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Status und Aussichten der saudi-arabischen Wirtschaft | Saudi-Arabien | bpb.de

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Status und Aussichten der saudi-arabischen Wirtschaft

Christian Koch

/ 14 Minuten zu lesen

In den vergangenen zehn Jahren profitierte Saudi-Arabiens Wirtschaft von einer Welle des Wachstums. Fraglich ist jedoch, wie lange dieser wirtschaftliche Expansionskurs noch anhält. Trotz aller Aufwärtsdynamik wirft eine Reihe struktureller Faktoren einen Schatten auf die mittel- und langfristigen Aussichten der saudi-arabischen Wirtschaft. Der wichtigste ist die nach wie vor fast völlige Abhängigkeit von Erdöl als zentralem Antrieb für die ökonomische Entwicklung. Diese Abhängigkeit behindert nicht nur einen dringenden wirtschaftlichen Diversifizierungsprozess, sondern macht die saudi-arabische Wirtschaft auch besonders anfällig für die Volatilität des globalen Ölmarktes – eine Tatsache, die mit dem Rückgang des Ölpreises um 20 Prozent seit Juni 2014 erneut deutlich wurde. Weitere Faktoren sind der steigende Energiekonsum im Inland, die innen- und außenpolitisch bedingte starke Erhöhung der Staatsausgaben sowie die zunehmend brisanten Entwicklungen auf dem saudi-arabischen Arbeitsmarkt, der von einer anhaltenden, vor allem die jüngere Generation betreffenden Arbeitslosigkeit sowie von einer fest verankerten Abhängigkeit der Privatwirtschaft von ausländischen Arbeitskräften gekennzeichnet ist.

Die derzeitigen Wachstumserfolge einerseits und die mittel- bis langfristig dringend benötigten Strukturreformen andererseits ergeben ein zwiespältiges Bild der saudi-arabischen Wirtschaft. Das Finanzpolster, das Saudi-Arabien durch Budgetüberschüsse in den vergangenen zehn Jahren anhäufen konnte, ist zwar ausreichend, um kurzfristige Schwankungen durchzustehen. Zugleich sollten Entscheidungsträger im Königreich die Entwicklung der vergangenen Jahre jedoch nicht weiterhin als selbstverständlich erachten. Da ein wirtschaftlicher Rückgang das Risiko innenpolitischer Auswirkungen wie beispielsweise politische Forderungen seitens der Bevölkerung birgt, sieht sich die Herrscherfamilie der Herausforderung gegenüber, auf der ökonomischen Ebene umsetzbare Lösungen hervorzubringen.

Saudi-Arabiens Wirtschaft in Zahlen

Aufgrund eines seit 2003 hohen Ölpreises konnte das Land, in dem sich ein Sechstel der weltweit nachgewiesenen Ölreserven befindet, und das bis September 2014 der weltweit größte Produzent von Erdöl war, massive Haushaltsüberschüsse erwirtschaften und starke wirtschaftliche Wachstumsraten erreichen (siehe Tabelle 1).

Tabelle 1: Wirtschaftsindikatoren Saudi-Arabien

Mit einem BIP von 736 Milliarden US-Dollar 2013 ist Saudi-Arabien zur größten Volkswirtschaft im Nahen Osten herangewachsen und liegt weltweit auf Platz 19. Der Leistungsbilanzüberschuss stieg Ende 2012 auf ein Allzeithoch von 178,5 Milliarden US-Dollar – das entspricht 31,3 Prozent des nominalen BIP. Dank dieser gewaltigen Überschüsse konnte Saudi-Arabien seine Verschuldung, die noch 2003 bei 82 Prozent des BIP lag, bis 2013 auf 2,8 Prozent des BIP senken. Zudem erweiterte es seine ausländischen Vermögenswerte: Ende 2012 wies die Saudi Arabian Monetary Agency (SAMA) einen Wert von 551 Milliarden US-Dollar vor.

