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Demonstration unter dem Gesetz | APuZ 10/1969 | bpb.de

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APuZ 10/1969 Außerparlamentarische Bewegungen, Demonstrationsrecht und Widerstand Spontanversammlung oder Spontanaktion Demonstration unter dem Gesetz

Demonstration unter dem Gesetz

Detlef Merten

In einer Zeit, in der das Grundrecht der Versammlungsfreiheit zur Rechtfertigung selbst schwerer krimineller Delikte benutzt wird, muß eine Untersuchung provokativ wirken, die schon in ihrem Titel den Akzent auf das freiheitsbeschränkende Gesetz legt und anzudeuten scheint, daß das Demonstrationsrecht des Bürgers nur im Rahmen und nach Maßgabe unserer Rechtsordnung ausgeübt werden darf. Sie widerspricht damit einer Tendenz, die das Grundrecht des Art. 8 des Grundgesetzes aufwertet, es sogar als vorstaatliches Recht ausgibt und in ihm „eines der wirksamsten Mittel politischer Einflußnahme" des einzelnen Staatsbürgers in der parlamentarischen Demokratie sieht Sie wird Mißfallen erregen angesichts der modischen Betrachtungsweise, die den Blick einseitig auf „das politisch ungeschickte, undemokratische, gesetz-und verfassungswidrige Knüppel-aus-demSack-Verhalten vieler Polizisten während der Unruhen der jüngsten Vergangenheit" richtet und es beifallsgewiß als „Ausdruck eben jener in Deutschland noch so weit verbreiteten unfreiheitlichen und undemokratischen, intoleranten, bornierten Spießer-und Untertanenmentalität" qualifiziert die Rechtmäßigkeit „vereinzelter Gewaltakte gegen Sachen (zerbrochene Fensterscheiben, angezündete Zeitungswagen)" aber außer jeden Zweifel stellt

Dennoch erscheint es notwendig, die eher ideologisch als juristisch-dogmatisch, eher irrational als rational geführte Diskussion auf eine nüchterne Betrachtung und Interpretation des Grundrechts des Art. 8 GG zurückzuführen, ohne dabei die tatsächlichen Ereignisse der letzten Zeit außer Betracht zu lassen. Allerdings muß man dann nicht nur des Dutschke-Attentats, sondern auch des Fotografen Frings gedenken, der bei einer Demonstration durch einen Steinwurf getötet wurde; dann müssen nicht nur die polizeilichen Übergriffe, sondern auch die Steinhagel bei den von „Demonstranten" zusammen mit sogenannten Rockern geführten Straßenschlachten erwähnt werden; dann muß man nicht nur auf das Interesse der Demonstranten an möglichst ungeschmälerter Meinungskundgabe, sondern auch auf das der Passanten an freier Bewegung hinweisen; dann darf man nicht nur das Recht zur öffentlichen Erörterung der inneren Angelegenheiten fremder Staaten, sondern muß auch das staatliche Interesse an der Erhaltung guter Beziehungen zu ausländischen Regierungen berücksichtigen.

Bei der folgenden Untersuchung taucht eine Reihe schwieriger dogmatischer Fragen auf, denen nicht bis in letzte Verästelungen nachgegangen werden kann. Es soll hier nur holzschnittartig die Stellung des Art. 8 GG im Gefüge unserer Verfassungs-und Rechtsordnung klargelegt werden.

Begriff und Bedeutung des Demonstrationsrechts

Bei der Lektüre des Grundgesetzes fällt auf, daß der Begriff „Demonstration" im Verfassungstext überhaupt nicht erscheint. Dennoch entbehrt die Demonstration nicht des Grund-rechtsschutzes und wird auch nicht erst durch die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG geschützt. Ihr verfassungsrechtlicher Schutzort ist die Versammlungsfreiheit.

Da Art. 8 GG das Recht gewährleistet, zu einem bestimmten Zweck zusammenzukommen und Aufzüge (sich fortbewegende Versammlungen) zu veranstalten, umfaßt er auch die Demonstration, die sich ebenfalls durch ein räumliches und geistiges „Miteinander" eines Kollektivs kennzeichnet. Die verfassungsrechtliche Ausgangslage ist für die Stellung und den Umfang der Demonstrationsfreiheit von Bedeutung:

Eine Argumentation, die mit einem vorgegebenen Begriff der Demonstration operiert, ihr bestimmte Verhaltensweisen (z. B. Gewaltausübung gegen Sachen) zurechnet und für die so verstandene Demonstrationsfreiheit grund-21 rechtlichen Schutz beanspruchen will, geht von vornherein fehl. Vielmehr können sich Demonstranten auf Art. 8 GG nur berufen, wenn und soweit ihr Verhalten in den Rahmen des überkommenen, historisch geprägten und vom Grundgesetz gewährleisteten Versammlungsrechts paßt. Eine saubere juristische Interpretation hat also vom Inhalt des Art. 8 GG und nicht von einem vorher festgelegten „Wesen der Demonstration" auszugehen.

Die Versammlungsfreiheit schützt weiterhin nicht nur und auch nicht vorrangig die Demonstrationen. Art. 8 GG umfaßt politische Versammlungen ebenso wie Fachtagungen von Juristen, Medizinern, Theologen oder den Triumphzug einer siegreichen Fußballmannschaft.

Der Verfassungstext darf auch nicht durch den Hinweis auf einen angeblich vorstaatlichen Charakter des Versammlungs-und Demonstrationsrechts bagatellisiert oder korrigiert werden. Denn dieses Grundrecht ist nicht der staatlichen Ordnung als überpositives Recht vorgegeben, sondern besteht nur nach Maßgabe des staatlichen Verfassungsrechts. Das beweist die Verfassung selbst, wenn sie einerseits in Art. 1 Abs. 2 zwar ein Bekenntnis zu unverletztlichen und unveräußerlichen Grundrechten ablegt, andererseits aber Art. 8 im Unterschied zu anderen Grundfreiheiten nur als allen Deutschen zustehendes Recht statuiert. Daher hat die Versammlungsfreiheit, die auch in der französischen Erklärung der Menschen-und Bürgerrechte von 1789 fehlt, keinen vorstaatlichen Menschenrechtscharakter, was auch (nahezu) einhellige Ansicht im juristischen Schrifttum ist

Fraglich kann es lediglich sein, ob Art. 8 GG einen überpositiven Menschenrechtskern enthält, was jüngst Herzog bejaht hat. Die praktischen Konsequenzen dieser Theorie sind allerdings nicht sehr erheblich, da der Kernbereich des Versammlungsrechts gegen Eingriffe des einfachen Gesetzes ohnehin durch die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG abgesichert ist. Auswirkungen würden sich nur für die Grundrechtsberechtigung der Ausländer ergeben, die zwar von Gesetzes wegen, nicht aber von Verfassungs wegen Versammlungsfreiheit genießen. Folgte man der Menschenrechtskern-Theorie, so würde das als Deutschenrecht ausgestaltete Grundrecht des Art. 8 GG in einem sehr engen Bereich schon von Verfassungs wegen auch Ausländern zustehen. Eine entscheidende Aufwertung der Versammlungsfreiheit ist mit dieser Verfassungskorrektur jedoch nicht zu erreichen. Sie läßt sich auch nicht mit der Begründung bewirken, daß die Demonstration eines der wirksamsten Mittel politischer Einflußnahme des Staatsbürgers sei.

