Massenmedien in der Sowjetunion Presse, Rundfunk, Fernsehen
Paul Roth
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Zusammenfassung
Die Massenmedien Presse, Rundfunk, Fernsehen haben in der Sowjetunion eine von Partei und Staat gestellte Erziehungsaufgabe und Lenkfunktion. Der Artikel stellt Funktion, Entwicklung und Struktur dieser „Mittel der Masseninformation und Massenpropaganda" in der Sowjetunion an Hand sowjetischer Quellen dar. Das erste Kapitel wertet Aussagen sowjetischer Parteifunktionäre, Publizisten, Publizistikwissenschaftler und offizieller Dokumente zur Frage der politischen Funktion der Massenmedien (Propaganda, Agitation, Organisation) und ihrer Grundprinzipien (Parteilichkeit, Wissenschaftlichkeit, Wahrhaftigkeit usw.) aus. Im zweiten Kapitel wird der Lenkungsapparat der Medien in Partei und Staat skizziert, der in der Art von zwei Pyramiden konstruiert ist. Den Vorrang hat hierbei der Parteiapparat, der auch über die Besetzung wichtiger Positionen bestimmt. In den folgenden vier Kapiteln werden jeweils die Entwicklung und Struktur der Zeitungspresse, der Zeitschriftenpresse, des Rundfunks und Fernsehens von 1917 bis zum Jahre 1969/1970 dargestellt. 1970 gab es in der Sowjetunion 8000 Zeitungen mit einer Auflage von 130 Millionen Exemplaren; 1969 erschienen 5553 Zeitschriften mit einer Jahresgesamtauflage von rund 2, 6 Milliarden Exemplaren. Rund 500 Rundfunkstationen (Sender und Ubertragungsstationen) erreichten 1969 rund 90 Millionen Empfangsgeräte. Das sowjetische Fernsehen verfügte 1971 über 1231 Fernsehzentren und Übertragungsstationen (davon 127 Programmzentren), rund 40 Millionen Fernsehempfänger wurden geschätzt. Jeder dieser Medienbereiche ist in sich wiederum hierarchisch strukturiert, die Spitze liegt jeweils in Moskau. Die Schlußbemerkung hebt — in Fortsetzung der vorhergehenden Kapitel •— vor allem die Veränderungen nach Stalins Tod hervor. Das Regime berücksichtigt seit dem Tode Stalins stärker Leser-und Hörermeinung, ohne daß die Erziehungsfunktion der Medien preisgegeben wird. Die Verhärtung der innenpolitischen Situation auf diesem Gebiet hat nach Chruschtschows Sturz zur Ausbreitung von Gegenmedien in Gestalt des „Samisdat" nach sich gezogen.
Einleitung
Den Massenmedien haben Politiker, Parteifunktionäre, Publizisten, Wissenschaftler seit der Oktoberrevolution des Jahres 1917 in der Sowjetunion ständig ihre Aufmerksamkeit gewidmet. Prüft man, welchen Bereich die Massenmedien im weiteren Sinne dort umfassen, so fällt es schwer, die Grenze exakt festzulegen; so werden in der Sowjetunion z. B. auch die Museen oder die Briefmarken mit einbezogen. Bei Aufzählungen der Massenmedien im engeren Sinne werden von sowjetischen Autoren in der Regel Presse, Rundfunk und Fernsehen genannt; häufig wird noch der Film erwähnt (teilweise eingeschränkt auf den Dokumentarfilm). Der Generalsekretär der KPdSU, Breschnew, nannte in dem Rechenschaftsbericht des ZK an den XXIV. Parteitag in diesem Zusammenhang auch die Nachrichtenagenturen Der folgende Beitrag beschränkt sich auf die Massenmedien im engeren Sinne: auf Presse, Rundfunk und Fernsehen.
I. Die politischen Funktionen der „Mittel der Masseninformation und Massenpropaganda"
Bevor auf die politische Funktion dieser Medien eingegangen wird, muß darauf hingewiesen werden, daß in einem Land von der Größe der Sowjetunion, in dem weit mehr als hundert Völker und Volksgruppen mit verschiedenen Sprachen leben, den Medien -unabhängig vom politischen System -als Informations-und Integrationsmittel zur Koordinierung und Lenkung eine besondere Bedeutung zufallen muß. In diesem Zusammenhang muß u. a. auch die Tatsache gesehen werden, daß die Medien sich bevorzugt der russischen Sprache bedienen. Einen ersten Hinweis auf die politische Funktion der Massenmedien in der Sowjetunion findet man, wenn man prüft, ob und wie der Begriff „Massenmedien“ oder „Massenkommu-nikationsmittel" verwendet oder umschrieben wird. Vorerst tauchen „Massenmedien" oder „Massenkommunikationsmittel" in der Sowjetunion vor allem im Sprachschatz jener sowjetischen Wissenschaftler auf, die sich für die Arbeit westlicher Kommunikationsforscher und Publizistikwissenschaftler interessieren bzw. sich mit ihnen auseinandersetzen Prüft man, wie diese Begriffe in anderen sowjetischen Texten umschrieben werden, so stößt man auf die Formulierung: „Mittel der Masseninformation und Massenpropaganda"
Abbildung 10
Tabelle 7: Die Entwicklung des Fernsehens 1940 1950 1954 1960 1967 1971 3 2 3 300 920 1. 231 3 2 3 70 125 127 400 4. 000 400. 000 4. 800. 000 22. 900. 000 ca. 40. 000. 000 Fernsehzentren und Übertragungs-stationen Davon Programm-Fernsehzentren Fernsehempfänger
Tabelle 7: Die Entwicklung des Fernsehens 1940 1950 1954 1960 1967 1971 3 2 3 300 920 1. 231 3 2 3 70 125 127 400 4. 000 400. 000 4. 800. 000 22. 900. 000 ca. 40. 000. 000 Fernsehzentren und Übertragungs-stationen Davon Programm-Fernsehzentren Fernsehempfänger
Im Jahre 1971 wurde zum ersten Mal in der -offiziösen -Übersetzung eines Parteidokuments aus dem Russischen in die deutsche Sprache der Begriff „Massenmedien“ verwendet. Der Tradition der Parteitage der KPdSU folgend, hob Generalsekretär Breschnew am 30. März 1971 in dem Rechenschaftsbericht des ZK an den XXIV. Parteitag die Bedeutung der Massenmedien hervor. Folgt man der Über-setzung der sowjetischen Nachrichtenagentur Nowosti so hat Breschnew u. a. gesagt: „Ein mächtiges Werkzeug der Partei bei der großen und schwierigen Aufgabe zur Entwicklung des neuen Menschen, im ideologischen Kampf mit der Welt des Kapitalismus sind die Mittel der Masseninformationund -Propaganda -die Zeitungen, Zeitschriften, das Fernsehen, der Rundfunk, die Nachrichtenagenturen. In der Berichtsperiode hat das Zentralkomitee der Partei wiederholt Fragen der Arbeit der Massenmedien erörtert, in dem Bestreben, eine Verbesserung der Qualität ihrer Arbeit zu gewährleisten und noch breitere Bevölkerungsschichten durch sie anzusprechen ..."
Die bei uns in der Regel aufgeführten politischen Funktionen der Massenmedien -Information, Mitwirkung an der Meinungsbildung, Kontrolle und Kritik -sind nur bedingt brauchbar, um sie auf die Sowjetunion anzuwenden. Die hier nachstehend zitierten Texte sowjetischer Autoren zeigen eindeutig, daß die Massenmedien als Lenkungs-und Erziehungsinstrumentarium der kommunistischen Partei verstanden werden. So schreibt Vitali Stoljarow: „Die Massenkommunikationsmittel werden, mittels ihrer von Lenin entdeckten Funktion im Prozeß der Bildung des gesellschaftlichen Bewußtseins, zu einer der wichtigsten und schärfsten Waffen im Klassen-kampf gegen den Kapitalismus, für den Aufbau des Sozialismus und Kommunismus. Daraus ergibt sich die Politik der Partei hinsichtlich der Massenkommunikationsmittel ... Jeder Versuch, die Massenkommunikationsmittel der Kontrolle der Partei zu entziehen, bedeutet in der Tat einen Versuch, die Entwicklung des sozialistischen Bewußtseins zu hemmen, die Massen ideologisch zu desorientieren ..."
Ein anderer Autor überträgt Lenins Wort von der propagandistischen, agitatorischen und organisatorischen Funktion der Presse auf die Medien und zählt ihre Grundprinzipien auf: „Die Mittel der Massenpropaganda verwirklichen die agitatorische, propagandistische und organisatorische Funktion mit dem Ziel der Formung des kommunistischen, gesellschaftlichen Bewußtseins (in seinen verschiedenen konkreten Zuständen in den Formen der öffentlichen Meinung). Dabei werden sie geleitet durch die Grundprinzipien der Parteilichkeit, des ideologischen Gehalts, der Wissenschaftlichkeit, der Wahrhaftigkeit, der Volksverbundenheit, des engen Kontakts mit dem Leben, der Einheit von Theorie und Praxis ..." Auf die Unterscheidung zwischen Propaganda und Agitation, die inzwischen übrigens in der Praxis teilweise verwischt worden ist, braucht hier nicht näher eingegangen zu werden, da hierüber genügend deutsche Texte vorliegen Die Übertragung der Funktionen der Presse auf die Massenmedien ist übrigens allgemein üblich, wie andere sowjetische Texte zeigen.
Zur Frage der „öffentlichen Meinung" im Rahmen der Ideologie des Sozialismus schreibt der Göttinger PublizistikwissenschaftlerKoschwitz: „Die Ideologie des Sozialismus legt fest, wem die Rolle der progressiven Minderheit zufällt und wer damit zugleich stellvertretend für die gesamte Gesellschaft als der originäre Träger der . öffentlichen Meinung'fungiert: die sich als Avantgarde der Massen verstehende proletarische Partei. Somit erhält die sozialistische Konzeption der . öffentlichen Meinung'das Kennzeichen eines elitären Modells."
Besonders einprägsam -was die Funktion der Medien betrifft — ist ein vom damaligen Leiter der Propaganda-Abteilung des ZK, Ste-pakow verwendetes Bild: „Das System der Propaganda gleicht nach unserer Vorstellung einem Orchester, in dem jedes Instrument seine besondere, seiner Art entsprechende Aufgabe hat; die Instrumente jedoch insgesamt in der Einheit ein harmonisches Ensemble bilden. Und, damit alle Instrumente gut klingen, muß man die Möglichkeiten eines jeden vollständig kennen und ausnützen." Dieses Bild vom System der Propaganda und der Funktion der Medien bezieht sich zwar auf die Parteipropaganda. Betrachtet man es jedoch vor dem Hintergrund des Herrschaftssystems der Sowjetunion und der Führungsrolle der Partei, so wird deutlich, daß es die Funktion der Medien in der Sowjetunion allgemein betrifft.
Auch die Aufzählung der Grundprinzipien der Medien in dem bereits zitierten Text (also der Parteilichkeit, der Wissenschaftlichkeit, der Wahrhaftigkeit usw.) ändert an der Funktion der Medien nichts, wie alle sowjetischen Autoren bestätigen. Die Antwort — hier einem Handbuch für angehende Journalisten entnommen — lautet eindeutig: „Die sowjetische Presse ist auf zwei leninschen Prinzipien errichtet. Erstens auf dem Prinzip der Parteilichkeit, der ideologischen Ausrichtung; das bedeutet, daß jede beliebige Frage in unserer Presse gestellt und beleuchtet wird vom Gesichtspunkt der Interessen im Kampf für den Kommunismus, für die Parteilinie. Das widerspricht keinesfalls einer objektiven und wahrhaftigen Wiedergabe der Wirklichkeit, da die Wahrheit auf Seiten des Kommunismus ist..."