Für die kommenden Jahre ist aufgrund dieser Zahlen derzeit noch zu erwarten, dass das saudi-arabische Wirtschaftswachstum auf Basis stabiler Investitionen und Staatsausgaben sowie eines relativ hohen Ölpreises anhält. Das Königreich hat sich in den vergangenen Jahren zudem bemüht, das Investitionsklima im Land zu verbessern, wie beispielsweise durch die Gründung der Investitionsförderungsgesellschaft Saudi Arabian General Investment Authority (SAGIA) als Anlaufstelle für ausländische Investoren 2000, den Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) 2005 und mehrere Anpassungen der Rechtsgrundlage für ausländische Investitionen. 2014 lag Saudi-Arabien auf der Rangliste der Weltbank zur Erleichterung des Investitionsklimas bereits auf Platz 26. Darüber hinaus hat die Regierung ihr Bestreben betont, eine nationale industrielle Basis zu schaffen, in Infrastrukturprojekte zu investieren sowie die Wettbewerbsfähigkeit des Königreichs allgemein zu stärken. Dennoch bestehen grundlegende strukturelle Hindernisse, die bewältigt werden müssen, damit diese Pläne auch umgesetzt werden können.

Erdöl-Abhängigkeit trotz wirtschaftlicher Diversifizierungsbemühungen

Das Erdöl bleibt die tragende Säule der saudi-arabischen Wirtschaft. Zwar stellt der Erdölsektor derzeit nur einen Anteil von rund einem Drittel des BIP dar, auf die Ölexporte entfallen aber 90 Prozent der gesamten Exporterlöse sowie der staatlichen Einnahmen. Zudem spielt das Erdöl eine zentrale Rolle bei der Aufrechterhaltung anderer kritischer Wirtschaftsbranchen wie beispielsweise der Petrochemie, der Stahlerzeugung, der Aluminiumproduktion, der Stromerzeugung und der Wasserentsalzung. Da die Regierung der größte Arbeitgeber und der Schlüsselinvestor der saudi-arabischen Wirtschaft ist, erstreckt sich der Einfluss des Öls mittelbar auf fast alle Wirtschaftssektoren.

Es gibt zwei Aspekte, die berücksichtigt werden müssen, wenn es um die Herausforderungen im Energiesektor geht: zum einen die groß angelegten Subventionen, die die Regierung für die allgemeine Energienutzung durch die eigene Bevölkerung bereitstellt. Allein 2012 gab Saudi-Arabien 25 Milliarden US-Dollar an Subventionen für Benzinpreise aus – mit dem Ergebnis, dass die Bevölkerung mit zwölf US-Cent pro Liter von einem der niedrigsten Kraftstoffpreise der Welt profitiert. In diesen 25 Milliarden US-Dollar sind jedoch nicht die weiteren Subventionen für die Strom- und Wasserindustrie enthalten. Aufgrund des Bevölkerungswachstums und der allgemeinen industriellen Entwicklung ist der Verbrauch in diesen Sektoren jährlich um acht Prozent gewachsen. Tatsächlich verbrennt Saudi-Arabien etwa eine Milliarde Barrel Öl pro Jahr, um ausreichend Strom zu produzieren um der steigenden Nachfrage nachzukommen. Durch seine Subventionspolitik ist das Königreich zum sechstgrößten Pro-Kopf-Energieverbraucher der Welt aufgestiegen. Zusätzlich muss berücksichtigt werden, dass durch den steigenden Ölverbrauch innerhalb des Landes weniger Öl für das lukrative Exportgeschäft bereit steht. Schon jetzt verbraucht Saudi-Arabien ein Drittel seiner gesamten Ölproduktion im Inland, wodurch enorme finanzielle Einbußen und damit Opportunitätskosten entstehen.

Führende saudi-arabische Politiker haben das Problem erkannt und bereits davor gewarnt, dass dieser Zustand nicht aufrechtzuerhalten ist. Es besteht aber kaum Bereitschaft, die tatsächlichen Kosten der Energieerzeugung an die Bevölkerung weiterzuleiten, um so eine Verlangsamung oder sogar einen Rückgang des Verbrauchs zu bewirken. Das Königshaus befürchtet, dass ein Abbau der Subventionen unmittelbare politische Konsequenzen mit sich bringen könnte, da die saudi-arabische Bevölkerung den Zugang zu billiger Energie fast schon als unantastbares Recht ansieht. Auch würde der Industriesektor in seiner Wettbewerbsfähigkeit Einbußen erfahren, hätte er nicht länger Zugang zu preiswertem Rohmaterial für die eigenen Produktionsverfahren.

