Beschäftigungssituation und -perspektiven für Hochschulabsolventen
Manfred Tessaring
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Zusammenfassung
Aus Politik und Zeitgeschichte, B 50/89, S. 14— 24 . Die Expansion des Hochschulbereichs in der Bundesrepublik Deutschland — auch längerfristig sind noch hohe Studenten-und Absölventenzahlen zu erwarten — hat zu einem Anstieg der Akademisierung des Beschäftigungssystems geführt. Jeder zehnte Erwerbstätige verfügt heute über den Abschluß einer Wissenschaftlichen oder Fachhochschule. Die private Wirtschaft und insbesondere die Dienstleistungsbereiche haben in den letzten zehn Jahren zunehmend Akademiker eingestellt. Die steigende Akademisierung der Wirtschaft konnte jedoch die gebremste Nachfrage des öffentlichen Sektors nach Hochschulabsolventen nicht ausgleichen. Dies äußert sich z. B. darin, daß heute 140 000 Akademiker arbeitslos sind; insbesondere von Arbeitslosigkeit betroffen sind Absolventen der Fächer, die auf gesellschaftliche Dienstleistungsaufgaben hin qualifizieren (Geistes- und Sozialwissenschaften, Lehrämter). Dennoch ist die Arbeitsmarktposition der Akademiker immer noch besser als die anderer Qualifikationsgruppen. Eine hohe Qualifikation stellt also immer noch einen wichtigen Schutz vor Arbeitslosigkeit dar. Nach den vorliegenden Vorausschätzungen ist erst um die Jahrtausendwende eine globale Übereinstimmung zwischen dem Angebot und dem Bedarf an Akademikern zu erwarten. Hierzu tragen insbesondere die fortschreitende Ausweitung der Dienstleistungsbereiche und die Zunahme der qualifizierten und hochqualifizierten Tätigkeiten bei. Angesichts des demographischen Rückgangs und der tiefgreifenden sozialen, ökonomischen und technologischen Veränderungen ist jedoch abzusehen, daß übergreifende „Schlüsselqualifikationen“ sowie Weiterbildungsbereitschaft und -angebote sowohl für den einzelnen als auch für die Hochschulen und Betriebe an Bedeutung gewinnen werden.
Der entgegen allen Vorausschätzungen der siebziger und achtziger Jahre weiter steigende Andrang von Studenten an den Universitäten und Fachhochschulen bei nahezu unveränderter Zahl an Studienplätzen hat diesen Bildungsbereich in den letzten zwei Jahren wieder in das Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt. Die Verschlechterung der Studienbedingungen, die lange Verweildauer und die angebliche Massenarbeitslosigkeit von Hochschulabsolventen sind Schlagworte, die weitere Problembereiche bezeichnen.
Einigen dieser Fragen soll in diesem Beitrag nachgegangen werden. Er geht aus von der Zunahme der Studenten sowie Hochschulabsolventen und zeigt, wie diese die Akademisierung des Beschäftigungssystems, die Beschäftigungsstrukturen der Hochschulabsolventen und ihre Position auf dem Arbeitsmarkt in den siebziger und achtziger Jahren verändert hat. Abschließend werden einige Projektionen zum künftigen Angebot und Bedarf an Akademikern mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen diskutiert.
I. Die Expansion des Hochschulbereichs
Abbildung 6
Jahr 1900 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 Anmerkung: 1900— 1960 Wissenschaftliche Hochschulen ohne Pädagogische Hochschulen und ohne Kunsthochschulen; ab 1960 einschl. dieser Hochschulen; jeweils Wintersemester. Quelle: M. Tessaring, Arbeitsmarkt für Akademiker: Gestern — heute — morgen, MatAB 5/1988. KMK-Prognose 95 2000 05 10 Studenten an Hochschulen 1900 -2010
Jahr 1900 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 Anmerkung: 1900— 1960 Wissenschaftliche Hochschulen ohne Pädagogische Hochschulen und ohne Kunsthochschulen; ab 1960 einschl. dieser Hochschulen; jeweils Wintersemester. Quelle: M. Tessaring, Arbeitsmarkt für Akademiker: Gestern — heute — morgen, MatAB 5/1988. KMK-Prognose 95 2000 05 10 Studenten an Hochschulen 1900 -2010
Die Expansion der Studentenzahlen in der Bundesrepublik Deutschland seit Mitte der fünfziger Jahre ist ohne Beispiel in der deutschen Geschichte. Um die Jahrhundertwende waren knapp 50 000 und nach dem Ersten Weltkrieg maximal etwa 130 000 Studenten an den Hochschulen des Deutschen Reichs eingeschrieben. In der Zeit der nationalso-zialistischen Herrschaft sank die Studentenzahl mit 46 000 (1940) wieder auf das Niveau der Jahrhundertwende ab.
