„Internationale Kommunikation" als Forschungsbereich der Publizistik-und Politikwissenschaft Entwicklung und Bedeutung dieses Forschungsbereiches | APuZ 52/1971 | bpb.de
„Internationale Kommunikation" als Forschungsbereich der Publizistik-und Politikwissenschaft Entwicklung und Bedeutung dieses Forschungsbereiches
Hansjürgen Koschwitz
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Zusammenfassung
Die Publizistik-und Politikwissenschaft sowie die (sinnvol) erweise der Politikwissenschaft zuzuordnende) Friedens-und Konfliktforschung sind als diejenigen Fachrichtungen zu nennen, in deren Zuständigkeit das Studium der internationalen Kommunikation (Kommunikationsprozesse) primär fällt und durchzuführen ist. Fraglos läßt sich -unter den Aspekten des jeweiligen Wissenschaftsverständnisses, der allgemeinen Forschungsziele wie auch der methodischen Konzeptionen im Rahmen dieser Disziplinen bei Untersuchungen zu Erscheinungsformen und Funktionen der internationalen Publizistik (Presse, Rundfunk, Fernsehen, Film) am ehesten fachliche Kooperation in Gang bringen oder interdisziplinäre Forschung synchronisieren. In Anbetracht der politischen und publizistischen Implikationen in der weiteren Entwicklung der internationalen Kommunikation scheint die Verbindung von empirischen Methoden und theoretischen Ansätzen publizistikbzw. kommunikationswissenschaftlichen und politikwissenschaftlichen Ursprungs (hauptsächlich aus dem Bereiche der Internationalen Politik) trotz der Schwierigkeit möglicher Lösungen eine unentbehrliche Vorbedingung zu sein. Für beide Disziplinen bleibt überdies das Erfordernis der Nachprüfbarkeit der theoretischen Voraussetzungen, unter denen Modelle und Systeme erarbeitet werden, bestehen. Entwicklung und Bedeutung des Forschungsbereiches der internationalen Kommunikation haben sich in der Hauptsache als Folge der sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts immer spürbarer intensivierenden wechselseitigen Beziehungen zwischen öffentlicher Meinung einerseits und Außenpolitik/lnternationaler Politik andererseits ergeben. Die wachsende Interdependenz zwischen dem Feld der internationalen Beziehungen und dem System der weltweiten Massenkommunikation weist diesem Forschungsbereich eine immer bedeutungsvollere Funktion zu.
Probleme und Aspekte der internationalen Kommunikation sind während der Nachkriegs-jahrzehnte (seit 1945) in der wissenschaftlichen Forschung und Lehre der Bundesrepublik wie auch des Auslands in immer stärkerem Umfang aufgegriffen und diskutiert worden. Ihnen wird in dem Maße wachsendes fachliches Interesse, aber auch Resonanz in der außerakademischen Öffentlichkeit zuteil, in dem die Publizistik „zunehmend an Internationalität gewinnt und neuerdings räumlich Entferntes im Denken und Fühlen zusammenrückt, das noch vor kurzer Zeit außerhalb jeglicher Kommunikation lag"
Diese Entwicklung resultiert primär aus den sich intensivierenden Verschränkungen und Verflechtungen der nationalen Teil-Öffentlichkeiten mit dem System der internationalen oder Welt-Öffentlichkeit sowie aus dem politisch bedingten fortschreitenden Abbau der nationalen Kommunikationsschranken bzw.der nachlassenden Abschirmung der Inlandsöffentlichkeit durch autoritäre und totalitäre Regime. Den allgemeinen Trend zur Internationalisierung begleitete ein allmählicher Ausbau der internationalen Kommunikationsforschung. Nachdem dieser Wissenschaftszweig vor allem in den angelsächsischen Ländern im Laufe des Zweiten Weltkrieges zügige Förderung erhalten hatte und sich seit jener Zeit als interdisziplinäre Forschungsrichtung in verschiedenen akademischen Disziplinen, hauptsächlich in Nord-Amerika, West-Europa und Japan, später in einigen sozialistischen Ländern, etablieren konnte, wuchs sehr rasch das fachliche, ebenso auch das politische Interesse an den vielfältigen Fragen der innerstaatlichen und zwischenstaatlichen Meinungsbildungsprozesse und der Methoden ihrer Beeinflussung, Steuerung oder Manipulierung.
Die Kommunikationsforschung entwickelte sich überdies nicht zuletzt vor dem Hintergrund der für unser Jahrhundert typischen ideologischen Entzweiungen und ihrer macht-
Paul Roth:
Massenmedien in der Sowjetunion S. 17 politischen Konfrontationen: Infolge der Unterbrechung direkter, vor allem personaler Kommunikationswege zwischen den Alliierten des letzten Krieges einerseits und dem nationalsozialistischen Deutschland andererseits ergab sich für die alliierte politische Führung die Notwendigkeit, mit Hilfe einwandfrei wissenschaftlicher Kriterien und Beurteilungsmaßstäbe aus den Aussagen der zentral gelenkten Massenmedien oder der offiziellen Dokumente und Verlautbarungen des Dritten Reiches Aufschlüsse über die Prägung der deutschen öffentlichen Meinung sowie über die möglichen politisch-militärischen Motive und Pläne der NS-Spitze zu erzielen. Auf diesem Gebiete hatte die angelsächsische Propaganda-forschung ihre beachtlichen Erfolge. Da die politisch-ideologische Staatenkonfrontation nach 1945, obschon unter völlig veränderten Bedingungen, für die Struktur der Weltpolitik weiterhin kennzeichnend blieb, ergab sich im Prinzip auch in der Folgezeit der Zwang zur Auswertung und Entschlüsselung insbesondere der amtlichen Pressepublikationen totalitär verfaßter Gesellschaftssysteme. Aus diesem Grunde bildet dieser Zweig der internationalen Kommunikationsforschung weiterhin ein unerläßliches Instrument zur politischen Situations-und Motivationsanalyse
Das in der Gegenwart zu registrierende Interesse an dem Fragenkomplex internationale Kommunikation /internationale Publizistik oder Massenmedien ist darüber hinaus auch auf die in den verflossenen Jahrzehnten immer spürbarer veränderten wechselseitigen Beziehungen zwischen öffentlicher Meinung und Außenpolitik zurückzuführen. Konnte bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts von einer Beeinflussung der Außenpolitik durch eine öffentliche Meinung noch kaum gesprochen werden, so wandelte sich das Bild während des folgenden Jahrhunderts, in der Hauptsadie in den Jahrzehnten vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, erheblich, da sich nun zwischen Außenpolitik und öffentlicher Meinung ein enges wechselseitiges Verhältnis herausbildete. Gelang es den damaligen Regierungen noch häufig, vor allem durch die stark ins Gewicht fallende offiziöse Presse, die öffentliche Urteilsbildung in ihrem Sinne zu beeinflussen, so machte sich andererseits zunehmend das Eigengewicht der unabhängigen und kritisch räsonierenden Presseorgane geltend.
