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Von Berlin nach Genf | APuZ 20/1954 | bpb.de

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APuZ 20/1954 Von Berlin nach Genf Die Vollmacht des Gewissens Die Gespräche

Von Berlin nach Genf

G. F. Hudson

Der folgende Aufsatz von G. F. Hudson wurde mit Genehmigung des Verlages der englischen Zeitschrift . THE TWENTIETH CENTURY" (Mai 1954) entnommen.

Es war durchaus angebracht, daß die vor kurzem abgehaltene Außenminister-Konferenz, auf der die deutsche und die österreichische Frage behandelt wurden, in Berlin stattgefunden hat. Es ist nicht weniger angebracht, daß die Konferenz, die über die Angelegenheiten Indochinas zu beraten hat, in Genf stattfindet; nicht, weil Genf in der neutralen Schweiz liegt und der ehemalige Sitz des Völkerbundes ist, sondern weil diese Stadt an Frankreich grenzt und weil die Zukunft Frankreichs mehr als irgend etwas anderes in dieser Konferenz auf dem Spiele steht. Frankreich wird heute von einer politischen Lähmung heimgesucht, die keine Anzeichen einer Heilung aufweist. Die offensichtliche Unfähigkeit des Patienten, einen Entschluß in einer Kernfrage zu fassen, die die Sicherheit seiner Nachbarn entscheidend berührt, ist Anlaß zu ständiger Sorge für die Regierungen dieser Länder. Dazu hat das öffentliche Eingeständnis eines militärischen „Patt“ in dem einzigen ernsten, heißen Krieg, der zur Zeit in der Welt ausgefochten wird, eine Situation herbeigeführt, die nicht nur für andere, an der Verteidigung Südostasiens interessierte Mächte alarmierend ist, sondern die darüber hinaus der Sowjetunion eine höchst willkommene Gelegenheit bietet, Frankreich in seiner Europa-Politik zu erpressen.

Seit dem Sommer vorigen Jahres haben sowjetrussische Diplomatie und Propaganda ihren Schwerpunkt spürbar von Deutschland auf Frankreich hin verlagert. Rückblickend wird ziemlich deutlich, daß es das oberste Ziel der Stalinschen Politik nach dem Sturze Hitlers war, ein besiegtes und demoralisiertes Deutschland für den sowjetrussischen Machtbereich zu erobern. Die sowjetrussischen Bedingungen für eine Wiedervereinigung Deutschlands sollten dadurch erreicht werden, daß man die westlichen Alliierten zwang, Berlin den Pankower Marionetten auszuliefern. Stalin kam einem Erfolg in diesem Unternehmen sehr nahe. Selbst nah dem Fehlschlag der Berliner Blockade schien es noch möglich, daß Westdeutschland durch Versprehen und Drohungen neutralisiert werden könnte, während Ostdeutschland zu einem starken und zuverlässigen kommunistischen Staat ausgebaut wurde. Die westdeutschen Wahlen jedoch, die Adenauer und seiner westlichen Integrationspolitik eine entscheidende Mehrheit brachten, waren ein schwerer Schlag für diese Hoffnung. Gleichzeitig zeigte der ostdeutsche Aufstand vom vergangenen Juni unmißverständlich den Haß der Bevölkerung Ostdeutschlands gegen die kommunistische Regierung, wenn auch dieser Aufstand sich gegen das Eingreifen der sowjetrussischen Streitkräfte nicht durchsetzen konnte. Die Ereignisse der letzten Zeit haben daher dem Kreml ganz klar die tief-eingewurzelte Antipathie der Mehrheit des deutshen Volkes in beiden Zonen gegen die Sowjetunion vor Augen geführt. Dabei sind die Erinnerungen an die Art, wie sich die Russen im Jahre 1945 benommen haben, durch den ständig spürbaren Stahel der Oder-Neiße-Linie sowie durh den beständigen Zwang und die anhaltende Unterdrückung von Seiten des durch die Sowjets aufoktroierten Pieck-Grotewohl-Regimes in der Sowjetzone verstärkt worden.