Abbildung 12
Tabelle 4: Akademikerangebot und -bedarf bis zum Jahre 2000 nach verschiedenen Projektionen (in Millionen) Quellen: Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung, Gesamtbetrachtung zu den Beschäftigungsperspektiven von Absolventen des Bildungssystems. Materialien zur Bildungsplanung, Heft 18. Bonn 1989. D. Siebert/G. Schmid. Systemanalyse des Arbeitsmarkts für Akademiker/innen. Simulation 1970-2010, Berlin 1988. IAB/Prognos (C. v. Rothkirch/I. Weidig), Zum Arbeitskräftebedarf nach Quali=
Tabelle 4: Akademikerangebot und -bedarf bis zum Jahre 2000 nach verschiedenen Projektionen (in Millionen) Quellen: Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung, Gesamtbetrachtung zu den Beschäftigungsperspektiven von Absolventen des Bildungssystems. Materialien zur Bildungsplanung, Heft 18. Bonn 1989. D. Siebert/G. Schmid. Systemanalyse des Arbeitsmarkts für Akademiker/innen. Simulation 1970-2010, Berlin 1988. IAB/Prognos (C. v. Rothkirch/I. Weidig), Zum Arbeitskräftebedarf nach Quali=
Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte in der Bundesrepublik ein wahrer Studentenboom ein: Schon 1950 wurde mit 112 000 die Studentenzahl des Deutschen Reichs der zwanziger Jahre wieder erreicht; bis 1960 hatte sie sich nahezu verdreifacht. Der „Sputnikschock“ des Jahres 1957, Warnungen vor einem Qualifikations-und damit Wettbewerbs-defizit der rohstoffarmen Bundesrepublik Deutschland und die in den sechziger Jahren vehement einsetzende Forderung nach Verwirklichung der Chancengleichheit und dem Abbau von Bildungsdefiziten sozial benachteiligter Gruppen führten in der Folgezeit zu einem forcierten Ausbau insbesondere der Hochschulkapazitäten.
Die verstärkte Neigung zum Studium wie die demographische Entwicklung hatten eine weitere Zunahme der Studentenzahl um 75 Prozent bis 1970 (511 000 Studenten) und eine Verdoppelung im fol-genden Jahrzehnt zur Konsequenz. Derzeit sind rund 1, 47 Millionen Studenten immatrikuliert, und zwar mehr als 1, 1 Millionen an Universitäten und knapp 350 000 an Fachhochschulen Ursache dieser Expansion war fast ausschließlich die gestiegene Studienneigung. Trennt man die Entwicklung von 1960 bis 1985 auf in die beiden Ursachenkomponenten „demographischer Einfluß“ und „Verhaltenseinfluß“, so zeigt sich, daß die demographische Entwicklung zum Anstieg der Studentenzahl um insgesamt 360 Prozent nur mit zwölf Prozent, das Verhalten aber dementsprechend mit 348 Prozent beigetragen hat
Auch die Verlängerung der Studiendauer dürfte nicht die Rolle gespielt haben, die ihr oft zugemessen wird. So ist die Berechnung der Verweildauer an Hochschulen zum Teil ein statistisches Artefakt und wird zudem von Hochschule zu Hochschule und von Bundesland zu Bundesland in den Prüfungsämtern teilweise unterschiedlich gehandhabt
Die Klage, daß die Hochschulabsolventen beim Eintritt in den Arbeitsmarkt zu alt seien, ist häufig auf die Zwischenschaltung einer beruflichen oder betrieblichen Ausbildung zurückzuführen, die oftmals von den gleichen Politikern propagiert wurde, die heute die Überalterung der Absolventen beklagen. Gerade die in der Diskussion um den „Bildungsstandort Bundesrepublik“ gern herausgestellte Vielfalt und Offenheit des deutschen Bildungssystems führt — als Kehrseite der Medaille — auch zu einem längeren Verbleib von Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Bildungswesen und somit fast zwangsläufig zu einem Anstieg des Alters der Absolventen
Welche Entwicklung ist nun für die Zukunft zu erwarten? Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat in ihrer neuesten Studentenprognose mehrere Varianten durchgerechnet, die von unterschiedlichen Annahmen bezüglich der Übergangsquote von Studienberechtigten in die Hochschulen und bezüglich der Entwicklung der Verweildauer an Hochschulen ausgehen.
Die Darstellung zur Entwicklung der Studenten-zahlen in den Jahren von 1900 bis 2010 zeigt die langfristige Entwicklung der Studentenzahl über mehr als ein Jahrhundert hinweg. Die beiden Prognoselinien repräsentieren die beiden Extremvarianten der KMK-Prognose: In der oberen Variante (80 Prozent Übergang, konstante Verweildauer) kommt die KMK-Prognose noch zu einem weiteren Anstieg der Studentenzahl (Universitäten und Fachhochschulen) bis auf mehr als 1, 58 Millionen in den Jahren 1991/92. Danach erfolgt ein kontinuierlicher Rückgang bis in die ersten Jahre des neuen Jahrtausends (2002: 1, 38 Millionen), anschließend — verursacht durch den leichten Geburtenanstieg der letzten Jahre — wieder eine Zunahme bis zum Jahre 2010 (1, 44 Millionen). Nach der unteren Variante (70 Prozent Übergang, Verkürzung der Studiendauer) wird der Höhepunkt der Studentenzahl im Jahre 1990 (1, 50 Millionen) überschritten. Bis zum Jahre 2000 sinkt sie dann auf 1, 05 Millionen und steigt im folgenden Jahrzehnt wieder leicht auf 1, 11 Millionen an.
Trotz vieler Vorbehalte gegen diese Prognosen, die bis auf die Annahmen zur Übergangsquote und zur Studiendauer doch schwerpunktmäßig eher die demographische Entwicklung widerspiegeln — die, wie erwähnt, für die bisherige Hochschulexpansion eine nur untergeordnete Rolle spielte —, scheint die dargestellte Entwicklung der Studentenzahl für die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre nicht unrealistisch zu sein. Dies würde bedeuten, daß die Aussicht, die Überlastungssituation an den Hochschulen bald überwinden zu können, in weite Feme gerückt ist. Die Zahl der Studenten Mitte der siebziger Jahre (gut 800 000), die in etwa der der vorhandenen Studienplätze entsprach und die sich nach Überwindung der Überlast etwa Millionen an.
