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Zur Sowjet-Aktivität in Asien und Afrika | APuZ 12/1958 | bpb.de

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APuZ 12/1958 Zur Sowjet-Aktivität in Asien und Afrika

Zur Sowjet-Aktivität in Asien und Afrika

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Stalin und die nationale Befreiungsbewegung

INHALT:

Am 15. August des Jahres 1947 ging in Delhi, der Hauptstadt Indiens, der britische Union Jack nieder. An seiner Stelle wurde die indische Nationalflagge gehißt. Die englischen Truppen zogen ab und die fast zweihundertjährige Herrschaft Großbritanniens über Indien nahm ihr Ende. Das „Indische Königreich, die wertvolle Perle der englischen Krone“ (Churchill), verwandelte sich in zwei Dominien. Indien und Pakistan erlangten ihre langersehnte politische Unabhängigkeit und Souveränität und wurden Republiken. Erst vor kurzem, am 26. Januar 1958, wurde der 8. Jahrestag der Verkündung der indischen Verfassung und Bildung der „Indischen Union“ feierlich begangen.

Wenn man in der Vergangenheit von der Kolonialpolitik sprach, dachte man vornehmlichst auch an die britische Herrschaft über Indien. Englands Herrschaft über eine Bevölkerung von rund 400 Millionen in Indien war eben eines der bekanntesten Beispiele für Kolonialpolitik. Die Aufgabe dieser Herrschaft war deshalb ein Ereignis, das als erstes und sichtbarstes Zeichen für das Ende des Zeitalters der Kolonialpolitik gewertet werden muß. Es demonstrierte bereits den Beginn einer neuen Ära der nationalen Selbständigkeit und der politischen Unabhängigkeit der Völker Asiens und Afrikas und der neuen Rolle der afro-asiatischen Staaten in der Weltpolitik, die dann auf der historischen Bandung-Konferenz 195 5 ihren ersten Höhepunkt erreichte.

Ob diese neuen Zeichen der Zeit in der Weltpolitik ihrer Bedeutung entsprechend begriffen werden, ist allerdings eine Frage, die heute noch diskutiert wird.

Der mürrische, pfeifenschmauchende Georgier im Kreml stand den neuen Ereignissen, die sich mit der Befreiung Indiens abzeichneten — um einen beliebten Ausdruck des Diktators zu gebrauchen — , blind wie eine junge Katze“ gegenüber.

Für Stalin war die Übertragung der politischen Macht an die nationalen Führer Indiens nichts wesentliches, sondern nur ein „neuer Trick des Imperialismus“ und das Resultat eines „verräterischen Kompromisses der nationalen Bourgeoisie mit dem britischen Imperialismus“ Sie widersprach seiner gesamten Konzeption. „Die Befreiung der kolonialen und der abhängigen Länder vom Imperialismus — sagte Stalin — ist ohne siegreiche Revolution unmöglich: die Unabhängigkeit fällt einem nicht in den Schoß“ (Stalin, „Der Marxismus und die nationale und koloniale Frage“, S. 276).

Liber die bürgerlichen Führer der nationalen Befreiungsbewegung in Indien, Indonesien, Birma und anderen Ländern gab Stalin bereits im Jahre 1925 folgende Einschätzung, die er bis zu seinem Tode aufrechterhielt: „Da dieser wohlhabendste und einflußreichste Teil der Bourgeoisie die Revolution mehr fürchtet als den Imperialismus, — sagte er — da er mehr auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist als auf die Interessen seiner eigenen Heimat, steht er mit beiden Beinen im Lager der unversöhnlichen Feinde der Revolution und vereinigt sich mit dem Imperialismus gegen die Arbeiter und Bauern seines Landes“ (Stalin, Werke, Band 7 Berlin 1952 S. 128). '

Das Leben und die Entwicklung der nationalen Selbständigkeitsbewegung in der Mehreit der Länder Asiens und Afrikas hat diese „Einschätzung“ Stalins längst ad absurdum geführt. An der Spitze der nationalen Bewegungen in diesen Ländern stehen nicht nur der „wohlhabendste und einflußreichste Teil der Bourgeoisie“, sondern in den einzelnen Ländern sogar Gutsbesitzer, Prinzen und Feudalherren.

Nach Stalins „Theorie“ ist die nationale Befreiung in den Ländern Asiens und Afrikas „nur unter der Führung des Proletariats mit der Kommunistischen Partei an der Spitze“ möglich. Inzwischen haben sogar die heutigen Sowjetführer erkannt, daß diese „Theorie" von der Geschichte gründlichst widerlegt wurde. Von den mehr als ein Dutzend Ländern Asiens und Afrikas, in denen nach dem Zweiten Weltkrieg die Kolonialmächte ihre Positionen aufgeben mußten, sind es nur drei — Rotchina, Nord-Vietnam und Nord-Korea — auf die die stalinsche Konzeption annähernd paßt. Nord-Korea als ein von den Sowjets am Ende des Zweiten Weltkrieges besetztes Land fällt schon ganz aus dem Rahmen der Betrachtung. In China und Vietnam aber waren es die Bauern, die die ausschlaggebende Kraft einer nationalen Bewegung verkörperten. Die Kommunistische Partei Chinas ist sogar heute noch, 8 Jahre nach der Errichtung der Volksrepublik, im wesentlichen eine Bauernpartei.

Die Mehrheit der Länder Asiens und Afrikas erlangten ihre nationale Unabhängigkeit und politische Souveränität unter der Führung bürgerlicher, ja in einigen Fällen sogar feudalistischer Kräfte.

Gerade anläßlich der heutigen Aktivität der Sowjets in Asien und Afrika erinnern wir uns, daß die Führer der nationalen Bewegungen noch vor wenigen Jahren in der offiziellen Sowjetliteratur als „kompromißlerische Großbourgeoisie, die mit dem Imperialismus einen Block bildet“, betrachtet wurden.

Wenn wir die „Große Sowjet-Enzyklopädie“ aufschlagen, dann finden wir darin Betrachtungen, die im krassesten Widerspruch zur neuesten Sowjetpolitik in Asien und Afrika stehen. Im Band 1 8 dieser Enzyklopädie heißt es: „Die indische Bourgeoisie und die Gutsbesitzer bemühten sich, den Schwung der Volksbewegung einzudämmen, die Bewegung ihrer Führung und Kontrolle zu unterwerfen und sie dazu auszunutzen, von den englischen Imperialisten Zugeständnisse zu erlangen. Gandhi und seine Lehre, der Gandhismus, erlangten eine immer größere Popularität unter den indischen bürgerlichen Nationalisten. Der Gandhismus, der jede Gewaltanwendung gegenüber den Unterdrückern ablehnte, wurde von den bürgerlichen national-reformistischen Politikern benutzt, die revolutionäre Energie der Massen zu lähmen und diese unter ihre Kontrolle zu bringen“ („Große Sowjet-Enzyklopädie“, 2. Ausl., Moskau 195 3, Bd. 18).

Und über die Rolle Gandhis wird an anderer Stelle gesagt: „Die Rolle Gandhis in der Entwicklung der nationalen Befreiungsbewegung widerspiegelt die verräterische Haltung der indischen Großbourgeoisie und der liberalen Gutsbesitzer. Diese schlossen sich mit den Imperialisten zu einem Blocli gegen das Volk zusammen, betrachteten ihr eigenes Volk als ihren Hauptgegner und bemühten sich, die nationale Befreiungsbewegung in ihren Dienst zu stellen, um von den Imperialisten Konzessionen einzuhandeln. . . In Worten verurteilte G. die Großkapitalisten und die Kolonialpolitik Englands und gab sich demagogisch als Befürworter der Unabhängigkeit Indiens und Gegner der Engländer aus. . . Die englischen Imperialisten nutzten G. und seinen Einfluß unter den Volksmassen für ihre Ziele aus. Stalin stellte im politischen-Bericht des Zentralkomitees auf dem XVI. Parteitag der KPdSU, in welchem er über das Anwachsen der revolutionären Bewegung in den Ländern des Ostens sprach, fest: , Die Herren Bourgeois beabsichtigen, diese Länder in Blut zu ertränken und sich auf Polizei-bajonette zu stützen, nachdem sie Leute vom Schlage Gandhis zu Hilfe riefen “ [(Werke, Band 12 S. 252) — („Große Sowjet-Enzyklopädie“, 2. Ausl., Moskau 1952, Bd. 10, S. 203) ] Wie weit die Sowjetpolitik in Asien und Afrika von der realen Wirklichkeit entfernt war, ergibt sich aus dem Buch des früheren Indienexperten der Komintern, R. Palme Dutt, „Indien heute“ (Berlin 1951). In diesem Buch bemüht sich der Verfasser die imperialistische Rolle des neuen Indien nachzuweisen. Er schreibt: „Das neue Regime hat die indische Krise nicht behoben. Es hat für die Volksmassen Indiens keine Freiheit gebracht. Es hat Indien dem Einflußkreis des Imperialismus nicht entzogen.

Die , Übertragung der Macht'brachte tatsächlich einen bedeutenden politischen Wandel. Sie bedeutete den Wandel von der unmittelbaren Herrschaft des Imperialismus zu einer mittelbaren Herrschaft. Sie hat die indische Großbourgeoisie aus ihrer früheren, schwankenden, kompromißbereiten, halboppositionellen Rolle an der Spitze der Massen-bewegung des Volkes herausgehoben und sie in die Rolle des Junior-partners des Imperialismus versetzt“ (R. Palme Dutt, „Indien heute“, Berlin 1951, S. 648/649).

Diesen Gedankengang von der Rolle Indiens als „Juniorpartner des Imperialismus“ führt dann der Verfasser stalinistisch konsequent und logisch weiter bis zur Feststellung: „Der indische Bourgeoisie-Nationalismus blühte auf zum indisdten Neoimperialismus“ (S. 648) und zum Ausruf: „Indien als Gendarm des Imperialismus in Asien“ (S. 648).

Man gewinnt den Eindruck, daß Nehru eine ähnliche Beurteilung wie dem Ketzer Tito zugedacht war. Die nachfolgenden Sätze könnten der Kominformresolution über Tito entnommen sein: „Der Wandel bedeutet, daß die Führer der indischen Großbourgeoisie aufgehört haben, in der nationalen Befreiungsbewegung die führende Rolle zu spielen, daß sie in das konterrevolutionäre Lager übergegangen sind und einen Block mit dem Imperialismus gebildet haben“ (ebenda S. 649).

Lind der sowjetische Doktor der historischen Wissenschaften und Indienspezialist A. M. Djakow, kopiert die Sprache des Kominformbannfluches über Jugoslawien noch deutlicher auf Indien: „Indien, mit dem Nationalkongreß als Regierungspartei, der angeblich auf dem Boden der Lehre Gandhis von der Gewaltlosigkeit steht, ist gegenwärtig ein Land, in welchem die bürgerlich-gutsherrliche Diktatur in ihrer unverhülltesten terroristischen Form zutage tritt“ (A. M. Djakow, „Indien und Pakistan", Berlin 1951, S. 70).

Zwischen der stalinschen Verdammung Titos und der oben gekennzeichneten Verurteilung der Führer der nationalen Selbständigkeitsbewegung in den Ländern Asiens und Afrikas bestand tatsächlich ein ursächlicher Zusammenhang, wie auch andererseits die spätere Wendung der Sowjetführer in ihrer afro-asiatischen Politik die Normalisierung der Beziehungen zu Jugoslawien zur Voraussetzung hatte.

Von Stalin stammt die These von den zwei Lagern, von den zwei Weltblöcken. Die Klammer für das östliche Lager war die Formel von der führenden Rolle der Sowjetunion, die jede Gleichberechtigung und nationale Souveränität für die Länder des Ostblocks ausschloß. Jeder Versuch der Wahrung eigener nationaler Interessen mußte in dieser Konzeption als Ketzerei, als Ausbruch aus dem östlichen Lager gebrandmarkt werden. Wer nicht die strenge stalinsche Führung im Ostblock-lager akzeptierte, stand schon im westlichen Lager. Eine „dritte Kraft“ oder „Neutralität“ gegenüber den beiden Weltblöcken wurde von Stalin nicht anerkannt. Die „dritte Kraft“ und'die „Neutralität“ bezeichnete er als „Machenschaft des Imperialismus zur Schwächung des sozialistischen Lagers.“ „In den ersten Zeiten nadt der Schaffung der neuen Dominien in Indien — erklärt Dutt — wurde die indische Außenpolitik von ihren führenden Persönlichkeiten häufig als eine Politik der . Neutralität'gegenüber den . beiden Weltblöcken'hingestellt. Es ist klar, daß diese Auffassung von . Neutralität'bereits stillschweigend die Trennung vom antiimperialistischen Lager, mit dem der indische Nationalismus früher verbündet gewesen war, einschloß.“ Und er fügt hinzu, „daß der dünne Firnis der . Neutralität'nur die Eingliederung in das Lager des Imperialismus und den anglo-amerikanischen Block verdecken sollte.“ (R. Palme Dutt, „Indien heute“, Berlin 1951, S. 647/648.)

Stalin überließ also die neuen nationalen Staaten Asiens und Afrikas, die nicht zum Ostblock gehörten und die in ihrer Außenpolitik die Position der Neutralität bezogen, dem Westen. Aber auch dieser wußte mit diesem „Geschenk“ wenig anzufangen!

Die gesamte Konzeption Stalins aber macht es erklärlich, warum solche bedeutsamen Ereignisse wie die Erlangung der politischen Unabhängigkeit und der nationalen Souveränität in einer großen Anzahl der Länder Asiens und Afrikas von den Sowjets fast bis zum XX. Moskauer Parteitag nicht gewertet wurden.

Weder in den Kominformresolutionen, in denen ja die These von den beiden Blöcken erstmalig begründet wurde, noch in Stalins Schrift „Ökonomische Probleme des Sozialismus“ (19 5 2), noch in der Entschließung des XIX. Moskauer Parteitages im Oktober 1952 finden wir eine Würdigung und Einschätzung solcher neuartigen und wichtigen Ereignisse wie die der Aufhebung der Kolonialherrschaft über mehr als ein Dutzend Länder Asiens und Afrikas.

Wenn wir diese Politik der Stalinära gegenüber den Ländern Asiens und Afrikas an die Spitze unserer Betrachtung stellen, so deshalb, weil das uns die Möglichkeit gibt, das Tempo und den Grund der Wendung in der afro-asiatischen Sowjetpolitik besser zu beurteilen.

Der „Neutralismus", Bandung und die Sowjets

Am 18. April 1 95 5 eröffnete der Präsident der Republik Indonesien. Dr. Achmed Sukarno, in Bandung die Konferenz der 29 Länder Asiens und Afrikas. In seiner Begrüßungsrede führte Dr. Sukarno aus: „Die Tatsache, daß sielt die Führer der asiatischen und afrikanischen Völker zur Behandlung der Fragen, die ihre gemeinsamen Interessen berühren, in ihren eigenen Ländern versammeln können, kennzeichnet den neuen Waitdel in der Weltgeschichte,"

Und er fügte hinzu:

„lit dieser Verbindung erinnere ich midi an die Konferenz der Liga des Kampfes gegen Imperialismus und Kolonialismus, die vor fast 30 Jahren in Brüssel stattfand. Auf dieser Konferenz trafen sich viele prominente Delegierte, die heute hier anwesend sind, und fanden dort neue Kräfte in ihrem Kampf für die Unabhängigkeit."

Diese Erinnerung an den Kongreß der „Liga gegen den Imperialismus“, der vom 10. bis 15. Februar 1927 in Brüssel im Palais Egmont tagte, sollte zweifellos den Delegierten der Bandungkonferenz vor Augen führen, was sie in den verflossenen 30 Jahren erreicht haben. Sie war aber auch an die Adresse der Sowjets gerichtet und sollte diesen im Hinblick auf die 29 Länder, die nunmehr ihre nationale Freiheit und staatliche Selbständigkeit hatten, sagen: Wir hatten doch recht!

Damals in Brüssel, auf dem von Willi Münzenberg organisierten und von George Lansbury geleiteten Kongreß der „Liga gegen den Imperialismus“ bestand noch eine gemeinsame Front zwischen den Führern der nationalen Unabhängigkeitsbewegung und dem Kommunismus. Aber nicht für lange. Nachdem Stalin die absolute Führung in dieser Kongreßbewegung beanspruchte, wandten sich die nationalen Führer von dieser ab.

Bezeichnend ist die Betrachtung Nehrus über sein Verhältnis zu dieser „Liga gegen den Imperialismus“ in seiner Autobiographie: „Die , Liga gegen den Imperialismus“ trieb in späteren Jahren dem Kommunismus zu, obwohl sie, soweit mir bekannt ist, ihren Eigen-charakter niemals verlor. Ich konnte nur durch Briefwedtsel in leichter Fühlung mit ihr bleiben. Im Jahre 1931 wurde sie außerordentlich ärgerlich über midi, weil ich am Abschluß des Burgfriedens von Delhi zwisdien dem Kongreß und der Regierung von Indien beteiligt war. Ich wurde kunstgerecht exkommuniziert, genauer gesagt, schloß mich die Liga auf Grund irgendeiner Resolution aus Ich muß gestehen, daß sie Grund genug hatte, verärgert zu sein, immerhin hätte sie mir Gelegenheit bieten müssen, meine Stellung darzitlegen." (Nehru, „Indiens Weg zur Freiheit", Berlin 1957, S. 185.)

Die Sowjetunion wurde zur Bandungkonferenz nicht eingeladen. Zwar wurde die Ablehnung einer Einladung der Sowjetunion zur Teilnahme an der Konferenz der 29 Staaten Asiens und Afrikas offiziell damit begründet, daß sie „kein asiatischer Staat“ sei. Tatsächlich aber offenbarte sich in dieser Ablehnung die politische Isolierung der Sowjets von den Ereignissen in Asien und Afrika, in die sie sich selbst hineinmanöriert hatten. Das wurde zweifellos auch in Moskau erkannt, und nur so wurde die historische Bandungkonferenz des Jahres 195 5 der Anlaß und Ausgangspunkt zur entscheidenden Wende und zur Aktivierung der Sowjetpolitik in Asien und Afrika.

Es ist aber von Interesse festzustellen, 'daß der Anstoß zu dieser Wende von Kräften ausging, die wie die Rotchinesen einen eigenen Weg als Musterbeispiel für ganz Asien und Afrika propagierten und dabei auf alte traditionelle Beziehungen, zu den Ländern Asiens und Afrikas zurückblicken konnten, oder die wie Tito von Moskau in Acht und Bann getan waren.

Im April des Jahres 1954 fand in Colombo eine Konferenz der soge-nannten Colombostaaten — Birma, Ceylon, Indien, Indonesien und Pakistan — statt, auf der die Einberufung der Konferenz der Länder Asiens und Afrikas nach Bandung beschlossen wurde. Die Idee zur Einberufung einer solchen Konferenz wurde schon seit langem in den Ländern Asiens besprochen. Bereits im Januar 1949 hatte Nehru eine erste asiatische Konferenz, an der 19 Länder teilnahmen, nach Delhi einberufen, die gegen die damalige „Polizeiaktion“ Hollands in Indonesien Stellung nahm und die politische Selbständigkeit und Unabhängigkeit Indonesiens forderte.

Fast zur selben Zeit, in der die fünf Ministerpräsidenten der Colombostaaten beisammen saßen und über die Durchführung der Bandungkonferenz berieten, wurde zwischen Indien und Rotchina der Tibet-Vertrag abgeschlossen, in dessen Präambel die Rotchinesen die fünf Prinzipien Nehrus erstmalig als für sich verbindlich anerkannten. Der wendige Ministerpräsident und Außenminister der Volksrepublik China, Tschou En-lai, hielt den Zeitpunkt für gekommen, sich in die Bandungvorbereitungen der Colombostaaten einzuschalten. In der Pause der Genfer Indochina-Konferenz (26. April bis 21. Juli 1954) stattete er dem indischen Ministerpräsidenten Nehru einen Besuch in Neu Delhi ab, um feierlich Nehrus „Pantscha Shila“, die fünf Prinzipien, als Grundlage der chinesischen Außenpolitik der friedlichen Koexistenz nochmals zu bekräftigen.

Die fünf Prinzipien lauten:

1. Gegenseitige Achtung der territorialen Integrität;

2. Verzicht auf aggressive Handlungen — Nichtangriff;

3. Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten;

4. Entwicklung der Beziehungen zwischen den Staaten auf der Grundlage der Gleichheit und des gegenseitigen Vorteils;

5. Friedliche Koexistenz und wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Mit der Annahme dieser fünf Prinzipien Nehrus hatten sich die Rotchinesen gegenüber den Sowjets in Asien und Afrika einen Vorsprung verschafft und sich ihren Platz unter den Bandungmächten gesichert.

Aber auch Tito hatte sich gegenüber Moskau einen solchen Vorsprung in Asien und Afrika zu sichern gewußt. Er war mit dem Erbe stalinistischer Vergangenheit durch den Bannfluch des Kominform über Jugoslawien nicht belastet. Nachdem Tito nach seinem Ausschluß aus dem Kominform jahrelang vergeblich versucht hatte, bei verschiedenen Intellektuellen und sektiererischen Gruppen des Westens Unterstützung für seine Politik der Nichtbeteiligung an Bündnissen und Blöcken zu finden, erkannte er, daß die Länder Asiens und Afrikas der natürliche und geeignete Partner für eine solche Politik sind. Sein Besuch in Indien im Dezember 1954 gestaltete sich zu einem triumphalen Empfang.