Es ist deutlich geworden, daß die spezifischen Eigenheiten der Medien, ihre eigene Funktion, der Gesamtfunktion untergeordnet sind. Doch geht auch aus dem Text von Stepakow hervor, daß immer wieder Überlegungen darüber angestellt werden, welche besondere Funktion einem bestimmten Medium zufallen müßte. Lenin hat sich immer wieder damit befaßt. So ordnete er in seinem „Entwurf einer Ankündigung der Redaktion der , Iskra'und der , Zarja‘ ", von den Verschiedenheiten zwi-sehen Zeitschrift und Zeitung ausgehend, der Zeitschrift vor allem die Propaganda, der Zeitung vorwiegend die Agitation zu Diese Zuordnung ist allerdings von Lenin nie als absolute Abgrenzung gedeutet worden.
Lenin ist es auch gewesen, der sehr früh nicht nur die politische, sondern auch die propagandistische Bedeutung von Telegraphie und Funk erkannte. Ausgehend von der Zeitung, sah er jedoch im Rundfunk eine „Zeitung ohne Papier und ohne Entfernung"
Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs ist der Rundfunk in der Sowjetunion auch weitgehend eine Art „Rundfunkzeitung" gewesen. Erst danach erhielt er auf Grund der besonderen Bedeutung, die er im Krieg gehabt hatte, sozusagen Gleichberechtigung neben der Presse. Äußerlich sichtbar wurde dies, als 1945 der 7. Mai zum Tag des Rundfunks erklärt wurde. Das Fernsehen trat -auch wieder gleichsam offiziell -im Jahre 1960 gleichberechtigt neben die bisherigen Medien, als das Zentralkomitee ihm einen eigenen Beschluß „über die weitere Entwicklung des sowjetischen Fernsehens" widmete
Schlägt man in sowjetischen Dokumenten-sammlungen nach, so kann man diese Entwicklung recht gut verfolgen Allerdings geht aus diesen Dokumenten auch hervor, daß die spezielle Funktion des einzelnen Mediums immer in Unterordnung unter die Gesamt-funktion gesehen wird. Die speziellen Beson-derheiten und Funktionen der Medien treten eigentlich erst seit einem knappen Jahrzehnt schärfer in den Gesichtskreis von Publizisten und Soziologen der Sowjetunion. Untersuchungen über die Lesergruppen und die Hörgewohnheiten haben zu einer Auflockerung in allen Medien geführt. So ist z. B. die Schaffung des Rundfunkprogramms „Majak" mit viel leichter Musik seit 1964 eine Folge der Erkenntnis, daß die Parteilichkeit der Aussage nicht ausreicht, um die Sowjetbürger über den Hörfunk zu erreichen. Der bereits einmal zitierte Chelemendik hat auch ein Schema über die Funktionen der Medien entworfen
Die Erkenntnis, daß die Besonderheiten der Medien, ihre spezifische Funktion berücksichtigt werden müssen, schlägt sich auch in parteiamtlichen Veröffentlichungen nieder doch wird dadurch die gemeinsame Funktion -Erziehung und Lenkung -nicht berührt.
Wenn in sowjetischen Veröffentlichungen von der Informationsfunktion gesprochen wird, so muß dies im Kontext des bisher Gesagten verstanden werden. Immer noch gilt, das Kuibischew, der für den Staatsplan Verantwortliche, am 23. Februar 1931 auf der Versammlung der Korrespondenten der Nachrichtenagentur TASS sagte: „Es ist bekannt, welche ungeheure Bedeutung Wladimir 11jitsch (Lenin) der Agitation durch Tatsachen beimaß. Der Nachrichtenteil unserer Presse ist ja ein Teil dieser Agitation durch Tatsachen. In diesen beiden Worten ist in der Tat die vollständige bolschewistische Bestimmung der Aufgaben der Nachricht eingeschlossen." Bezogen auf die Aufgabe der Partei, bedeutet dies: „Die Partei erzieht die Massen im Geiste des Kommunismus, hilft ihnen, die Bedeutung des kommunistischen Aufbaus zu verstehen, die Ereignisse richtig zu bewerten, die in unserem Land und der ganzen Welt passieren, indem sie die Information verwendet." Rahmen und Hintergrund bilden die immer wieder geforderte Parteilichkeit.
76, 90 54) 102, 00 55) 130, 00 56) Jahr Anzahl Auflage in Millionen
Die sowjetische Verfassung garantiert im Artikel 125 „in Übereinstimmung mit den Interessen der Werktätigen und zum Zwecke der Festigung des sozialistischen Systems" die Rede-und Pressefreiheit usw. Die Interpretation, welches die echten Interessen der Werktätigen sind und was der Festigung des Systems dient, nimmt die Kommunistische Partei der Sowjetunion für sich in Anspruch. In demselben Verfassungsartikel wird ausgesagt, daß diese Rechte dadurch gewährleistet werden, „daß den Werktätigen und ihren Organisationen die Druckereien, Papiervorräte, öffentliche Gebäude" usw. zur Verfügung gestellt werden. Auch hier ist natürlich die entscheidende Frage, welchen „Werktätigen" dies zur Verfügung gestellt wird bzw. durch wen und wozu Die Formel: „In Übereinstimmung mit den Interessen der Werktätigen" findet sich bei den Grundrechten interessanterweise nur im eben erwähnten Artikel 125 ünd im Artikel 126 (Recht, sich in gesellschaftlichen Organisationen zu vereinigen) Es ist in diesem Zusammenhang sicher bemerkenswert, daß in zwei verschiedenen juristischen Handbüchern für die Bevölkerung das Problem Presse-und Meinungsfreiheit überhaupt nicht auftaucht
Die Medien in der Sowjetunion werden vom zentralen Parteiapparat kontrolliert, dekretiert und geleitet Das läßt sich nicht nur aus den Beschlüssen ünd Anordnungen der Partei ablesen, sondern auch an der Struktur des Propagandaapparates in allen Stufen der Parteihierarchie. Seitdem 1920 im Zentralkomitee der Partei die Abteilung für Propaganda und Agitation geschaffen worden ist, wurde sie zwar mehrfach umorganisiert, hat jedoch nie ihre Leitungsfunktion verloren In ihren verschiedenen Sektoren umfaßt sie alle Bereiche der Erziehung, Bildung, der Medien im engeren und weiteren Sinn. Auf allen Stufen der Parteipyramide haben die Parteikomi-tees eine Abteilung für Propaganda und Agitation bzw. für ideologische Aufklärung Die Parteikomitees der verschiedenen Ebenen wirken entscheidend mit bei der Auswahl von Journalisten in wichtigen Positionen; in vielen Fällen gehört ein Mitglied des Partei-komitees zur Redaktion, in allen Fällen jedoch sind die Parteikomitees gehalten, die Arbeit der Medien in ihrem Bereich zu lenken und zu kontrollieren
Neben diesen Institutionen der Partei wurde im August 1963 das Staatliche Komitee für das Pressewesen beim Ministerrat der UdSSR mit entsprechenden Parallelgründungen in den Unionsrepubliken geschaffen. Eine der Hauptaufgaben ist die Kontrolle der Verlage. Für Rundfunk und Fernsehen ist das im Juli 1970 in ein unionsrepublikanisches Staatskomitee umgewandelte Komitee für Rundfunk und Fernsehen zuständig. Sein Leiter, Lapin (Mitglied des Obersten Sowjets und des Zentral-komitees), wurde damit in den Ministerrang erhoben Auch dieses Komitee hat einen entsprechenden Unterbau.
In diesem Zusammenhang muß auf die hierarchische Struktur der Medien hingewiesen werden. Besonders deutlich ist sie im Bereich der Presse ersichtlich. An der Spitze der Zeitungspyramide stehen die Allunionszeitungen, an ihrer Spitze wiederum das Parteiorgan „Prawda". Diese Hierarchie läßt eine Kritik von unten nach oben nur in Ausnahmefällen zu. Tritt ein solcher Fall ein, so deutet er auf Auseinandersetzungen im Hintergründe hin. Für fast alle Medien ist die einzige Nachrichtenquelle über Ereignisse im Ausland die staatliche Nachrichtenagentur TASS Sie ist Filter und Leitinstrument im Rahmen ihrer Informationsfunktion. Ihre große Bedeutung wird auch dadurch erkennbar, daß bei Änderung der politischen Führungsgruppe regelmäßig auch der Generaldirektor von TASS abgelöst wird. Ein weiteres Instrument der Koordinierung und Lenkung ist der im Jahre 1959 geschaffene Journalistenverband der Sowjetunion. Seine Aufgaben sind in den bisher skizzierten Rahmen der Lenkung eingepaßt. So war z. B. „die gesamte schöpferische Tätigkeit des Verbandes ... im Jahre 1961 auf die Vorbereitung des XXII. Parteikongresses und die Propaganda der Beschlüsse des Kongresses ausgerichtet" Zu Beginn des Jahres 1969 umfaßte der Verband 45000 Mitglieder Gleichsam ein Kind des Verbandes ist die Nachrichtenagentur Nowosti, die im April 1961 gegründet wurde. Sie wendet sich mit ihrem Material allerdings fast ausschließlich an das Ausland. Die personelle Besetzung der entscheidenden Positionen im Apparat der Medien durch hohe Parteifunktionäre ist ein weiterer Hinweis auf die Abhängigkeit von der Partei. So wurden z. B. auf dem XXIV. Parteitag der KPdSU insgesamt 16 Parteimitglieder, die leitende Positionen in verschiedenen Bereichen der Massenmedien innehaben, Mitglieder des ZK oder der Zentralen Revi-sionskommission, unter ihnen der Leiter des Staatskomitees für Rundfunk und Fernsehen, Lapin, der Leiter der TASS, Samjatin, der Leiter von Nowosti, Udalzow, der Chefredakteur der Prawda, der Iswestija, des Kommunist, der Sowjetskaja Rossija usw. Diese „Personalunion" führt dazu, daß bei Veränderungen in der Führungsspitze die entscheidenden Positionen umbesetzt werden Schließlich muß noch auf die Zensur der Medien hingewiesen werden. Ungeachtet der Tatsache, daß sie nicht mehr die Bedeutung wie zu Lebzeiten Stalins hat, existiert sie dennoch weiter. Da dies jedoch ein eigenes Thema wäre, soll hier lediglich aus dem Buch des seit 1966 in England lebenden ehemaligen sowjetischen Journalisten Wladimirow zitiert werden: „Nicht das kleinste bedruckte Stück Papier, sei es ein Buch oder eine Briefmarke, eine Zeitung oder ein Flaschenetikett, eine Zeitschrift oder ein Bonbonsäckchen, kann in der Sowjetunion erscheinen, bevor es nicht durch die Zensur gegangen ist. Keine Radiosendung wird ausgestrahlt, keine Ausstellung eröffnet, ehe nicht durch einen offiziellen Stempel die Genehmigung dazu erteilt worden ist."