Um diesem Dilemma aus dem Weg zu gehen, versucht die Regierung durch Investitionen in erneuerbare Energien und den Ausbau von Kernenergie die steigende Nachfrage zu decken. Hier handelt es sich aber um eine längerfristige Strategie, deren Auswirkungen erst in mehreren Jahren zu spüren sein werden. Außerdem erfordert dieser Weg enorme zusätzliche Kapitalinvestitionen, die eine weitere Belastung des Staatshaushaltes darstellen. Das Entscheidende ist, dass es ohne eine Umlage der tatsächlichen Kosten des Energieverbrauchs auf die Bevölkerung keine Veränderung des Verbraucherverhaltens geben wird. Derzeit ist die saudi-arabische Regierung dennoch nicht bereit, diesen Weg einzuschlagen.

Zum anderen könnte die sogenannte Schieferrevolution die zentrale Position des Königreichs als weltweit führenden Energieerzeuger gefährden. Die Vereinigten Staaten haben durch das Schieferverfahren nicht nur enorme Fortschritte in Bezug auf ihre angestrebte Energieunabhängigkeit erzielt, was auch strategische Auswirkungen auf die US-amerikanische Nahostpolitik mit sich bringen könnte. Darüber hinaus haben sich die weltweit ansteigenden Erdöl-Produktionsvolumen auch direkt auf den Ölpreis ausgewirkt.

Der jüngste Rückgang des Ölpreises zwischen Juni und September 2014, der trotz der Krise im Nahen Osten und vor allem in den zwei erdölreichen Staaten Irak und Libyen sowie trotz der Sanktionen gegen die wichtigen Förderländer Iran und Russland zu verzeichnen war, unterstreicht die Umbrüche auf dem internationalen Ölmarkt. Saudi-Arabiens Einfluss auf die weitere Ölpreisentwicklung droht sich zu verringern, das Land sieht seine Rolle als swing producer in Gefahr. Das Königreich kann somit nicht davon ausgehen, dass ein hoher Ölpreis auf unbestimmte Zeit bestehen bleibt. Sogar der Preis von 100 US-Dollar pro Barrel, den Saudi-Arabien in den vergangenen Jahren als angemessen beschrieben hat, ist in den kommenden Jahren nicht mehr unbedingt zu halten. Das Königreich sieht sich also mit einem deutlich unbeständigeren globalen Ölmarkt konfrontiert – eine Entwicklung, die auch bedeutet, dass Saudi-Arabien insbesondere von einem anhaltenden Wirtschaftswachstum in Asien abhängig sein wird, um den Ölpreis einigermaßen stabil zu halten. Sogar ein stagnierender Preis hätte unmittelbare Folgen für den saudi-arabischen Staatshaushalt und damit für die Wirtschaftsentwicklung.

Angesichts der bereits erwähnten Abhängigkeit von Erdöl als Grundpfeiler der saudi-arabischen Wirtschaft haben sich die Bemühungen auf einen breitgefächerten wirtschaftlichen Diversifizierungsprozess konzentriert, um diese Abhängigkeit zu reduzieren und der Wirtschaft eine breitere, solidere Basis zu geben. Ölminister Ali al-Naimi bezeichnete im März 2012 die Diversifizierung weg vom Öl als die größte Herausforderung für sein Land. Um diesen Weg einzuschlagen, hat die Regierung groß angelegte Investitionen in sogenannte Megaprojekte angekündigt, um auf diesem Weg den Privatsektor zu stärken sowie die Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten für junge Saudis zu gewährleisten. Dazu gehören öffentlich-private Partnerschaften in Form von Investitionen in die Infrastruktur und die Errichtung von economic cities, um die Industrialisierung zu fördern. Erste Erfolge sind bereits zu verzeichnen. Die Kombination aus erhöhten staatlichen Investitionen und dem Ausbau des Privatsektors haben zu einem stetigen Anstieg der Nichtölexporte als Teil der Gesamtwirtschaft geführt. Dennoch bleibt das Vorhaben hauptsächlich abhängig von staatlichen Ausgaben. Der Großteil der bereits angekündigten Pläne bleibt bisher jedoch eher Vision als Realität, die tatsächliche Umsetzung kommt nur sehr zögerlich voran. So hat beispielsweise der Bau der sieben economic cities, die gemeinsam 1,5 Millionen Arbeitsplätze schaffen und 170 Milliarden US-Dollar zusätzlich zum BIP des Landes beitragen sollen, kaum begonnen – und es bestehen entsprechende Zweifel, ob diese Vorhaben sich wie geplant realisieren lassen.

