Strukturreform der gesetzlichen Rentenversicherung Vorstellungen im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung
Werner Niemeyer
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Zusammenfassung
Die Ende des 18. /Anfang des 19. Jahrhunderts geschaffene gesetzliche Rentenversicherung bietet heute für etwa 80 Prozent der Erwerbstätigen die wesentliche Absicherung für das Alter oder die Invalidität. Die Rentenreform von 1957 hat mit der Anpassung der Renten an die Einkommensentwicklung zu einer erheblichen Verbesserung der Stellung der Rentner im Einkommensgefüge geführt. Die finanzielle Situation der sich im Umlageverfahren finanzierenden Rentenversicherung ist mittelfristig bis zum Ende 1990 gesichert; sie würde aber danach bei Beibehaltung des derzeitigen Rechts aufgrund der sich abzeichnenden Änderungen in der Altersstruktur unserer Bevölkerung zunehmend defizitär. Deshalb ist eine Strukturreform unumgänglich. Ziel der Strukturreform ist eine angemessene Verteilung der sich aus den demographischen Veränderungen ergebenden Mehrbelastungen für Rentner, Beitragszahler und Bund. Dazu soll einerseits die Renten-formel geändert werden, um den Rentenzuwachs zu verlangsamen und ein weiteres Ansteigen des Nettorentenniveaus zu verhindern. Andererseits sollen die Beitragszahler und der Bund durch eine Neuorientierung des Bundeszuschusses stärker belastet werden. Langfristig wird eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit und dementsprechend eine Verkürzung der Rentenlaufzeiten angestrebt. Im Zuge der Struktur-reform soll außerdem das Rentenrecht einfacher und transparenter ausgestaltet und die Anrechnung und Bewertung der beitragslosen und beitragsgeminderten Zeiten mit dem Ziel größerer Beitragsgerechtigkeit neu geordnet werden.
I. Einleitung
Immer mehr Menschen in der Bundesrepublik Deutschland stellen heute die Frage, ob angesichts der absehbaren Veränderungen im Altersaufbau unserer Bevölkerung das bestehende System der Alterssicherung auch in Zukunft noch Bestand haben kann. In diesem System der Alterssicherung kommt der gesetzlichen Rentenversicherung ganz zweifellos die größte Bedeutung zu; denn für rund 80 % der Erwerbspersonen in der Bundesrepublik Deutschland sind die Ansprüche und Anwartschaf-Diegesetzliche Rentenversicherung blickt auf eine 100jährige Geschichte zurück. Als ihr Beginn wird allgemein die als Kaiserliche Botschaft bekanntgewordene Thronrede von Kaiser Wilhelm I. am 17. November 1881 bezeichnet. Sie enthielt die Richtlinien für den Aufbau einer Arbeiterversicherung gegen die Risiken der Krankheit, des Unfalls, der Invalidität und des Alters. Bereits das am 22. Juni 1889 beschlossene und am 1. Januar 1891 in Kraft getretene Gesetz betreffend die Invaliditäts-und Altersversicherung ist von Grundsätzen geprägt, die für die Entwicklung der Rentenversicherung von großer Bedeutung bleiben sollten: das Versicherungsprinzip, das Selbstverwaltungsprinzip und die Staatsbeteiligung in Form eines Rechts-zuschusses. Das nächste bedeutsame Jahr in der Geschichte der deutschen Rentenversicherung ist das Jahr 1911. In diesem Jahr wurde die Reichsversicherungsordnung verabschiedet, die mit ihrem die Invaliditätsund Altersversicherung betreffenden Teil am 1. Januar 1912 in Kraft getreten ist. Für die Invaliditäts-und Altersversicherung hatte die Reichsverten, die sie durch ihre Zugehörigkeit zur gesetzlichen Rentenversicherung erworben haben, die wesentliche Sicherung im Alter, im Falle vorzeitiger Invalidität und für die Hinterbliebenen. Deshalb ist eine befriedigende Antwort auf die Frage, auf welchem Wege die gesetzliche Rentenversicherung in sowohl sozialpolitisch als auch finanzpolitisch akzeptabler Weise langfristig gesichert werden kann, von überragender gesellschaftspolitischer Bedeutung.
II. Geschichtlicher Rückblick
Abbildung 5
Übersicht 2: Entwicklung der Anzahl der Renten Jahr 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1986 Anzahl der Renten 1) 7 213 815 7 993 149 9 275 799 10 820 262 12 262 194 13 198 479 13 298 508 Rentenausgaben in Mio. DM 2) 14 205 22 565 38 393 72 832 109 372 141 007 146 237 1) Anzahl der laufenden, durch die Post gezahlten Renten zur Jahresmitte; bis 1976 nur ins Inland gezahlte Renten. 2) Ohne Wanderversicherungs-Ausgleichszahlungen. und der Rentenausgaben in der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten (ArVIA
Übersicht 2: Entwicklung der Anzahl der Renten Jahr 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1986 Anzahl der Renten 1) 7 213 815 7 993 149 9 275 799 10 820 262 12 262 194 13 198 479 13 298 508 Rentenausgaben in Mio. DM 2) 14 205 22 565 38 393 72 832 109 372 141 007 146 237 1) Anzahl der laufenden, durch die Post gezahlten Renten zur Jahresmitte; bis 1976 nur ins Inland gezahlte Renten. 2) Ohne Wanderversicherungs-Ausgleichszahlungen. und der Rentenausgaben in der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten (ArVIA
Das wirklich entscheidende Jahr für die Geschichte der Deutschen Rentenversicherung ist das Jahr 1957. Damals wurde in der Invaliditäts-, Alters-sicherungsordnung vor allem insofern Bedeutung, als mit ihr erstmalig eine Hinterbliebenensicherung eingeführt wurde. Außerdem wurde das Angestelltenversicherungsgesetz verabschiedet, das am 1. Januar 1913 in Kraft getreten ist.
Das nächste für die Entwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung wichtige Gesetz folgte mit dem am 1. Januar 1924 in Kraft getretenen Reichsknappschaftsgesetz, durch das die bis dahin einzelstaatlich geregelte Kranken-und Invaliditätssicherung für die in bergbaulichen Betrieben Beschäftigten abgelöst wurde. Die gesetzliche Rentenversicherung hat seitdem ihre Gliederung in die drei Zweige Arbeiterrentenversicherung, Angestellten-versicherung und knappschaftliche Rentenversicherung. Die Zielsetzung der Invaliditäts-und Altersversicherung bestand darin, die Menschen im Alter vor Not zu bewahren. Dementsprechend war die Rente in aller Regel nicht mehr als ein Zuschuß zum allgemeinen Lebensbedarf. Sie betrug im Durchschnitt etwa 30 % des Lohns eines vergleichbaren Aktiven.
