 12 des Bundesbankgesetzes an und formuliert, daß die Geldpolitik die allgemeine Wirtschaftspolitik nur unterstützen soll, wenn das Ziel der Preisstabilität nicht gefährdet ist. Ob diese Entwarnung auch auf die Lösung der Wechselkursfrage übertragen werden kann, läßt sich aus den bisher vorliegenden Fragmenten nicht abschließend beantworten. Immerhin besteht die Gefahr, daß durch internationale Wechselkursabsprachen wie den „Louvre-Accord“ (1987) und andere Vereinbarungen oder durch die Einführung von festen Wechselkursen mit Bandbreiten („Zielzonen“) in weltweitem Maßstabe die EZB verpflichtet wird, den Wechselkurs gegen Drittstaaten zu stabilisieren. Wenn dann aus politischen Gründen die Wechselkursrelationen den Marktbedingungen nicht angepaßt werden, verliert die Zentralbank als Folge der Stabilisierungsinterventionen die Kontrolle über die Geldmenge und das Ziel der Geldwertstabilität: Die politische Entscheidung (Nichtänderung der Wechselkurse) hebt die formale Unabhängigkeit der Zentralbank materiell auf.

Zweckmäßig wäre es, der EZB für diese Fälle mindestens dasselbe Recht zu gewähren, das der Bundesbank im November 1978 von der Bundesregierung in einem Briefwechsel eingeräumt worden ist. In einem Konfliktfall zwischen äußerer (Wechselkurs-) Stabilität und innerer (Geldwert-) Stabilität darf die Bundesbank die Interventionen einstellen. Sowohl die interne Stabilität als auch die Unabhängigkeit der Bundesbank erhalten Priorität Deren Unabhängigkeit ist damit auch materiell gesichert.

Diese positiven und kritischen Anmerkungen beziehen sich auf die Regelungen für die Endstufe. Für die zweite Stufe, also den Zeitraum von 1994 bis 1997/99, sagen der Vertrag und die Protokolle wenig. Vor allem fehlt eine deutliche Verpflichtung, den nationalen Zentralbanken schon vor dem Eintritt in die Endstufe mehr Unabhängigkeit zu gewähren (vgl. Art. 107, 108, Absatz 3, 109 C, Absatz 2, Satz 2). Diese politische Zurückhaltung nährt die Skepsis, ob die betroffenen Regierungen überhaupt eine unabhängige EZB wollen, da sie bestrebt sind, solange wie irgend möglich ihren politischen Einfluß auf die nationale Geldpolitik auszuüben. Es kann unterstellt werden, daß sie versuchen, diese Politik auf den Vorläufer der EZB, das Europäische Währungsinstitut (EWI), auszudehnen. Dies erklärt auch die Weigerung der „Ökonomisten“, bereits in der zweiten Stufe geldpolitische Kompetenzen auf das EWI zu übertragen. Um diesen Mangel zu beheben, schlage ich vor, in der zweiten Stufe ein „Direktorium Europäischer Zentralbankräte“ zu gründen (vgl. Kapitel III). e) Wirtschaftliche Konvergenz und Budgetdisziplin Zur Prüfung der wirtschaftlichen Konvergenz vor Eintritt in die Endstufe sind vier Kriterien eingeführt worden:

Kriterium I: Budgetdisziplin a. Die jährliche Neuverschuldung soll drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) nicht überschreiten. b. Die Gesamtverschuldung aller öffentlichen Haushalte soll 60 Prozent des BIP nicht überschreiten.

Kriterium II: Inflationsrate Der Anstieg der Verbraucherpreise soll im Jahr vor dem Übergang zur Endstufe nicht um mehr als 1, 5 Prozentpunkte höher liegen als in den drei stabilsten EG-Staaten.

Kriterium III: Die Währung soll mindestens zwei Jahre lang ohne Abwertung innerhalb der Bandbreiten des EWS-Wechselkursmechanismus’ notiert haben.

