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Ein Westfälischer Frieden für den Nahen Osten?

Elisabeth von Hammerstein

/ 12 Minuten zu lesen

1648 ist zwar nicht mit 2018 gleichzusetzen, dennoch hält der Westfälische Frieden eine Vielzahl von kreativen Instrumenten, Prinzipien und Mechanismen bereit, die als Inspiration für die Lösung heutiger Konflikte im Nahen und Mittleren Osten Anwendung finden könnten.

Darstellung eines Friedensreiters von zeitgenössischem Flugblatt. (© picture-alliance/akg)

"Die Lösungsuche des Konflikts in Syrien hat inzwischen Ausmaße angenommen, dass ein Vergleich mit dem Dreißigjährigen Krieg in Europa fast schon nicht mehr vermessen ist." Diese Beobachtung von Bundeskanzlerin Angela Merkel teilen nicht wenige Betrachter des Syrien-Konfliktes, der nun schon über sieben Jahre andauert. Auch der Dreißigjährige Krieg zerstörte und verwüstete Städte und Landschaften – 1634 suchten allein in der 15.000-Einwohner-Stadt Ulm 8.000 Flüchtlinge Schutz. Das entspricht prozentual in etwa dem Anteil von Kriegsflüchtlingen im heutigen Libanon. Sieben Prozent der böhmischen und österreichischen Bevölkerung wurden 1620 vertrieben, nachdem die Rebellion niedergeschlagen war. Hungersnöte, Typhus-Epidemien und Plagen kosteten Millionen Menschen das Leben. Etwa ein Drittel der deutschen Bevölkerung, in manchen Gegenden sogar bis zu 60 Prozent, kam um. Millionen von Kindern und jungen Erwachsenen kannten nichts anderes als den Kriegsalltag.

2018 jährt sich der Beginn des Dreißigjährigen Krieges zum 400. Mal, sein Ende – der Westfälische Frieden – zum 370. Mal. Lange galt der Krieg als die "Urkatastrophe der Deutschen", die Erinnerung an ihn war bis zum Ersten Weltkrieg im kollektiven Gedächtnis fest verankert. Heute hingegen spielt der Dreißigjährige Krieg in der politischen Debatte kaum noch eine Rolle. Dabei würde eine genaue Analyse seiner Ursprünge und Strukturen dabei helfen, die gegenwärtigen Konflikte im Nahen und Mittleren Osten, vor allem den Krieg in Syrien, besser zu verstehen.

Historische Parallelen

Worin ähneln sich der Dreißigjährige Krieg und der Krieg in Syrien? Am Anfang beider Konflikte stand ein Aufbegehren des Volkes, es ging dabei um Mitsprache und um die "richtige" Verfassung. Beim Prager Fenstersturz stießen böhmische Adelige am 23. Mai 1618 die Statthalter des habsburgischen Kaisers aus dem Fenster und lösten so einen Bürgerkrieg mit internationaler Beteiligung aus. In Syrien griffen 2011 Demonstrationen gegen Machthaber Baschar al-Assad von einzelnen Städten rasch auf das ganze Land über, die harte Reaktion des Regimes und die Verwicklung weiterer Player führten schließlich zu einem internationalisierten Krieg, der bis heute andauert.

Beide Konflikte wurden beziehungsweise werden durch religiöse Identitäten befeuert: Im Europa des 17. Jahrhunderts standen sich Protestanten und Katholiken gegenüber, im Nahen Osten heute sind es vor allem Sunniten und Schiiten. Da im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation die Religion maßgeblich über den Zugang zu Macht entschied, wurden konfessionelle Identitäten der Katholiken und Protestanten häufig für politische Zwecke instrumentalisiert. Heute heizen religiöse Rivalitäten zwischen Sunniten und Schiiten die bestehenden Konflikte weiter an.

Allerdings war und ist in beiden Kriegen das Ringen um Macht und Einfluss mindestens genauso bedeutend wie der religiöse Wettstreit. Dieser Machtkampf wurde und wird dabei nicht nur zwischen den Herrschenden und der Bevölkerung ausgetragen, sondern erhält – durch das Eingreifen externer Großmächte als Schutzmächte – eine regionale Dimension, die über einzelne Länder hinausgeht: Im 17. Jahrhundert kämpften nicht nur Frankreich und Spanien um die Vorherrschaft auf dem europäischen Kontinent, auch Schweden, die Niederlande und Dänemark beteiligten sich an dem Krieg. In Syrien sind heute Iran, Saudi-Arabien, Russland, die USA, die Türkei und Israel involviert. Der Krieg wird zum Kristallisationspunkt vielschichtiger Interessen, und die Konfliktlinien zwischen den beteiligten Akteuren überlagern sich.

