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Marxismus, Revisionismus und Reformismus in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung | APuZ 10/1983 | bpb.de

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APuZ 10/1983 Artikel 1 Marxismus, Revisionismus und Reformismus in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung Marx heute Zur Kulturpolitik der DKP

Marxismus, Revisionismus und Reformismus in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung

Horst Heimann

/ 57 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Bereits vor der Revolution von 1848/49 hatte Karl Marx nicht nur die emanzipatorische Zielsetzung seines Denkens formuliert; mit dem Konzept des Historischen Materialismus glaubte er auch die Frage gelöst zu haben, auf welchem Wege diese emanzipatorische Zielsetzung erreicht werden wird: Danach gibt es eine gesetzmäßige Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft, die dazu führt, daß die Arbeiterklasse in der unausweichlich eintretenden sozialistischen Revolution die allgemeine menschliche Emanzipation durchsetzen wird. Die Rezeption der Lehre von der historischen Mission des Proletariats durch die Arbeiterbewegung erfolgte jedoch noch nicht im Zusammenhang mit dem persönlichen Engagement von Marx in der Arbeiterbewegung während der Revolution von 1848/49 und in der I. Internationale von 1864 bis 1872, sondern erst in den achtziger Jahren, vor allem dank der popularisierenden Darstellungen des Marxismus durch Engels, Kautsky und Bernstein. Im Parteimarxismus der SPD (Erfurter Programm von 1891) wurde vor allem der Geschichtsdeterminismus rezipiert, der den wissenschaftlichen Beweis für den baldigen Sieg des Sozialismus durch die sozialistische Revolution zu liefern schien. Seit 1896 begann der international anerkannte Marxist Eduard Bernstein diesen Zukunftsoptimismus zu erschüttern, indem er durch eine kritische Überprüfung bzw. Revision zentrale Theorien des Parteimarxismus, z. B. die Zusammenbruchstheorie, in Frage stellte. Bernstein wollte damit keineswegs die emanzipatorische und gesellschaftsverändernde Zielsetzung von Marx verwerfen, sondern die Voraussetzung dafür schaffen, daß die Arbeiterbewegung, statt auf die Revolution zu hoffen, durch eine zielstrebige Reformpraxis zur schrittweisen Verwirklichung der emanzipatorischen Ziele beizutragen vermochte. Die SPD verurteilte jedoch mit großer Mehrheit das revisionistisch-reformistische Konzept Bernsteins und hielt an der revolutionären marxistischen Theorie fest, obwohl sich in der Praxis der Arbeiterbewegung das Konzept des Reformismus durchsetzte. Erst mit dem reformistischen Godesberger Programm von 1959 überwand die SPD verspätet den Widerspruch zwischen ihrer revolutionären Theorie und ihrer reformistischen Praxis. Da aber trotz des reformistischen Godesberger Programms keine revisionistisch-reformistische Theorietradition entstand und der Reformismus der Arbeiterbewegung theoretisch „sprachlos" blieb, konnte sich seit Ende der sechziger Jahre in der akademischen Linken widerstandslos ein orthodoxer Marxismus durchsetzen, der sich als antirevisionistisch und antireformistisch verstand. Nicht durch eine geistige Gegenoffensive der reformistischen Arbeiterbewegung, sondern durch selbstkritische Diskussionen innerhalb der marxistischen Linken um die „Krise des Marxismus" hat sich in der akademischen Linken zunehmend die ernüchternde Einsicht ausgebreitet, daß gerade ein antirevisionistisch-antireformistischer Marxismus die emanzipatorischen Ansprüche von Marx nicht einzulösen vermag.

Der 100. Todestag von Karl Marx am 14. März ist eine der Ursachen dafür, daß im Jahre 1983 zum Thema Marxismus in aller Welt Tagungen, Kongresse, Gedenkveranstaltungen stattfinden und zu der bereits jetzt nicht mehr zu überblickenden Flut von Publikationen zu diesem Thema zahlreiche weitere Neuerscheinungen hinzukommen werden. Denn es gibt in der Geistesgeschichte der Menschheit keine Theorie, die so oft und so verschieden interpretiert wurde wie die Weltanschauung jenes Mannes, der die Notwendigkeit eines neuen Denkens mit folgendem Vorwurf gegen alles frühere Denken begründete: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt darauf an, sie zu verändern." Dennoch verdient das Thema " Marxismus in der Arbeiterbewegung" nicht nur unter Jubiläumsgesichtspunkten Aufmerksamkeit. Denn mit dem „Historischen Materialismus" und „Wissenschaftlichen Sozialismus" hat Marx den in der Theoriegeschichte des Sozialismus bisher einflußreichsten und folgenreichsten Theorieansatz begründet.

Auch das Thema „Revisionismus in der Arbeiterbewegung“ verdient nicht nur unter Jubiläumsgesichtspunkten Aufmerksamkeit, weil Nicht durch die eigene soziale Herkunft, Existenz und Erfahrung wurde die Arbeiterklasse zu einem zentralen Begriff im Denken von Karl Marx, sondern durch die Logik seiner philosophisch-theoretischen Überlegungen. Denn er selbst wurde in gutbürgerlichen Verhältnissen am 5. Mai 1818 in Trier als Sohn eines Rechtsanwaltes geboren. Nach dem Besuch eines Gymnasiums begann er 1835 an der Juristischen Fakultät der Universität in Bonn sein Studium, das er seit 1836 in Berlin fortsetzte. Sein Hauptinteresse galt allerdings der Geschichte und Philosophie. Entscheidend für die Entwicklung des politisch-philosophischen Denkens von Marx wurden seine intensiven Auseinandersetzungen, vor allem über die Philosophie Hegels, im „Doktorklub" der Berliner Junghegelianer. 1841 promovierte er an der Philosophischen Fakulkurz vor dem viel beachteten 100. Todestag von Marx, am 17. Dezember 1982, der 50. Todestag von Eduard Bernstein so gut wie unbemerkt verstrich. Denn Bernstein war der erste international anerkannte Marxist, der bereits Ende des 19. Jahrhunderts zentrale Theorien und Prognosen von Marx kritisch überprüfte, damit die Revisionismusdebatte auslöste und zum Begründer des Revisionismus wurde. Seither wird der Marxismus mit der revolutionären Arbeiterbewegung in Verbindung gebracht, der Revisionismus mit der reformistischen Arbeiterbewegung, die nicht auf dem Wege einer Revolution, sondern auf dem Wege von Reformen die Lage der Arbeiter schrittweise verbessern will. Dennoch sind Revisionismus und Reformismus nicht völlig identisch. Paradoxerweise ist bis in die Gegenwart in der von Intellektuellen getragenen sozialistischen Theorietradition der Marxismus das einflußreichste und vorherrschende theoretische Vorbild oder Paradigma geblieben, obwohl in der gesamten organisierten Arbeiterbewegung Westeuropas, einschließlich der eurokommunistischen, der Reformismus nicht nur zum vorherrschenden, sondern zum alleinigen Paradigma für die politische Praxis geworden ist.

Die Entwicklung des politischen Denkens von Karl Marx und seine Rezeption in der Arbeiterbewegung

tät der Universität Jena über ein Thema aus der griechischen Philosophie.

In seinen universitären Lehrjahren in Berlin wurde Karl Marx zu einem kritischen bürgerlichen Linksintellektuellen, der sich politisch der liberalen und radikaldemokratischen Bewegung zuwandte. Da Pläne für eine wissenschaftliche Laufbahn als Privatdozent für Philosophie nicht zu realisieren waren, begann Marx 1842 an der liberalen „Rheinischen Zeitung" in Köln seine journalistisch-publizistische Tätigkeit, die er neben seiner wissenschaftlich-theoretischen und politischen Arbeit sein ganzes Leben lang fortsetzte. Daneben begann er mit dem Studium sozialistischer und kommunistischer Literatur, die vor allem in Frankreich verbreitet war. Karl Marx ist also weder der Erfinder der sozialistischen Idee noch der Begründer der organisierten Arbeiterbewegung. Als er in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts sein politisch-theoretisches Gedankengebäude entwarf, gab es bereits in den fortgeschritteneren westeuropäischen Staaten, vor allem in Frankreich, eine von linken Intellektuellen getragene Sozialismusdiskussion, die auch in die entstehende Arbeiterbewegung hineinwirkte

Nach dem Verbot der „Rheinischen Zeitung" und der Eheschließung mit seiner Jugendfreundin Jenny von Westphalen ging Marx 1843 nach Paris, um die Redaktion der von dem radikaldemokratischen Publizisten Arnold Ruge gegründeten „Deutsch-Französischen Jahrbücher" zu übernehmen. Dort setzte er sein Studium der sozialistischen Literatur fort und knüpfte zahlreiche Kontakte zu radikalen Demokraten und Sozialisten und zur entstehenden Arbeiterbewegung. In Paris begann schließlich auch die lebenslange Freundschaft und Zusammenarbeit zwischen Karl Marx und Friedrich Engels. (Engels, 1820 als Sohn eines Textilunternehmers in Barmen geboren, war während seiner kaufmännischen Ausbildung in England [1842— 1844) dem Elend der Arbeiter im Frühkapitalismus begegnet. Aus dieser Erfahrung verfaßte Engels die anklagende Schrift „Die Lage der arbeitenden Klasse in England", die 1845 in Leipzig erschien.)

Das praktisch-organisatorische Engagement von Karl Marx in der Arbeiterbewegung begann 1847, als er sich, nach seiner Ausweisung aus Paris inzwischen in Brüssel lebend, dem „Bund der Kommunisten" anschloß, der bereits 1836 in Paris unter dem Namen „Bund der Gerechten" als Geheimorganisation von Emigranten gegründet worden war. Von diesem „Bund der Kommunisten" wurden Marx und Engels im Dezember 1847 beauftragt, das „Manifest der Kommunistischen Partei" zu verfassen, das am Vorabend der Revolution von 1848 in London erschien. Der Kern der politischen Zielvorstellungen von Marx war aber bereits in dem 1847 vom „Bund der Kommunisten" angenommenen neuen Statut prägnant zusammengefaßt: „Der Zweck des Bundes ist der Sturz der Bourgeoisie, die Herrschaft des Proletariats, die Aufhebung der alten, auf Klassengegensätzen beruhenden bürgerlichen Gesellschaft und die Gründung einer neuen Gesellschaft ohne Klassen und ohne Privateigentum."

Diese Forderung nach „Herrschaft des Prole tariats" hat Marx 1847 keineswegs nur au: dem konkreten politischen Anlaß ausgespro eben, daß er ein Statut für eine Organisatioi der Arbeiterbewegung formulieren mußte Diese Forderung ist vielmehr das Kernstücl seines philosophisch-politischen Gedanken gebäudes, das im Jahre 1847 bereits fertigge stellt war und dessen Grundzüge von Man nicht mehr revidiert wurden, nämlich das Konzept des Marxismus, das auch durch die Begriffe „Wissenschaftlicher Sozialismus", „Hi storischer Materialismus" oder „Materialistische Geschichtsauffassung" gekennzeichnet wird. Franz Mehring, selbst ein undogmatischer Marxist, berichtet in seiner 1918 erschienenen Marx-Biographie, daß Marx bereits im Frühjahr 1845 in Brüssel seinem Freund und Mitarbeiter Friedrich Engels „den Grundgedanken des historischen Materialismus fertig ausgearbeitet vorgelegt" hat Um die theoretische Leistung von Marx differenziert analysieren und beurteilen zu können, sind drei Ebenen zu unterscheiden, nämlich: 1. die Motive und Ziele seines Denkens, 2. die Resultate seines Denkens, also seine fertige Theorie: der Historische Materialismus, 3. die Rezeption und die Wirkungen seiner Theorie. Wichtigstes Motiv und Ziel seines Denkens ist es, einen Beitrag zur menschlichen Emanzipation zu leisten, also eine praxisbezogene Theorie zu entwickeln. Um diesem praktisch-emanzipatorischen Erkenntnis-interesse gerecht zu werden, ist sein Denken auf zwei Ebenen radikal-kritisch: Marx kritisiert und verwirft die bestehende gesellschaftliche Wirklichkeit, weil in ihr der Mensch seinem wahren Wesen entfremdet ist und sich nicht selbst verwirklichen kann. Und er kritisiert und verwirft das in dieser Gesellschaft vorherrschende Denken, weil es die bestehende Wirklichkeit nur interpretiert oder sogar rechtfertigt. Im Gegensatz zu diesem nur auf Interpretation oder reine Erkenntnis zielenden Denkansatz hat Marx die Intention seines Denkens, das auf gesellschaftsverändernde Praxis gerichtet ist, in der im Frühjahr 1845 niedergeschriebenen 11. Feuerbachthese zusammengefaßt: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern." Ausgangs-und Bezugspunkt seines auf Gesellschaftsveränderung zielenden Denkens ist aber zunächst nicht die Gesellschaft, sondern der Mensch. In einem 1844 in den „DeutschFranzösischen Jahrbüchern" erschienenen Beitrag definiert Marx den Begriff „radikal sein" als „die Sache an der Wurzel fassen. Die Wurzel für den Menschen ist aber der Mensch selbst". Ausgehend von der Voraussetzung, „daß der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei", gelangt er zu dem „kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist" -In diesem emanzipatorisch-humanistischen Sinne definieren Marx und Engels im Kommunistischen Manifest die angestrebte sozialistische Gesellschaft als „eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist"

Karl Marx hat in den vierziger Jahren, noch vor der Revolution von 1848, aber nicht nur diese praktisch-emanzipatorischen Zielvorstellungen formuliert, womit er sich durchaus in Übereinstimmung mit anderen Sozialismusvorstellungen befand. Darüber hinaus glaubte er, wissenschaftlich erkannt zu haben, auf welchem Wege diese emanzipatorischen Zielvorstellungen Wirklichkeit werden müssen, nämlich auf dem Wege der proletarisch-sozialistischen Revolution, zu der der Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat unausweichlich führen wird. Kerngedanke dieses von Marx entwickelten Historischen Materialismus ist eine objektivistischdeterministische Geschichtsauffassung, daß die gesellschaftliche Entwicklung durch objektive Gesetzmäßigkeiten determiniert ist und unabhängig von den subjektiven Vorstellungen und Zielen der Menschen unaufhaltsam in Richtung auf den Sozialismus vorangetrieben wird, der das objektive Ziel der Geschichte ist. Als Wissenschaftlicher Sozialismus wird dieses Konzept deshalb bezeichnet, weil danach der Sozialismus nicht mehr mit moralischen Werturteilen oder subjektiven Wünschen der Menschen begründet wird, sondern wissenschaftlich, d. h. mit der wissenschaftlich bewiesenen Erkenntnis, daß der Sozialismus das unvermeidliche Ergebnis eines sich gesetzmäßig vollziehenden objektiven Entwicklungsprozesses ist.