Kriterium IV: Das langfristige Zinsniveau soll mindestens ein Jahr lang um nicht mehr als zwei Prozentpunkte höher gewesen sein als in den drei stabilsten EG-Staaten.

Zu allen Kriterien sind Anmerkungen möglich. Am umstrittensten sind jedoch die der Budgetdisziplin. Einmal besteht in der wissenschaftlichen Diskussion ein Grundsatzstreit, ob Budgetregeln überhaupt erforderlich sind Geht man einmal davon aus, daß Budgetdisziplin eine stabilitätsorientierte Geldpolitik unterstützt, muß das Problem gelöst werden, welche Regeln angewendet und wie sie durchgesetzt werden sollen (Sanktionen ja/nein). Im folgenden sollen nur die gewählten Regeln kurz betrachtet werden.

Einmal ist festzustellen, daß nur eine Minderheit von EG-Staaten sie derzeit erfüllt (vgl. Tabelle). Allein dadurch erhebt sich die Frage, welche Chancen die Länder haben, diese Regeln zu erfüllen, und welche Bedeutung diese Regeln in der „Aufnahmeprüfung“ haben sollen. Dazu ist eine allgemeine Vorbemerkung zweckmäßig: Für die ökonomische Analyse von (In-) Stabilität sind absolute bzw. Bestandsgrößen von geringerer Bedeutung. Ausschlaggebend sind Relationen und Veränderungen.

Beide Indikatoren erfüllen diese Bedingungen nur unzureichend. Der erste Indikator -die 60-Prozent-Regel -verbindet eine Bestandsgröße (Verschuldung) mit einer Stromgröße (BIP). Der zweite Indikator -die Drei-Prozent-Regel -verbindet die Veränderung einer Bestandsgröße (Verschuldung) mit dem absoluten Wert einer Stromgröße (BIP). Es gibt keine ökonomisch plausible Erklärung, daß bei 60 Prozent die Budgetdefizite exzessiv werden und Instabilität entsteht. Ebenso bietet die Drei-Prozent-Regel allein keine klare Aussage; parallel müssen mindestens die Wachstumsrate des BIP und die Struktur der öffentlichen Ausgaben berücksichtigt werden.

Diese Mängel sind den Schöpfern dieser Regeln offensichtlich bewußt. Denn im Protokoll zu Artikel 104 werden viele zusätzliche Kriterien aufgezählt, die bei der Prüfung ergänzend beachtet werden sollen. Dadurch werden die Ergebnisse der Beurteilungen zweifelsohne besser. Die politischen Wirkungen der Regeln werden dagegen negativ beeinflußt.

Die Zielsetzung, eine Richtschnur für wirtschaftspolitische Empfehlungen einzuführen, wird durch die Schaffung solcher Regeln ausgehöhlt. Angestrebt wird ein Management der Erwartungen auf den Finanzmärkten, denen signalisiert werden soll, daß die Einhaltung der Regeln größere Stabilität und wirtschaftliche Konvergenz bedeutet. Das Ergebnis der Prüfung wird aber sein, daß ihre Nichteinhaltung ständig begründet werden muß; einmal, weil sie politisch kaum durchsetzbar sind (vor allem die 60-Prozent-Regel), und zum anderen, da sie isoliert betrachtet von zweifelhaften ökonomischem Aussagewert sind.

Eine andere Ausgestaltung wäre zweckmäßiger gewesen, z. B. Regeln, die Konsolidierungsziele enthalten und so die Stabilisierungserwartungen fördern. Beispielsweise könnte im Fall Italien eine sukzessive Verringerung des Zuwachses der öffentlichen Verschuldung, eine Reduzierung der Finanzierung über die Banca d’Italia sowie Zahlen über die Veränderung der Fristenstruktur der öffentlichen Schulden in einem Indikatorenbündel enthalten sein.