Trotz vieler Vorbehalte gegen diese Prognosen, die bis auf die Annahmen zur Übergangsquote und zur Studiendauer doch schwerpunktmäßig eher die demographische Entwicklung widerspiegeln — die, wie erwähnt, für die bisherige Hochschulexpansion eine nur untergeordnete Rolle spielte —, scheint die dargestellte Entwicklung der Studentenzahl für die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre nicht unrealistisch zu sein. Dies würde bedeuten, daß die Aussicht, die Überlastungssituation an den Hochschulen bald überwinden zu können, in weite Feme gerückt ist. Die Zahl der Studenten Mitte der siebziger Jahre (gut 800 000), die in etwa der der vorhandenen Studienplätze entsprach 8) und die sich nach Überwindung der Überlast etwa ab Mitte der neunziger Jahre auf diesem Niveau wieder einpendeln sollte (so die damaligen Prognosen), wird möglicherweise erst ab dem Zeitraum 2015— 2020 erreicht werden. Damit wird auch die „Durststrecke“ für die Hochschulen, die für den Zeitraum 19751995 veranschlagt worden war und die es (im kultusministeriellen Jargon) zu „untertunneln“ galt, weitaus länger werden 9).
II Die Akademisierung des Beschäftigungssystems
Abbildung 7
Tabelle 1: Akademisierung des Beschäftigungssystems 1976— 1985 I. II. Wirtschaftszweig, Jahr Primärer Sektor Sekundärer Sektor HI. Tertiärer Sektor A (überwiegend privatwirtschaftlich) Summe I—III: überwiegend Privatwirtschaft IV. Tertiärer Sektor B (überwiegend öffentlich) Insgesamt*) (nachrichtlich: 1976 1985 1976 1985 1976 1985 1976 1985 1976 1985 1976 1985 1987 Zahl der Erwerbstätigen mit Abschluß einer ... (in 1 000) Fach-hoch- schule (FHS) — 11, 5 231, 5 320, 6 122, 4 214, 8 359, 7 546, 9 178, 9 340, 췸ތ
Tabelle 1: Akademisierung des Beschäftigungssystems 1976— 1985 I. II. Wirtschaftszweig, Jahr Primärer Sektor Sekundärer Sektor HI. Tertiärer Sektor A (überwiegend privatwirtschaftlich) Summe I—III: überwiegend Privatwirtschaft IV. Tertiärer Sektor B (überwiegend öffentlich) Insgesamt*) (nachrichtlich: 1976 1985 1976 1985 1976 1985 1976 1985 1976 1985 1976 1985 1987 Zahl der Erwerbstätigen mit Abschluß einer ... (in 1 000) Fach-hoch- schule (FHS) — 11, 5 231, 5 320, 6 122, 4 214, 8 359, 7 546, 9 178, 9 340, 췸ތ
Der Anstieg der Studenten-und damit auch der Absolventenzahlen (letztere etwa 140 000 im Jahre 1987 gegenüber knapp 50 000 im Jahre 1960) hat sich zwar nur allmähÜch, aber dennoch deutlich auf die Gesamtzahl der Erwerbstätigen mit Hochschulabschluß („Akademiker“) ausgewirkt. Die Zahl der erwerbstätigen Akademiker mit Abschluß einer Wissenschaftlichen Hochschule (Universität usw.) erhöhte sich von 1970 bis 1987 von 1, 0 auf 1, 8 Millionen, die der Erwerbstätigen mit Fachhochschulabschluß verdoppelte sich auf knapp 1 Million. Jeder zehnte Berufstätige ist heute also ein Akademiker; 1970 war es nicht einmal jeder zwanzigste. Dieser Akademisierungsgrad ist jedoch bei Männern und Frauen unterschiedlich: Von den erwerbstätigen Männern weisen rd. 11, 5 Prozent, von den Frauen jedoch nur rd. sieben Prozent einen akademischen Abschluß auf.
Nach wie vor sind die weitaus meisten Akademiker im Staatsdienst und — in weiterem Sinne — im Bereich der gesellschaftlichen Dienstleistungen beschäftigt 10). wenn auch die Konzentration der Akademiker in diesem Bereich — insbesondere infolge der restriktiven Personalpolitik des öffentlichen Dienstes — spürbar gesunken ist. Von allen Akademikern mit Universitäts-und vergleichbarem Abschluß arbeiteten hier 1976 drei Viertel, 1985 aber nur noch zwei Drittel 11) -Umgekehrt war die Entwicklung bei den Erwerbstätigen mit Fachhochschulabschluß: Der Anteil der in diesem Bereich Beschäftigten stieg von 1976 bis 1985 von 33 Prozent auf über 38 Prozent.
Dennoch weist der öffentliche Dienstleistungsbereich immer noch einen beachtlichen Qualifikationsvorsprung (gemessen am Akademikeranteil) auf. Von allen dort Beschäftigten hatten 1976 rd. 19 Prozent und 1985 sogar 23 Prozent einen Hoch-und Fachhochschulabschluß. Obwohl verhältnismäßig sehr viel niedriger, erhöhte sich auch der Akademisierungsgrad der privatwirtschaftlichen Sektoren von 3, 4 Prozent 1976 auf 5, 5 Prozent 1985 (vgl. Tabelle 1).