Es stellen sich die grundsätzlichen Fragen, ob die wirtschaftlichen Reformen die gewünschte Wirkung zeigen und schnell genug umgesetzt werden, um der im Inland steigenden Unzufriedenheit entgegenzuwirken. Hier besteht die berechtigte Sorge, dass angesichts anhaltender Wachstumsraten die Entschlossenheit der Regierung schwinden könnte, sich auch weiterhin der Umsetzung notwendiger Strukturanpassungen in der Wirtschaft zu verpflichten. Auf dem Papier mögen die angekündigten Bemühungen zur Diversifizierung zwar überzeugen, bei der Implementierung zeigen sich die Verantwortlichen jedoch zögerlich und nicht ausreichend konsequent.

Ungebremste Staatsausgaben

Ein wirtschaftlicher Diversifizierungsprozess ist auch deshalb so wichtig, da die Staatsausgaben in den vergangenen zehn Jahren insbesondere nach dem "Arabischen Frühling" 2011 drastisch angestiegen sind. Um möglichen Reformbestrebungen der eigenen Bevölkerung den Wind aus den Segeln zu nehmen, schnürte die Regierung im Frühjahr 2011 ein umfassendes Ausgabenpaket, das den Bau von 500000 neuen Wohneinheiten, eine Erhöhung des Mindestlohns, des Arbeitslosengeldes sowie der Stipendien für saudi-arabische Studierende im Ausland und eine Gehaltserhöhung für Angestellte des öffentlichen Dienstes um 15 Prozent beinhaltete. In der Summe bedeutete dies einen zusätzlichen Aufwand von etwa 135 Milliarden US-Dollar für den saudi-arabischen Staat.

Zudem hat die Regierung den Ausbau der Infrastruktur im Land als eine der wichtigsten Prioritäten betont und Projekte im Wert von insgesamt über einer Billion US-Dollar angekündigt. Dieser Ausbau ist nicht zuletzt aufgrund des rapiden Bevölkerungswachstums erforderlich und umfasst erhebliche Investitionen wie beispielsweise in den Ausbau des Straßen- und Schienennetzes sowie den Bau weiterer Wasserentsalzungsanlagen, Häfen und Kraftwerke, neuer Schulen und Gesundheitseinrichtungen. Eine weitere Herausforderung ist die Verbesserung der Kapazitäten von Energiedienstleistern, die bereits jetzt an ihre Grenzen stoßen. Eine allgemein bessere Versorgung fordert die Bevölkerung, insbesondere was ausreichend bezahlbaren Wohnraum betrifft, da mehr als 60 Prozent der Bevölkerung kein Privateigentum besitzt.

Infolge dieser Entwicklungen haben sich die Staatsausgaben zwischen 2010 und 2013 um 52 Prozent auf 265,5 Milliarden US-Dollar erhöht. Als direkte Auswirkung dieses Anstiegs benötigt die Regierung einen stetig wachsenden Ölpreis, um den Staatshaushalt auszugleichen. Während die Gewinnschwelle für ein Barrel Öl 2003 noch etwa 35 US-Dollar betrug, lag sie im Juni 2014 bereits bei 97 US-Dollar. Aus diesem Grund hat der Internationale Währungsfonds (IWF) bereits im September 2014 davor gewarnt, dass das Königreich schon im kommenden Jahr ein Haushaltsdefizit erwarten könnte und somit viel früher auf seine angehäuften Budgetreserven zurückgreifen müsste als erwartet. Die Tatsache, dass die Ausgaben weiter steigen, während die Ölpreise aber sinken, sollte ein Warnsignal für die saudi-arabische Regierung sein. Fazit ist: Der Ölreichtum des Königreichs reicht nicht mehr aus, um die derzeitige Ausgabenpolitik kurzfristig weiterführen zu können.