III. Ein „Direktorium Europäischer Zentralbankräte“ für die zweite Stufe

Die Regelung, spätestens beim Eintritt in die Endstufe den nationalen Zentralbanken die Unabhängigkeit zu gewähren, signalisiert politische Unwilligkeit und ein massives Verdrängen der mit diesem Schritt verbundenen Problematik. Entscheidend für den materiellen Erfolg einer Wäh-rungsunion ist nicht nur die langfristige politische Absicht und deren juristische Regelungen, die eine Lösung der Probleme versprechen. Demokratie beruht nicht nur auf dem Wahlverfahren und einer formalen Verfassung, sondern auf der gelebten Verfassung, die das demokratische Verhalten der politischen Bürger, Institutionen, Parteien und Regierungen umfaßt. Dasselbe gilt für eine Währungsunion als Stabilitätsgemeinschaft, die in vielen Mitgliedsländern eine Neuorientierung der wirtschaftlichen Ziele und Institutionen verlangt. Dafür muß sich eine europäische Erfahrungsgemeinschaft bilden. Dieser Lernprozeß wird von vielen Regierungen verweigert. Ihre Option, diesen Schritt erst dann zu tun, wenn sie es für opportun halten, kann durchaus als ein „verstecktes opting out“ interpretiert werden. Bis zur Endstufe kann sich jede Regierung Zeit lassen.

Die Quasi-Automatik des Eintritts in die Endstufe 1999 könnte umgangen werden, indem die wirtschaftlichen Kriterien bewußt verletzt werden -ein Umstand, der heute fast ketzerisch klingt, aber realistischerweise als politische Option in Rechnung gestellt werden sollte.

Das für eine Währungsunion erforderliche finale Denken ist in diesem Teil der politischen Entscheidungen nicht erkennbar. Eine breite Erfahrungsgemeinschaft der Geldwertstabilität und der Geldpolitik, die institutionell und funktionell bewußt aus der allgemeinen Politik entlassen wird, kann sich also kaum bilden. Insofern ist es verständlich, daß dem designierten Vorläufer einer europäischen Zentralbank -dem EWI -keine direkten Aufgaben in der zweiten Stufe übertragen worden sind. Umgekehrt erhält das EWI aufgrund der unveränderten Strukturen der nationalen Zentralbanken auch keine echte Chance, die Abstimmung der Geldpolitiken ernsthaft zu üben.

Da die Schwierigkeiten, die Geldpolitik der EG-Staaten zu zentralisieren, groß sind und die Zeitspanne bis zur geplanten Endstufe im Verhältnis zu den Problemen kurz bemessen ist, muß die Frage der Unabhängigkeit bald auf Gemeinschaftsebene aufgegriffen werden. Ein Weg, der -gemeinschaftlich ist, -vereinbar ist mit dem Prinzip der ungeteilten Verantwortung und der Berechenbarkeit der Geldpolitik -und der die Preisstabilität und die wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Konvergenz stärkt, könnte die Schaffung eines „Direktoriums der Europäischen Zentralbankräte“ sein. Dieses Gremium könnte dem EWI angegliedert werden.

Die Grundidee ist, daß jedes EG-Land mit eigener Zentralbank einen „Europäischen Zentralbank-rat“ vorschlagen kann. Die Räte werden nach Anhörung der nationalen Zentralbanken, des Boards des EWI und des Europäischen Parlaments vom Ministerrat (ECOFIN) bestellt. Die Amtsdauer sollte unbeschadet des Zeitplans bis zum Übergang in die Endstufe auf acht Jahre festgelegt werden. Einen Vorsitzenden wählen die „Europäischen Zentralbankräte“ aus ihrer Mitte; dessen Funktion besteht lediglich in der administrativen Koordinierung der Aufgaben.

In der Satzung für dieses Sondergremium müssen Stellung und Aufgaben wie folgt umrissen werden: 1. Die „Europäischen Zentralbankräte“ sind von Weisungen nationaler und gemeinschaftlicher Gremien unabhängig. 2. Sie sind dem Board des EWI berichtspflichtig und beraten sich mit ihm. 3. Ihre Aufgaben konzentrieren sich auf die Unterstützung der Harmonisierung der geldpolitischen Instrumente und der Koordinierung der Geldpolitiken. 4. Ihre Aufsichtsfunktion und ihre Kompetenzen leiten sich aus den Zielen der Geldwertsicherung sowie der Schaffung und Erhaltung der Konvertibilität ab.