Ein Anstieg der Akademisierung in den öffentlichen Dienstleistungen bedeutet nun jedoch nicht zwangsläufig, daß dieser Bereich, der ja überwiegend staatlich ist, trotz Haushaltsstrukturgesetz und restriktivem Einstellungsverhalten mehr Akademiker aufgenommen hat; eine Anteilserhöhung kann ja auch durch eine Verminderung anderer Gruppen Zustandekommen, ohne daß ein einziger Akademiker zusätzlich eingestellt worden wäre. Dies führt zu der Frage, in welchem Umfang die private Wirtschaft und die öffentlichen Bereiche in den letzten Jahren aufdie gestiegene Zahl von Hochschulabsolventen reagiert haben. Dies kann anhand der in Tabelle 1 ebenfalls ausgewiesenen Netto-Beschäftigungsveränderungen für Akademiker im Zeitraum 1976 bis 1985 geprüft werden Eine solche Netto-Veränderung drückt aus (falls sie positiv ist), wie-viele Akademiker in einem Beschäftigungsbereich über die natürlichen Abgänge (durch Pensionierung, Tod, Auswanderung u. ä.) hinaus zusätzlich eingestellt worden sind.
Betrachtet man diese Beschäftigungsveränderungen für Akademiker in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Bereich, so zeigt sich zunächst, daß sie in beiden Sektoren Arbeitsplatzgewinne verzeichnen: von 1976 bis 1985 insgesamt knapp 800 000 (und bis 1987 sogar 968 000). Beim Vergleich der beiden Sektoren überrascht nun aber, daß die Privatwirtschaft von 1976 bis 1985 mehr als die Hälfte (420 000) dieses Gesamtzuwachses absorbiert hat. Dies gilt für Erwerbstätige mit Fachhochschulabschluß wie mit Universitätsabschluß gleichermaßen. Interessant ist ferner, daß die steigende Akademikerbeschäftigung in der Privatwirtschaft einherging mit einem globalen Arbeitsplatzabbau von 1976 bis 1985 um fast 100 000 (Auszubildende sind heraus-gerechnet). Dies deutet darauf hin, daß Akademiker nicht nur auf neuen, sondern in steigendem Umfang auch auf früher von Nichtakademikern besetzten Arbeitsplätzen beschäftigt wurden.
Ein solcher Substitutionsprozeß darf jedoch nicht mit „Dequalifizierung“ oder „unterwertiger Beschäftigung“ gleichgesetzt werden. Durch Erhebungen wird bestätigt, daß die Anforderungen an die Qualifikation steigen, daß allmählich die Akademisierung der mittleren und oberen Positionen in den Betrieben fortschreitet und im Gegensatz zu früheren Jahren nunmehr auch ein ausreichendes Angebot an gut qualifizierten jungen Hochschulabsolventen zur Verfügung steht Doch auch die zunehmende Akademisierung und damit Ausweitung der Beschäftigung von Akademikern in der Privatwirtschaft trug nicht dazu bei, den bei wachsenden Absolventenzahlen verlangsamten Nachfrageanstieg im öffentlichen Bereich voll aufzufangen. Die Leidtragenden sind insbesondere die Absolventen derjenigen Studienfächer, die von ihren In-halten her sehr viel mehr auf Aufgaben im Bereich öffentlicher Dienstleistungen als in der Privatwirtschaft hin zugeschnitten sind. Insbesondere die Arbeitslosigkeit von Lehrern, Geisteswissenschaftlern und zum Teil auch Sozialwissenschaftlern, wie sie im folgenden diskutiert wird, ist ein Beleg hierfür.
Die Situation der Akademiker auf dem Arbeitsmarkt kann nicht unabhängig von der globalen Arbeitsmarktlage betrachtet werden. Solange bei einem steigenden Potential an Erwerbspersonen die Zahl der insgesamt verfügbaren Arbeitsplätze unzureichend ist, und dies wohl noch über längere Zeit bleiben wird werden alle Qualifikationsgruppen mehr oder weniger von Arbeitslosigkeit betroffen.
Auf dieses „mehr oder weniger“ aber kommt es gerade an. Die relative Position der verschiedenen Gruppen und ihre Veränderung über die Zeit hinweg sagt etwas darüber aus, inwieweit die einzelnen Ausbildungszertifikate auf dem Arbeitsmarkt honoriert werden. Ein wichtiger Indikator hierfür ist die qualifikationsspezifische Arbeitslosenquote. Die Zahl der Arbeitslosen einer Gruppe wird dabei ihrer Gesamtzahl im Beschäftigungssystem (abhängige Erwerbspersonen gleicher Ausbildung) gegenübergestellt Diese Quoten geben jedoch nicht — dies sei hier betont — das individuelle Risiko wieder, nach einer Ausbildung mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit arbeitslos zu werden.
Wie die Entwicklung der qualifikationsspezifischen Arbeitslosenquoten in der nebenstehenden Darstellung zeigt, war in der Vergangenheit über alle Konjunkturphasen hinweg die Betroffenheit von Arbeitslosigkeit um so niedriger, je höher die Qualifikation war. Gilt dieser Befund auch noch heute, bei steigenden Absolventenzahlen der Hochschulen und faktisch stagnierenden Personaleinstellungen im öffentlichen Dienst? Hat nicht der sich abzeichnende Nachwuchsmangel an Fachkräften aus der betrieblichen Ausbildung eine deutliche Verbesserung ihrer Marktposition bzw. Arbeitslosenquote zur Folge?
Die Abbildung zeigt zunächst einmal sehr deutlich die Zweiteilung des Arbeitsmarktes: Auf der einen Seite die Personen ohne formale Ausbildung, die mit Quoten von über 18 Prozent am stärksten durch Arbeitslosigkeit belastet sind, obwohl der Anteil dieser Gruppe an der Gesamtheit der Erwerbstäti-gen schon seit langem zurückgeht. Auf der anderen Seite stehen die Personen mit einer abgeschlossenen Ausbildung; das Spektrum der Arbeitslosen-quoten lag bei ihnen 1987 zwischen 3, 4 Prozent (Personen mit Fach-und Meisterschulausbildung) und 6, 4 Prozent (betrieblich oder an Berufsfachschulen Ausgebildete).
