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Ziele und Lerngegenstände des politischen Unterrichts zur Vorbereitung auf die Arbeitswelt | APuZ 8/1975 | bpb.de

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APuZ 8/1975 Ziele und Lerngegenstände des politischen Unterrichts zur Vorbereitung auf die Arbeitswelt Anmerkungen zur Arbeitslehre Arbeitslehre — Entstehungsgeschichte und didaktische Problemlage im Zusammenhang mit Berufsausbildung und politischer Bildung

Ziele und Lerngegenstände des politischen Unterrichts zur Vorbereitung auf die Arbeitswelt

Ernst Reuter

/ 9 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Arbeitslehre sollte zugleich immer auch politischer Unterricht sein. Unabhängig davon, daß für die Arbeitslehre verschiedene Konzeptionen denkbar sind (als eigenständiges Fach oder als Kooperationsbereich verschiedener Fächer), bedarf sie eines didaktischen Leitgedankens, der die politische Dimension mit einbezieht. Dieser didaktische Leitgedanke könnte heißen: Orientierung des Unterrichts an gesellschaftlichen Konflikten; der politische Leitgedanke wäre als Parteinahme für den künftig lohnabhängig Arbeitenden zu charakterisieren. Der politische Leitgedanke müßte u. a. in einer entsprechenden Unterrichtsorganisation zum Ausdruck kommen, die sich allerdings nicht nur auf die Arbeitslehre beschränken dürfte und die folgendes vermeiden bzw. zum Gegenstand kritischer Information machen sollte: das unverbundene Nebeneinander der Unterrichtsinhalte und damit die bloße Stoffvermittlung ohne Einsicht, wozu man das alles lernt; das Lernen für Zensuren in Konkurrenz gegen andere; kurz: der . unpolitische'Charakter des Lernens mit der — erwünschten oder zumindest nicht unerwünschten — politischen Wirkung, über ein Nadiwuchspotential zu verfügen, das sich dann auch im Betrieb inhaltlichen Anforderungen gegenüber unkritisch verhält. Die Reflexion über diese dem kapitalistischen Verwertungsprozeß entgegenkommende Form der Herstellung von Qualifikationen in der Schule wäre bereits grundlegender Bestandteil eines politisch verstandenen Arbeitslehreunterrichts. Hinsichtlich des didaktischen Leitgedankens einer Orientierung der Arbeitslehre an gesellschaftlichen Konflikten hat das Ausgehen von konkreten Konfliktsituationen nichts mit einer Vorbereitung zum Kampf gegen die Gesellschaftsordnung zu tun, sondern die kritische Würdigung des Erreichten stellt immer den Ausgangspunkt für Überlegungen über die Weiterenwicklung im Sinne des grundsätzlichen Auftrages zur Verwirklichung der sozialstaatlichen Ordnung dar.

Die Bundeszentrale für politische Bildung veranstaltet im März dieses Jahres eine didaktische Fachtagung zum Thema . Schule und Arbeitswelt“. Eine einleitende Podiumsdiskussion soll die unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Standpunkte, die für die Ausgestaltung des auf die Arbeitswelt vorbereitenden Unterrichts von Bedeutung sind, herausstellen. Angehörige der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und des Instituts der deutschen Wirtschaft wurden gebeten, ihre Vorstellungen dazu kurz zusammenzufassen. Eine Einführung in den Sachbereich aus der Sicht der Erziehungswissenschaften bietet Georg Groth in dem anschließendentBeitrag.

Ich fasse das Thema so auf, daß mit ihm das Fach bzw.der Fachbereich Arbeitslehre nicht in Frage gestellt und die Inhalte der Arbeitslehre nicht der politischen Bildung zugeschlagen werden sollen, sondern daß klargestellt werden soll, daß Arbeitslehre immer politischer Unterricht zu sein hat. Unabhängig davon, daß für die Arbeitslehre verschiedene Konzeptionen denkbar sind (Arbeitslehre als eigenständiges Fach oder als Kooperationsbereich verschiedener Fächer), bedarf sie daher eines didaktischen Leitgedankens, der die politische Dimension mit einbezieht. Eine Verständigung über Inhalte und Verfahren der Arbeitslehre ist aber nicht möglich, wenn nicht vorweg geklärt wird, welche Leitprinzipien für den politischen Unterricht insgesamt gelten sollen.