III. Die Grundprinzipien der Rentenreform 1957
Abbildung 6
Jahr (1. 1.
des jeweiligen Jahres) 1987 1990 2000 2010 2020 2030 Insgesamt 1 61 020 61 030 60 484 57 803 53 587 48 418 Anzahl in Tsd. unter 20 Jahren 2, 13 490 12 500 11977 10 234 8 226 7 299 im Alter von 20 bis unter 60 Jahren 3 34 946 35 585 33 731 32 025 28 804 22 767 60 Jahren u. m. 4 12 584 12 945 14 777 15 544 16 556 18 352 Übersicht 3: Modellrechnung zur Entwicklung der Wohnbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland Jugend-quotient') (Spalte 2:
Spalte 3)
in v. H. 5 39 35 36 32 29 32 Alter닐ވ
Jahr (1. 1.
des jeweiligen Jahres) 1987 1990 2000 2010 2020 2030 Insgesamt 1 61 020 61 030 60 484 57 803 53 587 48 418 Anzahl in Tsd. unter 20 Jahren 2, 13 490 12 500 11977 10 234 8 226 7 299 im Alter von 20 bis unter 60 Jahren 3 34 946 35 585 33 731 32 025 28 804 22 767 60 Jahren u. m. 4 12 584 12 945 14 777 15 544 16 556 18 352 Übersicht 3: Modellrechnung zur Entwicklung der Wohnbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland Jugend-quotient') (Spalte 2:
Spalte 3)
in v. H. 5 39 35 36 32 29 32 Alter닐ވ
und Hinterbliebenensicherung eine grundlegend neue Konzeption verwirklicht. Zwei Abschnitte des Lebens, die Zeit der Erwerbstätigkeit und der sich anschließende, durch die Altersrente zu sichernde Zeitabschnitt des Ruhestandes, werden seitdem als Einheit gesehen. Ziel war es, den im Durchschnitt des Arbeitslebens erarbeiteten Lebensstandard nach einem erfüllten Arbeitsleben auch im Alter aufrechterhalten zu können. Das war nicht in erster Linie ein versicherungstechnisches, sondern ein sozialpolitisches Ziel.
Mit der Rentenreform des Jahres 1957 wurden die damals laufenden Renten durch Umstellung auf das neue System im Durchschnitt um rund 65 % erhöht. Sie wurden damit erheblich über das Fürsorgeniveau angehoben und in die Nähe des Erwerbseinkommens der Aktiven gerückt. Seitdem ist das Nettorentenniveau, d. h. das Verhältnis der Renten zu den verfügbaren Arbeitnehmerverdiensten, bei Betrachtung längerer Zeiträume kontinuierlich angestiegen und hat sich seit 1976 auf hohem Niveau stabilisiert. Entsprechend hat sich die Stellung der Rentner im Einkommensgefüge verbessert. In der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten beträgt heute die Rente eines Durchschnittsverdieners mit 45 Versicherungsjahren rund 72% des verfügbaren Arbeitnehmerverdienstes eines aktuellen Durchschnittsverdieners.
Einen Überblick über die Entwicklung der Renten in absoluten Zahlen und des Rentenniveaus vermittelt die Übersicht 1.
Aufgrund der Rentenreform des Jahres 1957 haben die Rentner voll an der allgemeinen Wohlstands-steigerung teilgenommen, die durch das wirtschaftliche Wachstum in den letzten 35 Jahren ermöglicht wurde. Die Renten sind erheblich stärker gestiegen als die Preise. Ihre Kaufkraft hat sich deshalb mehr als verdoppelt. Einschließlich der voraussichtlichen Entwicklung im Jahre 1987 sind die realen, d. h. preisbereinigten Renten seit 1957 auf das 2, 2fache gestiegen.
Dieser Leistungsstand konnte dadurch erreicht werden, daß die Orientierung der Rente am Geldwert des Beitrags aufgegeben wurde. Diese Orientierung hatte sich im Hinblick darauf, daß sich eine Stabilisierung des Geldwertes über längere Perioden hinweg als unerreichbar erwiesen hat, für ein Alterssicherungssystem als ungeeignet herausgestellt. Die Neuorientierung erfolgte daher am Arbeitswert; entsprechend entstand der Begriff „Arbeitswertrente“. Diese Rente ist „lohnbezogen“ im eigentlichen Sinne dieses Wortes: Sie folgt der Entwicklung der Löhne. Eine bessere BewerÜbersicht tung der Arbeit durch steigende Löhne führt zu steigenden Renten. Rechtstechnisch wurde dieses gesellschaftspolitische Prinzip durch die Rentenformel verwirklicht. Als Beziehung zum Lohn wurde — aus der Sicht des Jahres 1957 als technisch allein durchführbar — die Beziehung zum Bruttolohn gewählt.
Seit der Rentenreform des Jahres 1957 hat sich nicht nur die einzelne Rente erhöht; auch die Anzahl der Renten hat erheblich zugenommen. Sie stieg in der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten von rund 7, 2 Millionen im Jahre 1960 auf rund 13, 3 Millionen im Jahre 1986. Dies hat — über die Rentendynamik hinaus — zu einem Anstieg der Rentenausgaben in der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten von rund 14, 2 Milliarden DM im Jahre 1960 auf rund 146, 2 Milliarden DM im Jahre 1986 geführt. Die Entwicklung der Anzahl der Renten und der Rentenausgaben im einzelnen ergibt sich aus der Über-sicht 2.
