Beschäftigungspolitische Möglichkeiten zur Bekämpfung hoher Arbeitslosigkeit bei Inflation
Günther Schmid /Dieter Freiburghaus
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Zusammenfassung
Im ersten Teil der Untersuchung wird eine Beurteilung der gegenwärtigen Lage und der voraussichtlichen Entwicklung des 'Arbeitsmarktes in der Bundesrepublik gegeben. Die Verfasser definieren die aus ihrer Sicht wichtigsten Probleme und weisen auf Gefahren hin, die in der heutigen Situation (anhaltende hohe Arbeitslosigkeit bei Inflation) liegen. In zweiten Teil werden verschiedene beschäftigungspolitische Instrumente analysiert, die der Arbeitsmarktpolitik kurzfristig und mittelfristig zur Verfügung stehen oder die zur Zeit in Wissenschaft und Politik diskutiert werden. Dabei wird auch auf die Erfahrungen anderer Länder zurückgegriffen, vor allem auf die der „aktiven Arbeitsmarktpolitik" in Schweden. Der Spielraum für eine Beeinflussung des Arbeitsvolumens mit Hilfe der Ausländer-politik ist heute geringer geworden; auch aus sozial-und strukturpolitischen Gründen sind dieser Alternative enge Grenzen gesetzt. Umschulung und Weiterbildung sind ebenfalls Alternativen, die quantitativ wenig bewirken; langfristig könnte und sollte dieses Instrument aber ausgebaut und zugleich sozial-und strukturpolitisch differenziert werden. In die Alternative der Reduktion oder Variation von Arbeitszeit werden in der heutigen Diskussion zu große und teilweise auch naive Hoffnungen gesetzt. Am wirkungsvollsten erscheint noch das Instrument der Kurzarbeit; es müssen aber bessere Kontrollmechanismen eingebaut werden, um Mißbrauch zu verhindern. Im Hinblick auf eine Verteilungspolitik der Unterbeschäftigung wird für zwei Alternativen plädiert, mit deren Hilfe die individuelle Belastung längerfristiger Arbeitslosigkeit vermindert werden könnte: zum einen eine Art Arbeitslosenrotation, die freilich in die Einstellungsautonomie der Betriebe eingreifen und die Arbeitsverwaltung vor große Verantwortung stellen würde, zum anderen eine Differenzierung der Arbeitslosenversicherung nach Risikogruppen. Im Hinblick auf Maßnahmen der Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen diskutieren die Autoren vor allem das Instrument der Lohnkostensubvention, dessen Reichweite u. U. stärker genutzt werden könnte. Insbesondere der Vorschlag des schwedischen Arbeitsmarktexperten Gösta Rehn, in Zeiten der Rezession nahezu jede Zusatzbeschäftigung zu subventionieren, scheint zumindest einer experimentellen Erprobung wert zu sein. Im Gegensatz zur rückwärtsgewandten und unproduktiven Arbeitslosenversicherung, die volkswirtschaftlich zudem wesentlich teurer ist, wird damit eine kostengünstigere und produktive „Vorwärtsstrategie" angeboten, die auch günstige Verteilungswirkungen und möglicherweise einen inflationssenkenden Effekt besitzt. Schließlich wird ein Arbeitsplatzentwicklungsfonds vorgeschlagen, der in konjunkturell guten Zeiten im wesentlichen aus Gewinnen der Betriebe (mit einem entsprechendem Anreiz der Steuererleichterung) zu finanzieren wäre und der in schlechten Zeiten flexibel für verschiedene arbeitsmarktpolitische Zwecke eingesetzt werden könnte.
I. Zur gegenwärtigen Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes in der Bundesrepublik Deutschland: Probleme und Gefahren
1. Die konjunkturelle Situation in der Bundesrepublik im Vergleich zu 1966/67
Abbildung 20
Tabelle 3: Verteilung der Dauer der Arbeitslosigkeit 1973— 1975 Quelle: ANBA
Tabelle 3: Verteilung der Dauer der Arbeitslosigkeit 1973— 1975 Quelle: ANBA
Die Bundesrepublik erlebt derzeit den zweiten bedeutenden Beschäftigungseinbruch der Nachkriegszeit. Die heutigen Probleme sind freilich größer als 1966/67 und zum Teil auch anders gelagert. Im Gegensatz zur letzten Rezession bewegt sich der Konjunkturzyklus der wichtigsten Partnerländer weitgehend synchron zur inländischen Konjunktur; das heißt, die Stimulierung durch die Auslandsnachfrage, welche die Krise 1966/67 so schnell beendete und in einen der stärksten Aufschwünge überführte, hat in der gegenwärtigen Situation eine viel geringere Bedeutung. Auch die Steigerungsraten im Geschäft mit dem Ostblock und mit einigen erdölproduzierenden Ländern gehen von einem zu niedrigen Sockel aus, um wesentliche Impulse zu geben.
Abbildung 21
Abbildung 21
Abbildung 21
Die bisher sehr starke Außenwirtschaftsposition der Bundesrepublik Deutschland wird gegenwärtig und voraussichtlich auch künftig zudem durch eine im Vergleich zu früheren Jahren wesentlich ungünstigere Kosten-und Wechselkurssituation geschwächt Der damit zusammenhängende negative Beschäftigungseffekt ist für ein Land, in welchem die Arbeitsplätze zu ca. einem Sechstel vom Export abhängen, natürlich sehr ernst zu nehmen
Für Anregungen und Kritik danken -wir Karlheinz Bentele, P. D. Dr. Erhard Blankenburg und Prof. Vladimir Stoikov.
Auf der anderen Seite bedeutet die Reduzierung der Ausfuhrüberschüsse eine in früheren Jahren geforderte Normalisierung, denn die jahrelange Unterbewertung der DM führte zu einem extrem hohen Beschäftigungsstand auf Kosten unserer Handelspartner. Diese „Normalisierung" wird wohl aber auch ein andauerndes Problem der Arbeitslosigkeit einschließen.
INHALT I. Zur gegenwärtigen Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes in der Bundesrepublik Deutschland: Probleme und Gefahren 1. Die konjunkturelle Situation in der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich zu 1966/67 2. Mittelfristige Aussichten für den Arbeitsmarkt 3. Arbeitsmarktprobleme bei anhaltender hoher Arbeitslosigkeit a) Umschichtungen in der Struktur der Arbeitslosigkeit b) Entstehung von Teilarbeitsmärkten c) Zunahme marginaler Erwerbspersonen II. Alternative beschäftigungspolitische Möglichkeiten in der gegenwärtigen Krise 1. Verteilungspolitik der Unterbeschäftigung a) Ausländerpolitik b) Umschulung und Weiterbildung c) Variationen der individuellen Ai beitszeit d) Reduktion oder Variation der Erwerbsdauer e) Verminderung der individuellen Belastung durch Arbeitslosigkeit 2. Maßnahmen zur Erhaltung oder Schaffung von Arbeitsplätzen a) Lohnkostenzuschüsse b) Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM)
c) Arbeitsplatzentwicklungsfonds III. Schlußfolgerungen Wenngleich die Konsumgüternachfrage meist nicht den entscheidenden Faktor für die konjunkturelle Belebung darstellt, so ist doch die gegenwärtige Zurückhaltung der Verbraucher, die sich u. a. in hohen Sparquoten äußert (16 v. H. 1975 gegen 11 v. H. 1967), eine zusätzliche Belastung für die Konjunktur. Andererseits fällt der Rückgang des Arbeitsvolumens wesentlich milder aus, als nach dem Produktionsrückgang zu erwarten gewesen wäre; die Wirtschaft „hortet" Arbeitskräfte-reserven, die im Wiederaufschwung erst ausgeschöpft werden müssen. Folge: Ein Aufschwung wird sich erst spät auf den Arbeitsmarkt als Abbau der Arbeitslosigkeiten auswirken
Im Verhältnis zur Krise 1966/67 müssen auch strukturelle Anpassungsprozesse im größeren Umfang verarbeitet werden. Vom strukturellen Beschäftigungseinbruch betroffen sind vor allem das Baugewerbe und die davon abhängigen Industrie-und Dienstleistungszweige sowie die Textil-und Bekleidungsindustrie und Teile des Straßenfahrzeugbaus (vgl. Tabelle 1). Es sind hier verschiedene Ursachen wirksam geworden: Einige Probleme werden durch Marktsättigungen und Verschiebungen in der Nachfrage ausgelöst, andere sind durch den Aufbau von Uberkapazitäten in der Hoch-konjunktur bedingt. Weiter sind Verschiebungen in der internationalen Arbeitsteilung zu kompensieren: Arbeitsintensive Massenproduktion wird zunehmend kostengünstiger von oder in Entwicklungsländern betrieben.
Ein weiterer Unterschied zwischen den beiden Rezessionen, der sich heute als Hemmnis für die Beschäftigungspolitik auswirkt, sind die verschiedenen hohen Inflationsraten. Im Jahre 1967 betrug die Preissteigerungsrate 1, 7 v. H., in den Jahren 1974/75 ergaben sich Durchschnittswerte von 6 bis 7 v. H. Inzwischen hat sich der Preisauftrieb zwar noch weiter zurückgebildet, andererseits scheinen auch die kleinsten Aufschwungtendenzen schon wieder inflationäre Impulse zu verursachen. Damit sind der Politik der Nachfragehebung durch Steuersenkungen und Geldmengenausweitung sehr enge Grenzen gesetzt
Zusammenfassend läßt sich sagen: Die Beschäftigungspolitik sieht sich gegenwärtig wesentlich größeren und anderen Problemen gegenüber als in der Rezession 1966/67. Die Arbeitslosigkeit ist nicht nur mehr als doppelt so hoch wie damals, sie dauert auch, insgesamt und individuell betrachtet, wesentlich länger. Weiter sind diesmal stärker Gruppen betroffen, die bisher kaum unter Arbeitslosigkeit litten (jüngere Arbeitskräfte). Ein künftiger Aufschwung ist mit einigen Hypotheken belastet (Strukturwandel, Veränderung in der Außenwirtschaftsposition) und wird sich zudem erst mit einiger Verzögerung positiv auf den Arbeitsmarkt auswirken.