Die Arbeitslosenquote der Akademiker insgesamt hegt mit etwa fünf Prozent um 40 Prozent unter der Quote aller Arbeitslosen. Innerhalb der Akademikerschaft ist inzwischen jedoch die Arbeitslosenquote der Fachhochschulabsolventen deutlich unter diejenige der Absolventen einer Wissenschaftlichen Hochschule (4, 0 Prozent/5, 7 Prozent) gefallen. Gerade diese letztgenannte Akademikergruppe trifft das restriktive Einstellungsverhalten des Staates besonders, ist doch immer noch der'größte Teil von ihnen auf eine Beschäftigung beim Staat angewiesen Da viele Frauen — mehr noch als Männer — oft in solchen Fächern ausgebildet sind, die für gesellschaftliche Dienstleistungsfunktionen qualifizieren (z. B. Lehrämter, Sozialpädagogik), liegt deren Arbeitslosenquote mit 8, 3 Prozent fast doppelt so hoch wie die der Männer mit gleicher Qualifikation (4. 3 Prozent)
Diese geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Arbeitsmarktsituation sind bei den Fachhochschulabsolventen sogar noch stärker sichtbar. Zwar ist, wie erwähnt, die Arbeitslosenquote dieser Gruppe insgesamt inzwischen deutlich niedriger als die der Absolventen Wissenschaftlicher Hochschulen. Männer mit Fachhochschulabschluß, die überwiegend technische oder betriebswirtschaftliche Ausbildungen durchlaufen haben, weisen 1987 eine Arbeitslosenquote von nur 2. 8 Prozent auf. Die Arbeitslosenquote der Frauen mit Fachhochschulabschluß hingegen — dies sind hauptsächlich Absolventinnen sozialpflegerischer Fächer — liegt mit 8. 6 Prozent nicht nur dreimal höher als die der männlichen Absolventen; sie übersteigt auch die der Frauen mit Abschluß einer Wissenschaftlichen Hochschule.
In diesen Quoten sind alle Absolventen, gleich welchen Alters, enthalten. Betrachtet man nun die altersspezifischen Unterschiede in der Betroffenheit von Arbeitslosigkeit, so wird deutlich, wie schwierig inzwischen der Berufseinstieg in der ersten Phase nach dem Abschluß geworden ist. Dies gilt insbesondere für die Frauen. So sind z. B. einer IAB-Analyse zufolge 1986 im Vergleich zu 1976 die Arbeitslosenquoten der 25— 29jährigen Frauen mit Abschluß einer Wissenschaftlichen Hochschule von 2, 5 Prozent auf 13, 7 Prozent und die der 30-bis 34jährigen von 2, 1 Prozent auf 10. 4 Prozent angestiegen. Auch bei den Männern mit einer entsprechenden Ausbildung sowie bei den männlichen und weiblichen Fachhochschulabsolventen weisen die Altersgruppen unter 35 Jahre überdurchschnittliche Arbeitslosenquoten auf.
Bemerkenswert ist aber auch, daß Akademiker im Alter von über 55 Jahren — Fachhochschul-wie Universitätsabsolventen gleichermaßen — eben-* falls überdurchschnittliche Arbeitslosenquoten aufweisen. Dies gilt jedoch nur für die Männer; bei den Akademikerinnen in diesem Alter dürfte es sich überwiegend um Beschäftigte im öffentlichen Dienst (insbesondere Lehrerinnen) handeln. Bei den Männern, die stärker in der Privatwirtschaft tätig sind, spielt möglicherweise der rasche technologische Wandel und damit verbunden die Überlegung mancher Unternehmen eine Rolle, bei Freiwerden eines Arbeitsplatzes einen jüngeren Absolventen einzustellen, der frisches Know-how mitbringt (und zudem weniger kostet als ein älterer).. Angemerkt sei jedoch, daß die Einstiegsprobleme in den Arbeitsmarkt und die Probleme älterer Arbeitskräfte bei anderen Qualifikationsgruppen weitaus gravierender sind als bei Akademikern.
Insgesamt kann festgehalten werden, daß eine hohe Qualifikation immer noch besser vor Arbeitslosigkeit schützt als eine niedrige oder gar ein Ausbildungsverzicht. Dennoch nähern sich die Arbeitslosenquoten der Gruppen mit unterschiedlicher Qualifikation einander an. Gründe hierfür sind einmal der zunehmende Fachkräftemangel, zum anderen das restriktive Einstellungsverhalten des Staates, von dem insbesondere Frauen und Absolventen der Lehrämter, Geistes-und Sozialwissenschaften betroffen sind.
In Tabelle 3 wird ein Blick auf die Fächerverteilung der arbeitslosen Hochschulabsolventen in den Jahren 1975, 1980 und 1985 bis 1988 geworfen. Hieraus sollen nur einige auffällige Tendenzen stichwortartig (für Fachhochschulen und Wissenschaftliche Hochschulen zusammen) genannt werden Nach dem starken Rückgang bis Mitte der achtzigerJahre steigt die Arbeitslosigkeit von Ingenieuren und Architekten inzwischen wieder an; dies gilt auch für Fachhochschulabsolventen. Sie liegt zwar prozentual immer noch auf einem sehr niedrigen Niveau; der Arbeitsmarkt für Ingenieure ist also nicht so „leergefegt“, wie häufig vermutet, zumal auch Elektroingenieure steigende Arbeitslosenzahlen aufweisen.