In dem oft zitierten Vorwort, das Marx dem 1859 erschienenen Buch „Zur Kritik der Politischen Ökonomie" vorangestellt hat, faßte er selbst die Grundgedanken des Historischen Materialismus — das Basis-Uberbau-Schema — prägnant zusammen: „In der gesellschaftli2 chen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer überbau erhebt und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewußtseinsformen entsprechen. Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt. Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt." Im Laufe der Entwicklung entsteht ein Widerspruch zwischen den Produktivkräften und den Produktionsverhältnissen, also den Eigentumsverhältnissen. „Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein." Die in diesem Vorwort formulierten Grundgedanken des Historischen Materialismus sind aber nicht erst das Ergebnis seiner umfangreichen empirischen Untersuchungen der Ökonomie, sondern nach der ausdrücklichen Aussage von Marx das bereits bis 1847 gewonnene „allgemeine Resultat, das sich mir ergab und, einmal gewonnen, meinen Studien zum Leitfaden diente"

Auf der Grundlage des Wissenschaftlichen Sozialismus begibt sich Marx — und jeder revolutionäre Marxist — in eine Doppelrolle: Als engagierter Politiker propagiert er die Revolution, ruft er zur Revolution auf, für die er selbst aktiv kämpfen will. Als Wissenschaftler aber stellt er nur wissenschaftlich fest, als objektive Tatsachenaussage, daß infolge objektiver Gesetzmäßigkeiten eine „Epoche sozialer Revolution eintritt". Darüber hinaus meint er — unabhängig von seinem eigenen Kontakt mit Arbeitern und mit der Arbeiterbewegung — erkannt zu haben, daß das Proletariat zum kollektiven Subjekt, zum sozialen Träger der von ihm wissenschaftlich prognostizierten revolutionären Umwälzung werden wird. Bereits Ende 1843 leitete er die historische Mission des Proletariats, zum Träger der allgemeinen menschlichen Befreiung zu werden, nicht aus einer empirischen Analyse der Ar-beiterklasse ab, sondern deduktiv aus einer theoretischen Konstruktion. Danach hat nur die Arbeiterklasse „die Fähigkeit der allgemeinen Emanzipation", weil sie durch „die materielle Notwendigkeit, durch ihre Ketten selbst dazu gezwungen wird". Als eine „Klasse mit radikalen Ketten", als „der völlige Verlust des Menschen" kann sie „nur durch die völlige Wiedergewinnung des Menschen sich selbst gewinnen"

Die historische Mission des Proletariats ist notwendig, um den emanzipatorischen Anspruch der Theorie und Philosophie von Marx einzulösen: „Wie die Philosophie im Proletariat ihre materiellen, so findet das Proletariat in der Philosophie seine geistigen Waffen,... Die Emanzipation des Deutschen ist die Emanzipation des Menschen. Der Kopf dieser Emanzipation ist die Philosophie, ihr Herz das Proletariat. Die Philosophie kann sich nicht verwirklichen ohne die Aufhebung des Proletariats, das Proletariat kann sich nicht aufheben ohne die Verwirklichung der Philosophie.“

Daß das Proletariat, unabhängig vom subjektiven Bewußtsein und Wollen der real existierenden Arbeiter, objektiv dazu determiniert ist, die allgemeine menschliche Befreiung durchzuführen, ist auch in der 1845/46 entstandenen „Heiligen Familie" unmißverständlich formuliert: „Es handelt sich nicht darum, was dieser oder jener Proletarier oder selbst das ganze Proletariat als Ziel sich einstweilen vorstellt Es handelt sich darum, was es ist und was es diesem Sein gemäß geschichtlich zu tun gezwungen sein wird. Sein Ziel und seine geschichtliche Aktion ist in seiner eigenen Lebenssituation wie in der ganzen Organisation der heutigen bürgerlichen Gesellschaft sinnfällig, unwiderruflich vorgezeichnet."

Auch aus folgendem Grunde braucht die emanzipatorische Philosophie das revolutionäre Proletariat: „Die Waffe der Kritik kann allerdings die Kritik der Waffen nicht ersetzen, die materielle Gewalt muß gestürzt werden durch materielle Gewalt, allein auch die Theorie wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift." Diesen historischen Augenblick für die Verwirklichung ihrer Theorie sahen Marx und Engels mit den revolutionären Bewegungen 1847/48 nahen. Im Kommunistischen Manifest erwarteten sie vom deutschen Proletariat, daß, „nach dem Sturz der reaktionären Klassen in Deutschland, sofort der Kampf gegen die Bourgeoisie selbst beginnt". Geleitet von der wissenschaftlichen Einsicht in die unaufhaltsam nahende proletarische Revolution meinten sie, daß „die deutsche bürgerliche Revolution also nur das unmittelbare Vorspiel einer proletarischen Revolution sein kann"

Die Revolutionen in Paris, Wien und Berlin, an denen auch zahlreiche Arbeiter teilnahmen, schienen zunächst die revolutionären Prognosen zu bestätigen. Marx und Engels: kehrten im Frühjahr 1848 nach Deutschland zurück. Durch Betonung sozialistischer Zielvorstellungen in der von ihnen herausgegebenen „Neuen Rheinischen Zeitung" hofften sie selbst dazu beitragen zu können, die bürgerlich-demokratische Revolution in Richtung auf die von ihrer Theorie vorausgesagte proletarische Revolution voranzutreiben. Doch obwohl die revolutionäre Sozialismuskonzeption von Marx 1848 bereits theoretisch ausformuliert war und obwohl sich Marx und Engels selbst mit dem „Bund der Kommunisten" aktiv für ihre Ideen engagierten, konnten sie kaum einen nennenswerten Einfluß auf die tatsächliche Arbeiterbewegung gewinnen, so daß Arno Klönne folgendes Fazit zieht: „Entgegen der parteikommunistischen Geschichtslegende haben Marx und Engels weder mit dem . Kommunistischen Manifest'noch mit der . Neuen Rheinischen Zeitung'auf den Verlauf der Revolutionsbewegung und die Arbeiterbewegung um 1848/49 größeren Einfluß nehmen können. Für die politische und theoretische Bildung einer kleinen Gruppe radikaldemokratischer Intelligenz, die später in die Gründungszeit der Sozialdemokratie hineinwirkte, war die . Neue Rheinische Zeitung'zweifellos sehr wichtig; für die Arbeiterschaft aber gewann das Blatt selbst in seiner Schlußphase keine größere Bedeutung.. .“

Zwischen der Ausarbeitung der revolutionären Theorie des Marxismus bis 1847 und ihrer Rezeption in der organisierten Arbeiterbewegung klafft ein weit längerer Zeitabschnitt als es die DDR-Geschichtsschreibung heute wahrhaben möchte. Nicht nur in der Früh-phase von 1848/49, sondern auch in der ersten organisatorischen Konsolidierungsphase in den sechziger und siebziger Jahren ist weder das programmatische Selbstverständnis der organisierten Arbeiterbewegung noch die von Intellektuellen getragene sozialistische Theoriediskussion mit der marxistischen Theorie gleichzusetzen. Marx war nur ein angesehener Theoretiker unter anderen. Auch durch sein eigenes aktives Engagement, und zwar in der Revolution 1848/49 und als Organisator der I. Internationale von 1864 bis 1872, konnte Marx selbst kaum zur Durchsetzung seiner Theorie in der Arbeiterbewegung beitragen. Den Höhepunkt der Einheit zwischen Arbeiterbewegung und Marxismus, der im Erfurter Programm der SPD von 1891 zum Ausdruck kam, hat Marx selbst auch nicht mehr erlebt. Ohne daß es zu theoretischen Auseinandersetzungen über die revolutionäre Theorie von Marx kam, setzten sich in der politischen Praxis der sich formierenden Arbeiterbewegung 1848/49 reformistische Positionen durch, und das trotz der aktiven Mitarbeit von Mitgliedern des „Bundes der Kommunisten". Diese reformistische Praxis wurde nicht aus fundierten theoretischen Konzepten abgeleitet, sie entwickelte sich vielmehr aus den konkreten Erfahrungen der praktischen Bewegung der Handwerkergesellen und Arbeiter. Da die Märzrevolution 1848 die Presse-, Vereins-und Versammlungsfreiheit erkämpft hatte, konnte sich die Arbeiterbewegung jetzt legal betätigen, soziale Forderungen formulieren und auch durchsetzen, wie z. B. Lohnerhöhungen, Festsetzung eines Mindestlohnes, Verkürzung der Arbeitszeit. Ein Kongreß der Arbeitervereine aus allen Teilen Deutschlands vom 23. August bis 3. September 1848 in Berlin führte zur ersten politisch eigenständigen Organisation der deutschen Arbeiterbewegung, der „Allgemeinen deutschen Arbeiter-Verbrüderung". Der Buchdrucker Stephan Born, der als Wandergeselle mit Marx und aufgenommen Engels Verbindung hatte und auch in den „Bund Kommunisten" eingetreten war, spielte in dieser . Arbeiter-Verbrüderung" eine führende Rolle. Seine praktisch-politischen Erfahrungen veranlaßten ihn, sich von der revolutionären Konzeption Marx von zu lösen und ein reformistisches Konzept für die Emanzipation der Arbeiterklasse zu entwickeln: In einem demokratisch-parlamentarischen Staat mit allgemeinem Wahlrecht soll die kapitalistische Gesellschaft schrittweise durch soziale Reformen verändert werden, wie z. B. Selbsthilfeorganisationen, Bildung von Genossenschaften, die staatliche -Unter stützung erhalten

Es war nicht der Sieg der revolutionären Theorien von Marx, sondern der Sieg der konterrevolutionären Praxis des antidemo-kratischen Obrigkeitsstaates nach 1849/50, der die Weiterentwicklung dieses reformistischen Sozialismuskonzeptes verhinderte. Mit der Niederlage der demokratischen Bewegung wurden auch die sozialen Errungenschaften der Arbeiterbewegung wieder rückgängig gemacht, wie z. B. Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen. Durch Verbot der Arbeitervereine und der Arbeiterzeitungen wurde eine legale Weiterentwicklung der Arbeiterbewegung unmöglich gemacht.

Da die tatsächliche politische Entwicklung 1849 — im Widerspruch zu den Voraussagen des Wissenschaftlichen Sozialismus — nicht von der bürgerlich-demokratischen zur proletarisch-sozialistischen Revolution voraneilte, sondern zur feudal-antidemokratischen Reaktion zurückgedreht wurde, gingen Marx und Engels wieder in die Emigration, und zwar für ihr ganzes weiteres Leben nach England. Nach eigenem Bekunden nutzte Marx das Scheitern seines politischen Engagements, „um mich von der öffentlichen Bühne in die Studierstube zurückzuziehen" Als er keine Möglichkeit mehr sah, die Welt revolutionär zu verändern, machte er sich wieder mit größter geistiger Kraftanstrengung daran, sie weiter zu interpretieren. Neben seiner publizistischen Arbeit und einigen politischen Analysen, wie z. B. „Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848— 1850", arbeitete Marx, oft unter Krankheit und Geldmangel leidend, in der Bibliothek des Britischen Museums in London an seiner ökonomischen Theorie.

bevor Haupt Noch er sein wissenschaftliches -werk, Das Kapital (Band I erschien 1867, Band II und III erst nach seinem wurden Tode von Friedrich Engels herausgegeben), vollenden Zusammenhang konnte, wurde Marx im mit der in den sechziger Jahren wieder erstarkenden Arbeiterbewegung noch einmal praktisch-politisch Organisator I. Internationale der aktiv. Doch diese wichtige politische Arbeit von 1864 bis 1872 konnte er kaum nutzen, um seinem revolutionären Sozialismus-konzept zur Vorherrschaft über konkurrierende Konzepte zu verhelfen. Denn obwohl Marx in der am 28. September 1864 in London gegründeten „Internationalen Arbeiterassoziation“ (IAA) nicht nur eine wichtige organisatorische Funktion im Generalrat übernahm, sondern auch die Statuten und die programmatische „Inauguraladresse der Internationalen Arbeiterassoziation" verfaßte, spielte er doch in diesem Falle eher eine führende Rolle als Praktiker denn als Theoretiker. Da die I. Internationale, der individuelle und kollek- tive Mitglieder aus den meisten entwickelten Ländern angehörten, ausgesprochen pluralistisch zusammengesetzt war und auf kein einheitliches theoretisches Konzept verpflichtet werden konnte, mußte sich Marx in seiner führenden organisatorischen Rolle „unparteiisch zwischen den verschiedenen organisierten Arbeitergruppen verhalten" wie er an Engels schrieb. Das erklärt auch, daß die von Marx selbst verfaßte „Inauguraladresse" keine revolutionären marxistischen Inhalte hat, sondern im Gegenteil sogar einige reformistische Positionen lobend erwähnt, wie z. B. die erfolgreiche Durchsetzung der „Zehnstundenbill" in England und die Kooperativbewegung, die von Robert Owen ausgegangen war Trotz dieser theoretischen Zurückhaltung von Marx kam es aber zu erbitterten Richtungskämpfen, z. B. mit den Anhängern Proudhons und Bakunins, an denen die I. Internationale zerbrach. Nachdem bereits 1872 der Generalrat nach New York verlegt worden war, wurde die I. Internationale auch formell aufgelöst. Auch die noch fortbestehende abgespaltene antiautoritäre Internationale spaltete sich weiter. Obwohl sich die I. Internationale um die internationale Solidarität der Arbeiter große Verdienste erworben hat und auch den entstehenden nationalen Arbeiterbewegungen wichtige Impulse vermittelte, darf doch nicht übersehen werden: Trotz der Losung „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!" spalteten sich die Arbeiterbewegungen in den meisten Ländern in konkurrierende Richtungen, vor allem in Frankreich, Italien und Spanien.

