Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Stalinistischer Terror. Genese und Praxis der kommunistischen Gewaltherrschaft in der Sowjetunion 1917-1953 | APuZ 37-38/1996 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 37-38/1996 Der Volksaufstand in Ungarn 1956. Eine Nation wehrt sich gegen die sowjetische Diktatur Stalinistischer Terror. Genese und Praxis der kommunistischen Gewaltherrschaft in der Sowjetunion 1917-1953 Sowjetische Hegemonie und Kommunismus in Ostmitteleuropa nach dem Zweiten Weltkrieg Schauprozesse und Parteisäuberungen in Osteuropa nach 1945

Stalinistischer Terror. Genese und Praxis der kommunistischen Gewaltherrschaft in der Sowjetunion 1917-1953

Markus Wehner

/ 37 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Der kommunistisch-stalinistische Terror vernichtete in den Jahren von 1917 bis 1953 viele Millionen Menschen. Erst nach dem Untergang des Sowjetkommunismus kann er in seinem ganzen Ausmaß beschrieben werden. Seine Wurzeln reichen zurück in die Phase von russischer Revolution und Bürgerkrieg. Die Bolschewik! setzten seit 1917 Terror gegen „Klassenfeinde“ ein, wofür ihnen die marxistische Ideologie als Rechtfertigung diente. Die Erfahrungen des Bürgerkriegs bewirkten eine Fixierung auf gewaltsame Methoden, von denen man sich auch in den zwanziger Jahren nicht löste. 1921/22 verhungerten Millionen Menschen als Folge der verfehlten bolschewistischen Agrarpolitik. Mit Stalins „Revolution von oben“ wurden ab 1930 wiederum terroristische Maßnahmen gegen Millionen Bauern angewandt, Hunderttausende kamen ums Leben. Zugleich entschloß sich die Parteiführung, das Lagersystem unter Leitung des Geheimdienstes auszubauen und Häftlinge in großem Ausmaß durch Zwangsarbeit auszubeuten. Die größte Opferzahl von sechs bis sieben Millionen Toten kostete 1932/33 eine weitere Hungerkatastrophe, die von der kommunistischen Führung verschuldet war. Nach einer relativen innenpolitischen Entspannung 1934 schlug Stalin Mitte 1936 erneut einen terroristischen Kurs ein. 1937/38 wurden im „Großen Terror“ mindestens 1, 4 Millionen Menschen verhaftet und über 680 000 erschossen. Stark betroffen waren die politischen Eliten -unter ihnen vor allem Exilkommunisten aber auch breite Schichten der Bevölkerung. Eine besonders verfolgte Gruppe stellten die nationalen Minderheiten dar, deren Herkunftsländer im „kapitalistischen Ausland“ lagen. Ethnische Minoritäten waren auch Opfer der Deportationen der vierziger Jahre, bei denen etwa drei Millionen Personen zwangsumgesiedelt wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Hunderttausende sowjetische Kriegsgefangene und „Ostarbeiter“, die bereits unter dem nationalsozialistischen Terror gelitten hatten, in stalinistische Lager eingewiesen. Ab 1948 kam es erneut zu verschiedenen „Säuberungskampagnen“, die jedoch weniger blutig als der Terror der dreißiger Jahre abliefen. Sie trugen zum Teil antisemitischen Charakter. Für die Inszenierung der Terrorkampagnen war Stalin in hohem Maße persönlich verantwortlich. Erst nach seinem Tod wurde der Massenterror nicht mehr als Mittel der Politik in der Sowjetunion eingesetzt. Terror allein kann jedoch nicht erklären, warum sich das stalinistische Regime so lange an der Macht hielt. Unterstützung durch entscheidende Gruppen der Bevölkerung und Identifizierung mit dem Sowjetsystem waren dafür unabdingbar. Dennoch kommt dem Terror eine so große Bedeutung zu, daß er ein konstitutives Element einer Sozialgeschichte des Stalinismus sein muß. Der stalinistische Terror sparte keine Bevölkerungsgruppe aus. In diesem Sinne war er die eigentliche totalitäre Diktatur des 20. Jahrhunderts.

Wie immer man den Begriff „Stalinismus“ definieren mag, dem hohen Maß staatlich ausgeübter Repression muß dabei zentrale Bedeutung zukommen. Massenverhaftungen und -erschießungen, Haft in Gefängnissen und im GULag (dem Straflagersystem in der UdSSR), Deportation und Verbannung sowie eine Hungerkatastrophe, die durch die Politik der Führung verschuldet war, trafen viele Millionen Menschen. Der Terror des Regimes hatte erhebliche demographische, soziale und kulturelle Auswirkungen. Unter ihnen litten nicht nur diejenigen, die das Vierteljahrhundert stalinistischer Herrschaft seit Stalins „Revolution von oben“ (1928-1932) bis zu seinem Tod 1953 überlebten, sondern auch die folgenden Generationen.

Die Wende des Jahres 1989 und der Untergang des Sowjetkommunismus haben den Blick für Ausmaß und Bedeutung der stalinistischen Gewaltherrschaft in der Sowjetunion und ab 1945 in ihren Satellitenstaaten freigemacht und eine Auseinandersetzung mit dem Stalinismus ermöglicht, die nicht mehr von den ideologischen Gefechten des Kalten Krieges dominiert ist. Die Öffnung der Archive im Osten Europas erlaubt es, bisherige Forschungen zu erweitern, Mechanismen der Gewaltausübung aufzudecken und sowohl verharmlosende als auch überzogene Interpretationen zu korrigieren.

Dieser Aufsatz soll anhand neuer Veröffentlichungen russischer und westlicher Historiker sowie eigener Archivstudien den stalinistischen Terror in der Sowjetunion in seiner Entstehung und seinen wichtigsten Erscheinungen skizzieren Auf Forschungskontroversen wird nur am Rande eingegangen; Die zeitgenössische Rezeption der stalinistischen Gewaltherrschaft im Westen, insbesondere durch die politische Linke, kann hier nur gestreift werden. Die Auseinandersetzung mit dem stalinistischen Terror in der UdSSR und im heutigen Rußland wird am Ende des Beitrags resümiert.

I. Voraussetzungen der Gewaltherrschaft im sowjetischen Stalinismus

Um den Ursprüngen der Gewalt im Stalinismus auf die Spur zu kommen, ist es unverzichtbar, sowohl die historischen Umstände der russischen Revolution als auch die ideologischen Ziele der Bolschewik! zu betrachten. Die Oktoberrevolution war mehr als ein Staatsstreich einer Handvoll gewaltbereiter Revolutionäre. Sie resultierte aus ungelösten Problemen des Russischen Reiches, den Versäumnissen seiner Regierungen, der Reformunwilligkeit der letzten Zaren und vor allem aus dem verlorenen Weltkrieg. Die politische Ordnung Rußlands hatte sich schon vor dem Oktober 1917 aufgelöst, die radikalisierten Massen betrieben die gesellschaftliche Umwälzung. Unter diesen Voraussetzungen konnte sich die entschiedenste Partei der Linken, die Bolschewik!, durchsetzen. Das gesellschaftspolitische Projekt der Bolschewik! wurzelte vor allem in der marxistischen Theorie. Aus ihr bezogen sie ihre utopischen Vorstellungen von einer rational durchorganisierten Gesellschaft und einem „neuen Menschen“. Als urbane, auf die Arbeiterschaft orientierte Partei sahen sie diesen im klassenbewußten Proletarier. Die neue Gesellschaft sollte in der sozialistischen Stadt leben, die von moderner Technik und Industrie geprägt sein würde. Zwischen den Zielen des Projekts und den gesellschaftlichen Ausgangsbedingungen Rußlands zu Beginn des 20. Jahrhunderts bestand allerdings eine Kluft, die größer kaum zu denken war. Die Bolschewik! sahen sich mit einem Land konfrontiert, dessen Bewohner zu mehr als vier Fünfteln Bauern waren. Der russische Bauer, meist Analphabet und den patriarchalischen Strukturen des Dorfes verhaftet, stand der Utopie vom „neuen Menschen“ diametral entgegen. In ihm sahen die Bolschewik! den Träger von Kleinbürgerlichkeit, Religiosität und Besitzstreben. Um in der Bauernschaft ein sozialistisches Bewußtsein zu schaffen, bedurfte es ihrer radikalen Umformung. Nur so konnten sozialistische Industrie und Planwirtschaft Wirklichkeit werden. Der Bolschewik Wladimir Miljutin schrieb 1919: „Die Individualwirtschaft des Bauern kann keineswegs als Stützpunkt der sozialistischen Industrie dienen. Die organisierte Industrie kann und darf nicht von den Schwankungen des Kleinbesitzes abhängig sein, der heute Rohmaterial für die Industrie liefert, es morgen vorenthält.“

Das Proletariat, das die Bolschewiki als ihre Stütze betrachteten, war eine kleine Minderheit der Bevölkerung Rußlands. 1913 machte es 2, 5 Millionen von 130 Millionen Einwohnern aus. Der russische Arbeiter war zudem noch „halbbäuerlich“, seine Identität bezog er meist noch aus dem Dorf. Die Chancen für einen raschen Übergang der russischen Gesellschaft zum Sozialismus standen also schlecht. Die Bolschewiki betrachteten ihre Partei jedoch als „Avantgarde“ und „soziale Inkarnation der Arbeiterklasse“ -ein ideologischer Kunstgriff, mit dem sie ihre mangelnde gesellschaftliche Verankerung zu kompensieren suchten. Die marxistische Utopie und das Avantgardekonzept der Bolschewiki hatte für ihr Verhältnis zur Gewalt direkte Folgen: War die „Diktatur des Proletariats“ eine vom Lauf der Geschichte bestimmte Notwendigkeit, so konnte man mit dem historischen Recht auf seiner Seite gegen die Feinde der Revolution Vorgehen.

