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Expansion und Wettbewerb im Hochschulsystem | APuZ 50/1989 | bpb.de

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APuZ 50/1989 Artikel 1 Expansion und Wettbewerb im Hochschulsystem Beschäftigungssituation und -perspektiven für Hochschulabsolventen Hochschulen in Europa Studiengänge, Studiendauer, Übergang in den Beruf

Expansion und Wettbewerb im Hochschulsystem

Jens Naumann /Helmut Köhler /Peter Martin Roeder

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Zusammenfassung

Die Autoren rekapitulieren den Weg in die gegenwärtige Überfüllungskrise der Universitäten und Fachhochschulen und diskutieren die wichtigsten Faktoren, die zur Expansion des Hochschulsektors geführt haben. Insbesondere konstatieren sie — entgegen verbreiteten Annahmen — eine Stagnation in der Entwicklung des Hochschulbesuchs bei Studenten aus Arbeiterfamilien und von Frauen. Vor dem Hintergrund der Prognosen der KMK in den letzten Jahren, vor allem der dramatischen Revision der früher zugrundeliegenden Schätzungen bei derjüngsten Prognose, werden das endgültige Scheitern der sogenannten Überlast-und Untertunnelungsstrategie zur Bewältigung des „Studentenberges“ sowie Perspektiven der weiteren Entwicklung unter Berücksichtigung von Forderungen des Wissenschaftsrates erörtert. Zu diesen zählt auch der Ruf nach stärkerer Differenzierung und mehr Wettbewerb im Hochschulbereich. Der letzte Teil ist der Darstellung von Ergebnissen einer empirischen Untersuchung gewidmet, in der die Reaktion von Hochschullehrern auf solche Forderungen sowie die kollegiale Einschätzung der Qualität von Fachbereichen in vier Disziplinen erhoben wurden.

I. Studentenlawine trotz gebremster Studienneigung

Abb. 1: Studienanfänger nach Art der Hochschule 1960/61 -1988/89 60/61 65/66 70/71 75/76 80/81 85/86 88/89 Wintersemester

Die Aufbruchstimmung und der Elan des „Jahrzehnts Erwartungen eines Endes der Expansion der Bildungsreform“ spiegelt sich besonders wieder einen erneuten Anstieg. Wie Abbildung 1 im starken Anstieg der Studienanfängerzahlen zwischen verdeutlicht, in der die Entwicklung der Studienanfängerzahlen 1965 und 1975 von etwa 54 000 auf rund der Wintersemester zwischen 1960/61 165 000. Bis 1984 haben sich die Anfängerzahlen und 1987/88 nach Hochschultypen dargestellt ist, dann weiter auf gut 230 000 erhöht, und nach zwei vollzog sich die Expansion auf verschiedene Jahren eines leichten Rückgangs gibt es entgegen Weise: — Die alten Universitäten und Hochschulen mit Universitätsrang wurden gewaltig ausgebaut und platzten dennoch aus allen Nähten. Vielfach mußten außerhalb des alten Campus über das Stadtgebiet verteilte Hochschuleinrichtungen geschaffen werden, oder es wurden in Außenbezirken Neubau-komplexe errichtet. Eine der größten Universitäten wie Münster hatte z. B. 1960/61 rd. 11 000 Studenten, 1987/88 aber 44 000. Die damalige Wirtschaftshochschule Mannheim mit 1 400 Studenten entwikkelte sich im gleichen Zeitraum zu einer Universität mit 11 000 Studenten.

Abb. 4: KMK-Prognosen der Studenten insgesamt aus den Jahren 1976. 1987 und 1989 sowie Kapazitätsberechnungen

— Die Neugründung von Universitäten bzw.der Ausbau bestehender Einrichtungen zu Universitäten war eine kaum weniger wichtige Form der Expansion. Während es 1960/61 nur 33 Universitäten und Hochschulen mit Universitätsrang gab (darunter acht Technische Hochschulen), zählte man 1987/88 immerhin 68 vergleichbare Einrichtungen: Das Netz der Hochschulen ist sehr viel dichter geworden. Viele Hochschulen wurden an neuen Standorten und in unterversorgten Gebieten errichtet, z. B. die Universitäten Oldenburg, Dortmund, Bielefeld, Konstanz, die Gesamthochschule Kassel usw.