Die „Europäischen Zentralbankräte“ werden in den nationalen Zentralbanken eingesetzt. Die Zuordnung erfolgt durch Los, ein Wechsel der nationalen Zentralbank kann frühestens nach vier Jahren vorgenommen werden Ein außerordentlicher Austausch erfordert die Zustimmung des Boards des EWI mit Zweidrittelmehrheit.

Die „Europäischen Zentralbankräte“ wären in weisungsgebundenen Zentralbanken das erste und gemeinschaftliche Glied zur Unabhängigkeit und damit ein wesentlicherer Schritt zur Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank, als das EWI es derzeit sein kann. Sie sollten aber auch in den bereits unabhängigen nationalen Zentralbanken eingesetzt werden. Damit könnte formal eine gewisse Gleichheit der nationalen Zentralbanken ausgedrückt werden. Entscheidender wäre jedoch, daß der interne Erfahrungsaustausch im „Direktorium der Europäischen Zentralbankräte“ fruchtbarer wäre und die Koordinierung der Geldpolitiken fördern würde. Darüber hinaus wäre es ein erster Schritt der nationalen Zentralbanken, sich mit der neuen Rolle in einem Europäischen Zentralbank-system vertraut zu machen.

Da die Aufgabe der „Europäischen Zentralbank-räte“ auf die Geldwertsicherung und die Schaffung und Erhaltung der Konvertibilität konzentriert ist, entstünden für unabhängige Zentralbanken wie die Deutsche Bundesbank keine besonderen Risiken

Die „Europäischen Zentralbankräte“ bekommen in den Vorständen der nationalen Zentralbanken Sitz und Stimme. Darüber hinaus erhalten sie ein Vetorecht gegenüber Entscheidungen, die die vereinbarten Geldmengen-und Stabilitätsziele verletzen oder desintegrativ wirken (Kapitalverkehrs-kontrollen u. a.). Das Veto ist nur suspensiv, es kann nach zwei Wochen durch einfache Mehrheit vom Vorstand der nationalen Zentralbank aufgehoben werden. Allerdings müssen in Anlehnung an die Regelungen in den Satzungen der belgischen und der niederländischen Zentralbank beide Begründungen veröffentlicht werden Damit soll die Öffentlichkeit als Faktor der Stabilitätspolitik mobilisiert werden. Ferner erhalten die „Europäischen Zentralbankräte“ in den Berichten der nationalen Zentralbanken ein eigenes Kapitel, in dem sie die Geld-und Währungspolitik, die Anpassung des geldpolitischen Instrumentariums und die Herstellung des Unabhängigkeitsstatus aus der Sicht des Ziels, eine europäische Währungsunion als Stabilitätsgemeinschaft zu verwirklichen, kommentieren.

Um diese Aufgabe bewältigen zu können, erhalten sie einen Mitarbeiterstab, der wie das gesamte Direktorium aus einem Sondertitel des Europäischen Währungsinstituts finanziert wird.

Ein weiterer Vorteil des „Direktoriums der Europäischen Zentralbankräte“ ist darin zu sehen, daß es die beschlossene Zentralbankratslösung für die EZB stützt. Mitglieder aus diesem Direktorium könnten in das Direktorium der EZB übernommen werden, da sie keiner nationalen Zentralbank angehörten, dem europäischen Währungsziel verpflichtet wären und über das erforderliche Fachwissen verfügten.

IV. Eine Zwischenbilanz

Die internen und externen Rahmenbedingungen für die monetäre Integration in der EG haben sich grundlegend verändert. Innerhalb der EG ist ein Trend zur Übernahme der und Annäherung an die Integrationsstrategie der „Ökonomisten“ festzustellen. Dies ist in erster Linie der Lohn für die Tugenden, mit denen das Ziel der Preisstabilität gegen vermeintliche Gemeinschaftsinteressen verteidigt worden ist. Es ist aber auch das Ergebnis des Wechsels der wirtschaftspolitischen Zielprioritäten -aus Einsicht und aus Not -in vielen EG-Staaten; am deutlichsten in Frankreich seit 1983.