Sicherlich muß der Bürger in der parlamentarischen Demokratie über seine Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen (Art. 20 Abs. 2 GG) hinaus die Möglichkeit haben, auf den Prozeß der (öffentlichen) Meinungsbildung im „vorparlamentarischen Raum" Einfluß zu nehmen. Das hat auch das Bundesverfassungsgericht betont. Hierfür verweist die Verfassung den Bürger aber nicht allein auf das Versammlungsrecht, sondern stellt eine Skala von Grundrechten zur Verfügung, die alle die Freiheit der Meinungs-und Willensbildung des Volkes sichern: Die Meinungsäußerungs-, Presse-und Informationsfreiheit rechnen ebenso hierher wie die Vereinigungs-und die Koalitionsfreiheit, die Petitionsfreiheit und die Freiheit, Parteien zu gründen. Es fehlt an jedem verfassungsrechtlichen Anhaltspunkt dafür, daß der Demonstrationsfreiheit (innerhalb dieser Gruppe) ein höherer Rang zukommt als den anderen Grundrechten. Daraus folgt, daß die Demonstrationsfreiheit nicht gegen die übrigen Grundrechte ausgespielt werden kann. Deshalb kann man z. B. nicht unter Berufung auf die Demonstrationsfreiheit die durch die Pressefreiheit geschützte Auslieferung von Presseerzeugnissen verhindern, abgesehen davon, daß dieses Verhalten ohnehin nicht durch Art. 8 GG gedeckt ist.

Nachdem die Versammlungsfreiheit ihres ideologischen Mythos'entkleidet ist, soll zunächst ihre Stellung innerhalb des Grundrechtskatalogs betrachtet werden.

Das Gebot der Friedlichkeit in Art 8 GG

Das Grundgesetz gewährleistet dem Bürg GG

Das Grundgesetz gewährleistet dem Bürger gemäß Art. 8 Abs. 1 von vornherein nur das Recht, sich friedlich und ohne 'Waffen zu versammeln. Diese, an überkommene Grundrechtsformulierungen anknüpfende Garantie macht die Einordnung in das Grundrechts-gefüge leicht. Sie besagt nicht nur, daß lediglich friedliche Versammlungen vom Grundrechtsschutz umfaßt werden, sondern macht auch deutlich, daß Art. 8 GG kein Recht zu gewaltsamen Aktionen gibt. Angesichts dieses klaren Verfassungswortlauts erweisen sich die Vorstellungen als abwegig, die sich interessierte Kreise vom Umfang der Demonstrationsfreiheit machen. So soll nach Hannover „die Demonstrationsfreiheit nicht auf die Verbreitung von Informationen und Meinungen beschränkt (sein), sondern alle Außerungsformen menschlicher Handlungsfreiheit umfassen, die geeignet und dazu bestimmt sind, auf den Prozeß der öffentlichen Meinungs-und Willensbildung einzuwirken." 7) Dabei geht Hannover so weit, auch Gewaltakte gegen Sachen (zerbrochene Fensterscheiben, angezündete Zeitungswagen) als rechtmäßig zu qualifizieren. Diese Handlungen sollen, „sofern sie von einer entsprechenden Intention getragen waren, als Einwirkungen auf den Prozeß der politischen Bewußtseinsbildung, und zwar noch im Vorfeld des Informations-und Aufklärungsprozesses, durch die Demonstrationsfreiheit gedeckt" sein 8). Der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit einer Theorie, die so deutlich vom Grundgesetz abirrt, muß man sich versagen.

Wie andere Grundrechte, so gewährt auch Art. 8 GG unter keinen Umständen ein Recht zu Gewalttaten, gleichgültig ob sie gegen Personen oder Sachen gerichtet sind.

In Übereinstimmung mit dem Friedlichkeitsgebot des Art. 8 Abs. 1 GG sieht § 5 Nr. 3 des VersammlungsG zu Recht das Verbot einer Versammlung vor, „wenn Tatsachen festgestellt sind, aus denen sich ergibt, daß der Veranstalter oder sein Anhang einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf der Versammlung anstreben", und kann nach § 13 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes eine Versammlung polizeilich aufgelöst werden, wenn sie „einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nimmt". Denn sowohl die gewalttätige als auch die aufrührerische Versammlung widerspricht der Vorstellung des Grundgesetzes. Beide sind als Unterfälle der Unfriedlichkeit anzusehen. Eine Versammlung ist nicht nur unfriedlich, wenn tatsächlich Gewalt ausgeübt, sondern auch, wenn gemeinschaftlich Gewalt im weitesten Sinne angedroht, das heißt aufrührerisch vorgegangen wird. In diesem Falle ist der friedensstörende Wille der Menge äußerlich erkennbar, wie ihn auch der Straftatbestand des Aufruhrs (§ 115 StGB) voraussetzt (org. Zusammenrottung) Da bei gewalttätigem oder aufrührerischem Verhalten immer eine Friedensstörung vorliegt, ist die Auflösungsermächtigung des § 13 Abs. 1 Nr. 2 VersammlungsG durch Art. 8 Abs. 1 GG voll gedeckt.

Das muß auch dann gelten, wenn der Aufruhr von außen in eine Versammlung hineingetragen wird. Für diesen Fall tritt Herzog für eine einengende Interpretation des § 13 Abs. 1 Nr. 2 mit dem Ziel ein, die Versammlungsauflösung „bei Versammlungen, die keinen gewalttätigen, sondern nur einen aufrührerischen Verlauf nehmen", zu versagen. M. E. gebietet die Verfassung eine solche Restriktion nicht. Die Polizei darf von der Auflösungsermächtigung des § 13 ohnehin erst Gebrauch machen, wenn ihr die Beseitigung der Störung oder die Entfernung der Störer auf andere Weise nicht möglich ist. Nach polizeirechtlichen Grundsätzen kann sie die Auflösung der Versammlung, von der keine Störung ausgeht, nur als letztes Mittel verfügen. Ist aber eine Isolierung der Störer nicht möglich, so hat die Versammlung ihren ursprünglichen Charakter und ihre ursprüngliche Zusammensetzung verloren. Sobald die Versammlung derartig von Störern durchsetzt ist, daß deren Feststellung und Entfernung nicht möglich ist, geht von der Versammlung in ihrer neuen Zusammensetzung eine Störung aus. Steigert sich diese Störung zu einem aufrührerischen, einem friedensstörenden Verhalten, so ist die Versammlung unfriedlich und kann aufgelöst werden. Gewalttätig handelt aber auch, wer es einem anderen unmöglich macht, seinen Willen zu verwirklichen, z. B. durch Festhalten oder physischen Zwang zur Unterlassung Der für alle Grundrechte geltende Grundsatz, daß keine Grundrechtsausübung so weit gehen darf, andere zu einem bestimmten Verhalten zu zwingen, wird für die Versammlungsfreiheit durch das Gebot der Friedlichkeit ausdrücklich klar. So wie die Streikfreiheit kein Recht gibt, arbeitswillige Kollegen am Betreten der Fabrik zu hindern, die Meinungsäußerungsfreiheit nicht dazu berechtigt, andere gegen ihren Willen zur Diskussion zu zwingen, so gestattet Art. 8 Abs'1 GG nicht, Passanten ohne Rücksicht auf ihr Einverständnis zu einer Auseinandersetzung zu nötigen.

Daher ist der Ansicht Hartmut Vogels energisch zu widersprechen, daß die Frankfurter Polizei richtig gehandelt habe, „die Blockierung großer Straßenkreuzungen am Ostersonntag seitens der Oster-Marschierer zu gestatten und in dieser Zeit den Demonstranten Gelegenheit zu geben, mit den wartenden Autofahrern zu diskutieren und ihre Ziele zu erläutern".