Die Genese der bolschewistischen Gewaltherrschaft wurde auch von den Umständen der russischen Revolution bestimmt: Mit dem Ersten Weltkrieg wurde in Europa zum ersten Mal das moderne Massentöten praktiziert. In Rußland sollte diese Gewalt bis in die zwanziger Jahre nicht abebben. Im Gegenteil: Dem Weltkrieg folgte ein grausamer Bürgerkrieg, der die Gesellschaft bis in die einzelnen Familien in Freund und Feind spaltete. Bolschewistischer „roter“ und antirevolutionärer „weißer“ Terror standen sich in ihrer Menschenverachtung nichts nach. Ziel der Kämpfe zwischen den verschiedenen Kräften, denen Hunderttausende zum Opfer fielen, war die Vernichtung des Gegners; ein Menschenleben zählte nichts mehr. „Der Bürgerkrieg kennt kein geschriebenes Gesetz“, erklärte der Bolschewik Martin Lazis im August 1918 in der Zeitung „Iswestija“. „Alle in den Kämpfen gegen dich verwundeten Feinde abschlachten -das ist das Gesetz des Bürgerkriegs... Im Bürgerkrieg gibt es keine Gerichte für Gegner. Der Kampf geht auf Leben und Tod.“

Für die Bolschewiki war der Bürgerkrieg -nach den Jahren in Exil und Untergrund, in zaristischen Gefängnissen und der Verbannung -die zweite große Schule ihrer Politik. Er war ein Erfolgserlebnis, das Identität und Mythos der heroischen Partei, ihre organisatorischen Strukturen und Methoden der Herrschaftsausübung entscheidend prägte. Während des Krieges weiteten sie ihre Revolution auf das breite Land aus, bauten eine riesige Bürokratie und eine Millionenarmee auf -Organisationen, auf die sie in Krisenzeiten als Ersatz für die fehlende Unterstützung der Bevölkerung bauen konnten Sozialer Fortschritt, das bewiesen in den Augen der Bolschewiki Revolution und Bürgerkrieg, war ohne Gewaltanwendung nicht zu haben. Man setzte diese Gewalt nicht nur gegen den militärischen Gegner ein, sondern gegen den Klassenfeind, gegen Adel und Bourgeoisie, gegen die Mitglieder anderer Parteien wie Sozialdemokraten oder Sozialrevolutionäre, gegen alle Feinde der Revolution.

Eine zentrale Rolle für die Ausübung des Terrors kam dem Geheimdienst Tscheka zu, der „Außerordentlichen Kommission zur Bekämpfung von Konterrevolution“. Sie wurde im Dezember 1917 im revolutionären Petrograd gegründet. Als die Tschekisten im März 1918 mit der Sowjetregierung nach Moskau umzogen, hatte ihr Leiter, der polnische Kommunist Felix Dsershinski, nicht mehr als 120 Mann unter seinem Befehl. Doch schon in den nächsten Monaten erfolgte ein rascher Aufbau der Tscheka-Organe, die nun den „roten Terror“ gegen die Klassenfeinde ausübten. Bis Ende 1921 war der Apparat der Tscheka einschließlich ihrer Sondertruppen auf 143 000 Personen angewachsen Der Geheimdienst war 1918-1921 in Ruß-land zum gefürchteten Unterdrückungsapparat geworden.

Die Fixierung der Bolschewiki auf militärische Problemlösungen zeigte sich auch im Verhalten gegenüber dem Dorf. Seit dem Frühjahr 1918 beschlagnahmte eine „Versorgungsarmee“ das Getreide bei den Bauern, was diese oft der letzten Reserven beraubte und eine verzweifelte Situation schuf, auf die die Landbevölkerung mit Aufständen reagierte.

II. Die friedlichen zwanziger Jahre?

Die zwanziger Jahre galten in der Geschichtsschreibung zur Sowjetunion lange als friedliche, ja goldene Epoche. Doch können sie kaum als einheitliche Periode bewertet werden. Der Bürgerkrieg wurde nach dem Sieg gegen die „weißen“ Truppen gegen die Bauern fortgeführt. Im Frühjahr 1921 hatten die erheblich gesteigerte Getreiderequirierung Bauernaufstände in Südrußland, der Ukraine und in Sibirien zur Folge. Kommunisten und Bauern gingen mit großer Grausamkeit gegeneinander vor. Im Gouvernement Tambow im zentralen Schwarzerdegebiet schlossen sich Anfang 1921 40 000 Mann der Bauernarmee des ehemaligen Sozialrevolutionärs Antonow an. Das Politbüro entschied, die Beschlagnahme der Lebensmittel im Aufstandsgebiet aufzuheben, entsandte jedoch zugleich 100 000 Rotarmisten nach Tambow. In den Dörfern, die sich weigerten, Kämpfer und Waffen preiszugeben, wurden die Bewohner zu Dutzenden als Geiseln erschossen, bis der Widerstand gebrochen war. Die Familien der Aufständischen brachte man in Konzentrationslager. Insgesamt verschleppte man von Mai bis September 1921 über 50 000 Männer, Frauen und Kinder in die neun Konzentrationslager des Gouvernements, viele starben an Cholera oder Typhus oder wurden erschossen, über 20 000 wurden in Arbeits-und Straflager in ganz Sowjetrußland deportiert. Auch vor dem Einsatz von Giftgas gegen die Dörfer im Aufstandsgebiet schreckte man im Sommer 1921 nicht zurück

Von dem emanzipatorischen Anspruch eines sozialistischen Strafsystems war nichts übriggeblieben, wie die mit dem Aufbau der Konzentrationslager betraute Tambower Verwaltung für Zwangsarbeiten bekannte: „Die existierenden Regeln über Zwangsarbeitslager, die vom Zentrum ausgearbeitet wurden, waren für die neuen Lager völlig untauglich. Sie sahen die Schaffung einer Situation für die Gefangenen vor, in der die Verbrecher unter dem Einfluß eines rationalen Arbeitsregimes und einer kulturellen und erzieherischen Arbeit sich moralisch grundlegend verändern und aus Faulenzern und Parasiten zu ehrlichen und nützlichen Bürgern der Republik werden. Die neu gegründeten Lager konnten diese Aufgabe nicht übernehmen.“

Im Laufe des Jahres 1922 flaute der innere Bürgerkrieg ab. Das Land war nach acht Jahren Krieg und Bürgerkrieg erschöpft, eine Hungersnot raffte 1921/22 fünf Millionen Menschen hinweg. Den Bolschewik! gelang es, diese Lage für die Konsolidierung ihrer Macht zu nutzen: Der Hunger brach dem bäuerlichen Widerstand das Rückgrat, zugleich nutzte man ihn als Vorwand, um gegen den letzten ideologischen Gegner, die Russisch-Orthodoxe Kirche, vorzugehen. Man warf ihr vor, sich gegen die angeordnete Konfiszierung der Kirchengüter für die Hungerhilfe zu stellen, verhaftete zahlreiche Priester und verurteilte sie in Schauprozessen. Lenin begründete den Schlag gegen die Kirche zu Zeiten der Hungersnot in einem Schreiben an das Politbüro eindeutig: „Gerade jetzt ist der einzige Moment, in dem wir mit 99 zu 100 Chancen auf einen vollen Erfolg haben, um den Gegner ganz zu zerschlagen .. . Gerade jetzt und nur jetzt, da man in den Hunger-gebieten Menschen ißt und auf den Wegen Hunderte, wenn nicht Tausende Leichen liegen, können (und müssen) wir die Beschlagnahme der Kirchenschätze mit wahnsinniger und unbarmherziger Energie durchführen, ohne vor irgendeinem Widerstand halt zu machen. Gerade jetzt und nur jetzt wird die überwältigende Mehrheit der Bauernmasse entweder für uns oder auf jeden Fall nicht in der Lage sein, die Handvoll erzreaktionärer Geistlicher zu unterstützen.“

Nach 1922 kam es zu einer Erholung des Landes. Die Liberalisierung des Wirtschaftslebens, als „Neue Ökonomische Politik“ proklamiert, begann zu greifen. Politische Zugeständnisse waren damit nicht verbunden. Die Reste der verbotenen sozialistischen Parteien der Menschewiki und Sozialrevolutionäre wurden 1921/22 nach den Anweisungen Lenins von der Tscheka zerschlagen, die Führer der Sozialrevolutionäre 1922 in einem Schauprozeß abgeurteilt In der bolschewistischen Partei selbst waren oppositionelle Gruppen im Frühjahr 1921 durch Lenins „Fraktionsverbot“ kaltgestellt worden. Anfang 1922 wurde allerdings die Tscheka aufgelöst. Für die Isolation politischer Gegner war nach Meinung der bolschewistischen Führung nun Haft oder Verbannung ausreichend. Auch stellte die Unterhaltung des immensen Tscheka-Apparates eine große Belastung für das Staatsbudget dar. Im Februar 1922 beschloß daher das Politbüro die Reorganisation der Tscheka in die „Staatliche Politische Verwaltung“, die GPU. Ihre Kompetenzen wurden erheblich beschnitten, Erschießungen ohne Gerichtsurteil waren der GPU untersagt. Doch bereits wenige Monate später erhielt der Nachfolger der Tscheka einen Teil der früheren Vollmachten zurück. Das Politbüro gewährte der GPU Ende April 1922 das Recht „auf unmittelbare Erschießungen von Banditenelementen am Ort“ Im August ermächtigte man die GPU, Urteile zur Verbannung auszusprechen. Nach der Gründung der UdSSR wurde die GPU Ende 1923 zur „Vereinigten Staatlichen Politischen Verwaltung“ (OGPU). Die Praxis, die Rechte des Geheimdienstes durch Sondervollmachten zu erweitern, blieb bestehen. Ein zentraler Begriff, um die Repressionen zu rechtfertigen, war die „soziale Gefährlichkeit“ eines Individuums. Dieser Terminus fand Anfang der zwanziger Jahre Eingang in die sowjetische Gesetzgebung und legte den Grundstein dafür, daß Verurteilungen auch ohne Nachweis einer Straftat möglich waren. Mit ihrer Gründung erhielt die OGPU das Recht, Mitglieder „sozial gefährlicher“ Bevölkerungsgruppen bis zu drei Jahren in Arbeitslager einzuweisen: Leute „ohne bestimmte Beschäftigung“ waren davon ebenso betroffen wie die Besitzer von Edelmetallen oder Schwarzbrenner Auf dem Weg der Sondervollmachten konnte die OGPU bis 1927 die Machtfülle der Tscheka zurückerobern.