Während daher Rußland in den Erwartungen, die es auf Deutschland gesetzt hatte, enttäuscht wurde, hat die Entwicklung in Frankreih die Ziele der sowjetrussishen Politik in zunehmendem Masse begünstigt. Der italienishe Kommunismus (mit seinen Nenni-Hilfstruppen) ist zwar innenpolitisch gesehen von einer größeren Bedeutung als die KP Frankreihs, wenn man beide Parteien nah der Zahl ihrer Mitglieder und Wähler vergleiht. Aber die Furht vor Deutschland sowie die Abneigung gegen Amerika führen den Kommunisten in Frankreih Bundesgenossen des Zentrums und der Rehten in der französishen Politik zu, während die italienishen Brüder im System der weltweiten „Fünften Kolonnen“ solhe Bundesgenossen nicht gewinnen können. Tendenzen zum Neutralismus sind im Verlaufe der letzten zwei Jahre, besonders aber seit dem Tode Stalins, zusammen mit der Sehnsuht nah einer Wiederauferstehung der alten französish-russishen Allianz gegen Deutshland und den Träumen von einem Europa ohne amerikanishe Einmishung stark im Wahsen begriffen. Die EVG wurde in erster Linie mit dem Ziel ins Leben gerufen, den französishen Einwänden gegen den Eintritt Westdeutschlands in die NATO als gleihberehtigtes und mit einer militärishen Souveränität ausgestattetes Mitglied zu begegnen. Der in Frankreih rcht populäre Widerstand gegen eine deutshe Wiederbewaffnung, in welher Form auh immer, ist jedoh an einem Punkte angelangt, an dem eine französishe Regierung niht mehr mit Sicherheit auf eine parlamentarische Ratifizierung der internationalen Verträge bauen kann, die es zur Verteidigung Westeuropas abshließt. Infolgedessen wird die Aufstellung einer westdeutshen Armee verzögert, während Frankreih eine Ent-Scheidung über den EVG-Vertrag hinausschiebt, obwohl eine beachtliche Streitmacht in Ostdeutschland bereits existiert, die der Reichswehr der Weimarer Republik an Stärke nicht nachsteht.

Das ewige französische Hin und Her in der Frage der Ratifizierung des EVG-Vertrages würde auf jeden Fall schon für Frankreichs Verbündete in der NATO Anlaß zu Besorgnis und Verärgerung sein, selbst wenn es keine zusätzlichen Komplikationen gäbe. Die kritische Situation der Franzosen in Indochina hat nun aber gerade eine solche zusätzliche Komplikation herbeigeführt, und zwar eine äußerst ernste. Frankreich hat jetzt durch seinen Ministerpräsidenten selber zugegeben, daß es sich nach beinahe sieben Jahren Krieg in Indochina nicht länger der Hoffnung hingeben kann, des Vietminh Herr zu werden und daß es daher zu Verhandlungen bereit ist. Die Sache ist aber nicht ganz so leicht. Wie die Dinge in diesem Krieg nun einmal liegen, können die Franzosen nicht ein-nicht: auf der Stelle treten: wenn sie gedazu,, verlieren sie. Es gehören zwei um in einem Krieg eine Feuereinstellung zu vereinbaren. Darüber hinaus haben die Franzosen jetzt einen so viel stärkeren Wunsch nach einer Beendigung der ganzen Angelegenheit als die Viet-minh, daß bei jedem Aushandeln von Bedingungen der Vorteil auf der Seite der Vietminh liegen muß. Indochina ist zu einem riesigen Internierungslager für französische Truppen geworden. Heute brauchen diese Truppen eine vietnamesische Erlaubnis, wenn ihnen der Abzug ermöglicht werden soll. Beim Schreiben dieser Zeilen ist der Ausgang der augenblicklichen Kämpfe in Tongking noch ungewiß. Aber selbst wenn man annimmt, daß die Franzosen die gegen sie jetzt vorgetragenen Offensiven der Vietminh abwehren, ist die Lage ihrer Armee eine unerfreuliche, da sie durch die öffentlich proklamierte Politik der französischen Regierung jeder Hoffnung auf einen Sieg beraubt und von keinem echten Kampfeswillen der Nation unterstützt wird. Das „pourissement bzw. das Eindringen der Vietminh in das Delta des Roun-Flusses hat es beinahe, wenn nicht ganz möglich gemacht, daß sich die Franzosen von Tongking zurückziehen können, solange die Feindseligkeiten andauern, es sei denn durc ein Dünkirchen-Unternehmen, das die Preisgabe der gesamten schweren Ausrüstung mit sich bringen würde. Immer mehr werden die Franzosen in eine Lage getrieben, in der sie nichts anderes können, als einen Waffenstillstand nach den Bedingungen des Feindes anzustreben, wenn sie die Kämpfe beenden wollen.