In einer gemeinsamen Erklärung, die zum Abschluß des Tito-Besuches, von Tito und Nehru abgegeben wurde, wurden nicht nur die fünf Prinzipien der Koexistenz bekräftigt, sondern auch die Politik des Neutralismus genauer präzisiert. Der „Neutralismus“, so erklärten Nehru und Tito, sei nicht die Politik eines „Dritten Blocks“. Ebenso lehnten sie die Kennzeichnung ihrer Haltung als „Dritte Kraft“ ab und betonten, daß die Politik der Nichtbeteiligung an Bündnissen und Blöcken nicht Passivität, sondern „positive, aktive und konstruktive Politik" darstelle, welche „den kollektiven Frieden herbeizuführen sucht, auf dem allein kollektive Sicherheit ruhen kann."

Die Wiege für die Politik der aktiven Koexistenz stand also in Asien. Sie wurde formuliert in den Zusammenkünften zwischen Nehru und Tschou En-lai, wie zwischen Tito und Nehru und war der rote Faden auf der historischen Bandungkonferenz im Jahre 195 5. Die Sowjets haben erst auf dem XX. Moskauer Parteitag 1956 die Bedeutung der asiatischen Koexistenz-Politik voll und ganz begriffen und dann sogar die fünf Prinzipien Nehrus wörtlich in ihre Parteitagsreden und Resolutionen eingefügt.

Lim es vorweg zu nehmen: Wenn wir heute feststellen, daß die neue, vom XX. Moskauer Parteitag eingeleitete Sowjetpolitik in den Ländern Asiens und Afrikas die größten Erfolge zeitigte, so ist des Rätsels Lösung darin zu suchen, daß die Sowjets die Plattform des afro-asiatischen „Neutralismus“ zu einem der Bestandteile ihrer Außenpolitik machten.

Aber zunächst war es nicht so weit. Erst mußte die erste demonstrative Wendung erfolgen. Wendungen werden bei den Sowjets immer in Form von Demonstrationen vollzogen. Diesmal aber war eine ganze Serie von Demonstrationen erforderlich.

Zum Sommer 19 5 5 wurde Nehru eingeladen, die Sowjetunion zu besuchen. Ihm wurde ein Empfang bereitet, wie ihn die Sowjetunion bis dahin nicht gesehen hatte. Aber bevor Nehru in Moskau eintraf, reiste Chruschtschow nach Belgrad, um hier demonstrativ vor Tito Abbitte zu leisten und die in den fünf Prinzipien verankerte Gleichberechtigung für Tito anzuerkennen. Auch hier zeigt sich, sogar im zeitlichen Ablauf der Dinge, der enge Zusammenhang zwischen der Wendung der Sowjet-politik in Asien und Afrika und der Normalisierung der Beziehungen zu Jugoslawien als Voraussetzung derselben.

Die Reise Nehrus in die Sowjetunion war auch, der Auftakt zur Einladung weiterer Führer und Staatsmänner Asiens und Afrikas in die Sowjetunion. Es gibt heute fast keinen führenden Politiker Asiens und Afrikas mehr, der nicht in Moskau war. Fast jede Nummer der „Prawda“ berichtet über den Besuch eines Politikers aus den afro-asiatischen Ländern.

Vor dem XX. Moskauer Parteitag war aber der Höhepunkt in der Demonstration der Wendung in der afro-asiatischen Sowjetpolitik der Besuch Chruschtschows und Bulganins in Indien, Birma und Afghanistan im November und Dezember 195 5. Audi das war in der Sowjetpolitik noch nicht dagewesen und unter Stalin sogar undenkbar. Der Eindruck, den Titos triumphaler Empfang in Indien hinterlassen hatte, mußte in den Schatten gestellt werden. Es gab keine der Sorgen Indiens, sei es die Goa-oder Kaschmir-Frage, die Chruschtschow nicht ansprach und positiv im Sinne der Inder beantwortete. Indien wurde von den Sowjetführern als Großmacht gefeiert. Chruschtschow und Bulganin sprachen nicht nur auf öffentlichen Versammlungen und auf Kinder-festen, sie statteten dem Parlament, wo sie Reden hielten, ihren Besuch ab, besuchten Kaschmir und einzelne Provinzen, grüßten und kleideten sich nach indischen Sitten. Lind der Bericht von seiner Reise nach Indien, Birma und Afghanistan, den Chruschtschow vor dem Obersten Sowjet der LldSSR am 29. Dezember 195 5 erstattete, enthält schon die ersten Elemente der Erklärung der Länder Asiens und Afrikas zur „Zone des Friedens“.

Die „Zone des Friedens”

Es war kein Zufall, daß auf dem XX. Moskauer Parteitag die neue Formulierung der Stellung der Sowjetunion zu den Völkern Asiens und Afrikas mit der Entstalinisierung zusammenfiel. Die Entstalinisierung war vielmehr die entscheidende Voraussetzung für die Wendung der Sowjets in der Frage der nationalen Befreiungsbewegung und der Aktivierung ihrer Politik in Asien und Afrika. Über die Entthronung Stalins ist schon viel geschrieben worden. Es ist bekannt, daß Stalins Biographie, seine Schrift über „die ökonomischen Probleme des Sozialismus“ und auch der „Kurze Lehrgang der Geschichte der KPdSU" auf den Moskauer Index gesetzt wurden. Selbst der Erzstalinist Ulbricht erklärte, daß „Stalin nicht zu den Klassikern des Marxismus“ gezählt werden kann.

Aber neben all dem war auch die Entthronisierung Stalins als „Propogandisten der nationalen Frage“ erforderlich. Stalin war bekanntlich nach der Oktoberrevolution 1917 der erste Volkskommissar für Nationalitätenfragen. Durch eine von ihm im Jahre 1913 veröffentlichte Schrift „Marxismus und nationale Frage“ wurde er schon viele Jahre vor seinem Aufstieg zur uneingeschränkten Macht innerhalb der KPdSLl zum Theoretiker in dieser Frage erhoben.

Stalins gesamte Praxis stand aber im Widerspruch zu seinen eigenen Worten und Thesen, die er in obiger Broschüre niedergelegt hatte.

In der genannten Broschüre schrieb Stalin: „Recht auf Selbstbestimmung heißt: die Nation darf sich nach eigenem Gutdünken einrichten. Sie hat das Recht, ihr Leben nach den Grundsätzen der Autonomie einzuriduen. Sie hat das Recht, zu anderen Nationen in föderative Beziehungen zu treten. Sie hat das Redit, sich gänzlidt loszutrennen. Die Nation ist souverän, und alle Nationen sind gleidibereditigt.“ (Stalin, „Marxismus und nationale Frage“, Berlin 1946, S. 22.)

In der Praxis aber hat Stalin niemals das Selbstbestimmungsrecht der Nationen anerkannt. Von der Mißachtung des Selbstbestimmungsrechtes Georgiens, das Stalin 1922 gewaltsam der Sowjetunion anschloß, bis zur Negierung des Selbstbestimmungsrechtes für Jugoslawien ist ein gerader Weg. Unter Stalin durften sich ganze Nationalitäten „nach eigenem Gutdünken einrichten", allerdings in Sibirien, wohin sie noch am Ende des Zweiten Weltkrieges verbracht wurden. Stalin entwickelte den übelsten großrussischen Chauvinismus, indem er „die russische Nation zur hervorragendsten Nation unter den Nationen der LldSSR“ erhob. Der primitive Antisemitismus, der in den antijüdischen Exzessen seinen Ausdruck fand, war nur ein Produkt dieses großrussischen Chauvinismus. Und schließlich war auch die Verweigerung des „Rechts, zu anderen Nationen in föderative Beziehungen zu treten“ — wie im Falle Jugoslawiens — und die Ignorierung der Gleichberechtigung der Staaten des Ostblocks die gröblichste Verletzung des verkündeten marxistischen Nationalitätenrechts.

Diesen stalinschen Ballast mußten die Sowjetführer versuchen wegzuräumen, bevor sie sich in die junge neue Selbständigkeitsbewegung in Asien und Afrika einschalten konnten.

Und diese Seite der Entstalinisierung, ein Prozeß der durch die Ereignisse in Polen und Ungarn teilweise bereichert, andererseits auch einen Rückschlag erlitt, der aber zweifellos noch nicht abgeschlossen ist —, wurde bisher zu wenig beachtet.

Auf dem XX. Parteitag verteilte man an die Delegierten einige Briefe, die mehr als 30 Jahre geheim gehalten wurden. Es handelt sich um die letzten Briefe Lenins, die er vor seinem Tode schrieb. Unter diesen Briefen befinden sich drei, die sich mit der Frage der Nationalitäten befassen. Diese Briefe und die Berufung auf Lenin machten es den Sowjetführern leichter, sich vom Stalinschen Erbe loszusagen.

In diesen Briefen befaßt sich Lenin mit Stalins Rolle bei der gewaltsamen Angliederung Georgiens an die Sowjetunion. Lind im Briefe vom 31. Dezember 1922, in welchem er zu „außerordentlicher Behutsamkeit, Zuvorkommenheit und Nachgiebigkeit“ in Georgien auffordert, schrieb er über Stalin:

„Ein Georgier, der diese Seite der Angelegenheit vernachlässigt, der verächtlich jedermann des , Sozialnationalismus‘ beziditigt (während er selber nicht nur ein wirklicher und echter , Sozialnationaler‘ ist, sondern ein ebenso rabiater großrussischer Büttel) —, so ein Georgier verstößt im Grunde gegen die Interessen der proletarischen Klassensolidarität, weil nichts die proletarisdre Klassensolidarität so sehr in ihrer Entwicklung und Festigung hemmt wie nationale Ungerechtigkeit und die beleidigten Angehörigen anderer Nationen für nichts ein so feines Gefühl haben wie für Gleichheit und für eine Verletzung dieser Gleichheit." („Kommunist“, Nr. 9/1956, S. 24/25.)

Lind ein anderer Brief, der verteilt wurde, hat heute noch sehr aktuelle Bedeutung:

„Es wäre unverzeihlidter Opportunismus, wenn wir am Vorabend des Hervortretens des Ostens und zu Beginn seines Erwachens unser Ansehen im Osten auch nur durch die geringste Grobheit und Ungerechtigkeit gegenüber unseren eigenen Nichtrussen aufs Spiel setzen würden . . . wenn wir selbst, und sei es auch nur in Kleinigkeiten, in imperialistische Beziehungen zu unterdrückten Völkerschaften geraten und dadurch unsere ganze prinzipielle Aufrichtigkeit, unser ganzes prinzipielles Eintreten für den Kampf gegen den Imperialismus in Frage stellen " („Kommunist“, Nr. 9/1956, S. 26)

Wenn Chruschtschow die Ereignisse in Ungarn vorausgesehen hätte, so hätte er zweifellos diese Briefe nicht auf dem XX. Parteitag verteilen lassen.

Aber auf dem XX. Parteitag dienten diese Briefe dazu, eine Korrektur in der Innenpolitik, in der nationalen Frage herbeizuführen, als eine der Volaussetzungen zur Wendung gegenüber den Ländern Asiens und Afrikas. In keinem Lande sind die Innenpolitik und die Außenpolitik so eng und wechselwirkend miteinander verknüpft wie in der Sowjetunion. Das beweist auch der oben wiedergegebene Auszug aus den Briefen Lenins.

Die Entlassung der russischen Nation von ihrer Rolle „als hervorragendste Nation unter den Nationen der UdSSR“, die Beseitigung des üblen Antisemitismus und die Erweiterung der Rechte der nationalen Republiken Sowjet-Asiens, waren weitere Schritte, um das Ansehen der Sowjets in Asien und Afrika zu heben. Lind wir haben die Tatsache zu verzeichnen, daß erstmalig in der jüngsten Geschichte der Sowjetunion Vertretern der asiatischen Republiken Plätze im höchsten Führungsgremium der Partei, im Parteipräsidium, eingeräumt werden mußten. Ein etwaiger Hinweis, daß ja schon früher Stalin und andere Georgier, wie auch Armenier im Parteipräsidium saßen, entkräftet unsere Feststellung nicht, denn die Sowjets selbst verstehen unter dem Begriff asiatische Sowjetrepubliken: Kasachstan, Kirgisien, Tadshikistan, Turkmenistan und Usbekistan. Außerdem hatte selbst Lenin — wie oben zitiert — solche Asiaten wie Stalin treffend als „rabiate großrussische Büttel“ charakterisiert. Selbstverständlich vollzogen sich alle diese Veränderungen unter sowjetischen Vorzeichen.

Aber dennoch, was sind die Ursachen? Die Ursachen sind nicht irgendwelche Erkenntnisse Chruschtschows über die Fehler und Verbrechen Stalins, die Ursache ist auch nicht der Tod Stalins an sich. Er schuf nur neue Bedingungen für eine Korrektur der Vergangenheit.

Die Ursache ist das Erwachen der Völker Asiens und Afrikas, das Entstehen einer größeren Zahl selbständiger Staaten in Asien und Afrika, die wachsende afro-asiatische Aktivität mit einer eigenen politischen Konzeption und die Gefahr der weiteren Isolierung der Sowjets von den Vorgängen in Asien und Afrika. Alle diese Faktoren zwangen die Sowjets, . auch innerhalb der Sowjetunion Veränderungen im Verhältnis zu den Völkern der asiatischen Sowjetrepubliken vorzunehmen.

Es sei hier schon eine Schlußfolgerung erlaubt:

Die weiterhin wachsende Rolle der Länder Asiens und Afrikas, ihre steigende Aktivität, wie sie selbst in der Kairoer Solidaritätskonferenz und in der Vereinigung Ägyptens und Syriens — auf deren positive und negative Seiten für die Sowjetpolitik wir noch eingehen werden — zum Ausdruck kommen, zwingen die Sowjets, die sogenannte Entstalinisierung in der Nationalitätenfrage weiterzutreiben und die fünf asiatischen Sowjetrepubliken zu einem Schaufenster für Asien und Afrika zu gestalten. Die ersten Anzeichen dafür zeichnen sich heute schon ab.

Auf dem XX. Moskauer Parteitag im Februar 1956 war Chruschtschow gezwungen, erstmalig in der Geschichte der Sowjetpolitik der letzten 30 Jahre die Rolle und Bedeutung der nationalen Befreiungsbewegung in den Ländern Asiens und Afrikas unter Führung der bürgerlichen nationalen Kräfte objektiv zu würdigen.

Er tat dies natürlich vom Gesichtspunkt der Sowjetpolitik, d. h. vom Standpunkt der Gewinnung der blockfreien Staaten Asiens und Afrikas für die eigene Politik. „Das nach der Zahl der Bevölheritng zweitgrößte Land der Welt Indien errang die staatlicLie Unabhängigkeit“ — führte Chruschtschow auf dem XX. Parteitag aus. Lind er fügte wie ein bürgerlicher objektiver Berichterstatter hinzu: „Die Unabhängigkeit erlangten Burma, Indonesien, Ägypten, Syrien, der Libanon, der Sudan und eine Reihe anderer einst kolonialer Länder. So befreiten sich iw Laufe der letzten zehn Jahre mehr als 1, 2 Milliarde Menschen oder nahezu die Hälfte der Bevölkerung der Erde von der kolonialen und halbkolonialen Abhängigkeit . . . Volkschina und die unabhängige Republik Indien rückten in die Reihen der Großmächte auf." (Protokoll des XX. Parteitages, Düsseldorf 1956, S. 20/21.) lind die Bedeutung der neuen nationalen Staaten Asiens und Afrikas in der internationalen Politik kennzeichnet Chruschtschow, unter Verzicht auf dje sonst übliche Klassenanalyse, wie folgt: „Zum Unterschied von der Vorkriegszeit treten jetzt die meisten Länder Asiens in der Weltarena als souveräne Staaten oder als Staaten auf, die ihr Recl-it auf eine selbständige Außenpolitik beharrlich ver teidigen. Die internationalen Beziehungen haben den Rahmen von Beziehungen zwischen Staaten, die überwiegend mit Völkern der weißen Rasse besiedelt sind, gesprengt und erlangen nach und nach den Charakter wahrhaft weltumfassender Beziehungen." (ebenda S. 21.)

Alle diese Worte Chruschtschows sind natürlich auch für die Ohren der nationalen Politiker Asiens und Afrikas bestimmt. An ihre Adresse sind auch die weiteren Worte über die nächsten Schritte zur Stärkung der Unabhängigkeit der neuen selbständigen Staaten Asiens und Afrikas gerichtet: „Die Erkämpfung der politischen Freiheit durch die Völker der ehemaligen Kolonien und Halbkolonien ist die erste und widttigste Voraussetzung für ihre völlige Unabhängigkeit, das heißt, für die Erreichung der wirtschaftlichen Selbständigkeit. Die befreiten Länder Asiens beschreiten den Weg der Schaffung einer eigenen Industrie, der Ausbildung ihrer tedtnisdten Intelligenz, der Erhöhung des Lebensstandards des Volkes sowie der Wiederherstellung und Entwicklung ihrer jahrhundertealten nationalen Kultur. Den Ländern, die den Weg der selbständigen Entwicklung eingesdilagen haben, eröffnet sich die historische Perspektive einer besseren Zukunft.“ (ebenda, S. 21.)

Alle diese Möglichkeiten, die Schaffung einer eigenen Industrie, die Heranbildung einer eigenen technischen Intelligenz, die Erhöhung des Lebensstandards des Volkes und die historische Perspektive einer besseren Zukunft, ergeben sich nach den heutigen Darlegungen der Sowjetführer für die Völker Asiens und Afrikas unter Führung ihrer eigenen nationalen Bourgeoisie. Diese Beurteilung steht — wie wir sahen — im krassesten Widerspruch zur sowjetischen Auffassung der letzten Jahrzehnte.

Der sowjetische Wirtschaftswissenschaftler Eugen Varga hat es dann übernommen, diese neue Einschätzung der nationalen Bourgeoisie zu vertiefen und theoretisch zu untermauern. In seinem Buch „Grundfragen der Ökonomie und der Politik des Imperialismus“ schreibt er: „Im Laufe der letzten 20 Jahre war bei uns weitgehend die Meinung verbreitet, daß der Sieg im nationalen Befreiungskampf der Völker der Kolonien nur unter der Bedingung möglich ist, wenn in diesem Kampf das Proletariat mit der Kommunistischen Partei an der Spitze die führende Rolle spielt. Die Erfahrung der Nachkriegsjahre zeigt, daß diese Meinung falsch ist." (Eugen Varga, „Grundfragen der Ökonomie und der Politik des Imperialismus“, 2. Ausl., Moskau 1957, S. 339.)

Dieses Eingeständnis ist wichtig. Man wurde also durch die Erfahrung, durch das Entstehen einer neuen Kraft in Asien und Afrika, zur Wendung gezwungen. Varga bemüht sich anschließend, den neuen Meinungswechsel zu erklären. Er schreibt: „Selbstverständlich ist die Bourgeoisie im antiimperialistischen Kampf weniger konsequent, als das Proletariat oder sogar die Bauernschaft, weil einzelne Schichten der Bourgeoisie in den Kolonien bei der Ausbeutung der Werktätigen gemeinsame Interessen mit der imperialistischen Bourgeoisie haben. Andererseits leidet die nationale industrielle Bourgeoisie stark unter der ökonomischen Politik der Imperialisten, die die Industrialisierung der Kolonien hindert.

Aus dem Doppelcharakter der kolonialen Bourgeoisie entspringen ihre häufigen politischen Schwankungen. In der Regel führt sie den Kampf gegen den Imperialismus, geht aber unter bestimmten Bedingungen kompromißlerische Vereinbarungen mit ihm ein. Die Erfahrung der letzten Jahre beweist aber, daß solche Kompromisse nur zeitweiligen Charakter haben, und nach bestimmten Llnterbrechungen wird der Befreiungskampf wieder ausgenommen und bis zur Eroberung der vollen politischen Unabhängigkeit geführt.

Dabei spielen die ideologischen Faktoren eine wichtige Rolle. Die Bourgeoisie, die Beamten, besonders die Intelligenz wie auch alle Völker der Kolonien und der Halbkolonien können nicht jene politischen und moralischen Erniedrigungen vergessen, denen sie von Seiten der Eroberer, der Kolonisatoren ausgesetzt waren. Deshalb strebt ein bedeutender Teil der kolonialen Bourgeoisie zur vollen Unabhängigkeit seines Landes, manchmal sogar zum Schaden der eigenen unmittelbaren materiellen Interessen.“ (ebenda, S. 340.) Zum Beweis für seine letzte These führt Varga in einer Fußnote an: „Dadurch erklärt sich auch die Tatsache, dafl die nationale Befreiungsbewegung häufig von Menschen geführt wird, die aus reichen Familien hervorgingen. So war der Vater Nehrus ein vermögender Advokat; der Staatsführer Ceylons, Bandaranaike, ist ein Cutsbesitzer; in Kambodsha trat Prinz Norodom Sihanouk hervor, usw.“ (ebenda, S. 340.)

