Zwischen kaiserlicher Armee und Reichswehr Das Problem der Machtverteilung in der revolutionären Übergangsperiode
Rolf Feldner ir.
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Zusammenfassung
Die Durchsetzung des Primats der Politik gegenüber Verselbständigungstendenzen des militärischen Bereichs gehört zu den wesentlichen Aufgaben jeglicher Wehrpolitik. Am historischen Beispiel soll die Gefahr der Isolierung der bewaffneten Macht von der übrigen Gesellschaft gezeigt und das Problem erläutert werden, wie unter dem Deckmantel des Postulats militärischer Notwendigkeit die politische Führung zu Entscheidungen gedrängt werden kann, die von dieser weder gewollt noch verantwortet werden können. In der Übergangsperiode zwischen Kaiserreich und Republik stand die politische Macht zur Disposition. Es gelang der Arbeiterbewegung nicht, ihre ideologischen Gegensätze zu überwinden, um eine gemeinsame sozialdemokratische Politik durchzusetzen. Sie verkannte weitgehend nicht nur die machtpolitische Konstellation, sondern verwechselte im Umgang mit den alten Gewalten Militär und Ministerialbürokratie politische Neutralität mit Sachverstand und preußischem Dienstethos. Die von den Volksbeauftragten betriebene Politik war nicht dazu angelegt, ihre Macht zu festigen uhd für einen Ausgleich der Kräfte zu sorgen. Statt dessen isolierten sie sich weitgehend von den sie tragenden Parteien, brachten sich in Gegensatz zu den Arbeiter-und Soldatenräten, die als Initiatoren der Revolution Träger des Volkswillens waren, und eröffneten den konservativen Kräften die Möglichkeit, ihre Position im neuen Staatsgefüge zu sichern. Die Instabilität der Weimarer Republik und die Abtrennung der Armee von der Republik als Staat im Staate gründen sich auf die Entscheidung der Sozialdemokraten, die politische Neuordnung einer Konstituante zu überlassen. Die von der Nationalversammlung getroffenen Entscheidungen festigen die Provisorien und ließen im Bereich einer Neuordnung des Wehrsystems die Chancen ungenutzt. Versailler Friedensbedingungen und Dolchstoß-Legende leiteten die Abkapselung der Sozialdemokratie von der Wehrpolitik ein, die sich nach dem Kapp-Lüttwitz-Putscb vollzog.
I. Vorbemerkung
Bei der Beschäftigung mit dem Faktor Militär im Verhältnis zu politischen Systemen trifft man in der Literatur ebenso wie in Diskussionen immer wieder auf den Begriff „Militarismus“. Es scheint, daß dieser Ausdruck als bequemes Schlagwort verwendet wird, wenn man sich differenzierte Überlegungen ersparen will. Das Wort Militarismus ist — insbesondere in der Formel preußischer bzw. preußisch-deutscher Militarismus — zum Sammelbegriff geworden für Brutalität, Kadavergehorsam, Eroberungssucht und Völkerrechtsverletzung; auf einem derart wertenden Schema aufbauend wird man die gestellte Thematik kaum diskutieren können.
In seiner Geschichte des Militarismus stellte Alfred Vagts die These auf: „Armeen neigen nicht nur zur Selbstregierung, die keine äußeren Einflüsse verträgt, sondern auch zur Ausweitung der Macht über den Kreis ihrer Zuständigkeit hinaus." Bezogen auf die Geschichte Deutschlands wird man diesen Satz auf die Zeit zwischen 1916 und 1918 (Ära Hindenburg-Ludendorff) anwenden dürfen. Wie aber sieht es für die Zeit des Übergangs zwischen dem militärischen Bankrott des Kaiserreichs im Herbst 1918 und der sich anschließenden Revolution bis zur Konstituierung der Weimarer Republik aus? Es soll hier nicht versucht werden, aus den weithin bekannten Ergebnissen der politischen Geschichte eine Theorie des Militarismus zu entwickeln. Das Militarismusproblem soll vielmehr unter dem Aspekt einer Darstellung der Konflikte zwischen politischer und militärischer Führung in dem kurzen, sehr bewegten Abschnitt der deutschen Geschichte zwischen Oktober-Parlamentarisierung 1918 und Kapp-Lüttwitz-Putsch 1920 aufgegriffen werden. Dabei werden zwei Kernfragen gestellt, die allerdings nur in mittelbarem Zusammenhang stehen:
Läßt sich die in der konkreten politischen Situation von den Volksbeauftragten betriebene Politik auf ein deutliches Entweder-Oder reduzieren? In welchen Grenzen läßt sich in jeglicher Wehrpolitik eine Interessensolidarität zwischen Offizierkorps und staatlicher Führung erreichen? Denn als „Verwalter des einzigen Machtmittels des Staates, mit dem Gewaltanwendung und Zerstörung im großen Umfange möglich ist", ist der Offizier auch politischer Amtsträger und nicht nur technischer Sachwalter des Kampfes. Das eigentliche Problem besteht in der Bindung dieses Machtfaktors an die politische Führung, in der Verhinderung der „Emanzipation des Militärs"
Die obrigkeitsstaatliche Struktur des Kaiser-reichs hatte mit seiner spezifischen politischen Begriffs-und Lebenswelt eine Interessensoli-darität zwischen Offizier und Staatsführung in der verfassungsrechtlichen Norm und der gesellschaftspolitischen Wirklichkeit erreicht: einmal durch die personale Loyalitätsbindung an den Monarchen, zum anderen durch die an militärischen Disziplinvorstellungen orientierte Gesellschaftsordnung, die das Offizier-korps prestigemäßig an die Spitze der sozialen Schichtenpyramide stellte Konnte es bis dato als selbstverständlich gelten, das Militär als passives Werkzeug in der unbedingten Verfügungsgewalt der Regierenden zu sehen, so zeichnet sich im Verlauf des Krieges ein deutlicher Wandel ab. Nunmehr wird die Armee, werden ihre maßgeblichen Offiziere zu einem besonders dynamischen Machtfaktor, der eigene Intentionen entwickelt und Ansprüche an das politische System stellt.
Die Geschichte des politischen Systems von Weimar hat gezeigt, daß es hier nicht zu der erforderlichen Integration von Militär, politischer Führung und Gesellschaft auf republikanisch-demokratischer Verfassung gekommen ist. Die Beantwortung der Frage, warum das mißlungen ist, läßt sich mit dem derzeit vorliegenden Quellenmaterial nicht schlüssig bewerkstelligen, insbesondere nicht in der Weise, daß die Entwicklung als zwangsläufig, resultierend etwa aus der Novemberrevolution, angesehen wird. Treffender scheint die Vermutung, daß gerade in der Phase des Über-gangs die Politiker (maßgeblich die der Mehrheitssozialdemokraten) in der Hysterie vor einer Gefahr des Bolschewismus einen wesentlichen Teil des vorhandenen politischen Spielraums ungenutzt ließen und ihn an monarchisch-konservative Kräfte (Offiziere und Ministerialbeamte der Kaiserzeit) verschenkten. Obgleich gerade in jüngster Zeit Quellen zur Klärung der politischen Zusammenhänge ediert worden sind so bedarf es noch der Untersuchung von Querverbindungen zwischen den einzelnen politisch relevanten Gruppierungen (z. B. Parteien, Wirtschaft, Verwaltung, Militär), um die zuletzt angeführte These als verbindlich anzusehen. Dabei müssen allerdings alle Versuche scheitern, Vorbelastung, Charakter und Labilität der Weimarer Republik mit Hilfe einer griffigen Formel zu kennzeichnen, die die inneren Kräfteverhältnisse und ihren ständigen Wandel während der Übergangsperiode unberücksichtigt lassen Um das Ausmaß der Emanzipation der Militärs und ihre Wirkungsweise auf das sich konstituierende System von Weimar abschätzen zu können, erscheint es notwendig, die wehrpolitischen Strukturen des Kaiserreichs im historischen Kontext zu skizzieren. Ebenso wird man sich die Entwicklung des verfassungspolitischen Systems seit der Oktoberparlamentarisierung zu vergegenwärtigen haben, um die vielfach ohne echtes Machtbewußtsein betriebene Politik der Volksbeauftragten in Beziehung zu den Forderungen und Notwendigkeiten beurteilen zu können.
II. Grundlagen
Abbildung 2
I. II. III. IV. Vorbemerkung Grundlagen Die wehrpolitischen Konturen des Kaiserreichs a) Der verfassungsrechtliche Rahmen b) Das Offizierkorps der kaiserlichen Armee c) Die SPD und das Wehrsystem Die strukturelle Krise der Monarchie a) Die politisierende Wirkung des Krieges b) Die Verfassungsänderungen vom Oktober 1918 c) Das Problem der Abdankung Wilhelms II.
Revolution Die Frage der Legitimation a) Die Regierung der Volksbeauftragten b) Das Bündnis Groener-Ebert c) Die Bedeutung der Soldatenräte Die P쯸ࡏ劈ޫ?
I. II. III. IV. Vorbemerkung Grundlagen Die wehrpolitischen Konturen des Kaiserreichs a) Der verfassungsrechtliche Rahmen b) Das Offizierkorps der kaiserlichen Armee c) Die SPD und das Wehrsystem Die strukturelle Krise der Monarchie a) Die politisierende Wirkung des Krieges b) Die Verfassungsänderungen vom Oktober 1918 c) Das Problem der Abdankung Wilhelms II.
Revolution Die Frage der Legitimation a) Die Regierung der Volksbeauftragten b) Das Bündnis Groener-Ebert c) Die Bedeutung der Soldatenräte Die P쯸ࡏ劈ޫ?
