Die Demokratie und ihre Wächter Zum Problem der Integration von Streitkräften in die Gesellschaft Ein Vergleich Reichswehr—Bundeswehr | APuZ 50/1971 | bpb.de
Die Demokratie und ihre Wächter Zum Problem der Integration von Streitkräften in die Gesellschaft Ein Vergleich Reichswehr—Bundeswehr
Wilfried von Bredow
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Zusammenfassung
Dem Selbst-und Umweltverständnis von Streitkräften in den modernen Gesellschaften kommt deshalb erhöhte Bedeutung zu, weil sie wegen ihrer innenpolitischen Machtfülle die Funktionsweise dieser Gesellschaften nachhaltig beeinflussen. Gerade die Geschichte des Scheiterns der Weimarer Republik und die Rolle, welche die Reichswehr in diesem Prozeß spielte, weist auf diesen Tatbestand hin. Der Vergleich einiger Merkmale des Selbst-und Umweltverständnisses von Reichswehr und Bundeswehr kann so den Blick schärfen für Entwicklungen innerhalb der Streitkräfte, die den demokratischen Wert-und Zielvorstellungen der Gesellschaft nicht oder nur teilweise entsprechen. Die Stellung der Armee in Staat und Gesellschaft kann nicht allein aus einer Analyse der Wehrgesetzgebung definiert werden; statt dessen müssen soziologische Fragestellungen mit herangezogen werden. Die Probleme der zivilen Kontrolle des Militärs durch das Parlament und Hilfsorgane wie den Wehrbeauftragten und die kritische Öffentlichkeit sind ebenso zu beleuchten wie die Frage nach der Rekrutierung des Offiziernachwuchses. Die unterschiedlichen Umweltverhältnisse, mit denen die Streitkräfte der Reichswehr und der Bundeswehr konfrontiert sind, lassen darauf schließen, daß die immer wieder erhobene Forderung nach „mehr Kontinuität" für die Bundeswehr sich nicht rational begründen läßt, sondern vielmehr Ausdruck einer vergangenheitsorientierten Nostalgie nach vorindustriellen Sozialstrukturen ist. Der nicht mehr rückgängig zu machende Professionalisierungs-Prozeß, dem die Streitkräfte heute allenthalben unterliegen, ist Teilstück der aktuellen Krise des Soldaten-berufs in den Industriegesellschaften. Ein Ausweg aus dieser Krise läßt sich nicht innenpolitisch finden — hier gilt es, die Soldaten und besonders die Offiziere auf subtantielldemokratische Normen zu verpflichten —, sondern nur im Rahmen der Entwicklung friedlicher Interaktionsmuster in den internationalen Beziehungen.
Die Selbsteinschätzung der Streitkräfte und ihre militärische Stärke, ihr Ansehen in der Bevölkerung, das Bewußtsein von der substantiell geänderten „Auftragslage“, die . Wehrgesinnung" in der Gesellschaft, das Ausmaß der „Bedrohung" unserer Gesellschaftsordnung von außen und innen und die Rolle, die Soldaten bei-ihrer Abwendung spielen — in der kurzen Geschichte der Bundesrepublik sind die mit diesen Stichworten knapp skizzierten Probleme niemals aus der öffentlichen Diskussion verschwunden. Sie wurden, gewiß heftig (wie in der Mitte der fünfziger Jahre), teils, mehr phlegmatisch (wie in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre) diskutiert — zumeist aber, und diese Feststellung stimmt bedenklich, ohne ausreichende Sachkenntnis und ohne die hartnäckige Geduld, die erforderlich ist, will man so brisante und komplexe Probleme erfolgreich durchleuchten. Woran liegt es, daß in der Bundesrepublik trotz der allgemein akzeptierten Bedeutung des Problem-feldes eine tiefgründige öffentliche Diskussion über strategisch-politische Fragen einerseits und über militärsoziologische Fragen andererseits so schwer nur in Gang kommt?
Betrachten wir in diesem Zusammenhang vor allem den zweiten Komplex: Die deutsche wissenschaftliche Tradition kennt zwar eine Militärhistorie, die z. T. (Delbrück, Ritter) hervorragende Leistungen erbracht hat, zumal wenn sie die militärische in die politische Geschichtsschreibung integrierte. Wer es aber hierzulande wagte, auch soziologische Betrachtungsweisen als relevant anzuerkennen, blieb ein Außenseiter (Kehr, Rosinski). Hinzu kommt, daß die moderne Militärsoziologie eine sehr junge Disziplin ist. Sie wurde vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg und besonders nach dem Korea-Krieg in ihrer Bedeutung für die Streitkräfte von amerikanischen Offizieren erkannt und von diesen (im Interesse ihrer Organisation) gefördert. Zu dieser Zeit war man in der Armee der USA vor allem daran interessiert zu erfahren, wie sich der einzelne Soldat oder eine Gruppe von Soldaten (z. B. die Besatzung eines Bombers) unter extremen Stress-Situationen verhält. Die Folge dieses Interesses war, daß sich die Militärsoziologie in den fünfziger Jahren vor allem mit sozialen Prozessen in kleinen Gruppen beschäftigte.
Abbildung 7
Ja, ich wäre für die Einführung eines Mindestalters Ja, es sollte der Nachweis erbracht werden, daß die materiellen Voraussetzungen für die Eheschließung vorliegen Ja, eine Heiratsgenehmigung sollte vom Ruf der Braut und ihrer Familie abhängig gemacht werden Ja, sonstige Voraussetzungen müßten erfüllt sein (vor allem Abschluß der Offizierausbildung o. ä.)
Nein, ich bin gegen jede Beschränkung Frage: „Im Gegensatz zur früheren Wehrmacht gibt es in der Bundeswehr keine Heiratsordnung. Würden Sie die Wiedeﯼ喈ࡐ劈ޫ?
Ja, ich wäre für die Einführung eines Mindestalters Ja, es sollte der Nachweis erbracht werden, daß die materiellen Voraussetzungen für die Eheschließung vorliegen Ja, eine Heiratsgenehmigung sollte vom Ruf der Braut und ihrer Familie abhängig gemacht werden Ja, sonstige Voraussetzungen müßten erfüllt sein (vor allem Abschluß der Offizierausbildung o. ä.)
Nein, ich bin gegen jede Beschränkung Frage: „Im Gegensatz zur früheren Wehrmacht gibt es in der Bundeswehr keine Heiratsordnung. Würden Sie die Wiedeﯼ喈ࡐ劈ޫ?
Militärsoziologie war (und ist) also zu einem großen Teil militärische Auftragsforschung — eine Tatsache, die gewiß ihre Ergebnisse nicht unbeeinflußt läßt, wenngleich auf der anderen Seite der etwas grobe Vorwurf zurückgewiesen werden muß, daß schon allein wegen dieses Tatbestandes die Ergebnisse disqualifiziert seien. Das Erkenntnisinteresse des Auftraggebers und die Zielrichtung der Wissenschaft können oft auf schwer vorhersehbare Weise zusammengehen — pointiert gesagt: auch Militärsoziologie kann Friedensforschung sein. Sie kann es zumal, wenn man an die Ausweitung des Forschungshorizontes der Militärsoziologie der letzten 15 Jahre denkt. Hier sind — ebenfalls nach Anregungen aus den USA — makrosoziologische Fragestellungen immer gewichtiger geworden. Beispielsweise: Welche Rolle spielt das Militär im politischen Prozeß einer Gesellschaft? Wie ist das Militär in die Zivilgesellschaft integriert? Welche spezifischen Norm-und Wertvorstellungen des Militärs widersprechen dem Kanon demokratischer Vorstellungen und wie kann man das ändern? Für Fragen dieser Art ist es wichtig, eine Methode der vergleichenden Analyse zu entwickeln, die nicht nur existierende Gesellschaften untersucht, sondern auch historische Veränderungen in einzelnen dieser Gesellschaften zu erfassen weiß. Dieser Anspruch ist nicht gering, und mit ein Grund für die erstaunliche Tatsache eines Mangels an umfangreichen Un-tersuchungen zur Problematik des Verhältnisses Militär/Zivilgesellschaft ist sicherlich das Erfordernis der Verknüpfung historischer und sozialwissenschaftlicher Ansätze. Nun ist zwar die Politikwissenschaft in der Bundesrepublik nach 1945 in erster Linie ein (wenig geliebtes) Kind der Geschichtswissenschaft. Aber das „Problem der Naht", das nicht nur in der militärischen Taktik eine oft verhängnisvolle Rolle spielt, sondern auch in der deutschen Wissenschaftsorganisation, hat es mit sich gebracht, daß sich nicht selten zwischen den einzelnen Disziplinen ein breites Niemandsland erstreckt, für das keiner sich zuständig fühlt.