IV. Finanzierung im Umlageverfahren
Abbildung 7
Vollendetes Alter X 50 55 60 65 70 1960/62 23, 10 19, 08 15, 49 12, 36 9, 60 Männer 1970/72 23, 05 19, 02 15, 31 12, 06 9, 35 1980/82 24, 30 20, 27 16, 51 13, 09 10, 09 Durchschnittliche Lebenserwartung in Jahren im Alter x Sterbetafel 1983/85 24, 77 20, 71 16, 92 13, 49 10, 42 1960/62 27, 00 22, 65 18, 48 14, 60 11, 12 Frauen 1970/72 27, 65 23, 32 19, 12 15, 18 11, 63 1980/82 29, 52 25, 09 20, 82 16, 77 12, 99 Lebenserwartung im Alter x ist ein Indikator für die Laufzeit einer Rente, die im Alter x beginnt@
Vollendetes Alter X 50 55 60 65 70 1960/62 23, 10 19, 08 15, 49 12, 36 9, 60 Männer 1970/72 23, 05 19, 02 15, 31 12, 06 9, 35 1980/82 24, 30 20, 27 16, 51 13, 09 10, 09 Durchschnittliche Lebenserwartung in Jahren im Alter x Sterbetafel 1983/85 24, 77 20, 71 16, 92 13, 49 10, 42 1960/62 27, 00 22, 65 18, 48 14, 60 11, 12 Frauen 1970/72 27, 65 23, 32 19, 12 15, 18 11, 63 1980/82 29, 52 25, 09 20, 82 16, 77 12, 99 Lebenserwartung im Alter x ist ein Indikator für die Laufzeit einer Rente, die im Alter x beginnt@
Die Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung werden im Umlageverfahren finanziert. Dies bedeutet, daß die Aufwendungen der gesetzlichen Rentenversicherung aus den aktuellen Einnahmen bestritten werden. In diesem Finanzierungsverfahren hat die Rücklage lediglich die Funktion, kurzfristige, insbesondere konjunkturelle Schwankungen in der Einnahmenentwicklung auszugleichen. Zu diesem Finanzierungsverfahren gibt es keine wirtschafts-und finanzpolitisch sinnvolle Alternative. Das ergibt sich schon aus der wirtschaftstheoretischen Erkenntnis, daß die nicht mehr Erwerbstätigen aus dem von den Erwerbstätigen in der jeweiligen Periode erwirtschafteten Sozialprodukt mitversorgt werden müssen.
Das ergibt sich aber auch aus folgenden Zahlen: Die laufenden Rentenzahlungen und die bestehenden Rentenanwartschaften der gesetzlichen Rentenversicherung haben ja nach dem Zinsfuß, den man seiner Berechnung zugrunde legt, einen Kapitalwert von drei bis fünf Billionen DM. Das ist mehr als das Geldvermögen aller privaten Haushalte (einschließlich privater Organisationen ohne Erwerbszweck); dies wurde 1985 auf rund zwei Billionen DM geschätzt. Das ist auch mehr als das Anlagevermögen aller Unternehmen in der Bundesrepublik ohne Wohnungen; dies betrug Ende 1985 zum Zeitwert rund 2, 3 Billionen DM. Es bedarf keiner weiteren Darlegung, daß es für ein Kapital in der Größenordnung von drei bis fünf Billionen DM, ja nicht einmal für die Hälfte dieses Betrages, keine rentablen Anlagemöglichkeiten geben würde, jedenfalls nicht im Inland.
Aus den Umlageverfahren ergibt sich für die Zukunft der wesentliche Teil des Handlungsbedarfs. Denn ein gutes Funktionieren des Umlage-verfahrens setzt ein einigermaßen konstantes Verhältnis der Anzahl der Beitragszahler zu der Anzahl der Leistungsempfänger voraus; und gerade damit kann in den kommenden Jahrzehnten nicht gerechnet werden. Es ist vielmehr zu erwarten, daß sich das zahlenmäßige Verhältnis von Beitragszahlem zu Rentnern zu Ungunsten der Beitragszahler verändern wird.
V. Ausgangslage und Handlungsbedarf
Die finanzielle Situation der gesetzlichen Renten-Versicherung ist mittelfristig gesichert. Bei einer Wirtschaftsentwicklung entsprechend den Annah- der Bundesregierung wird die Schwankungs-reserve der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten auch in den nächsten Jahren immer deutlich über der gesetzlich vorgeschriebemen Mindestschwankungsreserve in Höhe einer Monatsausgabe liegen. Finanz-oder Liquiditätsprobleme sind daher aus heutiger Sicht jedenfalls bis zum Jahre 1990 nicht zu erwarten. Längerfristig, d. h. in den neunziger Jahren, je nach Wirtschaftsentwicklung früher oder später, würde bei Beibehaltung des derzeitigen Rechts die Finanz-entwicklung der Rentenversicherung dann aber zunehmend defizitär.
Die künftige Finanzentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung wird neben anderen Faktoren vor allem von zwei demographisch bedingten Entwicklungen geprägt:
— von einem weiteren allmählichen Anstieg der Zahl der Rentner und damit der Rentenausgaben; — von einer Abnahme der Zahl der Erwerbstätigen und damit der potentiellen Beitragszahler. Diese Entwicklungen ergeben sich als Konsequenz aus dem zu erwartenden Rückgang der Wohnbevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland. Bei bestimmten Annahmen über die Entwicklung der Nettoreproduktionsrate und über die Sterblichkeit wird die Wohnbevölkerung in der Bundesrepublik in den nächsten 50 Jahren um rund ein Fünftel zurückgehen (vgl. Übersicht 3). Als Konsequenz aus der damit verbundenen Veränderung im Altersaufbau unserer Bevölkerung verschlechtert sich das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Beitragszahlem und Rentnern.
Ein grober Indikator für die demographisch bedingte Belastungsveränderung ist der Altersquotient, der das Verhältnis der 60jährigen und Älteren zu den 20-bis unter 60jährigen ausdrückt. Dieser Altersquotient wird sich unter den aktualisierten Annahmen des Bevölkerungsberichts 1986 von 36 im Jahre 1987 auf 81 im Jahre 2030 entwickeln (vgl. Übersicht 3).
Der Altersquotient kann das Verhältnis von Rentnern zu Beitragszahlem, den sogenannten Rentenfallquotienten, allerdings nur näherungsweise widerspiegeln; denn zum einen stimmen die Rentner nicht mit den über 60jährigen zahlenmäßig überein, und zum anderen weichen die Beitragszahler und die 20-bis unter 60jährigen quantitativ voneinander ab.
Im Jahre 1987 beträgt dieser Rentenfallquotient in der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten rund 56. Seine Fortschreibung hängt — abgesehen von den Annahmen zur langfristigen Entwicklung der Nettoreproduktionsrate — entscheidend von den Annahmen zur Entwicklung der Erwerbsquote und des Rentenzugangsverhaltens ab. Bei einer Fortentwicklung entsprechend den heutigen Verhältnissen würde sich der Rentenfallquotient bis zum Jahre 2030 mehr als verdoppeln, d. h. auf 132 ansteigen (vgl. Übersicht 3). Setzt man andere, im Hinblick auf die demographischen Veränderungen ebenfalls durchaus plausible Annahmen, dann könnte der Anstieg des Rentenfallquotienten auch erheblich geringer ausfallen.