III. Die Zeitungspresse
Abbildung 5
Zeitungsart Tabelle 2:
Die sowjetische Zeitungspresse Anzahl Auflage in Mill. Exempl. 1969 57) Jahres-
Vor zehn Jahren war es in der Sowjetunion noch üblich, die Presse als das „wichtigste Mittel im Kampf für die revolutionäre Ver-änderung der Gesellschaft" zu bezeichnen. Auch heute noch hebt man den traditionellen Ehrenrang der Presse in der Sowjetunion hervor. Der „Tag der Presse", der 5. Mai (am 5. Mai 1912 erschien die erste Ausgabe der Leninschen „Prawda"), erinnert alljährlich daran, welche Bedeutung Partei und Staat ihr beimessen. Gleichzeitig dokumentiert dieses Datum, daß die sowjetische Presse als Presse „neuen Typs“ zu verstehen sei, wie auch die kommunistische Partei eine Partei „neuen Typs" sei. Die Geschichte dieser Presse „neuen Typs" beginnt nach sowjetischer Auffassung mit dem Erscheinen der ersten Ausgabe der illegalen russischen Zeitung „Iskra" im Jahre 1900 in Leipzig und dem Erscheinen der legalen russischen Zeitung „Prawda" im Jahre 1912 in St. Petersburg.
Im August 1917, also kurz vor der Oktoberrevolution, verfügte die sozialdemokratische Partei Rußlands (Bolschewiki) über 41 Periodika mit einer Wochenauflage von 1 415 000 Exemplaren und einer Tagesauflage von 320000 Exemplaren Am Vorabend der Revolution waren es 75 Periodika, darunter 25 Tageszeitungen, mit einer Wochenauflage von 3, 5 Millionen bzw, einer Tagesauflage von 600000 Exemplaren Die letzten zur Verfügung stehenden Angaben aus der Zarenzeit nennen für das Jahr 1913 (in den heutigen Grenzen der Sowjetunion) 1055 legale Zeitungen mit einer Auflage von 3, 3 Millionen in 24 Sprachen Die Bevölkerung betrug (wiederum berechnet nach den gegenwärtigen Grenzen der Sowjetunion) 159, 2 Millionen Menschen im Jahre 1913. Im selben Jahr waren rund 60 Prozent aller Einwohner über 8 Jahre Analphabeten Im Verlauf des Ersten Weltkriegs sank die Zahl der Zeitungen bis 1918 auf 884 Zeitungen mit einer Auflage von 2, 7 Millionen 47 a).
Die Entwicklung der Presse in der Sowjetunion spiegelt einmal die jeweilige wirtschaftliche und politische Situation wider, zum anderen aber auch den gezielten Einsatz dieses Mediums durch die Partei. Sehr anschaulich zeigt sich dies bei der Zeitungspresse. In den Jahren des Kriegskommunismus und des Bürgerkriegs wurden die nichtbolschewistischen Zeitungen verdrängt und verboten. „Von 1918 bis 1922 erschlägt die Arbeiterklasse Rußlands die bourgeoise-gutsbürgerliche Presse und nimmt das Monopol des gedruckten Wortes in ihre Hände", schreibt ein sowjetischer Autor Die Anzeigenwesen wurde staatlich monopolisiert. Die Zeitungsauflagen richteten sich nach den jeweils gerade beschafften Papiermengen. Keine Statistik liefert für die Jahre des Bürgerkriegs zuverlässige Auflage-zahlen. Die Liquidierung des Handels und der fortschreitende Verfall der Währung führten zur kostenlosen Verteilung der Presseerzeugnisse.
Die Einführung der Neuen ökonomischen Politik (1921) beendete die erste Entwicklungsphase der sowjetischen Zeitungspresse. Durch Dekret vom 28. November 1921 wurde für Presseerzeugnisse wieder ein Entgelt eingeführt. Privatpersonen durften Druckereien und Redaktionen pachten. Mit der Zensur und Überwachung der Privatverlage wurde „Gosis-dat" (Staatsverlag) beauftragt. Mitte des Jahres 1922 erreichte die Zeitungspresse einen gefährlichen Tiefstand -sowohl in der Anzahl der Organe wie in den Auflagen. Durch eine Kette von Maßnahmen rettete die Partei ihr wertvolles Instrument: Aufrufe der Parteitage, Einführung des „Tages der Presse", Neuordnung der Verteilerorganisation, Verpflichtung der Parteimitglieder zum Abonnement, Gründung staatlicher Institute für Journalisten, Ausweitung der Korrespondentenbewegung, Erweiterung und Differenzierung des Zeitungsnetzes nach Wirkungsbereichen, Schaffung der Nachrichtenagentur TASS (anstelle von ROSTA), Aufstellung eines Presse-Fünfjahresplans, staatliche Subventionen und strenge Parteikontrolle.
Mit Beginn des ersten Fünfjahrplans (1928) tritt die Zeitungspresse in eine neue Entwicklungsphase ein. Es entstand nicht nur ein neuer Zeitungstyp, die Rayonzeitung, die Zeitungspresse erhielt auch im Verlauf des ersten Fünfjahrplans ihre pyramidenartige, hierarchische Struktur mit der „Prawda" an der Spitze. Mit dem Ende der Neuen ökonomischen Politik waren die Privatverlage endgültig liquidiert. Die Differenzierung der Presse wurde bestimmt durch die jeweiligen von Partei und Staat gesteckten Ziele (Kollektivierung, Industrialisierung, Gottlosenpropaganda usw.), die Höhe der gewaltig ansteigenden Auflagen war gleichzeitig abhängig von der Papierproduktion. über die sowjetische Presse während des Zweiten Weltkriegs liegen erst einzelne Veröffentlichungen vor, die nur einen Einblick und keinen Überblick ermöglichen Die Anzahl der Zeitungen und die Auflagen sanken von 1940 bis 1942 auf etwa 40 Prozent. Einer der Schwerpunkte lag bei der Presse für die Truppe. Selbst von Partisaneneinheiten wurden Zeitungen gemacht.
Bereits zwei Monate nach Kriegsende ordnete das ZK der Partei an, daß der Umfang der Zei-tungen erweitert werden solle. Wegen Papier-mangels konnte jedoch erst 1951 der Vorkriegsstand wieder erreicht werden. In den westlichen Gebieten der Sowjetunion wurden von den Politabteilungen der Maschinen-Traktoren-Stationen (MTS) zahlreiche neue Zeitungen in den Republiksprachen ins Leben gerufen.
Mit dem Tode Stalins (1953) setzte eine neue Entwicklungsstufe ein. Während die Auflage-ziffern ständig wuchsen, schwankte die Zahl der Zeitungen und der prozentuale Anteil einer Zeitungsgruppe an der Gesamtauflage. Bis in die sechziger Jahre hinein wurden z. B. die Republikzeitungen -im Rahmen der „Erweiterung der Rechte der Unionsrepubliken" -besonders gefördert. Als Chruschtschow mit einer Reihe von Umstrukturierungen in der Wirtschaft begann, wurden innerhalb weniger Jahre 4000 Rayonzeitungen eingestellt. Seit 1958 bemühte sich die Partei, das „individuelle Abonnement" zu fördern, um so die Wirksamkeit der Presse zu verstärken. Die Auflagehöhen waren nun nicht nur abhängig von den Vorstellungen der Parteistellen und der Papierproduktion, sondern auch von den Wünschen der Leser.
Nach dem Sturz Chruschtschows (1964) wurde die Rayonpresse wieder ins Leben zurückgerufen. Die Presse wurde jedoch allgemein wieder trockener und stärker ideologisch. Leserwerbung und Leserforschung wurden fortgesetzt, das Verteilungssystem verbessert. Die Stellung der 28 Allunionsorgane (Zeitungen, die für das Gesamtgebiet der Sowjetunion Ton und Richtung angeben) ist nach wie vor unangefochten. Ihr Anteil an der Jahresgesamtauflage aller (rund 8000) Zeitungen beträgt Prozent. Der Rückstand in der Papierproduktion wird ständig beklagt, weil er die Auflagensteigerung bremst. So forderte 1971 G. F. Sisow, Vorsitzender der Zentralen Revisionskommission der Partei, „wirksame Maßnahmen" zur Erhöhung der Papierproduktion 50).
Die Zeitungspresse gliedert sich -entsprechend der Struktur des Partei-und Staatsapparates -in Allunionszeitungen (Zentralorgane), Republikzeitungen, Region-, Gebiets-und Kreiszeitungen, Zeitungen autonomer Republiken und Gebiete; Rayon-und Stadtzeitungen, Zeitungen von Betrieben und wissenschaftlichen Instituten. Die Zeitungen haben durchschnittlich einen Umfang von 4-8 Seiten. Wirtschaftswerbung gibt es nur sehr wenig. Insgesamt erscheinen Zeitungen in Sprachen der Völker der Sowjetunion (5223 in russischer Sprache; 2271 in anderen Sprachen der Völker der Sowjetunion) und in 9 Auslandssprachen (20 Zeitungen). Alle Zentralorgane erscheinen in russischer Sprache. Am 15.. Januar 1970 betrug die Bevölkerungszahl der Sowjetunion 241, 7 Millionen. Davon waren 53 % Großrussen; 76 % aller Sowjetbürger beherrschten fließend die russische Sprache 57). Von der Jahresgesamtauflage der Zeitungspresse erschienen rund 81 % in russischer Sprache
Die horizontale Gliederung der Zeitungspresse ist gleichzeitig eine hierarchische Gliederung. Die sogenannten Allunionsorgane (die durchweg in Moskau erscheinen) stehen an der Spitze der Hierarchie.
Die Zeitungspresse läßt sich aber nicht nur horizontal oder nach Sprachen gliedern, sie ist innerhalb der hierarchischen Struktur wiederum nach Organisationen gegliedert. So gibt es auf den verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Sprachen Zeitungen der Partei, der Jugendorganisationen, der Armee, der Gewerkschaften, der Lehrerorganisationen, des Transportwesens usw. Besonders gefördert wurden in den letzten Jahrzehnten Zeitungen für Kinder und Jugendliche. Nicht weniger (1969) als 159 Allunions-, Republik-und Regionszeitungen sind für Kinder und Jugendliche bestimmt, darunter 4 Zeitungen mit mehr als einer Million Exemplaren. Die Herausgabe neuer Organe in hoher Auflage -vor allem, wenn es sich um neue Allunionsorgane handelt -ist immer ein Zeichen dafür, daß die Partei-und Staatsführung einem bestimmten Problemkreis besondere Bedeutung beimißt. 1969 wurde die neue Allunionszeitung „Sozialistische Industrie" mit einer Auflage von 600 000 ins Leben gerufen.
Von den sowjetischen Zeitungen erscheinen 183 täglich, 224 fünfmal, 221 viermal, 3209 dreimal, 16 zweimal, 56 einmal wöchentlich. Auch hierbei liegt das Schwergewicht bei den Allunionszeitungen. Zehn Allunionszeitungen erscheinen täglich und sind dementsprechend bei den 63, 7 Millionen Tageszeitungen mit 43 Millionen Exemplaren vertreten. Die höchste Auflage aller Zeitungen hat die „Pionerskaja Prawda" mit 9, 6 Millionen Exemplaren; ihr folgt die „Prawda" mit 8, 4 Millionen Exemplaren täglich.