Die ausgeklammerten Probleme und die unzureichenden Lösungen belegen jedoch, daß die Währungsunion als Stabilitätsgemeinschaft auch formal noch keineswegs gesichert ist. Zu den zuvor erwähnten Feldern sind ferner hinzuzufügen die schwache Beachtung der Interdependenz zwischen der politischen Union und der Währungsunion, die für die zweite Stufe mageren Vorkehrungen, die wirtschaftliche Konvergenz durch gemeinschaftliche Kooperationsverfahren zu einer wirtschaftspolitischen Konvergenz fortzuentwickeln, sowie die erstaunliche Konzeptionsleere hinter den Zielen, die ECU zu fördern und als Einheitswährung einzuführen.

Auf der anderen Seite stehen die Herausforderungen für die EG, die sich aus dem Umbruch in Osteuropa ergeben. Die EG ist Referenzmaß in ordnungspolitischer und währungspolitischer Hinsicht. Die wichtigste Aufgabe der EG besteht darin, Preisstabilität zu erhalten. Sie sichert intern auf Dauer Beschäftigung und Wachstum und fördert politische Stabilität. Extern erleichtert sie den Anpassungsprozeß der Reformländer, indem sie den Import von Inflation verhindert, ihre Export-möglichkeiten verbessert und den Ressourcenzufluß verstärkt.

Die wirtschaftspolitische Nagelprobe für die Währungsunion werden die kommenden Jahre bedeuten, die turbulenter zu werden versprechen als die lange wirtschaftliche Schönwetterperiode der achtziger Jahre. Der Nachweis ernsthafter, gemeinschaftlicher Stabilitätspolitik und des politischen Willens, eine Stabilitätsgemeinschaft verwirklichen zu wollen, muß insofern noch vor und in der Vorbereitungsphase erbracht werden. Ebenfalls wird in dieser Zeitspanne bis 1997/99 der politische Integrationswille in besonderer Weise herausgefordert werden, wenn man unterstellt, daß die beiden Promotoren der Regierungskpnferenz, Franois Mitterrand und Helmut Kohl, in dieser Periode politische Nachfolger bekommen können, die einer anderen Generation angehören werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Der Ansatz aus dem Jahre 1961 wird hier ausgeklammert. Im Aktionsprogramm der EG-Kommission für die Zweite Stufe der Zollunion wurden zwar die Probleme einer unzureichenden Währungsintegration umrissen, eine politische Initiative für eine Währungsunion jedoch nicht formuliert.

  2. Vgl. Rolf H. Hasse, Die Europäische Zentralbank: Perspektiven für eine Weiterentwicklung des Europäischen Währungssystems. Mit Beiträgen von W. Weidenfeld und R. Biskup, Gütersloh 1989, insbesondere S. 43ff., 141ff., 232ff.

  3. Vgl. R. H. Hasse (Anm. 2), S. 53ff.; Hans Willgerodt u. a., Wege und Irrwege zur europäischen Währungsunion, Freiburg 1973, passim.

  4. Vgl. Rolf Hasse/Thomas Koch, Die Hard-ECU -eine Ersatz-D-Mark oder ein trojanisches Pferd?, in: Wirtschaftsdienst, (1991) 5, S. 188-195. ,

  5. Zu der Kontroverse 1969-1971 vgl. Rolf Hasse, Europäische Währungsunion -Illusion oder Realität?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 20/71.

  6. Bericht zur Wirtschafts-und Währungsunion in der Europäischen Gemeinschaft, 12. April 1989 („Delors-Bericht“), abgedruckt in: Europa-Archiv, (1989) 10, D 283-304.