Theoretisch ergänzt werden diese Auslassungen Vargas noch durch den Sowjet-Professor Dr. M. Rubinstein, der der nationalen Bourgeoisie nun auch zubilligt, den Weg zum Sozialismus zu beschreiten. In einem Artikel in „Neue Zeit“ Nr. 28/1956, „Möglichkeiten eines nicht-kapitalistischen Wegs für schwachentwickelte Länder“ betitelt, hält Rubinstein einen solchen Weg zunächst allerdings nur in Indien unter Führung Nehrus für möglich: „Dabei wird die sozialistische Entwicklung Indiens offenbar langsamer vonstatten gehen als beispielsweise diejenige Chinas, und sie wird, wie aus dem Gesagten erhellt, wesentliche Eigenheiten und Besonderheiten haben.“

Er hütet sich aber, für Ägypten unter Führung von Nasser eine ähnliche Prognose zu stellen! So begeistert die Sowjets der Außenpolitik Nassers zustimmen, so sehr hüten sie sich, eine klassenmäßige Einschätzung der Innenpolitik Nassers zu geben, mit der sie sonst so flink bei der Hand sind!

Vergeblich sucht man nach all den obigen Ausführungen, in denen der nationalen Bourgeoisie die Führung im nationalen Befreiungskampf zuerkannt und Nehru sogar bescheinigt wird, daß er den Weg zum Sozialismus beschreite, nach irgendeinem Hinweis, welche Rolle nunmehr die einheimischen Kommunisten in den Ländern Asiens und Afrikas zu spielen haben. Sollen sie, nach dieser Neuorientierung und neuen Einschätzung der nationalen Bourgeoisie, weiterhin, wie bisher, um die Führung in der nationalen Befreiungsbewegung kämpfen? Sollen sie das Rezept Mao Tse-tungs, die Strategie des Bündnisses der „vier befreundeten Klassen“ — der Arbeiter, der Bauern, der Intelligenz und der nationalen Bourgeoisie — unter Führung der Kommunisten mit dem Ziel der Machtergreifung, anwenden? Oder besteht für sie die Aufgabe der Machtergreifung auf dem friedlichen parlamentarischen Wege — den der XX. Moskauer Parteitag ebenfalls verkündet hat?

Es ist hier nicht möglich, auf die Strategie und Taktik der Kommunisten Asiens und Afrikas ausführlicher einzugehen. Wir können nur auf einige Grundtendenzen hinweisen.

Die Politik der Kommunistischen Parteien Asiens und Afrikas ist der neuen außenpolitischen Moskauer Konzeption und der Beurteilung der nationalen Bewegungen der blockfreien afro-asiatischen Länder als Bundesgenossen untergeordnet. Von diesem Gesichtspunkt aus ist den Kommunisten nur in den Ländern Asiens, die an die SEATO oder den Bagdad-Pakt gebunden sind, noch die Aufgabe der Anwendung der Mao-Strategie des Kampfes gegen sogenannte Kompradoren-Bourgeoisie gestellt.

In den übrigen Ländern Asiens und Afrikas haben die Kommunisten eine Politik der Tolerierung und Unterstützung der jetzigen nationalen Regierungen durchzuführen. Sowohl die KP Indiens, wie auch die relativ sehr starke KP Indonesiens, mußten offiziell erklären, daß sie auf das Ziel der Errichtung der Volksdemokratie verzichten.

Selbst der „friedliche parlamentarische Weg zur Machteroberung" darf nur mit angezogenen Bremsen befahren werden. Das zeigt das Beispiel Kerala. In dieser indischen Provinz bildeten die Kommunisten nach ihrem Wahlsieg im April 1957 die Regierung. Auf höhere Anweisung mußten sie aber auf die Durchführung von Maßnahmen, die über diejenigen der Zentralregierung Nehrus hinausgehen, verzichten. Auch in Indonesien, wo die Kommunisten bei den jüngsten Provinzialwahlen erhebliche Erfolge verbuchen konnten, spielen sie nur die Rolle der Hefe und des Sauerteiges in der Politik Sukarnos. Lind in Syrien hat Moskau stillschweigend die KP der totalitären „National-Union" Nassers opfern müssen. Jedes zu weite Hervorprellen irgendeiner kommunistischen Partei in diesen Ländern Asiens und Afrikas könnte heute die gesamte Konzeption Moskaus in diesen Staaten verderben — das ist der Gesichtspunkt, von welchem die taktische Haltung der kommunistischen Parteien in diesen Ländern bestimmt wird.

Es entsteht natürlich die Frage: Wenn die Sowjets der nationalen Bourgeoisie eine führende Rolle im heutigen Asien zugestehen und die Kommunistische Partei in vielen Ländern Asiens ihre Regierung tolerieren und unterstützen, ist dann nicht die Kommunistische Partei überflüssig? In der Moskauer Konzeption sind den kommunistischen Parteien in Asien und Afrika große Zukunftsaufgaben der Überleitung der nationalen in die soziale Revolution vorbehalten. Und man rechnet, und wie das Beispiel Indonesien zeigt, nicht unrichtig, damit, daß durch die heutige Taktik sich die Kommunistischen Parteien in die Breite, zu Massenparteien entwickeln.

Ausgehend von der neuen Einschätzung der nationalen Bewegungen in Asien und Afrika stellt Chruschtschow in seinem Parteitagsbericht für die Sowjetpolitik zwei Aufgaben:

1. Wirtschaftliche Bindung der Länder Asiens und Afrikas an die Sowjetunion auf dem Wege der Wirtschaftshilfe und 2. politische Einbeziehung der Länder Asiens und Afrikas in de außenpolitische Strategie der Sowjetunion durch Erklärung der blockfreien Staaten Asiens und Afrikas als nur zur „Zone des Friedens“ gehörend. Vom Moskauer Parteitag 1956 bis zur jüngsten afro-asiatischen Solidaritätskonferenz in Kairo zeigt sich diese Zielsetzung als Generallinie der neuen sowjetischen afro-asiatischen Politik.

Die Politik der Wirtschaftshilfe

Zur Wirtschaftshilfe führte Chruschtschow auf dem XX. Parteitag aus: „Bei der Schaffung einer unabhängigen nationalen Wirtschaft und bei der Erhöhung des Lebensstandards ihrer Völker können sielt diese Länder auf die Erfolge des sozialistischen Weltsystems stützen, obwohl sie diesem nicht angehören. Sie brauchen heute nicht mehr bei ihren ehemaligen Unterdrückern um moderne Industrieausrüstungen zu betteln. Solche Ausrüstungen können sie in den Ländern des Sozialismus erhalten und braudten dafür mit keinerlei Verpflichtungen politischen oder militärischen Charakters zu zahlen.“ (Protokoll des XX. Parteitages, Düsseldorf 1956, S. 21.)

Wir können die sowjetische Wirtschaftshilfe für die unterentwickelten Länder nicht nach der Propaganda beurteilen. In dieser nimmt sie einen hervorragenden Platz ein. Diese Wirtschaftshilfe muß vielmehr im Rahmen der nicht geringen Verpflichtungen, die die Sowjetunion auch in Rotchina und im gesamten Ostblock übernommen hat, betrachtet werden. Bei aller Propaganda sind auch die Mittel der Sowjets nicht unbegrenzt.

Es ist sehr schwer, restlos und allumfassend alle Materialien über die sowjetische Hilfeleistung an die unterentwickelten Länder, an Rotchina und den Ostblock zusammenzutragen, zumal mit den Hilfsversprechen und Zusagen oft eine monatelange Propaganda getrieben, aber über die Realisierung der Zusagen wenig veröffentlicht wird. Wir sind deshalb gezwungen, auf einige wenige Daten zurückzugreifen, die aber dennoch ein ungefähres Bild geben.

Nach allgemeinem Liberschlag haben die Sowjets in den Jahren von 195 5 bis 1957 an zehn Länder Asiens und Afrikas eine Wirtschaftshilfe von annähernd 1, 5 Milliarden Dollar gewährt resp, zugesagt (davon Ägypten 700 Millionen Rubel — 175 Millionen Dollar; Indien 125 Millionen Dollar zum Bau eines Stahlwerkes, das mit 230 Millionen Dollar veranschlagt ist. Afghanistan 105 Millionen Dollar; Indonesien 100 Millionen Dollar). Selbst wenn diese Zahl von 1, 5 Milliarden auf Grund einiger nicht realisierter Zusagen zu hoch sein sollte, bietet sie uns die Möglichkeit, die sowjetische Hilfe für die unterentwickelten Länder mit der Wirtschaftshilfe der Sowjets für Rotchina und für den Ostblock zu vergleichen. Über die Sowjethilfe für Rotchina und für den Ostblock stehen uns Daten zur Verfügung, die Chruschtschow selbst auf dem XX. Parteitag bekanntgab.

Über die Hilfe an Rotchina gab Chruschtschow bekannt: „Unser Land unterstützt die Volksrepublik China allein in einem Planjahrfünft (1953 — 1957 d. V.) beim Bau von 156 Betrieben und 21 selbständigen Werkabteilungen; der gesamte Wert der von uns gelieferten Ausrüstungen beträgt etwa 5, 6 Milliarden Rubel" (1, 4 Milliarden Dollar).

Von diesen genannten 156 Werken wurden, wie auf der V. Tagung des Ersten Nationalen Volkskongresses (Februar 1958) berichtet wurde, bis Ende 1957 insgesamt 57 Werke fertiggestellt. 99 Werke befinden sich noch im Bau und weitere 5 5 Werke werden von den Sowjets geplant.

Die von den Sowjets in Rotchina fertiggestellten 57 Werke gehören zu den im er: ten Fünfjahresplan Chinas errichteten Industrie-Objekten, deren Gesamtzahl mit 450 angegeben wurde. Daraus ergibt sich, daß die Sowjets 122/3°/0 der im ersten Fünfjahresplan in Rotchina neuerrichteten Werke gebaut haben.

Bei den von den Sowjets noch in Planung befindlichen 5 5 Werken handelt es sich um Betriebe deren Errichtung anläßlich des Besuches von Mikojan in Peking, in der Zeit vom 6. — 9. April 1956, vereinbart wurde. In dem von der „Prawda“ am 8. April 1956 veröffentlichten Communique heißt es darüber: „Im Abkommen . . . wurde der Bau von 55 neuen Industriebetrieben zusätzlich zu den 156 Objekten, die auf Grund des früheren angeschlossenen Abkommens ausgerüstet werden, vereinbart. Bei den genannten 55 Betrieben handelt es sich um Betriebe der Metallurgie, des Maschinenbaus, um chemische Betriebe, Betriebe für künstliche Fasern und Kunststoffproduktion, Betriebe für Elektro-'und Radioted-inik, um einen Betrieb für künstlidten flüssigen Brennstoff, Elektrostationen und ein wissenschaftliches Forschungsinstitut für die Flugzeugindustrie. Der Gesamtwert der zu liefernden Ausrüstungen für die projektierten Arbeiten zum Bau der genannten 55 Betriebe beträgt etwa 2, 5 Milliarden Rubel" (625 Millionen Dollar)

Der Wert der von den Sowjets an Rotchina gelieferten Ausrüstungen — von Chruschtschow mit 5, 6 Milliarden Rubel (1, 4 Milliarden Dollar) angegeben — entspricht etwa dem 6 fachen Wert des großen Stahl-werkes, das die Sowjets in Indien errichten. Dieses Stahlwerk in Indien, in Bhilai, das mit sowjetischer technischer Hilfe erstehen und mit sowjetischen Maschinen ausgerüstet wird, ist mit 230 Millionen Dollar vorveranschlagt worden. Es soll bis 1959, wie angegeben, 300 000 t Roheisen und 1, 3 Millionen t Stahl produzieren.

Der Wert der von den Sowjets an Rotchina — nach Chruschtschow bis zum XX. Parteitag — gelieferten Ausrüstungen (1, 4 Milliarden Dollar) entspräche also dem Wert von 6 indischen Stahlwerken mit einer Gesamtproduktionsleistung von 1, 8 Millionen t Roheisen und 7, 8 Millionen t Stahl.

Legen wir nur die Angaben Chruschtschows zugrunde, so war die Sowjethilfe für Rotchina allein fast genau so hoch wie die sowjetische Wirtschaftshilfe für 10 Länder Asiens und Afrikas Sie liegt aber, noch höher, weil die Sowjets den Rotchinesen noch weitere Kredite bewilligt haben. Über die Wirtschaftshilfe an den gesamten Ostblock teilte Chruschtschow mit: „Gemäß abgesddossenen Verträgen hilft die Sowjetunion den volksdemokratisdien Ländern beim Bau von 391 Betrieben und mehr als 90 Werksabteilungen und Anlagen. Wir haben den Ländern der Volksdemokratie langfristige Kredite in Höhe von insgesamt 21 Milliarden Rubel (5, 25 Milliarden Dollar) . . . gewährt." Auch diese Summe erhöht sich durch weitere Kredite, die die Sowjetunion den Staaten des Ostblocks gewährt resp, zugesagt hat.

Aufgrund des Abkommens mit Rotchina vom 8. April 1956 über den Bau von weiteren 5 5 Werken, berichtigte die „Prawda“ vom 27. Juli 19 56 die obigen Zahlen und teilte mit, daß die Sowjetunion in allen 11 Ostblockstaaten den Aufbau von 446 Werken und 96 Werk-abteilungen übernommen haben. Davon entfallen auf Rotchina allein 211 Werke! Nach einem Bericht von Ulbricht im „Neuen Deutschland“ vom 1. August 1956 hatte die Sowjetunion im Juli 1956 der „DDR“ allein einen Kredit in Höhe von 7, 5 Milliarden Rubel (1, 87 Milliarden Dollar) versprochen.

Die gewährte resp, zugesagte sowjetische Wirtschaftshilfe für den Ostblock ist heute schon höher als der bekannte industriell-technische Beitrag des Westens zur Industrialisierung in den Aufbaujahren der UdSSR, in denen der Grundstein zur Verwandlung der Sowjetunion in eine erstklassige industrielle Großmacht gelegt wurde.

Vorsichtig geschätzt ist die Sowjethilfe für den Ostblock mindestens 7 mal so hoch als für die unterentwickelten Länder Asiens und Afrikas — dabei sind Rotchina und die „DDR“ zweifellos die größten Kredit-empfänger!

Allerdings gibt es in der sowjetischen Wirtschaftshilfe-Politik auch eine solche Praxis, daß die Sowjets einzelnen Ostblockstaaten Gelder bewilligen, die von diesen für Anleihen an unterentwickelte Länder verwendet werden. Ein solcher Fall soll beim Abschluß eines Abkommens zwischen Rotchina und Kambodsha „über die Gewährung von Wirtschaftshilfe an Kombodsha“ vom 21. Juni 1956 in Höhe von 800 Millionen Rials — 8 Millionen Pfund Sterling — vorgelegen haben.

Die Sowjetunion verkündete, daß ihre Wirtschaftshilfe an die unterentwickelten Länder uneigennützig und nicht an irgendwelche Bedingungen politischer, militärischer oder sonstiger Art geknüpft sei. Diese Methode ist, wie sich zeigt, erfolgreich. Welches propagandistische und politische Kapital die Sowjetunion aus dieser Methode schlägt, zeigt unter vielen anderen Beispielen die begeisterte Aufnahme der sowjetischen Wirtschaftshilfeversprechen auf der Kairoer afro-asiatischen Solidaritätskonferenz. Den Delegierten in Kairo sagte der Sowjetvertreter Arsumanjan:

„Wir können Ihnen Industrieanlagen, Transportaulagen, Forschungsund Erziehungsinstitute, Krankenhäuser oder andere kulturelle Einrichtungen bauen, was Sie audt immer braudten. Wir können Ihnen unsere Spezialisten schidten oder Sie schicken Ihre Spezialisten zur Besichtigung zu uns. Wir Stichen keinerlei Vorteile, wir brauchen keinerlei Profite, Privilegien, beherrschende Interessen, Konzessionen oder Rohstoffquellen. Wir verlangen nicht, daß Sie an irgendwelchen Blocks teilnehwen, Ihre Regierungen absetzen oder Ihre Innen-oder Außenpolitik ändern. Wir sind bereit, Ihnen zu helfen, wie der Bruder dem Bruder. Unsere einzige Bedingung ist, bedingungslos zu helfen“ („Neues Deutschland“ vom 29. XII. 1957)

Solche Reden werden noch durch kleine Geschenke, wie der Stiftung eines technologischen Instituts, eines Krankenhauses und einer Landwirtschaftsausstellung an Birma oder der kostenlosen Ausstattung eines großen Staatsgutes in Indien, untermauert.

Ob aber die Sowjetunion alle diese Wirtschaftshilfe-Versprechen erfüllen kann, ist eine andere Frage. Zunächst ist aber die Wirtschaftshilfe eines ihrer entscheidenden und zugkräftigsten Propagandamittel in Asien und Afrika — wobei diese Wirtschaftshilfe, wie wir sahen, gemessen an den Ausgaben für den Ostblock und Rotchina, bisher relativ wenig kostet.

Zur politischen Orientierung der Sowjetpolitik auf die Länder Asiens und Afrikas proklamierte Chruschtschow auf dem XX. Moskauer Parteitag: „Die Friedenskräfte haben durch das Erscheinen einer Gruppe von friedliebenden Staaten Europas und Asiens auf dem Schauplatz des internationalen Geschehens, die die Nichtbeteiligung an Blocks zur Grundlage ihrer Aussenpolitik machten, einen bedeutsamen Zuwachs erfahren. . . So ist in der Welt eine umfangreiche „Zone des Friedens“ entstanden, die sowohl sozialistische als auch nichtsozialistisd e friedliebende Staaten Europas und Asiens einschließt“ (Protokoll des XX. Parteitages, Düsseldorf 1956, Bd. I, S. 18)

Die Staaten des Ostblocks, die Chruschtschow in die „Zone des Friedens“ einschließt, waren im Unterschied zu den „neutralen“ Ländern Asiens und Afrikas immer mehr oder weniger fest an Moskau gebunden.

Die blockfreien jungen Nationalstaaten Asiens und Afrikas hatten sich aber mit der Bandung-Konferenz, von der die Sowjetunion ausgeschlossen war, ihre eigene Form des Zusammenschlusses geschaffen.

Sollte die obige Erklärung Chruschtschows von der „Zone des Friedens“ in Asien und Afrika keine leere politische Proklamation bleiben, so entstand die Notwendigkeit der organisatorischen Erfassung der Völker Asiens und Afrika in einer Form, in die auch die Sowjetunion einbezogen ist. Diese Form wurde mit der afro-asiatischen Solidaritätsbewegung, deren erste Konferenz in der Zeit vom 26. Dezember 1957 bis 1. Januar 1958 in Kairo stattfand, geschaffen. Durch die Organisationsbeschlüsse dieser Kairoer Solidaritätskonferenz wurde der Grundstein zum Aufbau der Organisation der „Zone des Friedens“ in Asien und Afrika gelegt.

Bandung weckt die Sowjet-Orientalisten

In einem zwölfspaltigen Artikel der Moskauer „Prawda“ vom 5. Februar 1958 zog das Korrespondierende Mitglied der sowjetischen Akademie der Wissenschaften, F. W. Konstantinow, gegen den modernen Revisionismus zu Felde. Wer allerdings in dieser Epistel des Herrn Professors etwas über die moderne Revision der sowjetischen Haltung zu den nationalen Bewegungen in Asien und Afrika sucht, der sucht vergebens. Stattdessen nimmt der Sowjetprofessor in erster Linie die polnischen Kritiker und unter ihnen vornehmlichst den polnischen Philosophen Leszek Kolakowski aufs Korn. Die polnischen Intellektuellen haben nämlich Stalin zum modernen Revisionisten erklärt und das Moskauer Monopol des ausschließlichen Rechts der Bestimmung der Lehre als „institutioneilen Marxismus“ und „Behörden-Marxismus“ bezeichnet. „Wer nach einem Jahr als Marxist gelten wird, läßt sich nicht mit aber ist voraussagen, nicht Bestimmtheit es unsere Aufgabe, sondern die darüber der Behörde, zu entscheiden“ — hatte Kolakowski nach der politischen Schwenkung auf dem XX. Parteitag geschrieben.

In der polnischen Zeitschrift „Nowa Kultura" Nr. 4/1957 veröffentlichte Leszek Kolakowski einen Artikel „Aktuelle und nichtaktuelle Begriffe des Marxismus.“ Er führt darin ein eigenes Erlebnis an, das als klassisches Beispiel für die Lage, in die auch die Sowjet-Orientalisten nach der Bandung-Konferenz und insbesondere nach dem XX. Moskauer Parteitag gerieten, betrachtet werden kann.