Gegen die Nationen am Rand der UdSSR, die mit Hilfe der Roten Armee sowjetisiert worden waren, ging man noch Mitte der zwanziger Jahre mit Methoden des Bürgerkriegs vor. Dies galt vor allem für den Kaukasus, in dem die Tscheka nicht aufgelöst worden war. In Georgien nutzte man im September 1924 einen Aufstand der Bauern, um die im Untergrund aktiven georgischen Sozialdemokraten zu zerschlagen. Es kam dabei angeblich zur Erschießung von über 12 000 Gefangenen 1925 setzte man die vollständige Entwaffnung der Bevölkerung Tschetscheniens durch. Der Widerstand gegen diese Aktion wurde erst nach der Erschießung zahlreicher Dorfältester und durch Bombardements mehrerer Dörfer gebrochen

Den Methoden des Bürgerkriegs wurde in der „friedlichen Nachkriegszeit“ der zwanziger Jahre nie konsequent abgeschworen. Das Aufrechterhalten einer Bürgerkriegsideologie verhinderte eine Konsolidierung der Gesellschaft. Militarisierungskampagnen trugen dazu bei, die Mentalität der „heroischen Periode“ am Leben zu erhalten. Ab 1926 wurde die „Kriegsgefahr“ angesichts kapitalistischer Einkreisung zu einem Dauerthema der sowjetischen Innenpolitik, im Sommer 1927 traten während einer „Woche der Verteidigung“ Hunderttausende neue Mitglieder in paramilitärische Organisationen ein. Es scheint, daß sich diese Militarisierung „von oben“ auf eine Militanzbereitschaft von Teilen der jungen Generation stützen konnte. Der kommunistische Jugendverband (Komsomol), der in den zwanziger Jahren starken Zulauf erfuhr, kultivierte den Kampf gegen Religiosität und bürgerliche Moral. Für einen Großteil der jungen sowjetischen Generation war der Krieg offenbar zur Lebensform geworden Stalin gehörte zu denjenigen in der Partei, die eine Kultivierung der Bürgerkriegsideologie förderten. Noch im Januar 1925 erklärte er: „Eine vollständige Liquidierung des Bürgerkriegs haben wir noch nicht erreicht, und wir werden sie wohl auch nicht bald erreichen.“

III. Stalins „Revolution“ und die Entstehung des GULag 1928-1932

In den Jahren 1925-1927 beschloß die politische Führung der UdSSR ein ambitioniertes Industrialisierungsprogramm. Um Kapital für den Ausbau der Industrie zu gewinnen, förderte man ab 1926 nicht etwa die aufstrebenden Bauern, wie man es kurz zuvor verkündet hatte, sondern belastete sie mit höheren Steuern und senkte die Preise für Agrarprodukte. Die erfolgreichen Bauern wurden als Ausbeuter und „Kulaken“ (Großbauern im zaristischen Rußland) diffamiert und 1927 vom Wahlrecht ausgeschlossen. Als die Bauern Ende 1927 nicht die erwartete Menge Getreide an den Staat verkauften, ging man mit Gewalt gegen sie vor. Mit der Mobilisierung von 30 000 Funktionären des Partei-, Sowjet-und Justizapparates zu Propaganda-und Repressionsmaßnahmen in den Dörfern setzte Stalin seine Linie durch, nach der man den Aufbau der Industrie „nicht von den Launen der Kulaken abhängig machen“ könne. Der Aufbau der Kolchosen und Sowchosen müsse, „ohne Kräfte und Mittel zu schonen“, vorangetrieben werden Stalin selbst leitete während einer Reise in Sibirien im Januar 1928 die Aktion gegen die „Kulaken“, die man zu Hunderten als „Spekulanten“ vor Gericht brachte. Zugleich wurden Tausende Sowjet-und Parteifunktionäre, die diese Rückkehr zu Methoden der Bürgerkriegszeit nicht unterstützten, als „Saboteure“ ihrer Ämter enthoben.

Im darauffolgenden Jahr wandte man die beschriebenen Methoden erneut gegen die Bauern an. Stalin gelang es, die Gegner dieser Politik im Politbüro (N. Bucharin, M. Tomski, A. Rykow) als Vertreter einer „rechten Abweichung“ von der politischen Führung auszuschalten. Damit hatte sich der Generalsekretär der Partei 1929, zwei Jahre nach dem Ausschluß der linken Opposition um Leo Trotzki und Grigori Sinowjew, als uneingeschränkter Führer durchgesetzt. Mit Stalins 50. Geburtstag im Dezember 1929 wird der Beginn des Stalin-Kults verbunden.

Die geschilderten Repressionen gegen die Dörfer waren nur die Vorboten des umfassenden Angriffs auf die Bauernschaft. Im November 1929 gab Stalin auf dem Kongreß der Agrarier-Marxisten das Signal, die „durchgängige Kollektivierung“ der Landwirtschaft und „den direkten Angriff auf die Kulaken“ zu beginnen. In den ersten Monaten des Jahres 1930 traf eine Welle brutaler Gewalt die Dörfer der UdSSR. Die Bauern wurden gezwungen, auf ihren Besitz an Boden und Vieh zu verzichten und den Kolchosen „freiwillig“ beizutreten. „Kulaken“ wurden enteignet, verhaftet oder einfach von ihrem Hof vertrieben. Um eine bestimmte Quote der Dorfbevölkerung zu enteignen, wurden die Maßnahmen auch gegen mittlere Bauern angewandt. Von der „Entkulakisierung“ waren etwa eine Million Bauernhaushalte mit sechs Millionen Menschen betroffen. Von ihnen wurden bis Ende 1931 über 380 000 Familien -etwa 1, 8 Millionen Menschen -in den Ural und nach Sibirien verbannt. Insgesamt deportierte man bis zum Ende der Kollektivierung 1933 2, 5 Millio-nen Bauern unter fürchterlichen Umständen in sogenannte „Sondersiedlungen“. Viele überlebten den langen Transport in den verschlossenen Güter-waggons nicht, insgesamt kamen beim Transport und in den Ansiedlungsorten etwa 600 000 Personen ums Leben Um diesem Schicksal zu entgehen, hatten sich Ende 1929 Tausende deutscher Kolonisten in der UdSSR nach Moskau begeben, um ihre Ausreise zu erzwingen. Dies wurde jedoch durch die zögerliche Haltung der deutschen Reichsregierung, die die Kolonisten aufnehmen sollte, und den Widerstand der sowjetischen Innenbehörden, die eine Massenauswanderung befürchteten, verhindert. Der größte Teil der deutschen Bauern in der UdSSR teilte daher das Schicksal seiner russischen und ukrainischen Nachbarn

Das rücksichtslose Vorgehen des Geheimdienstes, der Armee und der mobilisierten Arbeiterbrigaden führte zu Protest und aktivem Widerstand der Bauern. Sie schlachteten ihr Vieh ab, legten Brände und griffen die Partei-und Staatsfunktionäre an. Die OGPU registrierte 1930 14 000 Fälle von „Kulakenterror“ und ebenso viele Fälle dörflichen Massenprotests, der oft von den Bäuerinnen angeführt wurde Die Bauern erreichten so 1930 ein zeitweiliges Einlenken des Staates, doch gegen dessen erneuten massiven Angriff 1931 konnten sie sich nicht mehr behaupten. Zehntausende wurden festgenommen und in Gefängnisse und Arbeitslager gebracht. Das ohnehin defizitär wirtschaftende Lager-und Gefängnissystem wurde nun immer kostspieliger. Die OGPU kam den Wünschen der politischen Führung nach einer schnellen Lösung dieses Problems nach: Sie schlug vor, das Lagernetz auszubauen und die Arbeitskraft der Gefangenen an den Großbaustellen des ersten Fünfjahrplans zur Industrialisierung auszunutzen. Damit konnte sich der Geheimdienst bei Stalin gegen die zögerliche Innen-und Justizbehörde durchsetzen, die an den Strafvoll-zugskonzepten der zwanziger Jahre festhalten wollten.

Die Zahl der Insassen in Gefängnissen und Lagern in der UdSSR hatte zwar in den zwanziger Jahren die Höchstzahl im zaristischen Rußland (184 000 Gefangene im Jahre 1912) überschritten, lag aber Mitte der zwanziger Jahre noch unter 300 000. Nur zehn Prozent dieser Gefangenen befanden sich in Lagern und Gefängnissen der OGPU. Bis Anfang der dreißiger Jahre hatte sich die Zahl der OGPU-Gefangenen bereits verzehnfacht. Nach Abschluß der Kollektivierung 1934 gab es insgesamt über drei Millionen Sowjetbürger, die in Lagern, Gefängnissen und Sondersiedlungen der UdSSR ihrer Freiheit beraubt waren. Ein großer Teil von ihnen unterstand der OGPU und ihrer 1930/31 geschaffenen „Hauptverwaltung der Lager“, besser bekannt unter ihrer Abkürzung GULag. Die Gefangenen des GULag wurden an Großbauprojekten wie dem Moskau-Wolga-Kanal und dem Weißmeerkanal eingesetzt, wo Tausende durch die harte Arbeit bei unzureichender Ernährung starben. Die Entstehung des GULag war 1934 in den Grundstrukturen abgeschlossen. Sie stand in direktem Zusammenhang mit der Kollektivierung und dem Beschluß, in großem Umfang Zwangsarbeit einzusetzen

Etwa gleichzeitig mit der Zerschlagung einer unabhängigen Bauernschaft gerieten auch die alten Eliten unter Druck. Die 1928 eingeleitete „Kulturrevolution“ wandte sich gegen die Überreste „bürgerlichen“ und „kleinbürgerlichen“ Denkens, gegen die „Schädlingstätigkeit“ der „bürgerlichen Spezialisten“, die nun von „roten“ Direktoren und Managern ersetzt wurden. Einige Tausend Wissenschaftler und Experten, die ihre Ausbildung noch vor der Revolution erhalten hatten und in den zwanziger Jahren im Regierungsapparat, in Instituten und Hochschulen wichtige Posten bekleideten, mußten sich Überprüfungen unterziehen, wurden entlassen und häufig verhaftet. Der Terror wandte sich nun auch gegen die Funktionsträger des Staatsapparats. Den Auftakt machten im Frühjahr und Sommer 1927 die Gerichtsprozesse gegen Funktionäre der Handelsorganisationen, mit denen die Regierung Sündenböcke für ihre verfehlte Preispolitik präsentierte. 1928 folgte der Schauprozeß gegen die Leitung der Kohlengruben von Schachty im Donezbecken. In den Jahren bis 1932 kam es zur Verurteilung führender Fachleute auf allen Gebieten von Wissen­ schaft und Technik. Man warf ihnen vor, Sabotage betrieben oder sogar oppositionelle Parteien gegründet zu haben, die jedoch allein in den Fiktionen der OGPU existierten. 1930 inszenierte man Schauprozesse gegen die „Industriepartei“, 1931 gegen das „Bundesbüro der Menschewiki“. Die angeblichen Mitglieder einer „Werktätigen Bauernpartei“, unter ihnen bekannte Ökonomen wie N. Kondratjew und Agrarsoziologen wie A. Tschajanow, wurden 1932 von der OGPU zu langen Haftstrafen verurteilt.