Die Arbeitslosigkeit der Geisteswissenschaftler (ohne Lehrer) und der Absolventen aus künstlerischen Fachrichtungen ist weit überdurchschnittlich angestiegen: von gut 3 300 (1975) auf fast 19 000 (1988). Inwieweit zu dieser Gruppe auch Personen gehören, die ursprünglich Lehrer werden wollten, dann aber wegen der Lehrerarbeitslosigkeit das Fach gewechselt und z. B. einen Magisterstudiengang gewählt haben, kann mit den vorliegenden Daten nicht geklärt werden.
Die Zahl der arbeitslosen Lehrer hat sich seit 1975 mehr als verzehnfacht. Sie stellen mit knapp 30 Pro-zent den größten Anteil aller Arbeitslosen mit Abschluß einer Wissenschaftlichen Hochschule. In den letzten Jahren ist allerdings eine gewisse Stagnation der Lehrerarbeitslosigkeit festzustellen. Hierzu haben mehrere Faktoren beigetragen: die rückläufigen Absolventenzahlen, die Umschulungs-und Fortbildungsmaßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit und möglicherweise bereits ein leichter Anstieg der Nachfrage nach Lehrern
Einen hohen Anstieg zeigt auch die Zahl arbeitsloser Ärzte und Pharmazeuten; sie stieg von 1975 bis 1988 um das Zehnfache. Der überwiegende Teil von ihnen gehört jedoch zu den Ärzten, die eine Weiterbildungsstelle zur Facharztausbildung suchen
Insgesamt betrachtet wird also bestätigt, daß die Arbeitslosigkeit der Akademiker ganz überwiegend von denjenigen Fächern geprägt wird, die auf den öffentlichen Dienstleistungsbereich hin ausgerichtet sind und zudem einen höheren Frauenanteil aufweisen. Die neuerdings tendenziell steigende Arbeitslosigkeit von Ingenieuren und Naturwissenschaftlern relativieren Stimmen, die von einem gravierenden Mangel an Absolventen dieser Fächer sprechen. Die steigenden Arbeitslosenzahlen sind möglicherweise auch Langzeitwirkungen der Ende der siebziger/Anfang der achtziger Jahre vehement geführten Diskussion um diesen Mangel, die viele Abiturienten dann zu einem Studium dieser Fächer veranlaßt hat; sie verlassen nun allmählich die Hochschulen.
Dies zeigt die Problematik von Prognosen, insbesondere wenn sie den — unerfüllbaren — Anspruch erheben, die Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit vorauszusagen. Solche Prognosen können sehr schnell von den Gegenreaktionen der verschiedenen Akteure auf dem Arbeitsmarkt „zerstört“ werden. Bei der Interpretation von Prognosen ist also Vorsicht geboten, auch im Hinblick darauf, daß im Bildungsbereich Anpassungsreaktionen und bildungspolitische Maßnahmen, die in der Vergangenheit ergriffen wurden, sich erst sehr viel später auswirken. Es lassen sich allenfalls — unter fest umrissenen Annahmen — globale Entwicklungen in ihrer Richtung und Größenordnung sowie die auf sie wirkenden Einflußfaktoren aufzeigen. Solche Projektionen sind daher auch eher für den Bildungs-und Arbeitsmarktpolitiker oder die unternehmerische Personalplanung relevant als für den einzelnen, der vor der Äusbildungs-und Berufswahl steht. In den letzten Jahren sind einige solcher Projektionen des Angebots und Bedarfs besonders für aka-demische Berufe erstellt worden; diese sollen im folgenden kurz zusammengefaßt werden.
IV. Angebot und Bedarf an Akademikern bis zum Jahre 2000
Abbildung 9
Arbeitslosenquote in % NWWWWUWWWS Jahre konjunkturelle Abschwungphasen gemäß Sachver-*) der abhängigen Erwerbspersonen (ohne Auszubildende) gleicher Ausbildung; die Zahlen für 1986 und 1987 vorläufig- Quelle: M. Tessaring (Anm. 12), S. 182. Qualifikationsspezifische Arbeitslosen-quoten 1975 -1987 *)
Arbeitslosenquote in % NWWWWUWWWS Jahre konjunkturelle Abschwungphasen gemäß Sachver-*) der abhängigen Erwerbspersonen (ohne Auszubildende) gleicher Ausbildung; die Zahlen für 1986 und 1987 vorläufig- Quelle: M. Tessaring (Anm. 12), S. 182. Qualifikationsspezifische Arbeitslosen-quoten 1975 -1987 *)
Vorausschätzungen (zumindest die seriöseren) beruhen stets auf einem Bündel von Wenn-dann-Annahmen. Sie wollen somit nicht eine höchstwahrscheinliche Zukunft voraussagen, sondern nur mögliche Zukünfte, sofern die unterstellten Annahmen Realität werden. Manche Projektionen wollen sogar eine Weiterentwicklung bestehender Tendenzen verhindern, indem sie eine Entwicklung zeigen, die möglicherweise unerwünscht oder unerträglich ist, und somit Maßnahmen provozieren, die die vorausgeschätzten Tatbestände verhindern.
Je stärker Prognosen gegliedert sind und je weiter sie in die Zukunft reichen, desto größer wird ihr Ungenauigkeitsgrad. Er ist umso höher, je weniger die jeder Prognose zugrundezulegenden Vergangenheitsentwicklungen und insbesondere deren Einflußmechanismen bekannt sind. Aus diesen Gründen sind Angebots-und Bedarfsprojektionen für kleinere Personengruppen, wie sie auch die Akademiker immer noch darstellen, nur Indizien für die Größenordnung und Richtung der Veränderung beider Marktseiten im allgemeinen.