Da die Entwicklung des Rentenfallquotienten zwar nicht der einzige, aber sicherlich der entscheidende Bestimmungsfaktor für den zu erwartenden Belastungsanstieg in der gesetzlichen Rentenversicherung ist, macht dies zugleich den spekulativen Charakter von Berechnungen über die Entwicklung des Beitragssatzes und des Rentenniveaus bis zum Jahre 2030 deutlich. Solche Berechnungen sind keineswegs nutzlos und schon gar nicht entbehrlich, wenn sie die Bandbreite der möglichen Entwicklungen darlegen; sie sind aber problematisch, wenn sie eine Entwicklung, die sich bei einer ganz bestimmten Annahmenkonstellation ergibt, verabsolutieren. Wegen der Ungewißheit der Eintreffenswahrscheinlichkeit von Annahmen, die für einen künftigen Zeitraum von rund 50 Jahren gesetzt werden, können die Ergebnisse von solchen Berechnungen auf keinen Fall zur Grundlage von konkreten rentenpolitischen Entscheidungen gemacht werden.
VI. Beibehaltung des geltenden Systems
Vor die Frage gestellt, auf welche Weise man der Herausforderung gerecht werden soll, die die langfristig zu erwartende Veränderung in der Alters-struktur unserer Bevölkerung für die Alterssicherung in der Bundesrepublik Deutschland bedeutet, haben sich die Bundesregierung und die Koalitionsparteien in Übereinstimmung mit der SPD, in Übereinstimmung auch mit den Sozialpartnern, also mit den Gewerkschaften und den Arbeitgebern, und in Übereinstimmung mit den meisten sonstigen gesellschaftlich relevanten Institutionen und Gruppen seit langem dahin entschieden, daß an dem bestehenden, grundsätzlich bewährten Alters-sicherungssystem in der Bundesrepublik festgehalten werden soll. Dieses System soll demzufolge aber durch eine Strukturreform an die veränderten und sich weiter ändernden ökonomischen und demographischen Rahmenbedingungen angepaßt und so weiterentwickelt werden, daß seine Leistungen ohne Überforderung der künftigen Generationen finanzierbar bleiben.
Die Bundesregierung hatte diese Zielsetzung schon in der vergangenen Legislaturperiode deutlich gemacht und hat sie in der Regierungserklärung von Bundeskanzler Kohl vom 18. März 1987 erneut bekräftigt. Zu dieser Entscheidung, an dem bestehenden System unserer Alterssicherung grundsätzlich festzuhalten, gibt es keine Alternative, die sowohl ordnungspolitisch, sozialpolitisch, finanzpolitisch also auch verfassungsrechtlich akzeptabel wäre.
Vor allem wäre keine akzeptable Alternative darin zu sehen, das geltende, im wesentlichen beitragsfinanzierte Rentensystem und die Beamtenversorgung einschließlich der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst durch ein steuerfinanziertes, einheitliches Grundversorgungssystem zu ersetzen und die ergänzende Altersvorsorge im übrigen dem einzelnen zu überlassen. Dieser Weg scheitert praktisch schon daran, daß es in der Sozialpolitik, erst recht aber in der Rentenpolitik niemals eine Stunde Null gibt.
Die Ersetzung des geltenden Systems durch ein völlig neues System müßte zu unlösbaren Übergangsproblemen führen, die sich aus einer mehrere Jahrzehnte dauernden Periode eines Nebeneinanders von zwei Systemen ergeben würden. Sie wären jedenfalls nicht lösbar, ohne entweder die gegenwärtige und kommende Rentnergeneration zu einem erheblichen Teil zu enteignen oder aber die kommenden Generationen unvertretbar zu belasten. Die mit einer Ersetzung des geltenden Systems durch ein völlig anderes System in einer langen Übergangsphase verbundenen Probleme wären ganz zweifellos größer als die Probleme, die sich aus einer Anpassung des geltenden Systems an die zu erwartenden neuen Rahmenbedingungen ergeben.
Auszug aus der Regierungserklärung des Bundeskanzlers Dr. Helmut Kohl am 18. März 1987:
„Unsere Rentenversicherung, wie sie seit der Reform unter Konrad Adenauer besteht, bleibt das Kernstück unserer sozialen Sicherung. Die Bürger der Bundesrepublik Deutschland können darauf vertrauen, daß sie im Alter als Gegenleistung für ihre während ihres Arbeitslebens gezahlten Beiträge eine angemessene Rente erhalten. Die Rente ist und bleibt sicher . . .
Die demographische Entwicklung macht eine Rentenstrukturreform unumgänglich. Renten und verfügbare Arbeitnehmereinkommen sollen sich nach unseren Vorstellungen gleichgewichtig entwickeln. Die beitragsfreien und beitragsgeminderten Versicherungszeiten werden neu geordnet.
Die demographisch bedingten Mehraufwendungen für alle Beteiligten müssen angemessen verteilt werden. Auch deshalb wird sich der Bund mit einem höheren Bundeszuschuß beteiligen als nach geltendem Recht. Langfristig wollen wir den Übergang vom Arbeitsleben in die Rente flexibler gestalten und die Möglichkeiten für eine Verlängerung der tatsächlichen Lebensarbeitszeit verbessern.
Die Bundesregierung wird bis Anfang 1988 einen Entwurf zur Strukturreform der Rentenversicherung vorlegen, für den wir eine breite Diskussion und Konsens anstreben. Die Bundesregierung bekräftigt hierzu ausdrücklich ihr Angebot an die Opposition, an die Sozial-partner, an die interessierten gesellschaftlichen Gruppen, an dieser wichtigen gemeinsamen Aufgabe der Zukunftsgestaltung mitzuwirken.“
VII. Die rentenpolitischen Zielsetzungen im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung
Aus der im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung bereits seit langem erfolgten Festlegung auf eine grundsätzliche Beibehaltung des geltenden Alterssicherungssystems ergeben sich im einzelnen folgende Konkretisierungen:
1. An dem bestehenden gegliederten Alterssicherungssystem — bestehend aus der staatlich organisierten Alterssicherung, also vor allem gesetzlicher Rentenversicherung einschließlich Altershilfe für Landwirte, Beamtenversorgung und berufsständischer Versorgungseinrichtungen, sowie aus betrieblicher Altersversorgung und privater Altersvorsorge — wird festgehalten.
2. In dem gegliederten Alterssicherungssystem bleibt die gesetzliche Rentenversicherung als lohn-und beitragsbezogenes und damit leistungsbezogenes Versicherungssystem erhalten. Allerdings wird die gesetzliche Rentenversicherung — als Teil des Systems der sozialen Sicherung — auch in Zukunft wesentliche Elemente des sozialen Ausgleichs enthalten. Aus der Festlegung auf das Versicherungsprinzip und auf das Prinzip der Lohnbezogenheit der Rente ergeben sich unmittelbar Konsequenzen: Unvereinbar mit diesen Prinzipien sind Regelungen über Mindestrenten, gleichgültig, ob diese bedarfs-abhängig oder bedarfsunabhängig sein sollen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Aufwendungen aus Mitteln der Rentenversicherung finanziert werden sollen. Auch die Umbasierung des Arbeitgeberbeitrags vom Lohn auf die Wertschöpfung würde das Prinzip der Lohnbezogenheit tangieren. Abgesehen von dieser Grundsatzfrage zeigt die bisherige wissenschaftliche Diskussion zu diesem Thema, daß die Nachteile und die Risiken, die mit einer solchen Änderung verbunden wären, etwaige positive Wirkungen bei weitem überwiegen.