In allen Zeitungen werden die innersowjetischen Ereignisse vorrangig behandelt (zumeist handelt es sich um Produktionserfolge). Jubiläen (z. B. Lenins Geburtstag) oder Veranstaltungen (z. B. Parteikongreß) prägen oft über Wochen und Monate das Gesicht der Presse. Die jeweilige Schwerpunktthematik ist in allen Zeitungen wiederzufinden; sie bestimmt weitgehend Inhalt und Aufmachung und schlägt sich selbst in den Karikaturen nieder Der unterhaltende Teil tritt durchweg hinter dem erzieherischen zurück. Laszive oder pornographische Veröffentlichungen gibt es nicht. Nachricht und Kommentar sind oft nur unscharf voneinander getrennt, teils legt die Wortwahl (z. B. Kapitalist, Revanchist) die Tendenz der Nachricht fest. Obwohl die sowjetische Presse auf jene, die an westliche Publikationen gewöhnt sind, ermüdend wirkt, ist sie für Fachleute die wichtigste Quelle zur Deutung innersowjetischer Vorgänge und politischer Tendenzen
72, 8 306, 4 897, 0 67) 1. 547, 66S) 2. 569, 8 69) Jahr Anzahl Jahresgesamtauflage in Millionen
Die Geschichte der sowjetischen Zeitschriften -im Sinne der Presse „neuen Typs" -beginnt mit dem Erscheinen marxistischer Zeitschriften in russischer Sprache (z. B. „Sarja“ 1901 in Stuttgart). Da jedoch im zaristischen Rußland einige nichtmarxistische Zeitschriften kritisches Forum von Schriftstellern waren, wird in der Sowjetunion die Tradition dieser Zeitschriften mit anerkannt. Nach Stalins Tod ist übrigens die Zeitschrift „Nowy mir" ebenfalls mehrfach zum kritischen Forum geworden -allerdings nicht im Sinne der kommunistischen Partei. Die Geschichte und Entwicklung der Zeitschriften-presse spiegelt -ähnlich wie die Zeitungspresse -Entwicklungen und Zielsetzungen von Partei, Staat und Wirtschaft wider.
Die letzten zur Verfügung stehenden Angaben aus der Zarenzeit nennen für das Jahr 1913 (in den heutigen Grenzen der Sowjetunion)
1472 legale Zeitschriften (und entsprechende Periodika) in 29 Sprachen (Auflagenhöhe nicht bekannt). Im Verlauf des Ersten Weltkriegs sank die Zahl der Zeitschriften auf 753 Der erste Entwicklungsabschnitt (1918-1922) der sowjetischen Zeitschriftenpresse, über den nur recht unsichere Zahlen vorliegen, ist durch die unkoordinierte Schaffung von politischen Massenzeitschriften und gesellschaftspolitischen Zeitschriften gekennzeichnet. Erst nach dem Jahre 1922 beginnt jener Entwicklungsabschnitt (bis 1941), den die Partei durch zunehmende Planung bestimmt. In diesem Zeitraum wurden z B. die Zeitschriften „Bolschewik“ (heute „Kommunist"), „Ogonjok" und „Krokodil" geschaffen. Am 15. August 1931 rügte das Zentralkomitee die Qualität der Zeitschriften" 2), das Fehlen von kämpferischem Geist, von planvoller Arbeit, die Herausgabe von Zeitschriften mit niedriger Auflage usw. Die Zahl der Zeitschriften und vor allem die Gesamtauflage wurde im Rahmen der Straffung und Strukturierung energisch herabgeschraubt. Bis zum Kriegsausbruch wurden Zahl und Auflage der Zeitschriften des Jahres 1931 nicht wieder erreicht. Die durch den Zweiten Weltkrieg erzwungene neue Schrumpfung war erst nach Stalins Tod wieder ausgeglichen worden. In dieser Zeit, so z. B. im Dezember 1953 ordnete das ZK eine Verbesserung der Parteizeitschriften und eine strengere Kontrolle der Redaktionen durch die Partei an. Seitdem stieg die Auflagenzahl kontinuierlich steil an, während die Zahl und Art der Organe die jeweils von Partei und Staat gesetzten Akzente andeutete. Als Beispiele sollen nur die Herausgabe des Partei-organs „Partinaja schisn" durch ZK-Beschluß vom 17. Februar 1954, die Herausgabe der Zeitschrift „Literatura i schisn" auf Anordnung des ZK der Russischen Sowjetrepublik vom 4. Dezember 1957 (zur „systematischen Propagierung der Politik der kommunistischen Partei und der Sowjetregierung auf dem Gebiet der Literatur und der Kunst...“) 62a) genannt werden. Zu Beginn der sechziger Jahre gestalteten die Akademien der Wissenschaften ihr Zeitschriftennetz um und stellten einerseits das Erscheinen einer Reihe von Zeitschriften ein und brachten andererseits aber auch wieder neue heraus. Entscheidenden Einfluß auf die Höhe der Auflagen hat das seit mehr als zehn Jahren offiziell geförderte „individuelle Abonnement". So erklärte das ZK am 1. Oktober 1959: „Die äußerst hohe Zahl unverkaufter Periodika erklärt sich ferner in bedeutendem Maße dadurch, daß einige Zeitungen und Zeitschriften den Anforderungen der Leser nicht entsprechen und daher nicht verlangt werden
Auch im Zeitschriftenwesen gibt es eine horizontale Strukturierung, die jedoch auf Grund der Besonderheit der Zeitschrift weniger ausgeprägt ist als in der Zeitungspresse. Die sowjetischen Statistiken sind daher entweder nach Republiken oder nach der Art der Zeitschriften gegliedert. Besondere Bedeutung haben die Parteizeitschriften. Unter ihnen wiederum rangieren an der Spitze „Agitator” (1 Million), „Kommunist" (800 000), „Partinaja schisn" (900 000) und „Politischeskoje samoobrasowanie" (1, 4 Millionen) Diese Zeitschriften erscheinen allesamt in Moskau in russischer Sprache. Ähnlich wie die Zeitungspresse hat auch die Zeitschriftenpresse eine hierarchische Spitze: den „Kommunist". Von den insgesamt 5553 Zeitschriften (alle Zahlen für 1969) mit einer Jahresgesamtauflage von 2569, 8 Millionen Exemplaren erscheinen rund 82 Prozent in russischer Sprache. Insgesamt erscheinen die Zeitschriften in 46 Sprachen der Die sowjetischen Statistiken gliedern das Zeitschriftenwesen in: Journale (= Magazine, Illustrierte, Unterhaltungszeitschriften, „dicke Zeitschriften", populärwissenschaftliche Zeitschriften), Notizen für den Agitator (= spezielle politische Zeitschriften für Propagandisten, Agitatoren, Politinformatoren), Wissenschaftliche Zeitschriften (darunter Almanache, Periodika der Akademien) und Bulletins. Die Grenzen sind unscharf; z. B. wird seit 1967 die „Roman-gaseta" zu den wissenschaftlichen Zeitschriften gezählt.
Das Schwergewicht -an den Auflagen gemessen -liegt eindeutig bei den Journalen. Alle 19 „Zeitschriftenmillionäre" (Angaben hier für 1971) gehören hierzu, so z. B. „Rabotniza" (= Arbeiterin, 11, 36 Millionen), „Krokodil" (satirische Zeitschrift, 5, 7 Millionen), „Technika molodjoschi" (= Technik für die Jugend, 1, 5 Millionen) und „Ogonjok" (Illustrierte, 2, 9 Millionen). Die Berücksichtigung der Leserwünsche im Sinne des „individuellen Abonnements" hat ihnen diese Millionenauflage verschafft.
Nur wenige, besonders wichtige politische Journale erreichten oder überschritten die Millionengrenze. Die Notizen für den Agitator sind in dem letzten Jahrzehnt in Anzahl und Auflage vermindert worden. In ihrer Gestaltung gleichen sie sich mehr und mehr den politischen Journalen an.
Neben den erwähnten Gliederungsgesichtspunkten (horizontale Strukturierung, Republiken, Sprachen, Zeitschriftenarten) spielt die Strukturierung nach Organisationen und Sachgebieten eine entscheidende Rolle. Sowjetische Statistiken beachten sie besonders. Diese Strukturierung überdeckt die bereits erwähnten Gliederungen vertikal. So gibt es z. B. gesellschaftspolitische, technische und literarische Zeitschriften unter den Journalen, Wissenschaftliche Zeitschriften und Bulletins (die Notizen für den Agitator stellen demgegenüber einen eigenen Typ dar). Die größte Anzahl der Zeitschriften ist Technik, Industrie, Transport und Kommunales (1823) gewidmet, an zweiter Stelle folgt Naturwissenschaft und Mathematik (785), an dritter Stelle Politik und Sozialökonomie (625). Geht man jedoch von der Jahresgesamtauflage aus, so steht an erster Stelle die Literatur (891, 9 Millionen), an zweiter Stelle Politik und Sozialökonomie (578, 2 Millionen), an dritter Stelle Technik, Industrie usw. (133 Millionen). Schließlich kann man noch die Frage nach dem Leserkreis stellen. So erschienen z. B. im Jahre 1969 für Kinder und Jugendliche 91 Zeitschriften mit einer Jahresgesamtauflage von 397, 8 Millionen Exemplaren Unter den im Jahre 1969 41 neu herausgegebenen Zeitschriften beschäftigen sich zehn mit Problemen der Gesellschaftswissenschaft, acht mit Fragen der Naturwissenschaft und zwei wurden für Kinder und Jugendliche herausgebracht.
Die Erscheinungsweise der Zeitschriften liegt zwischen einmal wöchentlich und einmal im Jahr. Das Schwergewicht liegt bei jenen Zeitschriften, die einmal im Monat erscheinen; es sind insgesamt 1216 mit einer Jahresgesamtauflage von 1218 Millionen Exemplaren. Zu dieser Gruppe gehören auch wichtige politische Journale wie „Kommunist“, während die meisten Zeitschriften für den Agitator zweimal monatlich erscheinen. über den Inhalt der Zeitschriften läßt sich -wegen der Verschiedenartigkeit -keine verallgemeinernde Aussage machen -es sei denn, daß weder Sex noch Porno vertreten sind. Die Bedeutung der Zeitschriften scheint jedoch -unter dem Gesichtspunkt der Erziehung und Bildung -außerordentlich groß zu sein.
V. Der Rundfunk
Abbildung 7
T abelle 4: Die Zeitschriftenpresse (1969) Art der Zeitschrift Anzahl Anzahl der Ausgaben Jahres-gesamt- auflage in Mill. Exempl. Durchschnittliche
„Rußland -Vaterland des Radios“ kann man in manchen sowjetischen Veröffentlichungen lesen. Man beruft sich bei dieser Formulierung einmal auf den russischen Gelehrten Alexander Stepanowitsch Popow (1859-1905), der in der Sowjetunion als Entdecker der drahtlosen Telegraphie gilt. Anläßlich der 50. Wiederkehr des Tages, an dem Popow im physikalischen Labor der Universität von St. Petersburg vor etwa 20 Personen seine Entdeckung demonstrierte (7. Mai 1895), wurde 1945 auf Beschluß der Sowjetregierung der 7. Mai zum Tag des Rundfunks erklärt. Zum anderen beruft man sich auf Lenin: „Dank der Aufmerksamkeit Lenins wurde unser Land zum Vaterland des Rundfunks." Er erkannte sehr früh die militärische, politische und vor allem propagandistische Bedeutung von Telegraphie und Funk. Bereits am 19. Juli 1918 erließ der Rat der Volkskommissare unter Lenins Vorsitz ein erstes Dekret, das die Zentralisierung der Funktechnik anordnete. Im selben Jahr wurde in Nischny-Nowgorod ein Radiolaboratorium geschaffen. Im November 1919 erklang aus diesem Laboratorium zum ersten Mal eine menschliche Stimme über den Äther. Im Januar 1920 folgte eine funktelefonische Übertragung nach Moskau. In Lenins Glückwunschbrief an den Leiter des Labors stand ein Satz, der seither immer wieder zitiert wird „Die Zeitung ohne Papier und , ohne Entfernung', die Sie schaffen, wird eine große Sache werden." Bald darauf schrieb Lenin an den Rat der Volkskommissare: „Ganz Rußland wird die Zeitung hören, die in Moskau gelesen wird."