1. Die wehrpolitischen Konturen des Kaiser-reichs a) Der veriassungsrechtliche Rahmen Die staatsrechtliche Stellung der bewaffneten Macht im deutschen Kaiserreich macht deutlich, daß sich in dessen Verfassung bürgerlich-rechtsstaatliche Normen feudalen Prärogativen gegenüberstanden. So waren insbesondere im Rahmen der Wehrverfassung traditionelle gesellschaftliche Normen auch staatsrechtlich inkorporiert. Hieraus ergab sich eine bedeutungsvolle Wechselwirkung von staatsrechtlichem Grundsatz und Rollenzuweisung bzw. -auffassung der Militärs.
In Anlehnung an die preußischen Verhältnisse wurden dem Kaiser auch in der Verfassung des deutschen Reiches von 1871 die „vornehm-liehen Machtmittel" übertragen: der Oberbefehl über Landheer und Kriegsmarine. Die Ausübung des Oberbefehls im Kriegsfall konnte wirkungsvoll erweitert werden durch die Notstandsrechte, die sich aus Artikel 68 RV (Erklärung des Kriegszustandes) ableiten ließen. So beinhaltete die Erklärung des Kriegszustandes die Unterstellung der gesamten Zivilverwaltung unter militärische Aufsicht. Materiell war damit die Möglichkeit einer Militärdiktatur des Kaisers gegeben, denn unter dem Be-lagerungszustand wurde das Heer um verwaltungsmäßige und polizeiliche Funktionen bereichert, wobei es allein an die Instruktionen und Befehle des Kaisers gebunden war
Die Aufgabenstellung des preußischen Kriegs-ministeriums als Sachwalter der Reichsmilitäradministration und zugleich als Ressort der preußischen Militärverwaltung wurde in seiner Wirkung auf die militärischen Geschicke durch das Führungsprinzip des monarchischen Oberbefehlshabers stark eingeschränkt Die Zwitterstellung des preußischen Kriegsministers war dadurch gekennzeichnet, daß er einmal als Soldat der militärischen Hierarchie unterlag und zum anderen als Staatsminister der besonderen konstitutionellen Bindung Durch die Errichtung zahlreicher militärischer Immediatbereiche, die ein unmittelbares Vortrags-und Vorschlagsrecht beim Kaiser ermöglichten, erfolgte eine wesentliche Einschränkung der Machtbefugnisse des preußischen Kriegsministeriums. Als eine der wichtigsten aus der übrigen Militäradministration herausgehobene Einrichtung ist hier der Große Generalstab zu nennen, der unter dem Namen Oberste Heeresleitung bekannt wurde und politische Geschichte machte.
Dieses System der Führungsbereiche fand — laut Verfassung — seinen eigentlichen Pol in der Person des Kaisers, denn er war die letztlich entscheidende Instanz. Das hieß aber auch, daß das System in dem Augenblick versagen mußte, wenn der Kaiser das ihm zufallende Instrumentarium nicht mehr ausnutzte und seiner Rolle nicht mehr gerecht wurde.
Die Übertragung der preußischen wehrpolitischen Grundsätze auf die bundesstaatlichen Kontingente bewirkte letztlich, daß sich die Gesellschaft in ihrem Zusammenleben an „sauberen militärischen Formeln" orientierte Der Offizier war und blieb — trotz einiger* Fluktuationen in der Sozialstruktur der Armee — Angehöriger des ersten Standes im Lande. Seine Handlungsweise, seine Erziehung und sein Verhalten wurden zur Richtschnur für die übrige Gesellschaft. Soweit das Offizier-korps nicht ohnehin dem Adel entstammte, wurde von ihm als dem „Adel der Gesinnung“ gesprochen b) Das Oliizierkorps der kaiserlichen Armee So bildete sich in Preußen-Deutschland eine spezifisch-militärische, homogene Schicht heraus. Damit konform ging die Entwicklung eigener verbindlicher Wertvorstellungen, die ihrerseits dazu angelegt waren, im Kaiserreich dem Militär die Rolle einer vorbehaltlos den bestehenden Staat bejahenden Gruppe zuzuweisen.
Die sich herauskristallisierende Übereinstimmung von Staatsbejahung und Vaterlandsliebe — verbunden mit der persönlichen Bindung an den Monarchen — wirkte als integrierender Faktor in der Staatsauffassung der Armee Die eigentümliche Haltung zu dem politischen Gefüge wurde nicht nur geprägt durch das strenge Abhängigkeitsverhältnis im Prinzip von Befehl und Gehorsam, sondern ebenso sehr von der — verlangten — politischen Abstinenz. In der unbeschränkten instrumentalen Verfügungsgewalt des Monarchen stehend, hatte sie nur den politischen Willen des Herrschers durch Gewaltanwendung zu vollstrecken Durch die der Armee aufgezwungene politische Enthaltsamkeit (z. B. durch die Aufhebung des Wahlrechts der aktiven Armee in Preußen aufgrund einer Allerhöchsten Kabinettsorder), begründet mit der Erhaltung der militärischen Disziplin, wurde eine Abtrennung des Militärwesens von der übrigen Gesellschaft vollzogen. c) Die SPD und das Wehrsystem Die Wehrfrage gehörte zu den vielschichtigen Problemen der deutschen Sozialdemokratie, denn durch sie wurde einmal das oppositionelle Verhalten gegenüber dem existierenden Staat bestimmt, weiterhin bedeutete sie für die Partei ein ideologisches Kriterium. Die sozialistische Theorie vor 1914 neigte zur grundsätzlichen Ablehnung des Krieges, da der Sieg einer kapitalistischen Macht das kapitalistische System stärken müsse Die Bereitschaft zur Landesverteidigung im Fall eines feindlichen Angriffs war grundsätzlich jedoch nicht ausgeschlossen. Auch das Erfurter Programm der SPD forderte 1891 die „Erziehung zur allgemeinen Wehrhaftigkeit. Volkswehr an Stelle der stehenden Heere" Mit der letzten Forderung ging die Sozialdemokratie über das damalige Wehrsytem hinaus.
Von dieser Volkswehr glaubte man, daß sie niemals gegen das Volk eingesetzt werden könne — im Gegensatz zum stehenden Heer als dem Instrument des absolutistischen Fürstenstaates Zugleich galt die Volkswehr als geeignetes System der Landesverteidigung im Verteidigungskrieg Auf die Beeinflussung der Militärpolitik verzichtete die Sozialdemokratie weitgehend durch die radikale Ablehnung aller Wehrvorlagen, wie es auch an einer allgemein anerkannten, klaren Konzeption zur Wehrfrage fehlte. Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Partei konnten in der Vorkriegszeit überbrückt werden; das Fehlen einer verbindlichen Wehrkonzeption führte schließlich zur Spaltung der Arbeiterbewegung. In der Einsicht, daß ein unmittelbarer Zusammenhang bestand zwischen dem Schicksal der deutschen Arbeiterschaft und dem politischen System, fand sich die Mehrheit der Sozialdemokraten zur Unterstützung des Kampfes im Rahmen eines Verteidigungskrieges bereit. Die Unabhängigen betrachteten diesen Krieg als Eroberungskrieg und vertrauten doktrinär auf die Solidarität des internationalen Proletariats. Agitation und Streik sollten den Zusammenbruch des kapitalistischen Systems herbeiführen. Die radikale Linke erstrebte die gewaltsame Revolution und eine Diktatur des Proletariats.
Der Konflikt um das Wehrproblem war nicht bereinigt, als sich unter dem Zeichen der Revolution Unabhängige und Mehrheits-Sozialdemokraten in einer Koalition zusammenfanden; der politische Konflikt wurde verdeckt und mußte notwendigerweise irgendwann wieder aufbrechen. 2. Die strukturelle Krise der Monarchie a) Die politisierende Wirkung des Krieges Die totalisierende Wirkung des Ersten Weltkrieges zeigte sich nicht nur in der systematischen Einbeziehung der gesamten Gesellschaft in die kriegerischen Auseinandersetzungen (Ausrichtung der Wirtschaft auf militärische Bedürfnisse und Erfordernisse, ungenügende Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Gütern, Transport-und Energieprobleme), sondern auch im politischen Bereich zeichneten sich Veränderungen ab. Diese mußten im Hinblick auf die gesellschaftliche Situation notwendig, konsequent und teilweise längst überfällig erscheinen.
Der Rückzug des Kaisers als dem Träger der entscheidenden verfassungsmäßigen Macht-funktionen aus den politischen wie kriegerischen Auseinandersetzungen — und die damit freiwillig übernommene „Rolle eines gekrönten Zuschauers“ — ließ eine Dynamisierung des innenpolitischen Geschehens zu und bewirkte schließlich das Tauziehen um die politische Macht zwischen Politikern und Militärs. Die Kommandogewalt des Kaisers war in dem Moment zur Fiktion geworden, als er zunächst Falkenhayn — und in verstärktem Maß dessen Nachfolger Ludendorff — die Kriegführung übertrug und die Autorität und Repräsentation dem Feldmarschall und Nationalhelden Hindenburg überließ Die Oberste Heeresleitung wurde zum eigentlichen Träger der — kaiserlichen — Kommandogewalt. Mit der de facto Delegation des Oberbefehls war zugleich eine erhebliche Machterweiterung der Offiziere des Großen Generalstabes verbunden. Unter dem Deckmantel des Postulats militärischer Notwendigkeiten ließen sich politische Entscheidungen herbeiführen, konnte unter Verwendung ultimativer Forderungen gegenüber den Politikern die innenpolitische Situation maßgeblich beeinflußt werden. Der Auszug des Kaisers aus der politischen Verantwortung bewirkte nicht nur die Machterweiterung der Obersten Heeresleitung, sondern forcierte ebenso die Verselbständigung von Admiralstab, Reichsmarineamt, preußischem Kriegsministerium und Reichskanzleramt.