Zunächst ist festzustellen, daß dieses Vorgehen nicht in den Problemkreis Versammlungsfreiheit und Straßenverkehr gehört. Inwieweit Versammlungen und insbesondere Aufzüge aus Gründen der Leichtigkeit des Straßenverkehrs verboten oder beschränkt werden dürfen und in welchem Ausmaß umgekehrt der Straßenverkehr Behinderungen durch Demonstranten hinzunehmen hat, wird noch zu erörtern sein. Dabei kann nur ein rechtmäßiges Verhalten der Demonstranten und der Verkehrsteilnehmer gegeneinander abgewogen werden. In dem geschilderten Fall war die Behinderung der Verkehrsteilnehmer aber nicht Folge, sondern Zweck der Demonstration. Die Demonstranten zielten darauf ab, Autofahrer ohne Rücksicht auf ihr Einverständnis zum Halten zu zwingen, um mit ihnen ungeachtet ihrer Bereitschaft zu diskutieren. Dieses Vorgehen überschreitet klar die Grenzen der Demonstrationsfreiheit, die ebenso wie die Meinungsäußerungsfreiheit lediglich die Befugnis gewährt, eine Meinung kundzugeben und auf andere mit geistigen Mitteln einzuwirken. Nicht in Ausübung seines Demonstrationsrechts, sondern gewalttätig handelt aber, wer Autofahrer zu Diskussionszwekken am Weiterfahren oder Passanten an ihrer freien Bewegung hindert. Im umgekehrten Fall würde es niemand für rechtmäßig halten, wenn Autofahrer eine ihnen nicht genehme Demonstration durch eine Blockade mit ihren Fahrzeugen verhindern.

Hatten nach allem die Demonstranten kein Recht, die Autofahrer zum Halten zu zwingen, so handelte die Polizei rechtswidrig, als sie dieses Vorgehen gestattete. Die Frage nach der politischen Zweckmäßigkeit ihres Verhaltens darf sich daher gar nicht stellen.

Im Hinblick auf diese Grundsätze ergibt sich auch, daß ein Sitzstreik auf den Straßenbahn-schienen zur Blockade des Schienenverkehrs ebensowenig eine zulässige Demonstration darstellt wie das Versperren einer Ausfahrt durch Demonstranten, um die Auslieferung von Presseerzeugnissen zu verhindern. Wer Kauflustige — auch „nur" durch Versperren des Eingangs — vom Eintritt in ein Kaufhaus abhalten will, um damit gegen die Ladenschlußgesetzgebung zu „demonstrieren", kann sich genausowenig auf das Versammlungsrecht berufen wie derjenige, der durch „Sit-in" andere am Verlassen von Räumen hindert.

Um so unverständlicher ist es, daß es in einem — inzwischen aufgehobenen — Beschluß eines Eßlinger Amtsgerichtsrats heißen kann, „im Widerstreit zwischen der Meinungs-und Demonstrationsfreiheit und der Pressefreiheit" sei es ein „durchaus angemessenes, sozial adäquates Mittel" gewesen, einer „politischen Forderung durch eine zeitweise Auslieferungsblockade Nachdruck zu verleihen".

In einem ähnlichen Verfahren hat ein Frankfurter Amtsgerichtsrat nach Pressemeldungen gemeint, das Demonstrationsrecht rechtfertige es, die Luft aus den Reifen von Zeitungslieferwagen zu lassen oder diese Wagen einzukeilen. Schließlich werden durch das Gebot der Friedlichkeit in Art. 8 Abs. 1 GG Demonstrationen mit friedlichen Mitteln, aber zu unfriedlichen Zwecken ausgeschlossen. Denn der öffentliche Friede wird nicht nur durch eine Versammlung mit unfriedlichem Ablauf, sondern womöglich noch stärker durch eine disziplinierte Versammlung bedroht, die unfriedliche Zwecke verfolgt.

Das Mißbrauchsverbot

Kraft ausdrücklichen Verfassungsverbots sind ferner Versammlungen, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung bekämpfen oder zum Angriffskrieg auffordern, vom Grundrechtsschutz ausgeschlossen.

Versammlungen und Demonstrationen, die sich gegen die Völkerverständigung richten, stehen außerhalb des Art. 8, weil Art. 26 Abs. 1 GG alle Handlungen für verfassungswidrig erklärt, „die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskriegs vorzubereiten"

Art. 18 GG bedroht den Mißbrauch bestimmter Grundrechte zum Kampf gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung mit der Sanktion der Grundrechtsverwirkung GG bedroht den Mißbrauch bestimmter Grundrechte zum Kampf gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung mit der Sanktion der Grundrechtsverwirkung. Aus dieser Bestimmung und den ähnlichen Regelungen der Art. 21 Abs. 2 und 9 Abs. 2 GG läßt sich eine allgemeine Grundrechtsschranke 17) ableiten, die jeder die freiheitlich-demokratische Grundordnung bekämpfenden Grundrechtsbetätigung von vornherein den Schutz der Verfassung versagt.

Diese Schranke wird zudem für die Versammlungsfreiheit dadurch deutlich, daß die Vereinigungsfreiheit in Art. 9 Abs. 2 ein Verbot für Vereinigungen kennt, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten. Da Versammlungs-und Vereinigungsfreiheit historisch eng verknüpft sind, rechtfertigt sich gerade aus diesem Grunde die entsprechende Anwendung des Art. 9 Abs. 2 18).

In diesem Zusammenhang kann auch auf Art. 24 der Berliner Verfassung hingewiesen werden, wonach sich auf die Meinungsäußerungs-und Versammlungsfreiheit nicht berufen darf, „wer mißbräuchlich die Grundrechte angreift oder gefährdet, insbesondere wer nationalsozialistische oder andere totalitäre oder kriegerische Ziele verfolgt".

Der Gedanke des Rechtsmißbrauchs liegt auch dem § 1 des Versammlungsgesetzes zugrunde. Diese Vorschrift entzieht das Versammlungsrecht generell einer für verfassungswidrig erklärten Partei, einer von Verfassungs wegen verbotenen Vereinigung und Bürgern, die das Grundrecht der Versammlungsfreiheit verwirkt haben oder mit der Versammlung eine für verfassungswidrig erklärte Partei bzw.deren Teil-oder Ersatzorganisation fördern wollen.

Als Extremfall eines Mißbrauchsverbots ist schließlich eine Grundrechtsausübung unzulässig, die nur den Zweck der Schikane verfolgt Das Schikaneverbot des bürgerlichen Rechts, wonach eine Rechtsausübung unzulässig ist, „wenn sie nur den Zweck haben kann, einem anderen Schaden zuzufügen" (§ 226 BGB), gilt entsprechend auch im öffentlichen Recht. Daher wird eine Demonstration, die kein eigenes Anliegen verfolgt, sondern deren einziger Zweck die Behinderung der Passanten oder die Störung des Straßenverkehrs ist (sog. Spaziergangdemonstration), von vornherein nicht vom Schutz des Art. 8 GG umfaßt.