Aus dem Prinzip der Lohn-und Beitragsbezogenheit der Renten folgt weiter, daß weder die Beiträge noch die Leistungen nach versicherungsfremden Prinzipien, z. B. nach dem Prinzip der individuellen Leistungsfähigkeit, gestaffelt werden dürfen. Demzufolge werden im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung auch keine familienstandbezogenen Leistungen oder nach der Zahl der Kinder abgestufte Beiträge in Betracht gezogen. 3. Am Ziel der Lebensstandardsicherung wird festgehalten. Bestrebungen, die Rentenversicherung auf die Funktion einer Grundsicherung zurückzuführen, werden damit abgelehnt. Daraus ergibt sich, daß keine wesentliche Veränderung in den Gewichten von staatlich organisierter Alterssicherung einerseits und ergänzenden Alterssicherungsmaßnahmen andererseits beabsichtigt ist.
Diese Bemerkungen dürfen nicht mißverstanden werden: Neben der gesetzlichen Alterssicherung ist und bleibt eine ergänzende Vorsorge für das Alter — sei es über eine betriebliche Altersversorgung, sei es über eine eigene private Altersvorsorge — sinnvoll und nützlich, gerade in den Fällen, in denen die gesetzliche Alterssicherung das Ziel der Lebensstandardsicherung — aus welchen Gründen auch immer — nicht erreichen kann. Insofern hat die Drei-Säulen-Theorie (besser ist das Bild von drei Schichten) weiterhin Bedeutung. Deshalb ist es wichtig, für gute Rahmenbedingungen für eine gedeihliche Weiterentwicklung der betrieblichen Altersversorgung zu sorgen und auch die privaten Formen ergänzender Altersvorsorge zu fördern.
4. Der Weg, auf dem nach den Vorstellungen im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung der Herausforderung begegnet werden soll, die sich für das Alterssicherungssystem infolge des sich ändernden Altersaufbaus unserer Bevölkerung ergibt, ist ebenso einfach wie einleuchtend: Die Mehraufwendungen aufgrund der demographischen Veränderungen sollen von allen Beteiligten angemessen mitgetragen werden; Beteiligte sind in der gesetzlichen Rentenversicherung die Rentner, die Beitragszahler, also die Versicherten und die Arbeitgeber, und das ist nicht zuletzt auch der Staat.
Eine solche Zielsetzung schließt es von vornherein aus, daß die Belastungen aus den demographischen Veränderungen einseitig, z. B.den Rentnern oder den Beitragszahlern, aufgebürdet werden. Extrem-lösungen, wie sie gelegentlich in der Öffentlichkeit vorgeführt werden — z. B. Verdoppelung des Beitragssatzes bis zum Jahre 2 030 oder Halbierung des Rentenniveaus bis zu diesem Zeitpunkt — würden das System zerstören.
VIII. Die vier wichtigsten Aktionsfelder
Bei einer Zielsetzung, nach der die Lasten angemessen auf alle Beteiligten verteilt werden sollen, stehen vor allem vier Aktionsfelder zur Verfügung: — auf der Ausgabenseite die Rentenformel und die Vorschriften über den Eintritt in den Ruhestand; — auf der Einnahmenseite der Beitragssatz und die Bundesbeteiligung an der Rentenversicherung. 1. Die Rentenformel Der sachgerechte Ausgleich zwischen den Rentnern und den Versicherten muß in erster Linie durch eine Weiterentwicklung der geltenden Rentenformel erreicht werden, die eine gleichgewichtige Entwicklung von verfügbaren Renten und verfügbaren Arbeitnehmerverdiensten bewirkt.
Nach der geltenden Rentenformel richtet sich der Anstieg der allgemeinen Bemessungsgrundlage — und damit auch das Ausmaß der jährlichen Rentenanpassungen — nach dem durchschnittlichen Anstieg der Bruttoarbeitsentgelte. Wegen der steigenden Belastung der Arbeitnehmer mit Sozialversicherungsbeiträgen und mit Steuern hat dies bis zum Jahre 1977 zu einem stetigen Anstieg des Nettorentenniveaus und damit zu einer relativen Verbesserung der Stellung der Rentner im Einkommensgefüge geführt, was damals politisch durchaus gewollt war. Diese Entwicklung hätte sich fortgesetzt, wenn der Gesetzgeber nicht seit 1977 durch eine Reihe von Maßnahmen einen weiteren Anstieg des Nettorentenniveaus verhindert hätte (vgl. Übersicht 1).
Es gibt einen sehr weitgehenden Konsens darüber, daß im Hinblick auf die Belastungen, die auf die gesetzliche Rentenversicherung infolge des sich ändernden Bevölkerungsaufbaus langfristig zukommen, ein weiterer Anstieg des Nettorentenniveaus sowohl aus verteilungspolitischen als auch aus finanzpolitischen Gründen nicht zu verantworten wäre.
Im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung haben bei der erforderlichen Modifizierung der Rentenformel folgende Gesichtspunkte eine besondere Bedeutung:
— Die aus der angestrebten Verlangsamung des Rentenzuwachses sich ergebenden Einsparungen sollen in einem größtmöglichen Umfang in der Rentenversicherung selbst entstehen. Dies soll dadurch erreicht werden, daß — außer einer Veränderung der Sozialabgaben — auch eine Änderung in der Steuerbelastung in der Rentenformel berücksichtigt wird. — Aus der neuen Rentenformel soll sich ein einheitlicher Wert für den Anstieg der Rentenanwartschaft und der Renten ergeben. Die Rentenformel soll möglichst einfach, für die Rentner und für die Versicherten einsichtig und für die Verwaltung leicht handhabbar sein. — Die Meßzahl für die Fortschreibung der Renten-anwartschaften und für die Anpassung der Renten soll von einer „neutralen“ Stelle, beispielsweise wie bisher vom Statistischen Bundesamt, ermittelt werden, um das Ausmaß der jährlichen Rentenanpassungen von vornherein aus dem politischen Streit herauszuhalten. 2. Der Beitragssatz Die Wirkungsweise der neuen, modifizierten Rentenformel geht davon aus, daß die Beitragszahler ihren Anteil an den Mehraufwendungen aus der demographischen Veränderung durch einen steigenden Beitragssatz tragen werden. Einem weiteren Anstieg des Beitragssatzes sind allerdings von zwei Seiten her Grenzen gesetzt: einmal von der Belastbarkeit der Arbeitnehmer und der Betriebe her, womit das Stichwort „Lohnnebenkosten“ angesprochen ist, und zum anderen vom Versicherungsprinzip der Rentenversicherung her; denn bei einem ungebremsten Anstieg des Beitragssatzes in der Rentenversicherung könnte schnell der Punkt erreicht werden, an dem die Vorleistung der Beitragszahler größer wird als die zu erwartende Gegenleistung, was die Legitimation der gesetzlichen Rentenversicherung als Pflichtversicherungssystem in Frage stellen könnte.
