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Russlands Politik gegenüber der OSZE: Erwartungen und Entwicklungen | OSZE | bpb.de

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Russlands Politik gegenüber der OSZE: Erwartungen und Entwicklungen

Elena Kropatcheva

/ 9 Minuten zu lesen

Trotz allgemeiner Enttäuschung ist die OSZE für Russland mit der Ukrainekrise wieder wichtiger geworden. Sie bildet eine der wenigen Plattformen für die Aufrechterhaltung des Dialogs mit dem Westen. Außerdem kann Russland hier seine Forderungen hinsichtlich des Umbaus der europäischen Sicherheitsordnung artikulieren.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow spricht am 09.12.2016 in den Messehallen in Hamburg auf einer Pressekonferenz am Rande der Sitzung des OSZE-Ministerats. (© picture-alliance/dpa)

Russlands OSZE-Politik spiegelt das Auf und Ab seines Beziehungen zum Westen und alle damit verbundenen Hochzeiten und Krisen wider. Das Hauptproblem besteht darin, dass der Westen die Herausforderung, wie man Russland nach dem Zerfall der Sowjetunion in die europäische Kooperations- und Sicherheitsordnung einbindet, nicht bewältigt und oft schlicht ignoriert hat. Nun sucht Russland – sozusagen auf eigene Faust – den Platz, der ihm nach eigenem Ermessen als Großmacht zukommt.

Unerfüllbare Hoffnungen und große Erwartungen am Anfang

Die russische OSZE-Politik steht sichtbar in der Tradition der Sowjetunion, die zu den Initiatoren der Vorläufer der Organisation gehört. 1975 war die UdSSR maßgeblich an der Initiierung der KSZE beteiligt. Die UdSSR und ihre osteuropäischen Verbündeten wollten damit den für sie vorteilhaften territorialen Status quo in Europa festigen, ihre eigene Position stärken, den "Kalten Krieg" entschärfen, die Beziehungen zu den westlichen europäischen Staaten auszubauen und die Rolle der USA auf dem europäischen Kontinent schwächen.

Der Westen setzte hingegen von Anfang an darauf, die Sowjetunion und ihre Verbündeten durch einen engen politischen Dialog und verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit auf die Einhaltung der Menschenrechte und die völkerrechtlichen Grundsätze der Souveränität der Staaten und der Nichteinmischung zu verpflichten. So sollten einerseits die Spielräume für oppositionelle Kräfte im Innern der Sowjetunion und ihrer Verbündeten erweitert und andererseits Moskau davon abgehalten werden, etwaige Demokratisierungsprozesse durch militärische Interventionen zu ersticken, wie dies bereits in der Vergangenheit mehrfach geschehen war. Ziel des Westens war die Veränderung des territorialen Status quo durch die Förderung eines friedlichen Regimewandels.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 war die KSZE für Russland eine wichtige Plattform, um seine neue Kooperationsbereitschaft unter Präsident Boris Jelzin unter Beweis zu stellen. Doch die Erwartungen Russlands, dass sich die NATO bald auflösen und sich die KSZE zur wichtigsten Sicherheitsorganisation mit echten Entscheidungsbefugnissen in Europa entwickeln würde, erfüllten sich nicht. Die westlichen Staaten hatten andere Vorstellungen. Sie setzten auf die Erweiterung der NATO und der EU, um die Einigung Europas voranzutreiben. Russland wurde dabei immerhin die Rolle eines strategischen Partners zuerkannt.

Moskau reagierte 1993-1994 mit ersten Reformvorschlägen. Diese und alle folgenden Initiativen zielten darauf ab, die Rolle der KSZE/OSZE als Sicherheitsorganisation und damit auch die eigene Rolle in Europa zu stärken. Die meisten russischen Reformvorschläge wurden von den NATO- und EU-Staaten abgelehnt, die nicht die OSZE, sondern ihre eigenen Integrations- und Sicherheitsstrukturen weiterentwickeln wollten.