Art. 8 GG und die Rechte anderer

Die Versammlungsfreiheit wird bereits von Verfassungs wegen durch die Grundfreiheiten und Rechte anderer Staatsbürger begrenzt. Dabei kann es nicht nur zu einem Konflikt kommen, wenn Bürger zur selben Zeit und am selben Ort konkurrierende Versammlungen oder Aufzüge veranstalten wollen. Schwierigkeiten ergeben sich auch, wenn die Demon-stration andere Grundrechte Dritter beeinträchtigt, wie das der Gewerbetreibenden auf Gewerbeausübung, das der Passanten auf Bewegungsfreiheit. Daher kann man nicht nur einseitig die Demonstrationsfreiheit im Blick haben, sondern muß in gleicher Weise die konkurrierenden Freiheitsansprüche anderer Bürger respektieren. Dieses Problem ist nur zu lösen, wenn man eine allgemeine Grundrechtsschranke der Freiheitsansprüche anderer anerkennt.

Aber nicht nur die Grundfreiheiten, sondern auch die Rechte Dritter sind Grundrechts-schranken. Daher hat die Demonstrationsfreiheit fremdes Eigentum zu achten. Art. 8 GG umschließt nicht das Recht, auf fremden Grundstücken ohne oder gegen den Willen des Eigentümers oder Besitzers zu demonstrieren. Diese inhaltliche Begrenzung ergibt sich wie bei vielen anderen Grundfreiheiten bereits aus dem Sinn des Grundrechts und seiner historischen Interpretation. Im Kampf um die Versammlungsfreiheit ging es von jeher nur um den Schutz gegenüber staatlichen Eingriffen. § 1 Abs. 1 Satz 2 des Vereinsgesetzes von 1908 normierte ausdrücklich, daß das Vereins-und Versammlungsrecht „polizeilich nur den im Vereinsgesetz und anderen Reichsgesetzen enthaltenen Beschränkungen" unterliege, um sicherzustellen, daß etwaige zivilrechtliche Einschränkungen unberührt bleiben. Aus diesem Grunde ist eine Grundrechtsbetätigung auf fremdem Grund und Boden unzulässig, was im Ergebnis durch die Grundrechts-schranke der „Rechte anderer" (Art. 2 Abs. 1 GG) bestätigt wird.

Art. 8 GG verleiht daher keinen Grundrechtsschutz für Demonstrationen in Gotteshäusern entgegen dem Willen der Kirchenbehörden. Er berechtigt nicht dazu, in Theatern, Lichtspielhäusern (z. B. anläßlich der Aufführung des Films „Africa addio") oder Messeräumen (Frankfurter Buchmesse) gegen den Willen der Berechtigten zu demonstrieren und kann daher auch nicht als Rechtfertigungsgrund für die Begehung von Straftaten (Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung) angesehen werden. Diese klaren Verfassungsentscheidungen kann man auch nicht dadurch unterlaufen, daß man sie mit unpräzisen Floskeln trübt, um politische Wunschvorstellungen in den Rang von Verfassungsrecht zu erheben (Hannover: „Auch gegenüber privatwirtschaftlichen Macht-zentren muß sich die Schutzfunktion des Grundrechts der Demonstrationsfreiheit entfalten, indem es den Bürgern das Recht zubilligt, manipulative Ablenkungen des Willensbildungsprozesses durch Gegenwirkung zu korrigieren")

Demonstrationsfreiheit und öffentliche Sachen

Gewährleistet Art. 8 GG kein Recht zur Benutzung fremden Eigentums, so gilt dasselbe für öffentliche Sachen. Zwar ist der Staat Grundrechtsverpflichteter, und die Grundrechte der Bürger richten sich gegen ihn. In der Regel verpflichten jedoch die Grundrechte — auch unter dem Sozialstaatsprinzip — den Staat nicht, die notwendigen Voraussetzungen für eine Grundrechtsausübung zu schaffen. So kann der Bürger nicht unter Berufung auf Art. 5 die Bereitstellung einer Druckerei zum Zwecke der Meinungsverbreitung verlangen und im Hinblick auf Art. 4 nicht den Bau von Kirchen zur Religionsausübung beanspruchen. Art. 12 Abs. 1 gewährt dem Zeitungshändler kein Recht zur Sondernutzung öffentlicher Straßen, auch wenn seine Tätigkeit zugleich der Presse-und Informationsfreiheit dient. Selbst die nach Art. privilegierten politischen Parteien haben ohne spezialgesetzliche Regelungen keinen Anspruch, in öffentlichen Gebäuden (Rathäusern, Schulen) Versammlungen abzuhalten. Dieses Ergebnis wird durch § 5 Abs. 1 ParteienG bestätigt, der den Staat nicht zur Raumvergabe verpflichtet, sondern ihn nur zu einer (modifizierten) Gleichbehandlung der Parteien für den Fall zwingt, daß öffentliche Einrichtungen tatsächlich zur Verfügung gestellt werden. Daher kann auch aus Art. 8 Abs. 1 GG nicht das Recht abgeleitet werden, für Versammlungen öffentliche Einrichtungen zu benutzen. Denn die Versammlungsfreiheit gewährt nur einen Duldungsund keinen Leistungsanspruch. Sie gibt dem Staat nicht auf, Versammlungen zu ermöglichen, das heißt die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen hierfür zu schaffen, sondern verpflichtet ihn nur, Versammlungen von Bürgern zu dulden, die über eine Versammlungsstätte verfügen. Die Frage, inwieweit der Bürger öffentliche Einrichtungen zu Versammlungszwecken in Anspruch nehmen darf, wird nicht durch Art. 8 GG, sondern nur i durch das Recht der öffentlichen Sachen beantwortet. Nur soweit die Gemeindeordnungen die Gemeindeeinwohner berechtigen, die öffentlichen Einrichtungen der Gemeinde im Rahmen des geltenden Rechts zu benutzen, können diese dort von ihrem Versammlungsrecht Gebrauch machen; nur soweit die Universitätsordnungen 21) ähnliche Regelungen für Studenten vorsehen, können diese in Universitätsräumen das Grundrecht des Art. 8 in Anspruch nehmen.

Dasselbe gilt für Versammlungen auf öffentlichen Straßen und Plätzen. Auch hier setzt Artikel 8 GG voraus, daß die Bürger die Straßen und Plätze für Zusammenkünfte benutzen dürfen. Ist das Benutzungsrecht eingeschränkt, so besteht auch unter Berufung auf Art. 8 GG kein Versammlungsrecht. Daher bezieht sich das Demonstrationsrecht nicht auf Bundesautobahnen (einschließlich innerörtlicher Stadtautobahnen), weil diese nur für den Schnellverkehr mit Kraftfahrzeugen bestimmt sind (§ 1 Abs. 3 des Bundesfernstraßengesetzes). Wegen dieser Widmung sind Fußgängerdemonstrationen auf Autobahnen von vornherein unstatthaft, sofern sie nicht schon aus anderen Gründen des Grundrechtsschutzes entbehren. Pläne der so-genannten außerparlamentarischen Opposition, die Interzonenstraßen nach Berlin zu blockieren stehen beispielsweise schon deshalb außerhalb des Grundgesetzes, weil sie wegen der allein geplanten Schadenszufügung grundrechtsmißbräuchlich (Schikaneverbot!) und außerdem wegen der in jeder Blockade enthaltenen Gewaltanwendung unfriedlich sind.

Es kann also keine Rede davon sein, daß öffentliche Einrichtungen für Demonstrationen schlechthin zur Verfügung stehen. Vielmehr ist jeweils im Einzelfall zu untersuchen, ob nach dem Recht der öffentlichen Sachen ein Benutzungsrecht besteht. Erst dann kann eine Berufung auf die Versammlungsfreiheit aktuell werden.