Bei der Frage nach den mittelfristigen Aussichten für Vollbeschäftigung sind die Meinungen der Prognostiker sehr uneinheitlich; die optimistischen Projektionen für den Arbeitsmarkt wurden in jüngster Zeit mehrfach nach unten korrigiert. So berechnete die Bundesanstalt für Arbeit (BA) 1974 noch eine inländische Potentiallücke von über 3 Mill. Arbeitskräften für 1985 bei einem durchschnittlichen Wachstum des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von real 4, 5 v. H.; dieser Mehrbedarf an Arbeitskräften wäre durch Gastarbeiter oder durch Mobilisierung von inländischen Arbeitskräftereserven (vor allem verheiratete Frauen) zu decken gewesen; bei einem „konsolidierten" Bestand an ausländischen Arbeitern von 2, 5 Mill, hätte die verbleibende Lücke immer noch 600 000 Arbeitnehmer betragen Inzwischen hat die BA die Rechnungen durch die Annahme eines Wachstums von 3, 9 v. H. korrigiert; unter dieser Annahme verringert sich die inländische Potentiallücke für 1985 auf 2, 3 Mill, und selbst die Variante 2, 5 v. H. Wachstum weist für 1980 noch einen Bedarf von 1, 3 Mill. Ausländern aus
2. Mittelfristige Aussichten für den Arbeitsmarkt
Auch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände meint, daß mittelfristig das Problem auf dem Arbeitsmarkt die Beschaffung von genügend Arbeitskräften darstelle. Die längerfristig vorrangige Aufgabe sei die Mobilisierung von „stillen Reserven" Pessimistischer sind die Prognosen des unternehmerorientierten Instituts der Deutschen Wirtschaft (IDW). Es geht von einer betrieblichen Arbeitskraftreserve von 9— 12 v. H. aus und rechnet daher mit einem spürbaren Abbau der Arbeitslosigkeit erst ab 1977/78. Im günstigsten Fall (4, 8 v. H. BIP-Wachstum) würde — bei einem Sockel von 2 Mill. Gastarbeitern — die Arbeitslosigkeit im Jahr 1980 auf 1, 8 v. H. abgebaut, im ungünstigsten Fall (1, 7 v. H. Wachstum) würde 1980 die Arbeitslosenzahl bei 2, 2 Mill, oder 9, 5 v. H. liegen In seiner neuesten Prognose kommt auch das Kieler Institut für Weltwirtschaft zu dem Schluß, daß längerfristig die Nachfrage nach Arbeitskräften sinken wird und daß sich bis 1985 ein Defizit von 1, 3 Mill. Arbeitsplätzen herausbilden könnte
Wir möchten uns hier nicht in einer weiteren prognostischen Variante versuchen, sondern nur noch einmal einige wesentliche Faktoren erwähnen, die es künftig erschweren dürften, zu den extrem günstigen Beschäftigungsverhältnissen zurückzukehren, die wir mit kleinen Ausnahmen in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten hatten: — Bis gegen 1990 wird aufgrund demographischer Effekte das inländische Beschäftigungspotential zunehmen. Das bedeutet, daß künftig jährlich mehr Jugendliche ins Erwerbsleben eingegliedert werden müssen als in der Vergangenheit. Es kann damit zu einer Konkurrenz zwischen den beiden wichtigen Zielen der Erwerbssozialisation Jugendlicher und dem Schutz älterer Erwerbstätiger kommen. — Die Beschäftigung in der Bundesrepublik wird auch in Zukunft sehr stark vom Export abhängig sein. Selbst wenn sich der Welthandel in den nächsten Jahren sehr günstig entwickeln sollte, wird es für die Bundesrepublik Deutschland schwerer sein, ihre Position im internationalen Wettbewerb zu halten. Voraussetzung dafür sind starke Rationalisierungen in der Produktion, die jedoch mit der Gefahr von Arbeitslosigkeit aus technologischen Gründen verbunden sind. — Verschiebungen in der internationalen Arbeitsteilung (Massenkonsumgüterproduktion in Entwicklungsländern, in der Bundesrepublik zunehmende Spezialisierung auf technologisch hochwertige Investitionsgüter) bergen verschiedene Gefahren für den Arbeitsmarkt. Direkt werden Arbeitsplätze durch Betriebs-verlagerungen ins Ausland gefährdet, indirekt durch Schrumpfung bestimmter Branchen wegen ausländischer Konkurrenz. Es ist sehr fraglich, ob die neu zu schaffenden Arbeitsplätze für technologisch hochwertige Güter rein quantitativ diese Defizite auszugleichen vermögen. Aber selbst wenn dies der Fall sein sollte, wird der Arbeitsmarkt starke strukturelle, regionale und qualifikatorische Verschiebungen zu kompensieren haben. — Abnehmende Beschäftigung muß sich nicht in zunehmender Arbeitslosigkeit äußern, falls bestimmte Gruppen sich leicht aus dem Arbeitsmarkt verdrängen lassen. Dieser Verdrängungsprozeß betrifft vor allem marginale Gruppen (zur Begriffsbestimmung siehe unten). Allerdings hat man sich in bezug auf zwei große Gruppen allzu leichte Hoffnungen gemacht. Die Ausländer scheinen, soweit sie überhaupt ausländerrechtlich „abgeschoben" werden können, stärker in den Arbeitsmarkt integriert zu sein, als man angenommen hatte. Auch die teilzeitbeschäftigten Frauen lassen sich nicht mehr so leicht vom Arbeitsmarkt verdrängen, da sich ein Wandel vom Halbtags-Aushilfsjob zu „vollwertigen" Halbtags-Arbeitsplätzen vollzieht. Außerdem hat in den letzten Jahren eine Umwertung in Sachen Erwerbstätigkeit verheirateter Frauen stattgefunden. — Es wurde schon darauf hingewiesen, daß das betriebliche Arbeitspotential nur teilweise ausgelastet ist. Selbst bedeutende Produktionssteigerungen werden also die Arbeitslosigkeit nicht wesentlich abbauen. Kommt in den nächsten Jahren nur eine mäßige Steigerung der Nachfrage zustande, dann ist es denkbar, daß Ausschöpfung dieser Reserven plus Rationalisierungen ausreichen, dieser Nachfrage zu genügen. Das würde bedeuten, daß Arbeitslosigkeit in der gegenwärtigen Höhe zu einem Dauerphänomen würde.
3. Arbeitsmarktprobleme bei anhaltender, hoher Arbeitslosigkeit
Das wichtigste Ziel der Beschäftigungspolitik ist die Wiedererlangung der Vollbeschäftigung. Wie wir ausgeführt haben, ist es denkbar, daß dies für längere Zeit nicht gelingt. Es stellt sich dann die Frage, in welcher Weise Beschäftigungs-und Arbeitsmarktpolitik die Unterbeschäftigung beeinflussen sollen. Dies hängt davon ab, welche Probleme und Gefahren die verschiedenen Formen der Unterbeschäftigung mit sich bringen.
a) Umschichtungen in der Struktur der Arbeitslosigkeit
Konjunkturbedingte Arbeitslosigkeit wird verschiedene Gruppen des Arbeitsmarktes immer verschieden stark treffen, dies war auch in der Rezession 1966/67 der Fall. So wiesen etwa die Arbeiter eine mehr als doppelt so hohe Arbeitslosenrate auf wie die Angestellten. Ausländer wurden vom Beschäftigungsrückgang stärker betroffen als Deutsche (was sich damals wegen der starken Rückwanderung nicht in der Arbeitslosenrate ausdrückte). Die kurze Dauer des Beschäftigungseinbruchs bewirkte jedoch, daß im Aufschwung in symmetrischer Weise zum Abschwung die gruppenspezifische Arbeitslosigkeit wieder abgebaut wurde und kaum „Narben" in der Beschäftigungsstruktur zurückblieben. Die gegenwärtige stärkere und länger dauernde Arbeitslosigkeit läßt vermuten, daß sich Umschichtungen im Arbeitslosen-und im Erwerbspotential vollziehen, die auf die Dauer Probleme verursachen könnten.
Beispielsweise ist die offene Arbeitslosigkeit mehr als doppelt so hoch wie 1967; noch viel stärker ist der Anstieg der Kurzarbeit; 1975 wurde etwa fünfmal häufiger kurz gearbeitet als 1967 Unterschiedlich ist auch die Verteilung der Arbeitslosen. Abgesehen von den berufs-und sektoralspezifischen Unterschieden, die sich aus wirtschaftsstrukturellen Gegebenheiten herleiten (statt Bergbau und Landwirtschaft sind nunmehr Bauwirtschaft, Textilindustrie usw. betroffen), sind im Gegensatz zu 1967 Jugendliche und jüngere Arbeiter stärker betroffen als ältere (vgl. Tabelle 2). Tabelle 2: Alters-und geschlechtsspezifische Betroffenheit durch Arbeitslosigkeit (Arbeitslosenquote der betreffenden Alters-und Geschlechtsgruppe im Verhältnis zur durchschnittlichen Arbeitslosenquote der Geschlechts-gruppe; Zahlen jeweils September)
Auch Frauen sind überdurchschnittlich arbeitslos, das gleiche trifft für unqualifizierte und angelernte Arbeiter zu (vgl. Grafik). Die wichtigsten Gründe für dieses Freisetzungsmuster liegen auf der Hand: Produktionsarbeiter oder solche, die eng mit der Produktion verbunden sind, werden von Konjunktureinbrüchen als erste und annähernd im Umfang der Produktionskürzung betroffen. Eine Freisetzung wird aber für einen Unternehmer um so kostspieliger, je mehr betriebsspezifisches „Humankapital" er in die Arbeitskraft investiert hat. Er wird daher versuchen, qualifizierte (vor allem betriebsspezifisch qualifizierte) Arbeitskräfte so lange wie möglich zu halten.
Die Verschiebungen der altersspezifischen Verteilung zuungunsten der jüngeren Arbeitskräfte sind sicherlich auch auf institutioneile Änderungen seit 1966 zurückzuführen: verbesserter Kündigungsschutz für ältere Arbeiter, Absicherung von Senioritätsrechten (z. B. Übertragbarkeit betrieblicher Prämien); außerdem beeinflussen Gewerkschaften die betriebliche Entscheidung bei Entlassungen zugunsten des eingesessenen Stammpersonals.
Je länger die Arbeitslosigkeit auf relativ hohem Niveau andauert, desto mehr geht sie zu Lasten „marginaler Erwerbspersonen" Dies läßt sich deutlich an der Ungleichheit der geschlechts-und qualifikationsspezifischen Arbeitslosenquoten beobachten. Dafür lassen sich vor allem zwei Gründe anführen: Die Organisations-und Konfliktfähigkeit marginaler Erwerbspersonen ist geringer als diejenige zentraler Erwerbspersonen; Arbeiter, die sich in der Investitionsgüter-und Exportgüterindustrie konzentrieren, sind in der Regel gewerkschaftlich besser organisiert, und sie können mit drohendem oder aktualisiertem Leistungsentzug die Gesellschaft empfindlicher treffen als marginale Erwerbspersonen. Zum zweiten nutzen Unternehmen Beschäftigungskrisen aus, um die Struktur ihres Arbeitskräftebestandes zu verbessern, das heißt, qualifizierte sowie sozial stabile und disziplinierte Arbeitslose haben die größeren Chancen, wieder in das Erwerbsleben eingegliedert zu werden. Nicht nur die absolute Höhe und die Verteilung des Beschäftigungsabfalls macht die Problematik der gegenwärtigen Situation aus; für das Beschäftigungssystem womöglich noch einschneidender ist die Dauer der Arbeitslosigkeit der Arbeitskräfte, da sie die nötige Flexibilität der Anpassung an arbeitsmarktstrukturelle Veränderungen vermindert. 1966/67 stiegen die Arbeitslosenzahlen nicht nur von einem niedrigeren Niveau aus an, saisonbereinigt war der Höhepunkt schon nach sechs Monaten erreicht, und das überschreiten des 1 v. H. -Niveaus dauerte nur 2 Jahre. Dagegen wurde die 1 v. H. -Marke seit Beginn 1972 nie mehr unterschritten, und der Höhepunkt der saisonbereinigten Arbeitslosigkeit wurde erst nach etwa zwei Jahren erreicht. Auch individuell ist die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit gestiegen, vor allem in jüngster Zeit (vgl. Tabelle 3).