Der geforderte Preis?

Abbildung 1

Jede französische Regierung, der es gelänge, den Krieg zu beenden, die Armee ohne eine offensichtliche militärische Katastrophe nach Hause zu bringen und ein politisches Abkommen zu schließen, das nicht zu sehr nach einer Kapitulation vor Ho Chi Minh aussieht, würde ungeheuer an Beliebtheit gewinnen. Auf der anderen Seite jedoch würde jede Regierung, die nach sieben Jahren Krieg in Indochina die Verantwortung auf sich nehmen müßte für eine endgültige militärische Niederlage oder für den unverhüllten Verlust der Ziele, um deretwillen man den Krieg geführt hat, der Sündenbock für alle Gefühle der Verärgerung und des verletzten National-stolzes werden, die ein solches Ende hervorrufen würde. Die politischen Führer, die sich in der Regierung befinden — sei es nun das Kabinett Laniel oder irgend ein anderes — werden daher versucht sein, beinahe jeden Preis für eine Regelung zu zahlen, die dem französischen Volk als ein Friede in Ehren plausibel gemacht werden kann. Was wird jedoch der geforderte Preis sein, und wie kann ihn Frankreich bezahlen? Da die Vietminh in bezug auf ihre Waffen aus China und Rußland angewiesen sind, muß letzten Endes der Preis an China und Rußland gezahlt werden. Es ist unvermeidlich, daß dieser Preis sich nicht auf Indochina (an dem mindestens Rußland überhaupt kein direktes Interesse hat) beschränken, sondern sich ausdehnen wird auf den gesamten Radius der französischen Außenpolitik, einschließlich der Beziehungen Frankreichs zu seinen NATO-Partnern. Wenn Frankreich eine Übereinkunft mit China aushandeln möchte, so muß es die Aufnahme der Peking-Delegierten in die Vereinten Nationen und die Beseitigung aller Außenhandels-Beschränkungen für China unterstützen; wenn Frankreich seine Hoffnung darauf setzt, daß Sowjetrußland seine Vermittlung anbietet und China überredet, sich aus dem Kriege zurückzuziehen, muß es die Ratifizierung der EVG-Verträge auf unbestimmte Zeit vertagen. Mit anderen Worten: Frankreich wird einem sehr starken Druck ausgesetzt werden, sich einen Ausweg aus dem „impasse" in Indo-china unter Bedingungen zu erkaufen, di, . Gegensatz zu einem oder beiden seiner H’in verbündeten bringen müssen. “ Pt Selbst ohne die Krise in Indochina lag esdeutig im Interesse der sowjetischen DipomS den Bereich der Hauptverhandlungen im int nationalen Raum von den europäischen zu d fernöstlichen Angelegenheiten zu verlagern m der Frage Deutschlands und Österreichs sah s Herr Molotow auf der Berliner Konferenz eine vollständig geschlossenen Solidarität der britisehen, amerikanischen und französischen Außenminister gegenüber. Die Drei Westmächte waren sich in ihrer Entschlossenheit einig, der russischen Forderung nach einer Wiedervereinigung Deutschlands durch eine Verschmelzung der he-stehenden Regime in West-und Ostdeutschland ohne freie Wahlen nicht zuzustimmen. Der sowjetrussische Außenminister hatte keine Chancen, in dieser entscheidenden Kernfrage enen Keil zwischen die Westmächte zu treiben. Im Fernen Osten jedoch bestehen zwischen England und den Vereinigten Staaten notorische Meinungsverschiedenheiten in bezug auf die gegenüber China zu befolgende Politik. In allen Verhandlungen über fernöstliche Probleme bietet sich der Sowjetunion daher eine gute Gelegenheit, diese Unterschiede in der Haltung auszunutzen und beide Mächte gegeneinander aufzubringen. Da Frankreich jetzt unter dem Drude der Verhältnisse einen Kurs der „Beschwichtigung''China und Rußland gegenüber befolgen muß, um in Indochina ein Abkommen zu erreichen, sind die Aussichten auf eine ernste Konfusion in den Reihen der Westmächte noch größer geworden. Für die Sowjetunion bedeutet der Übergang von Berlin nach Genf eine Verlagerung der Verhandlungen von Fragen, über die sich der Westen einig ist, zu solchen, bei denen diese Einigkeit nicht gegeben ist.