Dagegen entwickelte sich in den siebziger Jahren in Deutschland das bewunderte Vorbild für eine starke und organisatorisch einheitliche Arbeiterbewegung. Zunächst standen sich auch hier zwei konkurrierende Arbeiterparteien gegenüber, nämlich der 1863 von Ferdinand Lassalle gegründete . Allgemeine Deutsche Arbeiterverein" (ADAV) und die 1869 in Eisenach von August Bebel und Wilhelm Liebknecht gegründete Sozialdemokratische Arbeiterpartei. Zwischen beiden Parteien vollzog sich eine Annäherung, die gegen den Rat von Marx 1875 auf dem Parteitag in Gotha zur Vereinigung in die „Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands“ führte

Als nach einem Jahrzehnt der politischen Reaktion und Unterdrückung zu Beginn der sechziger Jahre politische, soziale und kulturelle Aktivitäten in der Arbeiterschaft wiederauflebten, standen diese in enger Verbindung mit bürgerlich-liberalen Kräften und Organisationen. Vor allem durch die Gründung und Unterstützung von Arbeiterbildungsvereinen versuchten liberale Politiker die Arbeiterschaft in die liberal-demokratische Bewegung zu integrieren. Der erste Schritt zur Loslösung von der bürgerlich-demokratischen Bewegung und zur Bildung einer eigenen politischen Partei der Arbeiterbewegung mit einem eigenen politischen Programm folgte nicht aus einer praktischen Anwendung der marxistischen Theorie vom Klassenkampf, sondern war das „unsterbliche Verdienst" von Ferdinand Lassalle, wie selbst sein Gegenspieler Marx anerkennen mußte. In seinem „Offenen Antwortschreiben", das zur ersten programmatischen Grundlage des 1863 gegründeten . Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins" wurde, hatte sich Lassalle gegen die Auffassung gewandt, daß sich die Arbeiter um die politische Bewegung und Entwicklung nicht zu kümmern brauchten. Im Gegensatz zu der Auffassung, daß der Kampf der Arbeiterbewegung auf rein gewerkschaftliche und ökonomische Ziele begrenzt werden soll, kann nach Lassalle „der Arbeiter die Erfüllung seiner legitimen Interessen nur von der politischen Freiheit erwarten". Daraus zog er die Schlußfolgerung: „Der Arbeiterstand muß sich als selbständige politische Partei konstituieren und das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht zu dem prinzipiellen Losungswort und Banner dieser Partei machen.“ In diesem allgemeinen und gleichen Wahlrecht sah Lassalle nicht nur ein politisches, sondern auch ein soziales Grundprinzip, „das einzige Mittel, um die materielle Lage des Arbeiterstandes zu verbessern“ Während die DDR-Geschichtsschreibung in Ferdinand Lassalle einen Vorläufer der späteren „rechten" und „reformistischen" SPD-Führer sieht, werden August Bebel und Karl Lieb-knecht als Vertreter der revolutionären marxistischen Richtung in der deutschen Arbeiterbewegung angesehen, die 1869 in Eisenach auch eine marxistische Partei gründeten. Doch im Gegensatz zu diesem Urteil ist auch die 1869 gegründete „Sozialdemokratische Arbeiterpartei" noch keine Partei, deren Mitglieder, oder wenigstens Funktionäre, die marxi-stische Theorie übernommen haben, obwohl August Bebel und Wilhelm Liebknecht schon vor der Parteigründung Verbindungen zu Marx und zur I. Internationale angeknüpft hatten.

Karl Marx war in der organisatorischen Konsolidierungsphase der deutschen Arbeiterbewegung in den sechziger und siebziger Jahren nur ein anerkannter Theoretiker unter anderen, und noch nicht einmal der einflußreichste. Geistig einflußreicher waren damals sozialistische Autoren wie Dühring, Rodbertus, Friedrich Albert Lange. Vor allem aber prägten die Reden und Schriften Lassalles, der bereits 1864 nach einem Duell gestorben war, das Sozialismusverständnis der meisten Sozialdemokraten. Der marxistische Historiker Franz Mehring bestätigt den von Marx bekämpften Lassalleanern, daß sie 1872 „jeder anderen gleichzeitigen Arbeiterpartei in Europa an theoretischer Einsicht und organisatorischer Kraft überlegen" waren, und zwar auch den angeblich marxistischen „Eisenachern" der SDAP, „deren geistige Hauptnahrung immer noch die Agitationsschriften Lassalles bildeten" -1873 schrieb Bebel an Engels, „daß die Lassalleschen Schriften tatsächlich ... durch ihre populäre Sprache die Grundlage der sozialistischen Anschauungen der Massen bilden"

Kennzeichnend für das Sozialismusverständnis war damals nicht nur ein theoretischer Pluralismus, in dem unterschiedliche Richtungen selbstverständlich als legitim anerkannt waren. Darüber hinaus waren die meisten politischen Führer der Arbeiterbewegung nicht auf eine bestimmte theoretische Position festgelegt, sondern sie waren „so ziemlich allesamt sozialistische Eklektiker“ wie Bernstein später schrieb. Andererseits war das . Manifest der Kommunistischen Partei“, in dem Marx und Engels ihre revolutionäre Theorie 1848 in populärer Sprache zusammengefaßt hatten, in der Gründungsphase der Arbeiterparteien kaum noch bekannt und nicht mehr zugänglich. Nach der 1. Auflage von rund 1000 Exemplaren im Jahre 1848 erschien erst wieder 1872 eine zweite deutsche Ausgabe unter dem endgültigen Titel „Das Kommunistische Manifest". Doch diese Neu-auflage konnte nicht verhindern, daß sich die angeblich marxistischen „Eisenacher" 1875 in Gotha mit den „Lassalleanern" zur „Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands“ zusammenschlossen. Gegen den ausdrücklichen Rat von Marx und ohne Rücksicht auf theoretische Einheitlichkeit wurde so die organisatorische Einheit der deutschen Arbeiterbewegung hergestellt, die bis zur ersten Spaltung im Ersten Weltkrieg bewahrt wurde. Das Gothaer Programm von 1875, das zur Vereinigung der beiden Arbeiterparteien geführt hatte, verurteilte Karl Marx sogleich als „ein nach meiner Überzeugung durchaus verwerfliches und die Partei demoralisierendes Programm“

Noch weniger als das leicht verständliche „Kommunistische Manifest" vermochte das wissenschaftliche Hauptwerk von Marx, der 1867 erschienene 1. Band des Kapitals, zur Verbreitung des Marxismus in der Arbeiterbewegung beizutragen. Ähnlich langwierig und mühselig wie schon die Arbeit von Marx an seinem Hauptwerk wurde schließlich seine Rezeption. Schon vor der Revolution von 1848 hatte Marx den Entschluß gefaßt, ein großes nationalökonomisches Werk zu verfassen, für das er sogar von einem Verleger einen Vorschuß erhielt Als er nach der Niederlage der Revolution die wissenschaftliche Arbeit wieder aufgenommen hatte, schrieb er am 2. April 1851 an Engels, „daß ich in fünf Wochen mit der ganzen ökonomischen Scheiße fertig bin" Doch erst 1859 erschien eine Vorarbeit „Zur Kritik der politischen Ökonomie", die damals wenig Beachtung fand. Auch in den sechziger Jahren verzögerte sich die endgültige Fertigstellung des Kapitals, so daß ihm ein Verleger sogar einmal androhte, einen anderen Autor mit der Abfassung dieses wichtigen Werkes zu betrauen. Als 1867 endlich der 1. Band erschien, hatte er keineswegs die von Marx erhoffte Wirkung. Von 1867 bis 1871 wurden noch nicht einmal 1000 Exemplare abgesetzt. Auf dem Stuttgarter Parteitag der SDAP 1870 mußte eine geplante Diskussion über das Kapital ausfallen, weil der vorgesehene Referent erkrankt war und es offensichtlich in dieser angeblich marxistischen Partei kein zweites Mitglied gab, das „Das Kapital“ gelesen hatte Karl Kautsky bestätigt rückblickend, daß nur wenige „Das Kapital“ gelesen hatten, aber „noch weniger zahlreich waren diejenigen, die es verstanden hatten

Die damals geringe Resonanz auf „Das Kapital" ist aber nicht so sehr auf das geringe theoretische Interesse zurückzuführen, sondern mehr auf die nicht leicht nachzuvollziehende abstrakte Gedankenführung in diesem wissenschaftlichen Werk. Der Verleger Meißner führte den zu schleppenden Absatz darauf zurück, daß „die Kost den Leuten wohl zu schwer" ist Auch wohlwollende Freunde von Marx erfaßten nicht sogleich die eigentliche Tendenz dieses Werkes, wie z. B.der Dichter Freiligrath, dem Marx ein Exemplar geschenkt hatte. In einem Dankbrief meinte er Marx mit dem Hinweis schmeicheln zu können, „daß am Rhein viele Kaufleute und Fabrikbesitzer sich für das Buch begeistern. In diesen Kreisen wird es seinen eigentlichen Zweck erfüllen — für den Gelehrten wird es nebenbei als Quellenwerk unentbehrlich sein." Franz Mehring bestätigte Freiligrath „eine erstaunliche Leistung, wenn er im ersten Bande des . Kapitals nur eine Art Leitfaden für junge Kaufleute und höchstens nebenbei ein wissenschaftliches Quellenwerk sah" Als 1872 im reaktionärsten europäischen Staat eine russische Übersetzung erscheinen sollte, gab die strenge zaristische Zensur dazu ausdrücklich ihre Zustimmung „mit Rücksicht darauf, daß die Darstellung durchaus nicht für jeden zugänglich genannt werden kann"

Die Wende vom theoretischen Pluralismus und Eklektizismus zur breiten Rezeption der marxistischen Theorie wurde Ende der siebziger Jahre nicht durch ein neues Werk von Marx eingeleitet, sondern durch die berühmt gewordene Schrift von Friedrich Engels „Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft", kurz ,, Anti-Dühring" genannt. In dieser Arbeit, die 1877/78 zunächst in Fortsetzungen im „Vorwärts" erschien und schon 1878 auch als Buch, unterzog Engels die Sozialismusvorstellungen des Berliner Privatdozenten Eugen Dühring einer vernichtenden Kritik. Noch wichtiger aber war es, daß er die Gesamttheorie des Historischen Materialismus in verständlicher Sprache zusammenfassend darstellte und sie dadurch für viele überhaupt erst zugänglich machte. 1880 bearbeitete Engels drei Kapitel des „Anti-Dühring“ für eine Broschüre in französischer Sprache. 1882 erschien auch eine deutsche Ausgabe der Broschüre unter dem Titel „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft", die für die Breitenwirkung des Wissenschaftlichen Sozialismus noch wichtiger wurde als die Buchausgabe. Führende Sozialdemokraten, wie z. B. Bebel, Bernstein und Kautsky wurden erst durch die Lektüre des , Anti-Dühring" zu Marxisten. Bernstein berichtet in seinen „Sozialdemokratischen Lehrjahren" darüber. „Zur selben Zeit (1879, H. H.) las ich damals die in Buchform erschienene bedeutende Schrift von Friedrich Engels . Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft'in ihrem Zusammenhänge und wurde durch sie zur marxistischen Theorie bekehrt“ Daß sich Bebel und Bernstein Ende 1880 in London mit Marx und Engels, „den beiden Altmeistern der theoretischen Begründung des Sozialismus", leicht über alle Fragen verständigen konnten, führt Bernstein auf folgenden Sachverhalt zurück: „Bebel wie ich waren durch Engels'Streitschrift gegen Dühring durchaus von der Überlegenheit der Marx-Engelsschen Theorie über alle sonstigen Begründungen des Sozialismus überzeugt worden ..." In einem Manuskript aus dem Nachlaß spricht Bernstein von dem „beschwingten Engelsbuch", „das damals dem Verständnis der bisher erst wenig verstandenen großartigen Gedankenwelt des Marxismus in weiten Kreisen der Partei Bahn brach und für die weitere Entwicklung mitbestimmend wurde" Kautsky beschreibt die Wirkungen der Lektüre des Anti-Dühring wie folgt: . Alle die Reste von Eklektizismus fielen von mir nun ab, ich wurde ein überzeugter und konsequenter Marxist und bin es geblieben bis heute." Auch die Herausgeber der Marx-Engels-Werke in Berlin (Ost) bescheinigen dem Anti-Dühring, daß er „zum theoretischen Sieg des Marxismus in der Arbeiterbewegung" beitrug. Und sie würdigen „das geniale Werk von Engels“ überschwenglich „als unerschöpfliche Schatzkammer der marxistischen Theorie als auch als ideologische Waffe gegen die heutigen Feinde des Marxismus: die verschiedenen Arten von Revisionisten, Eklektikern und Pseudosozialisten,..." Die breiteste Rezeption des Marxismus in der deutschen Arbeiterbewegung vollzog sich in der Zeit des Sozialistengesetzes (1878— 1890), als durch das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokra-tie" die Partei, ihre zahlreichen Organisationen und Publikationsorgane verboten waren, zahlreiche Sozialdemokraten wegen illegaler politischer Betätigung ins Gefängnis geworfen wurden, ihren Arbeitsplatz verloren, ausgewiesen und in die Emigration gezwungen wurden. Der preußisch-deutsche Obrigkeitsstaat selbst schuf mit seiner Unterdrückungspolitik und Reformfeindlichkeit äußerst günstige psychologische Voraussetzungen für die Rezeption einer revolutionären Theorie in der Arbeiterschaft. Bei der aktiven Verbreitung der marxistischen Theorie kam neben dem Anti-Dühring von Engels der intensiven theoretisch-publizistischen Arbeit von Bernstein und Kautsky eine Schlüsselrolle zu. Bernstein bestimmte seit 1881 als Chefredakteur weitgehend die politische Tendenz der Parteizeitung „Sozialdemokrat", die in Zürich erschien und nur illegal in Deutschland verbreitet werden konnte. Kautsky gab seit 1883 die für die Theorieentwicklung wichtige Zeitschrift „Die Neue Zeit" heraus. Als 1890 das Sozialistengesetz nicht mehr verlängert wurde, gab sich die wieder legal arbeitende Partei auf dem Parteitag in Halle den endgültigen Namen „Sozialdemokratische Partei Deutschlands" mit der Abkürzung SPD.

Das Erfurter Programm der SPD von 1891

Auf dem Parteitag 1891 in Erfurt verabschiedete die SPD das von Kautsky und Bernstein verfaßte Erfurter Programm, durch das der Marxismus zur allgemein anerkannten theoretischen Grundlage der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung wurde.

Da die SPD heute keine marxistische Partei mehr ist und darüber hinaus in der organisatorischen Gründungs-und Konsolidierungsphase die deutsche Arbeiterbewegung auch nicht marxistisch war, könnte der Eindruck entstehen, daß es sich bei dem revolutionär-marxistischen Erfurter Programm um einen rein zeitbedingten und wenig bedeutsamen Fremdkörper in der ansonsten rein reformistischen Tradition der Sozialdemokratie handelt Um diesem Vorurteil vorzubeugen, seien hier vor einer Analyse der revolutionär-marxistischen Besonderheiten kurz jene Elemente des Erfurter Programms untersucht, die in einem kontinuierlichen Traditionszusammenhang der deutschen Arbeiterbewegung stehen. Denn das Erfurter Programm enthält nicht nur zeitbedingte ideologische Positionen, die inzwischen längst überwunden wurden, sondern auch die Ergebnisse eines längeren Prozesses geistig-politischer Selbstverständigung, durch den bestimmte Elemente der geistig-politischen Identität des Demokratischen Sozialismus für lange Zeit oder sogar endgültig festgelegt wurden.

Zu den auch im Erfurter Programm enthaltenen dauerhaften und kontinuierlichen Elementen der geistig-politischen Identität gehören folgende Merkmale:

1. Die deutsche Arbeiterbewegung ist nicht nur Gewerkschaftsbewegung zur Vertretung der materiell-ökonomischen Interessen der Arbeiter, sie ist vielmehr eine demokratische politische Bewegung mit allgemeinen politischen Zielvorstellungen.