An sich muß eine individuell längere Dauer der Arbeitslosigkeit noch keine Reduktion der Anpassungsfähigkeit bedeuten. Sie erzwingt zunächst eher eine höhere Bereitschaft zur beruflichen, sektoralen und regionalen Mobilität, und die dabei anfallenden individuellen Kosten werden — abgesehen von sozialen und psychologischen Belastungen — zum Teil auch kompensiert. Darüber hinaus ist anzunehmen, daß in Krisenzeiten überdurchschnittlich große betriebsinterne Umsetzungsprozesse stattfinden, mit denen Anpassungsprozesse nachgeholt oder vorweggenommen werden. Je länger die individuelle Arbeitslosigkeit jedoch dauert und je höher und langfristiger die Arbeitslosigkeit ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit des Zerfalls von „Humankapital" (vor allem betriebsspezifischen „Humankapitals") und der Plazierung von Arbeitslosen unter ihrem Qualifikationsniveau. Hohe Arbeitslosigkeit mindert andererseits die Bereitschaft zu freiwilligem Arbeitsplatzwechsel und verfestigt so bestehende Arbeitsmarktstrukturen, sofern sie nicht durch Betriebsstillegungen oder betriebsinterne Anpassungsprozesse verändert werden. Dazu kommt, daß die Arbeitsverwaltung weder über genügend Mittel noch über ausreichende Informationen und Steuerungskapazitäten verfügt, um das nicht ausgelastete Arbeitskräftepotential in künftig sichere Arbeitsplätze zu lenken. Schließlich sind die psychologischen Konsequenzen individuell längerfristiger Arbeitslosigkeit zu erwähnen, die Enttäuschung und Entmutigung, die eine stabile Erwerbssozialisation entweder nicht entstehen lassen (bei Jugendlichen) oder zerstören. Eine weitere Problematik der individuell längeren Dauer der Arbeitslosigkeit ist die Notwendigkeit vermehrter Sozialhilfe, die sich an der relativ überdurchschnittlichen Zunahme der Empfänger von Arbeitslosenhilfe ablesen läßt Während die Arbeitslosenzahl sich vom September 1974 zum September 1975 fast verdoppelte, verdreifachte sich die Zahl der Empfänger von Arbeitslosenhilfe im gleichen Zeitraum. Die Unterstützung der Arbeitslosen-hilfe beträgt höchstens 58 v. H.des letzten Netto-Einkommens und wird zudem an der Bedürftigkeit gemessen. Beispielsweise wird dem Antragsteller alles, was der Ehegatte über monatlich 300 Mark hinaus nach Hause bringt, von der Arbeitslosenhilfe abgezogen. * Verdient etwa die Ehefrau 1 000 Mark und der arbeitslose Ehemann hätte rechnerisch Anspruch auf 700 Mark Hilfe, entfällt die Unterstützung. Das Einkommen der Haushalte wird damit oft auf ein Existenzminimum reduziert, so daß sie zur Deckung längerfristiger Verbindlichkeiten (z. B. Abzahlungsgeschäfte) zusätzlicher Unterstützung bedürfen. b) Entstehung von Teilarbeitsmärkten Die Erreichung der Vollbeschäftigung wird auch durch die zunehmende Segmentierung des Arbeitsmarkts erschwert. Darunter verstehen wir die Bildung von Teilarbeitsmärkten, zwischen denen aus verschiedenen Gründen eine nicht reziproke oder geringere Mobilität der Arbeitskräfte herrscht als ökonomisch sinnvoll erscheint. Eine solche Segmentierung vermindert die Anpassungsfähigkeit des Arbeitsmarkts. Diese Segmentierung erklärt zum Teil auch die Gleichzeitigkeit von Unterbeschäftigung und Uberbeschäftigung Die Faktoren, auf denen die Segmentierung des Arbeitsmarkts beruht, können in diesem Rahmen nur kurz erwähnt werden — zunehmende Bedeutung „interner Arbeitsmärkte", das sind „firmeneigene" Arbeitsmärkte von Großbetrieben, innerhalb derer die Entlohnungs-und Beförderungsbedingungen analog zum öffentlichen Dienst weitgehend administrativ vorgegeben und kaum mehr von den Marktkräften beeinflußt sind; — Entwicklung „sekundärer Arbeitsmärkte"; das sind Teilarbeitsmärkte, die durch eine Häufung schlechter Arbeitsbedingungen gekennzeichnet sind (geringes Sozialprestige, relativ niedriges Einkommen, körperliche und seelisch starke Belastungen, Unsicherheit des Arbeitsplatzes) und die von bestimmten sozialen Schichten besetzt sind. Ein Beispiel dafür ist der Ausländer-Teilarbeitsmarkt: Die leichte Verfügbarkeit eines Heeres unqualifizierter und angelernter ausländischer Arbeiter in den letzten zehn Jahren blieb nicht ohne Konsequenzen für die Erwartungen und das Verhalten inländischer Arbeitskräfte: Die Bereitschaft, manuelle Produktions-und Dienstleistungstätigkeiten zu übernehmen oder anzustreben, ist erheblich gesunken. Schon jetzt zeigen sich Engpässe in solchen Arbeitsbereichen. Dazu kommen Faktoren, welche die Anpassungsmobilität schon immer erschwerten, z. B. qualifikationsbedingte Teilarbeitsmärkte, also solche, deren Anforderungen an technische und soziale Fertigkeiten so unterschiedlich sind, daß ein Wechsel zwischen beiden höchstens nach langer und kostspieliger Umschulung oder Weiterbildung möglich ist. Schließlich wäre noch auf die Bedeutung geographisch bedingter Teilarbeitsmärkte hinzuweisen, die im Zusammenhang mit sozialen Bindekräften (Wohnungseigentum, langjährig aufgebaute verwandtschaftliche und freundschaftliche Beziehungen), ebenfalls ein Hindernis für Anpassungsmobilität sind. c) Zunahme marginaler Erwerbspersonen Die Zunahme marginaler Erwerbspersonen, die in den'Arbeitsmarkt zu integrieren sind, erschwert ebenfalls die Herstellung eines hohen und vollwertigen Beschäftigungsstandes. Diese Prognose stützt sich auf die Hypothese, daß der Sozialstaat Bundesrepublik Deutschland durch Worte und zum Teil auch durch Taten die Erwartungen dieser Gruppen in Richtung einer besseren Integration ins Erwerbsleben hochgeschraubt hat. Zum Teil haben diese Erwartungen auch schon einen gesetzlichen Rückhalt (z. B. Schwerbehindertengesetz), und wir gehen im folgenden von der Zielsetzung aus, daß sich Arbeitsmarktpolitik in noch stärkerem Maße als bisher um die Schaffung von Bedingungen kümmern sollte, die den spezifischen Bedürfnissen dieser „Problemgruppen" entgegenkommen (z. B. mehr Möglichkeiten der geschützte und Teilzeitarbeit, halbgeschützte Werkstätten, überbetriebliche Lehrwerkstätten).
II. Alternative beschäftigungspolitische Möglichkeiten in der gegenwärtigen Krise
Abbildung 18
Gruppenspezifische Arbeitslosenquoten 1966-1975 (jeweils September, Arbeiter, Angestellte, Ausländer, jeweils Männer und Frauen) Quelle: ANBA und StatistischeJahrbücher der Bundesrepublik Deutschland sowie eigene Berechnungen
Gruppenspezifische Arbeitslosenquoten 1966-1975 (jeweils September, Arbeiter, Angestellte, Ausländer, jeweils Männer und Frauen) Quelle: ANBA und StatistischeJahrbücher der Bundesrepublik Deutschland sowie eigene Berechnungen
Um unser Thema abzugrenzen, sind einige Begriffsbestimmungen notwendig: Wir unterscheiden zwischen kurz-und langfristiger sowie zwischen direkter und indirekter Beschäftigungspolitik. Kurzfristige Beschäftigungspolitik orientiert sich am Konjunkturzyklus, langfristige beabsichtigt Anpassungsprozesse an trendmäßige Veränderungen im Volumen und in der Struktur der Produktion oder des Erwerbspotentials beziehungsweise Beeinflussung dieser Trends. Direkte Beschäftigungspolitik wirkt unmittelbar auf Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt, indirekte wirkt vermittelt über Aggregate, die dem Arbeitsmarkt vorgelagert sind oder sein Funktionieren betreffen. Außerdem können die Maßnahmen vor allem auf das Angebot oder auf die Nachfrage nach Arbeitskraft gerichtet sein. Natürlich sind die genannten Politikbereiche interdependent, was hier aber nicht weiter ausgeführt werden soll. Wir werden uns im folgenden vorwiegend mit der kurzfristigen, direkten Beschäftigungspolitik zur Bekämpfung von Arbeitsmangel befassen. Das folgende Schema gibt eine Übersicht und Beispiele für die oben genannten Unterscheidungen.
Eine weitere Unterscheidung verweist auf zwei sehr verschiedenartige Strategien der Beschäftigungspolitik für den Fall eines konjunkturell bedingten Arbeitsmangels. Die erste ist eine „Verteilungspolitik“ der Unterbeschäftigung, die zweite eine Arbeitsbeschaffungspolitik im weitesten Sinn. Im ersten Fall wird die gegenüber dem Angebot zu geringe Nachfrage nach Arbeitskraft vom Staat hingenommen und nur Einfluß darauf ausgeübt, welche gesellschaftlichen Gruppen in welcher Weise von diesem Ungleich-gewicht betroffen werden sollen. Die zweite versucht, gefährdete Arbeitsplätze zu erhalten, beziehungsweise neue Arbeitsplätze zu schaffen, sei es durch Lohnkosten-oder Investitionssubventionen, durch Nachfragesteuerung oder direkte Arbeitsbeschaffung. Damit wird weder gesagt, daß sich konkrete Maßnahmen immer eindeutig der einen oder anderen Strategie zuordnen lassen (so bedeutet etwa Kurzarbeit zugleich Erhaltung von Arbeitsplätzen wie auch Einflußnahme auf die Verteilung der Unterbeschäftigung), noch daß die Strategien voneinander unabhängig wären (die Verteilung der Arbeitslosigkeit bestimmt etwa die Bereitschaft der Arbeitnehmer zu Lphnkonzessionen, die wiederum das nach-gefragte Arbeitskräftevolumen beeinflussen). Die beiden Strategien haben jedoch eine je verschiedene Problematik im Hinblick auf politische Durchsetzungschancen und im Hinblick auf gesellschaftliche Zielfunktionen.
Es herrscht in der gegenwärtigen Diskussion weitgehend Unklarheit über die Ziele der Beschäftigungspolitik, obwohl eine Bewertung beschäftigungspolitischer Alternativen ohne vorausgehende Zielanalyse und ohne Prioritätensetzungen kaum möglich ist. Geht es darum, möglichst viele Arbeitslose kurzfristig von der Straße zu holen, um den drohenden Verlust politischer Massenloyalität zu verhindern? Geht es darum, die Lebensbedingungen der Arbeitslosen in erträglichen Grenzen zu halten? Geht es darum, Strukturwandlungsprozesse in der Wirtschaft möglichst zu erleichtern? Geht es darum, die Lohnkosten durch die Existenz einer industriellen Reservearmee zu senken, um die private Investitionstätigkeit wieder anzukurbeln, beziehungsweise profitabler zu machen? Oder ist es das Ziel, die individuelle Erwerbssozialisation zu ermöglichen, die Freiheit der Berufs-und Arbeitsplatzwahl zu garantieren sowie die Entwicklung persönlicher Identität durch befriedigende Arbeit und durch sichere Arbeitsplätze zu fördern?