Heutzutage nun sieht sich jede Regierung, zumindest in pluralistisch angelegten Demokratien, einer noch komplexeren Struktur von Meinungsbildungsmedien gegenüber und muß außerdem dem gewandelten Charakter der Öffentlichkeit Rechnung tragen, in der Faktoren irrationaler Wertungen eher zu-als abgenommen haben. Dies gilt ebenso für die nationale wie für die internationale Öffentlichkeit
Gerade für den Charakter der internationalen Beziehungen und der internationalen Politik ist der Ausbau der Massenkommunikationsmittel von nachhaltiger Wirkung gewesen, da diese Medien die traditionell abgeschlossene Exklusivsphäre der Diplomatie durchbrachen und selbst zum Instrument internationaler Verständigung, Vermittlung oder aber Auseinandersetzung geworden sind Es steht für unsere Gegenwart außer Frage, daß dadurch gleichzeitig der Prozeß außenpolitischer Entscheidungen und das Feld zwischenstaatlicher Beziehungen von einer wachsenden Zahl von Beeinflussungsfaktoren mitbedingt wird, deren Überschaubarkeit oder gar Kontrolle im-mer weniger möglich sein kann. „Wir müssen uns darauf einrichten", so folgerteder deutsche Diplomat Wilhelm G. Grewe, „daß sich die internationale Politik heute und in aller Zukunft vor einem weltweiten Feld der Meinungsbildung abspielt, in das die verschiedenartigsten Kräfte mit allen modernen techrischen Mitteln ständig hineinwirken und aus dem heraus jederzeit unübersehbare Ausbrüche, Reaktionen und Entwicklungsprozesse zu gewärtigen sind, die auf die internationalen Beziehungen zurückwirken."
Das Studium solcher Tendenzen und Entwicklungen muß daher, sofern die gegenseitige Abhängigkeit (Interdependenz) von Politik und Publizistik bzw. Massenmedien angesprochen ist, ein wesentliches Anliegen der Forschung zu Fragen der internationalen Kommunikation sein. Es ist hierbei zu erwarten, daß detailliertes Wissen um das globale Kommunikationswesen, vor allem um seine funktionalen Differenzierungen -Publizistik /Massenmedien als Instrument der Exekutive oder aber als eigenständig konkurrierende politische „Elite" -sowie um das oft konträre politisch-ideologische Selbstverständnis des modernen Journalismus, einer kompetenteren Beurteilung der internationalen Beziehungen und der sachgerechten Analyse weltpolitischer Vorgänge dienlich sein wird, sicherlich nicnt selten hierzu die Voraussetzung darstellt.
Wenn nun auch zweifellos Konsens und Konflikt in der internationalen Politik in nicht unerheblichem Maße vom Agieren und von den Wirkungen der Massenkommunikationsmittel abhängen, so kann auf der anderen Seite die mancherorts vorgebrachte, im Grunde spekulativ ideologische These von der unbegrenzten manipulativen Macht publizistischer Medien für kein denkbares politisches System akzeptiert werden, ebensowenig auch für das System internationaler Beziehungen. Vielmehr müssen diejenigen Forschungsdisziplinen, die sich mit Problemen und Details der internationalen Kommunikation beschäftigen, bestrebt sein, bei der Klärung der Zusammenhänge zwischen Weltpolitik und internationaler Publizistik zunächst die faktisch gegebenen oder konstatierbaren Sachverhalte und empirisch überprüfbaren Einsichten aufzuzeigen, um danach erst Wertungen über Funktionsweise und Wirkungsmöglichkeiten des globalen Kommunikationswesens vorzutragen. Dabei wird es ein ständiges Erfordernis sein, die theoretischen Erkenntnisse anhand der realen Tatbestände, vor allem anhand der Wandlungen einzelner publizistischer Systeme oder des internationalen Kommunikationssystems als Ganzem zu kontrollieren.
„Internationale Kommunikation" im Gefüge verschiedener Wissenschaftsdisziplinen
I. Publizistikwissenschaft
Die Frage nach den akademischen Disziplinen, in deren Bereich und Kompetenz das wissenschaftliche Studium internationaler Kommunikationsprozesse fällt, ist zunächst mit dem Hinweis auf das Erfordernis interdisziplinärer Forschungsmethoden bei gesellschaftswissenschaftlichen Problemen allgemein beantwortbar. Als Einzelfach ist in erster Linie die Publizistik(oder Kommunikations-) wissen-schaft angesprochen. Für sie sind die folgenden Aspekte von besonderem Interesse. Erstens: das nationale oder internationale publizistische System in seinen Grundstrukturen und seinen politisch-ideologischen Funktionen, zweitens: das Selbstverständnis des politischen Journalismus, drittens: die Erscheinungsformen und Wirkungsmöglichkeiten der Massenmedien in den unterschiedlichen Gesellschafts-und Staatsordnungen. Hier handelt es sich überwiegend um vergleichende Betrachtung und Darstellung mit dem Ziel, aufgrund der empirischen Befunde und deskriptiv ermittelten Übersichten und Analysen Parallelität oder Konvergenz einerseits, Verschiedenartigkeit oder Gegensätzlichkeit andererseits in den jeweiligen publizistischen und Kommunikationssystemen zu erhellen. Ein weiterer Schritt der Publizistikwissenschaft wird dann das Aufzeigen des Ineinanderwirkens der am internationalen Kommunikations5 prozeß beteiligten Faktoren sein. Spezifisch kommunikationswissenschaftliche Gesichtspunkte kommen in der Untersuchung des eigentlichen „publizistischen Prozesses" zur Geltung, das heißt in diesem Falle vor allem in der Klärung der psychologischen Bedingungen der Meinungsbildung in der internationalen Öffentlichkeit. -Die Fragestellung'der Publizistikwissenschaft zielt somit wesentlich auf die Rolle der Masseninformationsund -publikationsmittel im Gefüge und Geflecht des globalen Kommunikationswesens sowie auf die Beeinflußbarkeit von nationalen Teil-Öffentlichkeiten oder internationalen Öffentlichkeiten durch massenmediale Impulse und Aussagen.