Die umfassenderen Ansätze der modernen Militärsoziologie sind jedenfalls in der Bundesrepublik kaum rezipiert worden. Und Studien über das deutsche Militär in Vergangenheit und Gegenwart, so wertvoll eine wachsende Zahl von Neuerscheinungen auch sein mag, haben kaum jemals den Versuch unternommen, die behandelten Themen dahingehend zu untersuchen, inwieweit die Stellung der Streitkräfte in Gesellschaft und Staat von der jeweiligen historischen Situation oder von bestimmten, kaum veränderten Strukturmustern im Selbst-und Umweltverständnis der Militärs bestimmt wurde und welche Wechselwirkung zwischen beidem besteht.
Die vorliegende Studie vermag auf diese Fragen keineswegs eine auch nur annähernd erschöpfende Auskunft zu geben. Wenn es ihr jedoch gelingt, die Umrisse und das Gewicht 2 einiger mit der grundsätzlichen Fragestellung verbundener Probleme deutlicher zu machen, könnte sie durchaus nützlich sein, und zwar sowohl für die Bemühungen um eine exaktere Bestandsaufnahme belastender und nachahmenswerter Traditionen für die Bundeswehr als auch für alle Bestrebungen, das Verhältnis zwischen einer hochindustrialisierten Gesellschaft und ihren Streitkräften theoretisch in den Griff zu bekommen.
Weil es um die Friktionen zwischen dem Normensystem einer Armee und der sie umgebenden demokratischen Gesellschaft geht, ist hier bewußt der Vergleich Reichswehr-Bundeswehr gewählt worden, obwohl einige Beobachter mit Redit angemerkt haben, daß „Selbstund Fremdeinschätzung der Bundeswehr ... wesentlich von ihrem Verhältnis zur Wehrmacht und nicht von ihrem Verhältnis zur Reichswehr und zur kaiserlichen Armee reguliert [werden], weil nur die Wehrmacht unter der Anklage steht, einer totalitären Herrschaft als williges Instrument gedient zu haben .. ." S. In der Tat: die Affinität von militärischem Denken und Nationalsozialismus wird keineswegs bestritten, vielmehr vorausgesetzt; nach den wichtigen Arbeiten von Messerschmidt und Müller dürfte es auch dem Engagiertesten schwerfallen, sie grundsätzlich zurückzuweisen. Allerdings ist ja gerade der Prozeß des Hineingleitens von einer (noch) demokratischen Gesellschaft in den Faschismus das Erschreckende und Bedrohliche. Es bedarf also einer Untersuchung dieses Vorgangs und der ihn vorantreibenden Kräfte, um Klarheit über die angesprochenen Gefahren zu erhalten. Militarismus und militärisches Denken erwiesen sich im Deutschland der letzten hundert Jahre besonders drastisch als ein Hemmnis für die Entwicklung demokratischer Verhaltensweisen und Gesellschaftsstrukturen. Die wirksame Kontrolle des Militärs durch Institutionen der Zivilgesellschaft gehört deshalb zu ihren wich- tigsten Aufgaben, will sie ihrem demokratischen Selbstverständnis gerecht werden. Das Problem des Verhältnisses von Nationalsozialismus und Wehrmacht stellt sich in diesem Zusammenhang also nur als ein Negativ-Problem dar: es darf nicht verdrängt und vergessen werden, sondern bleibt immer, auch unausgesprochen, mit einbezogen in die Diskussion und Wertung von Lösungen.
Damit ist aber auch ein anderer Ansatz in den Hintergrund gedrängt worden, der nach einer möglichen Kontinuität oder nach den Bruchstellen in der Entwicklung des deutschen militärischen Denkens der letzten hundert Jahre fragt. Einige neuere Strömungen in der nicht-marxistischen Zeitgeschichte und Politischen Wissenschaft (verbunden etwa mit den Namen Fritz Fischer, H. -U. Wehler, Andreas Hillgruber, Hans-Adolf Jacobsen, Karl Dietrich Bracher u. a.) haben von diesem Ansatz aus die deutsche Innen-und Außenpolitik zu untersuchen begonnen. Und obgleich ihre Arbeiten nur einen Anfang darstellen können, zeigte das nachhaltige Echo darauf, wie groß das Bedürfnis in der Bundesrepublik geworden ist, die eigenen politischen und sozialen Grundlagen auf Elemente einer liberal-demokratischen Tradition zurückzuführen, die nur allzu schwach in der jüngsten Vergangenheit zu finden sind. Die Frage nach der Kontinuität taucht aber auch hier implizit immer wieder auf. Man könnte die vorliegende Arbeit auch als eine Vorstudie für eine umfassendere von diesem Ansatz ausgehende Untersuchung ansehen.
Man kann, ohne allzusehr zu vergröbern, die Aufgabe der Integration von Streitkräften in die Gesellschaft dahingehend interpretieren, daß man nach der Wirkung der gesellschaftlichen Kontrollen des militärischen Denkens fragt. Vermag eine Gesellschaft militärische Denk-und Verhaltensweisen, militärische Wert-und Normvorstellungen nicht zu absorbieren, d. h. auf den militärischen Bereich innerhalb der Streitkräfte einzudämmen, droht sie, dem Militarismus anheimzufallen.
Militarismus als Folgeerscheinung mißlungener Integration der Streitkräfte in die Gesellschaft und als Vorherrschen militärisch-kriegerischer Prinzipien in Staat, Gesellschaft und Politik war sicherlich ein beherrschender Zug der Wilhelminischen Gesellschaft. Jedoch versperrt man sich den Blick für das eigentliche Phänomen, wenn man nur dort Militarismus konstatiert, wo er gewissermaßen schon zum Strukturprinzip der gesamten Zivilgesellschaft geworden ist
Eine sehr scharfsinnige Definition des Begriffes hat — mit Blick auf das deutsche Kaiserreich — Eckart Kehr formuliert: „Militarismus besteht: 1. wo ein Stand von Offizieren vorhanden ist, die sich nicht als Militärtechniker, als Funktionäre des ihnen übergeordneten politischen Willens fühlen, und ihren Militärberuf nicht als eine Dienstbeschäftigung auffassen, nach deren Erledigung sie Staatsbürger wie alle übrigen im Dienst-und Angestelltenverhältnis befindlichen Angehörigen der Nation sind, sondern wo diese Offiziere ihren Beruf als den eines . Kriegerstandes'begreifen, der eigene Ehre, eigenes Recht, eigene Gesinnung fordert, wo diese Auffassung des militärischen Berufes als eine der bürgerlichen Gesittung überlegene höherwertige Lebensform anerkannt wird, und 2. wo diese Einschätzung des Militärs freiwillig von einem wesentlichen Teil des Bürgertums bejaht wird und eine Unterordnung unter diesen Militärstand willig vollzogen wird ..." Für Kehr war der Militarismus im Kaiserreich eng mit der Frontstellung der kapitalistischen Gesellschaft in Preußen nach dem Aufkommen des Industrieproletariats verbunden. Seine Begriffsbeschreibung verallgemeinert eine historische Entwicklung: korrekt, wie anzumerken ist, denn auch moderne soziologische Definitionen gehen darüber nicht hinaus. Militarismus, bezogen auf die Handlungen von Menschen, bedeutet hier die „Übertragung . soldatischer'Verhaltensweisen auf . zivile'Interaktionen und Entscheidungsprozesse"
Nicht immer, aber oft geht mit der Popularisierung eines Begriffs auch sein Verschleiß einher. Militarismus ist, was die Verwendung des Wortes im wissenschaftlichen Bereich so erschwert, zu einem Kampfbegriff in der politischen Auseinandersetzung geworden. Diese Tatsache allein soll keineswegs beklagt werden, ist es doch im Gegenteil erfreulich, daß die politische Diskussion auch solche Gegenstände mit einbezieht. Auf der anderen Seite ist aber mit diesem Vorgang der Popularisierung die immer schon vorhandene Schwäche des Begriffs stärker akzentuiert worden. Militarismus erscheint nämlich mehr und mehr als in sich geschlossene, ihrer selbst bewußte Ideologie, die er auch sein kann (zum Beispiel zur Zeit des Nationalsozialismus), aber nicht immer ist. Nicht erst in dieser Form gibt es Militarismus, und hat er sie erreicht, steht es meist schon ziemlich schlecht um die Möglichkeiten der zivilen Kontrolle. Die Feststellung von Wildenmann, wonach in der Bundesrepublik nicht die Gefahr eines Militarismus als Sozial-verhalten, sondern einer tendenziellen Abkapselung des Militärs von Staat und Gesellschaft besteht, weist auf eine ganz andere Form von Militarismus hin
Der Begriff der Integration bedeutet nämlich, bezogen auf unser Problem, die Kontrolle des Militärs und seiner sozialen Werte und Verhaltensweisen durch die zivile Gesellschaft Diese Kontrolle ist gewiß nicht dann gesichert, wenn, wie es oft als erwünscht hingestellt (und z. B. für die Bundeswehr als erreicht proklamiert) wird, die Armee ein „Spiegelbild“ der Gesellschaft ist. Sie ist es erst dann, wenn die „zivile Kontrolle" das „militärische Denken" in seine Schranken weisen kann, und zwar nicht etwa so, daß es die Soldaten und ihre Führungsschicht als „Instrumente“ der Gesellschaft disqualifiziert, sondern indem es erreicht, daß die überwiegende Mehrheit der Soldaten (und zumal der Offiziere) neben ihren militärischen Berufsnormen auch die grundsätzlichen demokratischen Werte und Verhaltensnormen der zivilen Gesellschaft internalisiert haben. Nichts anderes ist mit dem vielfach mißverstandenen Konzept vom „Staatsbürger in Uniform“ gemeint — die Tatsache des Mißverstehens, ja manchmal sogar seiner Diskriminierung bezeugen, daß von einer endgültigen Überwindung des Militarismus keine Rede sein kann.