Nach und nach wurden die Möglichkeiten des Rundfunks besser ausgenutzt. Die Weiterentwicklung brachte organisatorische Änderungen mit sich. Die 1924 gegründete Aktiengesellschaft wurde 1928 durch das Sowjetische Rundfunkkomitee beim Volkskommissariat für das Post-und Fernmeldewesen ersetzt. Der weiteren beschleunigten Entwidclung des Rundfunks diente die Schaffung des Sowjetischen Komitees für Radiofizierung und Rundfunkwesen beim Rat der Volkskommissare der UdSSR im Jahre 1933. Vor Ausbruch des deutsch-sowjetischen Krieges soll die Zahl der regelmäßigen Rundfunkhörer (nicht zu verwechseln mit der Anzahl der Geräte) 30 Millionen überschritten haben. Moskau strahlte täglich über mehrere Sender rund 100 Stunden verschiedene Programme aus in mehr als 50 Sprachen der Völker der Sowjetunion und einigen Auslandssprachen. Das Schwergewicht des Rundfunks lag im europäischen Teil der Sowjetunion und wurde von den Kriegszerstörungen hart getroffen. Etwa die Hälfte der Rundfunkstationen fiel aus. Die Behörden requirierten bei Kriegsbeginn die Rundfunkgeräte, so daß während des Krieges keine Auslandssender gehört werden konnten. Mit Ausbruch des Kriegs wurde der Rundfunk zum wichtigsten Medium der Information, Propaganda und Agitation. Der Rundfunk teilte am 22. Juni 1941 um 12. 00 Uhr den Kriegsausbruch mit; Molotow verlas den Aufruf der Regierung, und am 3. Juli 1941 sprach Stalin zum Volk. Eine Woche nach Kriegsausbruch wurde im Rundfunkkomitee eine Militärabteilung geschaffen. Der Rundfunk diente dem Kontakt zur Front (Briefe von Soldaten und an Soldaten wurden täglich verlesen), der Verbindung zu den belagerten Städten Leningrad, Odessa und Sewastopol, der Weckung patriotischer Begeisterung durch Sendungen von der Front, die eine bewegliche Redaktion erstellte, und der ständigen Information und propagandistischen Beeinflussung. Aus dem ehemaligen ersten Fernsehstudio der Sowjetunion sendete in den letzten Kriegsjahren das „Nationalkomitee Freies Deutschland". Seine Sendungen wurden mit der Melodie „Der Gott, der Eisen wachsen ließ" eingeleitet. Dieser Sender hatte übrigens in der UdSSR eine Sonderstellung, weil er von den üblichen Abhördiensten nicht kontrolliert wurde. Außerdem gab es noch einen „Deutschen Volkssender" der Emigrationsführung der KPD
Seit Oktober 1944 wurde konkret für die weitere Entwicklung des Rundfunks geplant, beginnend bei technischen Fragen bis zur Programmgestaltung. Die Einführung des Tages des Rundfunks als eine Auszeichnung für die Leistungen des Rundfunks im Krieg beinhaltete zugleich einen Hinweis, daß dem Rundfunk auch für die Zukunft eine entscheidende Rolle neben der Presse zugedacht war. Früher als die Presse erreichte der Rundfunk nach der Zahl der Stationen, Empfänger und Radioknoten 1946/1947 seinen Vorkriegsstand. Bis zum Jahre 1947 hatte der Rundfunk auch jene Struktur ausgeformt, die im Prinzip bis heute erhalten geblieben ist.
1947 wurden Rundfunksendungen wie folgt durchgeführt „. . . in russisch und in aus-ländischen Sprachen vom Sowjetischen Rundfunkkomitee, in russisch und in den Sprachen der Sowjetbevölkerung von 163 Rundfunkkomitees der Republiken, Gebiete und Gaue sowie von mehr als 2000 Zwischensendern in den Städten, Bezirkszentren, Betrieben, Kolchosen . .. Die Programme der Sowjetischen Rundfunkkomitees bilden den Mittelpunkt aller Programme; sie sind für die Rundfunkhörer des ganzen Landes bestimmt. Die Programme der Rundfunkkomitees in den Republiken, Gauen und Gebieten berücksichtigen in erster Linie die Eigenarten und Sonderinteressen der jeweiligen Republik, des betroffenen Gaues oder Gebietes. Die Programme der Rundfunk-komitees der Hauptstädte des Landes (wie Leningrad, Swerdlowsk, Nowosibirsk u. a.) sind gleichsam ergänzende Parallelprogramme des zentralen Rundfunks . . . Die Zwischensender beschränken sich auf Sendungen von rein lokalem Interesse, sie ergänzen den zentralen Rundfunk sowie den Rundfunk der Republiken (der Gaue und Gebiete) durch Sendungen aus dem Leben der jeweiligen Stadt, des jeweiligen Bezirks oder Betriebs."
1947 sendete Moskau täglich rund 100 Stunden für das In-und Ausland, die Hauptstädte über 120 Stunden, die lokalen Rundfunkkomitees etwa 300, die 2000 Zwischensender etwa 1000 Stunden. Moskau strahlte allgemein zwei und an bestimmten Tagen drei Parallelprogramme aus. 1947 wurde in 70 Sprachen der Völker der Sowjetunion und in 32 Auslandssprachen gesendet. Die Sendungen des zentralen Inland-funks waren zu 60 % musikalische, zu 20 °/o politische und wissenschaftliche, zu 9 % literarisch-dramatische Darbietungen, zu 8 °/o für Kinder. Moskau hatte zwölfmal täglich „Letzte Nachrichten" in seinem Programm.
Von Kriegsende bis zum Jahre 1950 hat sich die Zahl der Empfangsgeräte mehr als verdoppelt; bevorzugt wurden weiter die Drahtfunkgeräte (9, 7 Millionen gegenüber 1, 7 Millionen Rundfunkempfängern). Die meisten Hörer lebten in Städten; in ländlichen Gebieten war das Fehlen von Elektrizität ein wichtiger Hinderungsgrund. Seit 1950 wurde durch verstärkte Investitionen und Verbesserungen das gesamte Rundfunkwesen fast von Jahr zu Jahr ausgeweitet und profiliert. Während 1937 200 000 Rundfunkempfänger (also nicht Drahtfunkgeräte) produziert wurden, waren es 1950 rund 1 Million, 1960 4, 16 Millionen, 1968 7 Millionen Auf Beschluß des XX. Parteitages (1956) wurde für den europäischen Teil der Sowjetunion die Kapazität für Ultrakurzwelle, für Fernost und Mittelasien die Kapazität für Mittel-und Langwelle erheblich vergrößert. Die anwachsende Zahl der Rundfunkstationen läßt erkennen, daß dieser Beschluß verwirklicht wurde.
Im Jahre 1953 trat an die Stelle des Allunionskomitees für Radiofizierung und Rundfunksendung die Hauptverwaltung für Radioinformation des Kulturministeriums der Sowjetunion. Im Mai 1957 ordnete der Ministerrat an, ein staatliches Komitee für Rundfunk und Fernsehen beim Ministerrat der Sowjetunion zu schaffen (damit befreite er das Kultusministerium der Sowjetunion von der Verantwortung). Das Komitee wird geleitet von einem Vorsitzenden und vier Stellvertretern. Jeder dieser Stellvertreter leitet eine Hauptabteilung. Die Hauptabteilung für den Inlandfunk gliedert sich in neun Hauptredaktionen, die jeweils wieder einzelne Unterredaktionen haben, z. B.: 1. Hauptredaktion für Politische Propaganda, 2. Hauptredaktion für Naturwissenschaft, 3. Hauptredaktion „Letzte Rundfunknachrichten“,
4. Hauptredaktion für Kinder und Jugendliche.
Entsprechend dieser zentralen staatlichen Organisation, die ihren Sitz in Moskau hat, sind in allen Unionsrepubliken, autonomen Republiken und in der Mehrzahl der Gebiete und Bezirke Komitees für Rundfunk und Fernsehen geschaffen worden. Im Jahre 1963 zählte man bereits 127 derartige Komitees. Besonders in jenen Gebieten, die weit entfernt von Moskau sind, fällt diesen Komitees eine besondere Aufgabe zu: Sie sind verantwortlich für jene Sendungen, die das zentrale Programm ergänzen und zu einem erheblichen Teil auch in der jeweiligen Sprache der Republik ausgestrahlt werden. Hierbei muß beachtet werden, daß ein Teil der Sendungen Moskaus — auf Grund der Zeitverschiebungen -für weiter entfernte Gebiete nicht zur gleichen Zeit ausgestrahlt werden kann. Darüber hinaus sind in zahlreichen Orten und Ortschaften, in Fabriken und Betrieben örtliche Rundfunkredaktionen geschaf-fen worden, die sich zur Übertragung der Radioknoten bedienen, überwacht vom jeweiligen zuständigen Komitee, stellen sie kürzere Sendungen her, die dann, mit Hilfe des Radio-knotens, in das andere Programm eingeschoben werden können.