Ein Rückblick auf die fachhistorische Entwicklung der heutigen Disziplin Puhlizistikwissenschaft zeigt, daß im Verlauf früherer Phasen im Rahmen der traditionellen Zeitungswissenschaft in den zwanziger und noch dreißiger Jahren Probleme der Auslandspublizistik, hauptsächlich der Auslandspresse, bereits häufiger -zum Teil in systematischer Form -angeschnitten worden sind. Mit Sicherheit hatte die Niederlage von 1918 hierbei einen nicht zu unterschätzenden Anteil gehabt, da vielerorts deren Ursachen auch in dem Versagen der eigenen deutschen Presse und Propaganda und der Überlegenheit der Auslandspresse gesucht wurden
Eine ansehnliche Zahl von Studien und Analysen zu Geschichte, Situation und Bedeutung der Auslandspresse ließ in jener Zeit breiteren fachlichen, aber auch journalistischen wie politisch interessierten Kreisen die Aufgaben dieses Zweiges der allgemeinen Presse-wissenschaft bewußter werden. Erinnert sei u. a. an die vom Deutschen Institut für Zeitungskunde edierte Reihe „Zeitung und Zeit" (Fortschritte der internationalen Zeitungsforschung), in der die erste namhafte Arbeit über die frühe Sowjetpresse (Verf.: A. W. Just) sowie eine Studie zur englischen Presse (Verf.: K. v. Stutterheim) erschienen sind. In einer sich nach und nach erweiternden Zahl ähnlicher Reihenpublikationen standen die unterschiedlichsten Probleme des zeitgenössischen ausländischen Kommunikationswesens (in erster Linie des internationalen Zeitungswesens) zur Diskussion.
Nicht zuletzt angesichts der Tatsache, daß in jenen Jahrzehnten im Ausland noch wenig über Fragen der Weltpublizistik (-presse) gearbeitet wurde, historisch orientierte oder aktualitätsbezogene Untersuchungen nur für eine geringe Zahl von Ländern vorlagen, eine zusammenfassende Darstellung überdies noch gänzlich fehlte, gebührt der Zeitungswissen schäft Anerkennung als Wegbereiterin. Früher als außerhalb Deutschlands erkannte man seitens dieser Disziplin den eminent politischen Wert von Untersuchungen zu Problemen der internationalen Presse, über die damals gewonnenen Einsichten in die Bedeutung von Analysen der Auslandspublizistik gibt in einem einleitenden Passus das „Handbuch der Weltpresse" aus dem Jahre 1937 hinreichenden Aufschluß (wobei von dem zeittypischen Vokabular der NS-Ara abzusehen ist): „Die Erforschung des internationalen Zeitungswesens ist eine große und notwendige Aufgabe nationalpolitischer Erziehung. Denn in der Presse spiegeln sich das Wesen, Wollen und Wirken von Staaten und ihren Regierungen, von Völkern und den sich in ihnen bildenden Interessengruppen und nicht zuletzt die Absichten und Ziele der tragenden Persönlichkeiten der Weltpolitik selbst wider. Das Spiel dieser oft gegeneinanderstehenden Kräfte zu kennen, ist heute wichtiger denn je. Es gilt also, die Lebensgesetze der Presse zu entwickeln und insbesondere aufzuzeigen, was für ein Geist sie belebt, wer den Zeitungen Inhalt und Gestalt gibt und wie sie sich einordnen in das Leben der Staaten und Völker.
Die Situation der Nachkriegszeit (nach 1945) mit ihren abrupten und radikalen Wandlungen lenkte den Blick der wissenschaftlichen Forschung notgedrungen auf die inneren Belange und Probleme. So erklärt es sich, daß Fragen der internationalen Kommunikation in der sich in zunehmendem Maße auffächernden und thematisch differenzierenden Disziplin der Publizistikwissenschaft nicht gerade ein mit Vorrang behandelter Gegenstand waren. Nur zögernd wurden Themen aus dem Bereich der Auslandspublizistik wieder in Angriff genommen. Im übrigen sah sich die Publizistikwissenschaft auf diesem Forschungssektor neuen „Konkurrenten" gegenüber, da sich nach dem Ende des Dritten Reiches politische und gesellschaftswissenschaftliche Disziplinen entfalten konnten, denen man vordem den Zutritt zudem akademischen Forschungs-und Lehrbetrieb verwehrt hatte. Mehr und mehr setzte sich in den fünfziger Jahren nun aber doch die Auffassung durch, daß neben der Situation der Inlandsmedien die Probleme der internationalen Publizistik eingehender Analyse bedurften. Es machte sich jetzt nicht nur die Nach-kriegserfahrung geltend, daß die sich intensivierenden technologischen Neuerungen auf allen Sektoren des internationalen Massen-kommunikationswesens die weitere Entwicklung auch des deutschen, zum Teil nach ausländischen Vorbildern aufgebauten Systems der Massenmedien erheblich mitbeeinflussen mußten. War in den zwanziger und vor allem in den dreißiger Jahren das in Deutschland verwirklichte Kommunikationswesen oft als dem ausländischen nicht vergleichbar, ja als mit diesem in deutlicher Konfrontation stehend angesehen worden, so tritt jetzt der Vergleichsaspekt stärker in den Blickpunkt: Die Tatsache der größeren Verwandtschaft des deutschen Kommunikationssystems mit ausländischen Systemen mußte zwangsläufig das Interesse an der internationalen Kommunikation steigern, da im Ausland vielfach Entwicklungen vorausgingen, die mit zeitlicher Verzögerung auch für die Inlandssituation akut werden konnten und aus denen bereits bestimmte Schlußfolgerungen abzuleiten waren. Zum anderen bot sich nun die Möglichkeit, im Falle eigener Fehlentwicklungen im Medien-bereich nach besseren Lösungen und Vorbildern im Ausland zu suchen und diese hinsichtlich ihrer Übertragbarkeit auf die Verhältnisse in der Bundesrepublik zu prüfen. Manches ist auf diesem Felde über Ansätze nicht hinausgekommen. Aufgrund der organisatorischen Bedrängnisse des Faches Publizistikwissenschaft, das sich erst allmählich akademisches Prestige zu verschaffen vermochte, aber auch infolge mangelnder Konzentration auf wesentliche und vitale Forschungsfragen blieben Vorwürfe und Kritik nicht aus. In der Tat hat diese Disziplin erfolgversprechende Gelegenheiten häufiger nicht genügend wahrgenommen, ausländische Erfahrungen im Kommunikationswesen für deutsche Gegebenheiten auszuwerten. Als ein Beispiel seien die Probleme der Kommunikationspolitik erwähnt: Als sich deutsche Parlamentarier im Jahre 1964 über den Wettbewerb zwischen den publizistischen Medien Presse, Rundfunk, Fernsehen und Film informieren wollten oder als die drängende Frage der Pressekonzentration durch Kommissionen eingehender untersucht wurde, konnte die Publizistikwissenschaft nur wenige substantielle Beiträge leisten, obschon gerade vielfältige Parallelsituationen und geeignete Reformmaßnahmen im Ausland die Beachtung dieses Faches hätten finden müssen Speziell hier boten sich Vergleichsanalysen an.
Das fachliche Interesse der Publizistikwissenschaft an der internationalen Kommunikation bezog sich bisher vorwiegend auf Detailfragen.