Das Integrationsproblem läßt sich also in die Frage umformulieren, ob im Verhältnis Militär-Gesellschaft die zivile Kontrolle oder das militärische Denken den Primat besitzen. Unter dem Begriff des militärischen Denkens sollen hier alle Wertvorstellungen und Verhaltensweisen verstanden werden, die dem Beruf des Soldaten in seinem Selbstverständnis Profil geben.
Die Stellung der Armee in Staat und Gesellschaft ist sowohl in der Weimarer Republik wie in der Bundesrepublik weitgehend bereits durch die historische Konstellation der jeweiligen Gründungszeit bestimmt worden. Obwohl, streng gesprochen, von einer Gründung der Reichswehr nicht die Rede sein kann, weil die Armee des Ersten Weltkriegs, zwar gedemütigt durch das dann aber doch wieder sehr schnell verdrängte Bewußtsein der Niederlage und quantitativ und qualitativ bald durch die Bestimmungen des Versailler Vertrages reduziert, ihren Kern in die Reichswehr retten konnte: ihren Kem an Offizieren und an monarchistischem Gedankengut
Die Schwäche der neuen parlamentarisdien Republik wurde in den ersten Monaten schon zur Stärke der Reichswehr: „In der Reihe der nicht sehr tragfähigen Kompromisse und Notlösungen, aus denen die neue Ordnung ... erwuchs, hat die Zusammenarbeit der neuen Machthaber mit der alten Armeeführung und ihrem Offizierkorps nicht zuletzt deshalb einen besonders gewichtigen Platz, well sie das schwer getroffene Selbstbewußtsein des Offizierkorps im doppelten Sinne wieder aufrichtete: durch den Anspruch auf die führende Rolle der Armee bei der Rettung Deutschlands vor dem Chaos und dem Bolschewismus, und durch die fürderhin mit allem Nachdruck gepflegte und gehütete Auffassung von der Gleichberechtigung, der Autonomie der Reichs-wehr einem Staat gegenüber, der sie als unentbehrlichen Bündnispartner zugleich in ihrer angeblich unpolitischen, überdemokratischen, jedenfalls vorrepublikanischen Selbständigkeit anerkannt hatte." Die Geburtshilfe, welche die kaiserliche Armee, die besiegt war, und zwar „im Felde" und keineswegs durch einen „Dolchstoß in ihren Rücken", der Republik gewährte, wurde schnell zu dem Mythos von der politischen Neutralität der Reichswehr. Auch die Politiker übersahen mit wenigen Ausnahmen, daß dieser Akt der Hilfe, wie es bei dergleichen Operationen öfters vorzukommen pflegt, das Neugeborene auch nachhaltig schädigte. Die politische Einordnung der Reichswehr in den demokratischen Staat gelang nicht. Es ist gewiß nicht richtig, wenn man das Verhältnis von Armee und Staat, die Terminologie der Sonder-Ideologie der Militärs übernehmend, als „neutral" bezeichnet, weil in ihm, was die Offiziere betrifft, „die Bewahrung der Reichsautorität vor dem Bekenntnis zur Republik rangierte". Denn aus der Einsicht, daß die Wehrordnung einer Gesellschaft ihrer politischen nachgeordnet ist, folgt zwingend, daß eine Neutralität der militärischen Führer ihr gegenüber einzig deren Identifikation (bewußt oder unbewußt, verschwiegen oder ausgesprochen) mit einer anderen politischen Ordnung bedeutet. Allerdings folgt aus dieser Einsicht auch, daß man bei der Feststellung von mißlungener Integration von Armee und Gesellschaft keineswegs in erster Linie auf die Offiziere als „Schuldige" für diesen Umstand verweisen kann, genauso, wie man umgekehrt etwa die Soldaten nicht davon entbinden kann, auch bei perfektester ziviler Kontrolle nicht nur deren Instrumente zu sein, sondern sich auch über deren Legitimität Gedanken zu machen
Die Reichswehr war, wie es ein metaphernreieher Beobachter formuliert hat, nicht nur der Fels, an dem sich die inneren Unruhen brachen, auf den sich die Republik stützte und auf dem die Einheit des Reiches gegenüber allen sezessionistischen Kräften beruhte, sondern sie war auch die Klippe, die einer gesunden Entwicklung zu demokratischem Leben im Wege lag
Wie nachdrücklich die Ideologie der Reichs-autorität vor dem Bekenntnis zur Republik rangierte und es — deutlicher ausgesprochen— bald ganz verdrängt hatte, zeigt eine kurze Charakterisierung des langjährigen Wehrministers der Republik, Gessler. Kann noch Vizeadmiral a. D. Ruge in schönem Euphemismus behaupten: „Gessler verstand es, den Chef der Heeresleitung und der Marineleitung weitgehend freie Hand innerhalb ihres Bereiches zu geben“ so muß Manfred Messerschmidt lapidar, Ruges Aussage sozusagen übersetzend, feststellen: „Die Forderung, daß das Offizierkorps die Republik bejahen müsse, hat er (Gessler] im Zusammenhang mit der Offizierauswahl nicht gestellt.“ Das scheinbar überspitzte, scheinbar boshafte Urteil der . Frankfurter Zeitung'beim Abgang von Otto Gessler hat sich als richtig erwiesen: „Er ließ sich von seinen uniformierten Herren einreden, republikanische Offiziere seien Leute, die den Mantel nch dem Winde hängten, solche, die nicht zugeben wollten, daß sie sachlich unzulänglich waren, und die nun, im besten Fall sich selbst täuschend, als Opfer ihrer Gesinnung zu erscheinen suchten. ... Gessler holte keine Republikaner in die Reichswehr zurück. Was schlimmer war: er ließ zu, daß die meisten noch vorhandenen Republikaner entfernt wurden, und mancherorts auch noch ganz unpolitische Persönlichkeiten, nur weil sie dem monarchistisch-reaktionären Geiste ihrer Umgebung sich fernhielten." Hier ist anzumerken, daß fast zu jeder Zeit ihres Bestehens das Angebot an Offizier-Bewerbern die Nachfrage der Reichswehr weit überschritt, so daß eine nach exakt definierten Kriterien stattfindende Auswahl des Nachwuchses möglich war
Man kann die Schuld für dieses Versagen der Zivilgesellschaft keineswegs allein der Sozialdemokratischen Partei zuschieben, die mit Noske den ersten Wehrminister der Republik stellte. Zwar war das Verhältnis dieser Partei zur Reichswehr schon aus historischen Gründen problematisch, wurde durch das Bündnis zwischen Ebert und Groener noch zwiespältiger und blieb bis zum Ende der Republik höchst distanziert. Aber nicht diese Distanz erwies sich als verhängnisvoll, sondern die Unfähigkeit, sie dadurch fruchtbar werden zu lassen, daß man die Armee republikanisch machte. Dies wurde zwar immer proklamiert aber dabei blieb es, wie so oft bei dieser Partei.