Auch wenn wir hier nicht im Sinn haben, eine eingehende Untersuchung der Wechselbeziehungen zwischen verschiedenen Zielen vorzunehmen, möchten wir doch in der Beurteilung beschäftigungspolitischer Alternativen über die „technischen" Aspekte der Praktikabilität und der politischen Durchsetzungschancen und über die Kostenaspekte hinauszugehen. Wir möchten die kurz erwähnten, sich zum Teil widersprechenden Ziele und die Maßnahmen, die zu ihrer Erreichung angeboten werden, vor allem unter den Aspekten der Erhaltung und Förderung der Erwerbssozialisation sowie der Anpassungsfähigkeit des Arbeitsmarktes an langfristige Veränderungen (Wandel der Technologie, der Produktivität und der internationalen Arbeitsteilung) betrachten. Diese längerfristigen und auf VollWertigkeit der Arbeitsplätze gerichteten Ziele scheinen uns bisher am stärksten vernachlässigt worden zu sein.
1. Verteilungspolitik der Unterbeschäftigung
a) Ausländerpolitik
Ausländische Arbeitskräfte, sofern sie nicht zu den EG-Staaten gehörten, dienten in der Krise 1966/67 als variabler „Konjunkturpuffer": Allein zwischen September 1966 und März 1967 wurde das ausländische Beschäftigungsvolumen um 23 v. H. reduziert, das inländische Beschäftigungsvolumen dagegen nur um 4, 5 v. H. Zwischen September 1966 und September 1967 betrug die Reduktion des ausländischen Beschäftigungsvolumens etwa 30 v. H. Da ein Großteil der in die Heimat „entlassenen" Ausländer beim Wiederaufschwung bald wieder zurückkehren konnte, wurde die individuelle Belastung als nicht so schwerwiegend empfunden.
Heute erweisen sich die Hoffnungen, die man sich in bezug auf einen schnellen Abbau des ausländischen Beschäftigungspotentials aufgrund der Erfahrungen von 1966/67 machte, als verfehlt. Trotz Einreisestopps im Herbst 1973 und verschärfter Bedingungen bei der Verlängerung der Arbeitserlaubnis, gelang es diesmal nicht so rasch, die Beschäftigung von Ausländern abzubauen. Man schätzt, daß der Beschäftigungsabbau in den Jahren 1974/75 insgesamt zwischen 18 und 22 v. H. beträgt. Dafür gibt es verschiedene Gründe: etwa die gegenläufige Wirkung des Anwerbestopps (Ausländer versuchen, so lange wie möglich im Gastland zu bleiben, weil für sie eine eventuelle Rückkehr dahin unwahrscheinlich ist); die größere Zahl von Ausländern mit unbeschränkter Aufenthaltserlaubnis; die ins Erwerbsleben eintretenden, jugendlichen Ausländer; die verlängerten Ansprüche auf Arbeitslosengeld. Der wichtigste Grund liegt wohl in der Segmentierung des Arbeitsmarkts in einen In-und einen Ausländermarkt. Diese Segmentierung basiert zum Teil auf der Ausrichtung der Produktionsstruktur an den wenig qualifizierten und relativ billigen ausländischen Arbeitskräften, zum Teil aber auch auf Verhaltens-und Einstellungsmustern, die sich infolge einer längeren Gewöhnungszeit entwickeln konnten: Bei der Arbeiterschaft haben sich feste Vorstellungen herausgebildet, was ein „Ausländerjob" ist und somit für Inländer nicht mehr in Frage kommt. Der Abbau der Unterbeschäftigung durch beschleunigten und verstärkten „Export von Arbeitslosigkeit" ist heute also weder in dem Umfang wie früher möglich, noch ist er aus sozialen und politischen Gründen zu befürworten.
Der Prozeß der „Unterschichtung" des Erwerbspotentials durch Ausländer, der in den vergangenen Jahren stattgefunden hat, wirft ein weiteres Problem auf: Bei dauernden Beschäftigungsschwierigkeiten nimmt der Druck auf das inländische Erwerbspotential zu, „Ausländerjobs" mit niedriger Entlohnung und schlechteren Arbeitsbedingungen anzunehmen. Es handelt sich dabei um die unterste Stufe eines Verdrängungsprozesses von oben nach unten, bei welchem qualifizierte Arbeitslose weniger qualifizierte von ihren Arbeitsplätzen verdrängen. Nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland ist die bedenkliche Tendenz zu verzeichnen, eine solche Abstiegsmobilität durch Prämien kurzfristig zu „versüßen" Eine derartige Politik bedeutet die Abwälzung der Lasten der Unterbeschäftigung auf schwächere Arbeitsmarktgruppen, da die Prämien eine zu geringe Entschädigung für eine dauerhafte unterwertige Beschäftigung darstellen; darüber hinaus verfestigt sie veraltete Produktionsstrukturen und konterkariert das langfristige Ziel einer Verbesserung der Beschäftigten-struktur und einer Modernisierung der Produktionsstruktur.
b) Umschulung und Weiterbildung
Umschulung und berufliche Weiterbildung stellen eine weitere Möglichkeit dar, das angebotene Arbeitsvolumen kurzfristig zu reduzieren. Eigentlich sind es strukturelle beschäftigungspolitische Maßnahmen, die der individuellen beruflichen Förderung, der Verbesserung der Beschäftigungsstruktur und der Anpassung an den sozio-ökonomischen Wandel dienen sollen. Ihr Einsatz als Instrument konjunktureller Beschäftigungspolitik hängt aber nicht nur von den finanziellen Möglichkeiten und den Kapazitäten an Umschulungs-und Weiterbildungsplätzen ab; es erweist sich für die Arbeitsverwaltung auch als sehr schwierig, Nutzen und Kosten dieser „Humankapitalinvestitionen" arbeitsmarkt-und sozialpolitisch in ein vernünftiges Verhältnis zu bringen.
Gegenüber der Situation 1966/67 hatte das Arbeitsförderungsgesetz (AFG) von 1969 einen Rechtsanspruch auf die Förderung von beruflicher Fortbildung und Umschulung etabliert. Jede Erwerbsperson, die bestimmte Voraussetzungen erfüllte (vgl. §§ 41— 47), hatte Anspruch auf Förderung, und das Unterhaltsgeld betrug 80 bis 90 v. H.des bisherigen Einkommens. Einzige Einschränkung war die „arbeitsmarktpolitische Zweckmäßigkeit", eine Generalklausel, mit deren Interpretation die Arbeitsverwaltung oft überfordert war überdies kam diese Politik hauptsächlich den „Habenden" zugute (Facharbeitern, Angestellten in gehobener und leitender Stellung), während die „Habenichtse" (Ungelernte und Angelernte) schlecht wegkamen Die bisherige Praxis der beruflichen Fortbildung begünstigte im wesentlichen die Aufstiegsmobilität von schon relativ etablierten Gruppen und vernachlässigte eine vorsorgende Anpassungsmobilität von beschäftigungspolitischen Risiko-gruppen. Man ging von der falschen Annahme aus, daß individuelles Anpassungsverhalten in der Regel auch mit dem objektiven Anpassungserfordernis deckungsgleich sei.
Kein vergleichbares Industrieland hatte den Rechtsanspruch auf berufliche Fortbildung in so undifferenzierter Weise errichtet wie die Bundesrepublik Deutschland. So konzentriert Schweden die Förderung von Weiterbildung und Umschulung auf Personenkreise, die arbeitslos sind oder die von Arbeitslosigkeit bedroht werden oder die eine berufliche Ausbildung nachholen wollen. Angesichts knapper Mittel und unerwünschter Nebeneffekte wendet nun auch die Bundesrepublik das Instrument der beruflichen Fortbildung seit dem Januar 1976 differenzierter an: Volles Unterhalts-geld (80 v. H.des letzten Nettoverdienstes) für berufliche Fortbildung erhalten jetzt nur noch Arbeitslose, von Arbeitslosigkeit Bedrohte sowie Un-und Angelernte, die eine berufliche Qualifikation erwerben wollen. In den übrigen Fällen und wenn eine arbeitsmarktpolitische Zweckmäßigkeit erwiesen ist, reduziert sich die Förderung auf 58 v. H.des bisherigen Nettoentgelts. Darüber hinaus wird die Förderung von beruflichen Vor-und Zwischenzeiten abhängig gemacht. Nach der neuen Regelung besitzen also die Erfordernisse des Arbeitsmarktes Vorrang gegenüber den persönlichen Aufstiegswünschen des einzelnen. Andererseits liegt nun auf der Arbeitsverwaltung eine weit größere Verantwortung als bisher, da die Förderung weitgehend von ihrer Interpretation der Arbeitsmarktlage abhängt und da gezielte Förderung von Risikogruppen in der Regel die Initiative der Förderungsinstitution voraussetzt
An der neuen Regelung zu bemängeln ist nach wie vor die Undifferenziertheit der Förderung gegenüber Unterschieden des Einkommens und der familiären Situation. Für relativ hohe Einkommensgruppen ist eine größere Selbstbeteiligung an den Kosten der Fortbildung zumutbar, nicht aber für niedrige Einkommens-gruppen, deren geringe berufliche Mobilitätsbereitschaft nun zusätzlich (von oben erwähnten Ausnahmen abgesehen) geschwächt wird. Sollen die Arbeitsämter ihrer „aktiveren" Rolle gerecht werden, muß vermutlich auch das Verfahren der Arbeitsberatung verbessert werden, etwa durch eine stärkere Beteiligung lokaler Repräsentanten (lokale Gewerkschaftsund Arbeitgebervertreter, kommunale Gremien) an der Entwicklung kurz-und mittelfristiger Förderungsprogramme.
Eine differenzierte Fortbildungsförderung erweitert den beschäftigungspolitischen Handlungsspielraum. Während das bisherige Verfahren in der Bundesrepublik eher prozyklisch wirksam war, würde eine größere Differenzierung den antizyklischen Einsatz dieses Instruments erlauben. In guten Zeiten könnten Reserven an finanziellen Mitteln sowie an Umschulungs-und Weitbildungsplätzen geschaffen werden. So ist etwa in Schweden das Angebot an Umschulung und Weiterbildung nicht nur quantitativ umfangreicher, sondern konjunkturell auch flexibler. So konnte z. B. in der schwedischen Rezession von 1966— 68 der Anteil der Erwerbspersonen in Umschulungsund Weiterbildungsprogrammen von 0, 6 auf 1 v. H. erhöht werden; ähnliches wiederholte sich zwischen 1970 und 1973: Zusammen mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (die in Schweden zum Teil auch mit Weiterbildung gekoppelt werden) stieg der Anteil der geförderten Personen von 2 v. H. auf über 4 v. H. I Der beschäftigungspolitische Spielraum für die Bundesrepublik Deutschland ist wesentlich geringer; Reyher geht von 50 000 Personen aus, die durch vollzeitliche Fortbildung oder Umschulung kurzfristig dem aktiven Erwerbsleben entzogen werden können, das sind etwa 0, 2 v. H. aller Erwerbspersonen Voraussetzungen zur Erweiterung des Spielraums wären mehr überbetriebliche Lehrwerkstätten und der der berufsschulischen Ausbau Kapazitäten; er wäre auch zu überlegen, im Falle von Be-schäftigungskrisen die betriebliche Weiterbildung zu fördern, wenn dadurch Entlassungen vermieden und die Einhaltung von Ausbildungsstandards garantiert werden können
c) Variationen der individuellen Arbeitszeit
Zunächst ist hier die Kurzarbeit zu nennen: Auf Antrag kurzarbeitender Betriebe erhalten Arbeitnehmer einen Teil des Lohns für die ausgefallenen Arbeitsstunden vom Arbeitamt erstattet; dieser Teil entspricht etwa dem Satz des Arbeitslosengeldes; der individuelle Einnahmeausfall ist also geringer als im Falle der Arbeitslosigkeit. Kurzarbeit kann bis zu einem Jahr, in Ausnahmefällen bis zu zwei Jahren gewährt werden. In der Bundesrepublik wurde die Kurzarbeit inzwischen zu einem der wichtigsten beschäftigungspolitischen Instrumente ausgebaut. Während 1967 im Durchschnitt 143 000 Arbeitnehmer Kurzarbeitergeld bezogen, wären es 1974 300 000, und 1975 werden es im Durchschnitt 650 000— 700 000 sein. Die Reduktion des Arbeitsvolumens eines Kurz-arbeiters entspricht im Schnitt einem Drittel derjenigen eines Arbeitslosen; d. h., ohne Kurzarbeit wäre 1975 mit durchschnittlich 225 000 Arbeitslosen mehr zu rechnen gewesen, also mit einer etwa einprozentig höheren Arbeitslosigkeit. Kein vergleichbares Industrieland bietet diese Möglichkeit in einem so großen Maße. Dieses Instrument der Kurz-arbeit ist sicherlich zur Unterstützung von rein konjunkturellen Anpassungsschwierigkeiten sinnvoll. Vor allem vermeidet diese Art der Beschäftigungsreduktion einen Großteil der psychischen Belastungen und sozialen Zerfallserscheinungen, die durch Arbeitslosigkeit hervorgerufen werden; auch bleibt betriebsspezifisches „Humankapital" erhalten und die Kosten unnützer Wechsel zwischen Betrieben werden eingespart.