Kolakowski berichtete:

„Einige Tage nachdem der größte Sprachwissenschaftler der Welt (Stalin, d. V.) in einer Tageszeitung sein Werk veröffentlidnt hatte, mit dem er die Theorie Marrs (1934 verstorbener sowjetischer Sprachwissenschaftler, der die „klassenmäßige Bedingtheit der Sprachentwicklung“ abhandelte) als unriditig entlarvte, hatte ich Gelegenheit, einer Konferenz von Sprachwissenschaftlern beizuwohnen, die diesem Ereignis gewidmet war. Dabei erlaubte sich einer der Redner eine große Taktlosigkeit. Er nahm eine Brosdräre zur Hand, die von einem der anwesenden Sprachwissenschaftler stammte und einige Wochen zuvor veröffentlicht worden war, und las daraus einen Absatz vor, der ungefähr folgendermaßen lautete: , Es ist sonnenklar, daß in der Sprachwissenschaft die Theorie Marrs die konsequenteste marxistisch-leninistische Sprachtheorie ist, daß nur sie allein mit den Grundsätzen des Marxismus-Leninismus absolut übereinstimmt und daß gerade sie ein zuverlässiges Werkzeug für die marxistisch-leninistische Sprachforschung usw. darstellt. ’ Daraufhin zog der Bösewicht die neuste Zeitung hervor und verlas aus einem Artikelchen, das der Autor der zitierten Broschüre verfaßt hatte, einen Passus, der ungefähr so lautete: — , Es ist sonnenklar, daß die Marr'sche Theorie mit dem Marxismus-Leninismus nichts gemein hat, daß sie eine grobe Vulgarisierung 'des Marxismus-Leninismus darstellt und daß sich die marxistisch-leninistische Sprachkonzeption gegen die Marr'sche Theorie entschieden zur Wehr setzen muß’ — Was soll das? empörte sich der Kritiker. Ein solcher Meinungsumschwung im Laufe weniger Wochen? Chamäleon! Der Autor der zitierten Fragmente schwieg verwirrt, die Zuhörer aber lachten und amüsierten sich darüber, bis der auf der Versammlung anwesende Parteifunktionär das Wort ergriff und sagte, da gäbe es nichts zu lachen, denn der Mensch könne seine Ansichten ändern, und dies tue niemanden Abbruch.“

Ein ähnlicher Meinungsumschwung im Verlaufe weniger Wochen läßt sich auch aus den Äußerungen der Sowjet-Orientalisten ablesen, wenn man ihre aus Zeit vor der Ansichten der Bandung-Konferenz mit denen nach derselben vergleicht. Erst nach der Bandung-Konferenz begannen die Sowjet-Orientalisten ihre Beurteilung der nationalen Bourgeoisie in den Ländern Asiens und Afrikas zur korrigieren. Eine tatsächliche Reaktivierung der Arbeit der Sowjet-Orientalisten begann aber erst nach dem XX. Moskauer Parteitag.

Nichts veranschaulicht die Verkennung der afro-asiatischen Entwicklung durch die Sowjets bis zum XX. Moskauer Parteitag deutlicher als die Kritik, die Mikojan auf diesem Parteitag am sowjetischen Institut für Orientkunde übte. „Es gibt bei der Akademie der Wissenschaften noch ein Institut, das sielt mit Fragen des Ostens befaßt, doch von diesem Institut kamt man sagen, daß es, während der ganze Osten in unserer Zeit erwacht ist, bis auf den heutigen Tag schlummert (Bewegung im Saal, Heiterkeit).

Wäre es für das Institut nicht an der Zeit, den Anforderungen unsere'Zeit gerecht zu werden?

Schwer zu begreifen ist auch die Auflösung des Moskauer Instituts für Orientkunde, das 139 Jahre bestanden hatte, und dazu ausgerechnet in einer Zeit, da unsere Verbindungen mit dem Osten wachsen und erstarken, zu einer Zeit, da mit der Erweiterung der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Beziehungen zu den Ländern des Ostens das Interesse für diese Länder bei der sowjetischen Öffentlichkeit unermeßlich gewachsen ist, ebenso wie der Bedarf an Menschen, die die Sprachen, die Wirtschaft und die Kultur der östlichen Länder kennen.

(Protokoll des Moskauer Parteitages Bd. II, Düsseldorf 1956, S. 118.) Diese Kritik Mikojans wurde noch durch den früheren Sekretär der Komintern, Otto V. Kuusinen, ergänzt. Nachdem Kuusinen die Wiederaufnahme der Beziehungen zu Jugoslawien im Zusammenhang mit der Herstellung guter Beziehungen zu Indien, Birma und Afghanistan erwähnte, fährt er fort: „Hierbei muß die außerordentliche politisd-ie Bedeutung der Tatsache festgestellt werden, daß die Genossen Chruschtschow und Bulganin in ihren Reden, die sie in Indien gehalten haben, mit Recht auf die hervorragende Rolle hinwiesen, die Mahatma Gandhi in der Geschichte des indischen Volkes gespielt hat. Damit haben die Genossen Chruschtschow und Bulganin faktisch die Initiative ergriffen, um jene sektiererischen Felder zu korrigieren, die in den vergangenen Jahren in einigen Reden und Äußerungen sowjetisclter Orientalisten und in Veröffentlichungen der Kommunistischen Internationale zum Ausdruck gekommen waren. Ausschließlich von der Kritik der philosophischen Anschauungen Gandhis ausgehend, die bekanntlich mit den Anschauungen des Marxismus-Leninismus bei weitem nicht übereinstimmen, äußerten sich einige unserer Publizisten derart einseitig, daß sie die positive historische Rolle Gandhis negierten.

Hinzu kommt, daß unsere Geschichtswissenschaftler und Propagandisten allen Grund haben auch einige andere unserer Veröffentlichungen, beispielsweise die bekannten Thesen des VI. Kongresses der Komintern zur kolonialen Frage, kritisch durchzuarbeiten und zu überprüfen. Konkret meine ich die in diesen Thesen gegebene Charakteristik und Einschätzung der Rolle der nationalen Bourgeoisie in den kolonialen und halbkolonialen Ländern. Diese Einschätzung trug bereits damals, als die erwähnten Thesen zur kolonialen Frage ausgearbeitet wurden, einen bestimmten Anflug des Sektierertums. Unter den veränderten Bedingungen der Gegenwart und angesichts des stark gewachsenen Ansehens der Sowjetunion entspricht diese Einschätzung keineswegs mehr der Wirklichkeit“ (Ebenda, S. 327).

Mit seiner Kritik an den Sowjet-Orientalisten, deren Institut, wie Mikojan bemerkte, aufgelöst war, und an den Publizisten, umsegelt Kuusinen in Wirklichkeit die Hauptfrage, nämlich daß all das, was er heute kritisiert, gestern noch zur offiziellen Politik der Sowjetführung gehörte.

Faktisch gab aber der XX. Moskauer Parteitag den Sowjet-Orientalisten die Direktiven zur Reaktivierung ihrer Arbeit. Dem sowjetischen Institut für Orientkunde bei der Akademie der Wissenschaften der UdSSR wurde von der Partei die Ausgabe gestellt, die neue Linie in der ofro-asiatischen Sowjetpolitik wissenschaftlich zu untermauern. Auch dieses Institut ist ein Organ zur Durchführung der Parteipolitik.

Nadi der obigen Kritik, daß das Institut schlummere, brauchten die Sowiet-Orientalisten noch faktisch 15 Monate, um ihre Arbeit in Gang zu bringen, holten dann aber mit großer Energie und Eile das Versäumte auf.

Erst in der Zeit vom 4. bis 11. Juni 1957 fand der erste Kongreß der Sowjet-Orientalisten in Taschkent statt. Nach 40 jährigem Bestehen der Sowjetunion versammelten sich die Sowjet-Orientalisten das erste Mui im Iahre 10571

Natürlich mußte auf dieser Konferenz der Sowjet-Orientalisten in Taschkent Selbstkritik an der Vergangenheit geübt werden. Für die Fehler Stalins wurden die Sowjet-Orientalisten verantwortlich gemacht

Diese Aufgabe fiel dem Vertreter des Zentralkomitees der KPdSU auf der ersten Sowjet-Orientalisten-Konferenz, Nuritdin Akramowisch Muchitdinow, zu. Muchitdinow war, bis er im Dezember 1957 an Stelle von Marschall Shukow in das Präsidium des ZK der KPdSU gewählt und zum Sekretär des ZK ernannt wurde, Erster Sekretär der KP Usbekistan. Heute untersteht Muchitdinow die gesamte Orientarbeit der Sowjets. Die Berufung Muchitdinows zeigt, welche Bedeutung man der afro-asiatischen Tätigkeit heute im höchsten Führungsgremium der Partei beimißt

Vor den in Taschkent versammelten Sowjet-Orientalisten führte Muchitdinow aus „Von der Tribüne des XX. Parteitages wurden die sowjetischen Orientalisten wegen des Zurüd? bleibens in der Ausarbeitung wichtiger Probleme des heutigen Ostens und wegen theoretischer Fehler einer gerechten Kritik unterzogen.

In den Arbeiten einiger Historiker-Orientalisten wurden ernste Fehler bei der Einschätzung der Rolle der nationalen Bourgeoisie im antiimperialistischen Kampf der Völker des Ostens zugelassen. Diese Rolle wurde nicht selten als eine reaktionäre und gegen das Volk gerichtete eingeschätzt. Unterdessen nahm die nationale Bourgeoisie in einer Reihe kolonialer und unabhängiger Länder aktiven Anteil am nationalen Befreiungskampf. In einer Anzahl von Arbeiten wurde die antiimperialistische Tätigkeit solcher hervorragender Führer der nationalen Bewegung wie Mahatma Gandhi in Indien, und Kemal Atatürk in der Türkei und anderer entweder verschwiegen oder nicht richtig beschrieben.

Eine solche antihistorische Einstellung, die nicht die objektive Lage und die Besonderheiten der inneren Entwicldung in den Ländern des Ostens berücksichtigte, bradtte unserer Orient-Wissensdiaft unzweifelhaft großen Schaden.“ („Prawda“ vom 14. Juni 1957)

Die Erkenntnis ihres Zurückbleibens in der Orientforschung war für die Sowjets ein starker Antrieb das Vernachlässigte aufzuholen. In diesem Zeichen stand auch die erste Konferenz der Sowjet-Orientalisten in Taschkent.

Wer jedoch der Meinung ist, daß sich die Sowjet-Orientalistik vornehmlichst mit rein wissenschaftlich-akademischen Forschtngen, wie mit den Problemen der alten Kulturen der Ostvölker oder linguistischen Problemen zu befassen habe, ist im Irrtum. Diese Aufgaben spielen nur eine sekundäre Rolle. Sie werden betrieben um dadurch in Beziehungen zu den Wissenschaftlern der Länder des Ostens zu kommen, um Studenten aus den Ländern Asiens und Afrikas in die Sowjetunion zu ziehen und um eigene Fachleute für die unterentwickelten Länder auszubilden. Die Hauptaufgabe der Sowjet-Orientalisten besteht im Studium der wissenschaftlichen sozialen und politischen Entwicklung der afro-asiatischen Länder und in der Durchführung der Beschlüsse der Partei.

All das wird durch eine Reihe von Tatsachen bewiesen. In der Zeit vom 26. August bis 4. September 1957 fand in München der XXIV. Internationale-Orientalisten-Kongreß statt, an welchem eine sowjetische Orientalistendelegation von 2 3 Wissenschaftlern teilnahm. Aus der Kritik an diesem Kongreß, die der Leiter der sowjetischen Delegation der ehemalige Sekretär des ZK der KP Tadshikistans und jetziges Mitglied des ZK der KPdSU, Direktor des Instituts für Orientkunde der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, Doktor der Geschichtswissenschaften B. G. Gafurow, in der „Prawda“ vom 3. Oktober 1957 veröffentlichte, ist die sowjetische Aufgabenstellung deutlich zu entnehmen. Gafurow schreibt:

„Die überwiegende Mehrzahl der Vorträge (in München, d. V.) betrafen das tiefe Altertum mit vorherrsdiender linguistischer Analyse. Die sozial-ökonomischen Probleme wurden mit geringen Ausnahmen nidit gestellt. Auch die Thematik des heutigen Ostens, des nationalen Befreiungskampfes, wurde, mit Ausnahme der Vorträge der Wissenschaftler der sozialistischen Länder, nidit berührt."

Welche Aufgaben sich die sowjetische Orientforschung stellt, ergibt sich auch aus der Tagesordnung der auf der Taschkenter Konferenz behandelten Fragen. Diese Konferenz, an der auch Vertreter Rotchinas, der Mongolei, Nord-Vietnams, Nord-Koreas, Polens, der Tschechoslowakei und Rumäniens teilnahmen, behandelte folgende Themen:

1, Zerfall des Kolonialsystems — Referent: Korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften der UdSSR J. M. Shukow;

2. Der Stand und die Aufgaben der sowjetischen Orientkunde im Lichte der Beschlüsse des XX. Parteitages der KPdSU — Referent: Direktor des Instituts für Orientalistik bei der Akademie der Wissenschaften der UdSSR — B. G. Gafurow;

3. Die internationale Bedeutung des Sieges der Volksrevolution in China -Referent: Kandidat der Geschichtswissenschaften A. G.

Kirmow;

4. Die internationale Bedeutung der Bandungskonferenz — Referent:

Kandidat der Rechtswissenschaften L. M. Maksudow. Der Direktor des Instituts, Dr. Gafurow hat dann auch die Hauptaufgaben seines Instituts knapp umrissen. Er führte aus: „Das wichtigste wissenschaftliche Problem, mit dem sich das Institut für Orientkunde gegenwärtig beschäftigt und das es entsprechend dem vorgesehenen Fünfjahresplan (ein Fünfjahresplan für die Arbeit des Instituts! d. V.) erarbeiten wird, ist das Studium der Krise und des Zerfalls des Kolonialsystems und auch der Kolonialpolitik des Imperialismus in der heutigen Etappe. Allen Arbeiten zu diesen Problemen liegen die historischen Beschlüsse des XX. Parteitages zugrunde, in welchen die (Gesetzmäßigkeiten des Zerfalls des Kolonialsystems des Imperialismus und die Besonderheiten der nationalen Befreiungsbewegung in den Ländern Asiens und Afrikas vom Gesichtspunkt des Marxismus-Leninismus tief beleuchtet sind.

Die entscheidende und Hauptaufgabe besteht darin, die Schaffung solcher Werke zu sichern, in welchen die Geschichte, die Oekonomie und die Kultur der Länder des Ostens sowie der Kampf der Völker für ihre Befreiung und den Aufbau eines neuen Lebens wirklidt tief wissenschaftlich von marxistisch-leninistischer Position beleuchtet werden“ (Prawda“ vom 3. Juni 1957)

Bereits auf der ersten Sowjet-Orientalisten-Konferenz in Taschkent hatte Muchitdinow mitgeteilt, daß „die Partei und die Regierung eine Reihe notwendiger Maßnahmen zur Verbesserung der Lage der sowjetischen Orient-Wissenschaft unternommen“ habe. Als solche Maßnahmen nannte er: Die Reorganisation des Instituts für Orientalistik bei der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, die Gründung eines Instituts für Chinakunde bei der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, die Errichtung eines Instituts für Ostsprachen bei der Moskauer Staats-Universität und die Eröffnung eines neuen Ost-Instituts in Taschkent.

Bisher gab das Sowjet-Institut für Orientalistik eine Zeitschrift, „Sowjet-Orientalistik" („Sowjetskoje wostokowedenije"), die alle zwei Monate erscheint, heraus. Nach der Kritik der Arbeit des Instituts und im Zeichen seiner Reaktivierung erscheinen nunmehr eine Reihe weiterer Publikationen. „DergegenwärtigeOsten“ („Sowremennij wostok“) ist eine neue monatlich erscheinende Zeitschrift des Instituts für Sowjet-Orientalistik. Sie erscheint seit dem 1. Juli 1957 Zwei weitere Zeitschriften, die seit dem 1. Januar 1958 herausgegeben werden, sind: „Sowjetische Chinakunde“ („Sowjetskoje kitajewedenije" und „Sowjetische-Chinesic he Freundschaft“ (Sowjetsko-kitaiskaja „druhsba“). Die letztgenannte Zeitschrift ist das sowjetische Gegenstück zu der in Peking von den Chinesen herausgegebenen Tageszeitung „Drushba“ („Freundschaft“).

Auch zwei Schriftenreihen des Instituts für Orientalistik sollen wieder erscheinen. Das sind die „Kurz-Mitteilungen des Instituts für Orientalistik“ („Kratkije soobschtschenija Instituta wostokowedenija"), die gewöhnlich einen Umfang von etwa 100 Seiten haben und die in Buchform erscheinenden „WissenschaftlichenAufzeichnungendesInstitutsfürOrienta-1 i s t i k “ („Utschenije sapiski Instituta wostokowedennija").

Schon die ersten drei nach der Taschkenter Orientalisten-Konferenz angekündigte Bände der „Wissenschaftlichen Aufzeichnungen“ geben uns einen Hinweis, welche Probleme in der Arbeit des sowjetischen Instituts für Orientkunde im Vordergrund stehen. So erscheint Band XVII unter dem Titel: „Probleme der Geschichte und Oekonomie der Länder des Nahen Ostens“. Band XVIII: „Fragen der Geschichte und Wirtschaft Indiens“. Lind Band XIX: „Probleme der Geschichte und Oekonomie der Länder Südost-Asiens“.

Allein die hier angeführten Tatsachen weisen schon auf eine gesteigerte Aktivität der Sowjet-Orientforschung hin. Dennoch ist das nur der Anfang.

Auf dem XX. Parteitag hatte Mikojan ausgeführt:

„Man darf die Tatsache nicht außer acht lassen, daß es in den LISA, wie es heißt, an die 20 wissenschaftliche Institute gibt, die sich mit dem Studium der sowjetischen Oekonomie befassen“. (Protokoll des XX.

Parteitages, Düsseldorf 1956, Bd. II, S. 118)

Diese Bemerkung Mikojans, die er im Anschluß an seine Kritik am Sowjet-Institut für Orientalistik machte, war für die Sowjet-Orientalisten eine Anweisung zum Handeln. So wurde nach der ersten Orientalisten-Konferenz in Taschkent das Institut für Orientkunde bei der Akademie der Wissenschaften der LldSSR reorganisiert. Wie A. Litman in Nr. 5 Nov. 19 57 des „Sowremennij Wostok“ mitteilt, wurden beim Sowjet-Institut für Orientalistik 6 Abteilungen, von denen jede 16 Sektoren vereinigt, geschaffen. Außerdem gibt es noch eine selbständige Abteilung und 3 stelbständige Sektoren. Auch in Leningrad wurde eine Abteilung des Instituts für Orientkunde eingerichtet. Leider wurde bisher nicht bekannt, welche Gebiete und Probleme die einzelnen Abteilungen und Sektoren bearbeiten.

Schließlich wurde auch beim Sowjet-Institut für Orientalistik ein eigener Verlag gegründet.

Für die Tätigkeit des Sowjet-Instituts für Orientalistik wurde ein Fünfjahresplan der Probleme und Thematik der wissenschaftlichen Forschungsarbeit des Instituts ausgearbeitet. „Der vom Institut ausgearbeitete neue Fünfjahresplan der Probleme und Thematik der wissenschaftlichen Forschungsarbeiten . . . stellt auf neue Art die Aufgaben der wissensd^iaftlichen Forsdmng und rückt die Arbeiten in den Vordergrund, in denen die Probleme, die mit dem gegenwärtigen Stand und der Entwicklung der Länder des Ostens verbunden sind, beleudttet und analysiert werden“ — schreibt ein Mitarbeiter des Instituts für Orientkunde. („Sowremennij wostok“ Nr. 5 Nov. 1957, S. 39)

Es ist uns nicht möglich auf alle in diesem Fünfjahresplan vorgesehenen 224 Probleme aus Themen, die bis zum Jahre 1960 bearbeitet werden sollen, einzugehen. „Ein Werk , Der Geist von Bandung siegt'ist in Vorbereitung. Unter den Autoren befinden sich hervorragende Staatsfunktionäre und Politiker der Länder Asiens und Afrikas, Teilnehmer der Bandung-Konferenz. Das Werk wird sowohl in russischer Sprache wie auch in den Hauptsprachen der Völker des Ostens herausgegeben. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschungsarbeit des Kollektivs des Instituts zu diesem wichtigen Thema werden in einem besonderen Sammelwerk: , Die Bandung-Konferenz, eine neue Etappe im Kampf der Völker Asiens und Afrikas gegen den Kolonialismus'veröffentlicht. Dieses Sammelwerk erscheint zum dritten Jahrestag der Bandung-Konferenz.“ (B. G. Gafurow, „Prawda“ vom 3. Juni 1957)

In Zusammenarbeit mit den Wissenschaftlern der asiatisch-afrikanischen Länder werden noch eine Reihe weiterer Gemeinschaftsarbeiten herausgegeben. Ein sowjetisch-indisches Sammelwerk, das dem 100. Jahrestag des Beginns des nationalen Befreiungsaufstandes der Völker Indiens (1 8 57— 1 8 59) gewidmet ist, wurde bereits beendet. Zum 10. Jahrestag der Verkündung der Unabhängigkeit Birmas wurde eine sowjetisch-birnanesische Gemeinschaftsarbeit veröffentlicht.

Von den im Fünfjahresplan vorgesehenen 224 Themen sind 43 Arbeiten der Frage der Krise und des Zerfalls des Kolonialsystems vorbehalten. Den Problemen der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung der unterentwickelten Länder Asiens und Afrikas sind 23 Arbeiten gewidmet. Außerdem befassen sich noch 12 Themen mit der Entwicklung Afrikas und 11 mit den Fragen der 3 asiatischen Länder des Ostblocks.