Von anderer Seite wurden jedoch nicht einmal solche verbalen Bekundungen laut: Sieht man einmal von den Rechtsparteien ab, die sich sowieso nicht an das demokratische System von Weimar gebunden fühlten, so resignierten auch bald jene Kräfte, die es mehr oder weniger überzeugt stützen wollten. Der Reichstag insgesamt als der Verfassung nach wirkungsvollste Kontrollinstitution der Reichswehr versagte auf diesem Gebiet nachhaltig. Dies mit „Unsicherheit und falscher'Rücksichtnahme" (Wohlfeil) zu erklären, ist nicht falsch, sagt aber wenig aus. Die Frage bleibt, warum die Staats-Ideologie der Reichswehr, mit der man jede kritische Äußerung über sie als Mangel an Vaterlandsliebe oder gar als Landesverrat diskriminieren konnte, von der Gesellschaft nicht wirksam zurückgewisen wurde.
Die Rolle der Bundeswehr in Staat und Gesellschaft ist von vornherein in einem völlig anderen Rahmen konzipiert worden. Die Niederlage des Dritten Reiches hatte, so schien es zunächst, mit der Ablösung des Faschismus als Organisationsideologie der Gesellschaft auch eine völlige Umstrukturierung des Sozial-gefüges in Deutschland mit sich gebracht. Von allen führenden Schichten des Dritten Reiches waren insbesondere die Offiziere wegen der Nähe ihrer Wehrvorstellungen zu einigen wesentlichen Ideologemen des Nationalsozialismus und wegen ihrer fast ausnahmslosen Loyalität der Staatsführung gegenüber moralisch so belastet, daß, zusammen mit der weit-verbreiteten Verwechslung des Wunsches, es möge nie wieder Krieg geben, mit dem festen Glauben, es werde nie wieder Krieg und Soldaten geben (zumindest jedoch keine deutschen Soldaten), der Beruf des Offiziers zunächst brüsk abgelehnt wurde. Das Militär galt im Deutschland der ersten vier bis fünf Nachkriegsjahre als eines der Symbole für all das, was als unerfreuliche Vergangenheit vergessen, verdrängt, „bewältigt" werden sollte. Im Gegensatz zu vielen anderen Berufen und Schichten, die auf weniger spektakuläre, aber kaum weniger wirksame Weise den Nationalsozialismus unterstützt hatten (man denke an die Richter, an die Beamten, an „Industriekreise"), wurde den Militärs die Existenzgrundlage zunächst entzogen. Man hat in den zahlreichen, sich nicht immer ausreichend um eine ausgewogene Darstellung bemühenden Beschreibungen der Wiederaufrüstung der Bundesrepublik die Zwiespältigkeit dieser ersten Jahre in bezug auf eine vernünftige und gerechte Antwort auf die Frage nach der Art der Beteiligung der Wehrmacht an den „Erfolgen" und an dem Zusammenbruch des Dritten Reiches nur selten richtig gesehen.
Ein Vergleich mit der Situation nach 1918 macht zunächst einmal deutlich, daß es sich hier, soziologisch betrachtet, um einen viel tieferen Bruch mit der unmittelbaren Vergangenheit handelt, als es zu einer Zeit der Fall war, wo man die Umformung der Monarchie in eine Republik je nach politischem Standort mit Mißbehagen oder voll Zuversicht oder als „deutsche Revolution" bezeichnete. Auf der anderen Seite ist er aber lange nidit so tief, daß man aus dem soldatenlosen Intervall 1945— 1955 schließen könnte, jegliche Verbindungslinie in wichtigen technischen und ideologischen Fragen zur Vergangenheit sei gekappt worden. Zu unsicher war dazu die politische Situation nach 1945, zu deutlich auch machten sich auf anderen Sektoren Bestrebungen bemerkbar, die als restaurativ zu bezeichnen nicht unschicklich ist. Vor allem aber: das Auseinanderfallen der Anti-Hitler-Koalition und das schnelle Aufkeimen des Ost-West-Konflikts mit seinen Auswirkungen auf die deutschen Besatzungszonen ließen die früheren euphorischen Bekenntnisse zum Pazifismus, die deutschen Politikern leicht vom Munde gingen, als voreilig erscheinen. Dem Unwillen der deutschen Bevölkerung gegenüber der Vorstellung, es müsse in dieser globalen Auseinandersetzung unter Umständen auch mit Waffen für die eine oder andere Seite Partei ergreifen, stand der Drude der Alliierten gegenüber, die eben dies forderten.
Zu jener Zeit, sejt 1950 etwa, begannen in der Bundesrepublik jene ideologischen Remilitarisierungskampagnen seitens der Bundesregierung, die sich zunächst vorwiegend an die zahlreichen Soldatenverbände wandten und dabei nicht immer formal und inhaltlich ganz glücklich geführt wurden Sogar eine so liberale Publizistin wie Marion Gräfin Dönhoff konstatierte angesichts dieser Versuche einen „gewissen Zynismus“ Tatsächlich verliefen mehrere Entwicklungsstränge durcheinander: Die Zeit drängte derart, daß etwa gleichzeitig mit dem Beginn der intensiveren Vorbereitung der Aufrüstung in Westdeutschland, nämlich 1949, auch das „Alliierte Sicherheitsamt zur Überwachung der Entmilitarisierung in Westdeutschland" mit dem Auftrag, die „Wiedergeburt eines deutschen Kriegs-potentials" zu verhindern, seine Arbeit aufnahm
Für das Selbstverständnis der Offiziere bedeutete diese politische Entwicklung so etwas wie ein Wechselbad. Die pauschale Verurteilung — viel zu pauschal, um gerecht zu sein, damit aber auch im eigentlichen Sinne unwirksam — wurde zwar schrittweise, aber doch viel schneller, als zunächst zu erwarten war, ersetzt durch Bekundungen alliierter und nationaler Wertschätzung und schließlich durch das Eingeständnis der politischen Führung in der Bundesrepublik, daß man das alte Offizierkorps (und bis zu einem gewissen Grade auch das Unteroffizierkorps) für den Aufbau der neuen Armee nötig habe.
Die Zwiespältigkeit dieses Prozesses liegt nun keineswegs in der Tatsache begründet, daß man einmal gefällte Urteile über einen Berufsstand revidierte. Ganz im Gegenteil: Eine Revision der pauschalen Verdammung des Offizierkorps war früher oder später sowieso notwendig und zu erwarten. Statt einer ruhigeren, abgewogeneren Diskussion über dieses Thema folgten ihr aber die werbenden Bemühungen der Bundesregierung; kein Wunder, daß eine Fülle von Selbstrechtfertigungen und Entlastungsschriften, „Persilmemoiren" und pseudohistorischer Enthüllungen über die pauschale Unschuld der Wehrmacht, abzüglich einer Reihe von wenigen Überläufern (Keitel, Jodl), die man nun beim besten Willen nicht reinwaschen konnte, die öffentliche Diskussion zu beherrschen begann. Viele Offiziere jedenfalls erlagen der Verlockung, über die verlorenen Siege des Zweiten Weltkriegs mit der träumerischen Verbitterung von Menschen zu reflektieren, die es ihrer Meinung nach schon immer besser gewußt und gemacht hätten, wenn man sie nur hätte gewähren lassen.
War durch diese ideelle Konstellation ein starker Sog der Vergangenheit bei der Gründung der Bundeswehr gleichsam mit-institutionalisiert worden, so wirkte ihm auf der Ebene der Verfassung und der Gesetzestexte eine ganze Reihe von Willensäußerungen des Gesetzgebers und der Bundesregierung entgegen. In der Tat wird man die Wehrgesetzgebung der Bundesrepublik, auch wenn man der einmal eingeschlagenen Richtung der Politik in der Ära Adenauer mit Vorbehalten gegenüber steht, als eine bemerkenswerte Leistung zu würdigen wissen. Hier hatte man, einmal wegen der starken, politisch auch virulenten Skepsis breiter Kreise der Bevölkerung der Wiederaufrüstung gegenüber, der man mit einem großen Maß an institutionalisierter politischer (sprich: demokratischer) Kontrolle der Streitkräfte entsprechen wollte, dann aber auch aufgrund einiger Lehren aus der Zeit der Weimarer Republik, in der einmal Seeckt, dann Hindenburg einen ganz überproportionalen Einfluß auf die Armee nehmen konnten, mit beträchtlichem Erfolg versucht, eine Kluft zwischen dem Staatsbürger und dem Staatsbürger in Uniform von vornherein möglichst eng zu halten. „Beim Aufbau der Bundeswehr war es die Aufgabe des Gesetzgebers, die Einordnung der Bundeswehr in die Staatsorganisation der Bundesrepublik zu ermöglichen und die Rechtsstellung des einzelnen Soldaten so zu gestalten, daß sie den Vorstellungen des Grundgesetzes entsprach." Eine Reihe von Gesetzen sollte diese Aufgabe erfüllen:
— das Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 19. März 1956, — das Gesetz über die Rechtsstellung der Soldaten (Soldatengesetz) vom 19. März 1956, — das Wehrpflichtgesetz vom 21. Juli 1956, — die Wehrbeschwerdeordnung vom 23. Dezember 1956, — die Wehrdisziplinarordnung vom 15. März 1957, — das Gesetz über den Wehrbeauftragten vom 26. Juni 1957.