Seit der Friedensresolution vom Juli 1917 konnte auch der Reichstag seinen politischen Einfluß merklich verstärken und sich als politische Instanz profilieren. Allerdings fehlte es zu diesem Zeitpunkt den politischen Parteien des Reichstags noch an „ernsthaftem Machtwillen", denn die Divergenzen zwischen den verschiedenen parteipolitischen Gruppierungen waren noch zu groß. Eine einheitliche Politik konnten sie nicht durchsetzen
Die Oberste Heeresleitung forderte angesichts der sich als unabwendbar abzeichnenden militärischen Niederlage Deutschlands die Einsetzung einer parlamentarischen Regierung Entscheidend für dieses Verlangen war nicht eine plötzliche demokratische Überzeugung, sondern gezwungenermaßen die Einsicht, daß es nur einer neuen Regierung unter maßgeblicher Beteiligung der Sozialdemokraten gelingen konnte, die bevorstehenden Schwierigkeiten zu bewältigen und eine Solidarität mit dem Volk zu erreichen. Neben diesem innenpolitischen Aspekt setzte sich für den Bereich der Außenbeziehungen die Meinung durch, nur eine neue Regierung werde von den Alliierten als Unterhändler akzeptiert werden und nur so ließe sich ein Zusammenbruch des Reiches verhindern. b) Die Verlassungsänderungen vom Oktober 1918 Verfassungspolitisch erreichte die Parlamentarisierung der deutschen konstitutionellen Monarchie ihren Höhepunkt am 28. Oktober 1918 mit dem „Gesetz zur Abänderung der Reichsverfassung und des Gesetzes betreffend die Stellvertretung des Reichskanzlers vom 17. März 1878“ und dem „Gesetz zur Abänderung der Reichsverfassung“
Kriegserklärung und Friedensschluß sowie der Abschluß von Verträgen, die sich auf Gegenstände der Reichsgesetzgebung bezogen, wur-den an die Zustimmung von Bundesrat und Reichstag gebunden (Art. 11 Abs. 2— 3 RV). Die militärische Personalpolitik wurde für den Bereich der Kommandogewalt der Gegenzeichnung des Reichskanzlers (oder des Kriegsministers des betreffenden Kontingents) unterworfen (Art. 64 Abs. 2 S. 1; Art. 66 Abs. 3— 4 RV). Die Funktion des Reichstages als politischem Organ wurde durch diese Verfassungsänderung wesentlich aufgewertet, obgleich die monarchische Prärogative durch diese Bestimmungen keineswegs aufgehoben wurde. Durch die Gegenzeichnungsauflage erfuhr sie jedoch eine weitgehende Einschränkung. Für den Bereich der Militärpolitik bedeutete die Stärkung des Reichstages gegenüber den Befugnissen von Kaiser und Reichskanzler, daß der Kanzler einer Vertrauensbasis im Parlament bedurfte Mochte formal die Ermächtigung der Obersten Heeresleitung eingeschränkt worden sein, so zeigte sich die Wirkungslosigkeit bereits darin, daß die Ernennung Groeners zum Generalquartiermeister ohne Beteiligung der Regierung zustande kam c) Das Problem der Abdankung Wilhelms II. Bereits Anfang 1918 — also noch vor einer offiziellen Verlautbarung über die Gewißheit einer militärischen Niederlage — wurde angesichts der schwierigen innenpolitischen Situation die Frage aufgeworfen, ob und wann der Kaiser abdanken müsse, um eine Stabilisierung der innenpolitischen Verhältnisse zu ermöglichen. In dieser ersten Phase der Diskussion um die Abdankung ging man davon aus, den Thronfolger nach Wilhelms II. Verzicht in die Staatsverantwortung miteinzubeziehen, „um den Kaiser zu entlasten und dem monarchischen Gedanken eine größere Schwungkraft zu verleihen" Die zweite Phase wurde durch die Noten des amerikanischen Präsidenten Wilson ausgelöst und führte zu einem nahezu dramatischen Kampf um die Abdankungsfrage zwischen Reichsregierung und Oberster Heeresleitung.
Am 29. Oktober 1918 forderte Staatssekretär Scheidemann Reichskanzler Prinz Max von Baden auf, die Abdankung des Kaisers zu erwirken, um „zu erträglichen Bedingungen des Waffenstillstands und des Friedens zu gelangen" Scheidemann war, wie etliche andere Politiker, der Meinung, daß die Abdankung Wilhelms II. nur hinausgezögert, aber nicht vermieden werden könne Die führenden Militärs verwarfen von vornherein die Abdankungsfrage. Sie verschanzten sich hinter ihrer besonderen Dienst-und Treuepflicht gegenüber dem Obersten Kriegsherrn für sie gab es keine „Kaiserfrage"
Insgesamt waren die Gespräche um die Abdankungsfrage gekennzeichnet durch Konzeptionslosigkeit der Politiker einerseits und hoffnungslosem Illusionismus der Militärs andererseits. Das Dilemma der Sozialdemokratie war eindeutig: in ihrer Theorie verneinte sie den existierenden Staat. Nun sah sie sich in den Zwang zum politischen Handeln versetzt, nachdem sie sich im Verlauf des Krieges durch politische Kooperation in eine Mittelstellung zwischen bürgerlichem Lager und revolutionären Sozialisten manövriert hatte. Man fand keine Zeit, praktikable Lösungen zu erarbeiten. Die Mehrheitssozialdemokraten waren zu Kompromissen bereit und wollten sich mit der „monarchischen Staatsform bei einem parlamentarischen System durchaus abfinden Erst als die revolutionäre Bewegung die Hauptstadt erreicht hatte, schwenkte die mehr-heitssozialdemokratische Parteiführung um und adoptierte die Revolution, „die sie bis zur letzten Minute einzudämmen versucht hatte"
Der Illusionismus der militärischen Führung wurde geprägt durch die psychologische Krise, die durch das Eingeständnis der militärischen Niederlage ausgelöst wurde. Sie mußte um so nachhaltiger sein, als man sich selbst in den Kreisen der höchsten Stabsoffiziere durch die Propaganda der Sieg-Friedens-Politik täuschte und die realen Kriegsaussichten und Kräfteverhältnisse zu verschleiern suchte. Für die Unterlegenheit des Feldheeres machte man das „Gift spartakistisch-sozialistischer Ideen" verantwortlich Ein Konsens herrschte lediglich darüber, daß sich nur unter Mitwirkung von Sozialdemokraten und Gewerkschaften eine Interessensolidarität mit der übrigen Bevölkerung erreichen und das Chaos vermeiden ließ. Die Machtfrage schien völlig offen, denn keine Gruppe konnte ein eindeutiges machtpolitisches Übergewicht zu ihren Gunsten aufweisen. Vier Exponenten des politischen Systems waren es, zwischen denen sich die Auseinandersetzung um die machtpolitische Führung entscheiden mußte: Regierung (Rat der Volksbeauftragten), Generalität (Oberste Heeresleitung), revolutionären Gruppen und Bürgertum. Nach dem Gesetz des schnelleren Handelns mußte es von entscheidender Bedeutung sein, wem es gelingen würde, andere Kräfte an sich zu binden.
III. Revolution
1. Die Frage der Legitimation a) Die Regierung der Volksbeaultragten Deklamatorisch und programmatisch hatte die Sozialdemokratische Partei die politische Verantwortung erstrebt. Der Umgang mit der Macht war ihr fremd geblieben und traf sie nun um so überraschender Die politische Ausnahmesituation war organisatorisch wie programmatisch von ihr nicht einkalkuliert worden. Das Konzept des Handelns hieß — in der Reihenfolge — „Friede und kontinuierliche Demokratisierung" Die Ereignisse des 9. November 1918 machten diese Zielsetzung zunichte.
Die Regierungsbildung des Rats der Volksbeauftragten vollzog sich unter Aspekten politischer und rechtlicher Legitimation, die für das Gelingen der Regierungsverantwortung von Belang sein mußten, insbesondere im Hinblick auf die Neugestaltung des künftigen republikanischen Staates.
Mit der Übertragung des Kanzleramtes durch den Prinzen Max von Baden auf Friedrich Ebert war nach der Auffassung Friedrich Meineckes „ein dünner und formal sehr problematischer Faden rechtlichen Zusammenhanges" gegeben, der „die bisherige monarchische mit der neuen , revolutionären Regierung" verband Nach Jellinek war verfassungsrechtlich keine Ernennung des Reichskanzlers durch seinen Vorgänger möglich. Seiner Ansicht nach lag ein klarer Verfassungsbruch vor, auch wenn die neuen Machthaber in der äußeren Form an den Willen der alten Regierung anknüpften.
Konnte staatsrechtlich nur unter starkem Vorbehalt von einer Legitimation dieser Regierung die Rede sein, so ergab sich aus der politischen Tat die Chance revolutionärer Rechts-Schöpfung Die politische Handlungsvollmacht ergab sich aus dem Wunsch, die Ordnung aufrechterhalten zu wollen, das totale Chaos zu vermeiden, Frieden zu bringen und das Brot zu sichern Das Sehnen nach Ruhe und Ordnung, das Bestreben der Abwehr radikaler Strömungen leitete die Koalition von Unabhängigen und Mehrheitssozialdemokraten ein und stellte das politische Handeln auf eine breite Basis. Koalitionsvereinbarung und Programm der Volksbeauftragten dokumentierten den Akt neuer Rechtsetzung, zumal durch die Abdankungsurkunde des Kaisers der rechtsunsichere Zustand nicht beseitigt worden war, sie also nicht als Charta der Kontinuität gelten konnte. Die Abdankungsurkunde ließ die Bezeichnung des Inhabers der tatsächlichen Gewalt völlig offen. Die Übertragung des Oberbefehls auf Hindenburg brachte ihn in die Stellung eines „Regenten ohne Regentschaft", denn er wußte nicht, wie weit sich seine Macht erstreckte Die Entbindung der Beamten und Soldaten vom persönlichen Treueeid auf den Kaiser hätte dem Rat der Volksbeauftragten die Möglichkeit geboten, seine Legitimation durch eine neue eidliche Verbindung zu festigen. In Verkennung der psychologischen Situation, die eine sofortige Entscheidung verlangt hätte wurde von den Mehrheitssozialdemokraten pedantisch der Grundsatz verfolgt, einer konstituierenden Versammlung die Legitimation der Republik zu überlassen
War es beachtlich, daß an der Spitze der Regierung kein Interregnum entstand aufgrund der fragwürdigen Legitimationsbasis, so war es akuter, daß sich mit der Koalitionsvereinbarung zwischen Mehrheitssozialdemokraten und Unabhängigen eine politische Vollmacht ergab. Aber gerade diese Übereinkunft beider Parteien mußte die Grundlage neuer Querelen darstellen, da die grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten nicht bereinigt waren.