Umfangreiche und zusammenfassende Darstellungen dieses Forschungskomplexes, überdies von der Existenz qualifizierter Arbeits-teams abhängig, sind noch weitgehend ausgeblieben Besonders aber in Anbetracht der Bemühungen anderer Universitätsdisziplinen um Klärung internationaler und globaler Kommunikationsprozesse sowie vor allem des wachsenden Interesses politischer Kreise an derartigen Fragen sollte die Publizistikwissenschaft die verschiedenartigen publizistischen Interaktionsfelder der Weltkommunikation unter vergleichbaren Aspekten intensiver, als bislang geschehen, erforschen.
Solchen Forschungsvorhaben als unbedingt dienlich erweisen wird sich die erkennbare Tendenz der heutigen Publizistikwissenschaft zur Methodenpluralität. Wenn die traditionelle Zeitungswissenschaft auch manches Vorbild wissenschaftlichen Forschens hinterlassen hat, so dominierte hier doch noch die monographisch-deskriptive Methode. Außerdem war die Zeitungswissenschaft durch ein deutliches Desinteresse an theoretischen Fragestellungen gekennzeichnet. In der Gegenwart sind demgegenüber interdisziplinäre Ansätze und Methoden unabdingbar, zumal weniger die lediglich deskriptiv-analysierende Aufzeichnung als die Problematisierung, das Fragen nach Hintergründen, Motivationen und Implikationen sowie die politische, ideologische oder ökonomische „Dimensionierung" zum Spezifikum moderner Gesellschaftswissenschaften gehören. Wohl in höherem Maße, als es für andere akademische Disziplinen zutref-fen mag, entziehen sich Fragestellungen der Gesellschafts-oder Sozialwissenschaften, in deren Forschungsfeld die Publizistikwissen-
schaft zu wesentlichen Teilen angesiedelt ist, der Möglichkeit fachlich einseitig orientierter Betrachtungsweise. Darüber hinaus verlangt der komplexe Charakter publizistikwissenschaftlicher Forschung und Lehre die Verbindung von sozialwissenschaftlichen mit geisteswissenschaftlichen Methoden, Denkund Arbeitsstilen
Das Problem der in der Publizistikwissenschaft anzuwendenden oder vorzuziehenden Methode kompliziert sich bei der Frage nach dem Verfahren der Interpretation publizistisch-politischer Aussagen. Da in der internationalen Kommunikation das gedruckte Wort, also die Weltpresse, vor der optisch-akustischen Vermittlung durch Hörfunk/Fernsehen noch Priorität besitzt, erhielt diese Frage besonders im Rahmen wissenschaftlicher Textanalysen Aktualität. Der Disput um die Alternative zwischen quantitativ-empirischer und qualitativ-hermeneutischer Inhaltsanalyse (Aussagen-analyse) ist oftmals gerade anhand von Weltpresseuntersuchungen ausgetragen worden, denen neben ihrer fachlich-wissenschaftlichen Relevanz auch Bedeutsamkeit für die praktische Politik zukam, da ja durch die Wahl angemessener und verläßlicher Interpretationsverfahren im Bereich der internationalen Publizistik der politische Entscheidungsprozeß (decisionmaking) mitbedingt werden kann.
Es ist nicht zu übersehen, daß sich die Publizistikwissenschaft auf dem Gebiet der exakten Analyse politisch-publizistischer Kommunikationsinhalte durch einige beachtenswerte Leistungen ausgewiesen hat, auch wenn sie in der Hauptsache auf die Vorarbeiten der amerikanischen Kommunikationsund Propaganda-forschung zurückgriff. Andererseits barg die Beschäftigung mit der Methode der Inhalts-analyse (content analysis) leicht den Ansatz zum Vorwurf in sich, die wissenschaftliche Forschung beschränke sich zu sehr auf die Analyse und Registratur des Faktischen, des nur positiv Erkennund Belegbaren und ziehe sich vorschnell auf die Position politisch-ideologischer Unverbindlichkeit zurück. Wenn nun aber das globale Kommunikationssystem, in dem sich die grundsätzlichen ideologischen Spaltungen und Divergenzen der heutigen politischen Systeme niederschlagen, zum Forschungsfeld der Publizistikwissenschaft bestimmt wird, so sind bei allen Aussagen über die Beziehungen zwischen Weltpolitik und internationaler Kommunikation nach dem Erbringen empirisch-faktischer Befunde qualifizierende Deutungen erforderlich, denen -bei aller Suche nach Objektivität der Analyse -fest umrissene publizistisch-journalistische Wertauffassungen zugrunde liegen müssen. Andernfalls wäre die Publizistikwissenschaft kaum imstande, sich über den Rang einer bloßen Hilfswissenschaft zu erheben oder Schlüssiges über die politische Qualität publizistischer Systeme auszusagen.
In der Erforschung und dem Studium der internationalen Kommunikation treten zwei Erfordernisse des methodischen Vorgehens hinzu, die in anderen Bereichen der Publizistikwissenschaft zum Teil eberso zur Erörterung stehen. Einmal ist es der Verzicht auf die ausschließliche Konzentration auf die gegenwärtigen Erscheinungsformen oder Probleme der Publizistik: „Die Publizistikwissenschaft darf sich nicht bloß als empirische Sozialforschung oder nur als ein Stück sozialer Empirie begreifen, die einseitig auf die Phänomene der Gegenwart begrenzt bleibt. Nicht minder bedeutsam ist die historische Sozialforschung oder . . . die historische Empirie." Als ein aktuelles Beispiel für die Notwendigkeit historischer Rückschau auch bei der Behandlung gegenwartsbezogener Fragen der internationalen Kommunikation läßt sich die Diskussion der internationalen Presse über den Konflikt zwischen der „New York Times" und der US-Regierung aus Anlaß der Veröffentlichung der „Pentagon Papers" anführen. Die Rolle der heutigen amerikanischen Presse wurde hierbei sehr häufig unter Hinweis auf ihren historischen Werdegang erklärt, ebenso wie der naheliegende Vergleich mit der europäischen Presse wesentlich unter historischen Aspekten begründet werden konnte.