Hinzu kamen noch eine Reihe von Laufbahn-verordnungen und anderen Richtlinien
Die Diskussionen um eine Wiederaufrüstung in Westdeutschland gingen fast alle davon aus, daß eine neue Form für die Streitkräfte gefunden werden müßte, in welcher militärische Gesichtspunkte den politischen von vornherein nachgeordnet sind. Dafür besaß man zwar Richtpunkte, nämlich die Wehrverfassungen anderer westlicher Staaten, jedoch konnten diese nur beschränkt als Vorbild dienen, weil eine Wehrverfassung gewiß mehr ist als ein Geflecht juristischer Sätze, beliebig anwendbar auf jedwede Gesellschaft. In den USA z. B., wo erst nach dem Ersten Weltkrieg die Frage eines großen stehenden Heeres akut wurde, hat allein der Kongreß das Recht, Streitkräfte aufzustellen und zu unterhalten (sieht man einmal von den Milizen der Einzelstaaten ab). Auch darf er allein den Krieg erklären. Der militärische Oberbefehl liegt beim Präsidenten, der oft genug in der Geschichte der USA die Armee ohne Zustimmung des Kongresses einsetzte, indem er schlicht auf Kriegserklärungen verzichtete.
Gerade diese letzte Bestimmung zeigt, wie wenig eine schematische Übersicht bei diesem Problem zu bieten vermag. In der Bundesrepublik wollte man gerade vermeiden, daß der Oberbefehl in die Hände des Bundespräsidenten oder des Kanzlers gelangte — eingedenk auch der Erfahrungen in der Zeit der Weimarer Republik Nach vielen Überlegungen wurde die Lösung akzeptiert, den Begriff „militärischer Oberbefehl" verschwinden zu lassen. Die Befehls-und Kommandogewalt liegt nun in Friedenszeiten beim Bundesminister der Verteidigung, im Kriegsfall beim Kanzler.
Dieser Punkt gehört ganz gewiß nicht zu den zentralsten der westdeutschen Wehrverfassung, aber seine Behandlung macht doch deutlich, wie groß die Schwierigkeiten waren, die bei der Schaffung der neuen Wehrgesetze bestanden. Die umfangreichste dieser Schwierigkeiten resultierte aus der Aufgabe, die Wehrgesetzgebung so zu gestalten, daß sie ein Optimum an militärischer Effizienz mit der Sicherung des absoluten Vorrangs der politischen vorder militärischen Führung verband, sowie eine wirksame parlamentarische Kontrolle über die Exekutive garantierte, „in deren Hand mit der Befehlsgewalt über die Streitkräfte eine Machtfülle von einem 1949 noch nicht vorhersehbaren Umfang vereinigt wurde" Wie wurde dieses Programm verwirklicht! Weil in der modernen Demokratie das klassische Recht des Parlaments, die Kontrolle des Haushalts, erheblich an Bedeutung eingebüßt hat, mußten besondere Regelungen geschaffen werden, um die zivile Kontrolle des Pariaments über die Streitkräfte zu verankern. Aus diesem Grunde wurde der Verteidigungsausschuß ins Leben gerufen, der mehr Rechte besitzt als — mit einer Ausnahme — alle ande ren Ausschüsse des Bundestages: seine Existenz ist im Grundgesetz erwähnt, er soll auch in Interregnums-Zeiten Sitzungen abhalten können, er darf sich auf Antrag einer Minderheit die Rechte eines Untersuchungsausschus.ses zusprechen.
Wenn wir einen Augenblick die Beschreibung der Institutionen der zivilen Kontrolle unterbrechen und nach der Wirksamkeit all jener so sinnreich erdachten Kontrollmöglichkeiten fragen, müssen wir nun allerdings eine erhebliehe Verdunkelung des Ausblicks in Kauf nehmen. In einer geschickt angelegten empirischen Studie gelangt Heribert Schatz zu dem Ergebnis, daß die Kontrollfunktion des Bundestages gerade in Wehrfragen wenig bewirkt, weil (milde ausgedrückt) die Fraktions-Hierarchien und der kaum zu überschätzende Informationsvorsprung des Ministeriums und seiner Angehörigen nur unzureichende Voraussetzungen dafür sind
Seit dem Bestehen der Bundeswehr ist eine ihrer Kontroll-Institutionen ganz besonders oft in das Kreuzfeuer gegenteiliger Meinungen geraten: das Amt des 'Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages. Vorgeschlagen nach dem schwedischen Vorbild des Ombudsmans von einem Bundestagsabgeordneten der damals in der Opposition befindlichen Sozialdemokratischen Partei, sollte der Wehrbeauftragte zum Schutz der Grundrechte und als Hilfsorgan des Bundestages bei der Ausübung der parlamentarischen Kontrolle tätig werden. Am 19. Februar 1959 wurde mit Helmuth von Grolman der erste Wehrbeauftragte vom Bundestag gewählt. Sein rühriger Nachfolger wurde Vizeadmiral a. D. Heye, in dessen Amtsperiode zu Beginn der sechziger Jahre ein kurzer Aufschwung in der Geschichte des Amtes fällt, der mit der zu Unrecht so benannten und auf seine Kosten ausgetragenen „Affäre" um Heye 1964 zu Ende ging. Was die Impulse für eine zivile Kontrolle seitens des Wehrbeauftragten seit diesem Skandal um die öffentlichkeitswirksam aufgemachte Kritik Heyes an bestimmten konservativen Entwicklungen in der Bundeswehr angeht, so gilt — leider — das Urteil von Rudolf Wilden-mann: „Die Institution des Wehrbeauftragten ist schließlich vom Bundestag selbst abgewertet worden, nachdem sie vom Ministerium in ihrem Wirkungsbereich noch mehr begrenzt worden ist, als es das Gesetz selbst schon getan hat."
Ein zusammenfassender Überblick über die historischen Prägungen von Reichswehr und Bundeswehr fällt zunächst einmal positiv für die Bundeswehr aus: Ihr war dank der allgemeinen politischen Entwicklung der ersten Jahre nach dem totalen Zusammenbruch von vornherein die Möglichkeit genommen, die Traditionen des aufgehobenen Regimes ungebrochen weiterleben zu lassen. Eine Reihe institutioneller Sicherungen, sehr viel kräftiger konzipiert, als es in der Weimarer Republik der Fall war, sorgte dafür, daß es der militärischen Führung schwierig wurde, ihre Loyalität einem anderen als dem bestehenden politischen System entgegenzubringen.
Die gesellschaftliche Erschütterung nach 1945 hatte den Offizier ein großes Stück seines Sozialprestiges gekostet. Die leistungsorientierte Industriegesellschaft westlichen Typs, wie sie durch die Bundesrepublik verkörpert wird, ist, so gesehen, gegen einen Militarismus immun, der sich nationalistischen Träumen hingibt, deren Irrationalität für jedermann erkennbar ist.
Aber gab es nicht andere Irrationalismen, die das militärische Denken in den fünfziger und sechziger Jahren ermutigten, die, weil sie in den Köpfen auch vieler Politiker spukten, in Teilen der militärischen Führung lebendig waren? Wenn man so fragt, stößt man bald auf die Ideologie des Antikommunismus, die sowohl in der Gesellschaft der Bundesrepublik allgemein als auch innerhalb der Bundeswehr als eine Art Integrationsersatz für ein wegen der Teilung Deutschlands nicht recht tragfähiges Staats-und Nationalbewußtsein diente — zumindest während der fünfziger Jahre und auch wohl noch während des folgenden Jahrzehnts. Es soll in diesem Zusammenhang nicht über die realpolitische Grundlage des Antikommunismus diskutiert werden. Soviel jedoch kann man ohne unzulässige Vergröberung feststel-* len: Die Verteidigungspolitik der Bundesrepublik, ausgehend von der Annahme einer permanenten, niemals nachlassenden und quasi-totalen Bedrohung seitens der Mächte des Warschauer Paktes, begünstigte nachdrücklich einen „unbeabsichtigten“ Militarismus, indem sie — zumindest theoretisch — „den totalen Einsatz des Volkes für die Verteidigung des Landes“ verlangte, über die Problematik dieser Vorstellungen, die man in mehr oder weniger offenen Formulierungen z. B. auch aus dem offiziellen Publikationsorgan der Bundeswehr für die politische Bildung der Soldaten, der monatlich erscheinenden „Information für die Truppe", herauskristallisieren kann, ist viel geschrieben worden
Erst die Politik der Bundesregierung seit 1969 unter dem Kanzler Willy Brandt hat ansatzweise versucht, mittels einer Reihe von Verträgen mit osteuropäischen Staaten und der Sowjetunion die Fixierung auf ein solches Freund-Feind-Schema zu lösen, mit anderen Worten: den Primat militärischen Denkens in der Außenpolitik zu überwinden.