Ein retardierendes Moment ergab sich aus der apodiktischen Entscheidung, die bestehende Reichsadministration fast unverändert zu erhalten und weiter amtieren zu lassen Selbst die Regelung, die Ressortminister nur als „technische Gehilfen des entscheidenden Kabinetts" in ihren Ämtern zu belassen konnte nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, daß die Koalitionsparteien nicht in der Lage waren, die Schlüsselpositionen der Regierungsgewalt mit eigenen Vertrauensleuten zu besetzen. Die aus der Koalitionsabsprache resultierende Maßnahme, jedem Fachminister je einen Vertreter „der beiden sozialdemokratischen Parteien mit gleichen Rechten zur Seite" zu stellen mußte eine ebenso unvollkommene wie wirkungslose Vorkehrung sein. Es fehlte diesen Beigeordneten an verbindlichen Kompetenzen, die ihnen Kontrolle des Ministerialapparats und Einflußnahme auf die Verwaltungsführung ermöglicht hätten. Zwar hatte Scheidemann eindringlich die Besetzung der Posten des preußischen Kriegsministers und des Oberkommandierenden in den Marken mit Parteigenossen gefordert Doch auch er ließ sich vom Verantwortungsbewußtsein des Kriegsministers Scheüch überzeugen, der ungeachtet seiner monarchischen Gesinnung im Amt bleiben wo’lte, um die Versorgung des Feldheeres zu gewährleisten und die Waffenstillstandsverhandlungen abzuwarten Beugte man sich im Zeichen dieser Aufgaben dem Sachverstand, so mußte es ein Zeichen der Verwechslung von politischer Neutralität mit preußischem Dienstethos sein, daß der von den Unabhängigen zu entsendende Beigeordnete sein Amt im Kriegsministerium nicht antrat und die Partei keinen anderen Kandidaten benannte b) Das Bündnis Groener-Ebert Die Oberste Heeresleitung unter Hindenburg und Groener trat angesichts des Zusammenbruchs der konstitutionellen Monarchie bewußt von der politischen Bühne ab, um die „Verantwortung für den Waffenstillstand und alle späteren Schritte von sich zu weisen" Es wäre durchaus realistisch und legitim gewesen, die Armeeführung mit den Waffenstillstandsverhandlungen zu beauftragen. Statt dessen fiel auch diese unangenehme Aufgabe den Politikern zu, die sich in der Öffentlichkeit dafür zu verantworten hatten, nachdem die OHL keine politischen Richtlinien auszugeben hatte Offenbarte sich in dieser Reaktion die skizzierte psychologische Krise der Militärs, so war sie ebenso ein geschickter und — wie die Geschichte offenlegte — auch gelungener politischer Schachzug der Generalität. Groener faßte das Gebot der Stunde zusammen: „Zunächst galt es freilich Zugeständnisse zu machen, denn die Entwicklung im Heer und in der Heimat war solche Wege gegangen, daß es sich vorerst nicht um ein rücksichtsloses Befehlen von seifen der OHL handeln konnte, sondern um das Auffangen und Unschädlich-machen der revolutionären Strömungen" Groeners Wendung von der Gefühlspolitik zum Rationalismus beinhaltete keinen Gesinnungswechsel, sondern bekundete lediglich die Einsicht, daß an eine gewaltsame Restauration der alten Verhältnisse kaum zu denken war Nur der bewußt scheinbare, taktische Rückzug aus dem politischen Geschehen erlaubte es den Generalen, „bessere Bedingungen zu erzwingen", um durch das Offizierkorps die „moralisch-geistige Kraft in ihrem Kem für die Wehrmacht der Zukunft" zu erhalten
Auf der Suche nach einem Partner, der zur Kooperation bereit war, um dem Militär als eigentlichem Träger des Wehrgedankens den Weg in die neuen Verhältnisse zu ermöglichen und „einen Teil der Macht im neuen Staat an Heer und Offizierkorps zu bringen", bot sich ein Zusammengehen mit Ebert an.
Die Furcht vor Radikalismus und Bolschewismus, der Wunsch nach Ruhe und Ordnung und die von den Alliierten verlangte fristgerechte Rückführung des Westheeres ließ Ebert das Bündnisangebot der OHL akzeptieren. Die Tatsache, daß die Volksbeauftragten (hauptsächlich aber Ebert) unter dem Druck innen-wie außenpolitischer Verhältnisse die OHL-Füh55) rung quasi als gleichwertigen Verhandlungspartner betrachteten, mit dem man sich über zu treffende Maßnahmen beriet, bedeutete eine Ausweitung der Regierungskoalition. Die OHL-Generalität (insbesondere Groener) wurde zum Sozius, ohne selbst politische Verantwortung zu tragen. Indem Ebert sich verpflichtete, kraft seines Amtes für die Aufrechterhaltung „der Ordnung und Disziplin im Heer einzutreten", verkannte er gründlich die Kräfte-konstellation und rechnete nicht mit ernsthafter und hartnäckiger Konkurrenz der Generale Der Konflikt mit einer dritten politischen Kraft in der Phase des Übergangs, der Rätebewegung, schien unabwendbar. c) Die Bedeutung der Soldatenräte Die Revolution ging als spontane Bewegung von den Soldaten aus und griff — ohne auf ernsthaften Widerstand zu stoßen — auf die Arbeiterschaft über. Die Erhebung firmierte als sozialistische, war aber nicht von den sozialistischen Parteien initiiert worden Die überall aus eigener Initiative entstehenden Arbeiter-und Soldatenräte betrachteten sich als die eigentlichen Träger der politischen Macht. Grundlage jeder Regierungsentscheidung mußte sein, daß die „gesamte gesetzgebende, ausführende, verwaltende und richterliche Gewalt ausschließlich in Händen der Vertreter der Arbeiter und Soldaten“ ruhte Auch die Koalition von SPD und USPD war auf dieser Maxime entstanden und gegenseitig anerkannt worden. Der Aufruf an das Heimat-heer vom 10. November 1918 — gemeinsam unterzeichnet von Ebert, Scheüch und dem Beigeordneten im Kriegsministerium, Göhre — war folgerichtig. Mit diesem Aufruf wurde die Bildung von Soldatenräten verfügt und deren Beteiligung „an der Abwicklung des Dienstes" befohlen. Hier stand das taktische Motiv im Blickpunkt, denn es fehlte an einer detaillierten Aufgaben-und Kompetenzzuweisung, wie diese Räte ihrer Aufgabe als Integrationsfaktoren zwischen den Mannschaften und ihren Unteroffizieren bzw. Offizieren gerecht werden konnten. Als revolutionäre Schrittmacher und entscheidende' Exekutivorgane im Bereich der Armee forderten die Soldatenräte die Abschaffung der militärischen Rangabzeichen; die Vorgesetzten sollten künftig von den Mannschaften durch Wahl legitimiert werden. Mit diesem Anspruch drängten sich die Soldatenräte zwischen die Offiziere des Großen Generalstabs und den Rat der Volksbeauftragten und mußten hier die zentrifugale Kraft in diesem Bündnis werden. Belastungen im Verhältnis des Zusammenwirkens von Rat der Volksbeauftragten und Vollzugsrat der Arbeiter-und Soldaten-räte (der Berliner Vollzugsrat der Arbeiter-und Soldatenräte betrachtete sich bis zu einer Zusammenkunft der Rätebewegung auf Reichs-ebene als legitimer Mandatsträger aller Räte-instanzen) ergaben sich unmittelbar aus dem Selbstverständnis dieser Einrichtungen Zu weiteren Spannungen führten die Unklarheiten über Grundsätze und Richtlinien für die Tätigkeit des Vollzugsrats.
Auch Groener und Hindenburg hatten eingesehen, daß die Rätebewegung nicht mehr unterdrückt werden konnte. Mit der Bildung von Vertrauensräten versuchten sie die Forderungen der Räte zu unterlaufen. In diesem Sinn erfolgte Hindenburgs Befehl an das Feld-heer mit der Anweisung, die „Bewegung in die Hand der Offiziere zu bekommen", um die Kommandobehörde nicht zu gefährden’ Aufgrund der Abmachungen zwischen Ebert und Groener wurde bei der OHL ein Soldaten-rat eingerichtet. Sich selbst verstand dieser Rat als primus inter pares aller übrigen Soldatenräte, obwohl davon nicht die Rede sein konnte. Von der Generalität wurde dieser Soldatenrat zur vermeintlichen Mitarbeit herangezogen und als zeitgemäßes Sprachrohr benutzt
Der für Mitte Dezember nach Berlin einberufene Rätekongreß sollte durch die Wahl eines repräsentativen Zentralrats die Gegensätze* aufheben und für Volksbeauftragte und Räte eine handlungsfähige Basis schaffen. Ebert wollte die Führung der Geschäfte völlig in den Händen einer verantwortlichen Regierung sehen.