  7. Vgl. Peter Bofinger, Zum Bericht zur Wirtschafts-und Währungsunion in der Europäischen Gemeinschaft des „Ausschusses zur Prüfung der Wirtschafts-und Währungsunion“ „Delors-Bericht“, in: Kredit und Kapital, 22 (1989), S. 429-447; R. H. Hasse (Anm. 2), S. 177-192.

  8. Vgl. Reinhold Biskup, Europäische Aspekte der sozialen Marktwirtschaft, in: Ludwig-Erhard-Stiftung (Hrsg.), Soziale Marktwirtschaft im 4. Jahrzehnt ihrer Bewährung, Stuttgart 1984, S. 101 ff.

  9. In Art. 102 A zur Wirtschaftspolitik wird ausgeführt, daß „die Mitgliedstaaten in Übereinstimmung mit den Prinzipien einer offenen Marktwirtschaft mit freier Konkurrenz, die eine effiziente Allokation der Ressourcen begünstigt, ... handeln sollen“.

  10. Übergang von der konditionierten Liberalisierung des Kapitalverkehrs („soweit es für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes notwendig ist“) zum Verbotsprinzip („alle Beschränkungen der Kapitalbewegungen sind verboten“); die Ausweichklausel in den Artikeln 73E/F sind gegenüber der Fassung des Artikels 73 alt wesentlich restriktiver und präziser gefaßt worden (zeitlicher Rahmen, Bedeutung der Störung); Kapitalverkehrskontrollen der Gemeinschaft gegenüber Drittstaaten unterliegen der Einstimmigkeitsregel. Die neuen Regeln sollen am 1. Januar 1994 in Kraft treten, dem Beginn der zweiten Stufe.

  11. Vgl. R. H. Hasse (Anm. 2), S. 65-91, 138-150.

  12. Vgl. Gudrun Peschutter, Geldpolitik bei multipler Zielsetzung, unv. Dissertation an der Universität der Bundeswehr, Hamburg 1992.

  13. Vgl. I. M. Destler/C. Randall Henning, Dollar Politics: Exchange Rate Policymaking in the United States, Washington 1989, S. 56ff.

  14. Vgl. Otmar Emminger, D-Mark, Dollar, Währungskrisen: Erinnerungen eines ehemaligen Bundesbankpräsidenten, Stuttgart 1986, S. 361 f.

  15. Vgl. Dieter Duwendag, Zur Frage eines tragfähigen Policy-mix! Sind adäquate Regeln für die Fiskalpolitik unentbehrlich?, in: Manfred Weber (Hrsg.), Europa auf dem Weg zur Währungsunion, Darmstadt 1991, S. 220-248.

  16. Bei der Zuordnung durch Los könnte vorgesehen werden, daß der „Europäische Zentralbankrat“ nicht aus dem eigenen Land stammt.

  17. Der denkbare Anreiz, daß diejenige nationale Zentralbank, die in die Unabhängigkeit entlassen wird, dann den „Europäischen Zentralbankrat“ verliert, wird in diesem Vorschlag nicht berücksichtigt. Die Sammlung von praktischen Erfahrungen bei der Koordinierung der Geldpolitik und in der Harmonisierung der geldpolitischen Instrumente ist für die erfolgreiche Gestaltung der Endstufe der Währungsunion wichtiger als der mögliche Anreiz für nationale Regierungen, ihren Zentralbanken frühzeitiger die Unabhängigkeit einzuräumen.

  18. Vgl. R. H. Hasse (Anm. 2), S. 209-13, 222-25.

Weitere Inhalte

Rolf H. Hasse, Dr. rer. pol., geb. 1940; Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Wirtschaftspolitik, an der Universität der Bundeswehr Hamburg. Veröffentlichungen u. a.: Die Europäische Zentralbank. Perspektiven der Weiterentwicklung des Europäischen Währungssystems. Mit Beiträgen von W. Weidenfeld und R. Biskup, Gütersloh 1989 (englische Übersetzung 1990, japanische Übersetzung 1992); (Hrsg. zus. mit W. Schäfer) Europäische Zentralbank. Europas Währungspolitik im Wandel, Göttingen 1990.