Die Kriege im 17. Jahrhundert, aber auch die heutigen Kriege in Syrien und in der weiteren Region, wurden und werden aber nicht nur von Staaten, sondern auch von zahlreichen nichtstaatlichen Akteuren wie Warlords und Milizen geführt. Davon profitiert eine florierende Kriegswirtschaft, die durch externe Waffenlieferungen und Unterstützung durch Geld und Menschen die Konflikte verlängert. Die Allianzen sind nicht von gemeinsamen Ideologien oder Werten geprägt, sondern können kurzfristig wechseln, wenn die Interessensüberschneidungen mit anderen Partnern größer sind. Es mag irritierend scheinen, dass im Dreißigjährigen Krieg das lutherische Sachsen lange zu den treuen Unterstützern des katholischen Kaisers zählte oder das protestantische Schweden gegen das ebenfalls protestantische Dänemark Krieg führte. Auch mit Blick auf Syrien hat sich das Zweckbündnis zwischen Russland, der Türkei und Iran überraschend zusammengefunden, besonders die Partnerschaft zwischen der Türkei und Russland wirkt zerbrechlich. Die Kurden suchen sich dort Partner, wo sie finanzielle und militärische Unterstützung für einen größtmöglichen Grad an Autonomie erhalten, sei es bei den USA oder auch beim syrischen Regime. Und dass der saudische Kronprinz Mohammed Bin Salman das Existenzrecht Israels anerkennen würde, schien lange undenkbar. Doch dann brachte sie der gemeinsame Erzfeind Iran zusammen.

Tatsächlich handelte es sich beim Dreißigjährigen Krieg nicht um einen, sondern um eine Serie miteinander verschränkter Konflikte. Gemeinhin wird unterschieden in den Böhmisch-Pfälzischen Krieg, den Dänisch-Niedersächsischen Krieg, den Schwedischen Krieg und schließlich den Schwedisch-Französischen Krieg. Alle Kriege waren in einem Knäuel miteinander verbunden, so wie der heutige Krieg in Syrien und im Nordirak weder losgelöst von den Machtkämpfen im Libanon noch von dem israelisch-palästinensischen Konflikt und den Krisen in Jemen und in Libyen gesehen werden kann.

Lassen sich aus dem Westfälischen Frieden, der 1648 nach 30 kriegerischen Jahren Frieden über Deutschland brachte, Lektionen für den Konflikt in Syrien ableiten, dessen Ende weit entfernt scheint?

Lehren aus der Geschichte

Bundeskanzlerin Merkel erinnerte in einer Rede im Mai 2018 daran, dass auch der Westfälische Friede nicht in zwei Monaten ausgehandelt wurde. Es dauerte fast fünf Jahre, bis die Friedensdokumente fertig diskutiert und ausgearbeitet waren. Mit den Verträgen von Münster und Osnabrück gelang es, Lösungen für die unterschiedlichen Konfliktebenen zu finden und die Hegemonialkonflikte von konfessionellen Streitigkeiten und Aufstandsbewegungen zu trennen. Nicht zuletzt deshalb wurde der Westfälische Friede von manchen Zeitzeugen als "Weltwunder" bezeichnet. Das Vertragswerk hält eine Vielzahl von innovativen Instrumenten bereit, die als Inspiration dienen und zu einer Lösung des heutigen Konflikts in Syrien beitragen könnten.