Unter diesen beiden Aspekten sollte angestrebt werden, den Beitragssatz in der Rentenversicherung — auch durch eine Erhöhung des Bundeszuschusses — in den neunziger Jahren so lange wie möglich stabil zu halten. 3. Der Bundeszuschuß zur Rentenversicherung Eine angemessene Beteiligung des Staates an den demographisch bedingten Belastungen muß durch eine Neuorientierung des Bundeszuschusses zur Rentenversicherung sichergestellt werden.
Seit Bestehen der gesetzlichen Rentenversicherung hat der Staat zu ihrer Funktionsfähigkeit durch einen Staatszuschuß beigetragen. Wegen der Belastungen, die sich aus den sich ändernden demographischen Rahmenbedingungen für die gesetzliche Rentenversicherung ergeben, kommt dem Bund in den kommenden Jahrzehnten für den Fortbestand der gesetzlichen Rentenversicherung eine erhöhte Verantwortung zu. Eine ausreichende, d. h. eine größere Staatsbeteiligung als bisher zum Ersatz der Beiträge, die der Rentenversicherung durch Verminderung der Anzahl der Beitragszahler entgehen, ist zur systemgerechten Erhaltung der Rentenversicherung in der Übergangsphase, wenn sich der Bevölkerungsrückgang auf die Finanzierung der Leistungen der Rentenversicherung auswirkt, unerläßlich. Der Bundeszuschuß muß künftig so festgesetzt und fortgeschrieben werden, daß — ein Rentenniveau erhalten werden kann, das für die langjährig Versicherten grundsätzlich eine Lebensstandardsicherung gewährleistet, — die Grenzen der Belastbarkeit von Versicherten und Betrieben durch den Beitrag zur Rentenversicherung nicht überschritten werden.
Wer die gesetzliche Rentenversicherung mit ihren derzeitigen Prinzipien erhalten will, für den gibt es zu einer stärkeren Staatsbeteiligung keine Alternative. Die Möglichkeiten, den notwendigen Ausgleich von Einnahmen und Ausgaben in der Rentenversicherung allein oder überwiegend zu Lasten der Beitragszahler zu erreichen, sind, wie an anderer Stelle dargelegt wurde (vgl. oben unter 2.), von vornherein begrenzt.
Maßnahmen auf der Leistungsseite sind von der Zielsetzung her, daß die Lasten aus der demographischen Entwicklung angemessen auf alle Beteiligten verteilt werden sollen, ebenfalls bestimmte Grenzen gesetzt. Vor allem eine Absenkung des Rentenniveaus würde nicht mehr in Einklang stehen mit dem Ziel einer gleichgewichtigen Entwicklung von verfügbaren Renten und verfügbaren Arbeitnehmerverdiensten.
Um die erforderliche Staatsbeteiligung der Rentenversicherung zu erreichen, muß der Bundeszuschuß zur Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten zunächst — gegebenenfalls stufenweise — auf eine neue Basis gestellt werden. Damit muß seine anteilsmäßige Minderung an den Rentenausgaben von rd. 32% im Jahre 1957 auf rd. 18% im Jahre 1986 wenigstens teilweise wieder rückgängig gemacht werden.
Der so neu festgesetzte Bundeszuschuß muß — statt wie bisher entsprechend dem Anstieg der Arbeitnehmerverdienste — künftig entsprechend dem Anstieg der Rentenausgaben fortgeschrieben werden, weil nur dadurch eine erneute Minderung des Anteils des Bundeszuschusses an den Renten-ausgaben vermieden werden kann. Darüber hinaus muß der Bundeszuschuß bei Beitragssatzsteigerungen entsprechend angehoben werden, weil anderenfalls nicht die Zielsetzung erreicht würde, den Bund — wie die Beitragszahler und die Rentner — an den Belastungen aus den demographischen Veränderungen angemessen zu beteiligen.
Wenn der Bundeszuschuß zur Rentenversicherung nicht ausreichend bemessen würde und die Rentenversicherung infolgedessen ihre Funktion als Regel-sicherungssystem nicht mehr erfüllen könnte, wäre die Forderung nach einer Systemänderung auf Dauer wohl kaum mit Erfolg abzuwehren. Müßte dann anstelle der grundsätzlich beitragsfinanzierten Rentenversicherung eine steuerfinanzierte Staatsbürgerversorgung installiert werden, würde der Anteil des Staates an der Alterssicherung erheblich größer, als dies bei einer Neufestsetzung und Fortschreibung des Bundeszuschusses in dem vorstehend dargestellten Sinn der Fall sein wird.
Die Anforderungen, die sich hieraus künftig an den Bund ergeben, brauchen diesen nicht zu überfordern; denn die demographische Entwicklung bringt für das Sozialbudget nicht nur zusätzliche Belastungen mit sich, sondern auch Entlastungen. Allerdings entstehen solche Entlastungen nicht automatisch; vielmehr bedarf es dazu politischer Entscheidungen. Ein höherer Bundeszuschuß in dem hier beschriebenen Sinne braucht also nicht zu einer Ausweitung des Sozialbudgets zu führen. Bei einer steuerfinanzierten Grundrente wäre eine Erhöhung des Sozial-budgets dagegen die unvermeidbare Folge. 4. Lebensarbeitszeit Das vierte Aktionsfeld, auf dem der Gesetzgeber tätig werden kann und muß, sind die Vorschriften über den Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand. Eine sachgerechte Ausgestaltung dieser Vorschriften ist für die dauerhafte Aufrechterhaltung der Balance zwischen den Generationen von großer Bedeutung.