Zum künftigen Akademikerangebot liegen eine Projektion der Bund-Länder-Kommission (BLK) für Bildungsplanung und Forschungsförderung sowie eine Projektion des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB), allerdings nur für Akademiker mit Abschluß einer Wissenschaftlichen Hochschule vor.
Die BLK errechnet für den Zeitraum 1986 bis 2000 ein Neuangebot von 1, 8 bis 2, 0 Millionen Akademikern (Hoch-und Fachhochschulabsolventen, die in diesem Zeitraum die Hochschulen verlassen und erwerbstätig werden wollen). Bis zum Jahre 2000 werden rd. 0, 8 Millionen Akademiker aus dem Erwerbsleben ausscheiden; sie stellen in dieser Größenordnung den Ersatzbedarf dar. Das Gesamtangebot an Akademikern im Jahre 2000 ergibt sich somit aus dem Bestand von 1985 (2, 7 Millionen Erwerbspersonen) abzüglich der Abgänge und zuzüglich des Neuangebots. Insgesamt wird das Angebot also auf 3, 7 bis 4, 0 Millionen steigen. Dieser Anstieg entspricht durchaus dem bisherigen Trend: Auch in den vergangenen 15 Jahren ist der Akademikerbestand in etwa der gleichen Größenordnung gestiegen.
In einer überschlägigen Berechnung, die die neuesten KMK-Projektionen der Absolventenzahlen einbezieht, gelangt man zu dem Ergebnis, daß aufgrund der in der jüngsten Zeit erfolgten Zunahme der Studenten-und später der Absolventenzahlen das Gesamtangebot um etwa 200 000— 300 000 Personen höher liegen dürfte als von der BLK berechnet.
Die Studie des Wissenschaftszentrums, die — wie erwähnt — die Fachhochschulebene nicht einschließt, gelangt mit Hilfe eines „SystemdynamikAnsatzes“ zu dem Ergebnis, daß im Jahre 2000 die Gesamtzahl der Akademiker (einschl. Nichterwerbspersonen) auf gut 3, 2 Millionen ansteigen wird — 1, 1 Millionen mehr als 1985; hiervon sind 1, 2 Millionen Frauen und 2, 0 Millionen Männer
Inwieweit dieses steigende Akademikerangebot auf einen entsprechenden Bedarf treffen wird, ist angesichts der großen Bedeutung des Arbeitgebers „Staat/öffentlicher Dienst“ relativ offen. Niemand kann exakt die Stellensituation und das auf politischen und normativen Entscheidungen beruhende künftige Nachfrageverhalten des Staates und der von ihm beeinflußten Bereiche (z. B. Gesundheitswesen, soziale Dienste) voraussehen.
Wohl aber können Zusammenhänge zwischen sozio-ökonomischen Faktoren (z. B. Wirtschaftswachstum, Produktivität. Arbeitszeit, Technologie-Wirkungen usw.) und dem Arbeitskräftebedarf, etwa in seiner Struktur nach Tätigkeitsfeldern und Qualifikationen, auch für Projektionen genutzt werden. Dies erfolgte in einer Projektion der Struktur des Arbeitskräftebedarfs durch lAB/Prognos in den Jahren 1985/86 In dieser Projektion wird in mehreren Varianten auch der Bedarf an Akademikern bis zum Jahre 2000 vorausgeschätzt; die Fachhochschulen sind hierbei eingeschlossen.
Geht man von der den Langfristprojektionen des IAB zugrundeliegenden mittleren Variante des Wirtschaftswachstums (+ 2, 5 Prozent jährlich) aus, so ergibt sich, daß eine Fortsetzung des sektoralen Wandels zugunsten der Dienstleistungssektoren und die Veränderung der Tätigkeitsstrukturen insbesondere bei Bürotätigkeiten, dispositiven Tätigkeiten.
Forschungs-und Entwicklungsaufgaben sowie anderen qualifizierten Dienstleistungsfunktionen einen steigenden Bedarf an Akademikern — bei wohlgemerkt nahezu stagnierender Gesamtzahl an Arbeitsplätzen in dieser Wachstumsvariante — zur Folge haben könnten.
Insbesondere die in dieser Projektion explizit einbezogenen Auswirkungen der Technik und anderer sozioökonomischer Faktoren auf die künftigen Tätigkeiten der Arbeitskräfte machen deutlich, in welchem Umfang in der künftigen Gesellschaft ein hoher Qualifikationsstand und neue Technologien — wie die Mikroelektronik — ausschlaggebend sein werden. Routinearbeiten werden zunehmend ersetzt, der Bedarf an ungelernten Arbeitskräften sinkt drastisch. Der „Weg zur Dienstleistungsgesellschaft“ wird vom einzelnen zunehmend dispositive, planerische und integrative Qualifikationen verlangen. Die weltweite Umweltproblematik, die Internationalisierung der Wirtschaften (EG-Binnenmarkt) sowie die wachsende weltwirtschaftliche Verflechtung werden komplexer und interdependenter. Sie erfordern zunehmend ein ganzheitliches, vernetztes und kreatives Denken.