Aus einer Reihe angekündigter Handbücher und Nachschlagewerke wollen wir nur folgende erwähnen:

„Das heutige Syrien“; „Die gegenwärtige Türkei“; „Afghanistan heute“; „Das gegenwärtige Thailand“; „Tunis in der Gegenwart und „Die Länder der arabischen Halbinsel.“

Unter der Rubrik monographische Forschungen zur neuesten Geschichte der Länder des Ostens, werden folgende Arbeiten aufgeführt: „Skizzen der Geschichte Malayas“; „Die neue Geschichte Marokkos ; „Die neue Geschichte Birmas“; „Skizzen zur neuesten Geschichte Thailands“; „Skizzen zur neuesten Geschichte Ceylons“; und „Skizzen zur neueren Geschichte Indonesiens“

Aus einer Reihe weiterer Monographien sind folgende 1 itel, die bearbeitet werden, erwähnenswert: „Die Besonderheiten der ökonomischen Entwicklung Indiens“; Ägypten unter den Bedingungen des Zerfalls des Kolonialsystems“, „Afghanistan nach dem Zweiten Weltkrieg“ und „Die Union Birma im Kampf für die Festigung der Unabhängigkeit“.

Außer den hier skizzierten Problemen und Themen enthält der Fünfjahresplan des Sowjet-Instituts für Orientalistik einen recht umfangreichen Katalog von Forschungsaufgaben auf dem Gebiete der Linguistik, der Geschichte und Kultur des Altertums und des Mittelalters der Länder des Ostens und von Fragen der Philologie. Auch stellt sich das Institut die Aufgabe der Herausgabe von Wörterbüchern in den Sprachen Asiens und Afrikas.

Zusammenfassend kann man nur feststellen, daß mit der Aktivierung der Sowjetpolitik in Asien und Afrika dem Institut für Orientalistik bei der Akademie der Wissenschaften der UdSSR die Aufgabe der ideologischen und propagandistischen Durchdringung der afro-asiatischen „Zone des Friedens“ gestellt ist. Die Organisierung der „Zone des Friedens“ in den unterentwickelten Ländern aber obliegt anderen Einrichtungen.

Bandung und Kairo

Wie bereits ausgeführt konstatierte Chruschtschow auf dem XX. Moskauer Parteitag, daß in Asien und Afrika „eine Gruppe von friedliebenden Staaten auf dem Schauplatz des internationalen Geschehens“ erschienen ist, „die die Nichtbeteiligung an Blocks zur Grundlage ihrer Außenpolitik machten." Damit hob er die Stalinsche Verurteilung dieser „dritten Gruppe“ auf und lockerte die These von den zwei Lagern in der Welt. Aber er ging noch weiter. Während Stalin jede „Dritte Kraft“ und jeden „Neutralismus“ als zum Lager des Imperialismus gehörend zählte, ordnete Chruschtschow die Gruppe der blockfreien Staaten in die „Zone des Friedens“ ein, eine Zone, in der, nach seiner Einschätzung, der Ostblock die entscheidende Rolle zu spielen hat.

Diese politische Konzeption der Einbeziehung der blockfreien Länder Asiens und Afrikas in die „Zone des Friedens“ kann nur Bedeutung erlangen, wenn sie auch organisatorisch verankert ist.

Es ist bekannt, daß die Länder Asiens und Afrikas schon lange, bevor Chruschtschow die „Zone des Friedens" proklamierte, Wege ihres Zusammenschlusses selbst beschritten hatten. Bereits im April des Jahres 1954 saßen — wie schon erwähnt — die Ministerpräsidenten der fünf Colombostaaten beisammen, um die Einberufung der Bandung-Konferenz zum April des Jahres 195 5 zu beschließen. Die Sowjets waren damals von den Ereignissen in Asien und Afrika auf Grund ihrer eigenen Politik völlig isoliert. Außerdem beschlossen die fünf Colomboministerpräsidenten, die Sowjetunion nicht nach Bandung einzuladen.

Als die Vorbereitungen zur Bandung-Konferenz im Gange waren, wurden die Sowjets hellhörig. Sie versuchten, sich in die Bewegung der Völker Asiens und Afrikas einzuschalten. Zu diesem Zwecke wurde die „Weltfriedensbewegung“ in den Dienst der Sache gestellt. Unter Führung der indischen Friedensfreunde, der Frauenführerin Frau Rameschwari Nehru, und des indischen Parlamentsabgeordneten Dr. Anup Singh, kam es zu einer Konferenz der verpaßten politischen Gelegenheit, zur „Konferenz asiatischer Nationen für internationale Entspannung“, die eine Woche vor der Bandung-Konferenz in Neu-Delhi zusammentrat.

Diese von den Sowjets inspirierte Konferenz in Neu-Delhi, auf der sich 250 Delegierte aus 18 asiatischen Ländern versammelten, sollte politisch auf die Bandung-Konferenz einwirken. Zu diesem Zweck proklamierte die Konferenz auf ihrer Abschlußtagung am 10. April 195 5 (die Bandung-Konferenz begann am 18. April 19 5 5) eine Anzahl von Forderungen, wie Einberufung einer Konferenz zur Lösung der Korea-und Formosafrage, Beendigung der holländischen Herrschaft über NeuGuinea, der purtugiesischen über Goa, der britischen über Malaya, wie auch die Aufnahme Rotchinas in die LINO und andere mehr. Auf der Bandung-Konferenz wurde aber von dieser Sonder-Konferenz keine Notiz genommen. Sie wurde auch in der Weltöffentlichkeit kaum beachtet.

Aber dennoch ging von dieser von Moskau inspirierten „Konferenz asiatischer Nationen für internationale Entspannung“ in Neu-Delhi eine Entwicklung aus, die erst Ende des Jahres 1957 mit der Konferenz in Kairo eine sichtbare Bedeutung erlangen sollte. Auf der historischen Bandung-Konferenz im April 195 5, die eine Konferenz der asiatisch-afrikanischen Regierungen war, wurden keine Organisationsbeschlüsse gefaßt. Die Konferenz der „Friedensfreunde“ in Neu-Delhi aber, auf der nur Vertreter aus Asien zusammenkamen und deren politische Deklarationen durch Bandung in den Schatten gestellt wurden, beschloß zunächst in den Ländern Asiens eine Organisation auf Komiteebasis aufzubauen.

Die auf dieser Sonderkonferenz versammelten Delegierten aus Indien, Birma, Ceylon, Indonesien, Japan, Kambodsha, dem Libanon, Syrien, dem Irak, Jordanien, den asiatischen Ländern des Ostblocks, aus der Sowjetunion und anderen Ländern Asiens konnten zum Aufbau einer asiatischen Organisation eingesetzt werden.

So wurde auf dieser Neu-Delhi-Konferenz beschlossen, in allen Ländern Asiens und auch in der Sowjetunion „Asiatische Solidaritätskomitees“ zu schaffen. Zur zentralen Anleitung dieser Solidaritätskomitees in den einzelnen Ländern Asiens wurde in Neu-Delhi ein „Generalsekretariat der asiatischen Solidaritätskomitees“ eingerichtet. Zum Generalsekretär wurde Dr. Anup Singh berufen.

Noch war aber Afrika in diese Solidaritätsbewegung nicht eingeschaltet. Der erste Anlaß, die Fühler nach Afrika auszustrecken, war die Suezkrise. Damals reiste der „Generalsekretär der asiatischen Solidaritätskomitees“, Dr. Singh, nach Kairo, um Präsident Gamal Abdel Nasser aufzusuchen und ihm die LInterstützung der ägyptischen Haltung in der Suezfrage durch die asiatischen Solidaritätskomitees zuzusagen.

Auf einer Tagung des „Generalsekretariats der asiatischen Solidaritätskomitees“ am 1. Januar 1957 in Neu-Delhi wurde der Plan zur Durchführung einer afro-asiatischen Solidaritätskonferenz entworfen. Eine Delegation, der je ein Vertreter Indiens, Japans, Rotchinas und der Sowjetunion angehörte, setzte sich nach Kairo in Bewegung, um Nasser für die Durchführung einer solchen Konferenz zu gewinnen.

Ging es den Sowjets bei dieser Konferenz um die Mobilisierung der sogenannten „Zone des Friedens“, so ging es Nasser um die Verwirklichung seiner eigenen Vorstellungen von der afro-asiatischen Solidarität. Nasser fühlt sich nicht nur berufen, den alten Traum der Araber nach einem arabischen Großreich zu verwirklichen, nach seinen Erfolgen glaubt er auch, daß Kairo in der afro-asiatischen Bewegung eine bestimmte Rolle zukommt. So stellte er die Hauptstadt Ägyptens als Tagungsort für die Konferenz zur Verfügung und schaltete sich aktiv in die Solidaritätsbewegung ein. Der Vizepräsident des ägyptischen Parlaments, Anwar el Sadat, wurde in das „Vorbereitungskomitee zur afroaisatischen Solidaritätskonferenz“ eingeschaltet. In Ägypten selbst wurde ebenfalls ein Solidaritätskomitee geschaffen und Kairo in ein Propagandazentrum zu dieser Konferenz verwandelt. So konnte dann in der Zeit vom 21. bis 23. Oktober 1957 eine „Vorbereitende Tagung der asiatisch-afrikanischen Solidaritätskonferenz“, auf der Vertreter aus 2 5 Ländern Asiens und Afrikas anwesend waren, das erste Mal in Kairo zusammentreten, um für die Tage vom 1. bis 8. Dezember 1957 die Durchführung einer Solidaritätswoche in den Ländern Asiens, Afrikas und in der Sowjetunion zu beschließen und die „Asiatisch-afrikanische Solidaritätskonferenz" zum 26. Dezember 1957 nach Kairo einzuberufen.

Die große Aktivität, die die Ägypter bei der Vorbereitung und Durchführung der Kairoer „Asiatisch-afrikanischen Soildaritätskonferenz“ an den Tag legten, zeigt, welche große Bedeutung Nasser dieser Konferenz für die Durchführung seiner eigenen Politik, besonders in der arabischen Welt, beimaß.

Nasser empfing die Vertreter der „Vorbereitenden Tagung“ und erklärte ihnen:

„Ich benutze die Gelegenheit, um die wichtige Rolle zu unterstreichen, die die Völker Asiens und Afrikas spielten, als sie Ägypten in der Zeit der englisch-französisch-israelitischen Aggression unterstützten. Die Stimme der Völker war stark genug und Ägypten gewann den Kampf. Das internationale Gewissen gewann die Oberhand. Den Völkern Asiens und Afrikas gelang es, den Frieden zu erreichen.

Ich hoffe, daß diese Konferenz in Kairo eine wichtige Rolle bet-der Festigung der Verbindung zwischen den Ländern Afrikas und Asiens zum Wohle der Menschheit spielen wird.“

Mit der Verbreitung dieser Solidaritätsbewegung, ihrer Ausdehnung auf Afrika und mit der Übersiedlung nach Kairo wurde auch die trübe Vergangenheit, die Erinnerung an die Notkon enz von Neu-Delhi im Jahre 195 5 ausgelöscht. In den Mittelpunkt der Agitation wurden nun nicht mehr die Neu-Delhier Beschlüsse gestellt — diese wurden überhaupt nicht mehr erwähnt —, sondern geschickterweise die populären Beschlüsse von Bandung.

Bandung wurde in die Form von Neu-Delhi gegossen! Der Geist von Bandung wurde beschworen, auch in der Sowjetunion!

Lind man muß erwähnen: Außerhalb Asiens und Afrikas gibt es in der Welt kein Land, in welchem über die Bandung-Konferenz so viel gesprochen und geschrieben wird, wie in der Sowjetunion!

In den Mittelpunkt der Agitation der afro-asiatischen Solidaritätsbewegung wurden jetzt die von der Bandung-Konferenz auf Grundlage der fünf Prinzipien Nehrus ausgearbeiteten zehn Prinzipien gerückt, die auch in der Kairoer Deklaration wiedergegeben wurden.

Diese zehn Prinzipien lauten:

1. Achtung vor den fundamentalen Menschenrechten und vor den Zielen und Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen;

2. Achtung vor der Souveränität und der territorialen Integration aller Nationen;

3. Anerkennung der Gleichheit aller Rassen und der Gleichheit aller Nationen, ob groß oder klein;

4. Verzicht auf Intervention oder Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Landes;

5. Achtung vor dem Recht jeder Nation, sich allein oder kollektiv in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen zu verteidigen; 6a . Verzicht auf Vereinbarungen über kollektive Verteidigung, die den besonderen Interessen irgendeiner der großen Mächte dienen;

6b . Verzicht jedes Landes darauf, auf andere Länder einen Druck auszuüben; 7. Enthaltung von Aggressionshandlungen oder -drohungen und von Gewaltanwendung gegen die territoriale Integrität und die politische Unabhängigkeit irgendeines Landes;

8. Regelung aller internationalen Streitigkeiten durch friedliche Mittel, wie Verhandlungen, Versöhnung, Schiedsspruch oder gerichtliche Regelung, sowie durch andere friedliche Mittel nach eigener Wahl der Parteien in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen;

9. Förderung der gegenseitigen Interessen und der Zusammenarbeit;

10. Achtung vor dem Recht und vor internationalen Verpflichtungen.

(„Europa-Archiv" Nr. 10/1955, „Prawda“ vom 3. Januar 1958) Mit der Anerkennung dieser zehn Prinzipien der Bandung-Konferenz hat man geschickt verstanden, die Kairoer Solidaritätsbewegung als ein Teil der Bandungbewegung zu deklarieren. Es ist auch zweifellos, daß die Sowjets auf Grund ihrer Konzeption der „Zone des Friedens“ im Moment auf keinen Fall daran interessiert sind, in der Kairoer Bewegung über die Bandungpolitik wesentlich hinauszugehen. Ihr Interesse konzentriert sich darauf, durch diese Solidaritätsbewegung die Bandungbestrebungen vorwärtszutreiben. So können wir auch feststellen, daß die in Kairo beschlossenen Resolutionen im wesentlichen nicht im Widerspruch zu den Entscheidungen von Bandung stehen. Es gibt eben nur einen Punkt, in welchem Kairo wesentlich über Bandung hinausgeht. Das ist die Frage der Organisation!

Allerdings darf nicht unbeachtet bleiben: Auf der Regierungskonferenz in Bandung im Jahre 195 5 gaben die Politiker des „Neutralismus“ wie Nehru und Dr. Sukarno, denen gegenüber sich Tschou En-lai kompromißbereit zeigte, den Ton an. Auf der Konferenz der Volksvertreter in Kairo dominierten die Vertreter der Sowjetunion und die den Anspruch auf die führende Rolle in Afrika, insbesondere aber in der arabischen Welt erhebenden Führer Ägyptens.

Wenn auch die Konferenz von Kairo keine Konferenz auf Regierungsebene war, so verdient die starke Beteiligung der Länder Asiens und Afrikas an dieser Tagung doch die größte Beachtung. Außer den fünf asiatischen Sowjetrepubliken und den vier asiatischen Ostblockstaaten (Rotchina, Nord-Korea, Nord-Vietnam und Mongolei) waren auf der asiatisch-afrikanischen Solidaritätskonferenz in Kairo — wie die Rednerlisten der Konferenz und ihrer Ausschüsse ausweisen — achtzehn Länder Asiens und sogar zwanzig Völker Afrikas vertreten. Auch in dieser Frage der breiteren Organisation, die sich in der starken Beteiligung von Vertretern Afrikas und von Delegierten aus Ländern, die ihre nationale Unabhängigkeit noch nicht erlangt haben, ausdrückt, ging die Kairoer Solidaritätskonferenz über Bandung hinaus.

Auf der „Asiatisch-afrikanischen Solidaritäts-Konferenz“ in Kairo vom 26. Dezember 1957 bis 1. Januar 1958 wurden folgende Fragen besprochen:

1. Überblick über die gegenwärtige internationale Lage und ihren Einfluß auf die Völker Asiens und Afrikas.

2. Der Imperialismus und die Unterstützung des Rechtes der Völker auf Unabhängigkeit und Souveränität.

3. Der Krieg in Algerien.

4. Das Verbot der Anwendung von Kernwaffen und der Kernwaffenversuche. 5. Die Rassendiskriminierung.

6. Die Verstärkung der ökonomischen und der technischen Zusammenarbeit unter den Völkern Asiens und Afrikas.

7. Die Erweiterung des Kulturaustausches unter den Völkern Asiens und Afrikas.

Die afro asiatische Organisation

Die Solidaritätskonferenz der Länder Asiens und Afrikas in Kairo hat eine reichliche Anzahl Deklarationen, Aufrufe, Empfehlungen und Resolutionen verkündet. Der bedeutsamste Entscheid der Konferenz aber ist der Beschluß über die Begründung einer Organisation für Asien und Afrika. Obwohl es auf der Konferenz in verschiedenen Fragen Meinungsunterschiede gab, herrschte über die Notwendigkeit einer Or— ganisation Einmütigkeit. Wir könnten sagen: Der Weltfriedensrat Joliot-Curies und Ilja Ehrenburgs hat nunmehr sein afro-asiatisches Pendant — sein ergänzendes Gegenstück erhalten. Das wäre aber eine Unterschätzung! Wer hätte wohl die Bildung einer solchen Organisation in Asien und Afrika vor einigen Jahren für möglich gehalten?

Und wer wird in dieser Organisation die Führung übernehmen? Auch diese Frage ist noch offen, denn wir wissen bisher nur, wer die Führung beansprucht! In dem Beschluß der asiatisch-afrikanischen Solidaritätskonferenz über die Gründung einer Organisation heißt es: „Die Solidaritätskonferenz der Länder Asiens und Afrikas erkennt die Wichtigkeit der Fortführung und Entwicklung der Bemühungen zur Solidarität unter den Völkern Asiens und Afrikas an und besdtloß eine ständige Organisation zu gründen, die folgende Aufgaben zu erfüllen hat:

1. Die Resolutionen und Empfehlungen der Konferenz durchzuführen.

2. Die afro-asiatische Solidaritätsbewegung in allen Ländern der asiatisch-afrikanischen Kontinente zu unterstützen und zu festigen.

3. Die ständige Verbindung unter der Solidaritätsbewegung in den verschiedenen Länder sicherzustellen.“

(„Prawda“ vom 4. Januar 1958.)

Als höchstes Organ der Solidaritätsbewegung wurde auf der Konferenz der „Solidaritätsrat der Völker Asiens und Afrikas“ geschaffen. Diesem „Solidaritätsrat“ soll je ein Vertreter der Nationalen Solidaritätskomitees jeden Landes in Asien und Afrika angehören. Der Rat versammelt sich einmal jährlich, im Falle der Notwendigkeit öfters.

Lim in täglicher Arbeit das auf der Konferenz am Nil geschürte Feuer der nationalen Solidaritätsbewegung in allen Ländern Asiens und Afrikas zum Zünden zu bringen, wurde ein „Ständiges Sekretariat des Solidaritätsrates der Völker Asiens und Afrikas“ geschaffen.

Dieses „Ständige Sekretariat“ setzt sich aus dem Generalsekretär und zehn Sekretären zusammen.

Bis zur nächsten „Asiatisch-afrikanischen Solidaritätskonferenz“, über deren Stattfinden kein Termin genannt wurde, hat das „Ständige Sekretariat“ in der ägyptischen Hauptstadt seinen Sitz. Ägypten stellt auch für diese Zeit den Generalsekretär!

Durch die Erhebung Kairos zur Hauptstadt der afro-asiatischen Solidaritätsbewegung und durch die Übertragung der Funktion des General-sekretärs an Ägypten haben sich die Ägypter zunächst eine führende Rolle in der neuen Bewegung und Organisation gesichert!

Die endgültige Bestellung des ägyptischen Generalsekretärs soll auf der ersten konstituierenden Sitzung des „Ständigen Sekretariats“ im März 1958 in Kairo erfolgen. Als Kandidat für diesen Posten wurde der Name des Vizepräsidenten des bisherigen ägyptischen Parlaments, Anwar el Sadat, genannt. Die vorläufige Leitung des Sekretariats liegt in den Händen des Ägypters Jusef Sibai.

Die zehn Sekretäre werden von folgenden Ländern gestellt: Kamerun, Rotchina, Indien, Indonesien, dem Irak, Japan, Sudan, Syrien, Sowjetunion und Ghana.

Auf Grund bisher vorliegender Vorschläge sollen diese zehn Sekretäre. die in Kairo ihr Büro beziehen werden, folgende Ressorts leiten:

Der japanische Sekretär: Fragen des Kampfes der Völker für das Verbot der Atomwaffen;

Der Sekretär aus Kamerun: Probleme des Kolonialismus;

Der indische Sekretär: Fragen der Arbeit;

Der syrische Sekretär: Fragen der ökonomischen Zusammenarbeit;

Der ägyptische Sekretär: Fragen der Lage der Frauen und Kinder;

Der Sekretär aus Ghana: Fragen der Jugendbewegung und der Sozial-versorgung; Der sowjetische Sekretär: Fragen der wissenschaftlichen Zusammenarbeit;

Der Sekretär Rotchinas: Fragen der Kunst und Literatur;

Der sudanesische Sekretär: Probleme der afrikanischen Länder;

Der indonesische Sekretär: Probleme der asiatischen Länder;

Der Sekretär des Irak: Probleme der arabischen Länder.