Bei einer langfristigen Betrachtung kann auf eine Einflußnahme auf die Rentenlaufzeiten als Instrument zur Bewältigung der demographischen Probleme nicht verzichtet werden. Es gehört nun allerdings Mut dazu, dies in einer Zeit auszusprechen, in der wir noch rund zwei Millionen Arbeitslose haben und in der über eine Verlängerung von VorruheÜbersicht Standsregelungen nachgedacht wird. Aber wo anders als bei den Rentenlaufzeiten soll denn auf der Ausgabenseite ein nennenswertes finanzielles Einsparpotential liegen, wenn man eine Senkung des Rentenniveaus auf jeden Fall vermeiden will? Die Rentenlaufzeiten haben sich von zwei Seiten her verlängert. Zum einen ist die Lebenserwartung gestiegen. Betrug bei einem 60jährigen die durchschnittliche Lebenserwartung in den Jahren 1970/72 bei den Männern noch 15, 3 Jahre und bei den Frauen noch 19, 1 Jahre, so ist sie bis 1983/85 bei den Männern auf 16, 9 und bei den Frauen auf 21, 4 Jahre gestiegen (vgl. Übersicht 4). Und die Lebenserwartung steigt nach allem, was wir wissen, weiter.
Auf der anderen Seite ist das durchschnittliche Rentenzugangsalter zurückgegangen, teils wegen geänderter gesetzlicher Regelungen, teils wegen der ungünstiger gewordenen Beschäftigungssituation. Im Jahre 1972 lag das durchschnittliche Rentenzugangsalter bei den Männern in der Rentenversicherung der Arbeiter bei 61, 1 Jahren und in der Angestelltenversicherung bei 63 Jahren (die entsprechenden Zahlen für die Frauen lauten 61, 6 bzw. 60, 6 Jahre). Bis 1985 ging das durchschnittliche Rentenzugangsalter bei den Männern in der Rentenversicherung der Arbeiter auf 58 Jahre und in der Angestelltenversicherung auf 60, 6 Jahre zurück (hier lauten die entsprechenden Zahlen für die Frauen 60, 8 bzw. 59, 9 Jahre).
Mit der Zielsetzung „Einflußnahme aufdie Renten-laufzeiten“ ist ein komplexes Feld angesprochen. Dabei geht es — jedenfalls in der ersten Phase — nicht vorrangig um eine Veränderung der Altersgrenzen, sondern z. B. um die Bekämpfung von Frühinvalidität durch Rehabilitationsmaßnahmen und um die Schaffung von altersgerechten Arbeitsplätzen. Auch die Option für größere Selbstbestimmungsmöglichkeiten des einzelnen beim Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand gehört hierher. Die Regelungen über die Altersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung haben für die langfristige Lebensplanung besonderes Gewicht. Aus Vertrauensschutzgründen und damit letztlich aus Verfassungsgründen müssen Änderungen in diesem Bereich sehr langfristig angelegt werden. Wenn solche Änderungen rechtzeitig finanziell greifen sollen, müssen sie also frühzeitig beschlossen werden.
IX. Auswirkungen auf die Altersversorgung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst
Die demographischen Veränderungen in der Bundesrepublik Deutschland betreffen nicht allein die gesetzliche Rentenversicherung, sondern alle Alterssicherungssysteme, also auch die Beamten-versorgung und die Zusatzversorgung für die Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst. Daher ist es aus Gründen der sozialen Symmetrie, aber auch zur Erhaltung der Akzeptanz der in der gesetzlichen Rentenversicherung zu treffenden Regelungen unerläßlich, daß sich aus den in der gesetzlichen Rentenversicherung unvermeidlichen Maßnahmen sinngemäße Folgerungen auch für die Beamtenversorgung wie für die Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst ergeben. Wenn in diesen Bereichen alles unverändert bliebe, so könnte dies dazu führen, daß die demographisch bedingten Einsparungen in bestimmten Bereichen von den Zuwächsen im Bereich der Altersversorgung der Beamten und der Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst aufgezehrt würden.
X. Kodifizierung des Rentenrechts
Ein aus der Sicht des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung ganz wichtiges Ziel, das im Rahmen der Strukturreform der gesetzlichen Rentenversicherung verwirklicht werden soll, ist die Schaffung eines einfachen, transparenten, für die Bürger einsehbaren und für die Verwaltung leicht handhabbaren Rentenrechts. Ziel muß ein Rentenrecht sein, das die Prinzipien, die die gesetzliche Rentenversicherung prägen, wieder deutlicher hervortreten läßt, was dazu beitragen wird, punktuelle Eingriffe des Gesetzgebers zu erschweren. Die Versicherten müssen sich auf dieses Rentenrecht in ihrer Lebensplanung verlassen können.
Große Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang einer Neuordnung der Anrechnung und Bewertung der beitragslosen Zeiten und der Zeiten ohne volle Beitragszahlung zu. Es ist bei Sozialpolitikem und Rentenfachleuten eine seit langem unbestrittene Überzeugung, daß dieser Bereich einer grundlegenden Neuordnung bedarf. Die Unzuträglichkeiten, Mängel, ja Ungerechtigkeiten, die sich aus den geltenden Regelungen über die Anrechnungsvoraussetzungen und über die Bewertung dieser Zeiten ergeben, sind so zahlreich und so gravierend, daß diese Regelungen nicht Bestandteil eines neuen, langfristig angelegten Rentenrechts sein können.
Nach den Vorstellungen im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung soll die Anrechnung und Bewertung dieser Zeiten von Zufälligkeiten im Versicherungsleben befreit werden. Dies geschieht am besten durch ein Bewertungssystem, das ohne jegliche Anrechnungsvoraussetzungen zu einem sachgerechten Ausgleich der Interessen des einzelnen Versicherten und der Versichertengemeinschaft führt. Die Anrechnung von beitragslosen Zeiten ist einer der wichtigsten Bereiche des sozialen Ausgleichs in der gesetzlichen Rentenversicherung. Die Neuregelung dieses Bereichs muß von der Zielsetzung geprägt sein, daß der einzelne Versicherte solidarische Leistungen der Versicherten-gemeinschaft nur in dem Maße erwarten kann, in dem er sich selbst in Zeiten, in denen er nicht an einer Beitragszahlung verhindert war, solidarisch verhalten hat.
In der Kodifizierung des Rentenrechts liegt eine große Chance, mit der Einordnung der materiellen Rechtsbereiche in das Sozialgesetzbuch zu beginnen. Bundesregierung und Gesetzgeber sollten die Chance nicht ungenutzt lassen, damit der hier und da geäußerten Befürchtung, das Sozialgesetzbuch könnte unvollendet bleiben, keine weitere Nahrung gegeben wird.