Die Offenlegung und Begründung dieser Leitgedanken ist heute erneut notwendig geworden, weil Konzeptionen, die pädagogisch ausdiskutiert und längst zur Selbstverständlichkeit geworden sind, von konservativen Kräften aus durchsichtigen Gründen neuerdings unter Ideologieverdacht gestellt und zur Verunsicherung der Bevölkerung mißbraucht werden.

Ich lege daher zunächst offen, unter welchen Intentionen Arbeitslehreunterricht für mich zu stehen hat. Der politische Leitgedanke heißt für mich: Parteinahme für den künftig ^hnabhängig Arbeitenden; den didaktischen des Unterrichts an gesellschaftlichen Konflikten.

Zur Begründung versuche ich, den Argumentationszusammenhang kurz wiederzugeben, der in der pädagogischen Diskussion seit Mitte der sechziger Jahre zur Umorientierung des politischen Unterrichts im oben genannten Sinne geführt hat: Politischer Unterricht wandelte sich in der Nachkriegszeit gegenüber dem der Vergangenheit nur in der Weise, daß wir von einem „Hurrapatriotismus" in eine „Hurrademokratie" (Giesecke) hinüber-wechselten. Was sich änderte, war die Auffassung von der erstrebenswerten Staats-und Gesellschaftsordnung (dabei stand das ehrliche Bekenntnis der Lehrerschaft zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit außer Zweifel); was blieb, war der akklamatorische Charakter des Unterrichts. Akklamiert wurde nun dem statischen und harmonistischen Bild einer weisen, aus sich selbst heraus funktionierenden Ordnung. Politischer Unterricht wurde dadurch im äußersten Maße „. *unpolitisch Das Wesen des Politischen, die Auseinandersetzung verschiedener Interessengruppen unter Einsatz von Machtmitteln verschiedenster Art, wurde ausgeblendet bzw. durch die Gleichsetzung von Gesellschaft und Gemeinschaft eliminiert. Der solchen Vorstellungen der politischen Wirklichkeit ausgesetzte Jugendliche wußte sie dann weder mit dem ihm vermittelten Ordnungsbild in Einklang zu bringen noch ihr mit einer Handlungsperspektive zu begegnen. Die Folge war ein Gefühl der Enttäuschung, die dann entweder in Resignation oder in unpolitischen Radikalismus und Aktionismus, wenn nicht gar in Anfälligkeit für rechtsextreme Tendenzen umschlagen mußte. Wenn man Resignation und Radikalismus verhindern will, muß man einen politischen Unterricht anstreben, der das Wesen des Politischen direkt vermittelt. Am Anfang kann dann nicht die Information über die in Verfassung und Gesetzen niedergelegte Ordnung unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens stehen. Am Anfang hat vielmehr — didaktisch realisiert in Form der Fallstudie oder des Projektes — ein politischer Interessenkonflikt zu stehen. Verfassung und Gesetze kommen auf die Weise in den Blick, daß sie daraufhin befragt werden, — welche „*Spielregeln sie für die Austragung dieses Konfliktes vorsehen und — ob sie allen Interessen die gleiche Chance der Darstellung und Durchsetzung sichern.

Nur auf diese Weise kann überzeugend einsichtig werden, welche Vorteile und Möglichkeiten eine demokratisch-rechtsstaatliche Ordnung bietet. Notwendigerweise kommt damit aber zugleich in den Blick, wo Demokratie und Rechtsstaatlichkeit noch nicht oder noch unzulänglich verwirklicht sind und wo derartige Schwächen durch Ideologien (durch Rekurrieren auf das Gemeinwohl, auf soziale Partnerschaft oder auf angeblich nur Sachgesetzen gehorchende Produktionsverhältnisse) verdeckt werden sollen oder wo Bemühungen um ihre Überwindung durch ein angebliches Pluralismusgebot des Grundgesetzes unter Ideologieverdacht gerückt werden.

Ein Pluralismusverständnis, das von der Gleichwertigkeit aller gesellschaftlichen Gruppeninteressen ausgeht und vom Lehrer die Neutralität in diesen Interessenkonflikten fordert, ist nämlich selbst Ideologie, weil sie notwendigerweise den Interessen des ökonomisch Mächtigeren zum Durchbruch verhilft. Unter dem Einfluß dieser Ideologie und den in ihrem Sinne ausgerichteten Lehrbüchern sind denn auch die Schüler in drastischer Weise im Unternehmerinteresse indoktriniert worden. Selbst vor Verfälschungen (z. B. Darstellung von Arbeitslohn und Unternehmergewinn als sich entsprechende Daten oder Uminterpretation von dem Arbeitnehmer gesetzlich garantierten Rechten in Fürsorgemaßnahmen des Arbeitgebers) wurde dabei nicht haltgemacht.