Die Arbeiter-und Soldatenräte sollten als Beratungsbehörden fungieren Mit diesem Antrag konnte sich Ebert nicht durchsetzen.
Der Beschluß über die Kompetenzverteilung zwischen Zentralrat und Regierung wies den Zentralrat als Träger der politischen Macht aus, der die gesetzgebende und vollziehende Gewalt bis zur Regelung durch eine Nationalversammlung dem Rat der Volksbeauftragten übertrug Ein Beschluß darüber, welche Kontrollfunktionen den Soldatenräten in den einzelnen Militärbereichen zufielen und wie sie wahrgenommen werden sollten, wurde nicht erreicht. Es galt weiterhin die Regelung, daß sie untersuchen und Mißstände aufdecken, aber nicht „selbst die Exekutive spielen" durften Anspruch und Wirkungsweise dieser Soldatenräte standen sich diametral gegenüber, nicht nur im preußischen Kriegsministerium, dessen gesamte Tätigkeit von zwei Mitgliedern des Vollzugsrats kontrolliert werden sollte.
Drei in ihren Interessen teilweise gegensätzliche Gruppen sahen sich aufgrund der politischen Verhältnisse legitimiert, ihren Anspruch auf die politische Herrschaft zu verwirklichen:
der Rat der Volksbeauftragten als berufene Regierung, die Arbeiter-und Soldatenräte als Initiatoren der Revolution und Träger des Volkswillens und die Oberste Heeresleitung als Befehlshaber der bewaffneten Macht. Alle drei waren verbunden in Absprachen mit dem Rat der Volksbeauftragten, der für einen Ausgleich der Kräfte sorgen mußte, um nicht selbst seine Position zu verlieren. Damit war seine Aufgabe schwerer, mußte das Scheitern seiner Politik verhängnisvolle Auswirkungen haben.
2. Probleme der Neuordnung a) Die politische Aktionslreiheit der OHL In nahezu blindem Vertrauen auf die Loyalität der OHL-Führung ließen die Volksbeauftrag-ten den Generalstab unverändert; er konnte ohne eindeutige Bindung an die junge Republik weiter amtieren. Der Verbleib Hindenburgs an der Spitze der OHL war im Kabinett nicht unumstritten; namentlich die Unabhängigen kritisierten Ebert, weil er den General-feldmarschall nicht ablösen ließ Ebert sah oder wollte keinen Grund sehen, Hindenburgs Stellung anzutasten. Er schloß sich dem von der Generalität vorgebrachten Argument an, die „Demobilmachung erfordere die Vermeidung jeder unnötigen Erschütterung des Zusammenhangs des Heeres“ Die technische Beteiligung der OHL an der Abrüstung hätte eine Bindung an die Exekutive, ihre Unterordnung unter den Rat der Volksbeauftragten um so notwendiger erscheinen lassen müssen, da allein dadurch eine wirksame Kontrolle der Maßnahmen des Generalstabs gewährleistet worden wäre. Statt dessen wurde Eberts Bündnis mit der OHL — dem Nebeneinander gleichberechtigter Partner — mit dem wenig verbindlichen Hinweis legitimiert, Hindenburg und Groener hätten auf Ehrenwort versichert, hinter der neuen Regierung zu stehen Einer politischen Aktionsfreiheit der Generalstabs-führung wurde dadurch nicht vorgebeugt, das Konservieren überkommener Verhältnisse nicht eingeschränkt.
Die Volksbeauftragten erkannten in der Mehrzahl nicht, daß die OHL zum Zeitpunkt der Revolution bereits weitgehend ein Stab ohne Truppen war. In diesem Sinn hatte die Erklärung Hindenburgs rein deklamatorischen Wert, daß die Regierung über kein geeignetes Ordnungsorgan verfüge, „das ihren Anordnungen und den bestehenden Gesetzen rücksichtslos Geltung zu schaffen vermag" Die Regierung zeigte sich empfänglich für die Parole der Militärs, nur eine intakte Armee könnte das Machtinstrument in der Hand der Regierung sein, denn eine solche Schutzmacht stand ihr nicht zur Seite. Aber auch der Generalstab verfügte nicht darüber'; das Erhalten der alten Armee mit ihren besonderen Strukturen konnte nicht identisch sein mit dem Anspruch, intaktes Machtinstrument in der Hand der Regierenden zu sein. Aufgrund der Behauptung, die „ganze zurückkehrende Frontarmee auf den Namen Ebert sozusagen vereidigt“ zu haben, zeigten sich die Volksbeauftragten den Ansprüchen der Generale gegenüber aufgeschlossen Dabei wurde allerdings übersehen, daß die zurückgeführten Verbände sich selbst schnellstens auflösten, weil die Soldaten ihre Einheiten verließen und nach Hause gingen. Die Oberste Heeresleitung wurde in ihrem Handeln dadurch begünstigt, daß die Kontrolle durch Soldatenräte ihr gegenüber versagte und sie ihr Hauptquartier von Spa nicht nach Berlin, sondern nach Kassel verlegt hatte. Sie entzog sich damit, auch geographisch gesehen, dem Einfluß der Hauptstadt und damit der Regierung. Offensichtlich unter dem Eindruck dieser Distanz schien sich der Generalstab seiner Position als Machtfaktor gegenüber dem Rat der Volksbeauftragten sehr sicher, als er seine Forderungen für die weitere Zusammenarbeit anmeldete: Beibehaltung der militärischen Kommandogewalt allein bei den traditionellen Kommandobehörden, Aufrechterhaltung und Wiederherstellung des uneingeschränkten Vorgesetztenverhältnisses und vor allem Ausschaltung der Soldatenräte Mit diesem Ansinnen ging die Heeresführung auf Kollisionskurs. Sie forderte die Machtprobe zwischen den politisch legitimierten neuen Machtträgern heraus: Zwischen ihr und den Räteinstanzen mußte es ebenso zur Konfrontation kommen wie im Rat der Volksbeauftragten, aber auch zwischen der Regierung und den Räten. Ebert sollte zu einer Entscheidung zwischen revolutionären und konservativen Kräften gedrängt werden.
In den Reihen der Militärs fehlte es auch nicht an Überlegungen, einen „Gegenschlag gegen die machtlosen Machthaber des 9. November zu unternehmen", um durch einen Gegenputsch eine neue Staatsordnung zu erzwingen 7’). Bis zum Rätekongreß war es der OHL gelungen, die Zügel mehr aus dem Verborgenen zu lenken nach dieser Zusammenkunft drängte sie offen darauf, Ruhe und Ordnung durch die alten Kräfte mit Gewalt zu erzwingen. Zwar scheute man davor zurück, vorbehaltlos die Umsturzpläne von Haeftens zu unterstützen, aber das Aktionsprogramm des Generalkommandos Lequis für den Truppeneinmarsch in Berlin versprach eine Veränderung des Kräfte-verhältnisses im Sinne der Militärs. Die Planung sah die völlige Entwaffnung der Bevölkerung, die Erfassung von Deserteuren und die Auflösung revolutionärer Milizverbände vor Die OHL unterbreitete ihr Aktionsprogramm in dem Willen, „der Regierung diejenigen Machtmittel zur Verfügung zu stellen, deren sie zur Beseitigung aller hindernden Faktoren (Vollzugsrat, Spartakus, Matrosen) bedurfte" Damit stand sie in völligem Gegensatz zum Vollzugsrat, der gefordert hatte, die Truppen sollten vor dem Einzug ihre Waffen abgeben
In seinem Kompromißvorschlag beugte sich Ebert weitgehend den Argumenten der Heeresleitung Dem Primat der politischen Führung nutzte recht wenig, wenn die Soldaten ihre Munition behielten, von der Schußwaffe aber „nur im alleräußersten Notfall" Gebrauch machen sollten Eine Eskalation der Kräfte ließ sich auch nicht mit der Vereidigung auf die provisorische Regierung verhindern. Zwar scheiterte die Säuberungsaktion, denn die „Truppe entwickelte . . . einen derartigen Drang nach Hause, daß mit diesen zehn Divisionen absolut nichts anzufangen war" doch konnten sich künftig weder der Rat der Volksbeauftragten noch — in verstärktem Maß — die OHL dem offenen Mißtrauen der sozialistischen Radikalen entziehen. In ihrem politischen Handeln hatten die Volksbeauftragten nicht genügend Rücksicht auf die Parteien genommen, von denen sie getragen wurden. Als unmittelbare Folge der Dezember-Unruhen wurde das Bündnis zwischen Mehrheitssozialdemokraten und Unabhängigen gesprengt, well sich auf die Volksbeauftragten der USPD mittelbar der Druck der Partei auswirkte und ein weiteres Zusammengehen unmöglich machte. Die SPD-Volksbeauftragten mußten erkennen, daß die der Revolution entsprungene Solidarität der sozialdemokratischen Parteien nicht allen Belastungen standhielt. In der Furcht vor einem weiteren Legitimationsverlust lehnten sich die SPD-Volksbeauftragten weiter an die konservativen Kräfte an und gestanden der OHL größeren politischen Spielraum zu. b) Das Dilemma der politischen Führung Der Rat der Volksbeauftragten hatte sich zu dem revolutionären Ziel einer sozialistischen Republik bekennen und seine Unterordnung unter die Kontrollgewalt des Vollzugsrats der Großberliner Arbeiter-und Soldatenräte zugestehen müssen Entsprechend konstituierte sich der Reichskongreß der Arbeiter-und Soldaten-Delegierten als der Inhaber der gesamten politischen Macht Der von der Versammlung gewählte Zentralrat der Arbeiter-und Soldatenräte Deutschlands bestand nur aus Mitgliedern der Mehrheitssozialdemokratischen Partei, nachdem die Unabhängigen die Wahl boykottiert hatten. Von einem vollwertigen, arbeitsfähigen Ersatzparlament konnte nicht die Rede sein, da der Zentralrat lediglich Uberwachungsfunktion hatte, exekutive und legislative Gewalt aber ausschließlich von der Regierung ausgehen sollten. Wie das Handeln des Zentralrats zeigte, war er — neben seiner politischen Unbeweglichkeit — dem Rat der Volksbeauftragten, den Militärs und der Ministerialbürokratie politisdi nicht gewachsen
In den Reihen der Volksbeauftragten hatte man gehofft, auf dem Rätekongreß den offenen Konflikt zwischen Regierung und Räten zu vermeiden, um die Koalition mit der OHL nicht zu gefährden. Die Behandlung grundsätzlicher wehrpolitischer Fragen (Kommandogewalt, Vorgesetztenverhältnis) wurde durch die Rede Otto Brass’ über die Enthüllung gegenrevolutionärer Umtriebe erzwungen. Die Diskussion wurde damit in eine sachlich wie emotionale Richtung gelenkt, die das Verhältnis zwischen Regierung und Armeeführung auf das stärkste belasten mußte. Der Kongreß drängte sich damit zwischen Rat der Volksbeauftragten und Oberste Heeresleitung. Er wirkte nicht als Integrationsfaktor, sondern als zentrifugale Kraft.