IV. Hungersnot und relative Entspannung 1932-1934

Die Stalinsche „Revolution“ zerstörte die traditionellen Lebenswelten des Landes noch nachhaltiger als die Kriegs-und Revolutionszeit der Jahre 1914/17-1922. Der „große Umbruch“ führte zur sozialen Entwurzelung breiter Bevölkerungsschichten. Die sowjetische Gesellschaft wurde, wie der Historiker Moshe Lewin es nannte, zu einer „Flugsandgesellschaft“. Die „Kulaken“, die man nicht deportiert hatte, und viele Kolchosbauern bildeten eine riesige Migrationsbewegung: Von 1929 bis 1933 zogen schätzungsweise zwölf Millionen Menschen vom Land in die Städte, in der Hoffnung, eine Arbeit zu finden und zu überleben. Die überstürzte Industrialisierung brauchte billige Arbeitskräfte. Vielen Bauern gelang in diesen Jahren der soziale Aufstieg in die Arbeiterschaft. Allerdings waren die Arbeits-und Wohnverhältnisse in den Provinzstädten und auf den Großbaustellen katastrophal, das Lebensniveau der Arbeiter lag deutlich unter dem Standard der zwanziger Jahre. Der größte Teil der Bauern (und vor allem der Bäuerinnen) blieb allerdings an das noch ärmlichere Leben in den Kolchosen gebunden.

Der Krieg des Staates gegen die Bauern hatte einen großen Teil der landwirtschaftlichen Produktionsbasis vernichtet und die Versorgungslage der Bevölkerung drastisch verschlechtert. 1932/33 kam es abermals zu einer riesigen Hungersnot. Die Parteiführung entschied, das Getreide unerbittlich zu beschlagnahmen, um die Städte und die Armee zu versorgen und es zu exportieren. Damit nahm sie den Tod von Millionen Bauern billigend in Kauf. Man raubte den Bauern sogar die letzte Möglichkeit, sich zu ernähren: Per Gesetz vom 7. August 1932 „Über den Schutz des Staatseigentums“ sollten alle, die sich auf den Feldern der Kolchosenund Sowchosen ein paar Ähren nahmen, mit zehnjähriger Lagerhaft oder dem Tod durch Erschießen bestraft werden. Nach den Einschätzungen russischer, ukrainischer und westlicher Experten verhungerten 1932/33 sechs bis sieben Millionen Menschen, vor allem in der Ukraine (3, 5-4 Millionen Tote), aber auch im Nordkaukasus (etwa eine Million) und dem Wolgagebiet (500 000). In den Dörfern Kasachstans fielen 1, 8 Millionen Menschen dem Hunger zum Opfer, etwa die Hälfte der kasachischen Bevölkerung

Im Unterschied zur Hungersnot der Jahre 1921/22, als man eine umfangreiche Lebensmittelverteilung durch ausländische Hilfsorganisationen zugelassen hatte, versuchte die politische Führung der UdSSR, die Katastrophe vor der Welt und der eigenen Bevölkerung zu verbergen. Die Bauern durften die Städte nicht betreten, die Hungergebiete wurden abgeriegelt, den Hungernden die Flucht vor dem Tod unmöglich gemacht

Die katastrophalen Folgen von Stalins Politik führten zu Beginn der dreißiger Jahre nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch in der Partei zu Haß und feindlichen Stimmungen gegen den Parteiführer. Stalin ließ 1932/33 erste Prozesse gegen alte Bolschewik! durchführen, die er der Opposition gegen seine Politik verdächtigte. 1934 begann dann eine Phase relativer Entspannung im Leben der Sowjetgesellschaft. Das Schlimmste schien überstanden, eine gewisse ökonomische Liberalisierung wurde zugelassen, die Planziffern des zweiten Fünfjahrplans waren gemäßigter als die des vorangegangenen. Die Versorgungssituation wurde besser, das System der Lebensmittelkarten in den Städten aufgehoben, der Rubel stabilisierte sich. Zugleich hielten „bürgerliche Vergnügungen“ wie Tennis, Jazzmusik oder Foxtrott Einzug in die städtische Kultur. Auf dem 17. Parteikongreß Anfang 1934 konnten ehemalige Führer der Opposition wieder auftreten, auch wenn sie sich den obligatorischen Huldigungen an den „großen Führer“ Stalin unterwerfen mußten. Die Reorganisation der OGPU in eine Hauptverwaltung für Staatssicherheit des Innenkommissariats (NKWD) im Juli 1934 nahm dem Geheimdienst seine zuvor zugestandene Gerichtsfunktion Das Stalinsche „Tauwetter“ dauerte jedoch nicht lange an.

V. Der große Terror 1937-1938

Der sogenannte „Große Terror“ der Jahre 1937 bis 1938 ist das wohl bekannteste Kapitel der stalinistischen Gewaltherrschaft. „ 1937“ wurde zum Synonym für den Stalinschen Terror schlechthin. Nach nun zugänglichen -möglicherweise zu niedrigen -Archivdaten wurden in diesen beiden Jahren 1, 4 Millionen Menschen verhaftet und über 680 000 erschossen

Was waren die Gründe für diese Massenvernichtung und wie wurde die Vernichtungsmaschinerie in Gang gesetzt? Gewöhnlich wird der Beginn des Großen Terrors mit der Ermordung des Leningrader Parteichefs Sergej Kirow am 1. Dezember 1934 in Verbindung gebracht. Daß Stalin diesen Mord befahl, konnte bislang nicht nachgewiesen werden. Ebensowenig scheint die Vermutung zuzutreffen, daß Kirow der Kopf einer gemäßigten Gruppe im Politbüro war Sicher ist jedoch, daß Stalin den Kirow-Mord für eine erneute Verschärfung des innenpolitischen Klimas ausnutzte. Mit dem Datum von Kirows Todestag wurde ein Gesetz erlassen, das die Aburteilung von „Konterrevolutionären“ im Laufe von zehn Tagen ermöglichte. Ein öffentliches Verfahren, das Recht auf Appellation und ein Gnadengesuch wurden aufgehoben, bei Verurteilung zum Tode wurde die Strafe unverzüglich ausgeführt. 1937/38 wurden Hunderttausende auf der Grundlage dieses Gesetzes zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Noch im Dezember 1934 wurden in Leningrad 6 500 Personen als Vergeltung für den Mord an Kirow erschossen. Stalin selbst gab den Befehl, die Mörder unter den ehemaligen Mitgliedern der linken Opposition zu suchen. In mehreren Prozessen im Dezember 1934 und Januar 1935 wurden fast 800 ehemalige Oppositionelle zum Tode oder zu Haftstrafen verurteilt. Zugleich begann man eine Kampagne zur erhöhten Wachsamkeit, die von dem Ritual der „Kritik und Selbstkritik“ in Partei-und Betriebszellen begleitet war. Seit 1933 wurde eine große Parteisäuberung, ab Mai 1935 eine Überprüfung der Parteiausweise aller Mitglieder durchgeführt. Bis Dezember 1935 wurden 219 000 Mitglieder aus der KPdSU ausgeschlossen, 18, 5 Prozent aller Parteiangehörigen. Von ihnen wurden über 15 000 verhaftet. Die Mehrheit der Bevölkerung sah sich von den „Säuberungen“ in der Partei jedoch noch wenig betroffen

Bis Mitte 1936 gab es unter den Funktionären der Partei-und Justizorgane Versuche, eine Ausweitung des Terrors zu verhindern. Doch mit dem ersten großen Schauprozeß im August 1936 gegen die ehemaligen Parteiführer Sinowjew und Kamenew und der Ernennung von Nikolaj Jeschow zum neuen Geheimdienstchef im September hatte Stalin einen neuen terroristischen Kurs eingeschlagen. Bis zum Mai 1937 wurden 350 000 Personen verhaftet. Vom Terror betroffen waren vor allem die politischen und administrativen Eliten des Landes: 70 Prozent der Mitglieder des ZK der KPdSU (98 von 139) fielen ihm zum Opfer, fünf Mitglieder und Kandidaten des Politbüro. Von den Ministern (Volkskommissaren) wurden etwa ein Drittel, von ihren Stellvertretern und den Abteilungsleitern die Hälfte verhaftet oder erschossen. Auch die Hälfte aller Richter und Staatsanwälte wurde entlassen, die meisten von ihnen festgenommen Eine weitere Zielgruppe des Terrors war die Führung der Roten Armee: Gegen sie ließ Stalin im Juni durch ein Sondermilitärgericht einen Prozeß wegen Verrats führen, acht Generäle wurden hingerichtet. Im Gefolge dieses Prozesses wurden 35 000-40 000 Mann des Offizierskorps verhaftet, ein großer Teil von ihnen erschossen. Zwei große Schauprozesse gegen ehemalige Oppositionelle fanden im Februar 1937 (gegen Pjatakow, Radek und 15 weitere Angeklagte) und im März 1938 (gegen Bucharin, Rykow und 19 andere) statt Die Furcht vor Trotzkisten, Spionen, Verrätern, Schädlingen und Volksfeinden nahm die Form einer Massenhysterie an.