Die Zahlenangaben bezeichnen die relative Stärke der Zusammenhänge

— Ein wichtiger Motor der Expansion war der Ausbau der Lehrerbildung in der Phase des Lehrermangels der sechziger Jahre. Im Zuge dieser Entwick3 lung wurde die Volksschullehrerausbildung quantitativ erweitert und den Lehrerstudiengängen an den Universitäten zunehmend angeglichen. So gab es 1960/61 77 lehrerbildende Anstalten und Einrichtungen, die später zusammengefaßt und erheblich ausgebaut wurden und als Pädagogische Hochschulen einen wesentlichen Teil der Expansion trugen. In der Phase der rapide abnehmenden Neueinstellungen von Lehrern seit Mitte der siebziger Jahre sind diese dann zum größten Teil in Universitäten eingegliedert oder in solche umgewandelt worden. Bei den Lehramtsstudiengängen an Universitäten gab es — veranlaßt durch die sehr niedrige Nachfrage — erhebliche Rückgänge bzw. Umorientierungen zu anderen Studiengängen.

— Eine entscheidende Veränderung des Hochschulsystems schließlich war die Ende der sechziger Jahre vorgenommene Schaffung eines neuen Hochschultypus: Die Fachhochschulen, hervorgegangen aus den früheren Ingenieurschulen und einer Reihe von höheren Fachschulen, bieten relativ kurze und durchstrukturierte Studiengänge an — überwiegend in den Ingenieurwissenschaften, in Wirtschafts-und Verwaltungsfächern sowie der Sozial-arbeit. Sie bilden gewissermaßen die untere Schicht in der Hochschullandschaft der Bundesrepublik Deutschland: Sie genießen nicht die grundgesetzlich abgesicherte, volle akademische Freiheit; die Lehrdeputate ihrer Professoren sind mit 16 Wochenstunden rund doppelt so hoch wie die an Wissenschaftlichen Hochschulen; höhere akademische Grade werden nicht verliehen; Forschung ist formal kein integraler Bestandteil des Auftrags der Fachhochschulen und ihrer Professoren, und die akademische Selbstverwaltung ist begrenzt.

In der öffentlichen Diskussion spielt plausibler-weise nicht allein die Entwicklung der Studienanfängerzahlen, sondern mehr noch die der gesamten Studentenzahlen eine herausragende Rolle: Die Studienanfänger eines Semesters oder Jahres verbleiben mehrere Jahre im Hochschulsystem und beanspruchen während dieser gesamten Zeit Raum-und Personalkapazitäten, benötigen Wohnraum und finanzielle Unterstützung. Selbst bei stagnierenden Studienanfängerzahlen, wie sie in den vergangenen Jahren vorübergehend zu verzeichnen waren, können deshalb die Studentenzahlen und die Nachfrage nach Studienplätzen insgesamt noch eine Reihe von Jahren zunehmen. Abbildung 2 zeigt die Entwicklung der gesamten Studentenzahlen an Fachhochschulen und Wissenschaftlichen Hochschulen seit der zweiten Hälfte der sechziger Jahre sowie die neueste Projektion der Kultusministerkonferenz (KMK 1989) über die für möglich gehaltene obere und untere Variante der künftigen Entwicklung bis zum Jahr 2010. Ebenfalls eingezeichnet ist die Entwicklung der Geburtsjahrgangsstärke der 21jährigen Wohnbevölkerung, weil damit ein grober Bezug auf die zeitliche Entwicklung der Besetzung der für den Hochschulzugang relevanten Jahrgänge und damit der demographischen Komponente der Studienplatznachfrage möglich wird. Es wird deutlich, daß die Steigerung der Gesamtstudentenzahl seit den frühen siebziger Jahren noch stärker war als die der Studienanfängerzahlen. Dies ist einerseits auf die Verlängerung der durchschnittlichen Studiendauer zurückzuführen, die zwischen 1977 und 1986 an Fachhochschulen von 3, 8 auf 4, 6 Jahre und an Universitäten von 6, 9 auf 7, 6 Jahre anstieg. Zum anderen ist der „Studentenberg“ aber auch demographisch bedingt:

Die Kurve der Jahrgangsstärke der 21jährigen veranschaulicht die demographische Hintergrunddynamik, die seit den sechziger Jahren — mit entsprechender zeitlicher Verzögerung — die Entwicklung der Schülerzahlen in aufeinander folgenden Stufen des Bildungssystems geprägt und in kurzer Abfolge zu steigender und sinkender Beanspruchung der Kapazitäten geführt hat. Zuerst wirkte sich der markante Rückgang der Schülerzahlen — ab Mitte der siebziger Jahre — im Primarschulbereich aus. Gleichzeitig zeigte sich im Sekundarbereich ein starker Anstieg der Jahrgangsstärken, der zur Überfüllung der Gymnasien und zu Lehrstellen-mangel führte. Ab Anfang der achtziger Jahre war in diesem Bereich dann auch eine Entlastung vom demographischen Druck zu verzeichnen, während sich im Hochschulbereich die starke Verringerung der demographischen Nachfrage-Komponente erst im kommenden Jahrzehnt auswirken wird. Wie stark sich dadurch die Studentenzahlen verringern werden, hängt aber auch entscheidend von der künftigen Entwicklung der Abiturientenquote und der Studienneigung der Absolventen mit Hochschulzugangsberechtigung sowie der Studiendauer ab — u. a. auch deshalb die große Schwankungsbreite der KMK-Prognose von 1989.

Zwischen 1975 und 1977 kam es — technisch ausgelöst durch Schüler-und Studentenprognosen der KMK und die Routine der mittelfristigen Finanzplanung — zu einer breiten öffentlichen Diskussion über die bildungspolitischen Konsequenzen der antizipierten demographischen Trends. Im Schulbereich lautete das neue Motto „Abbremsen“ der Neueinstellung von Lehrern und schließlich — ab 1981 — Reduzierung des Lehrpersonals, verbunden mit immer drängender werdenden Warnungen vor den Arbeitsmarktrisiken des Lehrerstudiums. Damit war auch ein deutliches Signal gesetzt für die in den achtziger Jahren abnehmende Bedeutung des Öffentlichen Dienstes als Nachfrager von Hochschulabsolventen. Gleichzeitig war aber auch klar, daß der große, allein schon demographisch bedingte Nachfrageschub nach Studienplätzen erst noch bevorstand.

Der Kompromiß wurde im sogenannten Öffnungsbeschluß der Konferenz der Ministerpräsidenten von 1977 festgeschrieben: bis Anfang der achtziger Jahre Ausbau der Raumkapazität des Hochschulsektors bis zu einem Limit von rund 800 000 Studienplätzen und Beibehaltung des 1975 erreichten Personalbestands, d. h. „Untertunnelung“ des für die achtziger Jahre erwarteten „Studentenbergs“ und Beschränkung auf eine Verwaltung des Studienplatzmangels über die Zentralstelle zur Vergabe von Studienplätzen (ZVS) in den Numerus-clausus-Fächern und durch „Überlastquoten“ für die Hochschulkapazitäten.

Diese politische Linie wurde von Bund und Ländern im Kern bis heute durchgehalten. So kann man überspitzt formulieren, daß der 1977er „Öffnungsbeschluß“ strukturell ein Stagnationsbeschluß war, der die Entwicklung des Hochschulbereichs von den Veränderungen des Schulbereichs in der Hoffnung auf eine spätere, gewissermaßen automatische Entlastung der Situation durch demographische Faktoren weitgehend abkoppelte.

Untermauert wird diese These durch den Vergleich der Entwicklung im Zeitablauf von Prozentanteilen des Jahrgangs der 13jährigen an den drei wichtigsten Schularten der Sekundarstufe und den Prozentanteilen eines Jahrgangs, die ein Studium an Fachhochschulen oder Universitäten aufgenommen haben (Abbildung 3). Der relative Schulbesuch der 13jährigen an Gymnasien und Realschulen verdoppelte sich zwischen 1965 und 1980, der Jahrgangs-anteilan Hauptschulen fiel von knapp 70 auf rd. 35 Prozent. Im nächsten Jahrzehnt kann mit einem weiteren Anstieg der Realschul-und Gymnasiums-anteile gerechnet werden — unter anderem als Konsequenz der inzwischen deutlich werdenden Integrationserfolge bei Ausländerkindem. Die noch in den sechziger Jahren — vor allem an den Gymnasien — sehr starke regionale, soziale und geschlechtsspezifische Selektivität konnte deutlich verringert bzw. abgebaut werden.