Dem „Ständigen Sekretariat“ ist auch die Aufgabe gestellt, für die Gründung und Festigung der Solidaritätskomitees in allen asiatisch-afrikanischen Ländern Sorge zu tragen.

Zur Förderung und Propagierung der Solidaritätsbewegung in den afro-asiatischen Ländern wird das „Ständige Sekretariat“ ein periodisch erscheinendes „Journal“ in den asiatisch-afrikanischen Sprachen herausgeben. Die Finanzierung des Unternehmens, die Aufbringung der Mittel für die organisatorische und propagandistische Tätigkeit des Sekretariats und des Rates soll durch Umlage erfolgen. Alle Landes-Solidaritätskomitees wurden aufgefordert, ihren Beitrag in den gemeinsamen Fonds zu leisten. Ägypten hat sich — wie die Presse berichtet — beeilt, seinen Obolus zu entrichten. Der Einfluß im „Ständigen Sekretariat" und der ägyptische Generalsekretär waren Nasser 6 OOO Pfund — 72 000 DM — jährlich wert. Nach diesem finanziellen Anreiz der Ägypter werden wohl die Solidaritäts-Genossen der asiatischen Ostblockstaaten und der Sowjetunion ebenfalls bestrebt sein, die Bedeutung, die sie der Solidaritätsbewegung beimessen, in entsprechender barer Münze zum Ausdruck zu bringen. Und man kann heute schon abschätzen, daß für die propagandistische Wirksamkeit der neuen Organisation ganz ansehnliche Summen zur Verfügung stehen werden.

Wenn nur ein Teil der Aktionen und Maßnahmen durchgeführt werden sollen, die bisher angekündigt sind, und über die z. T. auch auf der ersten Sitzung des „Ständigen Sekretariats“ im März 195 8 zu beraten sein wird, werden große Mittel zur Verfügung stehen müssen.

Auf Beschluß der Kairoer Solidaritätskonferenz wird im März 19 58 in allen Ländern Asiens und Afrikas ein „Algerischer Solidaritätstag“ durchgeführt. Der Tag wird mit Demonstrationen, Massenversammlungen und Geldsammlungen für Algerien begangen werden.

Dem Kairoer „Ständigen Sekretariat des Solidaritätsrates der Völker Asiens und Afrikas“ liegt auch die Empfehlung vor, zusammen mit dem „Weltfriedensrat“ im Juni 195S auf einer „Weltfriedenskonferenz für Abrüstung und internationale Entspannung“ eine erste gemeinsame Truppenparade durchzuführen. „Die Konferenz unterstützt den Gedanken der Einberufung des Weltkongresses für Abrüstung und friedliche Koexistenz“ — heißt es in der Empfehlung der Solidaritätskonferenz zum gemeinsamen Handeln gegen die Atomwaffen.

Aus dem ziemlich umfangreichen Arbeitsplan des „Ständigen Sekretariats“ in Kairo entnahmen wir weiter, daß Ende des Jahres 19 5 8 eine Zusammenkunft der asiatisch-afrikanischen Industrie-und Handelskammern in Kairo stattfinden soll. „Die Konferenz empfiehlt den Industrie-und Handelskammern in den Ländern Asiens und Afrikas vorzuschlagen, zum Ende des Jahres 1958 eine Konferenz zum Studium der Mittel zur Entwicklung des Handels-austausches und Unterstützung der ökonomischen Zusammenarbeit zwisdten den Ländern der afro-asiatischen Gruppe nach Kairo einzitberufen.“ (Entschließung der Konferenz über die ökonomische und technische Zusammenarbeit.)

Außerdem wurde das „Ständige Sekretariat“ beauftragt, ein „S t ä n -diges Komitee“ zur Sammlung von Materialen über die wirtschaftliche Lage in den Ländern Asiens und Afrikas aus der Taufe zu heben. Diese Materialien sollen „mit allen möglichen Mitteln“ verbreitet werden.

Auch der Aufbau und die Entwicklung der Gewerkschaften und Genossenschaften in den asiatisch-afrikanischen Ländern sollen vom „Ständigen Sekretariat“ gefördert werden.

In der obengenannten Entschließung der Konferenz heißt es: „Den Wunsch und die Erwartung der Völker und auch vieler Gewerkschaftsorganisationen und der Genossenschaftsbewegung in den Ländern Asiens und Afrikas, die zur Solidarität und Zusammenarbeit streben, berüd? sichtigend, ruft die Konferenz zur Einberufung einer Konferenz der Gewerkschaften und der Genossensdtaftsbewegung der Länder Asiens und Afrikas auf breiter Basis zur Behandlung gemeinsamer Probleme auf . . .

Die Konferenz sddägt vor, daß ihr . Ständiges Büro'in Kairo die engsten Kontakte zu den Gewerkschaften und den Genossensdtaftsorganisationen in Asien und Afrika zur Sicherstellung der Zusammenarbeit herstellt.“ Schließlich soll das „Ständige Sekretariat“ auch innerhalb seines Büros ein „Komitee zum Studium der ökonomischen Probleme der Völker der abhängigen Länder schaffen und Stipendien und Hilfe den Studierenden aus den abhängigen Ländern sichern.“

Audi für die Frauen-und Jugendarbeit ist das „Ständige Sekretariat“ zuständig. In den Beschlüssen der Solidaritätskonferenz hieß es: „Die Konferenz beauftragt das , Ständige Sekretariat': Die notwendigen Maß- nahmen zu studieren und zu unternehmen, um — sobald das durchzuführen ist — eine Frauen-Föderation Asiens und Afrikas zu schaffen . . .

Die Konferenz empfiehlt: Im Jahre 1958 eine Jugend-Konferenz der Länder Asiens und Afrikas durckzuführen ... Es wird vorgeschlagen, diese Konferenz in Ägypten abzuhalten.“

Bei dem „Ständigen Sekretariat“ der Konferenz der Länder Asiens und Afrikas wird ein provisorisches Büro für Jugend-fragen eingerichtet, mit dem Ziel:

a.der Förderung der kulturellen Beziehungen unter der Jugend der Länder Asiens und Afrikas;

b.der Unterstützung der Sportbewegung und des Austausches von Sportmannschaften;

c. zur Organisierung der Jugendkonferenz der Länder Asiens und Afrikas;

d. zur Unterstützung der Schaffung von Jugendorganisationen in allen Ländern Asiens und Afrikas;

e. zur Unterstützung und Förderung der Idee der Durchführung regulärer Festivals der Jugend Asiens und Afrikas;

f. zur Hilfe bei der Begründung einer „Jugend-Union“ der Länder Asiens und Afrikas.

Aber damit ist der Arbeitsplan des „Ständigen Sekretariats“ keineswegs erschöpft. Auch die afro-asiatischen Wissenschaftler soll dieses Sekretariat erfassen und zum Herbst 195 8 die zweite Konferenz der Schriftsteller Asiens und Afrikas vorbereiten, die nach Taschkent einberufen ist.

Dieser kurze Überblick soll hier genügen. Er zeigt uns aber sehr eindeutig, was sich in Asien und Afrika abspielt und entwickelt. Asien und Afrika beginnen sich zu organisieren. Das ist eine Tatsache, die in ihrer ganzen Bedeutung bisher noch immer nicht genügend erkannt, aber noch viel weniger richtig gewertet wurde.

Das Bestreben der Völker Asiens und Afrikas zum Zusammenschluß, das schon auf der historischen Bandung-Konferenz zum Ausdruck kam, ist ihren eigenen Bedürfnissen und Vorstellungen entsprungen.

Wie die Sowjets bemüht sind, die Haltung der jungen nationalen Staaten Asiens und Afrikas, ihre Politik der Nichtbeteiligung an Blocks, in den Kanal ihrer Politik der „Zone des Friedens“ zu leiten, so knüpfen sie auch an das asiatisch-afrikanische Zusammenschluß-und Organisationsbedürfnis an, um sich aktiv in die neue Organisation einzuschalten.

Die neu entstehende Organisation in Asien und Afrika einfach als Mache der Sowjets abzutun, wäre eine zu einfache Methode und würde verhindern, die wirklichen Vorgänge in Asien und Afrika richtig zu begreifen. Schließlich gibt es in dieser neuen afro-asiatischen Organisation auch noch andere Kräfte, die auf die Führung Anspruch erheben. Und die Sowjets mußten auch dem ägyptischen Nationalismus führende Positionen in der geschaffenen Organisation einräumen. Doch auf die verschiedenartigen Interessen und Kräfte, die in der neuen asiatisch-afrikanischen Solidaritätsorganisation wirken, kommen wir noch zurück. Zunächst erscheint es uns notwendig, die politische Plattform der afroasiatischen Organisation zu betrachten.

Kairo über Imperialismus und Kolonialpolitik

„Die Menschheit kann mit Hoffnung und Zuversicht in die Zukunft schauen. Das ist die Neujahrsbotscltaft der Kairoer Solidaritätskonferenz der Völker Asiens und Afrikas an die Welt“ — mit diesen Worten endet die Deklaration der Konferenz, deren Kernstück die von uns bereits zitierten zehn Prinzipien sind.

Mit der Forderung nach dem Verbot der Atomwaffen und der Atomwaffenversuche befassen sich allein vier Dokumente der Konferenz. Das Atomwaffenverbot wird in einem Schreiben an die Regierungen der UdSSR, der USA und Englands gefordert. In einem Aufruf an die Wissenschaftler der ganzen Welt werden diese aufgefordert, „alle möglichen Schritte zu unternehmen, um einen Druck auf die Regierungen der Länder mit Jem Ziel des Verbots der Anwendung von Atomwaffen und der Vernichtung ihrer Lager auszuüben.“ Eine Entschließung befaßt sich mit der Abrüstung und der Beseitigung der Gefahr eines Atomkrieges, während eine Empfehlung zum gemeinsamen Handeln gegen die Atomwaffen auffordert. Das gemeinsame Handeln soll auf dem bereits erwähnten „Weltkongreß für Abrüstung und friedliche Koexistenz“ im Jahre 19 5 8 seinen nächsten Höhepunkt finden. Es ist kein Zufall, daß in dieser Frage des Atomwaffenverbots die japanische Delegation auf der Kairoer Konferenz besonders hervortrat. Sie war das Hauptanliegen der Japaner, mit dem sie nach Kairo kamen.

Eine weitere Entschließung der Konferenz beschäftigt sich mit der Solidarität für Algerien. In einer Resolution, die an die LINO adressiert ist, wird die Aufnahme Rotchinas und der Mongolei in die LINO gefordert. Hier gehen die Forderungen über Bandung hinaus, denn in der Bandunger Entschließung wurde nur allgemein über die Aufnahme weiterer afro-asiatischer Staaten in die LINO gesprochen, ohne Rotchina oder die Mongolei dabei konkret zu nennen. Aber auch diese Forderung entspricht den Ansichten, wie sie von den Staatsmännern Asiens, z. B. von Nehru, bei vielen Anlässen geäußert wurden.

Eines der Hauptdokumente der Kairoer Solidaritätskonferenz ist die „Entschließung über den Imperialismus und die Kolonialpolitik“. In dieser Entschließung wurden alle Probleme formuliert, die in den einzelnen Ländern Asiens und Afrikas eine Rolle spielen. Da diese Entschließung die einzelnen Länder Asiens und Afrikas anspricht und den konkreten Hinweis gibt, welche Forderungen in den einzelnen Ländern erhoben werden, vermittelt sie uns ein Bild der politischen Zielsetzung der afro-asiatischen Konferenz in den einzelnen Ländern Asiens und Afrikas. Wir geben deshalb diese Entschließung hier im Text wieder: „Die Konferenz der Völker Asiens und Afrikas ist der festen Meinung, daß die imperialistischen Bestrebungen zur Einmischung in die Angelegenheiten anderer Länder und zu militärischen Pakten und Bündnissen, die gegen den Frieden in der Welt gerichtet sind, führen. Diese Bestrebungen führen zu Verschwörungen gegen die nationalen Regierungen, zur Entstehung einer ständigen Spannung in den internationalen Beziehungen, zur Usurpation der selbstverständlichen Rechte der kleinen Nationen auf Freiheit, Souveränität und Unabhängigkeit. Sie führen zur kalten Kriegshetze und zum verstärkten Wettrüsten. Diese Faktoren können der Anlaß zum Beginn eines echten Krieges werden, der eine Katastrophe für die Menschheit bedeutet.

Auf Grund dieser Überzeugung und geleitet vom Geist von Bandung, verurteilt die Konferenz:

a) den Imperialismus in allen seinen Formen und Erscheinungen;

b) die ausländische Einmischung in die Angelegenheiten anderer Länder;

c) die militärischen und politischen Pakte und Bündnisse, die vorherrschende Einflußsphären schaffen, den Frieden in der Welt bedrohen und die Erwartungen der Völker unterdrücken;

d) militärische Hilfe eines Landes oder einer Gruppe von Ländern, die eine Bedrohung für die Nachbarländer darstellt, und diese zur Erhöhung der Militärbudgets zwingt und auf diese Weise die ökonomische Entwicklung ihrer Völker aufhält;

e) Verträge, die einen Eingriff in die nationale Souveränität bedeuten; f) die Ausbeutung der nationalen Wirtschaft anderer Länder zum Vorteil imperialistischer Mächte;

g) Verschwörungen zum Zwecke des Sturzes der nationalen Regierungen im Interesse der Imperialisten;

h) Hilfe unter Bedingungen, die den Interessen kleiner Staaten Nachteile zufügen und schließlich ihre Souveränität und UInabhängigkeit beeinträchtigen; i) die Errichtung ausländischer Militär-Basen und Stationierung bewaffneter Kräfte auf dem Territorium anderer Länder.

Die Konferenz erblickt in der Politik, die in den Pantscha Schila (fünf Prinzipien, d. V.) und in den zehn Prinzipien Bandungs verkörpert ist, das beste Mittel zur Abschwächung der internationalen Spannungen und zur Beendigung des kalten Krieges.

Deshalb erklärt sie, daß sie in vollem Maße die Rechte der Völker unterstützt: a) auf Freiheit, Selbstbestimmung, Souveränität und volle Unabhängigkeit; b) auf Regelung der inneren Probleme mit eigenen Kräften; c) auf Wahl der Form ihrer Regierung und Verwaltung nach eigenen Wünschen.

Die Konferenz richtet die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf folgendes: 1. Kolonien und Protektorate. Die Konferenz fordert die Anerkennung des Rechts auf völlige Unabhängigkeit für alle Kolonien und Protektorate und die Sicherstellung dieses Rechts seitens der entsprechenden Mächte ohne Verzögerung. 2. Länder, die sich unter Treuhänderschaft befinden. Die Konferenz fordert von den Vereinten Nationen die Beendigung der Treuhänderschaft über Länder, die ihr unterliegen, und daß sie deren völlige Unabhängigkeit anerkenne und unaufschiebbare Schritte zur Erreichung dieses Zieles unternehme. 3. Politische Verfolgung. Die Konferenz appelliert, der politischen Verfolgung der Teilnehmer an den nationalen Bewegungen gegen den Imperialismus ein Ende zu bereiten. Sie fordert den Erlaß einer allgemeinen Amnestie für alle Personen, die aus obenerwähnten Gründen in Gefängnissen gehalten werden oder verbannt sind und ihre sofortige Befreiung resp. Berechtigung zur Rückkehr in die Heimat. 4. Kamerun. Die Konferenz unterstützt die Forderungen des Volkes von Kamerun über Verhandlungen zwischen Frankreich und England einerseits und den rechtmäßigen Vertretern dieses Volkes andererseits mit dem Ziel einer gerechten Lösung seiner Probleme. Die Konferenz hofft, daß die Vereinten Nationen den Ernst der Lage in Kamerun würdigen. Die Konferenz unterstützt ebenfalls den Kampf der Bevölkerung von Kamerun um die Wiedervereinigung und Unabhängigkeit. Die Konferenz verurteilt die Zwangsmaßnahmen, die von den französischen Behörden auf diesem Territorium unternommen wurden, und ruft die französische Öffentlichkeit auf, die Einstellung dieser Maßnahmen von ihrer Regierung zu fordern. 5 Kenia. Die Konferenz unterstützt das Recht des Volkes von Kenia auf Selbstverwaltung und auf Rückgabe des ihm abgenommenen Landes.

Die Konferenz unterstützt die Forderung des Volkes von Kenia auf Übergabe seiner Angelegenheiten an den Sicherheitsrat und auf Ernennung einer UNO-Kommission zur Untersuchung der Frevel-taten, die von den Engländern in den drei Jahren des Kolonial-krieges begangen wurden.

Die Konferenz unterstützt die Forderung auf Freilassung aller politischen Gefangenen. 6. Uganda. Die Konferenz unterstützt die Forderung des Volkes von LIganda auf Übergabe seiner Fragen an die UNO. 7. Tschad. Die Konferenz billigt und unterstützt den Kampf des Volkes des Territoriums Tschad für die Befreiung seines Landes von der französischen Herrschaft. 8. Togo. Die Konferenz ruft die Völker Asiens und Afrikas auf. aulmerksam die Volksbefragung, die im Jahre 1958 in Togo unter französischer Treuhandschaft stattfindet, zu beobachten.

Sie ruft ebenfalls auf, in der in Frage kommenden Zeit Beobachter zu dieser Befragung zu entsenden.

Die Konferenz unterstützt die Forderung der Bevölkerung Togos auf Freilassung aller wegen politischer Motive Verurteilten, damit sie die Möglichkeit erhalten, ihre Wahlrechte auszuüben. 9. Madagaskar. Die Konferenz unterstützt den Kampf der Bevölkerung von Madagaskar um die Wiederherstellung seiner nationalen LInabhängigkeit.

Die Konferenz unterstützt die Forderung auf eine allgemeine Amnestie für alle Patrioten, die im Jahre 1947 verurteilt wurden. 10. Jemen. Die Konferenz unterstützt den Kampf und die Forderung des Volkes von Jemen, sowohl im Norden, wie auch im Süden (in Aden und den Protektoraten) für die Befreiung des Südens und seine Vereinigung mit dem Norden.

Die Konferenz verurteilt ebenfalls die unerhörten Greueltaten, die gegen das Volk im Ergebnis des Bestehens englischer Basen in diesem Rayon begangen wurden 11. Arabisch e Bucht. Die Konferenz erkennt das Recht der arabischen Bevölkerung im Rayon der arabischen Bucht an und fordert die Einstellung der Aggression in Oman und auch den Abzug der ausländischen Truppen aus dem Rayon der arabischen Bucht.

Die Konferenz ruft die Völker Asiens und Afrikas auf, die LInabhängigkeit Omans anzuerkennen.

Die Konferenz unterstützt die Forderungen des Volkes von Oman auf Befreiung der verhafteten Politiker wie auch auf Ernennung einer neutralen Kommission zur LIntersuchung der Greueltaten, die von den Engländern gegen das Volk begangen wurden. 12. Indonesien. Die Konferenz unterstützt die Forderung des indonesischen Volkes auf Rückgabe West-Irians, das ein unveräußerlicher Teil der Republik Indonesien ist. Die Konferenz erklärt, daß alle Territorial-Gewässer um die Inseln des indonesischen Archipels und zwischen ihnen sich ausschließlich unter der nationalen Jurisdiktion Indonesiens befinden.

Die Konferenz billigt die Schritte, die von der indonesischen Regierung unternommen wurden, um die rechtmäßige Rückgabe West-Irians zu erreichen.

Die Konferenz empfiehlt allen Nachbarländern Indonesiens, den Holländern nicht die Benutzung ihrer Häfen und Flugplätze für Truppen-und Waffentransporte und für irgendwelche andere indonesienfeindliche Zwecke zu gestatten. 13. Okinawa. Die Konferenz billigt die Forderung des japanischen Volkes auf Rückgabe von Okinawa an Japan. Sie fordert die Organisation der Vereinten Nationen auf, der LISA und Japan zu empfehlen, die notwendigen Maßnahmen zur baldigen Rückgabe Okinawas an Japan zu unternehmen.

14. C y p e r n. Die Konferenz unterstützt im Interesse des Friedens im Mittleren Osten und in der Welt den Kampf der Cypriotcn um Selbstbestimmung.

Die Konferenz fordert die UNO auf, für Cypern die Anwendung des Prinzips der Selbstbestimmung zu empfehlen, und ruft die Regierungen der Länder Asiens und Afrikas auf, die entsprechenden Schritte in dieser Richtung zu unternehmen.

15. Goa. Die Konferenz billigt die Forderung Indiens auf Rückgabe von Goa als unveräußerlicher Teil Indiens.

16. Korea. Die Konferenz unterstützt die Forderung des Volkes von Korea, daß die Wiedervereinigung Koreas vom koreanischen Volk selbst auf friedlichem Wege, ohne jeglichen ausländischen Zwang durchgeführt werden muß. Die Konferenz billigt die Forderung des koreanischen Volkes nach Abzug aller ausländischen Truppen vom Territorium Koreas. Sie billigt ebenfalls die Forderung nacii strenger Einhaltung des Waffenstillstands-Abkommens in Korea und nach Umwandlung des Waffenstillstandes in einen dauerhaften Frieden.