Aufgrund des Strukturwandels der Wirtschaft und der durch die technologischen und sozioökonomischen Einflüsse sich verändernden Tätigkeiten könnte der Akademikerbedarf bei mittlerem Wirtschaftswachstum auf etwa 3, 7 Millionen im Jahre 2000 ansteigen. Unter Berücksichtigung der Bandbreiten der Projektionen und derTatsache, daß aufgrund aktueller Entwicklungen sowohl auf der Angebots-als auch Bedarfsseite die Prognosen eher nach oben zu korrigieren sind, entspräche also der Akademikerbedarf in seiner Größenordnung in etwa dem vorausgeschätzten Angebot (vgl. Tabelle 4). Der absolute Beschäftigungszuwachs für Akademiker hängt insbesondere von der Höhe des wirtschaftlichen Wachstums ab. Bei günstiger Wirtschaftsentwicklung dürften sich Akademikerangebot und -bedarf bis zum Jahre 2000 ungefähr entsprechen. Diese Ergebnisse werden tendenziell von der Studie des Wissenschaftszentrums, die auch eine Bedarfs-vorausschätzung enthält, bestätigt Auch hier lassen die Ergebnisse den Schluß zu, daß um die Jahrhundertwende ein globaler Ausgleich zwischen Akademikerangebot und -bedarf erwartet werden kann, ja sogar eine mögliche Umkehr der Arbeitsmarktsituation — also eine beginnende Knappheit an Akademikern.
Der annähernde Arbeitsmarktausgleich, der für Akademiker um die Jahrtausendwende zu erwarten ist, darf nicht zu der Annahme verleiten, daß in der Zwischenzeit und für bestimmte Studienfächer die heute noch bestehenden Ungleichgewichte schon kurzfristig abgebaut werden könnten. Angesichts der in den nächsten Jahren noch weiter steigenden Zahl an Hochschulabsolventen kann — falls sich die Wirtschaftslage nicht noch mehr verbessert — nicht ausgeschlossen werden, daß sich die Arbeitslosigkeit für einige akademische Fächer weiterhin ungünstig gestaltet.
Jedoch kann ein Studienverzicht des einzelnen nicht mit generell schlechten Beschäftigungsaussichten für Akademiker begründet werden. Auch bisher war die relative Arbeitsmarktposition der Akademiker besser als die der meisten anderen Gruppen. Die Anforderungen an die Qualifikation und auch an die formale Ausbildung der Arbeitskräfte werden weiter steigen. Deshalb werden die beruflichen Chancen des einzelnen — bei entsprechenden persönlichen Voraussetzungen — nicht etwa dadurch verbessert, daß er/sie auf die höchste Qualifikation, die erreicht werden kann, verzichtet. Ähnliche Schlußfolgerungen können auch für die Hochschulen gezogen werden. Die demographische Entwicklung allein wird sich nicht so rasch auf eine Kapazitätsentlastung auswirken, wie weithin angenommen. Einen sehr viel stärkeren Einfluß haben Veränderungen des Studienverhaltens. Sie werden in den nächsten zwei bis drei Jahrzehnten den (rückläufigen) demographischen Effekt weit überkompensieren. Dann wird wohl erst ab dem Jahre 2015 die Studentenzahl von Mitte der siebziger Jahre wieder erreicht werden, die in etwa der Zahl der Studienplätze (nach heutigem Stand) entspricht. Nach den bisherigen Analysen der Akademikerbeschäftigung und nach den vorliegenden Bedarfsprojektionen wird ein Wandel der Hochschulausbildung in mehreren Richtungen erforderlich: einmal eine Neugestaltung der Studieninhalte im Hinblick auf eine breitere Verwendung in der privaten Wirtschaft (einschließlich der privaten Dienstleistungen). Dies bedeutet nicht eine schlichte Anpassung an den Bedarf der Wirtschaft, sondern die Vermittlung transferierbaren Wissens und übergreifender Schlüsselqualifikationen statt enger fachlicher Kenntnisse. Der Wandel der bundesdeutschen Wirtschaft zu einer forschungs-und entwicklungsintensiven, umweltverträglichen und dienstleistungsorientierten Ökonomie muß auch in den Studieninhalten der Hochschulen berücksichtigt und angeregt werden. Die gegenseitige Information von Hochschulen und Wirtschaft über Qualifikations-angebot und -nachfrage, sowohl in ihren Quantitäten als auch ihren Inhalten, ist eine vordringliche Aufgabe.
Eine weitere mögliche Aufgabenverlagerung der Hochschulausbildung ergibt sich aus der demographischen Entwicklung. Die längerfristig abnehmende Zahl an Schülern, Auszubildenden, Studenten und Absolventen aus allen Bildungsbereichen einerseits und die zunehmende Zahl älterer Erwerbspersonen andererseits könnten dazu führen. daß der Transfer neuen Wissens und neuer Kenntnisse — insbesondere aus der Hochschulausbildung — in die berufliche Sphäre immer stärker von den bereits länger im Erwerbsprozeß stehenden Personen getragen werden muß. Die Weiterbildung von Erwerbs-(wie auch von Nichterwerbs-) personen in höherem Alter und die dazu erforderliche Öffnung auch der Hochschulen für diesen Personenkreis sowie die entsprechende Gestaltung von Studiengängen und -inhalten sind Aufgaben, auf die sich die Hochschulen schon heute vorbereiten sollten.
Manfred Tessaring, Dr. phil., Diplom-Volkswirt, geb. 1945; Wissenschaftlicher Direktor im Institut für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit, Nürnberg; Arbeitsbereich Berufs-und Qualifikationsforschung. Veröffentlichungen zu bildungs-und arbeitsmarktpolitischen Fragestellungen, zum Zusammenhang zwischen Bildung, Qualifikation, Beschäftigung und Arbeitsmarkt sowie zu Prognosen des Angebots und Bedarfs an Personen unterschiedlicher Qualifikation.