Beschränkungen des Benutzungsrechts sind keine Beschränkungen der Versammlungsfreiheit. Wird eine Kongreßhalle nur gegen Entgelt zur Verfügung gestellt, so wird hiervon Art. 8 GG ebensowenig berührt wie wenn eine öffentliche Straße entwidmet (eingezogen) wird und deshalb auch nicht mehr für Aufzüge benutzt werden kann. Aus diesem Grund sind derartige Regelungen nicht an den Voraussetzungen zu messen, die Art. 8 Abs. 2 GG für eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit aufstellt.

Versammlungsfreiheit im Rahmen der allgemeinen Gesetze

Ein Demonstrant ist den allgemeinen Gesetzen in derselben Weise unterworfen wie jeder andere Staatsbürger. Er genießt keine Privilegien. Daher sind die allgemeinen Gesetze, insbesondere die allgemeinen Strafgesetze, auch Schranken des Versammlungsrechts. Für Strafbestimmungen, die sich auf Gewalttätigkeiten beziehen, bedarf es dieses Gedankens nicht, da unfriedliche Demonstrationen ohnehin nicht unter den Grundrechtsschutz des Art. 8 GG fallen. Er greift aber für die übrigen Strafbestimmungen (z. B. Nötigung durch Drohung, § 240 StGB) ein.

Ferner muß nicht nur das Verhalten der Demonstrationsteilnehmer, sondern auch der Zweck der Demonstration mit den allgemeinen Strafgesetzen in Einklang stehen. Schon § 1 Abs. 1 des Reichsvereinsgesetzes von 1908 hatte das Recht, Vereine zu bilden und sich zu versammeln, nur für Zwecke gestattet, die den Strafgesetzen nicht zuwiderliefen. Eine entsprechende Regelung findet sich heute in Artikel 9 Abs. 2 GG, wonach Vereinigungen, deren Zweck oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen widerspricht, verboten sind. Noch weiter geht Art. 18 Abs. 1 der Berliner Verfassung, wonach alle Männer und Frauen das Recht haben, „sich zu gesetzlich zulässigen Zwecken friedlich und unbewaffnet zu versammeln".

Weiter sind bei Demonstrationen die allgemeinen straßenverkehrsrechtlichen Bestimmungen zu beachten, von deren Befolgung die Demonstranten unbeschadet anderweitiger Regelung im Einzelfall nicht suspendiert sind. So dürfen motorisierte Demonstrationsteilnehmer z. B. weder das Verbot einer Fahrtrichtung (Bild 12 der Anlage zur Straßenverkehrsordnung) mißachten noch sich über eine Verkehrsregelung durch Polizeibeamte (§ 2 StVO) hinwegsetzen. Auch für Demonstranten gilt die Vorschrift des § 11 StVO, wonach Warnzeichen nur zur Vermeidung von Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer, nicht aber zu an-27 deren Zwecken und mehr als notwendig abgegeben werden dürfen. Gegen diese Vorschrift haben diejenigen Taxifahrer verstoßen, die wegen des vorgeschriebenen Einbaus von Trennscheiben in ihre Fahrzeuge mit Hupkonzerten „demonstrierten". Zur Übertretung der für alle geltenden Vorschrift des § 11 StVO berechtigt auch das Versammlungsrecht nicht, zumal es nur eine Einwirkung mit geistigen Mitteln, nicht aber die Ausübung von Druck gestattet, zu dem auch bewußte und gezielte Lärmerzeugung gehört.

Der Grundsatz, daß die Versammlungs-und Demonstrationsfreiheit nur im Rahmen der allgemeinen Gesetze besteht, kann nur bezüglich der polizeilichen Generalklausel (§ 14 PVG) umstritten sein. Die Frage, ob die Versammlungsfreiheit unter dem Vorbehalt der öffentlichen Sicherheit und Ordnung steht oder ein „polizeifestes" Grundrecht ist, hat jedoch nur für Versammlungen in geschlossenen Räumen praktische Bedeutung. Denn das Recht, Versammlungen im Freien abzuhalten oder Aufzüge zu veranstalten, kann durch Gesetz beschränkt werden und ist durch das Versammlungsgesetz unter den Vorbehalt der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gestellt worden. Hinsichtlich der Versammlungen in geschlossenen Räumen ist der Ansicht im Schrifttum zu folgen, die die polizeiliche Generalklausel als allgemeine Grundrecht schranke ansieht, zumal Einigkeit darüber besteht, daß diese Versammlungen aus gesundheits-, bau-und feuer-polizeilichen Gründen verboten werden können.

Neben den allgemeinen Gesetzen sind auch die übrigen gesetzlichen Beschränkungen der Meinungsäußerungsfreiheit Schranken der Versammlungsfreiheit.

Zwar ist die Versammlungs-und Demonstrationsfreiheit allein durch Art. 8 GG geschützt, der sich nicht nur auf das räumliche Versammeln, sondern auch auf die geistige Auseinandersetzung und Kundgabe erstreckt. Diese verfassungsrechtliche Ausgangslage führt aber nicht zu dem Ergebnis, daß die Schranken der Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 2 GG)

für das Versammlungsrecht unanwendbar sind, nur weil sie nicht in Art. 8 GG erwähnt sind.

Das Gegenteil ergibt sich aus der Erwägung, daß Art. 8 das Recht der Meinungsäußerungsfreiheit auch für ein Kollektiv sicherstellt, deren Teilnehmer aber nicht darüber hinaus privilegieren wollte. Findet die Meinungsäußerungsfreiheit des einzelnen auf Grund des Artikels 5 Abs. 2 GG ihre Schranken außer in den allgemeinen Gesetzen auch in den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend und dem Recht der persönlichen Ehre, so ist derselbe Bürger von ihrer Beachtung nicht bloß deshalb dispensiert, weil er seine Meinung auf einer öffentlichen Versammlung kundgibt. Als gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der persönlichen Ehre kommen nicht nur die Strafbestimmungen der §§ 185 ff.des Strafgesetz-buches (Beleidigung, Verleumdung etc.) in Betracht, sondern es ist auch auf § 103 StGB hinzuweisen, der Beleidigungen eines ausländischen Staatsoberhauptes, eines ausländischen Regierungmitgliedes oder eines ausländischen Diplomaten unter Strafe stellt. Gewiß ist damit nicht schon jede einseitige Kritik oder vergröbernde und verzerrende Darstellung auf Plakaten strafbar. Schwerwiegende Formalbeleidigungen in-und ausländischer Politiker und Staatsmänner sind jedoch nicht durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt und daher auch für Demonstranten strafbar.

Der Gesetzesvorbehalt des Art. 8 Abs. 2 GG

Neben die bereits erörterten Schranken tritt der Gesetzesvorbehalt des Art. 8 Abs. 2 GG als Ergänzung. Hierbei fällt zunächst auf, daß Art. 8 Abs. 2 GG für Versammlungen unter freiem Himmel Beschränkungen durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes zuläßt, ohne diesen Gesetzesvorbehalt einzuschränken. Bedenken gegen gesetzliche Regelungen können daher nicht aus dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit, sondern nur insoweit hergeleitet werden, als andere Verfassungsbestimmungen oder allgemeine Verfassungsprinzipien wie Wesensgehaltsgarantie, Gleichheitsprinzip, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (soge-nannte Schrankenschranken) entgegenstehen.