Das Kernproblem der Konferenz

Die Genfer Konferenz hat natürlich den Abschluß eines Abkommens sowohl über Korea wie über Indochina zum Ziel. Aber, wie heftig auch die Debatten über Korea sein mögen, aller Wahrscheinlichkeit nach wird Indochina das wirklich kritische Kernproblem der Konferenz darstellen, da die Koreafrage in gewissem Sinne bereits durch die Ereignisse entschieden worden ist, während die Lage in Indochina undurchsichtig bleibt. Der Koreakrieg hat mit einer klar abgegrenzten Trennungslinie zwischen Nord-und Südkorea geendet, die diese Funktion so wirksam ausübt wie die frühere Demarkationslinie am 38. Breitengrad vor Kriegsausbruch. Nach außen hin muß jede der beiden Mächtegruppen geschlossen so tun, als ob man für das Ideal eines wiedervereinigten Korea eintritt. Es ist jedoch äußerst unwahrscheinlich, daß man Bedingungen für eine Wiedervereinigung finden kann, die für beide Seiten annehmbar sind. Man wird damit rechnen dürfen, daß aller Wahrscheinlichkeit nach Nord-und Südkorea weiter als getrennte Staaten auf beiden Seiten der Grenze existieren werden, die durch die zuletzt eingenommenen militärischen Stellungen der gegeneinander kämpfenden Armeen festgelegt worden ist. Keine der beiden Seiten kann diese Grenze überschreiten, ohne die bewußte Absicht, den Krieg von neuem zu beginnen. In Indochina dagegen ist der Krieg nicht nur noch mitten im Gange, sondern darüber hinaus fehlt jede klare Frontlinie, bei den die Armeen im Falle eines Waffenstillstands abschlusses Stehenbleiben könnten. Trotz seiner Entwicklung hin zu einem Stellungskrieg größten Stiles hat der ganze Kampf in Indochina daß niemals seinen ursprünglichen Charaktere Partisanen-Krieges verloren, so daß beiden ineinander „verheddert" sind und nur dadurch in erkennbare und gebietsmäßig in sind schlossene Zonen entwirrt werden könnten, man sich gegenseitig auf ein Abkommen " t und dies auch gewissenhaft einhält.

Während es somit nur schwer erkennborm was in der Koreafragc mehr getan wer n außer daß man die bereits fest „einge T°pom de iacto Situation in irgendeiner noa legalisiert, und darüber hinaus allen a eide die bestehende Demarkationslinie inaidet seifigem Einvernehmen hier und da mo wo handelt es sich bei Indochina um ein v end noch alles passieren kann, einschlic Hahendd Ausweitung des Krieges durch das Eingreifen daseinen, und dann als Antwort darauf auch der anderen der Großmächte. Der amerikanische Wille, der Vietminhschen Eroberung Indochinas entgegenzutreten, ist gewachsen, während die ftanzösische Entschlossenheit nachgelassen hat. Der Ausgangspunkt amerikanischer Überlegungen in bezug auf die Indochina-Frage hat nichts mit der Erhaltung der Union Francaisc zu tun, sondern ist vielmehr ein Teilaspekt der allgemeinen Eindämmungs-Politik gegenüber dem Kommunismus in Asien. Der Kampf für Vietnam begann als ein Kolonialkrieg, in dem es nicht um Kommunismus, sondern um Vietnamesische Unabhängigkeit ging. Obwohl man von Ho Chi Minh immer gewußt hatte, daß er selber Kommunist war, wurde er im Jahre 1945 doch durch das Kuomintang China in seinem Bestreben unterstützt, die französische Herrschaft abzuschütteln. Die Vereinigten Staaten standen am Ende des Krieges im Fernen Osten dem er-erneuten Pochen der Franzosen auf ihre früheren Souveränitätsrechte in Indochina mit äußerster Abneigung gegenüber. Erst nach dem Siege des Kommunismus in China fiel Vietminh unter eine völlig kommunistische Kontrolle und wurde damit eindeutig zu einem Teil der internationalen Front des Kommunismus im Fernen Osten. Erst dann setzte die moralische und materielle Unterstützung Amerikas für die französische Sache ein. Die amerikanische Haltung blieb jedoch noch ganz verschieden von der französischen. Nach amerikanischer Auffassung sollten die Franzosen in Indochina die Funktion vorübergehender Treuhänder ausüben und ihre Hauptaufgabe darin erblicken, einen vietnamesischen Staat und eine Armee aufzubauen, die Frankreich so bald wie möglich in dem Kampf gegen Vietminh ablösen würden. Auf französischer Seite ist dagegen die tieibende Kraft in dem Ruf nach einer Fortführung des Krieges immer der Wunsch der Rechten gewesen, die Union Francaise zu erhalten und letztlich die Kontrolle über Indochina bei Frankreich zu belassen. Die Forderungen der Nationalisten nach der völligen Unabhängigkeit von Vietnam — die im übrigen ohnehin erhoben werden mußte, um dem Vorwurf zu entgehen, als seien sie „französische Marionetten“ — haben die hartgesottenen französischen Anhänger des „Kolonialismus“ schmerzlich desillusioniert.