Ist über die Forderung nach Einbeziehung der „historischen Empirie" relativ leicht ein Konsensus zu erreichen, so ist die Frage nach einer theoretischen Fundierung der Publizistik, in diesem Fall einer Theorie der internationalen Kommunikation, weitaus strittiger. In allen Bereichen der Publizistikwissenschaft hat die Hoffnung, detaillierte Deskription der historischen wie gegenwärtigen Kommunikationsphänomene könne zu einer publizistikwissenschaftlichen Theorie (Theorie der Massenkom-munikation) weiterführen, getrogen. Nichtsdestoweniger hat sich, wenn auch, später als in anderen Disziplinen, ebenso in dem Fach Publizistik die Erkenntnis durchgesetzt, daß empirische wissenschaftliche Arbeit ohne übergreifende Theorie letztlich die Gefahr einer Desintegration dieses Faches nicht überwinden kann, daß a'uf empirischer Basis ermittelte Einzeltatbestände, Sachverhalte oder Kommunikationsabläufe in abstraktere und systematische Verallgemeinerungen und in eine theoretische Konzeption der Massenkommunikation einbezogen werden müssen
Auf dem Sektor der internationalen Kommunikation ist demgemäß ebenfalls die Erarbeitung einer Theorie der politisch-ideologischen und gesellschaftlichen Funktionen der am System internationaler Kommunikation beteiligten publizistischen Medien anzustreben. Bereitet es schon erhebliche Schwierigkeiten, eine zufriedenstellende Publizistikwissenschaftliche Theorie für nationale Kommunikationssysteme zu entwerfen, so muß die Erstellung einer solchen Theorie der internationalen Kommunikation um so größere Probleme heraufbeschwören, als die dieses internationale System kennzeichnenden, grundsätzlich voneinander abweichenden politischen, gesellschaftlichen, ideologischen oder ökonomischen Funktionsbestimmungen in eine theoretische Synthese zu bringen sind.
II. Politikwissenschaft
Es ist davon ausgegangen worden, daß Fragen der internationalen Kommunikation nicht mehr nur in den Kompetenzbereich der Publizistikwissenschaft fallen. Als interdisziplinäre Forschungsgebiete sind internationale Kommunikation und internationale Publizistik auch von anderen Wissenschaftsfächern aufgegriffen worden. Als „Konkurrentin" der Disziplin Publizistik tritt vor allem die Politikwissenschaft (Politologie) auf. Insbesondere ist dies im Rahmen von Untersuchungen zur Internationalen Politik (Weltpolitik) der Fall, die sich die Erforschung der zwischenstaatlichen Beziehungen zum Ziel gesetzt hat und die Struktur des internationalen Systems, das Interaktionsfeld zwischen den Trägern der internationalen Politik zu erfassen bemüht ist. Da diese Richtung der allgemeinen Politikwissenschaft den außenpolitischen Entscheidungsprozeß in den Mittelpunkt rückt, muß sie auch auf die genauere Kenntnis und Erschließung des Hintergrundes achten, vor dem solche Entscheidungen vorbereitet und gefällt werden. Hierzu sind u. a. sämtliche Erscheinungsformen der öffentlichen Meinungsund Urteilsbildung als indirekte oder sekundäre „Entschließungspotentiale" zu zählen: „Die täglichen Kommentare der Presse, von dem regionalen und prin-zipiellen Standort, den sie einnehmen, her interpretiert, die periodischen zeitgeschichtlichen Analysen . . . sind solche Hilfsmittel. Infolgedessen bedarf die internationale Politik als Wissenschaft einer vielseitigen Kombination von wissenschaftlich kontrollierten Verfahren. Je aktueller der Gegenstand, desto mehr ist sie angewiesen auf die Bewertung der Publizistik, wie sehr auch über die Publizistik hinausführende Bearbeitungen mit wissenschaftlich geschultem Verfahren von zahlreichen Instituten gefördert werden."
Beide Disziplinen, Politikwissenschaft und Publizistikwissenschaft, haben jedoch mehr als lediglich das spezielle Forschungsobjekt, die internationale Massenkommunikation, gemeinsam. Parallelität zwischen ihnen läßt sich insofern aufzeigen, als sie zu typischen „Integrationswissenschaften" deklariert worden sind. Eine solche Klassifizierung verdeckt allerdings, daß beide Fächer zwar Forschungs-gebiete und -methoden aus anderen Wissenschaftszweigen entlehnen und integrieren, sich aber auf der anderen Seite durch ein „eigentümliches Erkenntnisinteresse" auszeichnen und darin deutlich von anderen Disziplinen abgrenzen.
Eine echte Analogie zwischen Politologie und Publizistik ist darüber hinaus im Hinblick auf ihr spezifisches Methodenverständnis zu erkennen, d. h. in der Verknüpfung unterschiedlicher methodischer Ansätze: „Die Pflege der Internationalen Politik als Wissenschaft verlangt sowohl die soziologisch-politische Analyse der einzelnen Träger der Weltpolitik wie die Ausbildung der Fähigkeit des synoptischen Sehens der politischen Konstellationen vor dem Gesamthorizont der Gegenwart. Ein wissenschaftliches Vordenken der Möglichkeiten politischen Handelns auf dem Gebiet der Internationalen Politik muß aufgebaut sein auf der geistes-und sozialwissenschaftlichen Analyse der Träger der Weltpolitik." In beiden Disziplinen wird somit ein dem jeweiligen Fachverständnis adäquater Methodenpluralismus als konstitutiv angesehen.
Eine zusätzliche methodische Parallelität ließe sich obendrein darin erkennen, daß Publizistik-und Politikwissenschaft nicht nur die Beziehungen und Interaktionen im internationalen, zwischenstaatlichen Feld erforschen, sondern ebenso innerhalb eines nationalen politischen bzw. publizistischen Systems zwischengesellschaftliche bzw. interkommunikative Prozesse untersuchen. Aus diesen Gründen bereitet es zuweilen etliche Schwierigkeiten, sowohl die Disziplin der Internationalen Politik im Gesamtgefüge der Politikwissenschaft als auch die der Internationalen Kommunikation im Bereich der allgemeinen Publizistik-und Kommunikationswissenschaft klar zu definieren und einzugrenzen, sie vor allem von anderen Teilrichtungen der jeweiligen übergeordneten Fächer zu sondern.
Für die innerfachliche Diskussion der Politischen Wissenschaft befriedigender, als das in der Publizistikwissenschaft der Fall ist, stellt sich das Problem der Theoriebildung dar, wenn auch bemerkt worden ist, daß das Feld der Internationalen Beziehungen theoretisch der am wenigsten entwickelte Zweig der Politik
Wissenschaft sei Weiterführende Differenzierungen konnten jedoch bereits in der Formulierung verschiedener Theorieziele erreicht werden: Man unterscheidet gegenwärtig die empirische Theorie, bei der auf der Grundlage empirischer Forschungen über internationales Geschehen die Erarbeitung einer theo-retischen Konzeption versucht wird, die normative Theorie, die sich um Präzisierung politisch-ethischer Leitbilder für politisches Agieren im internationalen Bereich bemüht, ferner die handlungsorientierte Theorie, deren Anliegen die Vermittlung von konkreten Handlungsanleitungen bei der praktischen Problemlösung ist
Der bislang erzielte Forschungsstand gestattet noch kein stichhaltiges Urteil über die Frage, welcher der drei genannten theoretischen Ansätze auf den Problemkreis der internationalen Kommunikation nutzbringend übertragen werden kann. Es scheint jedoch, daß sowohl der empirische als auch der normative theoretische Ansatz vorerst am ehesten hierzu geeignet und aussichtsreich sein dürften.