Diese verfassungsrechtliche Ausgestaltung des Gesetzesvorbehalts ist ebenfalls ein Argument gegen eine Überbewertung des Art. 8 im Verfassungsgefüge. Es kann nicht heruntergespielt werden, indem man Art. 8 Abs. 2 GG einengend und entgegen seinem Wortlaut dahin gehend interpretiert, daß nur Beschränkungen aus ordnungs-oder sicherheitspolizeilichen Gründen zulässig seien. Denn die Entstehungsgeschichte beweist das Gegenteil: Eine ursprünglich beabsichtigte Limitierung des Gesetzesvorbehalts, die gesetzliche Beschränkungen „aus politischen Gründen" verbieten sollte, wurde vom Grundsatzausschuß des Parlamentarischen Rates abgelehnt. Daher kann Art. 8 Abs. 2 GG weder auf allgemeine Gesetze noch auf Gesetze zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, wie sie z. B. Art. 13 Abs. 3 GG vorsieht, beschränkt werden.

Ein Interpretationstrick ist es, wenn Hannover für die Beschränkbarkeit der Demonstrationsfreiheit auf eine Formulierung des Bundesverfassungsgerichts zurückgreift, wonach in die grundrechtliche Freiheit nur zum Schutz überragender Gemeinschaftsgüter eingegriffen werden darf. Denn diese Ausführungen beziehen sich auf die Freiheit der Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 GG), die jedenfalls nach dem Verfassungswortlaut gesetzlich nicht einschränkbar ist und daher mit dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit (im Freien) nicht verglichen werden kann.

Will man auf die Rechtsprechung zu Art. 12 Abs. 1 GG vergleichend zurückgreifen, so kann man allein die vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätze zur Freiheit der Berufsausübung heranziehen, denn diese ist wie die Versammlungsfreiheit durch Gesetz beschränkbar. Die Freiheit der Berufsausübung kann aber nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts gesetzlich bereits beschränkt werden, wenn vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls es zweckmäßig erscheinen lassen. Dasselbe muß daher für die Demonstraiionsireiheit gelten.

Bannmeilengesetze

Spezialgesetzlich wird das Versammlungsrecht durch die herkömmlichen Bannmeilengesetze des Bundes und der Länder beschränkt, an deren Erlaß auch bei Beratung des Grundgesetzes gedacht war.

Durch die Bannmeilengesetze lassen sich zwar, wie die Erfahrung gezeigt hat, Verletzungen des Parlamentsfriedens (vgl. § 106 b StGB) insbesondere dann nicht ausschließen, wenn die Parlamente nicht in einer abgeschiedenen Landschaft, sondern in Verkehrszentren liegen. Darin erschöpft sich aber auch nicht die Bedeutung der Bannmeilengesetze. Diese bezwecken nicht in erster Linie, Gefahren für die öffentliche Sicherheit abzuwenden, sondern sollen die Gesetzgebungsorgane des Bundes und der Länder sowie das Bundesverfassungsgericht davor schützen, unter Pressionen verhandeln zu müssen, selbst wenn es sich nur um den psychologischen Druck einer friedlichen Versammlung oder Demonstration handelt.

Wenn § 16 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes bestimmt, daß öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge innerhalb des befriedeten Bannkreises der angeführten Organe verboten sind, so folgt daraus, daß eine Zuwiderhandelnde Veranstaltung aufzulösen ist (§ 15 Abs. 3 VersammlungsG), ohne daß eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bestehen muß. Die Regelung des Versammlungsgesetzes wird durch die Strafandrohung des § 106 a StGB für Bannkreisverletzungen ergänzt. Der Umkreis der befriedeten Bannkreise in den Ländern wird durch Landesgesetze bestimmt (§ 16 Abs. 2 VersammlungsG). Allerdings können die Länder weder auf Bannmeilengesetze verzichten noch den Umfang des Bannkreises, der nach Zweck und Ausmaß (Bannmeile) bestimmt ist, übermäßig ausdehnen.

Das Versammlungsgesetz

Der Inhalt des Demonstrationsrechts wird im einzelnen durch das Gesetz über Versammlungen und Aufzüge von 1953 bestimmt, das nunmehr auch in Berlin gilt.

Dieses Gesetz hat in einer Reihe von Vorschriften das Recht der öffentlichen Versammlungen in geschlossenen Räumen und der Veranstaltungen im Freien geregelt. Viele der gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere diejenigen über den Versammlungsleiter und die Ordner, enthalten bloße Ordnungsvorschriften, die sich bis auf die Farbe und Beschriftung der Armbin29 den für Ordner erstrecken (vgl. § 9 Abs. 1 VersammlungsG).

Für eine verfassungsrechtliche Betrachtung des Demonstrationsrechts sind insbesondere die Anzeigepflicht für Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge sowie das Recht des Verbots und der Auflösung dieser Veranstaltungen interessant.

Anders als Versammlungen in geschlossenen Räumen müssen Versammlungen im Freien und Aufzüge gemäß § 14 Abs. 1 VersammlungsG vom Veranstalter spätestens 48 Stunden vor der Bekanntgabe der zuständigen Behörde angemeldet werden. Andernfalls können sie gemäß § 15 Abs. 2 VersammlungsG aufgelöst werden, und außerdem macht sich der Veranstalter mit ihrer Durchführung strafbar (§ 26 Abs. 1 Nr. 2 VersammlungsG). Dieses Verfahren soll es der zuständigen Behörde ermöglichen, rechtzeitig die notwendigen Ordnungsmaßnahmen zu treffen und bei einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung Auflagen zu erlassen oder die Veranstaltung zu verbieten. § 14 VersammlungsG enthält als mildeste Form einer Beschränkung der Versammlungsfreiheit eine sogenannte Anzeigepflicht mit Verbotsvorbehalt, an deren Verfassungsmäßigkeit nicht gezweifelt werden kann. Der Veranstalter einer Versammlung wird nur einem Prüfungsverfahren unterworfen, das Gesetz beläßt ihm aber das Versammlungsrecht, in das gemäß § 15 Abs. 1 VersammlungsG nur bei nachweisbaren Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung eingegriffen werden kann. Angesichts der Gefahren, die Versammlungen und Aufzüge im Freien mit ihrer unbegrenzten und unbegrenzbaren Teilnehmerzahl, der Möglichkeit der Massenbeeinflussung und kollektiver Exzesse mit sich bringen, ist das Prüfungsverfahren erforderlich und adäquat. Auszuklammern ist an dieser Stelle die umstrittene Frage, ob sich die Anmeldepflicht auf sogenannte Spontanversammlungen erstreckt, d. h. auf Veranstaltungen, die sich ohne Planung auf Grund eines plötzlich eintretenden Ereignisses unmittelbar bilden.

Keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen gegen den Verbotsvorbehalt des § 15 VersammlungsG, wonach die zuständige Behörde bei einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung eingreifen darf. Diese Regelung verstößt weder gegen die Wesensgehaltsgarantie noch wegen „ihrer generalklauselartigen Fassung" gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Dieses Verfassungsprinzip verbietet es dem Gesetzgeber nur, Freiheitsbeschränkungen durch vage Generalklauseln dem Ermessen der Verwaltung zu überlassen. § 15 stellt es jedoch nicht in das Ermessen der Verwaltung, die Grenzen der Demonstrationsfreiheit zu bestimmen. Denn die polizeirechtlichen Begriffe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sind rechtsstaatlich längst „gebändigt und entschärft", wobei das Verdienst des Preußischen Oberverwaltungsgerichts nicht unterschätzt werden sollte. Hielte man § 15 VersammlungsG für problematisch, so müßte dasselbe für die vergleichbare Norm des § 14 PolizeiverwaltungsG gelten, deren Verfassungsmäßigkeit anerkannt ist. Im übrigen wäre es wohl ein aussichtsloses Unterfangen, die polizeiliche Gefahrenabwehr kasuistisch zu regeln.