Der Beschluß des Rätekongresses über die Kommandogewalt (Sieben Hamburger Punkte) brachte die Regierung in ernste Bedrängnis: sie mußte aus ihrer bisher eingenommenen Mittelposition heraus und sich für die Räteinstanzen oder die OHL als Partner entscheiden. Der Versammlungsbeschluß unterstrich die immer wieder deklamierte Abhängigkeit der Regierung vom Vollzugsrat: Die Kommandogewalt über Heer und Marine sollten die Volksbeauftragten unter Kontrolle des Vollzugsrats ausüben. Die Bindung an diese Abmachungen stand deutlich im Gegensatz zu der Grundlage des Bündnisses zwischen Ebert und Groener. Die Forderungen der Räte, alle Rangabzeichen abzuschaffen, die Soldaten ihre Führer selbst wählen zu lassen und das traditionelle Vorgesetztenverhältnis zugunsten der Befugnisse der Soldatenräte aufzuheben, ließ die Heeresleitung ihre bisher geübte Zurückhaltung aufgeben und ein massives Einschwenken der Volksbeauftragten auf ihre Linie fordern. Unter Berücksichtigung der innen-und außenpolitischen Verhältnisse war es verständlich, daß Groeners Argumente gegen die Beschlüsse des Rätekongresses — zumindest im Kabinett — auf fruchtbaren Boden fielen, zumal ein Rücktritt der OHL gleichbedeutend sein mußte mit einem Zusammenbruch der eingeleiteten Demobilmachung. Die Vertreter der OHL ließen keinen Zweifel aufkommen, von ihrer realen Gewalt und deren Symbolen nichts abzutreten. Die Volksbeauftragten glaubten, mit einer bewußten Verzögerung eines Erlasses über die Durchführung der Sieben Hamburger Pur te den Bruch mit den Militärs einerseits und den Rätegremien andererseits vermeiden zu können Eberts Feststellung, ein Vollzug des von dem Rätekongreß gefaßten Beschlusses komme „nach all-seifigerAuffassung nicht in Frage“ unterstrich, daß die höchste politische Gewalt, der Rätekongreß, durch ein Veto der Volksbeauftragten ausgeschaltet werden konnte. Gravierender aber war, daß das wichtige Problem der Kommandogewalt weiterhin ungelöst blieb und damit Anlaß zu neuen Konflikten bot
Die ungeklärten Vorgänge bei den Dezember-und Weihnachtsunruhen ließen den Fehler offenkundig werden, daß man es versäumt hatte, die bewaffnete Macht rechtzeitig und wirksam dem Primat der Politik unterzuordnen Die Entlassung des preußischen Kriegsministers Scheüch und die Berufung des württembergisehen Oberst Walther Reinhardt zu seinem Nachfolger verdeutlichte erneut die Unsicherheit der Volksbeauftragten gegenüber der Generalität. So wußte Reinhardt seine Forderungen durchzusetzen, die im Widerspruch zu den politischen Verpflichtungen der Volksbeauftragten mit dem Zentralrat standen Die in den Vordergrund drängende Frage „Stärkung der Militärmacht oder nicht“ erreichte den Rang einer Schicksalsfrage für die weitere innenpolitische Entwicklung. Doch nicht das Wehrproblem allein und auch nicht der Vorwurf, die „drei Vertreter der Mehrheitsrichtung" seien „allzu vertrauensseelig gegenüber der alten Militärmacht", bewirkten den Bruch der Koalition zwischen den beiden sozialdemokratischen Parteien Die Unabhängigen Volksbeauftragten mußten dem Druck ihrer Parteianhänger nachgeben, deren Ziel es war, die Parteigenossen „aus der Reichsregierung hinaus zu manövrieren“, indem man ihnen „im Zentralrat die Rückendeckung durch (die) Parteivertreter entzog" Zweierlei bewirte das Ausscheiden der Unabhängigen: Das Kabinett gewann durch das Hinzutreten von Noske und Wissell eine größere politische Geschlossenheit, erlitt aber einen politischen Legitimationsverlust gegenüber den Arbeiter-und Soldatenräten Der verstärkt einsetzende Radikalisierungsprozeß, verbunden mit einer weiteren Spaltung der Arbeiterschaft, ergab sich zu einem beträchtlichen Teil als Konsequenz dieser von den mehrheitssozialdemokratischen Volksbeauftragten betriebenen Politik. Diese Politik war nicht dazu angelegt, den Führungsanspruch der SPD durchzusetzen und für die Zukunft aufrechtzuerhalten c) Kontakte um Aufbau und Organisation des Heeres Das Zerbrechen des alten Polizei-und Ordnungsapparats stellte die Regierung der Volks-beauftragten vor die Frage, wie man sich bewaffneter Kontingente versichern konnte, um sie als Ordnungsorgan einsetzen zu können. An eine Änderung des Wehrsystems war in der augenblicklichen Situation nicht zu denken. Die Erwartung, daß Deutschland von den Alliierten Beschränkungen im Bereich des Wehrwesens auferlegt werden würden, sowie die Maßnahmen der Demobilisierung und die inneren Unruhen erlaubten nur provisorische Lösungen. Versuche, ein Revolutionsheer zu schaffen, mußten aus politischen Gründen unterbleiben: Einmal hätte dies die Fronten zwischen Arbeiterschaft, Bürgertum und dem alten Offizierskorps verhärtet, zum anderen widersprach es dem Grundsatz, alle wichtigen Entscheidungen einer konstituierenden Nationalversammlung zu überlassen.
Die Diskussion um das Volkswehrgesetz ließ die unterschiedlichen Standpunkte der beiden sozialdemokratischen Parteien in der Wehr-frage deutlich hervortreten. Ebert griff den alten sozialdemokratischen Gedanken einer Volkswehr auf. Seine Anregung, ein Wehr-organ auf demokratisch-republikanischer Grundlage zu schaffen, entsprach den gemäßigten Milizplänen der Mehrheitssozialdemokraten vor 1914. Die Unabhängigen neigten zu einer radikaleren Lösung, die auf dem Berliner Parteitag im März 1919 konkretisiert wurde: sofortige Auflösung des alten Heeres und der Freikorps und die Errichtung einer Volkswehr aus den Reihen der klassenbewußten Arbeiterschaft Das Gesetz zur Bildung einer freiwilligen Volkswehr unterstellte die zu bildenden Freiwilligenverbände, die außerhalb der Armee stehen und sich ihre Führer selbst wählen sollten, ausschließlich dem Rat der Volksbeauftragten. Trotz der großen Arbeitslosigkeit stieß das Dekret auf allgemeine Gleichgültigkeit; es war nicht möglich, diese den Volksbeauftragten dienende Truppe zu schaffen. Insgesamt erwies sich diese Konzeption als unpraktikabel. Es gelang den Politikern nicht, sich von „der Bevormundung durch den Generalstab" zu befreien
Neben den Roten Milizen der Spartakusanhänger, der Volksmarine-Division und der der SPD nahestehenden republikanischen Soldatenwehr hatten sich Freiwilligenverbände gebildet, die in enger Bindung zu ihren Führern standen (z. B. Kommando Kaiserhof, Sturm-truppe Bachmann). Allein das starke Personal-prinzip ließ diese Bünde und Freikorps als Kern einer neuen Armee wenig geeignet erscheinen. Die Freikorps verstanden sich vordergründig als Kampforganisationen, während die Bünde zunächst als Traditions-und Kameradschaftsvereinigungen entstanden waren und erst im Zuge der allgemeinen Radikalisierung sich mehr und mehr zu Selbstschutzverbänden entwickelten Unter dem Schlagwort „Kampf gegen den Bolschewismus" und der Zauber-formel „Ordnung" glaubte jeder für seine Welt der Zukunft kämpfen zu müssen Als bemerkenswert mußten aber diejenigen Frei-korps erscheinen, die in enger Fühlung mit der OHL entstanden waren und von ihr auch materiell unterstützt wurden. Mit diesen Freiwilligenverbänden formierten sich Kräfte, die ganz der alten militärischen Führung ergeben waren und keine selbstbewußten politischen Konzeptionen verfolgten
Die Entscheidung über die künftige Zusammensetzung einer neuen Streitmacht fiel mit dem Gesetz über die Bildung einer vorläufigen Reichswehr Den Kern dieser Reichswehr bildeten eine Reihe aktiver Soldaten und der Armeeführung nahestehende Freikorps. Bereits bei seinen Maßnahmen in Kiel hatte sich Noske von dem Grundsatz seiner Partei — Bildung einer republikanischen Volkswehr — entfernt, als er sich auf eine Truppe aktiver Soldaten stützte Für ihn war es deshalb keineswegs eine revolutionäre Maßnahme, sich bei der Aufstellung eines regierungsabhängigen Machtinstruments hauptsächlich auf Teile der kaiserlichen Armee zu verlassen. Unter Noskes Leitung erhielt das neugebildete Reichswehrministerium zwar einen Teil der Befehlsgewalt, die Oberste Heeresleitung konnte aber weiterhin mit ihrer Kommandogewalt über die Generalkommandos und Verbände der östlichen und westlichen Grenzgebiete konkurrieren In einer gewissen Gründungseuphorie glaubte er bereits im Januar 1919 ein Ordnungsinstrument geschaffen zu haben, das den Machtfaktor Soldatenräte gebrochen habe. Von dem Machtfaktor eines konservativen Offizierkorps wurde nicht gesprochen. Noske und mit ihm die übrigen Volksbeauftragten überhörten die Warnung, „nicht neue Organisationen zu schaffen, die doch nur Umänderungen der alten sind“, die beseitigt werden sollten
Auf der Seite der Militärs hatte Groener bereits im Februar 1919 von General von Seeckt einen Organisationsvorschlag für ein neues Heer erbeten. Seeckt sah im wesentlichen die Aufstellung eines Berufsheeres von wenigstens 200 000 Mann vor, das nur für den Fall ungenügend freiwilliger Kandidaten durch Aushebung verstärkt werden sollte Hinsichtlich der Organisation des Reichswehrministeriums strebte er mit einem Nebeneinander von Ämtern unter dem Ressort die Einführung des Kollegialsystems an. Als Gegenspieler Seeckts plädierte Reinhardt für eine selbständige Kommandogewalt, die in der Form der Institution eines Chefs der Heeresleitung unmittelbar unter dem Reichswehrministerium die militärische Spitze bilden sollte
Die Entwicklung des Heeres war zu diesem Zeitpunkt im wesentlichen abhängig von zwei Faktoren: den Versailler Friedensvereinbarungen und der leitenden Persönlichkeit der bewaffneten Macht. Groeners Vertrauensmann war Seeckt. Er schien „die besten Traditionen des alten Heeres zu verkörpern", ihm traute er „Tatkraft und Willen, Geschmeidigkeit und Härte genug zu, um die neue kleine Wehrmacht zu einem Eliteinstrument zu machen“ Reinhardt hingegen „war nicht abgeneigt, Noske und der Regierung Konzessionen im Sinne der neuen Zeit zu machen", deshalb galt es, ihn nach Möglichkeit auszuschalten Zugeständnisse der Militärs an die Republik mußten sich in der Durchsetzung des Primats der Politik und der gut kontrollierbaren Stellung des militärischen Befehlshabers ausdrücken —-wie es die von Reinhardt erarbeitete Konzeption vorsah.