Im Vergleich dazu zeigen die Studienanfängeranteile zwischen 1975 und 1985 insgesamt Schwankungen um das bereits 1975 erreichte Niveau, was eine verringerte Studienneigung anzeigt, wie sie angesichts dramatisch verschlechterter Arbeitsmarkt-lage — insbesondere für Lehrer — und verschlechterter Studienbedingungen sowie des insgesamt wenig ermutigenden Klimas der bildungspolitischen Diskussion nicht besonders überraschen darf.

Im Hochschulbereich lag die Zeit großer Strukturveränderungen in der Zusammensetzung der Studentenschaft zwischen 1960 und den frühen siebziger Jahren — eine Folge der Erhöhung der Abiturientenquote von etwa acht auf rund 14 Prozent in diesem Zeitraum. Die enormen Strukturveränderungen in der Sekundarstufe nach 1965 (die erst nach 1973 Auswirkungen auf den Hochschulbesuch hätten haben können) haben sich also bisher (noch) nicht in bemerkenswerter Weise im Hochschulbesuch niedergeschlagen. Die soziale Selektivität des Hochschulbereichs hat sich bis 1975 etwas verringert, danach ist sie bestenfalls konstant geblieben (einige Indikatoren lassen sogar eine Verschärfung der sozialen Selektivität in den achtziger Jahren vermuten). Dasselbe Bild gilt für den Abbau der geschlechtsspezifischen Unterschiede im Zugang zu den Hochschulen. Die deutliche Verbesserung des Frauenanteils beim Hochschulzugang stagniert jedoch seit Mitte der siebziger Jahre.

Die Heranführung bildungsfemerer Schichten an weiterführende Bildungsgänge, wie sie seit der Großen und der Sozialliberalen Koalition im Schulbereich zumindest teilweise realisiert wurde, hat im Hochschulbereich bisher keine entsprechenden Veränderungen zur Folge gehabt. Stark angewachsen ist dagegen seit Anfang der siebziger Jahre der Anteil der Hochschulzugangsberechtigten, die eine Lehre absolvieren. Die öffentliche Debatte über die Überfüllungskrise der Hochschulen und den Numerus clausus, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten nach 1973, die zunehmende Arbeitslosigkeit unter Hochschulabsolventen ab Ende der siebziger Jahre, die Einschränkungen der Bafög-Förderung nach 1980, der generelle bildungspolitische Stimmungsumschwung nach 1975 — all diese Faktoren haben primär in denjenigen sozialen Milieus bremsend gewirkt, die im Schulbereich von der „bewußten Bildungsreform“ zwischen 1965 und 1975 mobilisiert wurden.

II. Perspektiven vom Höhepunkt der Überfüllungskrise

Abb. 2: Studenten und 21jährige Wohnbevölkerung 1965 bis 2010

Zwischen 1976 und 1989 hat die KMK zehn Prognosen über die mittel-und langfristige Entwicklung der Schüler-, Studienanfänger-, Studenten-und Absolventenzahlen vorgelegt Diese Prognosen sind keine beliebigen Rechenexerzitien, sondern politisch und praktisch wichtige Dokumente für die öffentliche Auseinandersetzung sowie die parlamentarische und verwaltungsmäßige Festlegung von Eckpunkten des kollektiven Handelns und seiner Finanzierung. In derartige Prognosen gehen einerseits (neue) Erkenntnisse über die empirische Ausgangsbasis in Vergangenheit und Gegenwart ein, andererseits Annahmen über die (immer unsichere) künftige Entwicklung von teilweise politisch beeinflußbaren, teilweise nicht-beeinflußbaren Faktoren, und nicht zuletzt werden auch politische Zielsetzungen und deren Konsequenzen berücksichtigt. Prognosen dürfen nicht allein danach beurteilt werden, ob die spätere Entwicklung sie als „richtig“ oder „falsch“ ausweist. Ihr Zweck ist vielmehr der möglichst rationale Umgang mit Unsicherheit und offenen Zukünften durch die systematische Organisation und Offenlegung von politischen Zielsetzungen, gegenwärtigem Stand der Erkenntnis und plausiblen Annahmen über künftige Entwicklungen. Abbildung 4 erlaubt uns, die Geschichte der KMK-Prognosen seit der Debatte über die Öffnung der Hochschulen Mitte der siebziger Jahre zusammenzufassen.