Um die Konflikte zwischen den unterschiedlichen Religionsgemeinschaften zu beenden und eine friedliche Koexistenz der Konfessionen zu ermöglichen, sind ein inklusives gesellschaftspolitisches System und der Schutz religiöser und ethnischer Minderheiten essenziell. Zu den wohl schwierigsten Schritten wird gehören, dass alle Seiten bereit sind, auf die Klärung der religiösen Wahrheitsfrage zu verzichten, wie das 1648 geschah. Die Parteien einigten sich darauf, die Frage nach der religiösen Wahrheit außen vor zu lassen und pragmatische Lösungen für das Zusammenleben von Katholiken und Protestanten zu finden. Die Reichsstände konnten ihre Untertanen nicht mehr zwingen, die Religion zu wechseln, und es wurde eine gestufte Form der Religionsfreiheit gewährt. Ein sogenanntes Normaljahr fror den Status quo der religiösen Besitzstände für das Jahr 1624 ein. Auch wenn das als Lösung für Syrien heute schwer vorstellbar ist, bietet diese Herangehensweise wichtige Ansatzpunkte zur Konfliktbeilegung. 1648 gelang es, religiöse Streitigkeiten auf eine politische Ebene zu übertragen und vor Gericht zu regeln, um emotionale Spannungen zu entschärfen. Durch quasi-paritätische Verhältnisse der beiden Konfessionen im Reichstag und in den Reichsgerichten musste keine Seite mehr fürchten, dass es zu Machtverschiebungen kommen und die andere Seite extrem an Einfluss gewinnen würde.

Nicht nur die Religionsgemeinschaften sahen während des Dreißigjährigen Krieges ihre Sicherheit bedroht. Angst vor der Hegemonie des anderen hatten auch die unterschiedlichen Regionalmächte. Ähnlich ist es heute im Nahen und Mittleren Osten: Iran und Saudi-Arabien sehen den Kampf um die Vorherrschaft in der Region als Nullsummenspiel an. Riad – von US-Präsident Trump im eigenen Selbstbewusstsein bestärkt – beklagt sich darüber, dass Iran seinen Einfluss als regionaler Hegemon vom Elburs-Gebirge über Irak und Syrien bis ans Mittelmeer ausbreitet. Teheran beteuert zwar, die eigene Regionalpolitik sei defensiv ausgerichtet, aber bei einem Blick auf die Präsenz der von Iran gesteuerten schiitischen Milizen in Syrien, im Irak und im Libanon wird deutlich, wie groß das Eskalationspotenzial ist.

Nachdem Trump das Nuklearabkommen zwischen den USA, China, Russland, Frankreich, dem Vereinigten Königreich, Deutschland und der Europäischen Union mit dem Iran aufgekündigt hat, ist die Angst vor einer iranischen Atombombe nicht nur in Europa wieder gewachsen. Andere Nachbarstaaten wie Saudi-Arabien drohen damit, selbst nuklear aufzurüsten, sollte der Iran eine Atomwaffe bauen. Auch Israel betrachtet das forsche Auftreten des Iran schon seit Längerem argwöhnisch; die dauerhafte Militärpräsenz Irans in Syrien ist für Israel nicht akzeptabel. Der Abschuss einer von Teheran gesteuerten Drohne, die Bombardierung iranischer Ziele in Syrien durch Israel und der iranische Vergeltungsschlag haben den Konflikt im Frühjahr 2018 auf eine neue Stufe gehoben. Die ganze Region, aber auch Europa, Russland und die USA sind alarmiert, denn ein direkter Krieg zwischen Iran und Israel würde eine internationale Reaktion erfordern.

Als sei die Interessenlage der Regionalmächte nicht kompliziert genug, heizt die Präsenz externer Akteure den Konflikt weiter an. Während viele Beobachter Moskau zu Beginn der russischen Militärintervention im September 2015 ein "russisches Vietnam" vorhersagten, ist dieses Szenario bislang nicht eingetreten. Russland ist heute eine der wichtigsten Kräfte in Syrien und eine der größten Stützen des syrischen Machthabers Assad, ohne dabei Rücksicht auf Verluste und die verheerenden Folgen für das syrische Volk zu nehmen. Unklar ist, welches Ziel Russland am Ende in Syrien verfolgt und wie lange Moskau bereit ist, nicht zuletzt vor dem Hintergrund des andauernden Ukraine-Konflikts, hohe Kosten auf sich zu nehmen. Auch wenn Washington sich zumindest rhetorisch auf den Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat konzentriert, gleichzeitig jedoch widersprüchliche Signale in Richtung Syrien aussendet, wird ein Interessenausgleich zwischen den USA und Russland sowie ein Arrangement für die Kurden nötig sein, um einen Frieden langfristig haltbar zu machen.