Diesen Praktiken das Leitprinzip der Parteinahme für den künftig lohnabhängig Arbeitenden entgegensetzen bedeutet nicht, nun einer Indoktrinierung in anderer Richtung das Wort zu reden. Lehrer zu sein bedeutet Anwalt des Schülers zu sein, der Autonomie gegenüber gesellschaftlichen Zwängen aus eigener Kraft nicht erringen kann. Eine Parteinahme für den Jugendlichen in diesem Sinne ergibt sich aus der dem Lehrer in den Schulgesetzen auferlegten Verantwortung für die Erziehung. Inhalt dieser Verantwortung leitet sich aus Artikel 2 des Grundgesetzes ab, das jedem Menschen „die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit“ garantiert. Parteinahme für den Lohnabhängigenergibt sich daraus, daß die Diskrepanz zwischen diesem Grundrecht und seinen Arbeitsbedingungen und Lebenschancen am größten geblieben ist. Aufklärung über diese Diskrepanz und Information über mögliche verfassungskonforme Alternativen und Gegenmodelle sowie über Möglichkeiten, solche Veränderungen durchzusetzen, ist für den künftig Lohnabhängigen existenznotwendig, damit er später der Fremdbestimmung gegenüber nicht resigniert. Sie ist dem später Privilegierten zuzumuten, damit die Führungsschicht von morgen ihre unsozialen Züge und die unsoziale Rücksichtslosigkeit überwindet, wie sie sich in der deutschen Geschichte in mannigfaltiger Weise offenbart haben, in der Uninteressiertheit der Universität an der Arbeitsmedizin oder den Arbeitswissenschaften ebenso wie jüngst in der Drohung von Unternehmerseite mit einem Ausbildungsboykott angesichts der Regierungspläne für ein kleines Stückchen Berufsbildungsreform. Aufklärung in dieser Form leitet sich ab aus der pädagogischen Verantwortung des Lehrers. Zur Indoktrination wird sie erst dann, wenn der Lehrer den Schülern ein bestimmtes Lösungsmodell oder eine bestimmte Durchsetzungsstrategie aufzuzwingen versucht. Die Intention, im Gespräch mit den Schülern auf die Erkenntnis hinzuarbeiten, daß eine bestimmte Lösung sozialer ist als eine andere, ist dagegen nicht Indoktrination, sondern aus pädagogischer Verantwortung entwickelte Parteinahme.

Inhalte und Verfahren

Es ist bekannt und oft genug dargelegt worden, daß der traditionelle, primär sprachlich-literarisch geprägte Fächerkanon einen bestimmten Begabungstyp und ein bestimmtes soziales Milieu bevorzugt und daß es dringend notwendig ist, auch dem — weniger an milieubedingte Voraussetzungen gebundenen — technischen und ökonomischen Denken die gleichen Entfaltungsmöglichkeiten und dieselben Aufstiegschancen zu bieten. Es ist jedoch nicht damit getan, den alten Fächerkanon additiv durch technische und ökonomische Inhalte zu ergänzen. Die wesentlichen Schwächen der heutigen Unterrichtsorganisation würden durch eine solche bloße Ausweitung des Fächerkanons noch verschärft: das unverbundene Nebeneinander der Unterrichtsinhalte und damit die bloße Stoffvermittlung ohne Einsicht, wozu man das alles lernt; das Lernen für Zensuren in Konkurrenz gegen andere; kurz: der „unpolitische“ Charakter des Lernens mit der — erwünschten oder zumindest nicht unerwünschten — politischen Wirkung, über ein Nachwuchspotential zu verfügen, das sich dann auch im Betrieb inhaltlichen Anforderungen gegenüber unkritisch verhält, sich Veränderungen dieser Anforderungen widerstandslos anpaßt und Umsetzungen wie Disqualifizierungen ergeben hinnimmt.

Die Reflexion über diese, Schülern und Lehrern aufgezwungene, dem kapitalistischen Verwertungsprozeß entgegenkommende Form der Herstellung von Qualifikationen in der Schule wäre bereits grundlegender Bestandteil eines politisch verstandenen Arbeitslehreunterrichtes. Auch der Protest der CDU-Kultusminister gegen die Empfehlung des Bildungsrates, durch die Schülern und Lehrern mehr Mitbestimmung bei der inhaltlichen Gestaltung des Unterrichts zugestanden werden sollte, muß vor diesem Hintergrund gesehen werden.