Die Konferenz ist der Meinung, daß baldigst eine Konferenz der interessierten Länder zur Verwirklichung der friedlichen Wiedervereinigung Koreas einberufen werden muß. Sie empfiehlt auch den Behörden Nord-und Südkoreas, einen gegenseitigen direkten Kontakt zum allgemeinen Wohlergehen des Volkes von Korea und im Interesse des Friedens in der Welt herzustellen. 17. V i e t n a m. Die Konferenz unterstützt die rechtmäßigen Forderungen des Volkes von Vietnam, das auf folgendes besteht: a) auf volle Einhaltung des Genfer Abkommens;

b) auf Einstellung der Einmischungen der Imperialisten in die Angelegenheiten Süd-Vietnams;

c) auf Organisierung einer Konsultativ-Beratung zwischen den Behörden Nord-und Südvietnams zur Beratung allnationaler freier allgemeiner Wahlen mit dem Ziel der Wiedervereinigung Vietnams entsprechend der Genfer Abkommen. 18. Golf von Akaba. Die Konferenz ist der Meinung, daß der Golf von Akaba ein arabischer Binnengolf ist, der sich in den Grenzen der territorialen Gewässer der arabischen Länder befindet. 19. Marokko. Die Konferenz unterstützt energisch die Forderung Marokkos auf Rückgabe aller noch unter Herrschaft des Imperialismus befindlichen Gebiete zur Sicherung der Einheit und vollen Unabhängigkeit Marokkos. 20. Somali. Die Konferenz unterstützt den Kampf des Volkes von Somali für Unabhängigkeit und erkennt sein Recht auf Selbstbestimmung an. 21. Arabische Nation. Die Konferenz unterstützt den Kampf der arabischen Völker für Einheit, Unabhängigkeit und Freiheit von ausländischem Einfluß. Sie verurteilt energisch jegliche ausländische Einmischung, die den Frieden im Mittleren Osten und in der Welt bedroht, unabhängig davon: ob diese Einmischung unmittelbar oder aber durch zweiseitige ungleiche Verträge, die die nationale Souveränität verletzen, erfolgt; ob sie mittels militärischer und politischer Pakte und Bündnisse oder mittels Hilfe durchgeführt wird, die mit politischen Bedingungen oder beliebigen anderen Mitteln, die die Freiheit und Souveränität verletzen, verbunden ist.

Die Konferenz ist der Meinung, daß sowohl der Bagdad-Pakt wie auch die Eisenhower-Doktrin die Unabhängigkeit der arabischen Länder verletzen, in ihre Souveränität eingreifen und ihre Sicherheit bedrohen. 21. Hilfe den kämpfenden Völkern. Die Konferenz ruft die Völker Asiens und Afrikas auf, allen jenen, die für ihre Freiheit und Unabhängigkeit kämpfen, ihre restlose Unterstützung zu erweisen. Sie ruft die Völker Asiens und Afrikas auf, die nationale und internationale öffentliche Meinung gegen den Imperialismus in allen seinen Formen und Erscheinungen zu mobilisieren. Eine solche Mobilisation der öffentlichen Meinung stärkt einerseits die Position der Kämpfenden und weckt andererseits die Völker der ganzen Welt zum Schutze der selbstverständlichen Rechte der Unterdrückten mit dem Ziel, die Sicherheit und das Wohlergehen der Unterdrückten zu gewährleisten und den Frieden in der Welt zu erhalten. Sie ruft ebenfalls die Völker Asiens und Afrikas auf, den Völkern, die in allen Gebieten der Erde kämpfen solange bis sie ihr unbestreitbares Recht auf Freiheit und Unabhängigkeit erhalten, alle nur mögliche materielle Hilfe zu erweisen“.

(„Prawda“ vom 3. Januar 19 5 8)

Wie auf den ersten Blick zu ersehen ist, wurden in dieser politischen Entschließung alle Anliegen der einzelnen Delegationen, mit denen sie nach Kairo kamen, fixiert. Jede Delegation konnte auf diese Weise getrost nach Hause fahren und darauf hinweisen, daß ihre Fragen besprochen wurden. Für die weitere Agitation in den Ländern Asiens und Afrikas hat diese Methode eine nicht zu unterschätzende Bedeutung.

In den Dokumenten der historischen Bandung-Konferenz waren nur einige der in der vorstehenden Entschließung aufgeführten Probleme angesprochen. Sie nahm nur in einer kurzen Entschließung zum „Problem der abhängigen Länder“ und zu „anderen Problemen“ Stellung, in denen sie allerdings die Forderung Indonesiens auf West-Guinea und die Stellung Jemens zu Aden und den Protektoraten unterstützte.

Die vorliegende Entschließung der Kairoer afro-asiatischen Solidaritätskonferenz, in der alle Fragen und Forderungen, die in den einzelnen Ländern Asiens und Afrikas gestellt werden, zusammengefaßt sind, ist zweifellos als das Aktionsprogramm der neuen asiatisch-afrikanischen Organisation zu betrachten.

Lim aber ein volles Bild von der Politik und den Zielen der asiatisch-afrikanischen Solidaritätskonferenz zu gewinnen, ist es erforderlich, auch die zweite Hauptfrage dieser Konferenz, die vorgeschlagene ökonomische und technische Zusammenarbeit der Länder Asiens und Afrikas zu beleuchten.

Die ökonomische und technische Zusammenarbeit Asiens und Afrikas

Die ökonomische und technische Zusammenarbeit ist eine der Kernfragen Asiens und Afrikas. Sie nahm schon in Bandung einen breiten Raum in der Diskussion ein. Auch auf der Kairoer Solidaritätskonferenz, auf der die Frage der ökonomischen Zusammenarbeit in einer Kommission ausführlich zur Behandlung stand, wurden zu dieser die meisten und verschiedenartigsten Vorschläge unterbreitet. Deutlich zeigten sich in der Frage der wirtschaftlichen Gestaltung Asiens und Afrikas zwei Tendenzen: Einerseits die starke Propagierung der sowjetischen Politik der Wirtschaftshilfe durch die Sowjetdelegation und andererseits das ägyptische Bestreben, Kairo nicht nur zum politischen Zentrum der afro-asiatischen Solidaritätsbewegung zu machen, sondern auch zum führenden Wirtschaftszentrum der afro-asiatischen Welt zu gestalten. Doch bevor wir auf diese bedeutsamen Erscheinungen ausführlicher eingehen, müssen wir uns mit der Entschließung der Kairoer Konferenz über die wirtschaftliche und technische Zusammenarbeit bekanntmachen. Wir bringen diese beachtenswerte Entschließung im Wortlaut: „Einführung Die Völker Asiens und Afrikas durchleben jetzt ein kritisches Stadium auf dem Wege zur Unabhängigkeit. Die Mehrheit dieser Länder leidet noch stark an den Übelständen des Imperialismus und seiner Tyrannei. Nennen wir nur einige von diesen Übeln:

Verlust der Unabhängigkeit, Rückständigkeit der Wirtschaft, Wachstum der Arbeitslosigkeit und ungenügende Bildungsmöglich-keiten für das Volk. Diese Völker bewohnen 59 °/o des Territoriums des Erdballs — ein Territorium, das viele Bodenschätze und landwirtschaftliche Reichtümer, und auch ein gewaltiges Potential an Menschenreserven enthält. Ihre Bevölkerung beträgt etwa 70% der Gesamtbevölkerung der Erde.

Die Völker Afrikas und Asiens kämpfen gegen diese schädlichen Bedingungen, und obwohl einige von ihnen die LInabhängigkeit erlangten, ist ihre Wirtschaft immer noch der Tyrannei der Imperialisten unterordnet. Sie sind immer noch Objekt der ehrgeizigen Absichten der Imperialisten. 150 Millionen Bewohner Afrikas und Asiens leiden immer noch unter dem Imperialismus und unter der Ausbeutung ihrer Ressourcen durch den Imperialismus. Die Völker Afrikas und Asiens überwinden mit voller Entschlossenheit alle Hindernisse auf ihrem Wege. Sie geben sich im vollen Maße darüber Rechenschaft, daß in vielen Ländern Asiens und Afrikas die Wirtschaft unausgeglichen, die Erwerbslosigkeit verbreitet ist, die Preise schnell wachsen und die Masse der Arbeiter keine gewerkschaftlichen Rechte genießt.

Die Völker Afrikas und Asiens begreifen voll und ganz, daß der Produktion eine große Beachtung geschenkt werden muß, damit sie genügend Einkünfte bringt

In ihrer jetzigen Befreiungsbewegung halten es die Völker Asiens dem auch auf wirtschaftlichem Gebiet eng Zusammenarbeiten. Sie begreifen, daß es unmööglich ist, ihre Unabhängigkeit zu bewahren, und auch ein soziales, materielles und kulturelles Lebensniveau zu erhalten, ohne ökonomische Entwicklung. In der gegenwärtigen Periode, in der die imperialistischen Mächte ihre Kräfte vereinigen, erachten es die Völker Asiens und Afrikas für notwendig, ihre Solidarität zu stärken. Sie vertreten die Meinung, daß sie im Interesse der ökonomischen Entwicklung und der Koordinierung ihrer Pläne auf Grundlage gegenseitiger Interessen zusammenarbeiten müssen.

Die Vertreter der afro-asiatischen Länder kamen auf ihrer Solidaritätskonferenz hier in Kairo nach gebührender Behandlung der Bedingungen zu einer Reihe von Schlüssen in der Form allgemeiner und besonderer Empfehlungen. Diese Empfehlungen werden die Devise in ihrer gesamten Tätigkeit sein, darunter in den Fragen, die den Handelsaustausch, die ökonomische Entwicklung, die Arbeitsverhältnisse und die Genossenschaften, wie auch die Befreiung der abhängigen Länder vom Imperialismus betreffen.

Eine solche Zusammenarbeit und Solidarität auf den verschiedenen Gebieten der Wirtschaft festigt ihre nationale Unabhängigkeit und wird den Frieden in der Welt fördern.

A. Allgemeine Empfehlungen Die Völker Asiens und Afrikas, die die politische Unabhängigkeit erlangten, setzen mit voller Entschiedenheit den Kampf gegen alle Formen des Kolonialismus und Imperialismus und besonders für die Sicherung der vollen wirtschaftlichen Unabhängigkeit ihrer Länder fort. Geleitet von den oben dargelegten Zielen ruft die Konferenz alle Regierungen der Länder Asiens und Afrikas auf, bei der Verwirklichung der Aufgabe der allseitigen Entwicklung ihrer Wirtschaft auf dem Wege der Industrialisierung mit dem Ziel der Erhöhung des Lebensniveaus des Volkes enger zusammenzuarbeiten. Besonders ruft die Konferenz zu folgendem auf: a) zur Beseitigung der jetzigen Ungleichheit im Austausch zwischen den entwickelten und den schwachentwickelten Ländern; b) zur Festsetzung günstiger Rohstoff-Preise auf dem Weltmarkt; c) zur Festlegung solcher Valuta-Verhältnisse, die die Entwicklung der nationalen Wirtschaft der schwachentwickelten Länder anregen; d) zur Entwicklung des Handels zwischen den Nationen, unabhängig von ihren sozialen und ökonomischen Systemen; e) zur Ausnutzung der natürlichen Rohstoff-und Hilfsquellen jeden Landes zum Wohle seines Volkes; f) zur Entwicklung der ökonomischen Beziehungen unter den Ländern auf eine solche Weise, daß sie ihrer nationalen Unabhängigkeit und Souveränität keinen Schaden zufügen.

Die Konferenz erklärt, daß die Nationalisierung ein rechtmäßiges Mittel und Recht ist, welches jedem Staat auf Grundlage der Prinzipien der nationalen Souveränität zusteht.

Die Konferenz empfiehlt zum Zwecke der Sammlung von Daten und Informationen, die die afro-asiatischen Länder betreffen, ein räudiges Komitee zu schaffen und solche Daten und Informationen mit allen möglichen Mitteln zur Erleichterung der ökonomischen Beziehungen untereinander zu verbreiten.

Die Konferenz ruft die Regierungen der afro-asiatischen Länder auf, die ökonomische Entwicklung im Lichte der bestehenden sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen und-auch der jetzigen internationalen Verhältnisse zu studieren. Ein solches Studium einer allumfassenden Planung muß auch auf einer speziellen Konferenz erfolgen, die später zur Beschleunigung der sozial-ökonomischen Entwicklung zum Zwecke der Erhöhung des Lebensniveaus der Völker einberufen werden soll. Auf diesem Wege werden die Unterschiede zwischen den einzelnen Nationen verringert, wird der Frieden in der Welt erhalten und werden die Charta der UNO und die Prinzipien von Bandung verwirklicht.

B. Empfehlungen zum Handelsaustausch Die Solidaritätskonferenz beschließt folgende Empfehlungen: 1. Sie betont die Notwendigkeit der Entwicklung des Handels zwischen allen Staaten ohne Diskriminierung oder Beschränkungen. Sie erklärt, daß solche Diskriminierung und Beschränkungen, die gegenüber einigen afro-asiatischen Ländern wegen ihrer sozial-ökonomischen Systeme angewandt werden, ungerecht sind und beseitigt werden müssen; die Konferenz erklärt, daß die Blockierung der Konten oder die Errichtung von Hindernissen zu ihrer vollen und freien Benutzung ungesetzlich sind und nicht gerechtfertigt werden können und man ihnen entschiedenen Widerstand entgegensetzen muß. 2. Die Konferenz vermerkt mit Befriedigung die konkrete Entwicklung der engen und ökonomischen Zusammenarbeit im Geiste von Bandung, von der die zahlreichen abgeschlossenen Handelsabkommen und die Hilfe zwischen vielen afrikanischen und asiatischen Ländern seit der Bandung-Konferenz zeugen; aber auch die bedeutende Erweiterung des Handels zwischen den afro-asiatischen Ländern ist ein Resultat dieser Handlungen. 3. Die Konferenz begrüßt die entscheidenden Bemühungen der arabischen Länder bei den Versuchen die engste Zusammenarbeit zu verwirklichen. Eine solche wahrhaft freundschaftliche Zusammenarbeit auf der Grundlage der Gleichberechtigung und der gegenseitigen Hilfe wird zur weiteren Entwicklung der ökonomischen-und Handelsbeziehungen zwischen den Ländern des gesamten afro-asiatischen Gebiets beitragen. 4. Die Konferenz ruft die afro-asiatischen Länder auf, alle Wege, die zur Erleichterung der Handelsbeziehungen und des Zahlungsverkehrs führen, zu studieren und zu erforschen, um die weitere Entwicklung des Handels und die engste ökonomische Zusammenarbeit zwischen den afro-asiatischen Ländern auf der Grundlage der Gleichheit und des gegenseitigen Nutzens zu erleichtern. 5. Die Konferenz empfiehlt den Vereinigungen der Handelskammern und den Handelskammern in den Ländern Afrikas und Asiens vorzuschlagen, Ende des Jahres 1958 eine Konferenz zum Studium der Methoden der Entwicklung des Handelsaustausches und der Förderung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den Ländern der afro-asiatischen Gruppe nach Kairo einzuberufen. 6. Die Konferenz appelliert an die Regierungen, untereinander Abkommen über den Austausch afro-asiatischer Waren und Materialien auf Grundlage gegenseitiger Begünstigung abzuschließen, und auch den Handelsagenten dieser Länder analoge Privilegien zu gewähren.

7. Die Konferenz ersucht die afro-asiatischen Regierungen, zur Beschleunigung der ökonomischen Entwicklung die Verkehrs-und Transportmittel zu verbessern und schlägt diesen Regierungen und auch den Eisenbahn-Schiffahrts-und Lufttransportfirmen dieser Länder vor, für die Personenbeförderung und den Warentransport in den afro-asiatischen Ländern ermäßigte Tarife festzusetzen.

C. Empfehlungen auf dem Gebiete der Entwicklung der Landwirtschaft Die Kommission vertritt die Meinung, daß die schwache Entwicklung der Wirtschaft, und das niedrige Lebensniveau in den afro-asiatischen Ländern das Resultat verschiedener LIrsachen sind, nämlich: Mangel an Kapital und technischen Kadern, ungenügende Entwicklung der Industrie, Verheerungen, die durch Krankheiten und Schädlinge in der Landwirtschaft erzeugt wurden, und auch das Fehlen einer vollen Ausnutzung der vorhandenen Ressourcen auf dem Wege einer richtigen Planung der Produktion. Die Mehrheit dieser Ursachen wurden durch die Unterordnung der nationalen Wirtschaft der Länder Asiens und Afrikas unter die imperialistische Herrschaft hervorgerufen. Deshalb beschloß die Kommission:

1. Die Konferenz hat keine Einwände gegen ausländische Kapitalanlagen und gegen den Empfang ausländischer Anleihen unter der Bedingung, daß solche ausländischen Kapital-Anlagen und Anleihen nicht mit politischen Bedingungen verbunden sind oder die Wirt-schäft der Empfänger-Länder beschränken und lenken; außerdem dürfen sie keine Privilegien gegenüber dem nationalen Kapital haben.

2. Die Konferenz hält es für notwendig, daß die Regierungs-Unternehmen der Länder Asiens und Afrikas und andere Organe einen Austausch der ökonomischen und technischen Daten und Informationen und einen Experten-Austausch auf allen Gebieten der Produktion einrichten.

3. In Anbetracht dessen, daß in den Ländern Asiens und Afrikas eine rasche ökonomische Entwicklung noch nicht realisiert ist, ruft die Konferenz die interessierten Regierungen auf, baldigst Maßnahmen zum Zwecke der Planung, der Organisation und der Koordination der Produktionsmittel und des Absatzes zur vollen Ausnutzung ihrer natürlichen Reichtümer zu unternehmen. 4. Die Konferenz appelliert an die Regierung der Länder Asiens und Afrika, der Industrialisierung als Mittel zur Steigerung des Lebensniveaus der Bevölkerung dieser Länder und der Versorgung der Landwirtschaft mit modernen Maschinen zur Erhöhung der Produktion, und auch als Mittel zur Modernisation des Fischereiwesens und der Forstwirtschaft die gebührende Bedeutung beizumessen. 5. Die Konferenz empfiehlt den Regierungen der Länder Asiens und Afrikas, untereinander Abkommen über die Durchführung von Kampagnen gegen landwirtschaftliche Schädlinge und Tierkrankheiten abzuschließen und regionale Zentren zur Durchführung dieser Arbeiten einzurichten.

6. Die Konferenz ist der Meinung, daß die Durchführung von Agrarreformen, die die Entwicklung der nationalen Ökonomie anregen werden, eine unaufschiebbare Notwendigkeit ist.

D. Empfehlungen auf dem Gebiete der Gewerkschaften und Genossenscchaften Zum Zwecke der Mobilisierung breiter Schichten der Bevölkerung der Länder Asiens und Afrikas zum Kampf gegen den Imperialismus, zur Sicherung des Friedens in der Welt, zur Eroberung und Erhaltung der nationalen Unabhängigkeit, zur Entwicklung der nationalen Wirtschaft und zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung, hält es die Konferenz für notwendig, die Solidarität und Zusammenarbeit auf dem Gebiete der Gewerkschafts-und Genossenschaftsbewegung in den Ländern Asiens und Afrikas im Geiste der Bandung-Konferenz sicherzustellen.

Die Wünsche und Erwartungen der Völker und auch vieler Gewerkschaften und der Genossenschaftsbewegung in den Ländern Asiens und Afrikas, die zur Solidarität und Zusammenarbeit streben berücksichtigend, ruft die Solidaritäts-Konferenz auf, eine Konferenz der Gewerkschaften und der Genossenschaftsbewegung der Länder Asiens und Afrikas auf breiter Vertretungsbasis zur Behandlung der ihnen gemeinsamen Probleme einzuberufen.

1. Die Konferenz vertritt die Meinung, daß die ökonomische Entwicklung in den verschiedenen Ländern Asiens und Afrikas auf die volle Ausnutzung der Ressourcen, die den Wohlstand, die Beseitigung der Erwerbslosigkeit und eine Steigerung des Lebensniveaus der werktätigen Klassen sichern, zu richten ist. Sie appelliert ebenfalls an die Regierungen der Länder Asiens und Afrikas, den fortlaufenden Steigerungen der Preise für die wichtigsten Waren zum Zwecke der Erhöhung des Lebensniveaus der Bevölkerung Einhalt zu gebieten.

2. Die Konferenz fordert von den Regierungen Asiens und Afrikas, das Recht der Arbeiter auf Gründung ihrer eigenen Gewerkschaften zu garantieren und zu versuchen, alle Arbeitsprobleme in ihren Ländern zu lösen.

3. Die Konferenz betont, daß die Realisierung des Prinzips der Gerechtigkeit, Gleichheit und der Solidarität eine gleiche Entlohnung für gleiche Arbeit erfordert, und daß jegliche Diskriminierung bei der Entlohnung auf Erwägungen rassenmäßigen oder religiösen Charakters ungesund und ungerecht ist und der Solidarität unserer Länder Schaden zufügt. Die Konferenz empfiehlt den Regierungen der Länder Asiens und Afrikas, ein Lohnminimum für die verschiedenen Arbeitsarten festzusetzen und den Werktätigen die notwendigen sozialen Garantien zu sichern.