Die Wirksamkeit einer Wehrverfassung hängt nach Rudolf Wildenmann von drei Bedingungen ab: von der Wahrung einer wirksamen zivilen Kontrolle über das Militär seitens des Parlaments und der Regierung; von der Verfassungskonformität der Einstellungen des Offizier-und Unteroffizierkorps; schließlich von der Handlungsfähigkeit der Regierung Alle drei Bedingungen sind in der Weimarer Republik nicht erfüllt gewesen. Nicht zuletzt hier sind also die Ursachen aufzuspüren, die die Institution des Militärs gegen Ende der Weimarer Republik dem Nationalsozialismus so geneigt und damit auch gegen die dann im Dritten Reich vollzogene Gleichschaltung so widerstandslos machte.
Alle drei Voraussetzungen einer funktionierenden Wehrverfassung sind hingegen in der Bundesrepublik ansatzweise erfüllt worden. Die Gefahr einer weitgehenden Solidarisierung der Offiziere und Unteroffiziere mit rechtsextremen politischen Kräften scheint längst nicht so akut zu sein, wie sie es in den 32 zwanziger Jahren war. Und dennoch: die anzutreffende Diskontinuität ist nicht vollständig. Die scheinbar demokratiekonforme Distanz zwischen Bundeswehr und Gesellschaft besitzt auch ihre Schattenseiten. Erkennbar sind sie allerdings nur bei einer genaueren Betrachtung der Institution des Militärs. In der Öffentlichkeit flackerte nur von Zeit zu Zeit eine Diskussion darüber auf. Wenn immer aber das geschah, besonders deutlich im Verlauf der „Heye-Affäre", die nicht zuletzt über die Formulierung des damaligen Wehrbeauftragten entstand, auch die Bundeswehr könne sich unter Umständen zu einem Staat im Staate entwickeln, dann deutete schon die völlig irrationale Heftigkeit und Hektik, mit der sie geführt wurde, auf untergründige Wunden hin.
Das von Heye 1964 in die Debatte geworfene Stichwort „Staat im Staate", von ihm zu einem späteren Zeitpunkt als mißverständlich wieder zurückgenommen, lenkt den Blick auf die Zusammensetzung und das Selbstverständnis der Streitkräfte, präziser: ihres Offizierkorps selbst. Lassen sich anhand von Ausagen über die soziale Zusammensetzung des Offizier-korps Folgerungen über bestimmte Einstellungen und Werthaltungen dieser Bevölkerungsgruppe ziehen?
Die Reichswehr hatte wegen des Überangebots an Offizieren und Unteroffizieren in der Nachkriegszeit keine Rekrutierungsschwierigkeiten: Sie konnte sich ihren Nachwuchs nach Kriterien aussuchen, die von niemandem anders kontrolliert wurden und auf die niemand sonst Einfluß besaß. Nach den vergeblichen Versuchen unter Noske und Reinhardt auch republikanisch gesonnene Soldaten für die Reichswehr zu gewinnen, wurde bald ein Zustand erreicht, den General a. D. Franz von Gaertner in seinen Erinnerungen so beschreibt: „So stammte im Endergebnis der Soldat der Reichswehr überwiegend aus dem national-gesinnten oder konservativ eingestellten Teil des deutschen Volkes, was sein Bild ohne Zweifel mitgeprägt hat." Vorhandenes statistisches Material erhärtet diesen subjektiven Eindruck des ehemaligen Reichswehroffiziers:
Tabelle 1 Die Herkunft der Offiziere: Stand des Vaters
Nach Angaben des „Militär-Wochenblattes“ vom 11. Juli 1930, die offensichtlich auf Materialien aus dem Ministerium basierten, stammten im Jahre 1930 die Generale und Offiziere der Reichswehr aus folgenden Familien:
Großindustrielle, Bankiers, Direktoren, leitende Angestellte der Wirtschaft: 7, 3 °/o; Großgrundbesitzer, Pächter: 5, 3 °/o; Offiziere: 54, 4 %; Höhere Beamte, Intellektuelle, Künstler: 28, 1 °/o; Untere und Mittlere Beamte, Angestellte, Landwirte, Handwerksmeister und selbständige Gewerbetreibende: 4, 5 °/o, Arbeiter: 0, 1 % Im Vergleich zur Reichswehr hat sich der Anteil des Adels im Offizierkorps der Bundeswehr stark reduziert, andererseits ist er dort Tabelle 2 Der Anteil des Adels an der deutschen Generalität — gemessen an der Gesamtgesellschaft — immer noch überrepräsentiert. Das vorliegende statistische Material obwohl es nicht immer nach ganz korrekten Methoden zusammengetragen wurde, unterstützt diese Feststellung. Dabei ist allerdings anzumerken, daß der „Adel“ in der Gesellschaft der Bundesrepublik keineswegs mehr jenen schichten-spezifischen Konservatismus vertritt, wie es wohl noch für die Jahre der Weimarer Repu-Tabelle 3 Soziale Herkunft der Truppenoffiziere in der Bundeswehr blik der Fall war, einfach deswegen, weil mit der Teilung des Landes und der Depossedierung des überwiegenden Teiles der „preußischen Junker" der Adel nicht mehr die Kraft hat, eine in sich kohärente Schicht zu b• ilden.
Insofern weist uns ein Vergleich der Herkunft der Offiziere in der Reichswehr und der Bundeswehr zwar auf einen Faktor hin, der eine Art von Kontinuität zwar symbolisieren mag. Jedoch sollte dies nicht überbewertet werden. Wenn beispielsweise der Anteil von Arbeiter-söhnen unter den Offizieren der Bundeswehr so außergewöhnlich gering ist, so ist das wohl in erster Linie auf das Bildungssystem in der Bundesrepublik zurückzuführen, das in den vergangenen zwei Jahrzehnten Arbeiterkinder eindeutig diskriminiert hat.
III. Das Selbst-und Umweltverständnis des Offizierkorps
Das Offizierkorps in der modernen Gesellschaft kann mit Samuel P. Huntington und Morris Janowitz als ein „Professional body" bezeichnet werden und der Offizierberuf als eine Profession Dieser soziologische Begriff bezeichnet eine Berufsgruppe, deren Mitglieder ein hochspezialisiertes Fachwissen erworben haben und sich dadurch auszeichnen, daß sie ein besonderes Berufsethos entwickeln — und eben auch ein bestimmtes Korps-Bewußtsein. Typische Professionen sind auch der Arzt-und Rechtsanwaltsberuf.
Die Professionalisierung des Offizier-Berufs setzte bereits in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts ein. Offensichtlich ist dieser Prozeß die Konsequenz der schnell wachsenden Kompliziertheit von Waffensystemen und Führungstechniken. Je nach der das Offizier-korps umgebenden zivilen Gesellschaft erweist sich seine Professionalisierung als eine völlig normale Spezialisierung, wie es in unzähligen anderen Berufen der Fall ist, oder als eine potentielle Gefährdung aller Demokratisierungsbestrebungen innerhalb der Gesellschaft. Am einfachsten läßt sich diese These anhand eines Vergleichs des Selbst-und Umweltverständnisses der Offiziere von Reichswehr und Bundeswehr begründen. *
In der Tat wirkte sich das Selbstbewußtsein der Reichswehr ja schädlich für die Autorität der Demokratie und ihrer Repräsentanten aus. Woran lag das und auf welche Weise konnte es zu dieser Konfrontation von soldatischem Eigenbewußtsein (der „Sonderideologie“ der Reichswehr) und dem Anspruch der Verfassung der Republik kommen, wonach die Streitkräfte als Institution einen instrumentalen Charakter besitzen sollten?