Neben dem Schlag gegen die Eliten des Landes wurden ab dem Sommer 1937 auch breite Bevölkerungsschichten vom Terror betroffen -eine Tatsache, die bislang in der Forschung fast unberücksichtigt geblieben ist. Anhand neuer Archiv-dokumente läßt sich die Massenvernichtungsak-tion beschreiben: In ihrem Verlauf wurden in den folgenden 14 Monaten mindestens 700 000 Menschen verhaftet und über 200 000 erschossen Am 2. Juli 1937 verabschiedete das Politbüro einen Beschluß „über die antisowjetischen Elemente“. Darin hieß es, ein großer Teil der Kulaken und Kriminellen sei aus den Lagern und Sondersiedlungen in seine ehemaligen Wohngebiete zurückgekehrt und stifte dort zu terroristischen Verbrechen an. Deshalb wurden alle regionalen Partei-und NKWD-Organe aufgefordert, „alle in die Heimat zurückgekehrten Kulaken und Kriminelle zu registrieren, um die feindlichsten unter ihnen sofort zu verhaften und zu erschießen und die anderen ... in Gebiete gemäß der Anweisung des NKWD zu verbannen“ Für diese Operation wurden in allen Regionen sogenannte „Troiki“ (Dreierkommissionen) gebildet, die aus dem Chef der NKWD-Verwaltung, dem Parteisekretär und dem obersten Staatsanwalt bestanden. Die regionalen Parteisekretäre wurden aufgefordert, unverzüglich die Zahl der zu Erschießenden (soge-nannte 1. Kategorie) und der zu Verbannenden (2. Kategorie) an das ZK zu melden. So teilte der Sekretär des Moskauer Komitees, Nikita Chruschtschow, am 10. Juli 1937 mit, daß in Moskau und im Moskauer Gebiet 8 500 „Kulaken und Kriminelle“ der 1. Kategorie und 44 305 der 2. Kategorie vorhanden seien

Der im NKWD ausgearbeitete Einsatzbefehl wurde am 30. Juli 1937 vom Politbüro gebilligt. Allen Regionen wurden darin „Vernichtungskontingente“ zugewiesen -Planziffern für den Massenmord. Neben Kulaken und Kriminellen waren als „antisowjetische Elemente“ zu verhaften: ehemalige Sozialrevolutionäre, Teilnehmer der Bauernaufstände der Jahre 1919-1922, ehemalige Soldaten der „weißen“ Armeen, Reemigranten, ehemalige zaristische Gendarmen und Beamte sowie ehemalige Mitglieder nationaler Unabhängigkeitsbewegungen. 259 450 Personen sollten nach diesem Einsatzbefehl festgenommen, 72 950 nach einem Schnellverfahren erschossen, die übrigen zu acht bis zehn Jahren Lagerhaft verurteilt werden. Da auch die Familien der Verhafteten ins Lager eingewiesen werden konnten, war eine beträchtliche Erhöhung der Verhaftungszahlen möglich. Zugleich wurde in dem Einsatzbefehl die Möglichkeit eingeräumt, beim Sekretariat des ZK -also bei Stalin und Molotow -zusätzliche Mord-Kontingente“ anzufragen.

In einem Wettlauf bei der Vernichtung der „Volksfeinde“ ersuchten die örtlichen Funktionäre schon seit Ende August 1937 das Sekretariat des ZK, die „Kontingente“ zu erhöhen. Das Politbüro beschloß bis zum 15. Dezember 1937 zusätzliche 22 500 Erschießungen, am 31. Januar 1938 noch einmal 48 000 Exekutionen. Zwischen Anfang Februar und Ende August 1938 wurde die Vernichtung von weiteren 89 750 Menschen sanktioniert. In den Anweisungen aus Moskau wurde häufig nicht mehr zwischen den beiden Kategorien unterschieden, so daß die örtlichen Stellen entscheiden konnten, ob sie alle Verhafteten erschossen oder einen Teil zur Lagerhaft verurteilten.

Wie lief diese unfaßbare Mord-Aktion vor Ort ab? Aus Turkmenistan ist bekannt, daß der örtliche NKWD-Chef, um sein „Kontingent“ zu erfüllen, in der Hauptstadt Aschchabad den Marktplatz abriegeln und die dort Befindlichen nach Belieben verhaften ließ. Ebenso kam es zu wahllosen Festnahmen von Passanten auf der Straße. Die Verhafteten wurden der Konterrevolution beschuldigt und von „Zeugen“ überführt, die in Wirklichkeit Mitarbeiter des Geheimdiensts waren. Die Organe des turkmenischen NKWD verhafteten und erschossen auf diese Weise einige hundert Menschen mehr, als von Moskau „genehmigt“ worden war Das sinnlose Blutbad wurde erst Ende des Jahres 1938 gestoppt. Am 17. November 1938 gab die Führung in Moskau die Anweisung heraus, die Massenverhaftungen einzustellen. Eine Woche später wurde Jeschow als Chef des NKWD durch Lawrenti Beria abgelöst.

Offenbar sah nun auch die Führung ein, daß der Terror ein Ausmaß erreicht hatte, das ihre eigene Position untergrub. Der Zuwachs der Industrieproduktion war 1937 und 1938 stark gesunken. Zugleich mehrten sich Zeichen, daß der Unglaube gegenüber der offiziellen Propaganda und der Haß gegenüber der Führung in der Bevölkerung Zunahmen. Mit der Einsetzung Berias begann eine Säuberungswelle im NKWD. Nachdem Jeschow 1937/38 die Gefolgsleute seines Vorgängers G. Jagoda hatte beseitigen lassen, wurden nun 1939/40 Jeschow und seine Vertrauten angeklagt und erschossen. Für die „Übertreibungen“ bei der Ausübung des Terrors brauchte die Parteiführung Sündenböcke. Insgesamt wurden 1936-1940 über 21 000 NKWD-Kader erschossen

VI. Der Terror gegen nationale Minderheiten 1937-1944

Eine weitere Gruppe, gegen die sich der Große Terror neben den Bauern, den Eliten und den „antisowjetischen Elementen“ richtete, waren die nationalen Minderheiten, deren Herkunftsländer im „kapitalistischen Ausland“ lagen. So gab es 1937/38 eine Reihe von „Sonderaktionen“, die darauf hinweisen, daß der Große Terror zum Teil auch Züge einer ethnischen Säuberung trug. Das Politbüro beauftragte am 20. Juli 1937 das NKWD, alle Deutschen, die in Rüstungsbetrieben arbeiteten, festzunehmen. Am 9. August bestätigte die Parteiführung den Befehl des NKWD „zur Vernichtung der polnischen Terror-und Spionage-gruppen“. Bis Dezember 1937 wurden über 18 000 in der UdSSR lebende Polen verhaftet. Am 15. Januar 1938 übertrug man dem NKWD die Zerschlagung der „konterrevolutionären nationalen Kontingente“: In der Beschlußvorlage hatte das NKWD Polen, Deutsche, Letten, Esten, Finnen, Griechen, Iraner, Chinesen und Rumänen genannt. Das Politbüro befahl dem NKWD, die Aktion auf Bulgaren und Makedonier auszuweiten Vom Terror betroffen waren auch viele ausländische Kommunisten, die vor Hitler in die Sowjetunion geflohen waren. Als Ausländer, Kommunisten und häufig als qualifizierte, leitende Kräfte erfüllten sie gleich mehrere „Opferkriterien“. Viele von ihnen wurden erschossen oder zu Lager-haft verurteilt Im Falle der deutschen Kommunisten war die Moskauer Exil-Führung der KPD selbst in die Organisation des Terrors involviert. Allein zwischen September 1936 und September 1937 schloß das Exil-Politbüro der KPD mindestens 458 „Volksfeinde“ aus der Partei aus -die meisten vor, manche nach ihrer Verhaftung durch das NKWD. Im Jahre 1938 ging man dazu über, diese Ausschlüsse in fliegender Abstimmung zu beschließen Die deutsche Sektion in der Zentrale der Kommunistischen Internationale in Moskau teilte als Erfolgs-und Vollzugsmeldung Ende April 1938 mit, daß mehr als 70 Prozent der KPD-Mitglieder im sowjetischen Exil verhaftet seien. Im gleichen Schreiben hieß es, daß „in der Provinz .. . kein einziger Deutscher mehr in Freiheit ist. In Leningrad bestand die Gruppe deutscher Kommunisten zu Beginn des Jahres 1937 aus 103 Personen, aber im Februar 1938 sind nur noch zwölf übriggeblieben.“ Mehr als tausend verhaftete deutsche Kommunisten wurden nach Abschluß des Pakts zwischen Deutschland und der Sowjetunion in den Jahren 1939 bis 1941 an die Gestapo ausgeliefert.

Nationale Minderheiten in der UdSSR waren auch die Opfer von Terrormaßnahmen durch Deportationen, Sondersiedlungen und die sogenannten Arbeitsarmeen in den vierziger Jahren. Bereits zwischen 1934 und 1939 gab es Umsiedlungen, die im Zusammenhang mit der Vorbereitung auf einen Krieg der „Säuberung der Grenzgebiete“ dienten. „Westliche“ Minderheiten wie Deutsche, Polen, Finnen, Letten, Griechen, Esten, Litauer, Tschechen und Bulgaren waren betroffen. Eine erste großangelegte Deportation wurde 1937 durchgeführt: Im August dieses Jahres beschloß die Parteiführung, die gesamte koreanische Bevölkerung (200 000 Personen) aus dem Gebiet des Fernen Ostens nach Kasachstan und Usbekistan umzusiedeln 1939 begann die systematische Deportation großer ethnischer Gruppen und ganzer Völkerschaften. Mehr als 380 000 Bewohner des sowjetisch besetzten Ostpolens wurden 1939/40 in die UdSSR deportiert.