Das Privileg des § 17 des Versammlungsgesetzes

Nach § 17 VersammlungsG gelten die §§ 14 bis 16 VersammlungsG, also die Anmeldepflicht, das Verbots-und Auflösungsrecht, nicht für Gottesdienste unter freiem Himmel, kirchliche Prozessionen, Bittgänge und Wallfahrten, gewöhnliche Leichenbegängnisse, Züge von Hochzeitsgesellschaften und hergebrachte Volksfeste.

Diese Regelung hält Ott für verfassungswidrig, weil auch die Veranstaltungen des § 17 geeignet seien, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören, eine Differenzierung zwischen politischen und unpolitischen Versammlungen aber unzulässig sei. Die Exemtion des § 17 ist jedoch nicht nur verfassungsrechtlich unbedenklich, sondern auch folgerichtig. Da das Versammlungsgesetz ein Ausführungsgesetz zu Art. 8 GG ist, liegt es nahe, diejenigen Freiheitsbetätigungen auszunehmen, die dem Schutz eines anderen Grundrechts unterfallen. Nahezu alle in § 17 aufgeführten Veranstaltungen sind keine Versammlungen im Sinne von Art. 8, gleichgültig, ob man diese Bestimmung extensiv auf alle Versammlungen mit einem gemeinsamen Zweck oder restriktiv leB diglich auf solche Versammlungen erstreckt, die öffentliche Angelegenheiten erörtern. Denn Gottesdienste im Freien, Prozessionen und andere Umzüge zu gottesdienstlichen Zwecken sind Religionsausübung.

So hat beispielsweise die Prozession ausschließlich religiöse Funktion. Verfassungsrechtlicher Schutzort der religiösen Betätigung des § 17 ist allein Art. 4 Abs. 2 GG, der die häusliche und öffentliche Religionsausübung sowohl des Gläubigen als auch der Glaubens-gemeinschaften umfaßt Daß die gemeinschaftliche Religionsausübung in geschlossenen Räumen oder im Freien nicht unter Art. 8 GG subsumiert werden kann, wird aus seiner Entstehungsgeschichte, seinem Sinn und Zweck und nicht zuletzt aus den Schranken des Abs. 1 (ohne Waffen!) deutlich, die von vornherein nicht für die Religionsausübung passen. Der Schrankenvorbehalt des Art. 8 Abs. 2 GG ist daher auf religiöse Kulthandlungen im Freien nicht anwendbar, weil Art. 4 Abs. 2 GG gegenüber Art. 8 GG eine Spezialregelung enthält.

Auch wenn man die vom Grundgesetz selbst vorgenommene Differenzierung außer Betracht läßt, verstößt die Privilegierung der in § 17 genannten Versammlungen nicht gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, weil sich hierfür vernünftige, sachlich einleuchtende Gründe finden lassen. Es ist nicht willkürlich, wenn von der Präventivkontrolle Versammlungen ausgenommen werden, bei denen die Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung geringer ist als bei anderen. Daß der Gesetzgeber von dieser Intention ausging und nicht zwischen politischen und unpolitischen Versammlungen differenzieren wollte, wird durch die Anführung „gewöhnlicher Leichenbegängnisse" in § 17 deutlich: „Außergewöhnliche Leichenbegängnisse" unterfallen nicht deshalb der Anzeigepflicht, weil sie im Gegensatz zu den „gewöhnlichen" politischer Natur sind, sondern weil in Folge der größeren Beteiligung und einer möglichen Erregung der Öffentlichkeit (man denke an Taxifahrermorde) Ausschreitungen eher wahrscheinlich sind.

Im übrigen wird es auch unter Beschwörung der „Wertordnung des Grundgesetzes" nicht einsichtig, weshalb der Gesetzgeber nicht zwischen politischen und unpolitischen Versammlungen differenzieren darf, wenn man selbst zugibt, daß „bei politischen Veranstaltungen im Freien die Gefahr des Entstehens ordnungswidriger Zustände größer ist als bei nichtpolitischen". Schließlich hat die Polizei selbstverständlich auch gegen die Veranstaltungen des § 17 einzuschreiten, wenn von ihnen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung droht, außerdem bedürfen sie einer Genehmigung nach § 5 der StraßenverkehrsO zur Vermeidung von Störungen des Straßenverkehrs, was vielfach übersehen wird.

Frappant ist das von Ott vorgeschlagene Ergebnis: § 17 soll bis zu einer gesetzlichen Neuregelung auf alle Arten von Demonstrationen anzuwenden sein. Eine (nach Ott) verfassungswidrige Vorschrift soll also nicht in dem dafür vorgesehenen Verfahren für nichtig erklärt, sondern im Gegenteil gerade angewendet werden. Hier ist nur nüchtern auf den Gewaltenteilungsgrundsatz hinzuweisen: Weder die Exekutive noch die Judikative könnte eine gegen Art. 3 GG verstoßende gesetzliche Privilegierung auf die vom Gesetzgeber gerade ausgeschlossenen Sachverhalte anwenden, weil sie sich nicht an die Stelle des Gesetzgebers setzen dürfen.

Demonstrationsfreiheit und Straßenverkehr

Eine unrichtige Grundrechtsinterpretation liegt endlich der These zugrunde, daß die Demonstrationsfreiheit Vorrang vor dem Straßenverkehr habe. Diese politisch bequeme Formel wird durch häufige Wiederholungen nicht zutreffender. Wie im einzelnen nachgewiesen, besteht die Demonstrationsfreiheit nur im Rahmen der allgemeinen Gesetze, zu denen die straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften gehören. Daher haben Demonstranten ebenso wie andere Verkehrsteilnehmer die allgemeinen Gebote und Verbote des Straßenverkehrsrechts einzuhalten. Im übrigen ergibt sich auch aus § 15 Abs. 1 VersammlungsG, daß in die Demonstrationsfreiheit zum Schutz der Leichtigkeit des Straßenverkehrs eingegriffen werden kann, da sie Teil der öffentlichen Ordnung ist. Die Leichtigkeit des Straßenverkehrs ist gerade in einer Zeit totaler Motorisierung unerläßliche Voraussetzung für ein geordnetes menschliches Zusammenleben. Dabei ist zu bedenken, daß unter dem Schlagwort „Straßenverkehr" eine Reihe von Verhaltensweisen und Interessen zusammengefaßt sind: Straßenverkehr erschöpft sich nicht in der Spazierfahrt üppig motorisierter Bürger; er umfaßt die Fahrt der Arbeitskräfte zu ihrem Arbeitsplatz ebenso wie die Verteilung der produzierten Güter an Handel und Verbraucher. In einer hochindustrialisierten Wirtschaft können sich Verkehrs-störungen verhängnisvoll auswirken. Diese Gefahren sollte nicht übersehen, wer die „Heiligsprechung des Straßenverkehrs" belächelt.

Allerdings kann nicht jede auch nur geringfügige Beeinträchtigung des Straßenverkehrs zu dem Verbot einer Demonstration führen. Bliebe von der Freiheit des Art. 8 nur das Recht übrig, in entlegenen Vorstadtstraßen unter „Ausschluß der Öffentlichkeit" zu demonstrieren, so wäre der Wesensgehalt des Grundrechts angetastet. Es muß daher eine Lösung gesucht werden, die in Zweifelsfällen eine Abwägung zuläßt. Für eine Güterabwägung „zwischen dem Anrecht auf die begehrte Demonstration und den durch sie ausgelösten Nachteilen für die Allgemeinheit" hat sich jüngst auch Forsthoff ausgesprochen.