IV. Ergebnisse
1. Der Weg zur Reichswehr a) Die wehrpolitischen Aspekte des Versailler Vertrages Durch die Versailler Friedensbedingungen wurden Stärke und Gliederung der Reichswehr genau festgelegt: ein Berufsheer von höchstens 100 000 Mann und eine Marine von 15 000 Mann; die Dienstzeit für Offiziere betrug künftig mindestens 25, die der Mannschaften 12 Jahre Die Auseinandersetzungen über ein neues Wehrsystem wurden durch die oktroyierte Friedensregelung zur Chimäre: In der Zwitterstellung zwischen Polizei und Heer konnte es keine Volkswehr, keine Miliz im Sinne sozialdemokratischer Politik geben, ebensowenig ließ sich eine machtvolle 300 000-Mann-Armee aufbauen, wie es die Militärs gewünscht hatten. Die Verpflichtung, das fast eine halbe Million Soldaten zählende Heer auf 200 000 Mann innerhalb von drei Monaten zu reduzieren und bis zum 31. März 1920 die Stärke von 100 000 Mann zu erreichen, stellte die Regierung vor neue sozialpolitische Probleme. Neben der Sorge um Beseitigung der schon lange anhaltenden Arbeitslosigkeit galt es nun, die aus Armee und Freiwilligenverbänden ausscheidenden Soldaten in das Wirtschafts-und Sozialgefüge zu integrieren — eine Aufgabe, an der wohl jede Regierung scheitern mußte.
Hatte die Zusammenarbeit zwischen Oberster Heeresleitung und Volksbeauftragten seit Novomber 1918 die Gegensätze zwischen Militär und Sozialdemokratie überdecken können, weil die Politiker weitgehend Konzessionen machten, so waren die „Erlebnisse der Niederlage, der Revolution und des Bürgerkrieges vielfach geeignet, die traditionellen Anti-Affekte hüben wie drüben zu vergrößern, zu nähren und zu intensivieren" Die Annahme des Vertrages und die Hoffnungslosigkeit, sich gegen die Bedingungen aufzulehnen, leiteten die entscheidende Wandlung im Verhältnis der Mehrheit der Reichswehr zur Republik ein: Vorsichtige Skepsis gegenüber der neuen Regierung verwandelte sich in offene Opposition Nach dem Ausscheiden Hindenburgs verstärkte sich der Konflikt zwischen Groener und Reinhardt, der mit dem Sieg Seeckts, mit seiner Ernennung zum Chef der Heeresleitung endete. b) Die Kompromißstruktur von Weimar Der offensichtliche Wunsch der Verfassungsgeber von Weimar nach einer starken Staats-spitze setzte sich auch im Bereich des Wehr-wesens der Republik durch. Mit der Reichsverfassung vom 11. August 1919 näherte sich die Stellung des Reichspräsidenten für das politische System weit an die Machtposition des Kaisers im konstitutionellen deutschen Staat an. Der präsidiale Oberbefehl erstreckte sich materiell auf das militärische Kommando, territorial war er für die gesamte Armee der Republik verbindlich. Im Gegensatz zur Verfassung von 1871, die bestimmte militärhoheitsrechtliche Fragen den Bundesfürsten überlassen hatte, war nun das Kriegswesen zu einer einheitlichen Reichsangelegenheit geworden. Durch das Erfordernis der Gegenzeichnung der Kommandoakte durch den Reichswehrminister sowie die Begründung einer eigenen parlamentarischen Verantwortlichkeit desselben hatte der militärische Oberbefehl eine Veränderung gegenüber den Bedingungen der konstitutionellen Monarchie erfahren. Die eigentliche Kompromißformel dieser Weimarer Lösung erwies sich in der eingeschränkten Parlamentarisierung des Oberbefehls, denn eine parlamentarische Bindung des Oberbefehlshabers selbst bestand nicht. Der Reichspräsident war zwar Oberbefehlshaber, aber er verfügte nicht über den geeigneten militärischen Apparat, um seine Befehlsgewalt ausüben zu können. Der Befehlsapparat stand allein dem Reichswehrminister in Gewalt seines Ministeriums zur Verfügung Die Position eines Chefs der Heeresleitung, gedacht als militärischer Berater des Ressortchefs, bot sich als Mittel der Republikanisierung der Armee an. Insbesondere hier kam es auf die Persönlichkeit an, der man diese Stellung anvertraute.
Die von Noske verfügte Gliederung des Reichswehrministeriums sollte es dem Minister ermöglichen, nicht nur Interessenvertreter der Truppe vor dem Parlament, sondern vor allem auch Führer in militärischen Angelegenheiten zu sein. Er hatte unmittelbare Befehlsgewalt und Weisungsbefugnis über die Chefs von Heeresleitung und Admiralität, über die Oberbefehlshaber der Reichswehrgruppen und die Landeskommandanten. Groeners Wunsch, Seeckt als Chef der Heeresleitung zu sehen, hatte sich — zunächst — nicht erfüllt. In seiner Verwendung als Chef des Truppen-amtes verstand es Seeckt jedoch, sein Prestige im Offizierkorps auszuspielen und am Wehr-minister vorbei auf die Truppe Einfluß zu nehmen Erst im Geschehen um den Kapp-Lüttwitz-Putsch fand das Ringen um die Befehls-gewalt seinen Abschluß. Auch hier fiel die Entscheidung zugunsten der konservativen Kräfte aus. c) Der Kapp-Lüttwitz-Putsch Unmittelbar nach der militärischen Bankrotterklärung war in Deutschland das Wort vom Dolchstoß gegen die Armee geprägt worden Die gezielte propagandistische Verbreitung des Dolchstoß-Vorwurfs mit dem Versagen der Heimat erlebte einen weiteren Aufschwung nach der Annahme der Versailler Friedensbedingungen durch die deutsche Regierung. Die Legende mußte angesichts der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Not und den demütigenden, harten Friedensbedingungen zwischen restaurativen und revolutionären Kräften zu neuen Konflikten führen. Die politischen Fronten verhärteten sich weitgehend: Die politischen Parteien verlegten sich darauf, sich gegenseitig ihr Schuldkonto vor-zuhalten und einander für die Verelendung Deutschlands verantwortlich zu machen Die Regierung sah sich in dieser Situation fast isoliert bei dem Versuch, die innere Ordnung aufgrund der neuen Verfassung herzustellen und auszugestalten, soziale Bedingungen für die Republik zu schaffen und zugleich die Auflagen der Versailler Verträge fristgerecht zu erfüllen. Insbesondere die Auflösung von Verbänden der Reichswehr und Freikorps führte zur offenen Aufsässigkeit gegen die Regierung. Der unzulänglich, nahezu dilettantisch vorbereitete Putsch des Generals Lüttwitz und des Generallandschaftsdirektors Kapp entzündete sich an der Weigerung Lüttwitz', die Auflösung der Marinebrigaden Erhardt und Loewenfeld durchzuführen. Da die Regierung allein sich gegenüber den Putschisten nicht behaupten konnte, vertraute man auf die Unterstützung durch loyale Militärs. In der Besprechung Noskes mit Reinhardt und Seeckt wurde deutlich, daß der Generalstab nicht gewillt war, die Einheit der Reichswehr für die Republik aufs Spiel zu setzen In den Augen der Offiziere war dieser Staat eine spezifische Schöpfung der Armee, deren Interessen folglich denen der Regierung gegenüber Vorrang besaßen. Einerseits verhielten sich die Offiziere der Reichswehr gegenüber der verfassungsmäßigen Regierung loyal, andererseits war es revolutionär, daß sich die bewaffnete Macht der politischen Führung im Einsatz gegen Putschisten verweigerte.