Schwierigkeiten jedoch bereitet die Steuerung und Kontrolle dieses Instruments. Die Arbeitsämter sind gesetzlich verpflichtet (vgl. §§ 63 bis 73 AFG), Kurzarbeitergeld nur dann zu bezahlen, wenn die Erhaltung der Arbeitsplätze sichergestellt und wenn der Arbeitsausfall wirtschaftlich verursacht und „unvermeidbar“ ist. Die erste der beiden Bedingungen ist vor allem bei längeren und größeren Beschäftigungseinbrüchen kaum erfüllbar, da ein sicheres Wissen über Dauer und Umfang des konjunkturellen Tiefs weder auf Seiten des Betriebes noch auf Seiten der Arbeitsverwaltung vorhanden ist. Auch aufgrund der zur Zeit schwierigen Entscheidbarkeit zwischen konjunkturell und strukturell bedingtem Abbau der Beschäftigung ist zu vermuten, daß mit Kurzarbeit in vielen Fällen strukturell erforderliche Anpassungen auf gesellschaftlich kostspielige Weise nur hinausgeschoben werden Selbst offenkundigen Mißbrauch hat die Arbeitsverwaltung bisher nicht in den Griff bekommen: Es kommen Fälle vor, in denen dasselbe Unternehmen in einer Produktionsabteilung Kurzarbeit „fährt", während in einer anderen Produktionsabteilung Überstunden gemacht werden; es kommt auch vor, daß Betriebe nach der Phase der Kurzarbeit Über-stunden und Sonderschichten einlegen. Es muß daher angenommen werden, daß mit dem Kurzarbeitergeld in nicht wenigen Einzelfällen mangelnde betriebliche Planung honoriert wird oder daß Lohnsubventionen erschlichen werden.
Zur besseren Kontrolle der Bedingung des „wirtschaftlich verursachten" und „unvermeidbaren" Arbeitsausfalls wird es daher notwendig sein, daß die Arbeitsverwaltung sowie der mitbestimmungsberechtigte Betriebsrat künftig mehr Einblick in die betriebliche Situation erhalten. Als Sanktionsmittel ist zu erwägen, daß Unternehmen, die nach Kurzarbeit wieder Sonderschichten fahren, Kurzarbeitergeld zurückzahlen müssen, wenn auf dem örtlichen Arbeitsmarkt nachweislich noch Reserven vorhanden sind. Angesichts der wachsenden Zahi der Empfänger von Arbeitslosenhilfe wären selbst befristete Arbeitsverträge relativ besser als Überstunden, da sich Arbeiter so den Anspruch auf Arbeitslosengeld wieder erwerben könnten. Die verteilungspolitische Brisanz einer verstärkten Kontrolle der Kurzarbeit ist offenkundig. Auf der einen Seite steht das Interesse der Belegschaft an Mehrarbeit, für das sich in der Regel auch der entsprechende Betriebsrat stark machen wird; auf der anderen Seite steht das Interesse der arbeitslosen Kollegen, möglichst schnell wieder Arbeit zu fin-den. Hier muß freilich an die Gesamtverantwortung der Gewerkschaften appelliert werden, in Zeiten hoher und anhaltender Arbeitslosigkeit dem Prinzip der Solidargemeinschaft mehr Geltung zu verschaffen, zumal die Kurz-arbeit von der Arbeitslosenversicherung finanziert wird, zu der alle abhängigen Arbeitnehmer (mit Ausnahme der Beamten) ihren Teil beitragen.
Unter den oben genannten Voraussetzungen kann Kurzarbeit insgesamt als sinnvolles Instrument kurzfristig wirksamer Beschäftigungspolitik betrachtet werden. Es sind auch Möglichkeiten denkbar, dieses Instrument selektiv und strukturell wirksam einzusetzen. So hat z. B. Frankreich seit Juli 1975 ein abgestuftes Zuschußsystem im Falle der Kurzarbeit bzw. — wie es in Frankreich treffender heißt — im Falle der Teilarbeitslosigkeit: Es berücksichtigt die unterschiedlich konjunkturelle Betroffenheit von Branchen oder Betrieben dadurch, daß der staatliche Zuschußanteil nach der Dauer der Kurzarbeit gestaffelt wird; je größer der Umfang der erforderlichen Kurzarbeit, desto größer der relative staatliche Zuschuß Es wäre auch zu überlegen, Kurzarbeitsgeld dort durch gezielte strukturelle Anpassungshilfen zu ergänzen, wo es als einigermaßen sicher gilt, daß nicht nur konjunkturelle Anpassungsschwierigkeiten vorliegen. So könnte z. B. die längerfristige Gewährung von Kurzarbeitergeld mit Auflagen zur Produktionsumstellung verbunden werden, die finanziell zu unterstützen wäre.
Eine andere Strategie möchte die konjunkturell erforderliche Reduktion des Arbeitsvolumens gleichmäßiger auf die Arbeitskräfte verteilen, um offene Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Es wird vorgeschlagen, die durchschnittliche
Arbeitszeit zu reduzieren, etwa durch die
Reduktion der wöchentlichen Arbeitszeit oder durch Verlängerung des Jahresurlaubs oder durch Verbot von Überstunden. Ein weiterer Vorschlag möchte Arbeitslosigkeit durch den
Tausch produktiver Zeitkontingente vermeiden:
Betriebe mit Überstunden sollen an Betriebe mit Kurzarbeit oder bevorstehenden Entlassungen Zeitkontingente abgeben So richtig der dahinter stehende Gedanke ist, das „Prinzip der Solidargemeinschaft auf die Dimension Arbeitszeit" auszudehnen und sich Gedanken über die Kürzung und Austauschbarkeit produktiver Zeitkontingente zu machen, so schwierig und problematisch erweist sich bei näherer Betrachtung seine Realisierung:
Reduktion der durchschnittlichen Arbeitszeit als Ersatz für offene Arbeitslosigkeit erscheint auf den ersten Blick, verlockend: 5 v. H. Arbeitslose könnten rein rechnerisch durch eine Reduktion der Arbeitszeit um 5 v. H. zum Verschwinden gebracht werden, oder: die Arbeitszeit von rund 650 000 Arbeitslosen gleichmäßig verteilt, käme z. B. einer Verringerung der wöchentlichen Arbeitszeit um kaum mehr als einer Stunde gleich. Solche Berechnungen setzen zu ihrer Verwirklichung eine totale Mobilität und Substituierbarkeit der Arbeitskräfte voraus, eine Annahme, die kurz-, aber auch mittelfristig nicht gegeben ist. Derartige Berechnungen berücksichtigen auch nicht die Voraussetzungen für den konjunkturellen Wiederaufschwung: Handelt es sich wirklich um ein rein konjunkturelles Tief, dann würden im Aufschwung genau diejenigen Arbeitskräfte fehlen, die in der Zwischenzeit durch Arbeitszeitverteilung umgesetzt worden wären; die Knappheit dieser Arbeitskräfte könnte zu einem bedeutenden inflationären Faktor im Wiederaufschwung werden. Diese Überlegung zeigt, daß die Reduktion durchschnittlicher Arbeitszeit in der Regel ein Instrument zur Lösung langfristiger struktureller Probleme ist; mit anderen Worten: Vermeidung offener Arbeitslosigkeit durch Arbeitszeitreduktion ist kurzfristig allenfalls in dem Ausmaße sinnvoll, wie die Arbeitslosigkeit strukturell (im Sinne von Freisetzungsgewinnen durch Automatisierung, Rationalisierung usw.) bedingt ist Da die Reduktion durchschnittlicher Arbeitszeit zwecks Vermeidung offener Arbeitslosigkeit immer auch eine Umverteilung von produktiven Zeitkontingenten erfordert, ist diese Alternative — und das gilt auch für den Vorschlag des Tauschs von Zeitkontingenten — nur in dem Ausmaße der Mobilitätsbereitschaft und der Substituierbarkeit der Arbeitskräfte realisierbar; der entsprechende Handlungsspielraum dürfte kurzfristig sehr gering sein. Die gleichmäßigere Verteilung der vorhandenen Arbeitszeit schließt natürlich auch eine gleichmäßigere Verteilung des vorhandenen „Lohnfonds" ein. Wenn man bedenkt, auf welche Schwierigkeiten Versuche stoßen, eine Annäherung der Löhne verschiedener Gruppen schon in Zeiten mit großem Verteilungsspielraum zustande zu bringen, kann man die Widerstände ermessen, die dieser Art von Solidarität in Zeiten einer allgemeinen Einkommensreduktion entgegenstehen.
d) Reduktion oder Variation der Erwerbs-dauer
Nur kurz erwähnen wollen wir hier Alternativen der Reduktion oder Variation der Erwerbs-dauer: Verlängerung der Schulzeit, flexible Altersgrenze, Vorverlegung des Anspruchs auf Altersruhegeld, Verringerung der Alterserwerbstätigkeit, Flexibilisierung der Erwerbs-dauer innerhalb des Lebenszyklus. Durch Verlängerung der Schulzeit (bundesweite Einführung des 10. Schuljahres oder eines Berufsgrundbildungsjahres) wäre nach Reyher mit einem Entlastungseffekt von 33 000 Voll-Erwerbstätigen zu rechnen (bezogen auf das Jahr 1975). Diese Alternative sollte wegen der besonderen Bedeutung der Jugendarbeitslosigkeit wahrgenommen werden, da sie auch kostenmäßig realisierbar erscheint. Wegen der „Ausbildungsmüdigkeit" vieler Jugendlicher in diesem Alter — bezogen auf formale Lernprozesse und oft wegen des familiären Drucks, so rasch wie möglich eine bezahlte Erwerbstätigkeit anzunehmen — sollte die verlängerte Schulzeit allerdings stärker praxisbezogen sein und finanziell gefördert werden, um die Schüler vom Elternhaus unabhängiger zu machen. Fragwürdig ist es, auf eine volle Ausschöpfung der „flexiblen Altersgrenze" zu drängen, den Rentenanspruch auf den Beginn des Jahres vorzuziehen und auf einen beschleunigten Abbau der Alterserwerbstätigkeit hinzuwirken In vielen Fällen mag eine vorzeitige Beendigung der Erwerbstätigkeit sicherlich erwünscht sein. In anderen Fällen ist jedoch das Bedürfnis nach Erwerbstätigkeit selbst über die Ruhestandsgrenze hinaus vorhanden, es kann ihm aber aufgrund mangelnden Arbeitsplatz-angebots (z. B. Teilzeitarbeit, Arbeit mit ruhigerem Tempo) nicht entsprochen werden. In vielen Fällen verfügen ältere Personen nicht über Alternativrollen (z. B. Aufgaben in der Familie, erfüllende Hobby-Beschäftigung), so daß der altersmäßig erzwungene Austritt aus dem Erwerbsleben psychologisch katastrophale Folgen haben kann. Um des kurzfristig vielleicht erzielbaren Effekts einer geringeren offenen Arbeitslosigkeit willen sollte die Beschäftigungspolitik also nicht auf eine zusätzliche Reduktion der Erwerbstätigkeit älterer Personen drängen. Langfristig sollte Beschäftigungspolitik einen Weg beschreiten, der auf eine stärkere Integration älterer Personen in den Arbeitsmarkt orientiert ist und nicht auf ein Abschieben dieser Personengruppe für den Fall, daß sie marktuntüchtig geworden ist.