Die Schulung technischer und ökonomischer Intelligenz im Unterricht aller Schulen ist notwendig, und es sind dafür didaktische Modelle entwickelt worden; für die Technik der nacherfindende Unterricht beispielsweise mit der Aufgabe, eine Drehbewegung in eine Hin-und Herbewegung (Scheibenwischer) an Hand eines Funktionsmodelles umzuwandeln; für die Ökonomie die Herstellung eines Produkts im schulischen Werkunterricht einschließlich Von Planung, Kostenkalkulation und arbeitsteiliger Fertigung. Wir haben inzwischen erkannt, daß solche Unterrichtsvorhaben einer Vorbereitung des Jugendlichen auf seine spätere Rolle in der Arbeitswelt im Wege stehen können, weil sie dazu führen, daß Jugendliche, die später Teilarbeiten unter fremder Disposition zu verrichten haben werden, die Rolle des Ingenieurs oder des Miniunternehmers verinnerlichen. Das Gefühl der Enttäuschung mit den eingangs genannten Gefahren wird dann im Berufsleben nicht ausbleiben.

Dennoch haben Unterrichtsvorhaben dieser Art ihren Sinn, wenn damit das Ziel der Uberqualifikation im Sinne der Polyvalenz verfolgt wird. Mit Arbeitslehre haben sie jedoch solange nichts zu tun, wie sie gegenüber der Anwendungssituation abstrakt bleiben und die Brücke zu den tatsächlichen Arbeitsbedingungen im bestehenden ‘Produktionsprozeß nicht geschlagen wird.

Hier gilt es dann vor allem, der Ideologie der technisch-ökonomischen Sachgesetzlichkeit entgegenzutreten und zu verdeutlichen, daß das einzelne Unternehmen bei der Organisation des Produktionsprozesses durchaus über Lösungsalternativen verfügt. Man kann z. B. die Tätigkeit des Maschineneinrichtens, -bedienens und -wartens einem Arbeiter anvertrauen und ihm damit einen umfassenden Verantwortungsbereich zubilligen; man kann diesen Arbeitsbereich aber auch in Teilarbeiten aufgliedern und einzelne Arbeiter auf diese Teilarbeiten hin spezialisieren. Man kann solche Spezialisierungen zugleich mit einer Hierarchisierung verbinden und diese wiederum mit raffinierten Lohnanreizsystemen, die innerhalb gleicher Gruppen von Arbeitern die Konkurrenz untereinander verschärfen und die Solidarisierung erschweren. Man weiß heute, daß selbst die Fließbandarbeit und andere Formen repetitiver Teilarbeit nicht das zwangsläufige Ergebnis technologischer Sachgesetzlichkeiten sind, sondern daß Alternativen mit dem Ziel der Humanisierung der Arbeit und der Entschärfung von Entfremdungsprozessen denkbar sind.

Probleme dieser Art müssen im Arbeitslehreunterricht behandelt, Initiativen zur Veränderung im Sinne einer Humanisierung der Arbeitswelt ermutigt werden. Dazu bieten sich u. a. als Themen an:

— Formen der Arbeit (Fließbandarbeit, Akkordarbeit, Schichtarbeit, Mitarbeit der Frau usw.) und ihre Auswirkung auf die wirtschaftliche und private Situation der Arbeiterfamilie; — Tarifkonflikt, Tarifvertrag, Arbeitsvertrag;

— die Rolle der Gewerkschaften in Wirtschaft und Gesellschaft;

— Mitbestimmung im Betrieb und überbetriebliche Mitbestimmung; — das Arbeitsrecht als Sonderrecht zum Schutz des Arbeitnehmers und die Praxis der Rechtsprechung; — Wirtschaftsunternehmen: Klein-und Großbetrieb, Aktiengesellschaft und Aktienrecht, Konzerne und Kartelle usw.; — private Investitionspolitik und Möglichkeiten staatlicher Lenkung.