Hingegen lassen sich vom handlungsorientierten Theorieansatz ausgehend zwischen Politikwissenschaft und Publizistikwissenschaft kaum Zusammenhänge und Gemeinsamkeiten postulieren, zumindest nicht in dem gegenwärtigen Entwicklungsstadium beider Disziplinen. Denn im Gegensatz zur Publizistikwissenschaft versteht sich die Politologie z. T. durchaus als Aktionswissenschaft; sie orientiert sich dann in der Hauptsache an den Konsequenzen politischen Handelns oder an den effektiven Veränderungen politischer Gegebenheiten und begreift ihr wissenschaftliches Anliegen als normsetzend für neue politisch-gesellschaftliche Konzeptionen. Demgegenüber dominiert in der Publizistikwissenschaft deutlicher entweder der deskriptiv-analytische oder — neuerdings — der systemanalytische Ansatz, wenngleich sich daneben neue Auffassungen Gehör verschaffen, die das Fach Publizistik als „kritische" oder aktionsgerichtete Disziplin sehen wollen.
III. Friedens-und Konfliktforschung
Innerhalb der Politischen Wissenschaft bietet auch die „Internationale Politik" die Möglichkeit, sich als handlungsorientierte Teilrichtung zu begreifen: „Die Internationale Politik, die sich als Zweig der Politikwissenschaft mit den Beziehungen der souveränen Staaten beschäftigt, will eine Deutung dieses Geschehens geben, um mit der Erkenntnis zugleich einen Impuls auf das konkrete politische Handeln auszulösen . . . Will die Internationale Politik die Funktion einer Friedenswissenschaft ausüben, so kann sie sich nicht allein nur mit der Problematik der Kriegsverhinderung befassen, sondern muß auch für eine konstruktive Friedensgestaltung Sorge tragen." Der Weg der wissenschaftlichen Untersuchungen führt damit in den Bereich der Friedens-und Konfliktforschung, in der die Vielzahl der sich innerhalb der Politischen Wissenschaften immer stärker isolierenden und differenzierenden Teilbereiche in interdisziplinärer Zusammenarbeit integriert werden soll.
Dieses sich auch in der Bundesrepublik neu etablierende Fach bietet zweifellos eine ernsthafte Chance, auf dem Gebiete der internationalen Kommunikation einen Beitrag zur Klärung der Frage zu leisten, ob und inwieweit Kommunikationsfragen im zwischenstaatlichen, aber auch innerstaatlichen Bereich politische Entscheidungsvorgänge beeinflussen können. Besonders skandinavische Forschungsinstitute, so das „Stockholm International Peace Research Institute" (Sipri) und das „International Peace Research Institute" in Oslo, haben Probleme der internationalen Publizistik unter dem Aspekt der Zusammenhänge zwischen Kommunikation und Politik in ihre Untersuchungsprogramme einbezogen.
Ein maßgebendes Motiv für das Interesse dieses Forschungszweiges an einer solchen Fragestellung waren die Überzeugung und die sich aus der politischen Realität herleitende Erfahrung, daß die in den Massenmedien verschiedener Länder voneinander abweichende oder gegensätzliche Tendenz der Berichterstattung über weltpolitische Ereignisse Ursache internationaler Mißverständnisse sein könne. Ein von den Medien vermitteltes uneinheitliches Auslandsbild wurde partiell als Ausgangspunkt für die Vermutung genommen, daß weltpolitisch bedeutsame Konflikte, sei es zwischen einzelnen Nationen, sei es zwischen Staatengruppen oder ideologischen Lagern, nicht unerheblich durch Fehlinformationen oder Kommunikationsstörungen mitbedingt werden.
Wenn die Wechselwirkungen zwischen öffentlicher Meinung und Außenpolitik oder den internationalen Beziehungen jetzt allgemein aufmerksamer berücksichtigt werden, um die Ursachen und Lösungsmöglichkeiten internationaler Spannungen und Konfliktfälle aufzuhellen, so scheint dieser Forschungsansatz fraglos konstruktive Ergebnisse zu versprechen, obschon in den bisher vorliegenden Studien das deskriptiv-analytische Element in der Analyse noch allzu eindeutig überwiegt und eine Systematisierung oder Verallgemeinerung der Einzelresultate noch nicht erreicht werden konnte. , Im Rahmen der Konfliktforschung hat sich die aus der Publizistikwissenschaft bekannte Methode der quantitativen Inhaltsanalyse (content analysis) vielfach bewährt. Die bisherigen Untersuchungen fußen zum Teil auf diesem Verfahren, das besonders bei internationalen Pressevergleichsstudien seine Brauchbarkeit zu beweisen vermochte. Außerdem ist seine Anwendung auf die Analyse offizieller Verlautbarungen und Dokumente nicht weniger nutzbringend gewesen, da es beispielsweise der content analysis gelang, für Konfliktsituationen, die zum Kriege geführt haben, die erschreckende Irrationalität vieler Entscheidungsprozesse immer wieder nachzuweisen
In der Bundesrepublik beginnt das Interesse an dem in einigen anderen westlichen Ländern bereits fortgeschritteneren Forschungsobjekt „gegenseitige Abhängigkeit zwischen Internationaler Kommunikation und Konfliktgeschehen" sichtlich zu wachsen, wenn auch nennenswerte praktische Ergebnisse aus entsprechend thematisierten Untersuchungen noch kaum greifbar sind. Immerhin hat auch die* deutsche Forschung bereits die Anlage und Ziele solcher Projekte präziser umrissen, insbesondere in bezug auf die Analyse des Einflusses der Nachrichtenfilterung und Informationsauswahl: „Hier gilt es, kritisch die außen-politischen Berichterstattungen in den einzelnen Nachrichtenmedien zu untersuchen, an Hand von , Aussageanalysen'nachzuforschen, wie das Bild vom Ausland oder von Ereignissen auf internationaler Ebene verzerrt wird. In diesem Zusammenhang wäre es auch wichtig herauszuarbeiten, wieviel Raum beispielsweise bei internationalen Konflikten der Darlegung der eigenen und wie wenig Raum der Darstellung der Position des Konfliktpartners in den Berichten und Kommentaren der Zeitungen, Rundfunk-und Fernsehsendungen gewidmet wird."