Schließlich wurde auch der Vorschlag in die Diskussion gebracht, die Erwerbsdauer innerhalb des Lebenszyklus flexibler zu gestalten.
Voll-Erwerbspersonen sollen über einen bestimmten individuellen Arbeitszeitfonds (z. B. von zwei bis drei Jahren) ohne Schaden auf Rentenansprüche frei verfügen können. In Konjunkturkrisen könnte dann — zugunsten einer Verminderung der Arbeitslosigkeit — von dieser Möglichkeit verstärkt Gebrauch gemacht werden. Diese Alternative ist bedenkenswert, müßte aber mit Überlegungen verbunden werden, wie ein sicherer Bezug zum Erwerbsleben gewahrt werden kann (z. B. durch Garantie des Arbeitsplatzes); sonst bestünde die Gefahr, daß ein längerfristiger Austritt aus dem Erwerbsleben anschließend mit Dequalifikation oder häufigem Arbeitsplatzwechsel „bezahlt" werden müßte.
e) Verminderung der individuellen Belastung durch Arbeitslosigkeit
In einer Gesellschaft, in welcher die einzel-wirtschaftliche Rentabilität des Kapitaleinsatzes über die Investitionen und damit über die Arbeitsplätze entscheidet, muß trotz „aktiver" Beschäftigungspolitik mit offener Arbeitslosigkeit gerechnet werden. Es ist daher sinnvoll, Überlegungen anzustellen, wie negative Folgewirkungen insbesondere längerfristiger Arbeitslosigkeit vermieden oder reduziert werden können. Zwei Alternativen sollen hier nur kurz erwähnt werden: das „Krümpersystem" der Arbeitslosigkeit und die Differenzierung der Arbeitslosenversicherung nach Risikogruppen. Um die Probleme längerfristiger, individueller Arbeitslosigkeit zu vermeiden, könnten bei Wiederbeschäftigung der die der Arbeitslosen Wartezeiten berücksichtigt werden: Wer am I längsten arbeitslos ist, hat bei sonst gleicher zuerst Anspruch auf Wiederbeschäftigung. Durch das Vermittlungsmonopol der Bundesanstalt für Arbeit ließe sich — bei einigen gesetzlichen Ergänzungen im Hinblick auf I die unmittelbare, vermittlungsfreie Einstellung durch die Betriebe — ein solches moI difiziertes gesamtwirtschaftliches „Krümpersystem' praktizieren. Unter dem Aspekt der Sozialbindung des Eigentums müßten die Verfügungsrechte hier in ähnlicher Weise ein-I geschränkt werden können, wie dies z. B. bei ; der Quotenverpflichtung für die Beschäfti-I gung von Schwerbeschädigten der Fall ist I Da gesellschaftliche Gruppen offensichtlich unI terschiedlich oft und schwer von Arbeitslosigkeit betroffen sind, sollte das Arbeitslosenversicherungssystem nach Risiko-und Einkommensgruppen differenziert werden. Erstens sollte die unterschiedliche Bedeutung des Einkommensverlusts bei Arbeitslosigkeit bewerden: Untere Einkommens-schichten sind von einem Einkommensverlust von etwa v. H. härter betroffen als mittlere 'und höhere Einkommensschichten. Zweitens müßte berücksichtigt werden, daß höhere Einkommen bei kürzer dauernder Arbeitslosigkeit gegenüber niedrigen Einkommen einen Vorteil durch die steuermindernde Wirkung des Einkommensverlusts haben. Drittens könnte die Dauer der Zahlung von Arbeitslosengeld in der Weise differenziert werden, daß Problemgruppen (wie Alte, Behinderte, Frauen), die im Durchschnitt länger arbeitslos sind, auch längeren Anspruch auf Zahlung von Arbeitslosengeld haben; so wird etwa in Frankreich unter bestimmten Voraussetzungen bis zu zwei Jahren Arbeitslosengeld gezahlt. Viertens könnte die Einkommenssicherung für solche Arbeitslose, die ihren Arbeitsplatz individuell unverschuldet verloren haben und die länger als einen Monat arbeitslos sind, verbessert werden; in Frankreich wird seit dem 2. Dezember 1974 für diese Gruppe der Arbeitslosen ein Jahr lang 90 v. H.des Nettoeinkommens gewährleistet. Fünftens sollten Beamte, die kein Beschäftigungsrisiko tragen, an der Finanzierung der Arbeitslosenversicherung be-teiligt werden, unter anderem auch deshalb, weil sie indirekt von der „Aktivierung'der Arbeitslosenversicherung (Umschulung, Beratung, Weiterbildung von Familienangehörigen aus Beiträgen der Arbeitslosenversicherung) profitieren.
2. Maßnahmen zur Erhaltung oder Schaffung von Arbeitsplätzen
Im ersten Halbjahr 1975 verausgabte die Bundesanstalt für Arbeit allein für Kurzarbeit, Arbeitslosengeld und -hilfe 6, 533 Mrd. DM. Angesichts dieser Größenordnung wirtschaftlich unproduktiver Ausgaben stellt sich dringlich die Frage nach der Möglichkeit produktiver beschäftigungspolitischer Alternativen in Zeiten großer Beschäftigungseinbrüche; also Beschäftigungsexpansion oder -Stabilisierung durch staatliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (z. B. Lohnkosten-und Einarbeitungszuschüsse) oder Förderung privater Arbeitsplatz-beschaffung (z. B. Investitionszuschüsse).
1. Lohnkostenzuschüsse
Lohnkostenzuschüsse sind relativ neue Instrumente der Beschäftigungspolitik, die bisher nur zögernd eingesetzt wurden. In der Praxis sind bislang folgende Formen bekannt: a) Einarbeitungszuschüsse: Sie werden Arbeitgebern für die Einstellung von Arbeitskräften gewährt, die eine volle Leistung am Arbeitsplatz erst nach einer Einarbeitungszeit erreichen können. Solche Zuschußarten sind in Frankreich, Schweden und in der Bundesrepublik Deutschland bekannt. Laut § 49/AFG können in der Bundesrepublik für die Dauer eines Jahres (in Ausnahmefällen auch länger) 60 v. H.der tariflichen Lohnkosten subventioniert werden. In der'Praxis kamen Einarbeitungszuschüsse aber vor allem der Schaffung „verlängerter Werkbänke" zugute, d. h., es wurden Arbeitsplätze subventioniert, die geringe Qualifikationen erforderten und sich in Krisenzeiten als instabil erwiesen 30). Auf der anderen Seite ist ein Mobilisierungseffekt von Arbeitskräftereserven in unterentwickelten Gebieten nicht zu leugnen. Da es sich hier um ein Instrument mit strukturpolitischer Zielsetzung handelt und nicht um eine beschäfti-gungspolitische Alternative bei hoher Arbeitslosigkeit, sollte die Vergabe derartiger Subventionen strenger an Qualitätskriterien der damit geschaffenen Arbeitsplätze gebunden werden.
b) Dauernde oder zeitlich beschränkte Beschäftigungsprämien für Unternehmen, die entweder Personen in unterentwickelten Regionen oder in bestimmten Branchen beschäftigen, oder die neue Arbeitskräfte einstellen bzw. die Zahl der Beschäftigten erhöhen. Diese Prämien werden manchmal auch mit Auflagen verbunden, z. B.der Verpflichtung der Betriebe, die neu Eingestellten weiterzubilden, oder die Auflage, daß die Betriebe bei der Rekrutierung das Alter, Geschlecht oder die Dauer der Arbeitslosigkeit berücksichtigen müssen. Die Verbindung solcher Prämien mit Auflagen ist vor allem in Schweden gebräuchlich. Eines der bekanntesten Beispiele ist die regionale Beschäftigungsprämie (Regional Employment Premium) in Großbritannien: Sie wurde im September 1967 mit einer Laufzeit von zunächst sieben Jahren eingeführt, ist nun aber auf unbestimmte Zeit verlängert worden. Unternehmen der Verarbeitenden Industrie erhalten in den Entwicklungsregionen, die etwa 1/6 aller Beschäftigten umfassen, 1, 50 Pfund pro Woche und männlichen Arbeiter (seit 1974 3 Pfund); etwas geringer ist die Prämie für die weiblichen Arbeitskräfte. Insgesamt betrachtet, bedeutet diese Prämie eine zeitlich unbefristete Lohnkostensubvention von etwa 8 v. H. für die Verarbeitende Industrie in den Entwicklungsregionen Ein anderes Beispiel liefert das erste Konjunkturprogramm der Bundesrepublik 1975: Allen Unternehmen in Regionen mit überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit wurden 60 v. H. Lohnkostensubvention für die Dauer von sechs Monaten angeboten, wenn sie Personen einstellten, die länger als drei Monate arbeitslos waren. Diese Maßnahme erfüllt aber nicht die in sie gesetzten Erwartungen; das finanzielle Angebot wurde von den Unternehmen nur zum Teil ausgeschöpft c) Das Instrument der Steuererleichterung für die Beschäftigung bestimmter Kategorien von Erwerbspersonen wurde bisher kaum angewandt; es ist strukturpolitisch wohl auch kaum zu empfehlen, da Betriebe ab einer bestimmten Größenordnung — ähnlich wie bei Investitionsprämien in Form von Steuerbegünstigungen — bevorzugt werden. Als Beispiel kann die selektive Beschäftigungssteuer (Selective Employment Tax) in Großbritannien genannt werden: Hier erhielten Unternehmen in den Jahren 1966— 70 eine Steuererleichterung pro Beschäftigten, wenn die Mehrzahl der Arbeiter in wachstumsrelevanten Produktionszweigen beschäftigt war.
d) Gebräuchlich sind schon seit längerer Zeit Lohnkostensubventionen für die Beschäftigung behinderter und anderer benachteiligter Personen auf kürzere oder längere Zeit nach ihrer Einstellung. Belgien, Schweden, USA und die Bundesrepublik Deutschland betreiben eine derartige, mehr oder weniger permanente Subventionierung der Beschäftigung von Problem-gruppen. Diese ansonsten langfristig orientierte Strukturmaßnahme könnte in Zeiten großer Beschäftigungseinbrüche intensiviert werden, da diese Erwerbsgruppen in der Regel auch von konjunktureller Arbeitslosigkeit härter getroffen werden. Ob freilich gerade in solchen Zeiten finanzielle Anreize zur Beschäftigung von Problemgruppen wirksam sind, muß bezweifelt werden, da Unternehmen solche Zeiten zu nutzen versuchen, das Leistungspotential der Beschäftigten zu verbessern.