Die größte Zwangsumsiedlung war mit dem Angriff Deutschlands auf die Sowjetunion verbunden. Von September 1941 bis Februar 1942 wurden unter Einsatz Zehntausender NKWD-Männer und Rotarmisten über 900 000 Rußlanddeutsche in Eisenbahnwaggons nach Sibirien, Kasachstan und Mittelasien verfrachtet. Über 400 000 kamen allein aus dem Gebiet der Wolgadeutschen. Wie die „Kulaken“ wurden die Deportierten als „Sonder-siedler“ behandelt. Sie hatten den Status von Verbannten und unterstanden in den Ansiedlungsgebieten der Aufsicht von Sonderkommandanturen des NKWD. Die arbeitsfähigen männlichen Deutschen wurden seit Ende 1941, die Frauen im Herbst 1942 in die „Arbeitsarmee“ eingezogen. Für die Mehrheit bedeutete dies ein strenges Lagerregime bei Schwerstarbeit. Große Teile der „Arbeitsarmee“ wurden Anfang 1942 dem GULag angegliedert. Im Winter 1942/43 kam es hier zu einem Massensterben. Bis zum Sommer 1944 wurden über 400 000 Deutsche, Finnen und Rumänen in die „Arbeitsarmee“ mobilisiert Nach den Deutschen traf die Politik der Deportationen 1943/44 auch 600 000 Kaukasier und 220 000 Krimtataren. Insgesamt wurden zwischen 1941 und 1948 etwa drei Millionen Menschen deportiert. Mindestens eine halbe Million kam dabei zu Tode

VII. Terrorwellen der späten Stalin-zeit 1945-1953

Mit dem Sieg der Roten Armee über das nationalsozialistische Deutschland erhoffte sich die Bevölkerung der Sowjetunion eine Liberalisierung des politischen Systems. Die Lager des GULag wurden jedoch nicht aufgelöst, sondern 1947 nach Kriterien wirtschaftlicher Effizienz reformiert und ausgeweitet. Die Zahl der Häftlinge in den Lagern und Arbeitskolonien des GULag erreichte mit etwa 2, 5 Millionen Personen 1950-1953 ihren Höchststand. Hinzu kam die gleiche Anzahl von Verbannten (Sondersiedlern) und etwa 300 000 Häftlinge in den Gefängnissen des Landes Ab dem Sommer 1945 sperrte man einen großen Teil der aus Deutschland zurückgekommenen Kriegs-gefangenen (über die Hälfte hatte die Gefangen-schaft in den nationalsozialistischen Lagern nicht überlebt) erneut in nun sowjetische Lager ein. Ähnlich erging es Hunderttausenden von „Ostarbeitern“, die während des Krieges nach Deutschland verschleppt worden waren. Sie wurden nun vom sowjetischen Staat als „Vaterlandsverräter“ noch einmal bestraft. Von über fünf Millionen Repatrianten wurden mehr als 600 000 bis Ende 1945 direkt in Sonderlager des NKWD gebracht, die anderen mußten als Bürger zweiter Klasse ständig Repressalien befürchten.

Ab 1948/49 setzten weitere Terrorwellen ein. Sie glichen in der Suche nach „Volksfeinden“, in den Kampagnen zur „Erhöhung der Wachsamkeit“ und zur „Kritik und Selbstkritik“ in vielem dem Terror der späten dreißiger Jahre, doch waren sie mit weniger Verhaftungen und Todesurteilen verbunden. So wurden zwischen 1945 und 1953 über 585 000 Personen durch den Geheimdienst zu Lager-und Gefängnishaft verurteilt, jedoch „nur“ 12 155 zum Tode. Die Todesstrafe wurde im Mai 1947 abgeschafft, im Januar 1950 jedoch wieder eingeführt Auch kam es nicht wieder zu Schauprozessen, wohl aber zu einer Reihe von „Säuberungen“, die verschiedene Kreise der Partei und Bevölkerung trafen. Zu ihnen gehörte die „Leningrader Affäre“ von 1949 bis 1953. Sie stand im Zusammenhang mit dem Tod des Leningrader Parteiführers Andrej Shdanow 1948 und war zugleich Ausdruck eines Konflikts zwischen dem Machtzentrum Moskau und der „zweiten Hauptstadt“ Leningrad. Die Leningrader Parteiführer und mehrere hundert weitere Funktionäre gerieten in den Sog dieser von Moskau gesteuerten „Säuberung“.

Zur gleichen Zeit begann auch eine antisemitische Kampagne, die sich gegen den „wurzellosen Kosmopolitismus“ richtete. Sie traf tausende jüdische Intellektuelle und Kulturschaffende, die ihren Arbeitsplatz verloren. Zahlreiche jüdische Kultur-einrichtungen wurden geschlossen. Die Mitglieder des zu Kriegszeiten gegründeten „Jüdischen Antifaschistischen Komitees“ wurden verhaftet, im August 1952 wegen angeblicher Spionage für die USA zum Tode bzw. zu Lagerhaft und Verbannung verurteilt. Schließlich berichteten die zentralen Zeitungen im Januar 1953 von der Verhaftung bekannter, meist jüdischer Ärzte. Sie hätten den Tod wichtiger Parteifunktionäre herbeigeführt und Stalin nach dem Leben getrachtet. Das „Ärztekomplott“, das in der Parteiführung schon seit Sommer 1951 vorbereitet wurde, sollte Auftakt einer antizionistischen Terrorkampagne werden, die eine Deportation der jüdischen Bevölkerung vorsah und die nur durch den Tod des kommunistischen „Führers“ verhindert wurde

VIII. Die Reaktion des Westens und der linken Intelligenz auf den Terror

Bereits der frühe bolschewistische Terror fand im Westen entschiedene Kritiker, nicht nur aus dem konservativen Lager, sondern auch aus den Reihen der Linken. Zu ihnen gehörten Anarchisten wie Alexander Berkman und Emma Goldmann, die mit großen Hoffnungen in das revolutionäre Rußland gekommen waren und nach zwei Jahren desillusioniert das Land der Sowjets verließen Der linke Sozialrevolutionär Isaac Steinberg, 1917/18 für einige Monate der erste Justizminister der Sowjetrepublik, verfaßte von 1920 bis 1923 eine fundamentale Kritik des Terrors als der „großen Sünde in unserer Revolution“. Er griff die Massenerschießungen, die Geiselnahmen, die Wiedereinführung der nach der Revolution abgeschafften Todesstrafe und die Gewaltverherrlichung der Bolschewik! an, für die der Zweck die Mittel heilige Den Berichten dieser Autoren und der russischen Emigranten über den Terror der Bolschewik! wurde im Westen aber nur wenig Glauben geschenkt. Viele liberale und linke Intellektuelle waren für den Aufbau der „neuen Gesellschaft“ zu begeistern. In Deutschland trugen die weit verbreiteten Ressentiments gegenüber den Westmächten zur Bewunderung des sowjetischen Experiments bei. Die Faszination durch die Revolution und den Bolschewismus war insgesamt in der Weimarer Republik kaum weniger mächtig als die antibolschewistischen Affekte

Auch die westlichen Reaktionen auf Stalins „Revolution von oben“ in den Jahren 1928 bis 1932 waren von Zurückhaltung geprägt. Auf der diplomatischen Ebene setzte sich die Staatsräson gegenüber Menschenrechtsüberlegungen klar durch. So waren im deutschen Auswärtigen Amt die Rußlandpolitiker zwar enttäuscht, daß ihre Hoffnung, die UdSSR werde sich zu einer bürgerlichen Gesellschaftsordnung entwickeln, geplatzt war. Zur bisherigen Politik sah man aber keine Alternative. Das Vorgehen Stalins gegen die Bauern machte eine Revision der Rußlandpolitik nicht aktuell. „Ein stabiler, aber radikaler Stalin ist besser als ein gemäßigter, aber autoritätsloser X“, erklärte der deutsche Botschafter in Moskau, Dirksen

Die linke und liberale Intelligenz im Westen wurde in den dreißiger Jahren von Seiten der sowjetischen Auslandspropaganda auf bedingungslose Unterstützung der stalinistischen Politik ein-geschworen, um antisowjetische Kampagnen zu begrenzen. Nachrichten über den Terror in der Sowjetunion wurden als übertrieben dargestellt. Sorgfältig vorbereitete Reisen westlicher Intellektueller und deren Publikationen im Westen halfen der UdSSR, ihr ramponiertes Image aufzubessern. So reisten Sidney and Beatrice Webb, Veteranen der sozialistischen Bewegung Großbritanniens, 1936 in die Sowjetunion und lobten sie als „neue Zivilisation“ Wie alle Reisen wichtiger „Multiplikatoren“ aus dem Westen war auch diese von sowjetischer Seite gut vorbereitet worden. Das galt auch für den Besuch des Schriftstellers Lion Feuchtwanger am Anfang des Terrorjahrs 1937. In seinem im gleichen Jahr veröffentlichten Reisebericht pries Feuchtwanger die Zufriedenheit und das Glück der sowjetischen Arbeiter und Bauern, zeigte Verständnis für die „Schauprozesse“, deren absurden Anklagen und Geständnissen er Glauben schenkte, und lobte den schlichten, ehrlichen Stalin, der nichts anderes als die sozialistische Demokratie verwirklichen wolle *Feuchtwanger stand mit diesen Ansichten nicht allein. Nur wenige linke Intellektuelle wie Andre Gide, gegen dessen kritischen Reisebericht Feuchtwanger anschrieb, wandten sich nach einem Besuch in Rußland vom Stalinismus ab. Die große Mehrheit selbst der demokratischen Linken verhielt sich angesichts des Triumphs von Nationalsozialismus und Faschismus blind gegenüber dem Terror des sowjetischen Kommunismus, ja viele stimmten in die großen Gesänge zu Ehren des weisen Stali ein

IX. Die Rolle Stalins

Welche Rolle spielte Stalin im Zusammenhang mii dem Terror? Sicherlich konnte er allein das Terrorsystem nicht per Befehl schaffen. Dazu benötigte er überzeugte und gewaltbereite zehntausende „kleine Stalins“, begeisterte Aktivisten verängstigte oder gleichgültige Denunzianten und Informanten des Geheimdiensts. Und doch wai Stalin mehr als der „primus inter pares“ in der Parteiführung oder der „Oberschiedsrichter“ der Partei, wie es einige Forscher gerne sehen wollen Jede Terrorkampagne wurde zwar „unten“ aufgenommen und ausgeführt, sie kam aber von oben, ausschließlich mit Billigung oder auf Initiative Stalins. Stalin dirigierte die Schauprozesse und gab schon 1930 Anweisungen, welche Geständnisse bei prominenten Verhafteten zu erreichen seien und wer zu erschießen sei

Vom NKWD wurden in den dreißiger Jahren Listen bekannter Personen angefertigt, die durch das Militärkollegium des Obersten Gerichts oder die „Sonderberatung“ des NKWD zu verurteilen waren. Diese Listen wurden Stalin persönlich übermittelt, wobei von ihm die Strafe festgesetzt bzw. gebilligt wurde. Diese bestand entweder aus Erschießung (1. Kategorie), Haft zwischen acht und 25 Jahren (2. Kategorie) oder Haft unter acht Jahren und Verbannung (3. Kategorie). Für die Jahre 1937/38 wurden 383 Listen mit den Namen von 44 000 Parteifunktionären, Armeekommandeuren und Wirtschaftsmanagern gefunden, die an Stalin persönlich übermittelt worden waren. Von diesen Personen wurden 39 000 zur Erschießung bestimmt. Von 383 Listen waren 362 persönlich von Stalin abgezeichnet. 373 Listen waren von Molotow, 195 von Woroschilow, 191 von Kaganowitsch und 177 von Shdanow unterschrieben. Alle diese und andere Parteiführer waren persönlich für die Durchführung von Terroraktionen in Ministerien, der Armee und verschiedenen Regionen des Landes verantwortlich Und doch hing das Terrorregime am „Führer“ selbst. Niemand aus der engsten Umgebung Stalins -selbst nicht ein skrupelloser Mann wie Beria -kam nach dem Tod des „Führers“ auf die Idee, das Land könne weiterhin mit denselben terroristischen Methoden wie zuvor regiert werden. Ohne Stalin konnte der Stalinismus nicht mehr funktionieren.