Das ist thematisch nichts Neues. Wichtig ist jedoch, daß diese Themen nicht fachsystematisch abgehandelt werden. Sie sind Themen eines Stoffplanes für Arbeitslehre, nicht Themen des Unterrichts. Themen des Unterrichts sind, wie eingangs begründet, politisch zu formulieren und als Fallstudie oder Projekt zu gestalten. Konkret: Unterrichtsthema ist nicht „das Arbeitsrecht“ oder „das Aktienrecht“, sondern z. B. „eine Betriebsstillegung" oder „der Streik der Metallarbeiter in ...“. In diesem politischen Zusammenhang kommen dann Probleme der oben genannten Themenbereiche nicht abstrakt, sondern unter dem Aspekt ihrer Bedeutung für den Lohnabhängigen in den Blick, z. B.:

Die der Abfindung Aktienrecht: Rangfolge der Gläubiger bei einem Liquidationsverfahren: Zuerst kommen die Großkreditgeber (z. B. Banken), da die „Sicherheiten" (Rechte an Grundstücken, Maschinen, Rohstoffen und Produkten) absoluten Vorrang genießen. Dann folgen Lohnforderungen und Handwerker-und Lieferantenforderungen, die zum Zwecke der Absicherung des Vergleichsverfahrens, also im Interesse der betriebsfremden Gläubiger, noch Leistungen erbringen. Erst dann folgen rückständige Lohnforderungen und Rechnungen von Handwerkern und Lieferanten, aber dafür bleibt im Krisenfall meist nichts mehr übrig.

Die Rolie des Staates: Möglichkeiten des Eingreifens hat er zumeist erst im Falle des vor der Tür stehenden Konkurses; und auch dann nur in der Form der Sozialisierung der Verluste (z. B. das Konkursausfallgeld als Lohnersatz). Mitbestimmung: Hier muß zunächst das bereits Errungene dargestellt werden. Der Betriebsrat hat bei der Gestaltung von Arbeitsverfahren, Arbeitsabläufen und Arbeitsplätzen ein Beratungsrecht. Die Mitbestimmung endet heute noch da, wo es um den entscheidenden Bereich unternehmerischer Freiheiten geht. In unserem Falle der Betriebsstillegung gibt es nur eine Informationspflicht, keine Mitbestimmung. In diesem Zusammenhang wäre die DGB-Forderung nach gesamtgesellschaftlicher Mitbestimmung in Form von Wirtschafts-und Sozialräten anzusprechen. Arbeitsrecht: Es ist nahezu selbstverständlich, daß hier nur ein Konflikt als Ausgangspunkt des Unterrichts in Betracht kommt. Hier sollte an Hand konkreter Fälle dargestellt werden, wie in zähem Kampf Fortschritte mit dem Ziel der Einführung und des Ausbaues eines Arbeitsrechts als Sonderrecht für den eines besonderen Schutzes bedürftigen Arbeitnehmer erreicht worden sind; wie sich das Arbeitsrecht allmählich vom Individualzum kollektiven Recht gewandelt hat, daß damit der Charakter des Sonderrechts in Rechtswissenschaft und Rechtsprechung insofern wieder in Frage gestellt wird, als von gleich starken von der Waffengleichheit Parteien, der Sozialkontrahenten ausgegangen wird. Das Ausgehen von konkreten Konfliktsituationen hat also nichts mit einer Vorbereitung zum Kampf gegen die Gesellschaftsordnung zu tun, sondern die Würdigung des Erreichten stellt immer den Ausgangspunkt für Überlegungen über die Weiterentwicklung im Sinne des grundgesetzlichen Auftrages zur Verwirklichung der sozialstaatlichen Ordnung dar. Die Erörterung der ungelösten Probleme unserer Gesellschaft mit der Generation, die diese Probleme einmal zu lösen haben wird, ist eine für die Gewerkschaften unverzichtbare Aufgabe des Arbeitslehreunterrichtes aller Schulen.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Ernst Reuter, geb. 1922 in Osnabrück; Realschullehrer, Rektor einer Real-schule, Schulrat; seit 1969 Generalsekretär und Leiter des Referates B — Allgemeine Bildungspolitik — beim Hauptvorstand der GEW in Frankfurt. Veröffentlichungen u. a.: Sprachlehrebuch „Der neue Weg", 5. /6. und 7. — 9. Schuljahr, Frankfurt; Arbeitslehre, Stichworte — Entwicklungen — Kontroversen, in: Berufliche Bildung, 9, 1973, S. 155 ff.; Mitherausgeber der Fischertaschenbücher: „Was sollen Schüler lernen“, 1973, und „vernünftiger schreiben“, 1974.