Ein weiterer Schritt der Forschung wird es sein müssen, Aufschlüsse über Bildung und Wirksamkeit von nationalen Stereotypen in den Aussagen der Massenkommunikationsmittel zu gewinnen, und zwar unter dem spezifischen Aspekt ihres Einflusses auf Konflikt-ursachen und -motive. Allgemein muß die Analyse von Struktur, Tendenz und Qualität des Auslandsbildes in der außenpolitischen Berichterstattung verschiedener Kommunikationsmittel in die Untersuchungsvorhaben der Konfliktforschung einbezogen werden, denn Auslandsbilder erfüllen nicht allein die Funktion internationaler Orientierung sondern sind, je nach ihrer Vorprägung und politischen Motivation, geeignet, kurzfristig oder langfristig als Konfliktquellen zu wirken -vor allem dann, wenn das Auslandsbild entsprechend den Intentionen eines politisch und ideologisch doktrinären Journalismus zum Feindbild umgewandelt wird. Hier äußert sich Interdependenz von Auslands-und die Inlandsberichterstattung. Besonders in den Aussagen von publizistischen Medien solcher politischen Systeme, die in der Innenpolitik (und damit auch in der innenpolitischen Berichterstattung der Massenmedien) festgelegte politisch-ideologische Wertauffassungen und Leitbilder als verbindlich oktroyieren, wird die Neigung spürbar, die Darstellung des Auslandsgeschehens gemäß diesem ideologisch fixierten (totalitären) Weltbild auszurichten und letztlich die Auslandsberichterstattung zu einer komplementären Funktion der Inlandsberichterstattung umzubiegen. Nachrichtenmonopol und fehlende Medienpluralität erleichtern diesen Vorgang wesentlich. Eine ähnliche Erscheinung läßt sich allerdings am Beispiel einzelner Organe der Massenkommunikation, zum Beispiel von Presseorganen, innerhalb an sich pluralistisch strukturierter publizistischer (demokratischer) Systeme im Prinzip ebenfalls belegen, jedoch mit unvergleichlich geringeren Wirkungschancen.
Die Rolle von Ideologien als Faktor politischer, militärischer oder ökonomischer Konflikte ist unbestritten. Ideologisch begründete Zerwürfnisse und Spaltungen werden auch in den kommenden Jahrzehnten die Weltpolitik bestimmen oder beeinflussen; das Konfliktpotential bleibt damit auch künftig virulent. Welche Auswirkungen sich daraus ergeben, wird aber in zunehmendem Maße mitbedingt durch den Einfluß der Massenkommunikationssysteme. Es läßt sich, von den Erfahrungen der Vergangenheit ausgehend, die Hypothese formulieren, daß offene Kommunikationssysteme die Regelung internationaler Konflikte begünstigen, wenn auch keineswegs generell gewährleisten, daß geschlossene Kommunikationssysteme hingegen seltener geeignet sind, Konfliktsituationen zu entschärfen oder dieses überhaupt nicht vermögen (Beispiele: die aktive bzw. eigenständige Rolle der Massenmedien in den USA bei der Änderung der offiziellen Indochina-Politik; die passive bzw. uneigenständige Rolle der sowjetischen Massenmedien in der Krise um die SSR-Intervention). Natürlich existieren beide Systeme zumeist nicht in idealtypischer Ausprägung, sondern sind in sich vielfältig strukturiert und zeigen unterschiedliche Tendenzen zu stärkerer Offenheit oder höherem Grad an Geschlossenheit. Gleichwohl kann eine derartige Klassifizierung als genommen werden, um durch systematische Erfassung und Analyse der internationalen Kommunikationsabläufe einer Theorie der weltweiten Massen-kommunikationssysteme, insbesondere ihrer politischen Funktionen, näher zu kommen. In begrenztem Umfang wäre es somit denkbar, durch Forschungen auf dem Sektor der internationalen Kommunikation zur Ausbildung einer Strategie der zwischenstaatlichen Konfliktregelung beizutragen. Es hieße aber, die hier aufgezeigte Problemstellung simplifizieren, wollte man schlußfolgern, daß ein Sich-Offnen aller existierenden nationalen Kommunikationssysteme, ein totales Verschwinden nationaler Kommunikationsschranken, automatisch die Gefahr von Konfliktfällen entscheidend reduzieren oder gar beseitigen müßte, da nun eine „öffentliche Weltmeinung" als Faktor der Konfliktregelung oder -neutralisierung freier und ungehinderter wirken könnte. Zweifellos wäre selbst dann, wenn sich Informationen und Ideen keinerlei Kommunikationsbarrieren mehr gegenübersähen und sich in der Welt frei ausbreiten würden, das Entstehen einer solchen regulierenden öffentlichen Weltmeinung völlig ungewiß. Da Informationen und Ideen die „Reflexion der Erfahrungen" sind, aus denen sich die Weltanschauungen und die politischen Konzeptionen der Menschen gebildet haben, müßte praktisch völlige Erfahrungsidentität vorliegen, damit eine einheitliche Weltmeinung sich entwickeln und auswirken könnte. In der Realität des Weltgeschehens werden jedoch die unterschiedlichen Perspektiven nicht nur ein und dieselbe Tatsacheninformation färben, sondern auch über die Auswahl dessen, was aus der enormen Zahl täglicher Ereignisse in der Welt einen spezifischen Nachrichtenwert erhält, entscheiden
Existiert tatsächlich in konkreten Fällen eine „einheitliche öffentliche Weltmeinung", so ist sie zumeist durch einen derart hohen Allgemeinheitsgrad charakterisiert, daß sie sich kaum bei Konfliktvorgängen wird zur Geltung bringen können. Der allgemeine, weltweite Wille zum Frieden, selbst wenn er unter den Führungsschichten aller politischen Regime bestimmend wäre, bedingt aufgrund politisch-ideologischer, ökonomischer, militärischer Eigeninteressen, Gegensätzlichkeiten und Konfrontationen sowie unterschiedlicher Auffassungen zur Methodik von Konfliktregelungen noch keine Durchsetzung dieses Willens in der politischen Wirklichkeit. Ungeachtet aber der hier erwähnten Einschränkungen ist zu konstatieren, daß die Öffnung von nationalen Kommunikationssystemen und die Durchlässigkeit (Transparenz) des globalen Kommunikationssystems als Ganzes Voraussetzungen für die Erreichung weltpolitischer Stabilität bleiben.
IV. Weitere Fachgebiete
Läßt sich auch schwerlich in Abrede stellen, daß die Gesamtproblematik in der internationalen Kommunikation in der Hauptsache durch Verbindung Publizistikund politikwissenschaftlicher Fragestellungen, Methoden sowie Erkenntnisinteressen zu klären ist, so kommt diesem Urteil dennoch nur allgemeinere Bedeutung zu. Entsprechend den spezifischen Forschungsobjekten und -zielen werden in die Analyse des Systems der internationalen Kommunikation vielfach weitere Wissenschaftsfächer einbezogen oder Forschungsansätze zu Hilfe genommen. Erinnert sei an die Untersuchungen von Karl W. Deutsch, der den kommunikationstheoretischen Ansatz des kybernetischen Modells, bei dem soziale Prozesse als Informationsprozesse verstanden und als Interaktionssysteme erklärt werden, in der sozialwissenschaftlichen Analyse weiterentwickelt hat In der Erarbeitung und Ver-feinerung seines Modells, mit dem zunächst politische Entscheidungsabläufe interpretiert werden sollten, ist Deutsch ausdrücklich auf Funktionen und Leistungen der Massenmedien näher eingegangen — Von den an Problemen der internationalen Kommunikation partizipierenden Disziplinen sind hier in Auswahl zu nennen: Soziologie, Sozialpsychologie, Sprachwissenschaft (Linguistik), Ökonomie, Geschichtswissenschaft, ferner Nachrichten-und Kommunikationstechnologie.