X. Die Auseinandersetzung über den Terror in der UdSSR und in Rußland

Chruschtschows Geheimrede auf dem 20. Parteitag 1956, in der er mit Stalins Verbrechen abrechnete, eröffnete in der Sowjetunion eine erste Auseinandersetzung mit dem Stalinismus. Sie war ein langwieriger, von vielen Widerständen begleiteter Prozeß. Daß er als Kritik des „Persönlichkeitskults“ vonstatten ging, weist schon darauf hin, daß die Grundlagen des Systems -die kommunistische Ideologie und das Machtmonopol der KPdSU -nicht in Frage gestellt werden durften. Selbst das Wort „Stalinismus“ galt den sowjetischen Parteiführern noch bis 1986 als Begriff der feindlichen westlichen Propaganda. Mit der Absetzung Chruschtschows im Oktober 1964 war auch die Aufarbeitung der Stalin-Zeit zu Ende. Sie geschah ab dann nur noch in illegalen Zirkeln und Schriften durch sozialistische Dissidenten wie den Historiker Roy Medwedjew oder neoslawophile Regimekritiker wie Alexander Solschenyzin. Mit der Perestroika begann in der UdSSR dann ein boomhaftes Interesse an der eigenen Geschichte, das große Kreise der Bildungsschichten erfaßte und von Literaten und Publizisten befördert wurde. Der Versuch der Führung der KPdSU, die Diskussion um die sowjetische Geschichte zugleich auf einem antistalinistischen und proleninistischen Kurs zu halten, also die Parteiherrschaft nicht zu gefährden, war spätestens 1989 gescheitert

War diese Debatte noch eher von den politischen Auseinandersetzungen der Umbruchzeit geprägt, so begann seit 1991 mit der Öffnung der Archive auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Stalinismus. Die Historiker in den GUS-Staaten haben seitdem viele Schlüsseldokumente der Stalin-Zeit veröffentlicht und das Schicksal der Opfer des Stalinismus beschrieben. Wenig ist bislang über die Täter im Stalinismus bekannt. Defizite bestehen auch im methodischen Herangehen. Die in den letzten Jahren in Rußland erschienenen Dokumentenbände, Monographien und Aufsätze stellen die Stalinismusforschung jedoch auf eine neue Quellenbasis. Daß die russischen, ukrainischen oder kasachischen Forscher vor allem erst einmal diejenigen Informationen sammelten, die ihnen jahrzehntelang vorenthalten wurden, kann man ihnen wohl ebensowenig vorwerfen wie den noch unbekümmerten, von früheren ideologischen Auseinandersetzungen geprägten Umgang mit der Totalitarismustheorie.

XI. Versuch einer Bewertung

Sicherlich kann der Stalinismus nicht ausreichend durch den Terror beschrieben werden. Es ist fraglich, ob der Terror allein das Regime an der Macht hätte halten können. Dazu bedurfte es der Unterstützung, der Loyalität, des Glaubens von entscheidenden Teilen der Bevölkerung, von Seiten der Partei-und Komsomolaktivisten, der Wirtschaftsfunktionäre sowie Teilen der Arbeiterschaft. Hinzu kommt, daß der rasche soziale Wandel und auch die „Säuberungen“ vielen die Möglichkeit boten, in der gesellschaftlichen Hierarchie aufzusteigen und sich mit dem System zu identifizieren. Zumindest in der Industrialisierung und im Bildungsbereich wurden unzweifelhaft Erfolge erzielt. Der Terror behält jedoch für die Stalin-Zeit eine so große Bedeutung, daß auch eine sozial-und kulturgeschichtliche Betrachtung des Stalinismus nicht daran vorbeikommt, ihn als ein konstitutives Element einzubeziehen. Tüt sie es nicht, gerät das Bild der stalinistischen Sowjetunion in erhebliche Schieflage. Was aber war das Ziel des Terrors? Welchen Sinn ergab es, Hunderttausende Menschen zu erschießen und Millionen ins Lager zu sperren? War der GULag ein Teil der nachholenden Modernisierung Rußlands, der Terror also nur eine „Zwangsjacke des Fortschritts“, ein „Instrument staatlich forcierter Entwicklungspolitik“, wie ein Autor heute immer noch behauptet? Die Vernichtung von Millionen Menschen ergibt in dieser Interpretation keinen Sinn.

War der Terror ein Instrument zur Konfliktbewältigung und Herrschaftssicherung für ein schwaches Regime, das nicht in der Lage war, andere Wege zu beschreiten? Auch hier sind Zweifel angebracht. Die Stalinsche Parteiführung besaß eine große Sensibilität für die Gefährdung ihrer Herrschaft: Sie schraubte den Terror zurück, wenn sie sich bedroht sah -so 1934 nach der Hungerkatastrophe oder Ende 1938, als der Große Terror die Basis des Regimes vollständig zu untergraben schien. Terrorwellen wurden hingegen in Gang gesetzt, als das Regime sich besonders sicher fühlte (1929-1930, 1936, 1948-1949). Der Terror diente der Vernichtung potentieller Gegner, der Beseitigung alter, als unzuverlässig betrachteter Eliten, der Zerschlagung einer als unbeugsam und unkontrollierbar eingeschätzten Bauernschaft, der

Ausbeutung billiger Arbeitskräfte, schließlich der Bestrafung und Entwurzelung nationaler Minderheiten, die als „fünfte Kolonne“ im Land galten. Eine allgemeine Funktion des Terrors war die Einschüchterung und Disziplinierung der Bevölkerung. Der stalinistische Terror kann insofern -auch wenn er objektiv „irrational und ökonomisch kontraproduktiv“ war -doch in weiten Teilen „im Sinne von Herrschaft funktional“ erklärt werden

Das ganze Ausmaß des Terrors ist jedoch nur im Zusammenhang mit dem Ziel des Stalinismus zu verstehen, die Gesellschaft von allen potentiell feindlichen, selbst unbewußt resistenten und ungläubigen Elementen zu „säubern“. Der stalinistische Terror nahm keine soziale oder weltanschauliche Gruppe aus, sondern traf in seinen verschiedenen Kampagnen die gesamte Gesellschaft von den politischen Eliten bis zu den unteren Schichten. In diesem Sinne war der Stalinismus die totalitäre Diktatur des 20. Jahrhunderts.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Für die westliche Literatur zum Stalinismus vgl. Jörg Baberowski, Wandel und Terror: die Sowjetunion unter Stalin 1928-1941. Ein Literaturbericht, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas, 43 (1995), S. 97-129; zur Forschung in Rußland 1992-1995 vgl. John Keep, Der Stalinismus in der neueren russischen Literatur, in: Neue Politische Literatur, 40 (1995) 3, S. 421-440.

  2. W. P. Miljutin, Sozialismus und Landwirtschaft, Hamburg 1920, S. 37 f.

  3. Iswestija vom 23. August 1918, zit. nach Isaac Steinberg, Gewalt und Terror in der Russischen Revolution (Oktoberrevolution oder Bolschewismus), Berlin 1931, S. 59.

  4. Vgl. Moshe Lewin, The Civil War, in: Diane Koenker/William Rosenberg/Ronald Suny (Hrsg.), Party, State, and Society in the Russian Civil War, Bloomington -Indianapolis 1989, S. 399-423.

  5. Vgl. Lennard D. Gerson, The Secret Police in Lenin s Russia, Philadelphia 1976, S. 26-39; George Leggett, The Cheka: Lenin s Political Police, Oxford 1981.

  6. Vgl. hierzu ausführlicher meine Dissertation: Bauern-politik im proletarischen Staat. Die Bauernfrage als zentrales Problem der sowjetischen Innenpolitik (Freie Universität Berlin, 1995).

  7. Staatsarchiv der Russischen Föderation (weiterhin: SARF) r-393/89/231. Bl. 80.

  8. Iswestija ZK KPSS [Nachrichten des ZK der KPdSU] 4/1990, S. 190-195, hier S. 191.

  9. Vgl. Marc Jansen, A Show Trial Under Lenin. The Trial of Ihe Socialist Revolutionaries, Moscow 1922, The Hague u. a. 1982.

  10. Russisches Zentrum zur Aufbewahrung und Erforschung von Dokumenten der neuesten Geschichte (RZAEDNG -ehern. Zentrales Parteiarchiv der KPdSU) 17/3/290, Bl. 4.

  11. Vgl. SARF 3316/16a/68, Bl. 15.

  12. Vgl. Markus Wehner, Le soulävement georgien de 1924 et la reaction des Bolcheviks, in: Communisme (Les archives: La nouvelle histoire de l’URSS), (1995) 42/43/44, S. 155-169.

  13. Vgl. Istotschnik [Quelle], (1995) 5, S. 140-151.

  14. Dies ist die Arbeitsthese, die ein Forschungsprojekt („Jugend und Gewalt in der Sowjetunion 1917-1932“) an der Universität Jena (Prof. Stefan Plaggenborg) untersuchen will.