2. Die deutsche Arbeiterbewegung ist eine sozialistische Arbeiterbewegung mit gesellschaftsverändernden Zielvorstellungen nach einer neuen Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung, also mit Forderungen, die über die Ziele bürgerlich-demokratischer Parteien hinausgehen. Aus dem Protest der Arbeiter gegen materielle Not entstand in Deutschland schon sehr früh eine politische Arbeiterbewegung, die gesamtgesellschaftliche und politische Ziele formulierte, die nicht nur die direkten materiellen Interessen der Arbeiter zum Ausdruck brachten. Das gilt vor allem für die in allen Programmen enthaltene Forderung nach politischer Freiheit und Demokratie, die in der Vergangenheit nur von einer demokratischen und liberalen Minderheit des deutschen Bürgertums unterstützt wurde. Anders als in den USA, wo es bis heute nur eine gewerkschaftliche Arbeiterbewegung gibt, organisierten sich deutsche Arbeiter schon 1863 im Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein als politische Partei, die politische Freiheit und das allgemeine und gleiche Wahlrecht forderte. Auch im Eisenacher Programm der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei von 1869 heißt es: „Die politische Freiheit ist die unentbehrliche Vorbedingung zur ökonomischen Befreiung der arbeitenden Klassen. Die soziale Frage ist mithin untrennbar von der politischen, ihre Lösung durch diese bedingt und nur möglich im demokratischen Staat." Sowohl in den Programmen der Lassalleaner und Eisenacher als auch im gemeinsamen Gothaer Programm von 1875 findet sich eine enge Verbindung zwischen den sozialen und den demokratisch-liberalen Grundforderungen. Diese demokratisch-liberalen Grundforderungen sind aber im Erfurter Programm ebenfalls uneingeschränkt enthalten: . Allgemeines, gleiches, direktes Wahl-und Stimmrecht mit geheimer Stimmabgabe aller über 20 Jahre alten Reichsangehörigen ohne Unterschied des Geschlechts für alle Wahlen und Abstimmungen. ... Aufhebung jeder Beschränkung politischer Rechte außer im Falle der Entmündigung. ... Abschaffung aller Gesetze, welche die freie Meinungsäußerung und das Recht der Vereinigung und Versammlung einschränken oder unterdrükken." Dieser ausdrückliche Hinweis auf die demokratischen und liberalen Forderungen des Erfurter Programms war notwendig, um dem Irrtum vorzubeugen, daß die Problematik des Marxismus ein Problem der Freiheit und Demokratie sei. Tatsächlich ist aber durch den beherrschenden Einfluß des Marxismus auf das theoretische Selbstverständnis die freiheitlich-demokratische Tradition der deutschen Arbeiterbewegung keineswegs unterbrochen worden. Auch das marxistische Erfurter Programm von 1891 gehört daher zur freiheitlich-demokratischen Tradition der deutschen Arbeiterbewegung.

Auch die gesellschaftsverändernde Forderung nach einer neuen sozialistischen Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung gehört zu den kontinuierlichen Elementen der politischen Identität des Demokratischen Sozialismus, und zwar seit den ersten programmatischen Forderungen von 1863 bis zum Godesberger Programm von 1959 und zum Orientierungsrahmen von 1975. Im Unterschied zu den bürgerlich-demokratischen Parteien, die sich mit der Forderung nach Demokratie und Freiheit im Staat begnügten, formulierte die deutsche Arbeiterbewegung, und zwar unabhängig vom Marxismus, darüber hinausgehende sozialistische Zielvorstellungen. Die sozialen und sozialistischen Forderungen nach einer neuen Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung wurden aber keineswegs als Gegensätze oder Alternativen zu den demokratischen und liberalen Zielen gesehen, sondern vielmehr als notwendige Konsequenzen aus diesen Zielen. Warum aus den demokratischen und liberalen Zielen sozialistische Schlußfolgerungen abzuleiten sind, erläuterte August Bebel 1870 in seiner Schrift „Unsere Ziele": Wie die bürgerlichen Demokraten erwarten auch die Sozialdemokraten von einem demokratischen Staat, daß er die Freiheit garantiere, für ausreichende Bildung aller Staatsbürger sorge und das Steuersystem gerecht gestalte. „Das sind drei Dinge, die wir akzeptieren, die aber nicht ausreichen.... Die politische Freiheit aber kann keine gleiche sein, wenn ökonomische Ungleichheit existiert. ... Was (den Arbeiter) drängt und treibt, die politische Freiheit und Gleichberechtigung zu erobern, ist die Aussicht, mit ihrer Hilfe auch die ökonomische Unabhängigkeit zu gewinnen. Was nützt ihm die bloße politische Freiheit, wenn er dabei hungert, wenn seine Lage sich nicht verbessert, er vor wie nach der von Kapitalisten ausgebeutete Mensch ist, der sein ganzes Leben sich plagen und abrackern muß, um schließlich elend zugrunde zu gehen? ... Als Zweck betrachtet die Sozialdemokratie die Herstellung der ökonomischen Gleichheit, also die Errichtung eines auf voller Freiheit und Gleichheit basierenden Staats-und Gesellschaftswesens.“ Damit alle Staatsbürger, auch die ökonomisch abhängigen Lohnarbeiter, die demokratischen und liberalen Grund-und Freiheitsrechte voll nutzen können, sind nach den Vorstellungen der sozialistischen Arbeiterbewegung bestimmte soziale und wirtschaftliche Vorraussetzungen zu schaffen, das heißt, die kapitalistische Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung muß durch eine bessere Ordnung ersetzt werden. Wenn sich an dieser allgemeinen gesellschaftsverändernden Zielsetzung in der langen Geschichte der sozialistischen Arbeiterbewegung bis in die Gegenwart nichts geändert hat, so haben sich doch die Vorstellungen darüber verändert, wie diese neue und bessere Gesellschaftsordnung konkret aussehen soll und auf welchem Wege diese Zielvorstellungen praktisch verwirklicht werden sollen.

Im Sozialismuskonzept des Erfurter Programms ist das Eigentum an Produktionsmitteln das wesentliche Merkmal zur Unterscheidung der kapitalistischen von der erstrebten sozialistischen Gesellschaftsordnung. Nach dieser Auffassung liegt die alleinige Ursache für die Ungerechtigkeit und Ungleichheit, für die sich ständig verschärfenden Krisen und für die zunehmende Verelendung der Massen im Privateigentum an Produktionsmitteln und in der daraus folgenden Anarchie der Produktion. Ebenso liegt der Schlüssel zur Überwindung aller bestehenden Übel und zur Schaffung einer neuen sozialistischen Gesellschaft in der Abschaffung dieses Privateigentums an Produktionsmitteln durch seine Überführung in gesellschaftliches Eigentum. In diesem Sinne ist Sozialismus mit Sozialisierung gleichzusetzen.

Im Erfurter Programm ist der Zusammenhang zwischen Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln und dem Entstehen einer neuen Gesellschaft wie folgt beschrieben: „Nur die Verwandlung des kapitalistischen Privateigentums an Produktionsmitteln ... in gesellschaftliches Eigentum und die Umwandlung der Warenproduktion in sozialistische, für und durch die Gesellschaft betriebene Produktion kann es bewirken, daß der Großbetrieb und die stets wachsende Ertrags-fähigkeit der gesellschaftlichen Arbeit für die bisher ausgebeuteten Klassen aus einer Quelle des Elends und der Unterdrückung zu einer Quelle der höchsten Wohlfahrt und allseitiger harmonischer Vervollkommnung werde."

Die Gleichsetzung von Sozialismus und Vergesellschaftung der Produktionsmittel ist aber durchaus nicht das Neue und spezifisch Marxistische im Erfurter Programm. Denn mit diesem Sozialismuskonzept steht das marxistische Erfurter Programm ebenfalls in der Traditionslinie der früheren sozialdemokratischen Programme. Bereits Ferdinand Lassalle wollte mit Hilfe von staatlich geförderten Produktivgenossenschaften das eherne Lohngesetz überwinden und „den Arbeiterstand zu seinem eigenen Unternehmer machen"

Im Eisenacher Programm von 1869 wird „die ökonomische Abhängigkeit des Arbeiters von den Kapitalisten" als „Grundlage der Knechtschaft in jeder Form" bezeichnet, weshalb die Sozialdemokratie die . Abschaffung der jetzigen Produktionsweise (Lohnsystem) durch genossenschaftliche Arbeit" erstrebt Auch im Gothaer Programm von 1875 wird die „Verwandlung der Arbeitsmittel in Gemeineigentum der Gesellschaft und die genossenschaftliche Regelung der Gesamtarbeit" gefordert

Mit dem Erfurter Programm wurde auch der sozialistische Charakter der deutschen Arbeiterbewegung dauerhaft festgeschrieben. Wenn auch in allen sich industrialisierenden Gesellschaften fast „natur-notwendig" eine organisierte Arbeiterbewegung entsteht, so ist es doch keineswegs eine Selbstverständlichkeit, daß es sich dabei um eine sozialistische Arbeiterbewegung handelt, wie das Beispiel 42 der amerikanischen Arbeiterbewegung deutlich zeigt. Damit eine sozialistische Arbeiterbewegung entstehen kann, muß es zu einer Verbindung zwischen der sozialistischen Idee und der organisierten Arbeiterbewegung kommen, das bedeutet aber: zu einer Zusammenarbeit zwischen sozialistischen Intellektuellen und Arbeitern. Denn sozialistische Ideen und Theorien wurden zunächst unabhängig von der Arbeiterbewegung von Intellektuellen formuliert und diskutiert. In Europa entwickelte sich das theoretische und programmatische Selbstverständnis der Arbeiterbewegung von Anfang an in Verbindung mit den Sozialismusdikussionen der Intellektuellen, wobei bildungshungrige wandernde Handwerksgesellen oft eine Vermittlerrolle spielten.

Die Rezeption des Marxismus in der Arbeiterbewegung ist unter diesem Gesichtspunkt nur ein wichtiger Sonderfall jenes sozialen Bündnisses zwischen Intellektuellen und Arbeitern, das zur Konstituierung einer sozialistischen Arbeiterbewegung führte. Und das marxistische Erfurter Programm ist nur ein idealtypischer Höhepunkt für die Konvergenz der von Intellektuellen entwickelten sozialistischen Theorie und dem politisch-programmatischen Selbstverständnis der Arbeiterbewegung. Rückblickend würdigt es Eduard Bernstein ausdrücklich als Verdienst des Marxismus, zwei große Stämme oder Wurzeln des Sozialismus, die sich für lange Zeit nebeneinander oder sogar gegeneinander entwickelten, zusammengeführt zu haben, nämlich „die realen Kämpfe jeweilig unterdrückter, zurückgesetzter Klassen oder Schichten der Gesellschaft" einerseits und den anderen Stamm, „die Ideologie, die vorwiegend von Gelehrten, Denkern, Priestern usw. vertreten ist. .." Bernstein verweist darauf, daß er mit Kautsky einen Stammbaum des Sozialismus entworfen habe, der zeigt, „wie die beiden Stämme sich verzweigten und schließlich im 19. Jahrhundert zusammenwuchsen und daß, wie wir glaubten, das Zusammenwachsen auf seine Höhe gebracht worden ist durch die marxistische Begründung des Sozialismus"

Das neue und spezifisch marxistische Element des Erfurter Programms liegt in der Verbindung der sozialistischen Zielvorstellungen mit der materialistischen Geschichtsauffassung von Marx, also dem Historischen Materialismus bzw. Wissenschaftlichen Sozialismus. Das bedeutet aber auch, daß aus einer Vielzahl von sozialistischen Theorien eine bestimmte ein Alleinvertretungsrecht zur Begründung des Sozialismus erhält.

Die Durchsetzung des Marxismus als verbindliche theoretische Grundlage hat vor allem Auswirkungen auf die Begründung des Sozialismus und auf die Vorstellungen über den praktischen Weg zu seiner Verwirklichung, also auf die politische Strategie der deutschen Arbeiterbewegung. Das Konzept des Historischen Materialismus, das Marx bereits bis 1847 voll konzipiert hatte und das er durch seine späteren wissenschaftlichen Arbeiten nur noch vertiefte, wurde in der deutschen Arbeiterbewegung vor allem anhand der vereinfachenden Zusammenfassungen von Friedrich Engels und Karl Kautsky rezipiert. In diesen vereinfachenden Darstellungen wird der objektivistisch-deterministische Aspekt des Marxismus besonders deutlich hervorgehoben, nämlich die als bewiesene wissenschaftliche Erkenntnis ausgegebene Annahme: Unabhängig von den subjektiven Vorstellungen und Zielsetzungen der Menschen wird der gesellschaftliche Entwicklungsprozeß durch objektive Gesetzmäßigkeiten determiniert und unaufhaltsam auf das objektive Ziel der Geschichte hingelenkt, nämlich den Sozialismus.

Der Wissenschaftliche Sozialismus versteht sich nicht als eine Zusammenfassung der politischen Forderungen, die die Arbeiterklasse verwirklichen soll, sondern als wissenschaftliche Prognose der gesellschaftlichen Veränderungen, die unausweichlich eintreten werden. In der Broschüre „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft" (ein Teil des umfangreicheren Anti-Dühring), die Marx selbst als „eine Einführung in den wissenschaftlichen Sozialismus" bezeichnete nennt Engels die materialistische Geschichtsauffassung und die Mehrwerttheorie von Marx die wissenschaftlichen Entdeckungen, mit denen „der Sozialismus eine Wissenschaft (wurde)"

Zu den entscheidenden wissenschaftlichen Erkenntnissen des Historischen Materialismus über die künftige gesellschaftliche Entwicklung gehören die Zusammenbruchstheorie, die Verelendungstheorie und die Klassen-theorie. Nach der Zusammenbruchstheorie werden sich die Wirtschaftskrisen so verschärfen und zuspitzen, daß schließlich der Kapitalismus infolge seiner inneren Widersprüche zusammenbrechen und zugrunde gehen wird. Vor diesem Zusammenbruch aber wird sich die Lage der Arbeiter noch weiter verschlechtern, so daß eine weitere Verelendung der Arbeiterklasse gleichzeitig ihr revolutionäres Bewußtsein schärfen wird. Nach den Prognosen der Klassentheorie werden sich die Klassenstrukturen zunehmend vereinfachen: Da durch die gesetzmäßig zunehmende Konzentration der Produktion die Zahl der Kapitalisten ständig zurückgeht und auch der Mittelstand verschwindet, werden sich bald nur noch zwei feindliche Hauptklassen gegenüberstehen, nämlich die zahlenmäßig immer kleiner werdende Bourgeoisie und die zur überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung anwachsende revolutionäre Arbeiterklasse. Der Sozialismus ist dann nach Engels nur „das notwendige Erzeugnis des Kampfes zweier geschichtlich entstandener Klassen, des Proletariats und der Bourgeoisie"

Im Sinne des Wissenschaftlichen Sozialismus sind auch die Fragen der politischen Strategie Gegenstand wissenschaftlicher Erkenntnis und eindeutig zu beantworten. Denn auch die Mittel zur Veränderung der Gesellschaft „sind nicht etwa aus dem Kopf zu erfinden, sondern vermittels des Kopfes in den vorliegenden materiellen Tatsachen der Produktion zu entdecken" Daher kann die Arbeiterbewegung auch nicht zwischen einem revolutionären oder einem reformistischen Weg zum Sozialismus wählen. Denn Marx hat ja . wissenschaftlich'bewiesen, daß der Sozialismus auf revolutionärem Wege erreicht wird. Nicht im Sinne einer Aufforderung zum politischen Handeln, sondern im Sinne einer wissenschaftlichen Tatsachenaussage formuliert Engels: „Das Proletariat ergreift die öffentliche Gewalt und verwandelt kraft dieser Gewalt die den Händen der Bourgeoisie entgleitenden gesellschaftlichen Produktionsmittel in öffentliches Eigentum." Auch der theoretische Teil des Erfurter Programms enthält keine Aufforderungen an die Arbeiter, den Klassenkampf zu verschärfen, sondern Tatsachenaussagen über die unausweichliche Verschärfung des Klassenkampfs.