Die Partei lenkte und beobachtete die Entwicklung mit großer Aufmerksamkeit. Am 29. Januar 1960 forderte das ZK eine Verbesserung von Rundfunk und Fernsehen. Die Rügen und Forderungen der Partei wurden in einem Leitartikel des Parteizentralorgans unter der Überschrift „Aufgaben des sowjetischen Rundfunks" so formuliert: „Der Rundfunk spielt eine immer größere Rolle bei der politischen und kulturellen Erziehung der Werktätigen: er wurde zum wichtigsten Mittel der Benachrichtigung der Bevölkerung über die Ereignisse des In-und Auslandes ... Das Land steht am Vorabend der vollständigen Radiofizierung ... Den Funktionären des Rundfunks fehlt es an einem durchdachten konsequenten System bei der Propagierung der Beschlüsse des XXL Parteitages der KPdSU und des darauffolgenden Plenums des ZK der Partei. Die Erfolge und Aufgaben des kommunistischen Aufbaus werden schwach beleuchtet, und die Vorzüge des Sozialismus vor dem Kapitalismus werden nicht zur Genüge hervorgehoben. Selten werden Sendungen veranstaltet, in welchen die Fragen der Hörer beantwortet werden oder Sendungen, welche den Wünschen der Zuhörer entsprechen sollten . . . Das Rundfunkwesen ist ein wichtiges Gebiet der ideologischen Arbeit der Partei. Mit Hilfe des Rundfunks können täglich die Ideen des Marxismus-Leninismus in die Masse des Volkes getragen und die schöpferische Kraft des Volkes für die schnellste Verwirklichung des kommunistischen Aufbaus mobilisiert werden." Aus diesem Text geht u. a. hervor, daß der Rundfunk als zumindest gleichwertiges, wenn nicht sogar wichtigeres Medium als die Presse angesehen wird. In der Tat gibt es in der Sowjetunion Städte, Kreise und Republiken, in denen die Anzahl der Empfangsgeräte Anzahl aller dort die verbreiteten Zeitungsexemplare übertrifft Tabelle 6: Die Entwicklung des Rundfunks
Zu Beginn der sechziger Jahre ergab sich eine wichtige Verschiebung im Verhältnis zwischen Drahtfunkempfängern und Rundfunkempfängern. 1964 übertraf die Zahl der Rundfunkempfänger zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg die der Drahtfunkgeräte, obwohl auch die Zahl der Radioknoten bis 1970 auf 46 000 gestiegen war. Der Vorsprung der Rundfunkempfänger (z. T. auch Transistorgeräte) vergrößert sich. Im Januar 1967 faßte das ZK einen Beschluß, um das Drahtfunknetz vor allem in den ländlichen Gebieten weiter auszubauen. In mehreren Unionsrepubliken haben die staatlichen Behörden die Kosten für den Einbau der Drahtfunkanlage bei Häuserneubauten übernommen. Seit 1962 werden Geräte angeboten und installiert, die über Drahtfunk die Auswahl zwischen drei Programmen erlauben
In den vergangenen zehn Jahren ist das Programm des sowjetischen Rundfunks sehr viel phantasievoller und lebendiger geworden. Es gibt Wunschkonzerte, eine Radioschule, spezielle Sendungen für Kinder und Jugendliche, natürlich immer wieder Vorlesungen über politische Grundkenntnisse und zu Jubiläumsanlässen lange Serien, die sich etwa mit Lenin, der Geschichte der Partei usw. befassen. Die Anstöße zu solchen Verbesserungen und Veränderungen gingen in vielen Fällen von der Zentrale Moskau aus, doch sind auch von anderen Komitees Neuerungen und Experimente durchgeführt worden. Die Differenzierung und Auflockerung der Radioprogramme Moskaus, das heißt die Ausnützung der spezifischen Möglichkeiten des Rundfunks dienen dem Zweck, ohne große Phrasen und Losungen „zur Parteilichkeit zu führen". Trotzdem sind Programme wie „Majak" und ähnliche, wie sie z. B. auch vom kasachischen Radio ausgestrahlt werden, heftig kritisiert worden. Die Mischung von leichter Musik und Information, die Unterbrechung der musikalischen Darbietungen durch die Einblendung von Nachrichten, stießen in den ersten Jahren auf heftige Kritik der Zeitschrift „Sowjetische Musik" und der Moskauer Literaturzeitung. Man warf diesem Programm vor, daß es nach dem Prinzip des ausländischen Rundfunks sende und damit gegen die Ernsthaftigkeit der Sendungen verstoße. Schließlich wurde die Frage aufgeworfen, ob die Kurzinformationen in „Majak" überhaupt in parteilichem Sinne gegeben werden könnten. Es wurde sogar der Verdacht geäußert, man täusche hier eine klassenfremde Objektivität vor. „Majak" hat sich jedoch durchgesetzt, da es den Wünschen der Rundfunkhörer offensichtlich besser entspricht als das frühere zweite Programm. Ein Verteidiger des Programms von „Majak" hebt hervor, daß die Wünsche der Radiohörer berücksichtigt werden müßten, die sonst einfach eine andere Station einschalten, welche leichte Musik sendet. Der Verfasser des Artikels weist allerdings gleichzeitig darauf hin, daß die sowjetischen Rundfunkstationen kein Jota aufgeben dürften von ihrer Position der Parteilichkeit: „Darum müssen wir jede Tatsache vom Standpunkt un-serer Ordnung beleuchten, und zwar eingängig, interessant, nicht ermüdend, vielfältig." Moskau strahlt für den Inlandsbedarf der Sowjetunion vier verschiedene Programme aus. Das erste Programm, dessen Inhalt auch täglich z. B. in der Prawda abgedruckt wird, mischt Information, Kommentare, Musik und hat eine Art Leitfunktion innerhalb der Sowjetunion. Es wird für den Fernen Osten und das östliche Sibirien durch das vierte Programm ergänzt, das inhaltlich dem ersten sehr ähnelt. Seit dem 1. August 1964 hat das zweite Programm den Namen „Majak" (Leuchtturm). Mit der Einführung dieser Bezeichnung ist auch der Inhalt des Programmes -gegenüber den vorhergehenden Jahren -sehr viel lockerer und eingängiger geworden. Das dritte Programm, das vor allem der Literatur und dramaturgischen und musikalischen Übertragungen gewidmet ist, gilt höheren Ansprüchen. Uber diese vier Programme hinaus gibt es ein fünftes Programm, das von Moskau aus gesendet wird und für die Sowjetbürger im Ausland bestimmt ist, u. a. auch für die Matrosen der sowjetischen Flotteneinheiten und für jene Ausländer, die die russische Spradie beherrschen. Schließlich kann man noch von einem sechsten Programm sprechen, wenn man darunter jene Sendungen zusammenfaßt, die in Fremdsprachen ausgestrahlt werden. Der Auslandsdienst von Radio Moskau sendet täglich 153 Stunden in 63 Fremdsprachen. Elf weitere Regionalsender stellen eigene Auslandsprogramme in 22 Sprachen zusammen. Radio Moskau sendet täglich 5 Stunden in deutscher Sprache für die Bundesrepublik Deutschland Theoretisch können heute -so heißt es in sowjetischen Veröffentlichungen -die rund 500 Rundfunkstationen der Sowjetunion alle Bürger des Landes erreichen Praktisch bereitet die Größe des Landes jedoch noch erhebliche Schwierigkeiten. Diese sollen durch den Ausbau des Sendenetzes und eine erhöhte Produktion von Rundfunkempfängern in verschiedenen Qualitätsstufen überwunden werden. Im Jahre 1965 kamen auf 1000 Sowjetbürger 165 Rundfunkgeräte und Musiktruhen, im Jahre 1969 waren es 193
Zu Beginn des Jahres 1971 gab es außer der Moskauer Zentrale 172 Rundfunkkomitees in Republiken, Gauen usw., ferner 199 Rundfunkredaktionen in Städten und 2824 Rayon-Rundfunkredaktionen, die in 61 Sprachen der Völker der Sowjetunion senden 85). Alle diese Komitees und Redaktionen produzieren eigene Programmteile und tauschen diese untereinander aus. Die örtlichen Programme umfassen zumeist zwei bis drei halbstündige Sendungen in der Woche. Im Vordergrund aller Sendungen stehen Ereignisse und Probleme in der Sowjetunion und ihre internationalen Beziehungen
Obwohl das Rundfunkkomitee in Moskau sich darum bemüht, die Sendungen in der Sowjetunion zu koordinieren, kommt es immer wieder vor, daß sogar innerhalb eines Tages mehrere Sendungen dasselbe Thema behandeln. So wurde z. B. am 2. Februar 1968 im Gebiet Saratow um 17. 00 Uhr eine atheistische Sendung aus Moskau übertragen, um 18. 00 Uhr eine atheistische Sendung aus Saratow, um 19. 00 Uhr eine atheistische Sendung, die aus dem eigenen örtlichen Bereich stammte 86). Obwohl mehr als 80 % der städtischen und mehr als 90 °/o der ländlichen Bevölkerung das erste Allunionsprogramm (nach Angaben aus dem Jahre 1970) bevorzugen, geben solche Überschneidungen immer noch Anlaß zu Verärgerungen. Sie sind nicht nur eine Folge der Tatsache, daß es offensichtlich kaum möglich ist, alle Rundfunkprogramme im riesigen Territorium der Sowjetunion miteinander zu koordinieren, sondern daß über Jahrzehnte hinweg die Wünsche der Hörer kaum oder wenig beachtet wurden. Zwar empfingen die Redaktionen zehntausende von Hörerbriefen, doch haben sie diese kaum berücksichtigt, wie auch aus der zitierten Rüge des Zentralkomitees hervorgeht.
Erst in den vergangenen Jahren wurde mit Untersuchungen über die Hörgewohnheiten und die bevorzugten Sendungen begonnen. Ausgehend von soziologischen Untersuchungen im Ausland wandte man sich auch der Problematik in der Sowjetunion zu. So wurde z. B. festgestellt, daß das Programm „Majak" in der Zeit von 19. 00 Uhr bis um 1. 00 Uhr nachts die größte Hörerzahl hat, nämlich mehr als 60 °/o seiner Hörer überhaupt. Morgens von 6. 00 bis 9. 00 Uhr hören nur etwa 20 % ständig „Majak". Die bisherigen Untersuchungen in der Sowjetunion reichen jedoch bei weitem noch nicht aus, um auf die Frage eine Antwort zu geben: Was hören die Bürger zu welcher Zeit, und was nimmt ihre Aufmerksamkeit am ehesten in Anspruch ?
Sowjetische Publikationen heben hervor, daß zur Entwicklung des Fernsehens russische und sowjetische Wissenschaftler einen großen Beitrag geleistet haben. Vor allem wird der Professor des Petersburger technologischen Institutes, B. L. Rosing, genannt, der im Jahre 1911 zum ersten Mal öffentlich Bilder auf einer Bildröhre vorführte Im Jahre 1926 veröffentlichte Rosing einen Artikel „Die neuesten Erkenntnisse auf dem Gebiet des Fernsehens". Am 29. April 1931 fand in Moskau die erste Versuchssendung statt, bei der unbewegliche Bilder übertragen wurden. Am 1. Oktober 1931 wurde der reguläre Sendebetrieb aufgenommen, wobei in der Anfangszeit vorwiegend Porträts bekannter Künstler gesendet wurden. Der nächste Schritt war die Übertragung beweglicher Bilder, der am 15. August 1932 erreicht wurde. Dann dauerte es zwei weitere Jahre, bis zum 15. November 1934, bis in der Sowjetunion die ersten Fernsehsendungen mit Ton ausgestrahlt werden konnten. Man verwendete damals die Nipkow-Scheibe, die das Bild mechanisch zerlegte. Mit rund 3000 Fernsehempfängern konnten diese Sendungen empfangen werden, die bis 1939 ausgestrahlt wurden
Daneben jedoch wurde 1936 in Moskau mit der Einrichtung eines Fernsehzentrums für elektronische Bildübertragung begonnen. In Moskau soll es damals 100 Fernsehempfänger hierfür gegeben haben. 1939 wurde die mechanische Bildübertragung eingestellt und im März 1939 von Moskau aus der reguläre Sendebetrieb aufgenommen. Kurz vor Beginn des Krieges wurden Fernsehsendungen von Moskau, Leningrad und Kiew ausgestrahlt. Die Zahl der Fernsehempfänger war gering, eine Quelle nennt 400 Geräte Der Ausbruch des Krieges beendete diesen ersten Entwicklungsabschnitt des sowjetischen Fernsehens, der vor allem durch Experimente gekennzeichnet war; die technischen Schwierigkeiten standen so im Vordergrund, daß in dieser Periode das Fernsehen noch keine gesellschaftliche Funktion hatte.
Noch vor Kriegsende, nämlich im Jahre 1944, wurde mit dem Wiederaufbau des Moskauer Fernsehzentrums begonnen, das am 15. Dezember 1945 die Arbeit wieder aufnahm. Damit begann ein zweiter Entwicklungsabschnitt des sowjetischen Fernsehens, der etwa bis zum Jahre 1954 reicht. Die drei Fernsehzentren jener Jahre lagen in Moskau, Leningrad und Kiew. Die Zahl der Empfangsgeräte stieg auf etwa über 400 000 an. 1949 kamen nur 1800 Fernsehgeräte auf den Markt, im Jahre 1953 wurden 84 000 produziert
In diesem zweiten Entwicklungsabschnitt wurde nicht nur auf technischem Gebiet experimentiert, es wurde auch versucht, die Möglichkeiten dieses neuen Mediums besser in den Griff zu bekommen. Die Fernsehsendungen konnten nur im engeren Umkreis der Sender empfangen werden. Daher begann man mit dem Bau zahlreicher Sender, die durch ein Fernsehkabelnetz, durch Richtfunkstrecken verbunden wurden; ferner wurden zahlreiche Fernsehstudios eingerichtet.