Die höheren Ausgaben beschränken sich aber nicht nur auf innenpolitische Vorhaben. Der Ausbruch des "Arabischen Frühlings" rief bei der Führung in Riad Sorgen um die weitere Entwicklung und Stabilität im Nahen Osten hervor. Um eine mögliche Ausweitung der Umstürze einzudämmen und Länder wie beispielsweise Ägypten, den Libanon und den Jemen zu einer gewissen Stabilität zurückzuführen, hat sie eine großzügige finanzielle Unterstützung bereitgestellt. Offizielle Zahlen zeigen, dass Saudi-Arabien zwischen 2011 und 2014 bereits 22,7 Milliarden US-Dollar an neun seiner arabischen Nachbarstaaten gezahlt hat. Die Zahl ist wahrscheinlich noch viel höher, da beispielsweise Hilfsleistungen zur Bewältigung des syrischen Flüchtlingsproblems, darunter allein zehn Milliarden US-Dollar an das Königreich Jordanien, nicht in die Berechnungen einbezogen sind.

Die finanzielle Hilfe umfasst direkte Zuschüsse, Kreditangebote, eine Unterstützung bei der Stabilisierung von Währungen sowie Auslagen zur Stärkung von bestehenden Institutionen wie beispielsweise der libanesischen Armee. Doch die bislang angekündigten Zahlungen stellen nur den Anfang einer weitaus mittel- und langfristigeren Unterstützung dar, die für eine tatsächliche Stabilisierung dieser Länder benötigt wird. So kann beispielsweise die aktuelle ägyptische Regierung kaum wirtschaftlich überleben, falls nicht noch weitere Finanzmittel in naher Zukunft zur Verfügung gestellt werden. Eine vergleichbare Situation herrscht in Jordanien und dem Libanon, ganz abgesehen von der Unterstützung, die Syrien bei einem Ende des derzeitigen Bürgerkrieges brauchen würde. Ob Saudi-Arabien solche Beträge auf Dauer zur Verfügung stellen kann, ist fraglich.

Potenzielle Zeitbombe Arbeitsmarkt

Die Beschäftigungsaussichten der saudi-arabischen Bevölkerung und insbesondere der jüngeren Generation stellen eine weitere Herausforderung für die Regierung dar. Laut dem saudi-arabischen Central Statistical Office lag die Arbeitslosenquote 2012 bei 12,1 Prozent. Weitaus höher liegt sie jedoch in den jüngeren Altersklassen: Etwa 40 Prozent der 15- bis 25-Jährigen sind arbeitslos. Eine solche Situation hat bereits zu öffentlichen Protestaktionen geführt, wie beispielsweise jener von etwa 200 Absolventen vor dem Bildungsministerium Ende 2010 – eine Entwicklung, die die Regierung unbedingt vermeiden will. Darüber hinaus birgt die hohe Jugendarbeitslosigkeit die Gefahr, dass immer mehr Jugendliche extremistischen Gruppierungen beitreten. Fast zwei Drittel der saudi-arabischen Bevölkerung sind jünger als 24, sodass jährlich Tausende junge Absolventinnen und Absolventen auf den Arbeitsmarkt strömen. Darunter befinden sich auch immer mehr karrierebewusste Frauen. Die Regierung steht daher unter erheblichem Druck, schnell ausreichend Arbeitsplätze zu schaffen, um mit dem Bevölkerungswachstum Schritt zu halten. Schätzungen zufolge werden derzeit jährlich circa 100000 neue Arbeitsplätze allein für die Städte Riad und Jidda benötigt.

Auch müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die eine langfristig breitere Integration saudi-arabischer Staatsangehöriger in den Arbeitsmarkt ermöglicht. Ihr Anteil in der Privatwirtschaft bleibt gering, was mit der im Vergleich zum öffentlichen Sektor niedrigeren Bezahlung sowie den höheren Ansprüchen an berufliche Kompetenz zusammenhängt. Daher bleibt der Privatsektor in Saudi-Arabien abhängig von billigeren Arbeitskräften aus dem Ausland.