Eine erste Antwort ergibt sich, wenn man den Inhalt der nachdrücklichen Versuche des langjährigen Chefs der Heeresleitung und prägenden Organisators der Reichswehr, des Generals von Seeckt, das Berufsethos des Reichswehroffiziers immer wieder neu und nachdrücklich zu formulieren und den Offizieren quasi einzutrichtern, zu bestimmen unternimmt. Am anschaulichsten gibt der Erlaß über die „Grundlagen der Erziehung des Heeres" vom 1. Januar 1921 dieses Bestreben Seeckts wieder Die geistige Einübung überkommener Pflicht kataloge stärkte in einer Zeit allgemeiner Orientierungsschwierigkeiten nicht nur das Korps-Bewußtsein der Offiziere, sondern weckte in ihnen auch ein Elitegefühl, das in Verbindung mit der starken Betonung der Kontinuität von kaiserlicher zu republikanischer Armee von selbst in eine anti-demokratische Richtung drängte — unterstützt von starken zivilen Gruppen in der Gesellschaft. Aus der Sicht eines Beteiligten stellt sich dies so dar: „Durch eine Verfügung des Reichswehrministeriums wurde den Truppenteilen der Reichs-wehr die Pflege der Tradition von Regimentern der alten Armee übertragen, was sich in der Folge sehr positiv ausgewirkt hat. Diese Regelung war an sich nur logisch. Die WeimarerRepublik hatte die Rechtsnachfolge des Kaiser-reiches angetreten und stand vollauf im Verhältnis der Identität und Kontinuität zum Bis marck-Reich. Analog dazu, daß z. B. die Ver waltungs-und Justizbehörden des alten Regimes ihre Aufgaben auch in der Republik weiter erfüllten, hätte auch das alte Heer in verminderter Stärke in das neue Regime überführt werden können. Da es jetzt aber nicht mehr aus Kontingenten der einzelnen Bundesstaaten gebildet werden sollte, war die Lösung in ihrer reinen Form nicht möglich. Um die Kontinuität trotzdem auch hier zu wahren, wurde deshalb jeder Kompanie, Schwadron und Batterie der Reichswehr die Pflege der Tradition eines Regimentes der alten Armee übertragen. Durch die Anknüpfung oder Verbindung ist zunächst den Offizieren und Soldaten des alten Heeres der Entschluß zum Weiterdienen erleichtert worden.“
Traditionsbewußtsein, Elitegefühl und die immer wieder beschworene „Uberparteilichkeit“, die nicht eine Neutralität bedeutete, sondern eine hochmütige Abstinenz von der Teilnahme am Leben dieser republikanischen Weimarer Gesellschaft, all das vermengt mit der Frustration, die der Name „Versailles“ symbolisierte, und einem Bild von Politik und sozialem Leben, das seine Farben dem Sozialdarwinismus entlehnt hatte — diese Ingredienzien eines stark konservativen Weltbildes mußten in ihrer Zusammensetzung um so attraktiver wirken, je grauer und unerfreulicher der politische Alltag der Zivilgesell-
schaft aussah. Seeckt hat immer wieder versucht, das Offizierkorps durch Erziehungsmaßnahmen auch innerlich so homogen wie möglich zu machen. In einer Situation, wo Rekrutierungsprobleme nicht bestanden, ließ sich diese Absicht leicht verwirklichen. Autorität und unbedingter Gehorsam, die Pflicht zur Kameradschaft, Familienehre, einfache Lebensführung, Distanz zu untergebenen Nicht-Offizieren, das waren die sozialen Korsettstangen, die in Seeckts Intentionen dem Offizierkorps der Reichswehr Stütze und Profil geben sollten.
Wegen der völlig veränderten historischen Situation in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg kann von einer ungebrochenen Kontinuität im Selbst-und Umweltverständnis des Offizierkorps offensichtlich nicht gesprochen werden. Und dennoch: Kommt nicht gerade in dem vielzitierten Streit zwi-sehen den . Reformern'und den . Traditionalisten'innerhalb des Offizierkorps der Bundeswehr auch das zur Sprache, was man als den nur oberflächlich unterdrückten Wunsch vieler Offiziere nach der Rückkehr in das soziale Reichswehr-Klima bezeichnen kann? Offiziere, die das ihrem Berufsstand (mit Recht) zugeschriebene Image des Konservativen gern zu einer verbindlichen Norm machen würden haben sich in der kurzen Geschichte der Bundeswehr nachhaltig und nicht eben erfolglos gegen einen Teil dessen gewehrt, was den Sinn der Wehrgesetzgebung ausmachte. Und sie haben sich mit der Argumentation gewehrt, daß die gültige Konzeption der Inneren Führung, des Staatsbürgers in Uniform und der verstärkten zivilen Kontrolle zu wenig soldatische Kontinuität zulasse, ohne die wiederum das Bild des Bundeswehr-Offiziers nicht vollständig gezeichnet werden könnte.
Es kann an dieser Stelle nicht darum gehen, die Kontroverse zwischen den Anhängern Baudissins und den Gegnern seiner Konzeption zu beschreiben und zu analysieren; zu viele Faktoren spielen hier eine Rolle, als daß man sie auch auf die Fragestellung Kontinuität ja oder nein? projizieren könnte, ohne daß wesentliche ihrer Komponenten unberücksichtigt blieben. Denn es geht dabei um die gesamte Skala strategischer und organisationssoziologischer, politischer und philosophischer Bezugspunkte für eine Neubestimmung des Bildes vom Soldaten, speziell des Offiziers der Bundeswehr
Ein kurzer Blick auf das Selbst-und Umwelt-verständnis der Offiziere der Bundeswehr ist auch deshalb so schwierig, weil die noch innerhalb der Reichswehr vorhandene, in der Wehrmacht bereits (wenn auch aus anderen Gründen) zerbröckelnde Homogenität des Offizier-korps keineswegs mehr konstatiert werden kann. Dennoch versucht eine Reihe von Offizieren, und es gehören nicht nur ältere dazu, das Image ihres Berufs nach Kriterien zu bilden, die der Tradition der Reichswehr entstammen. Im allgemeinen kommen ihre Kontinuitätswünsche in folgenden Voten zum Ausdruck:
— die verstärkte zivile Kontrolle wird als diskriminierend abgelehnt; der Offizier als der seine ganze Persönlichkeit einsetzende Staatsdiener bedarf einer solchen Kontrolle nicht;
— der Offizierberuf ist ein Beruf sui generis, dessen Angehörige wegen der damit verbundenen potentiellen Todesgefahr im Dienst für das Vaterland zur Elite der Nation gehören;
— der Offizierstand besitzt ein eigenes Ehrbewußtsein, das anders als bei anderen Professionen nicht nur die Berufssphäre umfaßt, sondern das gesamte persönliche Leben.
Man könnte diesen Katalog der Kontinuitätswünsche um zahlreiche Punkte verlängern. Eine umfangreiche Untersuchung von Wido Mosen, die leider nicht immer den Blick für die richtigen Proportionen besitzt, hat anhand von empirischem Material nachweisen wollen, daß ein festzustellender hoher Grad von sozial und ökonomisch determiniertem elitären Bewußtsein von Bundeswehrsoldaten Indikator sei „entweder der fehlenden , nur‘ sozialen Eingliederung der Bundeswehr in die Gesamtgesellschaft jenseits aller spezifisch politischen Intentionen des Militärs oder der mangelnden sozialen Integration der Bundeswehr-soldaten in die zivile, normativ-demokratische Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland und der ausbleibenden politischen Führung durch die Militärs“ Diese These ist gewiß überspitzt formuliert, Mosens Beweisführung zu ihren Gunsten überzeugt nicht durchgängig. Aber damit ist noch lange nicht das Gegenteil richtig. Es gibt ein umfangreiches Belegmaterial für Tendenzen und Überlegungen innerhalb des Offizierkorps der Bundeswehr, zumal des Heeres, bewußt oder unbewußt die Institution der Streitkräfte sozial so hervorzuheben, daß sie eine der Reichswehr vergleichbare Stellung innerhalb der Gesamt-gesellschaft besitzt. Zu jener „Reform der Gesellschaft an Haupt und Gliedern" (SchnezStudie), die von hier aus angestrebt wird, zählt neben der weiteren Einschränkung der Möglichkeit ziviler Kontrolle (etwa über die Institution des Wehrbeauftragten) auch eine Erhöhung des Sozialprestiges des Offizierberufs.