Marginalisierung der OSZE in der russischen Außenpolitik – von den 1990er Jahren bis zur Ukrainekrise

Die Kosovo-Krise 1999, die schrittweise Osterweiterung von NATO und EU sowie die lauter werdende westliche Kritik an Russland wegen seines Vorgehens im zweiten Tschetschenienkrieg (1999), aber auch Rückschritte bei der Demokratisierung innerhalb Russlands, insbesondere seit Wladimir Putin an die Macht gekommen war (1999), führten dazu, dass Russland die OSZE zunehmend als unwirksam kritisierte und sie sogar als "vulgäres Instrument" des Westens bezeichnete.

Als Reaktion fördert Russland seit 2000 aktiv eigene Integrations- und Sicherheitsstrukturen, so zum Beispiel die "Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit" (OVKS). Seitdem nutzt Russland die Unterstützung durch diese Staatengruppe, um seine Position innerhalb der OSZE zu stärken und um seine Isolation zu vermeiden.

Russlands Bewertung der OSZE verschlechterte sich auch dadurch, dass das Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte der OSZE (ODIHR) die pro-westlichen "farbigen Revolutionen" in Georgien (2003), der Ukraine (2004) und in Kirgisistan (2005) unterstützte. Russland betrachtete die durch massive Wahlfälschung ausgelösten Revolutionen als vom Westen organisierte Umstürze, die das Ziel hätten, russlandfreundliche Regime durch Moskau feindlich gesonnene, prowestliche Regime zu ersetzen. Der Krieg zwischen Russland und Georgien von 2008 verschlechterte die Beziehungen weiter.

Daraufhin verweigerte Moskau 2007-2008 die Beobachtung der russischen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen durch ODIHR; 2007 suspendierte Russland seine Teilnahme am KSE-Vertrag. Insgesamt verlor die OSZE allmählich ihre Relevanz – nicht nur in der russischen Außenpolitik, sondern auch für den Westen und für die gesamte europäische Sicherheitsarchitektur.

Die Versuche, den Geist der Zusammenarbeit in Europa wieder zu beleben, insbesondere nach der Kosovo-Krise auf dem OSZE-Gipfeltreffen von Istanbul (1999) und nach dem russisch-georgischen Krieg 2008 auf dem Gipfeltreffen von Astana (2010), führten zwar zu vielversprechenden gemeinsamen Erklärungen der Mitgliedsstaaten, echte Veränderungen blieben jedoch angesichts der sich zuspitzenden Spannungen zwischen Ost und West stecken.

Die Liste der gegenseitigen Vorwürfe und Anschuldigungen ist lang und kann hier nicht näher behandelt werden (z.B. von russischer Seite: die Osterweiterungen der EU und der NATO, die westlichen Raketenabwehrpläne und der Umstand, dass Russland von vielen wichtigen Entscheidungen ausgeschlossen wird, Bruch des Völkerrechts durch den Westen durch die Kosovo-, Irak- und Libyen-Intervention; von der Seite des Westens: das russische Vorgehen in beiden Tschetschenienkriegen und im russisch-georgischen Krieg, Menschenrechtsverletzungen und die zunehmend autoritären Entwicklungen in Russland. Sicherlich tragen beide Seiten – Russland und der Westen – Verantwortung dafür, dass die OSZE als Organisation, aber auch als die Verkörperung des Dialogs und der Zusammenarbeit allmählich marginalisiert wurde. Die weiter bestehende Kooperation konzentrierte sich vor allem auf weniger wichtige Sicherheitsprobleme (sog. soft security), während in "harten" Sicherheitsfragen weiterhin eine Ost-West-Blockmentalität und Misstrauen vorherrschten.