Die saudi-arabische Regierung steht trotz jahrzehntelanger Suche nach Lösungen für dieses Problem vor der gleichen Herausforderung. 2011 führte die Regierung das Nitaqat-Programm ein, das Unternehmen positive sowie negative Anreize gibt, mehr Saudis in ihren Betrieben zu beschäftigen. So müssen Unternehmen Strafzahlungen leisten, die die vorgegebene Beschäftigungsquote für Einheimische nicht erfüllen. Auch wurde die Jahresgebühr für die Beschäftigung einer ausländischen Arbeitskraft drastisch erhöht. Infolge einer Kampagne gegen illegale Arbeitsmigrantinnen und -migranten 2013 mussten etwa eine Million ausländische Arbeitskräfte das Land verlassen.

Die Resultate dieser Politik sind dennoch ernüchternd. Zwar hat Nitaqat laut offiziellen Quellen zu einem Anstieg der Beschäftigungsquote saudi-arabischer Staatsangehöriger in der Privatwirtschaft geführt. Es bleibt jedoch unklar, in welchem Ausmaß "Schattenbeschäftigung" vorliegt, bei der Saudis zwar in den Büchern eines Unternehmens als Arbeitskräfte geführt werden, jedoch nicht wirklich im Betrieb tätig sind. Tatsächlich stellt sich die Privatwirtschaft weiterhin gegen die Einstellung von Einheimischen, da diese viel teurer zu beschäftigen sind und eine weniger ausgeprägte Arbeitsmoral als ausländische Arbeitskräfte an den Tag legen. Die bereits angesprochene Kampagne gegen illegale Arbeitsmigranten hatte sogar zur Folge, dass eine Reihe von Unternehmen sich aus bestehenden Projekten zurückzogen oder den saudischen Markt ganz verließen, da sie nicht mehr ausreichend Arbeitskräfte zur Verfügung hatten.

Auch zeigt das Bestreben der Regierung, die Abhängigkeit von ausländischen Arbeitskräften zu verringern, wenig Wirkung. Die Volkszählung im April 2010 zeigte, dass allein im Vergleich zu 2004 die Zahl der Ausländerinnen und Ausländer um 38 Prozent zugenommen hat. Nach wie vor strömen jährlich 1,2 Millionen Ausländer auf den saudi-arabischen Arbeitsmarkt, sodass ihre Dominanz in der Privatwirtschaft bestehen bleibt. Andererseits ist der öffentliche Sektor aber kaum noch in der Lage, saudi-arabische Arbeitskräfte aufzunehmen. So bleibt als einziger Weg zur Verringerung der Arbeitslosigkeit, ihren Anteil in der Privatwirtschaft zu erhöhen. Da die Regierung aber weiterhin nicht imstande ist, die Kosten für eine solche Politik zu tragen, beziehungsweise nicht bereit ist, diese an die eigene Bevölkerung weiterzuleiten, bleibt das Problem ungelöst.

Fazit

Obwohl es der saudi-arabischen Wirtschaft zahlenmäßig betrachtet derzeit gut geht, sieht sich die Führung in Riad aufgrund mangelnder Reformbemühungen in den vergangenen Jahren nach wie vor der Herausforderung gegenüber, ihr Land gegen strukturell bedingte Risiken zu wappnen. Der mangelnden Konsequenz des Königshauses in dieser Situation liegt zu Grunde, dass seine eigene Legitimität eng mit dem unausgesprochenen Gesellschaftsvertrag verbunden ist, demzufolge es für das wirtschaftliche Wohl seiner Untertanen sorgt und diese im Gegenzug auf politische Teilhabe verzichten. Sollte die Familie Al Saud diese Vereinbarung brechen, kann mit verstärkten Forderungen nach einem Zugang zum politischen System seitens der Bevölkerung gerechnet werden, was die Vormachtstellung der Herrscherfamilie infrage stellen würde. Doch um einer anhaltenden wirtschaftlichen Entwicklung willen werden unangenehme Entscheidungen in den nächsten Jahren unvermeidbar sein.

Dr. phil., geb. 1965; Direktor der Gulf Research Center Foundation, 49, Avenue Blanc, 1202 Genf/Schweiz. E-Mail Link: ckoch@grc.net