Wie kann es trotz der vielen, meist widersprüchlichen Interessen zum Frieden kommen? Dass die Parteien im Dreißigjährigen Krieg zu Verhandlungen zusammenkamen, lag nicht unbedingt an ihrer Kriegsmüdigkeit, die bei den meisten Kriegsparteien in Syrien trotz gewaltiger Kosten bisher ebenfalls nicht zu erkennen ist. Am Ende erhofften sie sich von einem Frieden mehr als vom Krieg und begriffen, dass die Auseinandersetzung militärisch nicht zu gewinnen war. Eine "dritte Partei", die sich gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges aus erschöpften Reichsständen beider Konfessionen zusammenfand, Druck ausübte, um den Verlauf der Verhandlungen positiv zu beeinflussen, und vermittelnd wirkte, wäre heute auch in Syrien bitter nötig. Der Wunsch nach Frieden, aber auch der Wille, sich auf diplomatisches Neuland zu wagen und möglicherweise große Kompromisse einzugehen, gehörten ebenfalls dazu. Doch eine solche dritte Partei in Syrien zu finden, bleibt schwierig. Die Europäer sind zwar spätestens durch die Massenflucht direkt vom Krieg betroffen, es fehlt ihnen aber an einer gemeinsamen strategischen Herangehensweise und politischem Gewicht, um die Kriegsparteien zum Friedensschluss zu bringen.

Die Verhandlungen zum Westfälischen Frieden haben gezeigt, dass Vertrauen zwischen den Parteien keine Voraussetzung für den Frieden ist. Es geht vielmehr darum, das (subjektive) Bedrohungsgefühl der anderen ernst zu nehmen, die eigenen Interessen offenzulegen, rote Linien zu definieren und so eine gemeinsame, für alle erträgliche Gesamtlösung auszuloten. Nur so kann der Grundstein für ein System kollektiver Sicherheit gelegt werden, das heute so oft im Nahen und Mittleren Osten vermisst wird.

Der Westfälische Frieden schrieb fest, dass alles Unrecht aus dem Krieg vergessen und nicht mehr einzuklagen sein sollte. Eine vollständige Amnestie und Amnesie ist für uns heute unvorstellbar und seit dem Römischen Statut und der Gründung des Internationalen Strafgerichtshofes auch rechtlich nicht mehr möglich. Dennoch gibt es immer mehr Stimmen, die argumentieren, dass der syrische Machthaber Assad trotz der vielen Kriegsverbrechen nach Kriegsende nicht juristisch belangt werden sollte. Die bittere Wahrheit ist: Wer sich Frieden wünscht, muss gleichzeitig bereit sein, schmerzhafte Kompromisse einzugehen, auch wenn es um Gerechtigkeit geht.

Um einen Frieden dauerhaft haltbar zu machen, kann das komplexe System von unterschiedlichen Garantiemächten des Westfälischen Friedens als Inspiration für die Unterhändler in Genf, Wien, Sotschi oder Astana dienen. Denn es waren nicht nur die mächtigsten oder die neutralen, sondern alle Kriegsparteien, die die Verträge unterzeichneten und damit den Frieden garantierten. Die Garantiemächte durften im Fall der Vertragsverletzung militärisch eingreifen, um den Frieden zu sichern. Dabei reichte es aus, wenn nur eine einzige Partei, und zwar egal welcher Größe oder Wichtigkeit, den Vertrag verletzte.

Die Friedensverträge wurden so zu einem wichtigen verfassungsrechtlichen Grundgesetz des Heiligen Römischen Reiches. Jede Seite vermutete, dass eine der anderen Seiten nach der Unterzeichnung des Friedensschlusses wieder zu kämpfen beginnen würde, sobald sich die Lage als günstig erweisen würde. Deshalb war das Versprechen aller, die gesamten Verträge und damit auch diejenigen Beschlüsse zu unterzeichnen, die einen nicht direkt betrafen, so effektiv. Die protestantischen Fürsten erhielten die Zusicherung, dass im Falle erneuter religiöser Unterdrückungen durch Kaiser und Katholiken die "auswärtigen" Garanten Frankreich und Schweden als Schutzmächte intervenieren würden, und dass dies auch rechtlich abgesichert wäre. Frankreich hingegen wusste, dass es sich auf den Beistand der anderen Garanten verlassen konnte, falls der Kaiser gegen den Wortlaut des Friedensvertrages Spanien im Krieg gegen Frankreich helfen würde.