Die russische Haltung zur OSZE seit der Ukrainekrise (2014)

Heute wird die OSZE in Moskau als eine westlich dominierte Organisation angesehen, in der Russland marginalisiert wird. Wie die beiden russischen Autoren Mark Entin und Jekaterina Entina schreiben, will der Westen "Russland aus dem europäischen Raum ausschließen, aber weder heute noch in der Zukunft wird Russland auf seine Präsenz in Europa und den Einfluss auf sein Schicksal verzichten."

Deshalb fordert Russland seit 2008 Verhandlungen über einen neuen Sicherheitsvertrag für Europa. Dieser Vertrag soll helfen, die Aufnahme weiterer Länder in die NATO zu stoppen, Russland in Entscheidungen über Fragen der europäischen Sicherheit stärker einzubinden und zur Anerkennung Russlands als gleichberechtigte Großmacht mit strategischen Interessen im post-sowjetischen Raum beitragen. Russland will keine neue, sondern eine modifizierte Sicherheitsordnung, in der die alten Institutionen (vor allem die UNO, aber auch die OSZE und der NATO-Russland-Rat) wieder eine größere Rolle spielen und alle Staaten die besonderen Interessen Russlands als Großmacht akzeptieren.

Dass die OSZE auch für Russland relevant bleibt, zeigte sich im Laufe der Ukrainekrise. Als die Spannungen zwischen Russland und dem Westen zunahmen und es schien, dass es keine Aussicht auf Kompromisse gab, stimmte Moskau der Entsendung einer OSZE-Beobachtermission in die Ukraine zu. Ein wichtiger Grund war offenbar, dass es ansonsten kaum noch Kanäle gab, über die Russland und der Westen miteinander kommunizieren konnten. (Siehe auch: Interner Link: Die OSZE und der Ukraine-Konflikt: erste Lehren für das Krisenmanagement)

Die "wichtigste Aufgabe" der OSZE sieht Russland darin, dass sie "wieder zum einmaligen Forum für einen gleichberechtigten und gegenseitig respektvollen Dialog und für kollektive Beschlussfassung über akute Fragen der regionalen Sicherheit wird". Diese Rolle könnte weder die EU noch die NATO ausfüllen. Aus russischer Sicht bleiben aber die längst geforderten Reformen unverzichtbar, z.B. eine rechtlich bindende OSZE-Charta, strengere Kontrolle der Tätigkeit der OSZE-Institutionen, ein Gleichgewicht zwischen den drei Dimensionen der OSZE (mit der Betonung, dass die OSZE keine reine Menschenrechtsorganisation sein dürfe und die politisch-militärische Dimension der OSZE gestärkt werden müsse) sowie ein stärkerer Fokus der OSZE-Tätigkeit auf die Probleme in den westlichen Staaten.

Eine Reform der OSZE sowie die Stärkung der Mechanismen der Konfliktprävention, Rüstungskontrolle und des Dialogs im Rahmen der OSZE betrachtet Russland im aktuellen Kontext der Situation in der Ukraine als eine Möglichkeit, den Weg aus der heutigen Krise zwischen Russland und dem Westen zu finden. Darüber hinaus ist Moskau durchaus auch an vielen anderen Punkten der OSZE-Agenda interessiert, wie z.B. an der Bekämpfung transnationaler Bedrohungen (Maßnahmen gegen Menschen-, Drogen- und Waffenhandel sowie der Terrorismusbekämpfung, u.a. an den Grenzen zu Afghanistan).

Gegenwärtig ist die OSZE ständig in den russischen Medien und in den Äußerungen von offiziellen Vertretern präsent. Russland appelliert an die OSZE, die Rechte der russischsprachigen Bevölkerung in der Ukraine zu schützen sowie die ukrainische Regierung dahingehend zu beeinflussen, dass sie ihre Verpflichtungen aus dem "Minsk-Abkommen" erfüllt. Russland fordert darüber hinaus die OSZE auf, das Problem der Staatenlosigkeit russischstämmiger Bürger in den baltischen Staaten zu lösen, die religiösen Minderheiten zu schützen sowie Maßnahmen gegen den aggressiven Nationalismus in Europa zu ergreifen.