In seinem umfangreichen Kommentar zum Erfurter Programm, von ihm selbst als „eine Art Katechismus der Sozialdemokratie" bezeichnet, betont Kautsky immer wieder, daß es eine zuverlässige Garantie dafür gibt, daß der Sozialismus bald auf revolutionärem Wege erreicht werden wird: „Die kapitalistische Gesellschaft hat abgewirtschaftet; ihre Auflösung ist nur noch eine Frage der Zeit; die unaufhaltsame ökonomische Entwicklung führt den Bankrott der kapitalistischen Produktionsweise mit Naturnotwendigkeit herbei. Die Bildung einer neuen Gesellschaftsform an Stelle der bestehenden ist nicht mehr bloß etwas Wünschenswertes, sie ist etwas Unvermeidliches geworden." Ausdrücklich wendet er sich gegen die nicht-deterministische Auffassung, daß der Sozialismus zwar eine reale Möglichkeit darstelle, aber auch andere Entwicklungen nicht ausgeschlossen seien: „Was dagegen als unvermeidlich erwiesen ist, ist nicht nur als möglich, es ist auch als das einzig Mögliche erwiesen.“

Während die deterministische Geschichtsauffassung einerseits die Garantie bietet, daß der Sozialismus bald kommen wird, gilt es andererseits als unmöglich, unnütz und sogar schädlich, sich Gedanken über die Frage zu machen, durch welche politische Praxis die Sozialisten die Entwicklung zum Sozialismus beeinflussen können. Denn nach Kautskys Meinung wird „die historische Entwicklung ... durch unsere Wünsche ebensowenig bestimmt wie durch die unserer Gegner“ Daher hält er es auch für „unnütz und schädlich“, „bestimmte positive Vorschläge für die Anbahnung und Organisation der sozialistischen Gesellschaft zu machen.“ Denn die „politische Herrschaft" ist der Arbeiterklasse natur-notwendig als Ziel gegeben, „und ebenso naturnotwendig führt die ökonomische Entwicklung die Erreichung desselben herbei"

Selbst wenn das Proletariat seine politische Herrschaft im Staat, die ihm unvermeidlich zufällt, gar nicht benutzen wollte, „sich vermittels der Staatsgewalt der Produktionsmittel zu bemächtigen und an Stelle der kapitalistischen Warenproduktion die sozialistische Produktion zu setzen, so würde der die Logik schließlich Tatsachen diese ins Leben rufen, .. ,"

Alle Fragen nach einer konkreten politischen Praxis für die Verwirklichung sozialistischer Zielvorstellungen sind für Kautsky „Fragen, auf die kein Mensch eine Antwort erteilen kann" Denn: „Eine neue Gesellschaftsform kommt nicht in der Weise zustande, daß einzelne besonders schlaue Köpfe einen Plan entwerfen, wie sie am besten einzurichten Wäre, daß sie dann nach und nach die anderen von der Nützlichkeit dieses Planes überzeu-gen und, wenn sie die nötigen Machtmittel gewonnen haben, nun daran gehen, schön gemächlich das soziale Gebäude nach diesem Plane aufzubauen und einzurichten." Auch für August Bebel handelt es sich „bei der Verwirklichung des Sozialismus nicht um willkürliches . Einreißen'und . Aufbauen', sondern um ein naturgeschichtliches Werden"

Auf der Grundlage der deterministischen Geschichtsauffassung enthält die Revolutionstheorie Kautskys keine Aufforderung an die Arbeiter, die Revolution bewußt vorzubereiten und durchzuführen, sie enthält nur die wissenschaftliche Prognose, daß diese Revolution in absehbarer Zeit naturnotwendig eintreten wird. Diesen Gedanken faßt Kautsky in folgenden klassischen Formulierungen zusammen: „Die Sozialdemokratie ist eine revolutionäre, nicht aber eine Revolution machende Partei. Wir wissen, daß unsere Ziele nur durch eine Revolution erreicht werden können, wir wissen aber auch, daß es ebenso-wenig in unserer Macht steht, diese Revolution zu machen, als in der unserer Gegner, sie zu verhindern. Es fällt uns daher auch gar nicht ein, eine Revolution anstiften oder vorbereiten zu wollen. Und da die Revolution nicht von uns willkürlich gemacht werden kann, können wir auch nicht das Mindeste darüber sagen, wann, unter welchen Bedingungen und in welchen Formen sie eintreten wird. Wir wissen, daß der Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat nicht enden wird, ehe nicht das letztere in den vollen Besitz der Macht gelangt ist, die es dazu benützen wird, die sozialistische Gesellschaft einzuführen."

Die Konsequenzen, die sich aus dem Geschichtsdeterminismus für das politische Bewußtsein ergaben, lassen sich wie folgt zusammenfassen: An das sozialistische Endziel waren sehr hochgesteckte Erwartungen geknüpft. Vom Übergang zum Sozialismus erwartete man einen radikalen Bruch mit der bestehenden Gesellschaft, die durch Elend, Ungerechtigkeit, Unterdrückung gekennzeichnet war, und den Sprung in eine ganz andere, gerechte, harmonische und vollkommene Gesellschaft ohne nennenswerte Probleme. Diese vollkommene Gesellschaft galt aber nicht als vages Fernziel für künftige Generationen, sondern als die konkrete Lebens-perspektive für die damals lebenden und lei-denden Arbeiter. Da der Geschichtsdeterminismus einen außergewöhnlichen Geschichtsoptimismus nach sich zog, wurde kaum in Erwägung gezogen, daß eventuell Widerstände, Schwierigkeiten und Probleme auftreten könnten, die das Erreichen des hohen Zieles zumindest verzögern könnten. Auf dem Erfurter Parteitag brachte August Bebel den weit verbreiteten Optimismus mit der folgenden Einschätzung der politischen Lage zum Ausdruck: „Die bürgerliche Gesellschaft arbeitet so kräftig auf ihren eigenen Untergang los, daß wir nur den Moment abzuwarten brauchen, in dem wir die ihren Händen entfallende Gewalt aufzunehmen haben." Da man überzeugt war, daß die Eroberung der politischen Macht und die Vergesellschaftung der Produktionsmittel automatisch zur Entstehung der ganz anderen, gerechten und harmonischen Gesellschaft führen werde, hielt man strategische Überlegungen darüber, was die Sozialdemokraten mit der politischen Macht anfangen sollen, für überflüssig, denn: „Ist die politische Macht in unseren Händen, so findet sich das Weitere von selbst.“

Nicht in einem rationalen Lern-und Erkenntnisprozeß, sondern in einem psychologisch zu erklärenden emotionalen Bewußtseinsprozeß wurden in den achtziger Jahren besonders jene Elemente des Historischen Materialismus rezipiert, die den außergewöhnlichen Geschichtsoptimismus der sozialistischen Arbeiterbewegung begründeten. In der Zeit des Sozialistengesetzes fiel die optimistische Botschaft des Wissenschaftlichen Sozialismus nicht nur bei Intellektuellen, sondern auch bei Arbeitern auf einen aufnahmebereiten fruchtbaren Boden. Die als bewiesene wissenschaftliche Erkenntnis ausgegebene Verheißung, daß die heute noch so übermächtigen Kräfte der herrschenden Gesellschaft, die die Arbeiterbewegung rücksichtslos unterdrückten, von einem ehernen Geschichtsgesetz bereits zum Tode verurteilt sind und bald von der historischen Bühne abtreten werden, weil die heute noch ohnmächtige Arbeiterklasse die politische Macht erobern und den Sozialismus errichten wird, stärkte bei vielen Arbeitern das politische Selbstbewußtsein und die Siegeszuversicht. Daher erfüllte der Geschichtsoptimismus für die Arbeiterbewegung zunächst durchaus eine positive psychologische Funktion: Während damals eine nüchterne und realistische Einschätzung der tatsächlichen Kräfteverhältnisse eher Resignation und Verzweiflung zur Folge gehabt hätte, ermutigte dieser Optimismus zahlreiche Sozialdemokraten, sich trotz politischer Ohnmacht für die sozialistische Bewegung zu engagieren. Doch so sehr der Glaube an den naturnotwendigen Sieg der eigenen Sache zahlreiche Sozialdemokraten zunächst auch ermutigt und mobilisiert haben mag, so beeinträchtigte dieses Vertrauen in die Geschichte eher die politische Handlungsfähigkeit, als die SPD durch große Wahlerfolge im Reich und in den Ländern durchaus zu einem politischen Machtfaktor wurde.

Auf der Grundlage des Geschichtsdeterminismus boten sich für die politische Strategie drei Möglichkeiten an: Die SPD konnte im Vertrauen auf den Sieg des Sozialismus auf bewußte politische Praxis verzichten und in revolutionärer Haltung auf das Erreichen ihrer Ziele warten Sie konnte zweitens im Widerspruch zur revolutionären Theorie versuchen, die zwar beschränkten, aber durchaus vorhandenen Handlungsspielräume zielstrebig zu nutzen, um wenigstens Teile ihres politischen Programms schrittweise zu verwirklichen. Die dritte Möglichkeit bestand darin, die geschichtsdeterministische revolutionäre Theorie bewußt zu revidieren, um die Theorie mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit und mit den Ansätzen der eigenen Praxis in Übereinstimmung zu bringen, also eine reformistische Praxis auf der Grundlage einer reformistischen Theorie weiterzuentwickeln. über diese dritte Möglichkeit begann 1896 Eduard Bernstein in einer Artikelserie „Probleme des Sozialismus" in der von Kautsky herausgegebenen Theoriezeitschrift „Die Neue Zeit“ nachzudenken. Er ahnte damals noch nicht, daß er damit in der SPD die bisher bedeutendste theoretische Kontroverse über Ziel und Weg des Demokratischen Sozialismus auslöste, die für die gesamte Arbeiterbewegung bedeutsam wurde. Unter dem Schlagwort „Revisionismusdebatte" ist diese Kontroverse in die sozialistische Theoriegeschichte eingegangen.

Eduard Bernstein und die Entwicklung eines revisionistisch-reformistischen Sozialismuskonzeptes

Anders als Karl Marx kam Eduard Bernstein nicht auf dem Wege philosophischer Reflexion zur Arbeiterbewegung, sondern durch die eigene soziale Herkunft, Erfahrung und Existenz. Am 6. Januar 1850 in Berlin als siebentes Kind eines Lokomotivführers geboren, lernte er Armut und Sorge ums tägliche Brot persönlich kennen. Obwohl begabt und lernbegierig, mußte er aus finanziellen Gründen das Gymnasium verlassen und eine Bank-lehre beginnen, nach deren Abschluß er von 1869 bis 1878 in Berlin als Bankangestellter arbeitete. Die unmittelbare Erfahrung mit der Not der sozial benachteiligten Schichten führte den politisch und geistig interessierten Bernstein bereits 1872 in die von Bebel gegründete „Sozialdemokratische Partei", in der er bald als Organisator und Vortragsredner aktiv mitarbeitete und dabei auch die wichtigsten Führer der deutschen Arbeiterbewegung persönlich kennenlernte. Schon 1874 wurde er als Delegierter zum Parteitag nach Coburg geschickt, auf dem er sich für die Vereinigung mit den Lassalleanern einsetzte, die dann 1875 auf Parteitag in Gotha vollzogen dem wurde.

Für Karl Marx waren die Lehrjahre Studienjahre an der Universität, in denen er sich im Kreise bürgerlicher Intellektueller mit den großen philosophischen Interpretationen der Welt, vor allem Hegels, auseinandersetzte.

Und aus dieser geistigen Auseinandersetzung entwickelte er selbst eine neue und anspruchsvolle Interpretation der Weltgeschichte, den Historischen Materialismus.

Bernsteins Lehrjahre dagegen waren bestimmt durch die persönlichen Erfahrungen im Milieu der benachteiligten Schichten, durch frühe Berufstätigkeit und frühes praktisches Engagement in der entstehenden Arbeiterbewegung, für die er fast seine gesamte Freizeit opferte. Die theoretischen Grundlagen für sein politisches Engagement entwikkelte er nicht — wie Marx — in eigener philosophischer Anstrengung, sondern er rezipierte von anderen entworfene sozialistische Ideen, und zwar zunächst vor allem von Ferdinand Lassalle und Eugen Dühring.

Mehr Zeit für die Beschäftigung mit den historischen und geistigen Grundlagen der sozialistischen Bewegung erhielt Bernstein, als er im Oktober 1878, kurz vor Verabschiedung des Sozialistengesetzes, als Sekretär des wohlhabenden Sozialisten Höchberg nach Zürich ging. Bei der Abreise aus Berlin ahnte er allerdings noch nicht, daß er erst nach einem 23 Jahre währenden Exil im Jahre 1901 nach Berlin zurückkehren würde.

Im gleichen Alter von 29 Jahren, in dem Marx vor der Revolution von 1848 sein neues Weltbild bereits fertig entworfen hatte, rezipierte Bernstein 1879 in Zürich — nach der Lektüre des Anti-Dühring von Engels — die marxistische Theorie, um deren Verbreitung in der Arbeiterbewegung er sich bald große Verdienste erwarb. 1879 wurde er Mitarbeiter der im Exil in Zürich herausgegebenen Zeitung „Sozialdemokrat", deren verantwortliche Leitung er 1881 übernahm, und zwar nach einer Reise mit Bebel zu Marx und Engels nach London. Durch die in Zürich beginnende Zusammenarbeit und Freundschaft mit Karl Kautsky wurde er auch Mitarbeiter der von diesem herausgegebenen Theoriezeitschrift „Die Neue Zeit“. Nachdem Bernstein 1888 mit den anderen Mitarbeitern des „Sozialdemokrat" aus Zürich ausgewiesen worden war, setzte in London fort, wo er er seine Arbeit enge Verbindungen zu Engels anknüpfte. Als 1890 die SPD wieder legal wurde und in Deutschland selbst als Zentralorgan den „Vorwärts“ herausgeben konnte, blieb Bernstein als dessen Korrespondent in London. Da er wegen seiner illegalen Arbeit in Deutschland weiterhin steckbrieflich gesucht wurde, mußte er noch bis 1901 in London bleiben.

Während die meisten wichtigen sozialistischen Theoretiker eine wissenschaftliche Ausbildung an der Universität erhalten hatten, wie z. B. Marx selbst und Karl Kautsky, wurde Bernstein als Autodidakt zu einem bedeutenden sozialistischen Theoretiker und Historiker Die eigenständige geistige Leistung beginnt bei Bernstein aber erst in einem weit fortgeschritteneren Lebensalter als bei Marx. Während letzterer bereits vor Vollendung des 30. Lebensjahres sein theoretisches Lebenswerk vollendet hatte, das er später nur noch zu vertiefen brauchte, begann Bernstein sein eigenes theoretisches Lebenswerk, das revisionistisch-reformistische Sozialismuskonzept, erst seit seinem 45. Lebensjahr, seit 1895 zu entwickeln. Und während Marx in diesem Lebensalter vor allem in der Bibliothek des Britischen Museums in London weitere Beweise für die Richtigkeit seines Historischen Materialismus suchte, kamen Bernstein in eben dieser Bibliothek in London Zweifel an der Richtigkeit dieser Theorie.