Dieses vergleichsweise niedrige Sozialprestige (das jedoch auch in anderen Industrieländern nicht wesentlich höher ist) wird oft auf die Zeit zwischen 1945 und 1950 zurückgeführt, in der der Soldatenberuf sehr nachhaltig sei
Tabelle 4 Das Ansehen einzelner Berufe nes Nimbus’ entkleidet wurde. Und auch in den ersten Jahren des Bestehens der Bundeswehr, als es galt, die in diesen Fragen (mit Recht) verwirrte Öffentlichkeit von deren Notwendigkeit im Sinne der Konzeption Adenauers zu überzeugen, habe man — so lautet jedenfalls die Interpretation vieler konservativer Offiziere — „Diskriminierungen" ertragen, die nun bald aufhören müßten. Selbst im Bewußtsein der obersten militärischen Führung der Bundeswehr stellt sich Z. B. im Rückblick auf ihre Geschichte ihre Konstituierung unter den Auspizien möglichst weitreichender Demokratie-Konformität auch des Inneren Gefüges der Streitkräfte und ihrer mehrfach formal gesicherten zivilen Kontrolle als eine Art Opportunismus dem Zeitgeist gegenüber dar. Ein alarmierender Befund sind die Äußerungen des damaligen stellvertretenden Inspekteurs des Heeres, General Grashey, von der Inneren Führung als . Maske“, die man sich endlich vom wahren Gesicht reißen müsse; sie wurden im Frühjahr 1969 in der Öffentlichkeit scharf diskutiert Auf eine ähnliche Schlußfolgerung wollte wohl auch Generalinspekteur de Maizire hinaus, als er ungefähr zur gleichen Zeit schrieb: „Die Wehr-gesetze sind in der Mitte der fünfziger Jahre, in einer Zeit . innenpolitischer Windstille'entstanden. Es wirkte in jener Zeit erlaubter-maßen keine politische Gruppe, die offen gegen unsere parlamentarische Demokratie arbeitete. Zugleich stand die Wehrgesetzgebung ein wenig unter der Besorgnis, wie sich wohl die entstehenden Streitkräfte in unsere politische und staatliche Ordnung einfügen würden." Die Kennzeichnung der fünfziger Jahre, in denen in der Öffentlichkeit der Bundesrepublik heiß und erbittert um die Wiederaufrüstung diskutiert wurde, als eine „innenpolitische Windstille" ist schon fremdartig genug. Wenn aber in den folgenden Passagen vom Generalinspekteur behauptet wird, daß im Jahre 1969 die politische Kontrolle der Streitkräfte kein Problem sei, während innenpolitisch der Staat von immer mehr aktiven und extrem radikalen Gruppen gefährdet werde, und wenn er daraus indirekt die Folgerung nahelegt, man werde eine Akzentuierung der Rolle der Bundeswehr als innenpolitischen Ordnungsfaktor ins Auge fassen, dann wird schlagartig eine Art Reichswehr-Nostalgie deutlich, die weniger wegen eines Wiederauflebens der damals praktizierten anti-demokratischen Haltung der Offiziere gefährlich erscheint als vielmehr wegen ihres Unverständnisses für die gewandelten Verhältnisse in unserer Gesellschaft. Auf zahlreichen anderen, unterschiedlich relevanten Gebieten kommt diese Sehnsucht vieler Offiziere nach der verlorenen Kontinuität zum Ausdruck. Ein konsternierendes Beispiel stellt die folgende Tabelle dar:
Tabelle 5 Einstellung zu eventuellen Heiratsbeschränkungen Dies ist ein Beispiel von vielen. Insgesamt gesehen, ist der Einfluß dieses Konservatismus aus Ratlosigkeit und Unsicherheit der sich in den vorliegenden Zahlen spiegelt, sehr viel weiter verbreitet, als es offiziellen Äußerungen nach den Anschein hat. Als brauchbare Zustandsanalysen der inneren Situation der Bundeswehr haben sich in den vergangenen dreizehn Jahren trotz aller Einschränkungen, die man geltend machen muß, die Berichte der Wehrbeauftragten erwiesen. Sie widerlegen alle optimistischen Äußerungen von der bereits sozusagen ein-für-allemal gelungenen Integration der Streitkräfte in Staat und Gesellschaft, deren Spiegelbild sie seien, oder von der quasi-zwangsläufigen Überwindung des alten Gegensatzes von Militär und Demokratie Davon kann gewiß keine Rede sein. Dennoch trifft die Feststellung von Jacques van Doom auch für die Bundeswehr zu: Das Problem des Verhältnisses zwischen den Streitkräften und der Zivilgesellschaft hat in den Industrieländern sowohl mit sozialistischem als auch mit kapitalistischem Regime an Bedeutung eingebüßt Zumindest in dem Sinne, daß die Gefahr eines direkten Eingreifens militärischen Führungsgruppen in die Politik sehr viel geringer geworden ist.
Ein Aspekt sollte jedoch abschließend noch einmal hervorgehoben werden, denn er verdient weit über die engere Themenstellung hinaus Aufmerksamkeit. Eben weil das Militär seine professionellen Züge in den letzten fünfzig Jahren immer deutlicher hervorgekehrt hat, ist die Möglichkeit zu einer erfolgreichen Integration gewachsen. Der Prozeß der Professionalisierung ist somit gleichzeitig auch eine Art Profanisierung: der Soldat, zumindest in den Industrieländern, ist Spezialist für einen Teil, nicht mehr und nicht weniger.
Diese schon fast als „Sachzwang" auftretende Nüchternheit des Befundes eröffnet einerseits Perspektiven für allgemeine, hier vernachlässigte strategisch-politische Fragen. Wenn der Soldat Spezialist für Sicherheit ist, wenn aber Sicherheit auf dem traditionellen Weg über die Demonstration von potentieller Gewalt nicht länger zu verwirklichen ist wird man andere Wege suchen müssen, ohne Gewalt und damit ohne den Spezialisten hierfür. Wenn also der Soldat nicht mehr zum Wesen des Staates und seiner „Souveränität" gehört, dann kann man seinen Beruf auch in Frage stellen, ohne an den Grundfesten von Staat und Gesellschaft zu rütteln.
Gerade hier haben es die Soldaten eigentlich günstig getroffen. Denn die Krise der Tradition, die besonders in unserem Lande trotz ihrer teilweisen Dämonisierung („Verlust der Geschichte") im Grunde verharmlost wird, fällt zusammen mit einer grundsätzlichen Krise des ganzen Berufs selbst. Der Soldat der hochtechnisierten Industrienationen übt heute einen Beruf aus, den er nicht ausüben darf, wenn man darunter die „Bewährung" im Krieg versteht. Die Konflikte in den weltpolitischen Randzonen (Afrika, Süd-Ost-Asien) sind kein Gegenbeispiel, sondern dokumentieren die Vielschichtigkeit der augenblicklichen Entwicklung. Angesichts dieser Krise gibt es sowieso schon kaum noch tragfähige Brücken in die Vergangenheit, die spezifisch metier-bezogen sind. Sie sollten weniger dazu dienen, Vorstellungen und Verhaltensweisen von gestern in die Gegenwart zu transportieren. Viel nötiger ist statt dessen eine kritische (und selbst-kritische) Betrachtung dieser Vergangenheit auf Fehler und Versäumnisse hin, die man heute vermeiden will. Die wichtigste Lehre, die man aus einer solchen Betrachtung ziehen kann, scheint mir die zu sein: die Soldaten der Bundeswehr, besonders aber ihre Offiziere, sollen Staatsbürger in Uniform sein, mit anderen Worten: überzeugte Anhänger der Demokratie und ihrer Werte. Das mag trivial klingen; es ist aber, trotz aller Anstrengungen, die in der Zivilgesellschaft und in der Bundeswehr zur Erreichung dieses Ziels unternommen wurden und werden, noch nicht erreicht.
Wilfried Frhr. von Bredow, Dr. phil., geb. 1944; Akademischer Rat am Seminar für Politische Wissenschaft der Universität Bonn. Studium der Politischen Wissenschaft, Soziologie und Neueren Germanistik in Bonn und Köln. Veröffentlichungen: Der Primat militärischen Denkens. Die Bundeswehr und das Problem der okkupierten Öffentlichkeit, Köln 1969; Entscheidung des Gewissens. Kriegsdienstverweigerer heute, Köln 19712; Mitarbeit bei: H. -A. Jacobsen (Hrsg.), Mißtrauische Nachbarn. Deutsche Ostpolitik 1917/1970, Düsseldorf 1970; K. D. Bracher, H. -A. Jacobsen (Hrsg.), Bibliographie zur Politik in Theorie und Praxis, Düsseldorf 1970. Aufsätze über Militärsoziologie, Strategie und Friedensforschung in Fachzeitschriften.
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