Zusammenfassend nutzt Russland die OSZE vor allem, um seine Außenpolitik zu legitimieren, um für Moskau wichtige Themen auf der europäischen Bühne anzusprechen und insbesondere, um auf Probleme in westlichen -Mitgliedsstaaten der OSZE aufmerksam zu machen. Die OSZE gilt aus russischer Sicht insgesamt als nützlich. Das zeigen auch die positiven Reaktionen Moskaus, z.B. auf die Wiederaufnahme von Verhandlungen über Transnistrien, die Berufung von Wladislaw Grib (Russland) zu einem der drei persönlichen Beauftragten des OSZE-Vorsitzenden für Toleranz und Nichtdiskriminierung, Äußerungen von Außenminister Frank-Walter Steinmeier als OSZE-Vorsitzender über die Bedeutung des Dialogs mit Russland. Ebenfalls mit Wohlwollen registrierte Russland, dass ODIHR die Parlamentswahlen in Russland 2016 weniger kritisch als die früheren beurteilt hat.

Auf der anderen Seite stellt die russische Annexion der Krim weiterhin eine schwere Verletzung des Völkerrechts und der OSZE-Prinzipien dar. Russland und die pro-russischen Rebellen behindern und blockieren in der Ostukraine immer wieder die Arbeit der OSZE-Beobachtermission. Die logistische, finanzielle, militärische und politische Unterstützung der Rebellen durch Russland erschwert die Lösung des Konflikts. Diskussionen in den Gremien der OSZE beschränken sich häufig auf gegenseitige Beschuldigungen.

Literatur

  • Atlantic Council/ European Leadership Network/ Russian International Affairs Council (2015): Externer Link: Managing differences in European Security in 2015. US, Russian, and European Perspectives.

  • Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) (Hrsg.): Externer Link: ">OSZE-Jahrbücher.

  • Kortunov, Andrey (2016): Externer Link: Russia and the West: What does "equality" mean? RIAC 1, November 2016.

  • Kropatcheva, Elena (2015): The Evolution of Russia's OSCE Policy: From the Promises of the Helsinki Final Act to the Ukrainian Crisis, in: Journal of Contemporary European Studies, Vol. 23, No. 1, S. 6-24.

  • Kropatcheva, Elena (2012): Russia and the Role of the OSCE in European Security: A Forum for Dialog or a Battlefield of Interests? In: European Security, Vol. 21, No. 3, S. 370–394.

  • Neukirch, Claus (2015): Die Sonderbeobachtermission in der Ukraine im zweiten Jahr: das kontinuierliche Konfliktmanagement der OSZE in der Ukraine, in: Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) (Hrsg.): OSZE-Jahrbuch 2015, Baden-Baden: Nomos, S. 253-266.

  • Schmidt, Hans-Joachim/ Zellner, Wolfgang (2009):Externer Link: Neue Chancen für konventionelle Rüstungskotrolle in Europa? Friedensgutachten 2009, Münster, Berlin u.a.: Lit-Verlag, S. 226-236.

  • Tanner, Fred (2015): Die OSZE und die Krise in der und um die Ukraine: Erste Lehren für das Krisenmanagement, in: Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) (Hrsg.): OSZE-Jahrbuch 2015, Baden-Baden: Nomos, S.267-277.

  • Zellner, Wolfgang (2005): Russia and the OSCE. From High Hopes to Disillusionment. The Cambridge Review of International Affairs, Vol. 18, No. 3, S. 389–402.

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Dr. Elena Kropatcheva ist seit 2004 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg und beschäftigt sich mit Fragen der russischen Innen- und Außenpolitik, europäischen Sicherheitsordnung und Energiepolitik. 2010 hatte sie zum Thema der Konkurrenz zwischen Russland und dem Westen in Bezug auf die Ukraine promoviert.