Schließlich hat deren Enthusiasmus für einen Krieg bis zum bitteren Ende merklich nachgelassen, seitdem es klar wurde, daß die französische Herrschaft über Indochina zu Ende gehen muß, wie auch immer der Krieg enden mag. Die französische Rechte ist in der Tat sowohl antikommunistisch wie imperialistisch. Aber sie vertritt die These, daß es keinen Grund dafür gibt, warum Frankreich die Bürde der Kriegführung alleine tragen muß, wenn schon der Krieg im Dienste der Eindämmung und nicht für ein speziell französisches Interesse geführt werden soll.

Kritische Haltung der Amerikaner Die Amerikaner sind bisher gegenüber den Verzögerungen auf französischer Seite bei dem Aufbau einer einheimischen Vietnamesischen Armee sehr kritisch eingestellt gewesen. Einer der Gründe für diese Verzögerung ist der gewesen, daß man die französischen Offiziere an der Front benötigte und sie daher nicht genug fretgemacht werden konnten, um die Vietnamesischen Rekruten auszubilden. Ein anderer Grund ist zweifellos darin zu suchen, daß die konservativ eingestellten französischen Soldaten nur widerstrebend Vietnamesen für die höheren Armee-dienstgrade ausgebildet haben, da sie von der Voraussetzung eines weiterbestehenden französischen Oberbefehls ausgingen. Auf der anderen Seite hegen die Vietnamesischen Nationalisten ihrerseits den Verdacht, daß die Franzosen indirekt die Kolonialherrschaft zu verewigen suchen, indem sie die militärische Kontrolle in ihren eigenen Händen behalten. Die Amerikaner, die mit der Ausrüstung und Ausbildung der südkorea-

nischen Armee zweifellos einen bemerkenswerten Erfolg errungen haben, sind der Ansicht, daß man viel mehr hätte tun können, um eine schlagräftige Vietnamesische Armee aufzustellen, re Andeutungen, daß sie bereit sein würden, ’ese Aufgabe selber auf sich zu nehmen, haben 'n vanzösischen Militärkreisen sehr ungünstige daß tionen hervorgerufen. Es ist ganz natürlich, 1 die Franzosen nach den Anstrengungen und P ern ihres langen Kampfes einer amerikanien Einmischung in einem Gebiet, das sie im-e noch als das ihre ansehen, mit Ressentiments 8 genüberstehen. Die Amerikaner ihrerseits weisen nun darauf hin, daß das Versagen der Franzosen im Kriege gegen Vietminh, das Schicksal von Indochina zu einer Frage von internationaler Bedeutung gemacht hat. Sie vertreten mit Nachdruck die These, daß es nicht länger nur die Sache Frankreichs sein kann, wenn dieses Land sich über die Rechte Vietnams hinwegsetzt — dessen Regierung im übrigen de iure sowohl von Großbritannien wie von den Vereinigten Staaten anerkannt worden ist — nur um zu einem Übereinkommen mit Ho Chi Minh zu gelangen.