e) Schließlich soll hier mit größerer Ausführlichkeit auf einen Vorschlag des schwedischen Experten für Arbeitsmarktfragen, Gösta Rehn, eingegangen werden. Rehn betrachtet eine verallgemeinerte, aber zeitlich befristete und flexible Anwendung der Methode direkter Lohnkostensubvention als eine der wichtigsten beschäftigungspolitischen Alternativen der Zukunft. Denn im Gegensatz zu traditionellen Beschäftigungspolitiken (z. B. globale Nachfragesteigerung, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Investitionszuschüsse mit indirektem und ungewissem Beschäftigungseffekt) sei dieses Instrument in der Lage, Arbeitsplätze ohne inflationären Effekt zu halten oder zu schaffen; der richtige und geballte Einsatz dieses Instruments hätte sogar inflationsdämpfende Wirkung Rehn argumentiert in folgender Weise: Subventionierung der Lohnkosten für zusätzlich eingestellte Arbeiter oder Angestellte reduziert für die Unternehmen die Kosten zusätzlicher Produktion, Die Umsetzung der relativ reduzierten Produktionskosten in zusätzliche Gewinne werde aber nur dann realisiert, wenn die Unternehmen die Verkaufspreise für die entsprechenden Produkte senken, so daß sie auf dem Markt mehr absetzen können. So habe die direkte Lohnkostensubvention nicht nur einen positiven Beschäftigungseffekt, sondern übe auch einen Druck auf das Preisniveau aus. Diese Beziehung gelte auch für die Lohnkostensubvention jeder Beschäftigung, die über einen bestimmten Prozentsatz der Normal-Beschäftigung (etwa 95 v. H.) hinausgehe. Hat z. B. ein Betrieb in einem Basisjahr 1 000 Beschäftigte, so sollten 25— 50 v. H.der Lohn-kosten aller Beschäftigten über 950 subventioniert werden; die gesamten Lohnkosten des Betriebes würden dann bei gleichbleibendem Beschäftigungsvolumen und 50 v. H. Subvention der Zusatzbeschäftigung um 2, 5 v. H. reduziert werden. Im Falle einer Rezession sollte diese direkte und „schamlose" Lohnkostensubventionierung mit wenigen Ausnahmen allen Betrieben und für alle Arten von Beschäftigung angeboten werden; eine Ausnahme wären z. B. Firmen, die am Rande der Zahlungsunfähigkeit stehen. In Zeiten der Vollbeschäftigung sollte dieses Instrument nur für Problemgruppen und Problemregionen gelten.
Der wunde Punkt dieser Überlegung besteht im Problem der entsprechenden Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen. Offensichtlich funktioniert die Methode der direkten Lohnkostensubvention nur dann, wenn im Falle des Anstiegs der Beschäftigung zusätzliche Nachfrage geschaffen oder wenn im Falle der Stabilisierung des vorhandenen Beschäftigungsvolumens das Nachfrageniveau gehalten werden kann. Denn ohne die gleichzeitige Erfüllung dieser Bedingung würde diese Methode dazu führen, daß die subventionierten Betriebe zwar wegen der Kostenreduktion ihre Marktstellung verbessern, bei allgemein fehlender Nachfrage jedoch nur Konkurrenten aus dem Felde schlagen, die nicht in den Ge-nuß der Mittel kommen oder die aus anderen Gründen eine schwächere Position auf dem Markt haben. Die Verhinderung von Arbeitslosigkeit auf der einen Seite würde Arbeitslosigkeit auf der anderen Seite produzieren.
Rehn sieht auch hier eine Lösung: Die erforderliche Steigerung oder Stabilisierung der Mengennachfrage werde teilweise schon durch die Senkung der Preise erreicht, teilweise müsse sie durch flankierendes Nachfragemanagement im keynesianischen Sinne erzielt werden, also durch Steuersenkung, staatliches Deiicit-Spending und ähnliches. Das erstgenannte Argument erscheint uns aus zwei Gründen problematisch: Erstens wird der Effekt der Preissenkung infolge der monopolisierten Struktur weiter Bereiche der Produktion relativ gering ausfallen, und zweitens zeichnen sich Konjunkturkrisen durch eine relativ geringe Nachfrageelastizität aus, das heißt, eine geringe Reduktion der Preise wird die Mengennachfrage kaum erhöhen.
Andere Argumente sprechen aber dafür, den Vorschlag Rehns weiterzuverfolgen: Das Kosten/Nutzen-Verhältnis einer solchen „Vorwärts-Strategie" der direkten Lohnkostensubventionierung scheint heute wesentlich günstiger zu sein als die „Rückwärtsstrategie" der Arbeitslosenversicherung. Das liegt vor allem an der wohlfahrtsstaatlich bedingten höheren Arbeitslosen-und Sozialversicherung sowie an den höheren Steuersätzen: Der Transfer einer arbeitslosen Person in den Status einer Erwerbsperson bedeutet heute — im Unterschied etwa zu der Zeit der Weltwirtschaftskrise — eine Erhöhung des staatlichen und parafiskalischen Einkommens von 50 bis 90 v. H. (je nach Land) des Lohnes oder Gehaltes dieser Person; in anderen Worten: Eine fünfzigprozentige Lohnkostensubvention zahlt sich immer noch volkswirtschaftlich aus, von positiven Nebeneffekten (Vermeidung der durch Arbeitslosigkeit bedingten psychologischen Belastungen, Verhinderung des Zerfalls von Humankapital usw.) ganz abgesehen. Dieser volkswirtschaftliche Einkommenseffekt ergibt sich vor allem aus dem Einkommen aus direkten und indirekten Steuern, den Beiträgen zur Sozialversicherung, die im Beschäftigungsfalle von Arbeitnehmern und Arbeitgebern erbracht werden, sowie aus den eingesparten Arbeitslosengeldern. Der staatliche und parafiskalische Einkommenseffekt durch die zusätzliche Beschäftigung eines Arbeitslosen ist in den letzten Jahrzehnten so schnell gestiegen, daß er noch nicht ausreichend in das öffentliche Bewußtsein gedrungen ist. Rehn macht daher mit Recht auf die qualitative Veränderung der Relationen im Vergleich zu früher aufmerksam.
Eine fünfzigprozentige Lohnkostensubvention der Zusatzbeschäftigung (also über 95 v. H.der Normalbeschäftigung hinausgehend), durch die die Entlassung von 100 000 Arbeitskräften vermieden werden könnte, würde unter der Annahme eines durchschnittlichen Bruttoverdienstes von 1 800 DM monatlich 90 Mill. DM kosten; andererseits müßten für 100 000 Arbeitslose ca. 110 Mill. DM Arbeitslosengeld inklusive Beiträge zur Sozialversicherung bezahlt werden, unter der Annahme, daß pro Arbeitslosen im Schnitt 1 100 DM monatlich aufgewendet werden müßten. Es würden also 20 Mill. DM zuzüglich etwa 22 Mill. DM entgangene Steuern (11 v. H. durchschnittlich) eingespart werden. Als parafiskalische Einsparung müßten noch etwa 5 Mill. DM Beiträge zur Arbeitslosenversicherung (3 v. H.) und 32 Mill. DM Beiträge zur Rentenversicherung (18 v. H.) hinzugerechnet werden. Diese Rechnung muß freilich noch um einen schwer bestimmbaren Betrag nach unten korrigiert werden, da nicht zu vermeiden sein wird, daß auch Beschäftigung subventioniert wird, die auch ohne Subventionierung erfolgt wäre.
Ein weiteres Argument für den Vorschlag Rehns ist in der administrativ einfachen, dennoch flexiblen und differenzierten Handhabung und Kontrolle der direkten Lohnkostensubvention zu sehen. Bisherige Ansätze, die wir oben zum Teil erwähnt haben, waren entweder zu undifferenziert oder zu vorsichtig oder sie wurden mißbräuchlich angewendet. So wurde etwa das amerikanische Beschäftigungsprogramm (Public Employment Service) in der Weise mißbraucht, daß eine Stadt zunächst eine große Zahl öffentlich Bediensteter entließ, um sie dann im Rahmen des Beschäftigungsprogramms wieder einzustellen. In der Bundesrepublik wurden — vor allem in der Bauindustrie — zahlreiche Fälle bekannt, in denen ein Betrieb Arbeiter entließ, die dann von einem anderen Betrieb desselben Unternehmers unter Inanspruchnahme der Lohnkostensubvention wieder eingestellt wurden. Solcher Mißbrauch kann verhindert werden, wenn nur der Nettozuwachs der Beschäftigten oder nur ein bestimmter Prozentsatz des normalen Beschäftigungsvolumens subventioniert wird. Die Regionale Beschäftigungsprämie in Großbritannien war deshalb fragwürdig, weil sie undifferenziert für alle Beschäftigten der betreffenden Betriebe gezahlt wurde. Rehn weist auch mit Recht darauf hin, daß die Lohnkostensubvention für längerfristig Arbeitslose in der Bundesrepublik Deutschland wohl deshalb wenig wirksam war, weil sie nur relativ kurze Zeit Gültigkeit hatte (sechs Monate); die Nachteile der Rekrutierung langfristig Arbeitsloser (z. B. Notwendigkeit der Weiterbildung, der Einarbeitung, der geringeren Produktivität infolge gesundheitlicher oder altersbedingter Einschränkungen) werden daher finanziell nicht ausreichend aufgewogen. 2. Arbeitsbeschafiungsmaßnahmen Es bleibt noch — bewegt man sich im Rahmen marktwirtschaftlich organisierter Industrie-gesellschaften — die Alternative öffentlicher Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) zu diskutieren. Die Praxis in der Bundesrepublik zeigt, daß die Möglichkeiten, welche die Bundesanstalt gemäß §§ 91— 99 AFG z. B. für das Jahr 1974 bereitstellte, von den Trägern der ABM, vor allem den Gemeinden, anfänglich nicht schnell und umfassend genug ausgenutzt wurden. Oft waren die Möglichkeiten gar nicht bekannt, oder es war nicht ausreichend gewährleistet, daß sie ökonomisch sinnvoll angewendet wurden. Hier könnte eine bessere Kontingenzplanung (das heißt, Planung für alternative Situationen) und Koordination zwischen den institutionellen Trägern und den entsprechenden Arbeitsämtern Abhilfe schaffen, wobei sich die Arbeitsverwaltung aktiver in die Formulierung von Programmen („Schubladenprogramme") einschalten sollte.