4. Die Konferenz regt die Errichtung von Produktionsgenossenschaften und Gründung der Genossenschaftsbewegung, entsprechend der Lage in jedem Lande, an. Sie ruft zur Festigung der Genossenschaftsbeziehungen zwischen den Ländern Asiens und Afrikas auf.

5. Die Konferenz empfiehlt den gegenseitigen Austausch von Experten und Informationen zwischen den Gewerkschaften und den Genossenschaftsbewegungen. Sie empfiehlt auch den Austausch von Bildungsmissionen und Seminaren einzurichten.

6. Die Konferenz schlägt ihrem Ständigen Büro in Kairo vor, zur Sicherung der Zusammenarbeit und zur Verwirklichung der oben genannten Aufgaben den engsten Kontakt zu den Gewerkschaften und den Genossenschaftsorganisationen herzustellen.

E. Empfehlungen für die abhängigen Länder Nach Prüfung der ökonomischen Lage in den abhängigen Ländern stellt die Ökonomische Kommission fest;

a) die Beibehaltung der rückständigen Wirtschaft und das Fehlen einer nationalen Planung erzeugt unvermeidlich wirtschaftlichen Stillstand mit allen sich hieraus ergebenden Folgen für das Lebensniveau; b) nach der im Ergebnis der Befreiung vieler Völker eingetretenen Verengung ihres Weltmarktes verwenden die Länder der Kolonisatoren alle Bemühungen auf die weitere Ausbeutung der Natur-reichtümer der abhängigen Länder; c) die Kapitalanlagen in Form von Subsidien und Anleihen tragen, insofern sie nicht die Interessen der Bevölkerung dieser Länder berücksichtigen, den Charakter der Ausbeutung; d) an Stelle der Förderung der Entwicklung der Produktion von Waren für den Konsum konzentriert die landwirtschaftliche Kolonial-Ökonomie ihre Bemühungen, entgegen den Interessen der Bevölkerung, nur auf die Erzeugung von Exportgütern;

e) die Pläne, die unter der Bezeichnung Pläne für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung der abhängigen Länder bekannt sind, begünstigen die Disproportion zwischen dem Eigentum einer Handvoll ausländischer Firmen und der Entwicklung des eigenständigen nationalen Kapitals zum Schaden des letzteren;

f) der Europäische Gemeinsame Markt ist auf die Einschränkung des ökonomischen Tätigkeitsfeldes der abhängigen Länder gerichtet, denn er macht diese zum Besitz der sechs europäischen Länder; er ist durch die Konzentration ausländischen Kapitals auf ihrem Territorium auf die weitere Unterdrückung der Volksbestrebungen zur Befreiung von der Kolonialherrschaft gerichtet; und schließlich führt er zur Isolierung der abhängigen Länder von den unabhängigen Ländern Asiens und Afrikas.

Dies alles in Betracht ziehend, empfiehlt die Kommission:

1. Den abhängigen Völkern in ihrem Kampf für die Befreiung von kolonialer Unterdrückung effektive Hilfe zu erweisen.

2. Sich mit einem energischen Aufruf an die Regierungen der Länder Asiens und Afrikas zu wenden, die gewerkschaftlichen Freiheiten auf allen ihren Territorien zu achten.

3. Den Europäischen Gemeinsamen Markt und den gewaltsamen Einbezug der abhängigen Länder in diesen Markt zu entlarven.

4. Innerhalb des Ständigen Büros ein Komitee zum Zwecke des Studiums der ökonomischen Probleme der Völker der abhängigen Länder zu schaffen und Stipendien und Hilfe den Studierenden der abhängigen Länder zu gewähren, damit ihnen die Möglichkeit zur Fortsetzung ihres Studiums gesichert wird.

5. Die Regierungen der Länder Asiens und Afrikas aufzufordern dahin zu wirken, daß die arabischen Flüchtlinge aus Palästina in ihre frühere Heimat zurückkehren und ihr Eigentum, welches konfisziert ist, wieder in Besitz nehmen können, und eine Kompensation für verlorenes Vermögen erhalten.“

(„Prawda“ vom 3. Januar 19 5 8)

Schlußbetrachtungen

Die Kairoer Solidaritätskonferenz wurde in der Presse vielfach als eine kommunistische Angelegenheit abgetan und als eine „Konferenz der Rebellen“ eingeschätzt. Wir könnten auf jede weitere Betrachtung verzichten, wenn wir uns dieser Auffassung anschließen würden. Denn dann wäre — wie das auch oft in der Presse zu lesen ist — jede Selbständigkeitsbestrebung und jeder Drang nach nationaler Unabhängigkeit in den asiatisch-afrikanischen Ländern, wie auch der Widerstand gegen die französische Herrschaft in Algerien, eine kommunistische Aktion. Wenn dem so wäre, so hätte also Chruschtschow sein politisches Ziel schon erreicht und die Völker Asiens und Afrikas bereits in den Block der sogenannten sowjetischen „Zone des Friedens“ fest einbezogen. Aber selbst die Sowjets wissen, daß ihnen das noch nicht gelungen ist.

Die Geschichte der nationalen Befreiungsbewegungen in Asien und Afrika ist älter als die Geschichte des Bolschewismus. Es ist auch eine Tatsache, daß nicht die Sowjets die Mehrheit der Völker Asiens und Afrikas aktiviert haben, sondern die Aktivität und die Erfolge der asiatisch-afrikanischen Länder den Sowjets Veranlassung gab, ihre afroasiatische Politik zu aktivieren.

Und wenn man die Vorgänge in Asien und Afrika richtig einschätzen will, kommt man um die Erkenntnis nicht herum, daß der Kolonialismus in allen seinen Erscheinungsformen der Geburtshelfer des Nationalismus in Asien und Afrika ist. Jedes Festhalten an den überholten Formen und Überresten der Kolonialpolitik kann dem Westen nur schaden und uns die Völker Asiens und Afrikas entfremden. Diese Erkenntnis sollte besonders bei uns Deutschen, die wir mit dieser Kolonialpolitik seit 40 Jahren nicht belastet sind, Eingang finden. So ist es nicht verwunderlich, daß gerade jene Vorgänge in Asien und Afrika, die durch alte Vorstellungen mit verursacht sind, von den Sowjets propagandistisch weidlich ausgenutzt werden.

Was ist das Ziel der Sowjetpolitik in Asien und Afrika? Zunächst verfolgen die Sowjets — wie das bereits gesagt wurde — in ihrer außen-politischen Konzeption das Ziel, die blockfreien Staaten für sich als Bundesgenossen einzusetzen. Dieses außenpolitische Bestreben fällt mit dem ersten Teil ihres strategischen Gesamtplanes zusammen. Dieser Strategie liegt die Zwei-Phasen-Theorie zugrunde. Die erste Phase ist Sammlung aller blockfreien Kräfte, Unterstützung und Förderung jeder nationalen Bewegung, um in dieser eine führende Rolle zur erobern und diese Bewegung dann in die zweite Phase der sozialen Revolution über-zuleiten. Nach der neuesten Sowjet-Theorie erfüllt heute auch der Ostblock mit der Sowjetunion an der Spitze diese Rolle gegenüber den asiatisch-afrikanischen Ländern.

Mögen die Sowjets in dieser Politik der ersten Phase, der Förderung und Unterstützung der nationalen Bewegungen viele Erfolge verzeichnen, und mögen die Führer Asiens und Afrikas in dieser Phase den Kontakt mit den Sowjets festigen und ihre Unterstützung annehmen, so sind sie dennoch nicht bereit ihnen zur zweiten Phase zu folgen. Die nationalen Führer Asiens und Afrikas haben ihre eigenen Ziele. Sukarno und LI Nu propagieren einen Wohlfahrtsstaat. Nehru schwebt als Ziel eine „Gesellschaft sozialistischen Musters“, ein menschlich-demokratischer Sozialismus vor. Und Nasser ist der äußerst rechte Flügelmann der asiatisch-afrikanischen Solidaritätsbewegung.

In der Stellungnahme gegen Imperialismus und Kolonialpolitik ist die Sprache Nassers kaum von der der Sowjets zu unterscheiden. Er ist aber Antikommunist und Antisozialist und schuf innenpolitisch ein antiparlamentarisches totalitäres Einparteiensystem. Sukarno und Nehru erheben Forderungen bezüglich Neu-Guinea und Goa, Nasser aber strebt nach viel höheren nationalen Zielen: nach einem industrialisierten arabischen Großreich. Er läßt sich dabei von Aspekten leiten, wie sie bei der nationalen Einigung Italiens und Deutschlands eine Rolle spielten.

Wenn auch die Sowjets die Gründung der „Vereinigten Arabischen Republik , von der sie überrascht wurden, als die Schaffung eines Bollwerks gegen den Imperialismus und gegen den Bagdad-Pakt begrüßten, so beurteilen sie die Entstehung dieser Republik und die Versuche der Einigung aller Araber unter Nassers Führung in der Perspektive dennoch nicht so günstig. Das geht aus einer Stellungnahme der Kommunistischen Partei Syriens und des Libanon hervor, in welcher die Entstehung der „Arabischen Republik“ begrüßt wird, aber gleichzeitig ein Forderungsprogramm „für die innere Ausgestaltung der Republik auf nationaler und demokratischer Basis“ formuliert wird. Es ist auch bezeichnend, daß die Kommunistische Partei Syriens die Errichtung der nationalen Front in der „Vereinigten Arabischen Republik“ fordert.

Es wäre unrichtig zu glauben, daß die Delegationen der Völker Asiens und Afrikas, die an der Kairoer Solidaritätskonferenz teilnahmen, sich alle im Schlepptau der Sowjets befanden. Sie gingen zu dieser Konferenz aus eigenen nationalen Interessen.

Ein Teil der Delegationen, insbesondere aus den Ländern, die sich noch in Abhängigkeit oder unter Protektorat befinden, gingen zu dieser Konferenz, um hier eine Tribüne zu finden, von der sie ihre Anliegen vortragen konnten. Wo finden sie sonst eine Tribüne in Asien und Afrika?

Andere Delegationen, wie die sudanesische Delegation unter Führung des Außenministers des Sudan, Achmed Mahgub, eines Landes, das erst jüngst seine nationale Unabhängigkeit erhielt, nahmen an der Konferenz aus Verpflichtung gegenüber den noch nicht selbständigen Völkern teil. Das zeigt auch die Rede Mahgubs auf der Konferenz.

Gesondert aber muß man die Initiatoren und Organisatoren der Solidaritätskonferenz betrachten, denen es um Führung und Einfluß in Asien und Afrika ging. Zu diesen gehören nicht nur die Sowjets, sondern, wie wir sahen, auch die Ägypter.

Es wäre unrichtig die Haltung der ägyptischen Führer zur Sowjetunion mit der der indischen oder indonesischen gleichzusetzen. Was bei Nehru oder Sukarno Sympathie für Rotchina oder Bewunderung für den industriellen Aufstieg der Sowjetnuion ist, ist bei Nasser politische Überlegung und Berechnung. Nehrus blockfreie Haltung erfolgt vom Gesichtspunkt einer wirklichen Abschwächung der Gegensätze in der Welt. Bei Nasser aber zeigt sich die Tendenz, sich aus den Blöcken herauszuhalten, um die Gegensätze für das eigene Machtbestreben auszunutzen und für sich etwas herauszuholen. Wenn wir die Entschließung der afro-asiatischen Solidaritätskonferenz über die ökonomische und technische Zusammenarbeit durchsehen, so müssen wir feststellen, daß in diser Entschließung einige Vorschläge, die immerhin auf der Konferenz und auch in der internationalen Öffentlichkeit sehr beachtet wurden, nicht berücksichtigt wurden.

Schon am zweiten Tag der Tagung der Wirtschaftskommission der Konferenz trat die ägyptische Delegation mit einem bemerkenswerten Vorschlag hervor. Sie schlug vor, einen Gemeinsamen afro-asiatischen Markt mit Kairo als Zentrum zu schaffen. Nach Meinung der Ägypter sollte ein Handels-Verkehrs-und Zollabkommen als Grundlage für den afro-asiatischen Gemeinsamen Markt zwischen allen Ländern Asiens und Afrikas abgeschlossen werden.

Rückendeckung fand der ägyptische Wunsch nach Errichtung eines Gemeinsamen Marktes durch das Projekt der Delegationen Marokkos und Libyens, eine afro-asiatische Handelsbank und eine Bank für Wiederherstellung und Entwicklung, beide mit dem Sitz in Kairo, zu gründen.

Diese Vorschläge gingen nicht durch. Die „Prawda“, die im allgemeinen sehr ausführlich über die Kairoer Konferenz berichtete, hat in ihrer Berichterstattung den ägyptischen Vorschlag auf Errichtung eines Gemeinsamen Marktes überhaupt nicht gewürdigt. Die Vorschläge hatten natürlich den Sinn, Ägypten in der Wirtschaft Asiens und Afrikas eine führende Position zu sichern. Der afro-asiatische Gemeinsame Markt widersprach aber der sowjetischen Wirtschaftshilfe-Politik in Asien und Afrika. Auch Indien und Indonesien werden kaum damit einverstanden sein, Kairo zum Wirtschaftszentrum für ganz Asien und Afrika auszubauen. Aber dennoch ist damit zu rechnen, daß die Ägypter ihren Vorschlag nach Schaffung eines Gemeinsamen Marktes auf der vorgesehenen Konferenz der Handelskammern Asiens und Afrikas, die Ende des Jahres 1958 in Kairo stattfinden soll, erneut zur Sprache bringen.

Bezeichnend ist auch, daß Rotchina, das traditionelle Beziehungen in Asien hat, das hier ein gewisses Ansehen genießt und auch auf eine führende Rolle in Asien Anspruch erhebt, auf der afro-asiatischen Konferenz nicht besonders hervortrat. Es ist hier nicht der Platz, auf das sowjetisch-chinesische Verhältnis, über das schon sehr viel geschrieben wurde, einzugehen. Aber eines zeigte sich auf der Konferenz deutlich, in den Wirtschaftshilfeversprechen können die Rotchinesen mit den Sowjets nicht konkurieren. Lind solange die Rotchinesen die Kredit-und Anleihebewilligungen in Asien und Afrika, sowie die Lieferungen von Industrieausrüstungen dem sowjetischen Bruder überlassen müssen, werden sie hinter diesem zurückstehen. Damit ist auch gesagt, daß all die sichtbaren Eigenheiten und Besonderheiten, die die Rotchinesen gegenüber Moskau durchzusetzen imstande waren, in Asien und Afrika erst Bedeutung erlangen, wenn es China gelungen ist sein Industrialisierungsprogramm zu verwirklichen. Das chinesisch-sowjetische Ver hältnis, über das heute so viel spekulativ gesprochen wird, wird dann unter anderen Vorzeichen stehen.

Ein Wort müssen wir noch über die indische Delegation auf der Kairoer Solidaritätskonferenz verlieren. Indien war bekanntlich einer der Hauptinitiatoren der Bandung-Konferenz. Auf der Kairoer Solidaritätskonferenz war die indische Delegation eine der schwächsten. Nicht zahlenmäßig, sondern politisch. Sie war die Delegation, in der im wesentlichen nur die alten Friedensfreunde den Ton angaben, wenn auch sehr oft und deutlich. Frau Rameschwari Nehru und Dr. Anup Singh, die schon die Neu-Delhier Konferenz 195 5 organisierten, waren die indischen Sprecher. Ein Beweis, daß sich die afro-asiatische Solidaritätsbewegung in Indien nicht in die Breite wie in einigen anderen Ländern entwickelt hat. Sie hatte auch keinen regierungsoffiziellen Rückhalt, wie eine Reihe anderer Delegationen, in die entweder Staats-funktionäre einbezogen waren oder deren Entsendung nach Kairo amtlich doch begrüßt oder gebilligt wurde. Der frühere indonesische Ministerpräsident und heutige Vertreter Indonesiens bei der LINO, Ali Sastroamidjojo, begrüßte z. B. die afro-asiatische Konferenz telegraphisch und stützte dadurch die indonesische Delegation auf der Konferenz.

Kairo, Moskau, Neu-Delhi und Peking sind heute die vier Zentren, die auf die Entwicklung der asiatisch-afrikanischen Solidaritätsbewegung, die sich in Kairo ihre Organisation aufbaut, einwirken. Zwischen ihnen gibt es in den aktuellen Nahzielen viele Gemeinsamkeiten, in den Fernzielen aber viele Widersprüche. Für die Beurteilung der weiteren Entwicklung in Asien und Afrika ist es notwendig, die Aktivität und die Politik dieser vier Zentren besonders zu beachten.

Für uns aber heißt die Frage: Wollen wir die asiatisch-afrikanische Front sich selbst und damit der reaktivierten Sowjetpolitik in Asien und Afrika überlassen? Oder ist es nicht an der Zeit auch unsere Politik in Asien und Afrika zu beleben, insbesondere die wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zu den Ländern Asiens und Afrikas zu pflegen, zu vertiefen und zu erkennen, daß das erwachte Asien und Afrika heute schon ein Faktor in der Weltpolitik sind und morgen noch mehr sein werden?

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die Sowjethilfe bei der Industrialisierung Chinas wurde in nachfolgenden Abkommen vereinbart: 1. Abkommen vom 12. September 1953 über den Aufbau von 141 Industrie-objekten im Rahmen des Ersten chinesischen Fünfjahresplans. 2. Zusatzprotokoll vom 12. Oktober 1954 über den Aufbau weiterer 15 Industriewerke durch die UdSSR. 3. Abkommen vom 7. April 1956 über die Errichtung von 55 zusätzlichen Werken durch die Sowjetunion. Nach Fertigstellung des Manuskriptes lasen wir in der Zeitung „Die Welt" Nr. 43 vom 20. Februar 1958: „ 1956 wurden von der UdSSR nicht weniger als 211 Fabriken und Werke in China gebaut oder instandgesetzt, darunter Eisen-und Stahlwerke, Gruben und andere Betriebe". Tatsächlich aber steht die Mehrzahl dieser Werke noch auf dem Papier des Planes! Die Sowjets haben von den zugesagten 211 Industriewerken bis Ende 1957 (!), d. h. bis zum Ende des ersten chinesischen Fünfjahresplanes, nur 57 Werke fertiggestellt! Als Beweis tragen wir hier zwei von vielen chinesischen Quellen nach: Am 7. Dezember 1957 führte der Vorsitzende der chinesischen Staatlichen Plankommission, Li Fu-chun, laut Bericht der chinesischen Nachrichten-Agentur -Hsinhua". auf dem VIII. Chinesischen Gewerkschaftskongreß in Peking aus „Bis zum Jahresende 1957 werden von den über 820 im Bau befindlichen Industrie-Großbauten 450 fertiggestellt. Davon gehören 57 Werke zu den 156 Industrieobjekten, die mit sowjetischer Hilfe errichtet werden. Nicht ein-berechnet sind hierbei zehn weitere Werke, die nur teilweise fertiggestellt sind " Und am 14. Februar 1958 berichtete der chinesische Generalsekretär der „Gesellschaft für chinesisch-sowjetische Freundschaft", Chian Chiung-jui, in einem langen Artikel in der „Prawda": „Die Sowjetunion verpflichtete sich, China beim Aufbau und bei der Rekonstruktion von 156 wichtigen Industriewerken Hilfe zu erweisen. Beim Bau dieser Werke leistete die Sowjetunion uns Hilfe bei der Planung, lieferte neueste Ausrüstung und sandte uns auch eine große Zahl von Spezialisten. Bis zum Ende des Jahres 1957 wurden 57 von diesen Werken schon völlig fertiggestellt und zehn weitere teilweise. Nach dem April-Abkommen des Jahres 1956 verpflichtete sich die Sowjetunion, uns Hilfe zu gewähren beim Bau von noch 55 wichtigen Objekten." Ans den obigen Angaben ergibt sich: Die Sowjetunion hatte es übernomme r von den 820 im Bau befindlichen Werken 156 zu errichten, d. h. etwa 19 °/o Sie hat von 450 fertiggestellten Werken 57 völlig und zehn teilweise erstellt, d. h. höchstens 14 °/o. 55 Werke, zu deren Bau sich die Sowjetunion vor nahezu zwei Jahren, im April 1956, verpflichtet hatte, sind überhaupt noch nicht in Angriff genommen. Daraus ergibt sich, daß, obwohl China in der sowjetischen Hilfe an erster Stelle steht, die SU ihren Plan in China nicht erfüllt hat.

  2. Auch die Zahl der in den unterentwickelten Ländern tätigen Sowjet-Ingenieure und Techniker ist verglichen mit der Zahl der sowjetischen Berater in Rotchina sehr minimal.

  3. Der in der „Prawda" vom 3. Januar 1958 veröffentlichte Text der zehn Prinzipien stimmt im wesentlichen mit dem Text in „Europa-Archiv" Nr. 10/1955, S. 7567 überein. Die erste Quelle gibt die Kairoer Deklaration, die zweite das Bandunger Schluß-Kommunique wider. Nur die Punkte 4 und 6a der Kairoer Deklaration sind etwas anders formuliert. Sie lauten nach der „. Prawda": 4. Verzicht auf jegliche Einmischung in die Angelegenheiten unserer Länder; 6a. Verzicht auf Ausnutzung kollektiver Verteidigungs-Organisationen zu besonderen Interessen irgendeiner der großen Mächte.

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