Der Anteil der einzelnen Forschungsbereiche wird sich stets nach den Schwerpunkten bemessen, die für ein ausgewähltes Untersuchungsthema jeweils Vorrang haben. Wie eng etwa publizistikwissenschaftliche Forschungs-vorhaben auf die Beteiligung der Soziologie angewiesen sind, ist bei Studien über Rolle und Wirksamkeit der Massenkommunikationsmittel in der Dritten Welt (Entwicklungsländer) zu erkennen, deren Leistungsmöglichkeiten als Organe gesellschaftlicher Innovation wesentlich aus der spezifisch soziologischen Struktur dieser Länder erklärt und -in einem Gesamtaufriß des Systems der internationalen Kommunikation -mit den entsprechenden Möglichkeiten und Leistungen der Massenmedien in den hochindustrialisierten Staaten in Beziehung und Vergleich gebracht werden müssen Der Sozialpsychologie obliegt wiederum besonders die Untersuchung der Bildung von nationalen Vorurteilen oder Stereotypen in der weltweiten Massenkommunikation -ein Anliegen, das in gleicher Weise dem Studium internationaler Konfliktfelder zugehört.
V. Schwierigkeiten und Gefahren der Forschungsarbeiten
Den potentiell günstigen Perspektiven interdisziplinärer Zusammenarbeit und interdisziplinären Zusammenwirkens in der Erforschung der Weltkommunikation steht andererseits die Gefahr von Fehlentwicklungen gegenüber, die sich aus den Eigeninteressen einzelner Fächer ergeben oder in der Verabsolutierung bestimmter Forschungsmethoden oder Denkansätze ihre Ursache haben können. Dies betrifft sowohl den deskriptiv-analytischen als auch den systemanalytischen oder modelltheoretischen Forschungsansatz in der Publizistik-wie Politikwissenschaft und anderen Teildisziplinen der Gesellschaftswissenschaften. Zwei dieser möglichen Fehlentwicklungen lassen sich bereits deutlich umreißen: Einmal die Vernachlässigung der theoretischen Prämissen und der systematischen Aufarbeitung bei denjenigen empirisch vorgehenden Forschungsrichtungen, die sich auf Detailanalysen einzelner Kommunikationssysteme oder -prozesse konzentrieren. Zum anderen die Überbetonung des systemtheoretischen Forschungsansatzes, bei dem entweder die faktischen Gegebenheiten und Tendenzen des Kommunikationsprozesses sich nicht mehr in ihrer tatsächlichen Vielfalt und komplexen Struktur widerspiegeln oder aber die Dynamik dieser Prozesse unterschätzt und ein publizistisches System zu vordergründig als statisches Gebilde begriffen wird.
Die Probleme in der Forschung zu Fragen der internationalen Kommunikation sind also nicht nur in den fachspezifischen Schwierigkeiten interdisziplinärer Zusammenarbeit zu erblicken, sondern ebenso in der unerläßlichen Abstimmung zwischen theoretischen Konzeptionen und konkreten empirischen Fallstudien. Dies muß mit Vorrang die Publizistikwissenschaft betreffen, in der die Erarbeitung kommunikationswissenschaftlicher Theorien generell noch nicht sehr weit gedeihen konnte
Eine weitere Gefahr in der Erforschung von Problemen der internationalen Kommunikation läßt sich in der Reduzierung interdisziplinärer Fragestellungen auf einseitig orientierte oder-verengte methodische Interpretationsbegriffe aufzeigen. Angesichts der Kompliziertheit, ja häufigen Undurchschaubarkeit der politisch-ideologischen, ökonomischen und kulturellen Bedingungsfaktoren publizistischer Teil-oder Gesamtsysteme sowie der vielfältigen Verquickung nationaler Kommunikationssysteme mit dem System der Weltkommunikation mag es vor allem naheliegen, den Schwierigkeiten einer differenzierten Analyse mit Hilfe des Rückzugs auf vorfixierte, etwa aus marxistischen gesellschaftspolitischen Leitbildern oder ideologischen Vororientierungen abgeleitete Interpretationsschablonen zu entgehen. Es kann nicht übersehen werden, daß in manchen der Publizistikwissenschaft benachbarten Gesellschaftsdisziplinen eine derartige Entwicklung teilweise zu beobachten ist. Auch die Friedens-und Konfliktforschung hat diese Gefahr deutlich erkennen lassen und nicht unberechtigte Kritik vorzeitig auf sich gezogen. Als junge Disziplin sollte sich aber gerade die Publizistikwissenschaft entschieden der Versuchung erwehren, ihre Aufgabe darin zu sehen, „apriorisch beschlossene ideologische Postulate zu rechtfertigen" oder zu bestätigen. Der Forschungsbereich der internationalen Kommunikation wird ebensowenig Kommunikatfonswissenschaft in einem zu eng gefaßten Sinne betreiben können, d. h., er muß als Forschungsziel stets anstreben, die Vielfältigkeit und Differenziertheit sämtlicher Probleme zu erfassen, die von den Einstellungen und Handlungen einer „durch die Vermittlung der Massenmedien sich international vergesellschaftenden Menschheit” aufgeworfen werden. Schon gar nicht wird dieser Forschungsbereich die enge, in der Praxis stets wirksame Verflechtung publizistischer und politischer Faktoren außer acht lassen dürfen -in einer Zeit, da „die internationale Publizistik infolge der Verbreiterung ihres Wirkungsraumes durch die modernen Mittel der Massenkommunikation zu einem empfindlichen Vorfeld der internationalen Politik" geworden ist.
Hans Jürgen Koschwitz, Dr. phil., Dr. disc. pol. habil., geb. 1933, Studium der Neueren Sprachen (Anglistik, Romanistik, Slawistik, Sinologie), Philosophie, Pädagogik und der Sozialwissenschaften, insbesondere der Publizistikwissenschaft. 1962 bis 1965 Tätigkeit im Höheren Schulwesen, 1965— 1971 Hochschulassistent, seit Anfang 1971 im wissenschaftlichen Dienste des Bundesverteidigungsministeriums; Privatdozent für das Fach Publizistikwissenschaft an der Universität Göttingen. Veröffentlichungen: Pressepolitik und Partei-journalismus in der UdSSR und der Volksrepublik China, 1971. Beiträge zu Problemen der internationalen Kommunikationspolitik (Medienpolitik), zu Fragen der politischen Wochenpresse, der Jugend-, Studenten-und Hochschulzeitschriften sowie der Presse-geschichte in verschiedenen in-und ausländischen Fachperiodika.