Die Ergebnisse seiner kritischen Überprüfung der marxistischen Theorie veröffentlichte Bernstein zwischen 1896 und 1898 in der Aufsatzserie „Probleme des Sozialismus" in der Theoriezeitschrift „Die Neue Zeit" und in dem 1899 erschienenen Buch „Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie". Die kritische Überprüfung der Theorie bezieht sich auf drei Ebenen, nämlich 1. die Gesellschaftstheorie 2. die politische Strategie 3.den gesamten Theorieansatz des Wissenschaftlichen Sozialismus.

Bernstein stellte keineswegs, wie ihm seine antirevisionistischen Gegner und seine konservativen „Freunde" immer unterstellt haben, die gesellschaftsverändernde Zielsetzung des Sozialismus in Frage, sondern die Aussagen über die Entwicklungstendenzen der kapitalistischen Gesellschaft und die strategischen Vorstellungen über den Weg zur sozialistischen Gesellschaft. Nicht durch philosophische Reflexionen und logische Deduktionen aus einer fertigen Theorie, sondern durch eine empirische Analyse gelangte Bernstein zu der Einsicht, daß die Voraussagen der Zusammenbruchstheorie, der Verelendungsund der Klassentheorie nicht mit der tatsächlichen gesellschaftlichen Entwicklung übereinstimmen. Trotz schwerer Wirtschaftskrisen sei die kapitalistische Wirtschaftsordnung anpassungs-und lebensfähiger, als in der Theorie angenommen wurde, so daß mit einem baldigen Zusammenbruch nicht zu rechnen ist. Im Widerspruch zur Verelendungstheorie hat die politische und gewerkschaftliche Arbeiterbewegung bereits im Kapitalismus reale Verbesserungen für die Arbeiter erkämpfen können. Anhand statistischen Materials stellte Bernstein auch fest, daß sich die Klassenstruktur — entgegen den Prognosen der Klassentheorie — nicht durch das Verschwinden des Mittelstandes so vereinfache, daß bald nur noch die überwältigende Mehrheit einer einheitlichen und revolutionären Arbeiterklasse der immer kleiner werdenden Zahl von Großkapitalisten gegenüberstehen werde.

Da die Zusammenbruchstheorie, die Verelendungs-und Klassentheorie die entscheidende Grundlage für die Annahme bildeten, daß das sozialistische Endziel bald und ohne große Schwierigkeiten auf dem Wege einer sozialistischen Revolution erreicht werden wird, stellte Bernstein mit jenen Gesellschaftstheorien auch die Revolutionstheorie in Frage. Da die SPD nicht mehr mit guten Gründen annehmen könne, ihre Ziele schnell und vollständig auf revolutionärem Wege zu erreichen, müsse sie sich auf eine langfristig angelegte Reformstrategie einstellen, um ihre Ziele schrittweise auf reformistischem Wege zu verwirklichen.

Über die Widerlegung einzelner Theorien hinaus hat Bernstein, vor allem in dem Vortrag „Wie ist wissenschaftlicher Sozialismus möglich?" den er kurz nach seiner Rückkehr aus dem Exil 1901 in Berlin hielt, die Grundannahme des Wissenschaftlichen Sozialismus und des Geschichtsdeterminismus in Frage gestellt, nämlich die Annahme: Marx hat wissenschaftlich bewiesen, daß die gesellschaftliche Entwicklung gesetzmäßig und unausweichlich zum Sozialismus führt, der das objektive Ziel der Geschichte ist. Er hielt es nicht nur für unmöglich, die Notwendigkeit des Sozialismus wissenschaftlich zu beweisen, er hielt es für die sozialistische Bewegung auch für unnütz, einen solchen „Beweis" zu liefern. Denn da die Geschichte kein objektives Ziel hat und für unterschiedliche Entwicklungen offen ist, ist für Bernstein das sozialistische Ziel „nicht ein bloß von der Theorie vorherbezeichneter Akt, dessen Eintreten mehr oder minder fatalistisch erwartet wird, sondern es ist in hohem Grade ein gewolltes Ziel, für dessen Verwirklichung gekämpft wird" Dagegen ist für Rosa Luxemburg, die ja auch die Notwendigkeit des aktiven politischen Kampfes betont, der Sozialismus nur dann als Ziel denkbar, wenn seine objektive Notwendigkeit wissenschaftlich bewiesen wird. Der Verzicht auf diesen wissenschaftlichen Beweis ist für sie daher identisch mit dem Verzicht auf das politische Ziel des Sozialismus

Auch wohlwollende Kritiker erheben gegen Bernstein den Einwand, daß er eigentlich kein Theoretiker sei, da er nur die Theorie des Marxismus verworfen habe, ohne ihr eine ei-gene konstruktive theoretische Alternative gegenüberzustellen. Doch dieses Urteil beruht vor allem auf der unzureichenden Rezeption der theoretischen Leistung Bernsteins. In der ersten umfassenden Gesamtdarstellung seines politischen Denkens hat Thomas Meyer materialreich und überzeugend das theoretische Paradigma des Revisionismus rekonstruiert

Bernstein selbst betonte immer wieder, daß er kein Antimarxist sei und keineswegs das Gesamtwerk von Marx verwerfen wolle. Er gelangte vielmehr nur zu der Überzeugung, „daß der Sozialdemokratie ein Kant not tut, der einmal mit der überkommenen Lehrmeinung mit voller Schärfe kritisch-sichtend ins Gericht geht, ...der mit überzeugender Schärfe bloßlegte, was von dem Werke unserer großen Vorkämpfer wert und bestimmt ist fortzuleben und was fallen muß und fallen kann...“

Bernstein wollte nur jene Elemente des Marxismus überwinden, die die Entwicklung einer erfolgreichen emanzipatorischen Praxis hemmten, mit anderen Worten: die die praktische Einlösung des emanzipatorischen Anspruchs des Marxismus verhinderten. Dabei knüpfte Bernstein durchaus an den praxis-orientierten Denkansatz von Marx an. Der Ansatz für die Entwicklung einer solchen praxisorientierten Denkweise war ja für Marx selbst die Revision einer fertigen Theorie gewesen, nämlich, wie er selbst schreibt, „eine kritische Revision der Hegelschen Rechtsphilosophie" Bereits in der 1841/42 entstandenen „Kritik der Hegelschen Staatsphilosophie" hatte Marx den Denkansatz Hegels grundsätzlich kritisiert, indem er ihm ein logisch-deduktives Denken vorwarf, das nicht zu angemessenen Erkenntnissen der Wirklichkeit zu führen vermag, die die handelnden Menschen brauchen, wenn sie diese bewußt verändern wollen. „Er (Hegel, H. H.) entwikkelt sein Denken nicht aus dem Gegenstand, sondern den Gegenstand nach einem mit sich fertig und in der abstrakten Sphäre der Logik mit sich fertig gewordenen Denken.“ Mit anderen Worten: Marx wirft Hegel vor, seine Theorie über die Wirklichkeit nicht aus einer Analyse dieser Wirklichkeit zu gewinnen, sondern umgekehrt, aus einer schon vor der Analyse spekulativ gewonnenen Idee, aus einer „Konstruktion ä la Hegel", logisch-deduktiv auf die Beschaffenheit der Wirklichkeit zu schließen bzw. diese Wirklichkeit anhand einer abstrakten Idee nur zu interpretieren. Doch diese logisch-deduktive Denkweise, die die Welt nur zu interpretieren vermag, ist unzureichend, weil es nach der 11. Feuerbachthese ja darauf ankommt, sie zu verändern. Der kritische Marxist Karl Korsch verweist darauf, daß nach der Niederlage der Revolution und der Arbeiterbewegung nach 1849 „Karl Marx und Friedrich Engels ihre ursprünglich im unmittelbaren Zusammenhang mit der praktischen revolutionären Bewegung konzipierte revolutionäre Theorie nur noch als Theorie fortbilden (konnten)." Darin sieht er eine Ursache für die Entstehung einer Kluft zwischen Theorie und Praxis, da „diese so zu immer höherer theoretischer Vollendung fortgebildete Marx-Engelsche Theorie jetzt mit der Praxis der gleichzeitigen Arbeiterbewegung nicht mehr unmittelbar verbunden ist, sondern beide Prozesse, die Fortbildung ...der Theorie ... und die neue Praxis der Arbeiterbewegung, relativ selbständig nebeneinander hergehen." Daraus ergibt sich, daß Marx im Widerspruch zu seinem Praxisanspruch einen Theorieansatz entwickelte, der als reine Theorie nur noch die Erkenntnis objektiver Gesetzmäßigkeiten und Entwicklungsprozessen zum Ziel hat. Aber gerade von diesem praxisfernen objektivistischen theoretischen Paradigma ging eine dauerhafte Faszination auf Intellektuelle aus. Denn aus dieser Weltinterpretation wird nicht mehr die zur Praxis aufrufende Forderung abgeleitet, daß der Mensch die Welt verändern soll, sondern die theoretische oder wissenschaftliche Erkenntnis, daß sich die Welt verändert, und zwar unaufhaltsam in Richtung Sozialismus.

Mit dem Konzept eines deterministischen Historischen Materialismus hat Marx den Denkfehler, den er Hegel vorgeworfen hat, nämlich die Wirklichkeit aus der Idee abzuleiten, wiederholt. Damit erhielt die Theorie den Vorrang über die Realität, die Analyse der Realität diente nur noch dazu, die Theorie zu bestätigen, nicht sie zu korrigieren. Richard Friedenthal fällt das folgende harte Urteil über die Haltung von Marx: „Kritik war sein Lebenswerk, doch Kritik an den eigenen Anschauungen oder Zweifel nur hat er nie aufkommen lassen. Verbesserungen wohl, unaufhörlich, soweit sie das einmal Konzipierte bestätigten und erweiterten. Revisionen je-doch nie. Es hat seinen Sinn, daß Revision und Revisionismus ... dann zu fluchwürdigen Verdammungswörtern für jeden Zweifel am . orthodoxen'Marx geworden sind." Wenn dieses harte Urteil auch nicht auf Marx voll zutrifft, so doch auf die orthodoxen Anhänger von Marx. Denn von ihnen wurde der Begriff Revisionismus geprägt, und er war gemeint als „fluchwürdiges Verdammungswort" gegen Bernsteins kritische Überprüfung der überlieferten Theorie. Doch da revidieren bedeutet: wieder hinsehen, noch einmal durchsehen, also kritisch überprüfen, und da Bernstein darin kein verdammenswertes Verhalten zu sehen vermochte, akzeptierte er den Begriff Revisionismus zur positiven Kennzeichnung seines Theorieansatzes.

Durch die Revision der orthodoxen Theorie gelangte Bernstein zu einer anderen Einschätzung der gesellschaftlichen Wirklichkeit und der Möglichkeiten zu ihrer Veränderung. Nicht etwa aus Abneigung gegen Revolutionen, sondern weil es auf Grund der gesellschaftlichen Wirklichkeit unmöglich ist, in einem revolutionären Akt in kurzer Zeit eine qualitativ ganz neue und bessere Gesellschaft zu schaffen, tritt er für die Reformstrategie ein. Wegen der gesellschaftlichen Wirklichkeit wird der Weg zum Sozialismus weit schwieriger, langwieriger und anstrengender sein als nach den Verheißungen der Revolutionstheorie. Und das Ziel wird keineswegs so erhaben und vollkommen sein wie erhofft; es wird nie einen paradiesischen Endzustand ohne Probleme geben.

Zu einem wichtigen psychologischen Motiv für scharfe antirevisionistische Gegenreaktionen wurde Bernsteins ernüchternde Betrachtungsweise, sein Bemühen, das sozialistische Ziel auf irdisches Maß herabzustufen und dabei noch darauf hinzuweisen, daß sogar das Erreichen viel bescheidenerer Ziele noch viel langwieriger und anstrengender sein wird. In diesem Sinne klagt Kautsky an: „Man muß begeistert sein, um große Dinge zu vollbringen, sagt St. Simon. Aber nur große Ziele können begeistern. Ist das Ziel unserer Bewegung hinfällig geworden, dann lenke man den Enthusiasmus auf ein anderes, besser begründetes, jedoch eben so hohes Ziel, aber man töte nicht jeden Enthusiasmus durch unfruchtbaren Zweifel."

Da für Bernstein das, „was man gemeinhin unter . Endziel des Sozialismus'versteht", nichts ist, die Bewegung aber — also der Weg — alles, besteht für ihn keine strikte Tren-nung mehr zwischen Weg und Ziel Denn der Weg bedeutet bereits eine Verwirklichung von Teilen des sozialistischen Zieles; die praktische Reformpolitik muß also „stückweise vollzogene Verwirklichung des Sozialismus" sein Für Rosa Luxemburg dagegen kann es eine „stückweise vollzogene Verwirklichung des Sozialismus" nicht geben, da für sie durch Reformen die Wand zwischen der kapitalistischen und der sozialistischen Gesellschaft „nicht durchlöchert, sondern umgekehrt fester, starrer gemacht (wird). Wodurch sie also niedergerissen werden kann, ist einzig der Hammerschlag der Revolution" Auch für Bebel schien es undenkbar, schrittweise Teilziele des Sozialismus zu verwirklichen. In einem Brief an Engels schrieb er 1891: „Wie ich unsere Zustände ansehe und ihre rasche Entwicklung zu schließen erlaubt, kann leichter das ganze erreicht werden, ehe nur ein Teil verwirklicht ist"

In Bernsteins reformistischer Strategie einer „stückweise vollzogenen Verwirklichung des Sozialismus" spielt die Demokratie eine entscheidende Rolle. Wenn auch alle Programme, auch das marxistische Erfurter Programm, eindeutige Bekenntnisse zur Demokratie enthalten, so hat doch erst Bernstein das Verhältnis zwischen Demokratie und Sozialismus im Sinne des modernen Demokratischen Sozialismus theoretisch ausreichend geklärt. Im Gegensatz zu der auch nach 1918 verbreiteten Losung „Republik, das ist nicht viel, Sozialismus ist das Ziel", betonte Bernstein: „Die Demokratie ist Mittel und Zweck zugleich. Sie ist das Mittel zur Erkämpfung des Sozialismus, und sie ist die Form der Verwirklichung des Sozialismus." Wenn auch Bernstein an der Forderung nach Vergesellschaftung der Produktionsmittel festgehalten hat, so ist für ihn jedoch Sozialismus nicht mehr einfach mit Sozialisierung identisch, sondern eher mit fortschreitender Demokratisierung aller Bereiche der Gesellschaft. Und nur im Rahmen einer solchen Demokratisierung kann auch die Sozialisierung ein Mittel zur Verwirklichung des Sozialismus sein.