Inzwischen hat sich aber das Blatt gewendet. Nach einer Werbeaktion für ABM liefen während des Jahres 1975 Anträge bei der Arbeitsverwaltung ein, die das finanzielle Angebot weit überstiegen. Die Bundesregierung sah sich daher veranlaßt, weitere Mittel in Verbindung mit ihren Konjunkturprogrammen zuzuschießen. Erfahrungsgemäß haben ABM-Maßnahmen einen multiplikatorischen Beschäftigungseffekt: auf zwei ABM-Arbeitsplätze kommt ein zusätzlich induzierter Arbeitsplatz. Angesichts der volkswirtschaftlich hohen Kosten der unproduktiven Arbeitslosenversicherung (vgl. oben) erscheint es daher sinnvoll, ABM in Zeiten großer Beschäftigungseinbrüche im Sinne einer „Vorwärtsstrategie" zu aktivieren und mit ihrer Hilfe den Ausbau der sozialen Infrastruktur zu verbessern
Der Nachteil einer breiteren Anwendung von ABM kann in der multiplikatorischen Wirkung auch auf die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen und mithin in der preissteigernden Wirkung auf knappen Güterteilmärkten bestehen. Eine Kontrolle dieses Nebeneffektes ist dahingehend denkbar, daß zukünftig knappe Güterteilmärkte analytisch schneller identifiziert und solche ABM selektiv gefördert werden, die in dieser Hinsicht möglichst geringen multiplikatorischen Effekt haben. Vor allem am Anfang großer Konjunkturkrisen mit allgemein geringer Nachfrage (und geringer Wahrscheinlichkeit knapper Güterteilmärkte) dürfte dieser Nachteil nicht schwer wiegen; das spricht wiederum dafür, das Instrument der ABM möglichst frühzeitig einzusetzen.
3. Arbeitsplatzentwicklungsfonds
Abschließend wollen wir noch den weitergehenden Vorschlag eines Arbeitsplatzentwicklungsfonds zur Diskussion stellen, der dem schwedischen Fondssystem entlehnt ist, aber die Dimension der Arbeitszeit sowie regionale und betriebliche Strukturunterschiede einbezieht. Betriebe zahlen freiwillig einen be-stimmten Betrag in diesen Fonds ein. Die Höhe des Betrages kann von der Beschäftigtenzahl oder der durchschnittlich gezahlten Lohn-und Gehaltssumme abhängig gemacht werden. Dieser Betrag sollte steuerlich stark begünstigt werden, um den Betrieben einen Anreiz zu geben, in diesen Fonds einzuzahlen. Der Fonds sollte zusätzlich durch Mittel etwa der Kreditanstalt für Wiederaufbau, der Landesregierungen und der Bundesanstalt für Arbeit gespeist werden.
Der Fonds kann dann zu verschiedenen Zwecken eingesetzt werden: a) zur Finanzierung eines längeren Urlaubs von Arbeitnehmern, um etwa eine kurzfristige Konjunktur-schwäche aufzufangen, Entlassungen aber zu vermeiden; b) zur Zahlung von Abfindungen im Falle von strukturell notwendigen Freisetzungen mit endgültigem Charakter? c) zur Finanzierung von Arbeitsplätzen schaffenden Investitionen, die finanziell noch zusätzlich gefördert werden können, falls es beschäftigungspolitisch erwünscht ist; d) für Maßnahmen . zur Humanisierung von Arbeitsplätzen.
In Analogie zum Internationalen Währungsfonds erhalten einzahlende Betriebe Vorzugs-rechte für die oben erwähnten Zwecke, während Betriebe, die aufgrund ihrer Gewinnsituation in diesen Fonds nicht einzahlen können, Sonderziehungsrechte erhalten, wenn sie die Mittel nachweislich für arbeitsmarktpolitisch erwünschte Zwecke einsetzen. Einzahlende Betriebe verlieren die Vorzugsrechte, wenn sie diese innerhalb eines bestimmten Zeitraumes (etwa entsprechend der Dauer eines Konjunkturzyklus) nicht wahrnehmen. Die Verwaltung dieses Fonds sollte auf regionaler Ebene erfolgen, unter Einbeziehung der Landesarbeitsämter, der Landesregierungen, Vertretern der Gewerkschaften und Arbeitgeber sowie der beteiligten Kreditinstitutionen. Anträge von Seiten der Betriebe bedürfen der Zustimmung der entsprechenden lokalen Arbeitsämter sowie der Betriebsräte.
III. Schlußfolgerungen
Abbildung 19
Quelle: ANBA und Statistische Jahrbücher der Bundesrepublik Deutschland sowie eigene Berechnungen
Quelle: ANBA und Statistische Jahrbücher der Bundesrepublik Deutschland sowie eigene Berechnungen
In der Beurteilung der gegenwärtigen Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes in der Bundesrepublik Deutschland sind wir zum Ergebnis gelangt, daß kurz-und mittelfristig mit einem für die Bundesrepublik ungewohnt hohen Niveau an Arbeitslosigkeit zu rechnen ist. Die traditionelle Beschäftigungspolitik stößt aus verschiedenen Gründen an Grenzen; ihr Einsatz ist vor allem problematisch aufgrund gleichzeitig hoher Inflationsraten — eine Situation, welche die heutige Krise von früheren unterscheidet. Ein längerfristig hohes Niveau an Arbeitslosigkeit birgt Gefahren in sich, die ihrerseits wieder die Bekämpfung der Unterbeschäftigung erschweren: Umschichtung der Arbeitslosigkeit zu Lasten marginaler Erwerbsgruppen sowie Segmentierungseffekte des Arbeitsmarkts, die selbstregulierende Anpassungsprozesse an den strukturellen Wandel und die Wirksamkeit üblicher Beschäftigungspolitik zum Teil außer Funktion oder selbstzerstörerische Rückkopplungsprozesse und gegensinniges Systemverhalten in Gang setzen. Geht man von dem vorrangigen Ziel eines hohen und vollwertigen Beschäftigungsstandes aus, ist die Analyse neuer beschäftigungspolitischer Möglichkeiten dringend erforderlich. Wir unterschieden zwischen kurz-und langfristiger, direkter und indirekter Beschäftigungspolitik, und wir befaßten uns vorwiegend mit kurzfristigen und direkten beschäftigungspolitischen Alternativen. Wir unterschieden schließlich zwei grundlegende Strategien zur Lösung des Problems hoher Arbeitslosigkeit: 1. Verteilungspolitiken der Unter-beschäftigung und 2. Politiken der Erhaltung oder Schaffung von Arbeitsplätzen.
Der Spielraum für eine Manipulation des Arbeitsvolumens über die Ausländerpolitik ist heute geringer geworden; auch aus sozial-und strukturpolitischen Gründen sind dieser Alternative enge Grenzen gesetzt. Umschulung und Weiterbildung sind ebenfalls Alternativen, die quantitativ wenig durchschlagen; langfristig könnte und sollte dieses Instrument aber ausgebaut, allerdings sozial-und strukturpolitisch stärker differenziert werden. In die Alternative der Reduktion oder Variation der Arbeitszeit werden’in der heutigen Diskussion unseres Erachtens zu große und teilweise auch naive Hoffnungen gesetzt. Am sinnvollsten erscheint noch das Instrument der Kurzarbeit; es müssen aber bessere Kontrollmechanismen eingebaut werden, um Mißbrauch zu verhindern. Dagegen bieten die Vorschläge einer Reduktion der durchschnittlichen Arbeitszeit oder gar eines interindustriellen Austauschs produktiver Zeitkontingente kurz-und wohl auch mittelfristig kaum Lösungen, da sie von unrealistischen Voraussetzungen ausgehen (unter anderem Mobilität und Substituierbarkeit der Arbeitskräfte) oder eine solidarische Lohn-und Einkommenspolitik implizieren, die erst noch ins politische Bewußtsein zu bringen wäre und deren Realisierungsbedingungen noch erkundet werden müßten. Ein Spielraum in dieser Hinsicht besteht allenfalls darin, daß tariflich vorgesehene Arbeitszeitkürzungen vorgezogen werden (Reyher). Der Handlungsspielraum über eine Reduktion oder Variation der Erwerbsdauer erscheint uns ebenfalls geringer als allgemein erhofft, weil diese Alternative sehr schnell mit den Zielen einer stabilen Erwerbssozialisation und der Integration ins Erwerbsleben vor allem von Problemgruppen in Konflikt gerät. Schließlich plädierten wir für zwei Alternativen, mit deren Hilfe die individuelle Belastung längerfristiger Arbeitslosigkeit vermindert werden könnte: eine Art Arbeitslosenrotation, die freilich in die Einstellungsautonomie der Betriebe eingreifen und die Arbeitsverwaltung vor große Verantwortung stellen würde sowie eine Differenzierung der Arbeitslosenversicherung nach Risikogruppen. Investitionszuschüsse mit der Absicht, Arbeitsplätze zu schaffen, haben einen zweifelhaften beschäftigungspolitischen Effekt, da sie in Krisen oft auch zu Ersatz-und Rationalisierungsinvestitionen verwendet werden, die manchmal sogar beschäftigungsreduzierende Wirkung haben. Darüber hinaus sind die inflatorischen Nebenwirkungen diese Instruments infolge multiplikatorischer Effekte schwer zu kontrollieren. Dagegen scheint die direkte Subventionierung der Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen (Lohnkostensubvention) in der heutigen Situation ein Instrument zu sein, dessen Handlungsspielraum noch nicht voll ausgeschöpft ist. Vor allem der Vorschlag des schwedischen Arbeitsmarktexperten Gösta Rehn, in Zeiten der Rezession nahezu jede Zusatzbeschäftigung zu subventionieren, scheint zumindest einer experimentellen Erprobung wert zu sein.
Im Gegensatz zur rückwärtsgewandten und unproduktiven Arbeitslosenversicherung, die volkswirtschaftlich heute auch wesentlich teuerer ist als früher, wird damit eine kostengünstigere und produktive Vorwärtsstrategie an-j geboten, die auch günstige Verteilungswirkunf gen und möglicherweise auch inflationssenj kenden Effekt hat. Außerdem ist dieses Instru-I ment administrativ leicht zu handhaben und beliebig differenzierbar.
Wir sahen uns allerdings in einigen Punkten I zu großer Skepsis veranlaßt, ob dieses Instrument in Zeiten hoher konjunktureller Arbeits-I losigkeit die von Rehn erhoffte Wirkung haIben wird.
I Arbeitsbeschaiiungsmaßnahmen sollten vor(zeitiger geplant und umfangreicher als bisher eingesetzt werden. Auch diese Alternative könnte als eine Art „sozial-infrastruktureller Vorwärtsstrategie" aktiviert werden, wobei es auf einen frühzeitigen und schnellen Einsatz ankommt. Allerdings sind die multiplikatorisehen und u. U. inflationsfördernden Nebenwirkungen dieses Instruments zu kontrollieren. Schließlich plädierten wir für einen Arbeitsplatzentv^icklungsfonds, der in guten Zeiten im wesentlichen aus Gewinnen der Betriebe (und mit einem entsprechendem Anreiz der Steuererleichterung) zu finanzieren wäre, und der vor allem in schlechten Zeiten flexibel für verschiedene arbeitsmarktpolitische Zwecke eingesetzt werden könnte.
Dieter Freiburghaus, Dipl. -Volksw., geb. 1943, Studium der Mathematik, Volks-und Betriebswirtschaft in Bern, St. Gallen und an der Freien Universität Berlin; seit 1974 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Internationalen Institut für Management und Verwaltung des Wissenschaftszentrums Berlin; Beschäftigung mit Fragen zur sozialen Lage der ausländischen Arbeitskräfte und mit Problemen der Unterbeschäftigung, insbesondere von sog. Problemgruppen. Veröffentlichungen: zusammen mit Hans Peter Müller, Zur Struktur des Krisen-problems bei Marx, Berlin 1973; zusammen mit Günther Schmid, Techniken politischer Planung, in: Leviathan 3/1974, zusammen mit Günther Schmid, Theorie der Segmentierung von Arbeitsmärkten, in: Leviathan 3/1975.
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