XL Koalitionsvereinbarung und Regierungserklärung als Grundlage der Strukturreform
Die Koalitionsvereinbarung von CDU, CSU und FDP vom März dieses Jahres und die Regierungserklärung von Bundeskanzler Helmut Kohl vom 18. März 1987 bieten eine gute Grundlage, die Vorstellungen im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung zur Strukturreform der gesetzlichen Rentenversicherung umzusetzen. Die wichtigsten Zielsetzungen — Beibehaltung des Prinzips der Lohn-und Beitragsbezogenheit der Renten, — angemessene Verteilung der aus der demographischen Entwicklung sich ergebenden Belastungen auf alle Beteiligten, — gleichgewichtige Entwicklung von verfügbaren Renten und verfügbaren Arbeitnehmerverdiensten, — Erhöhung des Bundeszuschusses sind sowohl in der Koalitionsvereinbarung als auch in der Regierungserklärung angesprochen. Die von den Koalitionsparteien eingesetzte Arbeitsgruppe hat ihre Arbeiten planmäßig aufgenommen. Ihr Ziel ist es, diese bis zum Herbst dieses Jahres abzuschließen.
Im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung wird dann auf der Grundlage der Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe ein Gesetzentwurf erstellt, der — entsprechend der Regierungserklärung — Anfang 1988 von der Regierung verabschiedet werden soll. Damit wären seitens der Regierung die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß jedenfalls die besonders finanzwirksamen Maßnahmen der Strukturreform der gesetzlichen Rentenversicherung zu Beginn der neunziger Jahre greifen können.
XII. Zusammenfassung
Am Ende dieses Beitrags soll die Frage, ob die dargestellten Vorstellungen, Pläne und Absichten zur langfristigen Sicherung der gesetzlichen Rentenversicherung ausreichen, nicht unbeantwortet bleiben. Die Antwort kann nur eine zweigeteilte sein: Bei einer sachgerechten und zielorientierten Verwirklichung der dargestellten Maßnahmen können die auf die gesetzliche Rentenversicherung infolge der demographischen Veränderungen zukommenden Probleme — jedenfalls in den nächsten 20 Jahren — in sowohl sozialpolitisch als auch finanzpolitisch befriedigender Weise beherrscht werden. Bei stabilem Rentenniveau braucht der Beitragssatz in der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten bis zum Ende etwa dieses Zeitraumes die 20%-Grenze nur unwesentlich zu überschreiten. Für diesen Zeitraum kann und sollte der Gesetzgeber in dieser Legislaturperiode die erforderlichen Regelungen treffen.
Ob die dargestellten Maßnahmen auch für die Zeit danach, also etwa bis zum Jahre 2035/2040 ausreichen, ob sie also lediglich weitergeführt zu werden brauchen oder ob sie durch weitere Maßnahmen ergänzt werden müssen, hängt von der weiteren Entwicklung ab. Die diesbezüglichen Entscheidun-B gen muß ein künftiger Gesetzgeber treffen. Es erscheint auch fraglich, ob der Gesetzgeber dieser Legislaturperiode die Kompetenz hat, schon heute durch ins einzelne gehende Regelungen darüber zu befinden, wie die Erträge der Volkswirtschaft etwa in den Jahren 2020/2030 auf jung und alt verteilt werden sollen.
Voraussetzung dafür, daß die Entscheidung zu einer grundsätzlichen Beibehaltung des geltenden Systems von der heutigen und von den künftigen Beitragszahlergenerationen akzeptiert werden kann, ist allerdings, daß plausibel dargelegt und glaubhaft gemacht wird, daß diese Beitragszahlergenerationen für ihre Beitragszahlungen — ebenso wie die heutigen Rentner — eine angemessene Gegenleistung erhalten und daß dies ohne Überforderung der künftigen Beitragszahlergenerationen möglich ist.
Es ist ein Verdienst der Kommission des Verbands Deutscher Rentenversicherungsträger, in ihrem am 22. Juni 1987 vorgelegten Gutachten „Zur langfristigen Entwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung“ auf der Grundlage einer Untersuchung der Prognos AG dargelegt zu haben, daß unser heutiges Sozialleistungssystem einschließlich der gesetzlichen Alterssicherung auch bei sinkender Bevölkerungszahl und bei langsamer wachsendem oder sogar stagnierendem Bruttosozialprodukt zu finanzieren ist. In diesem Gutachten wird durch die Bestimmung eines eher optimistischen und eines eher pessimistischen Szenarios ein Korridor abgesteckt, in dem nach Auffassung der Gutachter die Entwicklung in den nächsten 50 Jahren aller Voraussicht nach verlaufen wird. Bei einer Entwicklung entsprechend dem eher optimistischen Szenario sind die aus den demographischen Veränderungen sich ergebende Probleme verhältnismäßig leicht lösbar. Bei einer Entwicklung entsprechend dem eher pessimistischen Szenario, in dem die reale Nettolohnsumme von einem bestimmten Zeitpunkt an abnimmt, ergeben sich zwar beträchtliche Probleme; pro Arbeitnehmer bleibt aber trotz erheblich steigender Belastung immer noch ein realer Anstieg des Einkommens. Die Prognos AG kommt zusammenfassend zu dem Ergebnis, daß die Maßnahmen im Sinne der Vorstellungen des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung geeignet sind, „das Rentensystem auch im Falle einer ungünstigen Wirtschaftsentwicklung zu sichern, ein grundsätzlicher Systemwechsel also nicht erforderlich ist“.
In dieser Einschätzung befindet sich die Prognos AG in völliger Übereinstimmung mit dem Sozialbeirat, der bereits in seinem am 12. März 1986 vorgelegten Gutachten seine Überzeugung zum Ausdruck gebracht hat, daß die sich abzeichnenden Probleme in der gesetzlichen Rentenversicherung „im Rahmen des bestehenden Systems bewältigt werden können, ohne daß Beitrags-und Steuerzahlern einerseits sowie den Rentnern andererseits unvertretbare Belastungen auferlegt werden müßten“.
Wer sich im Hinblick aufseine künftige Alterssicherung auf das Urteil dieser im fachlichen und politischen Raum angesehenen Institutionen nicht verlassen will, kann immerhin darauf vertrauen, daß sich im Zuge des sich ändernden Altersaufbaus unserer Bevölkerung auch das politische Gewicht der alten Menschen verstärken wird. Die Befürchtung, daß die alten Menschen künftig bei der Verteilung der Erträgnisse der Volkswirtschaft benachteiligt werden könnten, erscheint unter diesem Blickwinkel als unbegründet.
Werner Niemeyer, Ministerialdirektor, geb. 1936; Studium der Rechtswissenschaften an den Universitäten Freiburg i. Br., Würzburg und Bonn; ab 1965 richterliche Tätigkeit beim Landgericht Dortmund und bei mehreren Amtsgerichten im Bezirk des Oberlandesgerichts Hamm, seit 1967 im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung; Leiter der Abteilung Sozialversicherung, Sozialgesetzbuch.
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