Der Demokratische Sozialismus im Sinne Bernsteins schließt nicht nur alle demokratischen, sondern auch alle liberalen Ideen mit ein. Er ist also keine Gegenposition zum geistig-politischen Liberalismus, sondern „nicht nur der Zeitfolge, sondern auch dem geistigen Gehalt nach sein legitimer Erbe,.. " Da die Freiheit für alle aber nur durch Organisation möglich ist, kann man „den Sozialismus auch organisatorischen Liberalismus nennen" Wenn dennoch zwischen liberalen Parteien und Sozialdemokratie Gegnerschaft besteht, dann deshalb, weil „die Parteien, die sich den Namen liberal zulegten, ... im Verlauf reine Schutzgarden des Kapitalismus (waren oder wurden)"

Während auf der Grundlage der Revolutionstheorie die Alltagspraxis der revolutionären Sozialdemokratie nur dazu dienen kann, die Wartezeit bis zur Revolution zu überbrücken, erhält durch den Revisionismus „die sozialistische Gegenwartsarbeit ... einen erhöhten Wert" Denn auf dieser theoretischen Grundlage erhält die konkrete Reformpolitik die Aufgabe, die Gesellschaft schrittweise in Richtung Sozialismus zu verändern.

Wenn auch der orthodoxe Marxismus den Gedanken einer schrittweisen Veränderung der Gesellschaft ausschließt, so muß doch nicht das theoretische Gesamtwerk von Marx diese reformistische Perspektive völlig ausschließen. Thomas Meyer hat in seinem Buch „Der Zwiespalt in der Marx'schen Emanzipationstheorie" aufgezeigt, daß im Gesamt-werk von Marx neben dem objektivistischdeterministischen Theorieansatz, der den Zugang zur Praxis versperrt, auch ein nichtdeterministischer Theorieansatz enthalten ist, mit dem durchaus eine reformistische Strategie im Sinne Bernsteins begründet werden könnte. Bernstein, der selbst auf einen Dualismus im Werk von Marx hingewiesen hatte, wollte daher nicht den „ganzen Marx" verwerfen, sondern nur jenen praxisverhindernden deterministischen Ansatz. Durch die Freilegung und Weiterentwicklung des revisionistisch-reformistischen Ansatzes wollte er nur eine Voraussetzung dafür schaffen, daß der emanzipatorische Anspruch des Marxismus auch praktisch eingelöst werden kann.

Der lange Weg von der Revisionismusdebatte zum Godesberger Programm von 1959

Da die orthodoxen Marxisten vor allem den geschichtsdeterministischen Ansatz des Marxismus rezipiert hatten, erhob sich gegen Bernsteins Revisionismus ein ideologischer Entrüstungssturm Auf mehreren Parteitagen um die Jahrhundertwende wurde der Revisionismus mit großen Mehrheiten verurteilt. Mit knapper Not entging Bernstein wenigstens dem Ausschluß aus SPD.

Die politischen Rahmenbedingungen des preußisch-deutschen Obrigkeitsstaates, die nur wenig Handlungsspielraum für Reformen enthielten, erleichterten natürlich ebenfalls da$Festhalten an der revolutionären Theorie, die allerdings keineswegs zu einer entsprechenden revolutionären Praxis anleitete, aber durchaus die Entwicklung einer zielstrebigen und systematischen reformistischen Praxis hemmte.

Obwohl die konkrete politische Praxis sowohl der SPD als auch der immer stärker werdenden Gewerkschaften immer mehr dem Konzept des Reformismus entsprach, stiegen dadurch keineswegs die Chancen für eine Rezeption des revisionistisch-reformistischen Theorieansatzes. Selbst reformistische Politiker verwarfen Bernsteins Revisionismus, obwohl er damit ihre Praxis theoretisch begründen wollte. Gegen die revisionistische Begründung der reformistischen Praxis wandte z. B. Ignaz Auer ein: „So etwas beschließt man nicht, so etwas sagt man nicht, so etwas tut man einfach.“ Das Desinteresse der praktischen Reformisten an Theorie hatte zur Folge, daß der revisionistisch-reformistische Theorieansatz Bernsteins einflußlos blieb und nicht als eigenständige theoretische Traditionslinie weiterentwickelt wurde. Obwohl sich schon bis 1914 in der Praxis der Reformismus durchgesetzt hatte, blieb im theoretischen Selbstverständnis die marxistische Traditionslinie vorherrschend. Die theoretische Sprachlosigkeit des praktischen Reformismus der deutschen Arbeiterbewegung war eine Ursache dafür, daß selbst in der Weimarer Republik in den Theoriediskussionen das marxistische Paradigma vorherrschend blieb. Dagegen blieben zahlreiche Beiträge für eine reformistische Sozialismustheorie weitgehend isolierte Einzelleistungen, die kaum von der Partei rezipiert wurden und keine eigenständige Theorietradition begründeten. Die andauernde theoretische Sprachlosigkeit des Reformismus wird daran sichtbar, daß die SPD, die 1921 in Görlitz erstmals ein reformistisches Programm angenommen hatte, bereits 1925 in das Heidelberger Programm wieder die marxistischen Grundsatzpositionen aus dem Erfurter Programm aufnahm und damit den Widerspruch zwischen ihrer reformistischen Praxis und ihrer programmatisch theoretischen Selbstdarstellung wieder verstärkte. Da hier die Übernahme des Marxismus-Leninismus durch die KPD nicht behandelt werden kann, sei aber wenigstens daran erinnert, daß nicht nur der Revisionist Bernstein, sondern auch zahlreiche Marxisten, wie z. B. Rosa Luxemburg und Karl Kautsky -von Anfang an das Leninsche Konzept der Diktatur des Proletariats unter der Herrschaft einer zentralistischen Partei schärfstens kritisiert haben und damit auch den Marxismus zu einem Faktor für die Auseinandersetzung mit dem Marxismus-Leninismus gemacht haben. Die Wahlerfolge der KPD, besonders in der Endphase der Weimarer Republik, sind daher gewiß nicht auf den andauernden Einfluß des Marxismus in der Arbeiterbewegung und in der Arbeiterschaft zurückzuführen. Denn obwohl der Marxismus in den Theorie-diskussionen vorherrschend geblieben war, hatte er längst seine Massenbasis verloren, weil bei der großen Mehrheit der Mitglieder, Funktionäre und Wähler der SPD das Interesse an Theorie überhaupt stark zurückgegangen war. Anders als in der Zeit des Sozialistengesetzes und kurz danach wirkten schon vor dem Ersten Weltkrieg die bescheidenen Erfolge der reformistischen Praxis auf die Arbeiter überzeugender als die hochgesteckten Verheißungen der revolutionären Theorie, die vor allem noch für die die Theoriediskussionen tragenden Intellektuellen attraktiv blieben.

Da die Ergebnisse der reformistischen Sozialismusdiskussionen der Weimarer Republik in der Sozialdemokratie kaum rezipiert und verarbeitet wurden, fand auch nach 1945 nicht sogleich die theoretische Neuorientierung statt, die Bernstein schon vor der Jahrhundertwende gefordert hatte. Kurt Schumacher hatte zwar bereits in seinem Aufruf im Sommer ein Bekenntnis zum geistig-theoretischen Pluralismus abgelegt. Obwohl es damit ausdrücklich als legitim anerkannt war, daß Sozialdemokraten ihr sozialistisches Engagement nicht nur mit dem Marxismus, sondern auch mit philosophischen, ethischen oder religiösen Argumenten begründen, erweckte die SPD weiterhin in vielen Selbstdarstellungen den Eindruck, noch zahlreiche Elemente einer marxistischen Klassen-und Weltanschauungspartei bewahrt zu haben, zumal Sozialisierung und Planung der Wirtschaft zentrale Kriterien ihres Sozialismusverständnisses geblieben waren.

Erst die Stagnation bei den Wahlen im „ 30-Prozent-Turm" wurde zu einer starken Trieb-kraft für die Bemühungen um eine programmatisch-theoretische Neuorientierung. Dennoch ist das 1959 verabschiedete Godesberger Programm keineswegs, wie manche Kritiker meinen, nur eine opportunistische Anpassung an den Zeitgeist, motiviert allein durch das wahltaktische Ziel, mehr Wähler zu gewinnen. Denn der Verabschiedung des Programms ging eine jahrelange intensive theoretische Diskussion voraus, in der auch immer wieder der Geschichtsdeterminismus des Historischen Materialismus und der Ansatz des Wissenschaftlichen Sozialismus in Frage gestellt wurden, also jene Elemente des Marxismus, die bereits im Mittelpunkt der Revisionismusdebatte um die Jahrhundertwende gestanden hatten. Doch anders als damals setzten sich diesmal die Kritiker der orthodox-marxistischen Position durch

Doch obwohl das Konzept des Demokratischen Sozialismus im Godesberger Programm grundsätzlich den Vorstellungen Bernsteins entspricht, und obwohl Carlo Schmid 1964 das Programm mit der Feststellung kommentierte: „Bernstein hat auf der ganzen Linie gesiegt", hat keine bewußt vollzogene Rezeption seines revisionistisch-reformistischen Paradigmas stattgefunden. Obwohl auf dem Weg nach Godesberg eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Geschichtsdeterminismus stattfand, die Beteiligten ähnliche Argumente wie Bernstein verwendeten und auch zu ähnlichen Ergebnissen wie er kamen, knüpften sie dennoch fast nie an dessen früheren theoretischen Bemühungen an. Das hatte aber zur Folge, daß auch durch die Annahme eines reformistischen Programms in Godesberg keine bewußte revisionistisch-reformistische Theorietradition begründet wurde. Da darüber hinaus die Ergebnisse der theoretischen Diskussionen auf dem Weg nach Godesberg nach Verabschiedung des Programms nicht weiter-vermittelt wurden, ihre Argumente dem Vergessen anheimfielen, entstand der Eindruck, daß Godesberg nicht nur Abschied von der orthodox-marxistischen Theorie bedeutet, sondern von sozialistischer Theorie überhaupt. Durch das Godesberger Programm wurde zwar die von Bernstein geforderte Übereinstimmung zwischen Praxis und Theorie hergestellt, doch die das reformistische Sozialismuskonzept begründende Theorie wurde bald vergessen und verdrängt. Der reformistische Charakter des Programms wurde als eine Selbstverständlichkeit angesehen, die keiner theoretischen Begründung bedarf. Mit anderen Worten: Durch das Godesberger Programm wurde die theoretische Sprachlosigkeit des Reformismus nicht überwunden. Diese fortbestehende Sprachlosigkeit schuf auch keine Probleme, solange niemand über Reformismus sprach.

Das wurde aber anders, als Ende der sechziger Jahre mit der Studentenbewegung eine unerwartete Renaissance des Marxismus einsetzte und die Begriffe Revisionismus und Reformismus zu Inbegriffen für den Verrat der SPD — und auch der kleinen DKP — an den Interessen der Arbeiterklasse und des Sozialismus wurden. Die Neue Linke, die zu einer geistig einflußreichen akademischen Linken wurde, begründete ihr marxistisches Selbstverständnis durch die Verwerfung von Revisionismus und Reformismus und das Bekenntnis zum Antirevisionismus und Antireformismus

Wenn in kurzer Zeit der antirevisionistischantireformistische Marxismus — in verschiedenen Varianten — einen unaufhaltsamen Siegeszug durch die Herzen des linken akademischen Nachwuchses antreten konnte, so war die theoretische Sprachlosigkeit des Reformismus dafür gewiß eine günstige geistige Rahmenbedingung. Denn in den intensiven Sozialismusdiskussionen Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre, die das politische Bewußtsein mehrerer Studentengenerationen prägten, spielte das reformistische Sozialismuskonzept keine Rolle, da es keine intellektuellen Verteidiger fand.

Von der Renaissance zur Krise des Marxismus

Anders als Ende des 19. Jahrhunderts übte der Marxismus durch seine Renaissance seit Ende der sechziger Jahre in der Bundesrepublik auf das politische Bewußtsein der Arbeiter und auf die Politik der Arbeiterbewegung keinen Einfluß aus. Aber er spielte eine ähnliche motivierende sozialpsychologische Rolle wie vor der Jahrhundertwende. Er wurde zum theoretischen Ausdruck und zur wissenschaftlichen Begründung für die euphorische Aufbruchsstimmung der Studentengeneration von 1968. Die marxistische Krisentheorie, die wieder einmal den Glauben an das nahe Ende des Kapitalismus erweckte, wurde zum Garantieschein dafür, daß es der marxistischen Neuen Linken gelingen werde, in kürzester Zeit eine Welt zu bauen, wie die Menschheit sie noch nicht gesehen hatte. Doch da die Marxisten den Marxismus extrem verschieden interpretierten, vermochten sie die Welt nicht zu verändern. Unter der Losung „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!“ spaltete sich die Studentenbewegung eines halben Landes in eine nicht zu überblickende Anzahl von sich gegenseitig erbittert bekämpfenden Mini-Parteien, Gruppen, Fraktionen und Strömungen. Obwohl wegen dieser Zersplitterung der politische Einfluß der Neuen Linken bald wieder zurückging, stieg zunächst noch der Einfluß des Marxismus auf das politische Bewußtsein der kritischen linken Intelligenz, da ihm kein alternatives Theorieangebot offensiv gegenüber gestellt wurde. Auch die nach ihrer Linkswendung 1969 einflußreicher gewordenen Jungsozialisten in der SPD, deren akademische Führungsgruppen mit einiger Verzögerung den Marxismus rezipiert hatten, verloren bald wieder ihren politischen Einfluß. In Nachahmung der Studentenbewegung zerfielen sie ebenfalls in sich gegenseitig bekämpfende marxistische Fraktionen

Wie gering die Einflußmöglichkeiten der organisatorisch so starken Sozialdemokratie auf die theoretischen Sozialismusdiskussionen sind, zeigt der Versuch in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre, durch bewußtes Anknüpfen an das revisionistisch-reformistische Konzept Bernsteins den praxisblockierenden Dogmatismus in der marxistischen Linken aufzulockern Denn von diesem aus der Sozialdemokratie selbst kommenden Versuch gingen kaum größere Wirkungen auf das Bewußtsein der marxistisch orientierten akademischen Linken aus, zu der auch die Führungsgruppen der marxistischen Jungsozialisten gehören.