  15. So Stalin auf einer Sitzung des Organisationsbüros des ZK. RZAEDNG 17/84/865, Bl. 11.

  16. Josef Stalin, Werke, Bd. 11, Berlin (Ost) 1953, S. 5.

  17. Vgl. Stefan Merl, Das System der Zwangsarbeit und die Opferzahl im Stalinismus, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 46 (1995) 5/6, S. 282-289; I. E. Selenin, „Rewoljuzija swerchu“: sawerschenie i tragitscheskie posledstwija [„Revolution von oben“: Realisierung und tragische Folgen], in: Woprosy istorii [Fragen der Geschichte], (1994) 10, S. 28-42.

  18. Vgl. Markus Wehner/Christoph Mick, Finanzminister Hilferdings Furcht vor ungeheuren Kosten. Wie die deutsche Reichsregierung 1929 die Emigration deutscher Kolonisten aus der Sowjetunion verhinderte, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30. 11. 1995.

  19. Vgl. Viktor P. Danilov/Alexis Berelowitch, Les documents de la VCK-OGPU-NKVD sur la campaigne sovietique 1918-1937, in: Cahiers du monde russe, XXXV (1994) 3, S. 633-682.

  20. Vgl. zu dieser Entwicklung und zu den genannten Zahlen die Studie von Michael Jakobson, Origins of the Gulag. The Soviel Prison Camp System 1917-1934, Lexington 1993.

  21. Die Zahlen bei I. Selenin (Anm. 17), S. 38.

  22. Vgl. Robert Conquest, Ernte des Todes. Stalins Holocaust in der Ukraine 1929-1933, München 1988.

  23. Vgl. Oleg Chlewnjuk, 1937-j: Stalin, NKWD i sowetskoe obschtschestwo [1937: Stalin, der NKWD und die sowjetische Gesellschaft], Moskau 1992, S. 33-45.

  24. Vgl. J. Arch Getty/Gäbor T. Rittersporn/Viktor N. Zemskov, Victims of the Soviel System in the Pre-war Years: A First Approach on the Basis of Archival Evidence, in: American Historical Review, Bd. 98, October 1993, S. 1028. Die genaue Zahl der registrierten Erschossenen der Jahre 1937-1938 (681 692 Personen) läßt vermuten, daß dabei die niedrigeren „Planziffern“ addiert wurden.

  25. Vgl. dazu Stalinskoe Politbjuro w 30-e gody. Sbomik dokumentow [Das Stalinsche Politbüro in den 30er Jahren. Dokumentenband]. Bearbeitet von O. Chlewnjuk u. a., Moskau 1995, S. 90-91. Zu den kontroversen Bewertungen des Kirow-Mordes vgl. J. Arch Getty, Origins of the Great Purges, Cambridge 1985, und Robert Conquest, Stalin and the Kirov murder, Npw York 1989.

  26. Vgl. O. Chlewnjuk (Anm. 23), S. 56-71.

  27. Vgl. ebd., S. 232-233.

  28. Vgl. zu einigen der wichtigsten Prozesse: Schauprozesse unter Stalin: 1932-1952. Aus dem Russischen von Hilde Ettinger u. a., Berlin 1990.

  29. Die weitere Darstellung folgt den Dokumenten, die in den Moskauer Zeitungen Trud [Arbeit] vom 4. 7. 1992 und Moskowskie nowosti [Moskauer Nachrichten] vom 21. 7. 1992 veröffentlicht wurden.

  30. Zit. nach Trud, ebd.

  31. Vgl. Moskowskie nowosti, (Anm. 29).

  32. Diesen Fall schilderte der Moskauer Historiker O. Chlewnjuk kürzlich auf einer Konferenz über den Stalinismus. Vgl. Markus Wehner, Eine Gesellschaft ohne Selbstbild. Die Sowjetunion in den dreißiger Jahren. Neue Wege der Stalinismusforschung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10. 7. 1996.

  33. Vgl. Argumenty i fakty, 43/1989 (28. 10.).

  34. Vgl. Moskowskie nowosti vom 21. 7. 1992.

  35. Das Schicksal vor allem deutscher, österreichischer und Schweizer Kommunisten im sowjetischen Exil ist in den letzten Jahren untersucht worden. Vgl. In den Fängen des NKWD. Deutsche Opfer des Stalinistischen Terrors in der UdSSR, Berlin 1991; Hans Schafranek (Hrsg.), Die Betrogenen. Österreicher als Opfer stalinistischen Terrors in der Sowjetunion, Wien 1991; Hermann Weber/Dietrich Staritz (Hrsg.), Kommunisten verfolgen Kommunisten. Stalinistischer Terror und „Säuberungen“ in den kommunistischen Parteien Europas seit den dreißiger Jahren, Berlin 1993; Peter Huber, Stalins Schatten in die Schweiz. Schweizer Kommunisten in Moskau, Zürich 1994; Brigitte Studer, Un parti sous influence. Le Parti communiste suisse, une section du Komintern 1931 ä 1939, Lausanne 1994.

  36. Vgl. Stiftung Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv, Zentrales Parteiarchiv, I 2/3/82, Bl. 82 ff. Am 25. 7. 1938 schloß die KPD-Führung 158 Parteimitglieder per Rundschreiben aus.

  37. Otetschestwennyj Archiv [Das vaterländische Archiv], (1992) 6, S. 61; Istoritscheskij Archiv [Das historische Archiv], (1992) 1, S. 117-123.

  38. Vgl. Michael Gelb, An Early Soviel Ethnie Deportation: The Far-Eastern Koreans, in: Russian Review, 54 (1995) 7, S. 389-412.

  39. Vgl. dazu den Dokumentenband: Alfred Eisfeld/Victor Herdt (Hrsg.), Deportation, Sondersiedlung, Arbeitsarrnee. Deutsche in der Sowjetunion 1941 bis 1956, Köln 1956; GU-LAG v gody vojny [Der GULAG in den Kriegsjahren], in: Istoritscheskij Archiv, (1994) 3, S. 71.

  40. Vgl. S. Merl (Anm. 17), S. 288 f.

  41. Vgl. J. A. Getty u. a. (Anm. 24), S. 1040; John Keep, Last of the Empires. A History of the Soviel Union, 1945-1991, Oxford 1994, S. 13.

  42. Vgl. J. Keep (Anm. 41), S. 15

  43. Vgl. Arkadi Waksberg, Die Verfolgten Stalins. Aus den Verliesen des KGB, Reinbek bei Hamburg 1993, S. 179-236.

  44. Vgl. Emma Goldmann, Die Ursachen des Niedergangs der russischen Revolution, Berlin 1922; Alexander Berkman, Die russische Tragödie. Ein Rückblick und Ausblick, Berlin 1923.

  45. Vgl. 1. Steinberg (Anm. 3).

  46. Vgl. hierzu Gerd Koenen, Überprüfungen an einem „Nexus“. Der Bolschewismus und die deutschen Intellektuellen nach Revolution und Weltkrieg 1917-1924, in: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte, XXIV (1995): Deutschland und Rußland, hrsg. vom Institut für Deutsche Geschichte der Universität Tel Aviv, Stuttgart 1995, S. 359-391.

  47. Zit. nach Christoph Mick, Sowjetische Propaganda, Fünfjahrplan und deutsche Rußlandpolitik 1928-1932, Stuttgart 1995, S. 416.

  48. „Soviel Communism: a new civilisation“ lautet der Titel des Buches von Sydney Webb (London 1937).

  49. Vgl. Lion Feuchtwanger, Moskau 1937. Ein Reisebericht für meine Freunde, Amsterdam 1937.

  50. Vgl. Andre Gide, Zurück aus Sowjetrußland, Zürich 1937. Zur Verherrlichung der kommunistischen Führer durch linke Intellektuelle vgl. Gerd Koenen, Die großen Gesänge. Lenin, Stalin. Mao Tse-Tung: Führerkulte und Heldenmythen des 20. Jahrhunderts, Frankfurt/M. 1991.

  51. Vgl. J. A. Getty (Anm. 25). Vgl. zur „revisionistischen“ Forschungsrichtung: Hans-Henning Schröder, Stalinismus „von unten“?, in: Dietrich Geyer (Hrsg.), Die Umwertung der sowjetischen Geschichte, Göttingen 1991, S. 133-166.

  52. Vgl.seine Briefe an Molotow, in: Pis’ma I. W. Stalina W. M. Molotowu, 1925-1936gg. [Briefe I. W. Stalins an W. M. Molotow 1925-1936], Moskau 1995, S. 211, 216.

  53. Diese Angaben stammen aus einem 1988 angefertigten Bericht für das ZK der KPdSU. Vgl. Westnik Archiwa Presidenta Rossijskoj Federazii, in: Istotschnik, (1995) 1, S. 123-130.

  54. Zur Geschichtsdebatte der Perestroika-Zeit vgl. Markus Wehner, Auf der Suche nach „Wahrheit“? Zum polemischen Streit sowjetischer Historiker und Publizisten über die 1920er Jahre und die Ursprünge des Stalinismus, in: Osteuropa, (1990) 12, S. 1129 -1144; D. Geyer (Anm. 51); Robert Davies, Perestroika und Geschichte. Die Wende in der sowjetischen Historiographie, München 1991.

  55. Vgl. Gerhard Armanski, Maschinen des Terrors. Das Lager (KZ und GUlag) in der Moderne, Münster 1993.

  56. H. -H. Schröder (Anm. 51), S. 164.

Weitere Inhalte

Markus Wehner, Dr. phil., M. A., geb. 1963; Osteuropa-Historiker und Publizist; Studium der Osteuropäischen Geschichte, Politologie und Slawistik in Freiburg i. Br., Moskau und an der FU Berlin. Veröffentlichungen zur sowjetischen Geschichte der zwanziger Jahre, zum Stalinismus, zur Geschichte der Kommunistischen Internationale, zur Geschichtsdebatte und Archivpolitik in Rußland seit der Perestroika; zuletzt: Bauernpolitik im „proletarischen Staat“. Die Bauernfrage als zentrales Problem der sowjetischen Innenpolitik 1921-1928 (i. E.).