Für den dritten Entwicklungsabschnitt kann man die Jahre 1954 bis 1960 nennen. In diesen Jahren erhöht sich die Zahl der Fernsehzentren und Ubertragungsstationen von drei auf 300. Im Jahre 1960 waren 4, 8 Millionen Fernsehempfänger in Betrieb. Die ersten modernen Fernsehgeräte mit viereckigen Standardbildröhren üblicher Größe (35, 43 u. 55 cm) erschienen allerdings erst Ende des Jahres 1956 auf dem Markt und waren verhältnismäßig teuer Im Jahre 1956 begann das zentrale Fernsehen mit der Ausstrahlung eines zweiten Programms. 1955 war mit Experimenten eines Farbfernsehens begonnen worden, das sich jedoch nicht bewährte und deshalb vorerst eingestellt wurde Die erste offizielle Übertragung einer Farbfernsehsendung fand am 1. Oktober 1967 statt. Die Sowjetunion hat das hauptsächlich von französischen Technikern entwickelte SECAM-III-Verfahren übernommen. Den Zeitraum von 1960 bis 1967 kann man auch als vierten Entwicklungsabschnitt des sowjetischen Fernsehens bezeichnen. Am Anfang dieses neuen Entwicklungsabschnittes steht ein Beschluß des Zentralkomitees der Partei vom 9. Januar 1960 „über die Aufgaben der Parteipropaganda unter den gegenwärtigen Bedingungen"
In diesem Beschluß wurde zum ersten Mal das Fernsehen gleichberechtigt neben den anderen Medien Presse und Rundfunk genannt. Die Zentralkomitees der kommunistischen Parteien der Unionsrepubliken, die Parteikomitees der Kreise und Gebiete und alle Parteiorganisationen wurden verpflichtet, Rundfunk und Fernsehen besser „zu nutzen zum Zwecke der Propaganda der Ideen des Marxismus-Leninismus, der Mobilisierung der Werktätigen zum Kampf für die erfolgreiche Verwirklichung der Pläne des kommunistischen Aufbaues".
Am 29. Januar 1960 wurden vom Zentralkomitee der Partei zwei Beschlüsse zur Verbesserung des sowjetischen Rundfunks und „Uber die weitere Entwicklung des sowjetischen Fernsehens" gefaßt. Mit dem Beschluß über das sowjetische Fernsehen wird nun auch von Seiten der Partei deutlich gemacht, daß das Fernsehen neben den bisherigen Medien eine eigene Rolle und Bedeutung hat. Es heißt in dem Beschluß: „Zusammen mit Presse und Rundfunk ist das Fernsehen dazu berufen, eine gewichtige Rolle bei der Erziehung der Sowjetmenschen im Geiste kommunistischer Überzeugung und Moral, der Unversöhnlichkeit gegenüber bürgerlicher Ideologie und Moral zu erziehen; zur Mobilisierung der Werktätigen zur erfolgreichen Erfüllung des Siebenjahresplans. Das Fernsehen eröffnet neue große Möglichkeiten zur täglichen politischen, kulturellen und ästhetischen Erziehung der Bevölkerung, darunter auch jener Schichten, die weniger von der politischen Massen-arbeit erfaßt werden."
Dieser Beschluß enthält einen ganzen Katalog von Fehlern und Mängeln des sowjetischen Fernsehens, und es wird hervorgehoben, daß die Hauptaufgabe des Fernsehens „die Propaganda der Beschlüsse der Parteitage und des Plenums der Zentralkomitees der Kommunistischen Partei, der Innen-und Außenpolitik des Sowjetstaates, des Kampfes der Sowjetunion für eine friedliche Entscheidung der internationalen Fragen" sei. Partei-und Staatsstellen, Ministerien und Institute, Zeitungen und Zeitschriften werden aufgefordert, sich für eine Verbesserung des Fernsehens und seines Programms tatkräftig einzusetzen. Im selben Jahr wird das zentrale Fernsehstudio aufgelöst; die Sendungen des Moskauer Rundfunks werden durch das Komitee für Rundfunk und Fernsehen beim Ministerrat und dessen Haupt-redaktionen, die unter der Bezeichnung „Zentrales Fernsehen der UdSSR" zusammengefaßt sind, geplant und verwirklicht.
Die Entwicklung von 1960 bis 1967 ist einmal dadurch gekennzeichnet, daß sowohl die Telezentren um mehr als 50 -auf rund 125 -und auch die Fernsehzentren und Übertragungs-Stationen auf mehr als das Dreifache vermehrt wurden. Der Wirkungskreis eines jeden Telezentrums ist nämlich nicht besonders groß: er reicht bis zu 150 km. Damit eine möglichst große Anzahl von Sowjetbürgern die Programme sehen kann, wurden Kabellinien, Relais-linien und Ubertragungsstationen errichtet. Bei den 920 Fernsehzentren und Übertragungsstationen (1967) handelt es sich also um eine erhebliche Anzahl von größeren Übertragungsstationen (95). Nachdem anfangs vor allem im europäischen Teil der Sowjetunion und in den Städten das Fernsehprogramm verfolgt werden konnte, wurde durch den Ausbau des Fernsehnetzes auch einem erheblichen Teil der ländlichen Bevölkerung in fernen Teilen der Sowjetunion die Möglichkeit gegeben, das Programm zu verfolgen.
Im Jahre 1962 wurde das zentrale Fernsehen der Sowjetunion durch „Intervision" mit den sozialistischen Ländern verbunden. Uber Wien besteht auch eine Verbindung mit der „Eurovision". Seit 1965 strahlt das zentrale Fernsehen auch ein reguläres drittes Programm aus, das -ähnlich wie beim Rundfunk -vor allem ein Bildungsprogramm ist. Zwischen dem Jahre 1965 und dem Beginn des Jahres 1968 wurden sieben Satelliten „Molnija" in eine Erdumlaufbahn befördert, um der Übertragung in die weiter entfernten Gebiete der Sowjetunion zu dienen. Seit 1967 dient das Satelliten-system „Orbita" diesem Zweck. Ziel dieses Ausbaus ist es, die gesamte Bevölkerung der Sowjetunion durch das Fernsehen zu erreichen. Doch soll dieses System nicht auseinanderfallen in die Programme verschiedener Sender und Studios, es soll vielmehr durch eine Art Ringsystem verbunden werden mit dem zentralen Fernsehen
Die Struktur des sowjetischen Fernsehens kann mit der des Rundfunks verglichen werden. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß Rundfunk und Fernsehen demselben staatlichen Komitee unterstellt sind. Wie aus der Anordnung des Zentralkomitees hervorgeht, sind die zuständigen Parteiorganisationen gehalten, sich um die Gestaltung des jeweiligen Fernsehprogramms zu kümmern. In diesem Entwicklungsabschnitt ist es jedoch offensichtlich noch nicht gelungen, die Wünsche der Fernsehteilnehmer ausreichend zu befriedigen. Ein russischer Literaturkritiker, Sappak, hat den Formalismus, die Langweile und Unwahrhaftigkeit des sowjetischen Fernsehens im Jahre 1963 angeprangert Zwar ist das Fernsehen in diesem Entwicklungsabschnitt le-bendiger und lockerer geworden (wobei man nicht die bei uns üblichen Maßstäbe anwenden darf), doch befand es sich ständig unter dem wachsamen Auge der Partei. In Zeitschriften der Partei wurde das Thema Fernsehen immer wieder aufgegriffen: „Der Fernsehschirm soll, genauso wie die Zeitung, nicht nur ein kollektiver Propagandist und Agitator, sondern auch ein kollektiver Organisator der Massen sein."
Seit 1967 hat sich die Zahl der Fernsehzentren und Übertragungsstationen auf 1231 erhöht, während die Zahl der Telezentren (also jener Zentren, die ein eigenes Programm herstellen) 127 beträgt. Die Zahl der Fernsehgeräte beträgt ca. 40 Millionen. Zum 50. Jahrestag der Oktoberrevolution wurde das Fernsehzentrum Ostankino in Moskau in Betrieb genommen. Von dort aus werden vier Schwarz-Weiß-Programme und ein Farbfernsehprogramm ausgestrahlt. Am 1. Oktober 1967 wurde mit der ersten offiziellen Übertragung des Farbfernsehens begonnen. Die Versorgung der Bevölkerung mit Fernsehempfängern ist von 1965 bis 1969 erheblich verbessert worden. Im Jahre 1965 kamen auf 1000 Einwohner 68 Fernsehgeräte, im Jahre 1969 127
Das Programm des sowjetischen Fernsehens wird in den Zeitungen veröffentlicht. So bringt z. B. die Prawda einen kurzen Überblick und vier Programme. Eine Durchsicht dieser Programme zeigt, daß Musik, Sport und Unterhaltung eine erhebliche Rolle spielen, daneben jedoch die politische und auch die belehrende Sendung einen großen Zeitraum für sich in Anspruch nehmen. Besonders deutlich wird es natürlich bei Jubiläen, wie der 100. Wiederkehr des Geburtstags Lenins im April 1970.
Ein Artikel, der im Juni 1967 erschien begann mit dem Hinweis, daß man zwar in der Sowjetunion Zahlen über Zeitungen, Zeitschriften und Bücher habe, jedoch die Zahl der Fernsehzuschauer unbekannt sei, man auch nichts darüber wisse, welche Sendungen sie interessierten. Daraufhin wurde das soziologische Laboratorium am Leningrader Institut für komplexe soziale Forschungen damit beauftragt, Tests des Fernsehpublikums durchzuführen. Der erwähnte Artikel gibt keine Ergebnisse dieses Testes an, doch weist der interviewte Soziologe Boris Firsow darauf hin, daß man sich nicht nach dem Durchschnittszuschauer und dem Durchschnittsgeschmack richten wolle. Die erzieherische Funktion des Fernsehens spiele eine größere Rolle als die Wünsche der Fernsehzuschauer. In den letzten Jahren sind umfassendere Untersuchungen vorgenommen worden, die die beliebtesten Sendungen festzustellen versuchten, nach Fernsehgewohnheiten fragten und z. B. auch das Interesse von Kindern und Heranwachsenden ermitteln sollten.
Aus Presseveröffentlichungen läßt sich entnehmen, daß auch Sowjetbürger die leichtere Unterhaltung bevorzugen. So hatte z. B. die seit 1967 laufende Fernsehserie „Die Kneipe der dreizehn Stühle" einen außerordentlich großen Erfolg. Dabei handelte es sich keineswegs um ein Kriminalstück oder ein Quiz, sondern um ein Stelldichein in einer kleinen gemütlichen Kneipe. Im Mittelpunkt steht die geplagte Hausfrau, ihre Sorgen, ihre Fragen in Familie, Betrieb und Gesellschaft Die satirische Zeitschrift „Krokodil" macht sich ab und zu über das Fernsehen lustig. So zeigte Zi B. in diesem Jahr eine Karikatur, wie Theaterbesucher fluchtartig eine langweilige Vorstellung verlassen. Von der Bühne aus wird ihnen jedoch zugerufen: „Es nützt gar nichts, daß Ihr weglauft! Unser Schauspiel wird sowieso durch Rundfunk und Fernsehen übertragen."