Eine solche Güterabwägung setzt zunächst voraus, daß sich die Demonstration im Rahmen des Versammlungsrechts hält und die im einzelnen dargelegten Schranken des Art. 8 GG nicht überschreitet.

Weiter hat als Abwägungskriterium das Anliegen einer Versammlung auszuscheiden. Es darf nicht danach differenziert werden, ob das Thema der Demonstration opportun oder inopportun ist, ob es von der Mehrheit der Bevölkerung gebilligt oder nur von einer Minder-heit vertreten wird. Art. 8 gestattet grundsätzlich keine Wertung der einzelnen Meinungen.

Das bedeutet aber auch, daß zwischen politischen und unpolitischen Aufzügen nicht unterschieden werden darf und ein Protestmarsch gegen den Vietnam-Krieg nicht anders zu bewerten ist als die Demonstration von Rentnerinnen gegen das Tauben-Vergiften im Park.

Zum Ausgleich der widerstreitenden Interessen in Zweifelsfällen bietet sich der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit an, mit dessen Hilfe sich eine richtige Relation zwischen Zweck und Mittel von Grundrechtseingriffen herstellen läßt.

Wegen geringfügiger Behinderung einiger Verkehrsteilnehmer darf ein Aufzug von Tausenden nicht verboten werden. Umgekehrt wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz offensichtlich nicht verletzt, sondern gebietet, daß in Verkehrsballungszentren Demonstrationen mit einigen hundert Teilnehmern bei Behinderung der Verkehrsteilnehmer untersagt werden.

Weitere Abwägungskriterien sind die Bedeutung der in Anspruch genommenen Straßen für den Verkehr, Ort, Zeit und Zeitdauer der Veranstaltung, die Dirigierbarkeit des Straßenverkehrs, die Häufigkeit von Demonstrationen an derselben Stelle und die Form der Demonstration (Fußgängermarsch oder LKW-Demonstration).

Einen Teilbereich des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hat das Versammlungsgesetz selbst geregelt. Wenn § 15 VersammlungsG die Behörde bei Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ermächtigt, eine Veranstaltung zu verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig zu machen, so heißt das, daß sie ein Verbot nur verfügen darf, wenn Auflagen nicht zu demselben Ziel führen können. Zusammenfassend ist festzustellen: Demonstranten müssen sich wie andere Bürger an die für alle geltenden Gesetze halten. Von Verfassungs wegen gewährleistet die Versammlungsfreiheit nur ein Recht zur gemeinschaftlichen Meinungskundgabe und Meinungsbeeinflussung. Durch Art. 8 GG werden Demonstrationen, nicht aber Straßenschlachten geschützt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Ott, Das Recht auf freie Demonstration, 1967, S. 7. Vgl. dazu Merten, in: Monatsschrift für Deutsches Recht, 1968, S. 621 ff.

  2. Denninger, Demonstrationsfreiheit und Polizeigewalt, in: Zeitschrift für Rechtspolitik, 1968, S. 44.

  3. Hannover, Demonstrationsfreiheit als demokratisches Grundrecht, in: Kritische Justiz, 1968, S. 58.

  4. Nachweise bei Merten a. a. O. (Anmerk. 1), S. 622, Anmerk. 13. Für ein staatsgegebenes Grundrecht auch Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetz, Art. 8 Randnr. 4. Hartmut Vogel, Demonstrationsfreiheit und ihre Grenzen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, B 26/68 v. 26. 6. 1968, tritt für den Menschenrechtscharakter ein (S. 7).

  5. A. a. O„ Randnr. 4 ff.; ähnlich Leisner, Evangelisches Staatslexikon Sp. 2373.

  6. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 8, S. 68.

  7. A. a. O., S 58.

  8. Gesetz über Versammlungen und Aufzüge vom 24. 7. 1953 (Bundesgesetzblatt Teil I S. 684).

  9. Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 13. Auflage 1967, § 115 Randnr. 3.

  10. A. a. O. (Anmerk. 4), Art. 8, Randnr. 58.

  11. Vgl. Schönke/Schröder, a. a. O., § 234, Vorbem., Randnr. 9.

  12. A. a. O. (Fußn. 4), S. 17 f.

  13. Vgl. Trubel/Hainka, Das Versammlungsrecht, 1953, § 5 Anm. 11.

  14. Abgedruckt in: Juristenzeitung 1968, S. 800 (801). Ein wegen seiner voreiligen Feststellungen bezeichnendes Beispiel schlechten richterlichen Stils.

  15. Zu Art. 26 I GG als allgemeiner Grundrechts-schranke Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetz Art. 26 Randnr. 3; Merten, in: Monatsschrift für Deutsches Recht, 1964, S. 807 IV.

  16. Hierauf macht Herzog a. a. O. (Anmerk. 4, Art. 8 Randnr. 81), aufmerksam.

  17. Vgl. Bettermann a. a. O., S. 11.

  18. A. a. O. (Anmerk. 3), S. 57.

  19. Vgl. z. B. § 26 Abs. 2 der Universifätsordnung: der Freien Universität Berlin, wonach die Räume der Universität den zugelassenen studentischen Vereinigungen für ihre Veranstaltungen zur Verfügung gestellt werden, soweit dies der Unterrichtsbetrieb zuläßt.

  20. Durch Verordnung Nr. 534 der drei Berliner Stadtkommandanten vom 5. 9. 1968 wird nunmehr bestraft, wer „sich mit anderen Personen verabredet oder diese berät, den Betrieb und die Benutzung des Eisenbahn-, Wasser-, Luft-oder Straßentransportes zur Beförderung von Personen oder Gütern zwischen Berlin und den übrigen Teilen Deutschlands zu behindern, zu verzögern oder zu gefährden." (Gesetz-und Verordnungsblatt für Berlin 1968 S. 1404.)

  21. A. a. O. (Anmerk. 3), S. 54.

  22. Durch Übernahmegesetz vom 15. 10. 1968 (Gesetz-und Verordnungsblatt, S. 1507).

  23. A. a. O. (Anmerk. 1), S. 23 ff.; ähnlich Hartmut Vogel, a. a. O. (Anmerk. 4), S. 16.

  24. Maunz, Deutsches Staatsrecht, 16. Ausl. 1968, S. 112. Art. 4 Abs. 2 unterscheidet von vornherein nicht zwischen privater und öffentlicher Religionsausübung wie z. B. Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention oder Art. 15 und 16 des österr. StGG von 1867, Art. 63 Abs. 2 des Staatsvertrages von St. Germain. Hierzu eingehend Ermacora, Handbuch der Grundfreiheiten und der Menschenrechte, 1963, S. 376 ff.; zuletzt Melichar, Die Freiheitsrechte der Dezember-Verfassung 1867 und ihre Entwicklung in der reichsgerichtlichen Judikatur, in: OZöffR N. F., Bd. 16, S. 256 ff. (S. 279 f.).

  25. „Die Rechtsordnung gilt nicht nur für Demonstranten", in: Die Welt Nr. 283 vom 4. 12. 1968, S. 24.

  26. Vgl. Merten, a. a. O. (Anmerk. 1), S. 626.

Weitere Inhalte

Detlef Merten, Dr. jur., geb. 29. November 1937, Akademischer Rat am Institut für Staatslehre, Staats-und Verwaltungsrecht der Freien Universität Berlin, Studium der Rechts-und Staatswissenschaften.