Dadurch, daß die Franzosen einer internationalen Indochina-Konferenz zugestimmt, ja diese gefordert haben, ist von ihnen der Anspruch fallen gelassen worden, daß es sich bei den Ereignissen in Indocina nur um eine Angelegenheit Frankreichs handelt. Wenn sie mit China und Rußland über das Schicksal des Landes verhandeln wollen, werden sie zugestehen müssen, daß auch Washington ein Recht hat, in dieser Frage ein Wort mitzureden. Angesichts dieser Lage werden die chinesischen und russischen Forderungen Frankreich kaum mehr in Verlegenheit bringen, als die amerikanischen Einwände gegen eine Annahme dieser Forderungen.

Die kommunistische Propaganda verfolgt jetzt die Linie, daß Amerika versuche, die Franzosen gegen ihren Willen zu einer Fortführung des Kampfes in Indochina zu zwingen. Diese Behauptung stellt eine überaus große Vereinfachung dar; denn die amerikanischen Erwartungen für die Zukunft knüpfen sich nicht an die Möglichkeit eines auf unabsehbare Zeiten fortgeführten Kampfes durch die Franzosen, sondern daran, daß ein unabhängiges, nichtkommunistisches Vietnam in den Stand gesetzt wird, zum frühstmöglichen Termin an die Stelle Frankreichs zu treten. Es stimmt, daß Washington über die augenblicklich vorherrschende französische Stimmung beunruhigt ist und sich sehr energisch gegen jedes Abkommen zur Wehr setzen würde, das im Endeffekt auf eine Auslieferung Vietnams an Ho Chi Minh hinausliefe. England — mit einem Auge auf Malaya — ist ebenfalls durch die Möglichkeit eines französischen Rückzuges beunruhigt. Die Franzosen können jedoch mit Recht Kritik mit dem Hinweis beantworten, daß weder Amerika noh England bereit sind, Soldaten nach Indochina zu schicken, die dort solange kämpfen würden, bis die vietnamesischen Nationalisten im Stande sind in die Bresche zu treten, so sehr man den Fahrplan zur Erreichung dieses Zieles beschleunigen mag. In dieser Tatsache muß man sicherlich den neuralgischen Punkt der ganzen Angelegenheit erblicken. England ist in Malaya vollauf beschäftigt, und nach den Erfahrungen in Korea begünstigt die öffentliche Meinung in Amerika in keiner Weise irgendeinen weiteren, verpflichtenden Einsatz amerikanischer Landstreitkräfte für eine militärische Eindämmungsmaßnahme im Fernen Osten. Sollten daher die Franzosen sich dazu entscheiden abzuziehen, gibt es keine Streitkräfte, die sofort verfügbar wären um die Rolle Frankreichs zu übernehmen. Ein kommunistischer Sieg in Indochina könnte dann nicht verhindert werden. Die Dinge würden jedoch anders liegen, wenn die Franzosen bereit wären, für den Augenblick weiterzumachen, während die Vietminh ihrerseits von China entweder nur durch Schutz von Luftstreitkräften oder auch chinesische Truppen unterstützt würden. Sollte diese Lage eintreten, so würde es Amerika freistehen, ohne einen Einsatz von Landstreitkräften Gegenmaßnahmen aus der Luft gegen die chinesischen Verbindungslinien und Flugplätze in dem Gebiet jenseits der Tongking-Grenze zu ergreifen. Die einzige Alternative würde darin bestehen, nichts zu tun und den Chinesen die endgültige Entscheidung in Vietnam zu überlassen, — was zu einem allgemeinen „sauve qui peut“ in Südostasien führen würde.

Es ist ungewiß, ob die chinesischen Kommunisten sich wirklich einen neuen Krieg zutrauen, oder ob nicht ihre augenblicklichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten ernster Natur genug sind, um ihre Kriegsgelüste zu dämpfen. Solange sie jedoch einen geradezu verschwenderischen Nachschub an Waffen von der Sowjet-Linien erhalten können, und solange sie darauf vertrauen, daß ein Krieg gegen den amerikanischen „Imperialismus" keine weiteren ernsteren Konsequenzen nach sich ziehen wird als solche, mit denen sie sich auf Grund ihrer Intervention in Korea auseinanderzusetzen hatten —, so lange ist die Versuchung sehr groß, es noch einmal zu riskieren. Der Krieg in Korea hat zweifellos das kommunistische Regime in China konsolidiert und sein Prestige ungeheuer vergrößert. Vom russischen Standpunkt aus ist es wahrscheinlich die zweckmäßigste Politik, für den Augenblick den „Status quo“ in Europa aufrecht zu erhalten,

Fussnoten

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