Der von den Gewerkschaften und Sozialdemokraten proklamierte Generalstreik führte zum schnellen Zusammenbruch der Revolte. Er eröffnete ihnen aber keinen verstärkten Einfluß, sondern ließ die bürgerliche Mitte von dem Vorstoß der radikalen Rechten profitieren Die Mehrheitssozialdemokraten mußten ihren Reichswehrminister Noske abberufen und verzichteten in ihrer Politik künftig auf jeden unmittelbaren Einfluß auf die Entwicklung des Heeres. Die Ernennung Seeckts zum Chef der Heeresleitung lag nicht im Interesse der Republik, sondern leitete die endgültige „Abkapselung der Reichswehr von den tragenden politischen Strömungen" ein und führte zur völligen Entfremdung zwischen ihr und der Sozialdemokratie 2. Militär und Politik a) Das Erbe der Revolution Die deutschen Sozialdemokraten übernahmen 1918 die Regierung in dem Moment des Zusammenbruchs der konstitutionellen Gewalten, die nicht nur den Anhängern der sozialistischen Parteien, sondern ebensosehr der Mehrheit der übrigen politischen Gruppen als diskreditiert erschien. Die politischen Vertreter der Arbeiterschaft besaßen keine reale Konzeption für eine Neuordnung des Staates. Sie traten ihr Amt an, um nach dem Zusammenbruch des militärischen und wirtschaftlichen Gefüges das totale Chaos zu verhindern und die Errungenschaften der Oktober-Parlamentarisierung zu institutionalisieren. Die Politik der im Umgang mit der Macht ungeübten Sozialdemokraten wurde in der Übergangsphase von der Revolution zur Weimarer Republik beherrscht von ihrer eigenen Unsicherheit und den Ergebnissen der alliierten Friedens-bedingungen. Mußte man die außenpolitischen Faktoren als gegeben hinnehmen, so zeigten sich die Versäumnisse im Bereich der Innenpolitik in gravierendem Maße.
Die erste Belastung für die neue Regierung ergab sich aus der Tatsache, daß sich die beiden sozialdemokratischen Parteien auf einer Koalitionsbasis zusammenfinden mußten, die die grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten ideologischer Art lediglich überdeckt, nicht aber ausgeräumt hatte. Hinzu kamen die verschiedenen Legitimationsskrupel, die eine wirksame Aktivität der Regierung oftmals verhinderten. Zwar führten die Volksbeauftragten ihr Mandat auf das neue, durch die Revolution gesetzte Recht zurück, aber der Charakter des Provisoriums wich nicht von ihren Entscheidungen. Entsprechend wurde erst die Konstituierung der Nationalversammlung als die Rückkehr zum Weg der Gesetzmäßigkeit bezeichnet Der Zweifel an einer ausreichenden staatsrechtlichen Legitimation und die Furcht, endgültige Regelungen ohne die Nationalversammlung einzuleiten, ließ die Volks-beauftragten nach einer möglichst breiten politischen Handlungsbasis streben. Dabei erwies es sich für die Sozialdemokratie als verhängnisvoll, daß sie sich vornehmlich auf die alten Gewalten Armee und Administration stützte und so die bisher negierte Staatsräson über ihre eigene Ideologie stellte. Die Volksbeauftragten suchten die Zusammenarbeit mit den bisher herrschenden Kräften, weil sie in ihnen „Faktoren der Stabilität sahen, die sie im Kampf gegen Auflösung und Unordnung nicht glaubten entbehren zu können"
Das Selbstverständnis der Regierung, Übergangslösung mit begrenzter Aufgabe zu sein, ließ sie die realen Machtverhältnisse falsch einschätzen und den alten Gewalten politischen Spielraum zugestehen, den diese im Sinne konservativer und restaurativer Politik ausfüllten. Die Sozialdemokraten vertrauten in Ermangelung eigener, wirkungsvoller Programme auf die Loyalität aller Beteiligten und hofften, die Macht im Staat mit dem Stimmzettel zu erkämpfen Ihre Politik war nicht darauf angelegt, sich mit aller Autorität gegenüber Militärs und Ministerialbürokratie durchzusetzen und zugleich die Arbeiterschaft über den Parteiapparat zu solidarisieren. Statt dessen manövrierten sich die Volksbeauftragten in die Isolierung von den eigenen Partei-genossen, indem sie die Armeeführung selbständig weiter amtieren ließ. So vollzog sich die Revolution „als deprimierender Zusammenbruch von Wirtschaft, Armee und Monarchie, keineswegs als sieghafter Durchbruch einer neuen herangereiften Gesellschaftsstruktur."
Zu einer wirksamen Interessensolidarität zwischen Regierung und Militärs war es in der Phase der Zusammenarbeit nach dem 9. November 1918 nicht gekommen. Die alten Bindungen der Monarchie, ständisches Gefüge und persönliche Verpflichtung auf den Landes-herrn, ließen sich nicht mehr aufrechterhalten, aber die Erfahrung im Umgang mit politischer Macht neben der Regierung bewirkte die Verselbständigungstendenzen der Militärs. Der Primat der Politik wurde nicht rechtzeitig abgesichert, so daß sich das Offizierskorps in seiner Mehrheit unter dem Eindruck der unzulänglichen politischen Verhältnisse von der Republik und der parlamentarischen Demokratie distanzierte. Die neutrale Haltung der Armee, wie sie von ihrer militärischen Führung immer wieder betont wurde, äußerte sich deutlich in dem Streben nach einer eigenen Existenz als Selbstzweck. b) Der Beginn der Ara Seeckt Die Nationalversammlung initiierte keine grundlegende Veränderung des bestehenden Wehrsystems, sondern festigte die als vorläufig bezeichneten Einrichtungen. Die Grundlagen für die Entstehung einer bewaffneten Macht, die sich als Staat im Staate verstand, beruhten auf dem Fehlen einer klaren Wehr-konzeption der Sozialdemokraten, weniger auf den Bestimmungen des Versailler Vertrages. Zwar war es Noske als Reichswehrminister ge-lungen, die Truppe und ihr Offizierkorps zu einer loyalen Haltung gegenüber der Regierung zu veranlassen, die Erziehung zur Republik konnte er allerdings allein nicht bewältigen. Die Unterstützung durch seine Partei blieb aus, in der sich die militärfeindlichen Strömungen aufgrund der von den Volksbeauftragten betriebenen Anlehnungspolitik an die Armee behaupten konnten. Nach der Niederwerfung des Kapp-Lüttwitz-Putsches mußten Noske und Reinhardt ihre Funktionen aufgeben. Damit wurde die militärpolitische Abstinenz der Sozialdemokratie erneut eingeleitet, die zu ihren Grundanschauungen der Jahre vor 1914 zu-rückkehrte
Der Verzicht auf eine völlige Neugestaltung des Wehrwesens im Sinn der Republik mußte es einer starken Persönlichkeit wie Seeckt erleichtern, bestimmenden Einfluß auf die innere Struktur der Reichswehr auszuüben. Begünstigt wurde er dabei durch die politische Führung, die in ihren Maßnahmen die Abschließung der Armee von dem übrigen politischen Gefüge unterstützte: So hatten die Soldaten zwar an den Wahlen zur Nationalversammlung teilnehmen dürfen, jedoch wurde ihnen mit dem Reichswahlgesetz von 1920 das aktive Wahlrecht wieder genommen. Mit der Begründung, daß die Wehrmacht entpolitisiert sein sollte, wurde der militärischen Führung erlaubt, um so stärkeren Einfluß auf die Politik zu nehmen und den Standpunkt der Reichs-wehr darzulegen Hinzu kam, daß dem Offizierkorps in seiner traditionellen Erziehung die Verpflichtung auf eine Verfassung nicht die enge Bindung an einen Monarchen ersetzen konnte Die Verfassung konnte geändert werden, die parlamentarischen Verhältnisse und damit die Zusammensetzung der Regierungen wechselten und das Staatsoberhaupt war von der Zustimmung des ganzen Volkes abhängig. Die sich in der Reichswehr durchsetzende Auffassung, dem Vaterland — und nicht der Republik — zu dienen, knüpfte an dem ideellen Staatsbegriff des konstitutionellen Systems an und stellte sich damit in Gegensatz zum Verlangen der politischen Parteien. Das in der Tradition der kaiserlichen Armee begründete Eigenleben der Armee wurde von Seeckt nicht erst wieder entdeckt, sondern forciert angestrebt. Er verstand es, die Führung des Heeres durch den militärischen Fachmann durchzusetzen und den zivilen Einfluß auszuschalten Allerdings ohne die innenpolitische Instabilität hätte auch er die Geschlossenheit des Offizierkorps gegenüber der staatlichen Macht nicht erreichen können, dann wäre die Verselbständigungstendenz des Heeres als eines Staates im Staate nicht denkbar gewesen.
Rolf Feldner jr., geb. 1945, Studium der Politikwissenschaft, Mittleren und Neueren Geschichte und des öffentlichen Rechts 1 in Mannheim; seit 1970 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Trier-Kaiserslautern im Fach Politikwissenschaft an der Universität in Trier.
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