Diese Garantien waren nicht nur wichtige Voraussetzungen dafür, dass überhaupt Frieden geschlossen wurde, sie machten ihn auch so dauerhaft. Sie hielten Kaiser und Fürsten davon ab, eklatante Vertragsbrüche zu begehen, weil alle Seiten sich bewusst waren, dass sonst Frankreich oder Schweden interveniert hätten. Damit überwachten auch die externen Garantiemächte die Machtausübung des Kaisers und der Reichsstände auf ihre Rechtmäßigkeit. Ähnlich müsste auch heute ein Frieden von regionalen und externen Akteuren garantiert werden, und Staaten, die den Krieg in Syrien internationalisiert haben, als Garantiemächte für die Zukunft Syriens in die Pflicht genommen werden.

So wie das Heilige Römische Reich Deutscher Nation im frühen 17. Jahrhundert als "gescheitertes Reich" galt, handelt es sich heute bei Syrien um einen weitgehend gescheiterten Staat. Um Frieden in der Region zu gewährleisten, sollte eine Form von Machtteilung eingeführt werden – in Gestalt einer föderalen Verfassung oder durch andere Dezentralisierungsmaßnahmen. Ein komplexes System von Mechanismen und Institutionen schränkte die Herrschaftsrechte des Kaisers und der Reichsstände ein. Auch wenn heute oft mit dem Westfälischen Frieden die Geburt des souveränen Nationalstaates assoziiert wird, kann man höchstens von einer "konditionalen Souveränität" sprechen. Allerdings stößt die Idee, die staatliche Souveränität einzuschränken, rasch auf Kritik, da das Konzept "konditionaler Souveränität" nicht nur postkoloniale Assoziationen hervorruft, sondern auch zum Anlass genommen werden könnte, über die Verschiebung von Grenzen zu diskutieren.

Deutsche "Soft Power"

Wer Lehren aus der Geschichte zieht, bewegt sich auf dünnem Eis. Dafür ist besonders die deutsche Geschichte mit all ihren Höhen, Tiefen und Irrwegen ein gutes Beispiel. "Wir sind durch die Geschichte nicht determiniert, wohl aber durch sie geprägt", schrieb etwa der Historiker Heinrich August Winkler und führte fort: "Ohne Kenntnis der fortwirkenden Vergangenheit bleibt die Gegenwart ein Buch mit sieben Siegeln. Aus der Geschichte läßt sich keine politische Nutzanwendung von Fall zu Fall ableiten, wohl aber Orientierung gewinnen."

Eine Analyse des Dreißigjährigen Krieges und des Westfälischen Friedens gibt nicht nur Orientierung für die deutsche Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sie kann auch dabei helfen, die Strukturen vieler heutiger Konflikte besser zu verstehen und den Knoten von komplizierten internationalen Bündniskonstellationen zu entwirren. Darüber hinaus bietet der berühmte Frieden von 1648 eine Vielzahl von ungeahnt kreativen und unkonventionellen Friedensinstrumenten, die als Inspiration für Lösungsansätze der heutigen Konflikte dienen können. Der Westfälische Frieden enthielt jedoch keine Zauberformel, die herangezogen werden könnte, um Frieden im Nahen und Mittleren Osten herbeizuführen. Zu behaupten, was vor 400 Jahren in Deutschland und Europa passiert ist, ließe sich schablonenhaft auf die heutige Situation im Nahen und Mittleren Osten übertragen, lässt die unterschiedlichen kulturellen und historischen Kontexte außer Acht und wäre deshalb anmaßend und irreführend. "Der Westfälische Frieden kann uns sicherlich keine Blaupause für den Frieden im Nahen und Mittleren Osten bieten, aber vielleicht, wenn wir genau hinschauen, Instrumente, Methoden und Ideen dafür", sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seinem vorherigen Amt als Außenminister. "Sie müssen wir erkennen oder, wo wir sie noch nicht erkannt haben, herausarbeiten, verfeinern, aktualisieren und dann hoffentlich für die Diplomatie unserer Tage tatsächlich nutzen."

Als solche könnten diese in das Repertoire der deutschen "Soft-Power"-Instrumente wandern, um so vielleicht zu einem friedlicheren Nahen und Mittleren Osten beizutragen.

ist Programmleiterin im Bereich Internationale Politik der Körber-Stiftung in Berlin und leitet das Projekt "Ein Westfälischer Frieden für den Nahen Osten?" E-Mail Link: hammerstein@koerber-stiftung.de