Und selbst ein Delegierter des XXIV. Parteikongresses, gleichzeitig Abgeordneter des Obersten Sowjets und Held der sozialistischen Arbeit, Klujew, erklärt in einem Interview, daß er die „Kneipe der dreizehn Stühle", Sportübertragungen und Filme besonders schätzt:
„Ich komme nach der ersten Schicht von der Arbeit, möchte mich ausruhen, umschalten. Dann möchte ich letzten Tagesnachrichten die hören, die letzten Nachrichten über internationale Ereignisse. Später schau ich mit Interesse Sportübertragungen, Filme und Schauspiele an."
Der XXIV. Parteikongreß hat in seinen Direktiven für den Fünfjahrplan von 1971 bis 1975 festgelegt, daß das Rundfunk-und Fernsehnetz weiter verbreitet und ausgeweitet werden soll, auch durch die Verwendung von Satelliten im Weltraum. Ferner sind zwei Fernsehprogramme in Farbe vorgesehen. Der stellvertretende Vorsitzende des Staatlichen Komitees des Ministerrates für Fernsehen und Rundfunk, Leonid Maksakow, hat über den gegenwärtigen Stand und die geplante Entwicklung einige Angaben gemacht Ostankino strahlt täglich vier Programme mit einer Gesamtdauer von mehr als 50 Stunden aus. Dazu kommt ein Programm, das durch das System „Orbita" übertragen wird. Dieses System ist für Mittelasien, Sibirien und den Fernen Osten bestimmt. Seit dem 1. März 1971 wird ferner durch das System „Wostok" ein weiteres Programm für Mittelasien und Sibirien ausgestrahlt, das um drei Stunden vorverlegt ist; praktisch stellt es das sechste Programm des zentralen Fernsehens dar. Farbprogramme werden gegenwärtig in Moskau, Kiew und Tiflis ausgestrahlt. Noch im Jahre 1971 sollen in Leningrad und Tallin Farbfernsehstudios in Betrieb genommen werden. Zur Zeit besorgt das Zentralfernsehen die meisten Farbsendungen; in einer Woche werden 25 Stunden in Farbe ausgestrahlt. Während das Verbundnetz des Fernsehens weiter verbessert werden soll, sollen die Sendungen des örtlichen Fernsehens nicht vergrößert und ausgewertet, sondern eher eingeschränkt werden. Dafür bietet die Hauptverwaltung für das örtliche Fernsehen Telefilme an, deren Inhalt kurz skizziert wird Im neuen Fünfjahrplan soll das Fernsehnetz so ausgeweitet werden, daß 180 Millionen Einwohner der Sowjetunion, d. h. 75 0/0 der Gesamtbevölkerung, die Programme empfangen können. Der Umfang der Rundfunksendungen soll nicht verringert werden. Leonid Maksakow sagte hierzu: „Wir sind der Ansicht, daß Rundfunk und Fernsehen einander nicht ausschließen, sondern ergänzen."
VII. Schlußbemerkung
Abbildung 9
Jahr Rund funkStation en Empfangs- geräte insgesamt Draht-funk- geräte Rund-
Die sowjetischen Massenmedien spiegeln in ihrer Entwicklung und Funktion das Wert-und Herrschaftssystem der Sowjetunion wider. Nach wie vor sind die Massenmedien Erziehungs-und Indoktrinationsinstrument der Partei. Sie ist es, die bestimmt, lenkt, zensiert und überwacht. Die große Hoffnung, die sich einmal an das „Tauwetter" unter Chruschtschow knüpfte, ist seit seinem Sturz sehr klein geworden. Seit dem XXIII. Parteitag des Jahres 1966 und vor allem seit der Besetzung der Tschechoslowakei wiederholt die Partei ihre Mahnungen und teilweise auch Drohungen, Journalisten, Publizisten und Schriftsteller müßten jede „ideologische Diversion” durch Parteilichkeit und Prinzipientreue unschädlich machen. Die dritte überarbeitete Neuauflage des „Handbuches des Journalisten" formuliert unmißverständlich: „Im harten Kampf um den Geist der Menschen darf es keine Verteidigungsposition geben. Unsere Devise — entschlossener Angriff. Jedes Pressematerial, jede Rundfunk-und Fernsehsendung muß bei den derzeitigen Verhältnissen ideologische Sprengladung besitzen."
Das ist jedoch nur eine Seite der Entwicklung. Denn seit Stalins Tod sind Veränderungen eingetreten, die das Regime und seine Medien verunsichert haben. Reglementierung und Indoktrinierung reichen offensichtlich nicht mehr zur Lenkung der Sowjetgesellschaft aus. Das System war nach Stalins Tod stärker als zuvor -vor allem wegen des Wettlaufs mit den so-genannten kapitalistischen Staaten -auf die »Intelligenzija" angewiesen. Erst zögernd, dann selbstbewußter forderten Angehörige der Intelligenzija bessere Information, dann auch die Möglichkeit, ihre Meinung in die Entscheidungsprozesse mit einzubringen -und schließlich sogar Meinungsfreiheit. Naturwissenschaftler, Wirtschaftswissenschaftler und Schriftsteller artikulierten ihre Forderungen nicht zur Zerstörung des Systems, sondern zu seiner Verbesserung, zur Demokratisierung.
Zeitweise schien Chruschtschow solchen Vorstellungen Gehör zu schenken. Er war sich offensichtlich dessen bewußt, daß man den „neuen Menschen", den man zur Verwirklichung des Kommunismus braucht, nicht erzwingen kann. Die Medien wurden nicht nur kräftig ausgeweitet, man bemühte sich auch, mit mehr Phantasie den Wünschen der Sowjetbürger zu entsprechen, ohne das Grundprinzip der Parteilichkeit preiszugeben. Die Förderung des „individuellen Abonnements" und erste zaghafte Versuche, die Leserwünsche zu erforschen, waren Folgen dieser Bemühung. Die unerwünschte Konkurrenz durch Sender wie „Stimme Amerikas", „BBC", „Radio Liberty", „Deutsche Welle" usw. zwang die sowjetischen Medien, ihr Informationsangebot zu überprüfen. Und die zunehmenden polyzentristischen Tendenzen innerhalb des Weltkommunismus machten die Sowjetbürger mit gefährlichen Informationen und Meinungen aus den Reihen der Bruderparteien bekannt
Als Chruschtschow erkennen ließ, daß das „Tauwetter" zu Ende sei, erschien im Jahre 1962 -gleichsam als erstes „Gegenmedium" -die Samisdatausgabe des literarischen Magazins „Phoenix". Auch innerhalb der Medienhierarchie zeigten sich Andeutungen von Unordnung. Solange z. B.der Schwiegersohn Chruschtschows, Adschubei, Chefredakteur des Regierungsorgans „Iswestija" war, hatte das Parteizentralorgan eine Konkurrenz, die die Führungsrolle der „Prawda“ zweifelhaft machte. Die Machtkämpfe im Hintergrund haben den Sturz Chruschtschows überdauert und wirken sich auch auf die Presse aus. Die Presse der Sowjetunion ist nicht mehr ganz so uniform wie zu Stalins Zeiten. Das bekannteste Beispiel ist sicherlich die Zeitschrift „Nowy mir"; auch wenn man hinzufügen muß, daß sie inzwischen ihren Chefredakteur Twardowski verloren hat.
Nach dem Sturze Chruschtschows (1964) versuchten Partei und Staat durch Umbesetzungen, Schriftstellerprozesse, verstärkte Indoktrinierung und durch Drohungen wieder Ordnung und Ruhe zu schaffen. Doch inzwischen haben sich die „Gegenmedien" etabliert. Die in regelmäßigen Abständen erscheinende Samisdat-Zeitschrift „Chronika" ist keine rein literarische Zeitschrift, sondern versteht sich als Informationsorgan mit politischer Funktion
Große Sorge scheint der Partei auch die junge Generation zu bereiten. Der damalige Chefredakteur der „Iswestija", Tolkunow, hat diesem Problem einen Beitrag gewidmet, der unter dem Titel „Die Formierung des neuen Menschen. Probleme der sittlichen Erziehung und die Presse“ in der Parteizeitschrift „Kommunist" erschienen ist. Tolkunow schrieb darin über die jungen Sowjetbürger unter dreißig Jahren: „Sie haben einen starken Drang entwickelt, selber Antworten auf die sie bewegenden Fragen zu finden, vor allem zu begreifen und nicht fertige Formeln auswendig zu lernen. Zugleich aber verfügen sie nicht immer über die genügende politische und sittliche Standfestigkeit, die Lebenserfahrung. Die Sorge um ihre geistige, bürgerliche, moralische Erziehung -, das ist die Sorge um die Zukunft des Landes, um das Schicksal der Errungenschaften des Volkes."
Umfang und Bedeutung der kritischen Stimmen und Gegenmedien in der sowjetischen Gesellschaft lassen sich nicht nachweisen. Die Mei-nungen darüber klaffen weit auseinander. Es wäre daher verfehlt, wollte man von ihnen erwarten, sie könnten das System kurzfristig ernsthaft gefährden. Das Monopol der Massenmedien bestimmt immer noch die „öffentliche Meinung" in der Sowjetunion. Eines läßt sich aber mit Sicherheit sagen, jene Stimmen, die Informations-und Meinungsfreiheit fordern, werden nicht mehr verstummen. Zwei von ihnen sollen abschließend zitiert werden.
Der sowjetische Physiker Sacharow schrieb in seinem „Memorandum": „Ein . Gesetz über Presse und Information'muß ausgearbeitet, besprochen und angenommen werden, welches das Ziel verfolgt, nicht nur die verantwortungslose ideologische Zensur abzuschaffen, sondern auch die Selbstkritik in unserer Gesellschaft und den Geist furchtloser Diskussion und Erforschung der Wahrheit zu fördern. Dieses Gesetz muß die praktische Hilfe für die Gedankenfreiheit schaffen."
Der Schriftsteller Solschenizyn schrieb am 12. November 1969 an den Schriftstellerverband der RSFSR: „Publizität, ehrliche und vollständige Publizität, das ist die oberste Voraussetzung für die Gesundheit jeder Gesellschaft, auch der unsern. Wer keine Publizität für unser Land will, dem ist das Vaterland gleichgültig, der denkt nur an seinen Vorteil.“
Paul Roth, Dr. phil., geb. 1925 in Berlin; Studium der Publizistik, Philosophie, Theologie, Psychologie und Geschichte in Berlin, Erlangen, Frankfurt/M. und München; Wiss, Direktor an der Wehrakademie in Hilden. Veröffentlichungen u. a.: Die sowjetische Presse von 1940— 1962, in: Publizistik 1/1964; Die Funktion der Presse in der Sowjetunion, in: Stimmen der Zeit (Juli) 1965; Die Kampftruppe der Sowjetpresse, in: Stimmen der Zeit (April) 1966; Durch die sowjetische Brille: Die Presse in der Bundesrepublik Deutschland, in: Osteuropa 12/1967; Tendenzen und Entwicklungen der sowjetischen Zeitungspresse, in: Osteuropa 4/1969; Die Karikatur in der Sowjetunion, in: Osteuropa 8/1970; Die Presse-konzentration in der Sowjetunion, in: Der Journalist 9/1970.
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