Wenn der Renaissance bald, bereits seit Ende der siebziger Jahre, eine neue Krise des Marxismus folgte, in der für viele das optimistische Weltbild zusammenbrach, so ist das auf kritische theoretische Diskussionen außerhalb der organisierten Arbeiterbewegung zurückzuführen, keineswegs aber auf eine geistige Offensive des Reformismus. Ausgelöst durch Rudolfs Bahros Buch „Die Alternative“ (1977), wurden in den folgenden Jahren in den marxistischen Zeitschriften, in Büchern, in Seminaren und auf Tagungen jene Elemente des Geschichtsdeterminismus in Frage gestellt, die Bernstein bereits Ende des vorigen Jahrhunderts verworfen hatte Mit dem Geschichtsdeterminismus, schwand aber auch der Geschichtsoptimismus, der inzwischen oft durch die Parole „No future" ersetzt wurde. Viele erlebten den Verlust der marxistischen Glaubensgewißheiten als eine Vertreibung aus dem Paradies. In den Berliner Heften heißt es zum Abschluß eines fiktiven Dialogs, in dem alle Beteiligten ihre Zweifel am Marxismus geäußert hatten: „Wenn ich unser Gespräch so überdenke, ist mir, als würde ich aus einem schönen theoretischen Garten vertrieben.“ Nicht wenige Marxisten gelangten in den intensiven theoretischen Auseinandersetzungen zu der selbstkritischen Einsicht: „Der Marxismus ist in einer bestimmten Phase der Studentenbewegung von 1967/69 — zumindest in der BRD war das so — als eine in sich geschlossene, optimistische Welt-anschauung aufgefaßt worden. Er galt als Heilswissen, trotz gegenteiliger Beteuerung." Wenn trotz des optimistischen Lebensgefühls damals einmal Zweifel und Fragen auftauchten, konnte man sich getrost an den als Heilswissen wirkenden Marxismus wenden, wie ein Betroffener rückblickend feststellt: „, Das Kapital lesen'war die stereotype Antwort auf alle Fragen, mochten sie nun theoretischer oder unmittelbar-praktischer Natur sein. Nun ist das . Kapital mehr oder weniger gründlich gelesen — man hat auch versucht, es praktisch werden zu lassen —, aber jene Fragen bestehen nach wie vor. Marx erscheint vielen heute als falscher Prophet, der versprochen hat, was er nicht einlösen kann."

Inzwischen ist auch der bescheidene Zielvorstellungen ausdrückende Begriff des Reformismus bei linken Intellektuellen weitgehend rehabilitiert worden; aber ebenfalls nicht durch eine geistige Offensive der reformistischen Arbeiterbewegung, sondern durch die Diskussionen in der Okologiebewegung über einen „grünen Reformismus".

Als Stifter einer Diesseitsreligion und Verkünder einer Heilsgewißheit ist Karl Marx inzwischen auch für die meisten Marxisten wieder tot. Als kritischer und anregender Fragensteller könnte er gerade deshalb auch nach seinem 100. Todestag die geistigen Auseinandersetzungen über die Probleme der Zukunft befruchten und beleben. Gerade wenn die heilsgeschichtlichen Aspekte des Marxismus, die nur verhängnisvoll gewirkt haben, konsequent über Bord geworfen werden, könnten gewiß mehr Sozialwissenschaftler das Lob eines Nicht-Marxisten als berechtigt anerkennen: „Wir alle stehen auf den Schultern von Marx." Denn wer nicht dogmatisch die Ergebnisse der marxistischen Theorie a priori und pauschal als falsch verwirft, sondern sie kritisch im Sinne des Revisionismus prüft und verarbeitet, kann tiefere Einsichten in die Zusammenhänge und Entwicklungsmöglichkeiten unserer Gesellschaft gewinnen, weil er dadurch einen besseren Über-blick und einen weiteren Horizont besitzt. Doch diesen weiten Horizont kann nur erwerben, wer gegenüber Marx respektlos genug ist, um sich auf seine Schultern zu stellen, aber nicht derjenige, der ehrfurchtsvoll vor ihm kniet und nur demütig zu ihm aufblickt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zur Entwicklung der Begriffe sozialistisch, kommunistisch, sozialdemokratisch etc. vergl.: Hans Müller, Ursprung und Geschichte des Wortes Sozialismus und seiner Verwandten, Hannover 1967.

  2. Marx Engels Werke (künftig zitiert MEW), Berlin (Ost), Bd. 4, S. 596. Dieses Statut ist interessanterweise auch abgedruckt als 1. Dokument in: Dokumente zur Geschichte der SED 1847— 1945, Berlin (Ost) 1981, S. 7.

  3. Franz Mehring, Karl Marx — Geschichte seines Lebens, Berlin (Ost) 1967 2, S. 132 (erstmals erschien diese Biographie von Marx 1918).

  4. MEW. Bd. 3, S. 7.

  5. MEW, Bd. 1, s. 385.

  6. MEW, Bd. 4, S. 482.

  7. MEW, Bd. 13, S. 8 f. Nach Meinung der Mitarbeiter des Instituts für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, die die Ausgabe der MEW besorgten, enthält dieses Vorwort „die geniale Charakteristik des Wesens der von Marx entdeckten, einzig wissenschaftlich materialistischen Geschichtsauffassung, die klassische Definition des historischen Materialismus“. Ebd. S. VII.

  8. MEW, Bd. 13, S. 8.

  9. MEW, Bd. 1, S. 390.

  10. MEW, Bd. 1, S. 391.

  11. MEW, Bd. 2, S. 38.

  12. MEW, Bd. 1, S. 385.

  13. MEW, Bd. 4, S. 493.

  14. Arno Klönne, Die deutsche Arbeiterbewegung, Düsseldorf/Köln 1980, S. 26.

  15. Stephan Born schildert seine politische Entwicklung in den „Erinnerungen eines Achtundvier-figers" die 1898 erstmals erschienen und 1978 im Dietz-Verlag, wieder aufgelegt wurden.

  16. MEW, Bd. 13, S. 8.

  17. MEW, Bd. 32, S. 128.

  18. Text der Inauguraladresse in: Günsche/Lantermann, Kleine Geschichte der Sozialistischen Internationale, Bonn 1977.

  19. MEW, Bd. 19, S. 13 ff.; die von Marx 1875 verfaßte scharfe Kritik am Gothaer Programm wurde zunächst nicht veröffentlicht und erschien erstmals 1891 in der „Neuen Zeit".

  20. Offenes Antwortschreiben Ferdinand Lassalles an das Zentralkomitee zur Berufung eines Allgemeinen Deutschen Arbeiterkongresses zu Leipzig, in: Programme der deutschen Sozialdemokratie, Hannover 1963, S. 28 ff.

  21. Franz Mehring, Karl Marx, a. a. O., S. 484.

  22. Zit. in Hans-Josef Steinberg, Sozialismus und deutsche Sozialdemokratie — Zur Ideologie der Eartei vor dem I. Weltkrieg, Bonn 1972 3, S. 20. Die-ses Buch enthält eine ausführliche und gut dokumentierte Darstellung der verschiedenen theoretischen Richtungen in der SPD, der Rezeption des Marxismus und der theoretischen Kontroversen.

  23. Zit ebd, S. 13.

  24. WEW, Bd. 19, S. 13.

  25. Richard Friedenthal, Karl-Marx — Sein Leben und seine Zeit, München 1981, S. 275.

  26. Zit. in Franz Mehring, Karl Marx, a. a. O., S. 264.

  27. Steinberg, Sozialismus ..., a. a. O., S. 16.

  28. Ebd., S. 21.

  29. Ebd., S. 21.

  30. Franz Mehring, Karl Marx, a. a. O., S. 389.

  31. Ebd., S. 389.

  32. Ebd., S. 390.

  33. Eduard Bernstein, Sozialdemokratische Lehrjahre, Bonn 1978, S. 72.

  34. Ebd., S. 114.

  35. Steinberg, Sozialismus ..., a. a. O„ S. 23.

  36. Ebd., S. 23.

  37. MEW, Bd. 20, S. XIII.

  38. Vgl. dazu Karl Anders, Die ersten hundert Jahre-Zur Geschichte einer demokratischen Partei, Hannover 1963.

  39. Eisenacher Programm, in: Programme der ..., a. a. O., S. 72.

  40. Erfurter Programm, ebd., S. 79 f.

  41. August Bebel, Unsere Ziele, Berlin 1919, S. 19 f. (erste Ausgabe 1870).

  42. Erfurter Programm, in: Programme der . . . a. a. O. S.78

  43. Lassalle, Offenes Antwortschreiben ..., in: ebd., S. 49.

  44. Eisenacher Programm, in: ebd., S. 71f.

  45. Gothaer Programm, in: ebd., S. 74.

  46. Eduard Bernstein, Der Sozialismus einst und jetzt, Bonn 1975, S. 14 { 1. Auflage 1921).

  47. MEW, Bd. 19, S. 185.

  48. MEW, Bd. 19, S. 208.

  49. MEW, Bd. 19, S. 208.

  50. MEW, Bd. 19, S. 210.

  51. MEW, Bd. 19, S. 228.

  52. Karl Kautsky, Das Erfurter Programm, Bonn 1974, S. V (18. Auflage; 1. Auflage 1892).

  53. Ebd„ S. 131 f.

  54. Ebd., S. 132.

  55. Ebd., S. 143.

  56. Ebd., S. 138.

  57. Ebd., S. 219.

  58. Ebd., S. 220.

  59. Ebd., S. 143.

  60. Ebd., S. 134.

  61. August Bebel, Die Frau und der Sozialismus, Stuttgart 1891, S. 373 (1. Auflage 1879).

  62. Karl Kautsky, Der Weg zur Macht, Frankfurt 1972, S. 52 (1. Auflage 1909; die zitierten Formulierungen stammen aus einem schon 1893 erschienen Artikel).

  63. Protokoll des Parteitages 1891, S. 172.

  64. Ebd., S. 159.

  65. Dieter Groh kennzeichnet diese Strategie mit dem treffenden Begriff „revolutionärer Attentismus"; vergl.ders., Negative Integration und revolutionärer Attentismus — Die deutsche Sozialdemokratie am Vorabend des Ersten Weltkrieges, Frankfurt/Berlin/Wien 1973.

  66. 1895 erschien „Sozialismus und Demokratie in der großen englischen Revolution“; zu einem Standardwerk wurde seine „Geschichte der Berliner Arbeiterbewegung“.

  67. Die Aufsätze, die die Revisionsmusdebatte auslösten, sind auch enthalten in den Sammelbänden: Eduard Bernstein, Zur Theorie und Geschichte des Sozialismus, Teil I und Teil II, Berlin 1904 4. Auszüge aus diesen Aufsätzen sind auch abgedruckt in: Eduard Bernstein, Texte zum Revisionismus, Bonn 1977.

  68. Eduard Bernstein, Wie ist wissenschaftlicher Sozialismus möglich? in: Ein revisionistisches Sozialismusbild — Drei Vorträge, hrsg. und eingl. von Helmut Hirsch, Hannover 1966.

  69. Ebd., S. 21 f.

  70. Rosa Luxemburg, Sozialreform oder Revolution? in: Politische Schriften I, Frankfurt 1966, hrsg. von Ossip K. Flechtheim.

  71. Thomas Meyer, Bernsteins konstruktiver Sozialismus, Bonn 1977.

  72. Eduard Bernstein, Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie, Bonn 1973, S. 256 f. (1. Auflage 1899).

  73. MEW, Bd. 13, S. 8.

  74. Karl Marx, Die Frühschriften, Hrsg, von K Landshut, Stuttgart 1953, S. 29.

  75. Karl Korsch, Marxismus und Philosophie, Frankfurt 1966, S. 47.

  76. Ebd„ S. 48.

  77. Friedenthal, Karl Marx, a. a. O., S. 618.

  78. Karl Kautsky, Bernstein und das sozialdemokratische Programm, Stuttgart 1899, S. 4.

  79. Eduard Bernstein, Zur Theorie und Geschichte des Sozialismus, Teil II, a. a. O„ S. 95.

  80. Ebd., S. 80 ff.

  81. Rosa Luxemburg, Sozialreform oder Revolution? a. a. O.

  82. August Bebels Briefwechsel mit Friedrich Engels, hrsg. von Werner Blumenberg, London 1965, S. 424.

  83. Eduard Bernstein, Die Voraussetzungen ... a. a. O., S. 178.

  84. Ebd., S. 184.

  85. Ebd., S. 188.

  86. Ebd., S. 184.

  87. Eduard Bernstein, Der Revisionismus in der Sozialdemokratie, in: Ein revisionistisches Sozialismusbild, a. a. O., S. 38.

  88. Thomas Meyer, Der Zwiespalt in der Marx'schen Emanzipationstheorie, Kronberg 1973.

  89. Zur Darstellung der Revisionismusdebatte vgl. u. a.: Detlef Lehnert, Reform und Revolution in den Strategiediskussionen der klassischen Sozialdemowatie, Bonn 1977; dokumentiert ist die Debatte in: reter Friedemann (Hrsg.), Materialien zum politischen Richtungsstreit in der deutschen Sozialdemokratie 1890— 1917, Zwei Bände, Frankfurt/Berlin 1978.

  90. Vgl. dazu H. Heimann/Th. Meyer (Hrsg.), Reformsozialismus und Sozialdemokratie, Bonn 1982.

  91. Rosa Luxemburg, Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie; dies., Die russische Revolution, in: Politische Schriften III, a. a. O.; die Auseinandersetzungen Kautskys mit Lenin sind wieder leicht zugänglich in: Peter Lübbe (Hrsg.), Kautsky gegen Lening, Bonn 1982.

  92. Zu den Theoriedebatten auf dem Weg nach Godesberg vgl.: Helmut Köser, Die Grundsatzdebatte in der SPD von 1945/46 bis 1958/59, Diss. Freiburg 1971.

  93. Vgl. dazu: H. Heimann, Theorie ohne Praxis, Köln 1977.

  94. Vgl. dazu: ders., Theoriediskussion in der SPD, Köln 1975.

  95. Vgl. dazu: H. Heimann/Th. Meyer, Eduard Bernstein und der Demokratische Sozialismus, Bonn 1978; Die Kontroversen um die Bedeutung des Revisionismus für die aktuellen Probleme des Demokratischen Sozialismus sind dargestellt in: Michael Scholing/Franz Walter, Bernstein-Renaissance in der Sozialdemokratie — Interpretation und Analyse der gegenwärtigen Revisionismus-Diskussion, Göttingen 1979.

  96. Vgl. dazu besonders Nr. 36/1979, der Zeitschrift „Probleme des Klassenkampfs'', die sich vorher um die Verbreitung eines antirevisionistischen Marxismus besondere Verdienste erworben hatte.

  97. Berliner Hefte, Nr. 10, S. 16.

  98. Berliner Hefte, Nr. 9, S. 3.

  99. Ebd., S. 3.

Weitere Inhalte

Horst Heimann, Dr. rer. pol., geb. 1933; Studium der Politischen Wissenschaften, Geschichte und Philosophie in Berlin und Paris; bis 1976 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Politische Wissenschaften der Freien Universität Berlin; seit 1977 Dozent an der Heimvolkshochschule der Friedrich-Ebert-Stiftung in Freudenberg. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Theorie und Praxis des Demokratischen Sozialismus und zur Auseinandersetzung mit der Neuen Linken, u. a. auch in dieser Zeitschrift; ferner: Theorie ohne Praxis — Sozialwissenschaft zwischen Gegenreform und Antireformismus, Köln 1977; Die Aktualität Eduard Bernsteins. Einleitung zu Eduard Bernstein, Texte zum Revisionismus, Bonn 1977; (Hrsg.) Dialog statt Dogmatismus — Wissenschaftspluralismus und politische Praxis, Köln 1978; Hrsg, mit Thomas Meyer, Bernstein und der Demokratische Sozialismus, Bonn 1978; Hrsg, mit Thomas Meyer, Reformsozialismus und Sozialdemokratie, Bonn 1982.