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Russland geht gegen NGOs vor

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In einer großangelegten Aktion haben russische Behörden die Büros zahlreicher Nichtregierungsorganisationen (NGOs) durchsucht. Hintergrund ist das im Juni 2012 verschärfte NGO-Gesetz. Das Gesetz ist eine von vielen Maßnahmen, welche die Opposition in Russland unter Druck setzt.

Putin am 12.12.2012 auf der Föderalversammlung im Kreml. (© picture-alliance/AP, Alexander Zemlianichenko)

Die russische Staatsanwaltschaft sowie Steuer- und Justizbehörden haben in den vergangenen Tagen bis zu 2.000 Büros von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) aufgesucht und Kontrollen durchgeführt. Davon betroffen sind unter anderem auch die Menschenrechtsorganisation Memorial, das Moskauer Büro von Amnesty International sowie die Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) und der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS). Bei Kontrollen in den Räumlichkeiten der KAS wurden am heutigen Dienstag (26. März 2013) Computer beschlagnahmt. Laut der Menschenrechtsorganisation Memorial haben die Behörden ihr Vorgehen damit begründet, dass sie geltendes Recht umsetzten.

NGOs müssen sich als "ausländische Agenten" registrieren

Anlass der Durchsuchungswelle war laut russischen Menschenrechtlern ein Auftritt von Präsident Wladimir Putin vor Vertretern des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB ("Föderaler Dienst für Sicherheit der Russischen Föderation"). Dort hatte Putin eine konsequentere Umsetzung des so genannten NGO-Gesetzes gefordert, das im Juni vergangenen Jahres geändert wurde. Das Gesetz stammt ursprünglich aus dem Jahr 2006 und wurde im vergangenen Jahr noch einmal verschärft. Schon bisher unterlagen Organisationen, die aus dem Ausland unterstützt werden, schärferen Kontrollen. Neu ist, dass sich NGOs, die aus dem Ausland finanziell unterstützt werden und politisch aktiv sind, nun in einem speziellen Register geführt werden und sich als "ausländische Agenten" bezeichnen müssen. Wer dies ablehnt, muss mit hohen Geldstrafen rechnen. Auch Haftstrafen sind möglich.

Opposition: Gesetz ist ein Instrument der Einschüchterung

Offiziell heißt es aus dem Kreml, dass mit dem verschärften NGO-Gesetz die Einmischung des Auslands in die russische Innenpolitik reduziert werden solle. Das sehen Menschenrechtsorganisationen allerdings anders: Es gehe darum, "mit den NGOs fertig zu werden", die zu unabhängig geworden seien, so Oleg Orlow von der Menschenrechtsorganisation Memorial gegenüber tagesschau.de. Orlow sieht darin ein Instrument der Einschüchterung. Zudem, so argumentieren andere Kritiker, impliziere die Bezeichnung "Auslandsagent" indirekt den Vorwurf der Spionage - was dem Ansehen vieler NGOs schaden könne. Memorial hatte gemeinsam mit anderen NGOs Anfang Februar Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen das umstrittene "Agentengesetz" eingereicht.

Auch das Auswärtige Amt kritisierte das jüngste Vorgehen gegen NGOs: "Ich bin zutiefst beunruhigt über die massiven Kontrollen von Nichtregierungsorganisationen in Russland. Dieses präzedenzlose und aus meiner Sicht willkürliche Vorgehen schüchtert alle ein, die sich in Russland zivilgesellschaftlich engagieren", so der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning.

Allerdings gibt es in dem Gesetz noch einige rechtliche Unstimmigkeiten, weshalb es bislang auch noch nicht angewandt wurde. Viele Organisationen sehen sich aber in ihrer Existenz bedroht, sollte das Gesetz konsequent angewendet werden. Sie seien gezwungen auf Projekte zu verzichten, sollte die Finanzierung aus dem Ausland wegfallen. In einigen Fällen drohe gar die Schließung.

Opposition unter Druck

Das verschärfte NGO-Gesetz ist eines von mehreren legislativen Maßnahmen, die im vergangen Jahr durchgesetzt wurden und vor allem die Opposition und politische Organisationen im Speziellen in ihrer Meinungsfreiheit und Arbeit einschränken. Im Juni 2012 wurde etwa das russische Versammlungsrecht verschärft. Damit wurde die Organisation und Durchführung von Demonstrationen erheblich erschwert - bei Verstößen drohen hohe finanzielle Strafen.

Weitere repressive Maßnahmen sind regelmäßige Hausdurchsuchungen, etwa bei führenden Köpfen der Proteste gegen Putin im vergangenen Jahr. Regimekritiker müssen zudem mit Hausarrest und Gerichtsverfahren rechnen. Derzeit stehen im sogenannten "Bolotnaja-Verfahren" 18 Regimegegner vor Gericht, die angeblich bei einer Großdemonstration gegen Putin im Mai 2012 beteiligt waren. Ihnen drohen mehrjährige Haftstrafen wegen der "Teilnahme an Massenunruhen".

Auf Druck Moskaus musste die US-Behörde USAID Im Oktober 2012 ihre Arbeit in Russland einstellen. USAID hatte sich sich seit 1991 in Russland engagiert und als wichtiger Geldgeber vor allem regierungskritische Organisationen unterstützt. Das Außenministerium in Moskau begründet den Schritt mit politischer Einmischung: Die russische Zivilgesellschaft benötige keine "Führung von außen".

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