Die Prognosen aus den Jahren 1976 bis 1987 zeigen sämtlich das Bild des mehr oder weniger nahen Gipfels des „Studentenbergs“ und des rapiden Rückgangs auf ein Niveau, das in den Größenordnungen von Mitte der siebziger Jahre liegt. Dabei verschiebt sich der Gipfelpunkt des „Studentenbergs“

bis zur 1987er Prognose nach rechts; 1986 kommt die Entwicklung bis zum Jahr 2000 sowie 1987 die Perspektive bis zum Jahr 2010 ins Blickfeld (1986 übrigens mit deutlichen Korrekturen der Studentenzahlen nach unten).

Bezeichnend ist, daß die KMK sowie der Wissenschaftsrat und die Bund-Länder-Konferenz für Bildungsplanung bis zur 87er Prognose glaubten, an den wichtigsten Prämissen der „Untertunnelungsstrategie“ festhalten zu können, obwohl die Annahmen der Berechnung immer unrealistischer wurden und ihnen das Licht am Ende des Tunnels immer ferner zu leuchten schien. 1989 räumt die KMK nun diese Position (sicherlich nicht nur wegen der neuen Prognose der Schulabsolventen und der neuerlich steigenden Studienanfängerquote, sondern wohl auch unter dem Eindruck der Unruhen an den Universitäten im Winter 1988/89). Ihre neue Prognose unterscheidet sich insofern radikal von ihren Vorläufern, als selbst die unterste Variante nie auch nur in die Nähe der bis heute geltenden Kapazitätsgrenze kommt und die Tendenzen für die Zeit nach 2000 nach oben zeigen. Die 89er KMK-Prognose ist damit eine massive politische Aufforderung, die räumlichen und personellen Ressourcen der Hochschulen ganz erheblich aufzustocken und die Strategie der „Untertunnelung“ aufzugeben. Sie bedeutet die direkte Konfrontation mit den Positionen der Konferenz der Finanzminister, die eine fühlbare Aufstockung der Hochschulfinanzen nach wie vor ablehnt. Was sind die inhaltlichen Gründe für die hohen Werte der 89er KMK-Prognose, und sind sie plausibel?

Eine wichtige Veränderung der Annahmen in der letzten KMK-Rechnung gegenüber der Vorläufer-prognose ist die Erhöhung der durchschnittlichen Studienzeit auf 7, 35 Jahre an Wissenschaftlichen Hochschulen und auf 4, 65 Jahre an Fachhochschulen für die Zeit bis 1990 für die obere Variante der Berechnungen bis 2010. Diese Annahme widerspricht einerseits den politischen Forderungen in der Öffentlichkeit und auch der Position des Wis-B senschaftsrates, der an der Vorstellung der Notwendigkeit und der Realisierbarkeit einer erheblichen Verkürzung der durchschnittlichen Studienzeit bis zum Diplom auf „ 4 plus“ Jahre festhält. Andererseits gibt die bisherige Geschichte von Bemühungen zur Reform und Verkürzung von Studiengängen keinen Anlaß für übertriebenen Optimismus. In den früheren Prognosen war die Verkürzung der Studienzeit in Anpassung an die Realität immer weiter in die Zukunft verschoben worden. Bei der neuesten Berechnung wird nur in einer optimistischen Variante für die Zeit nach 1995 noch mit einer Verringerung der Studienzeiten gerechnet. Bis dahin könnten veränderte Studienbedingungen und die Situation auf den nationalen und europäischen Arbeitsmärkten möglicherweise eine Verringerung der Prognosewerte für die Verweildauer an den Hochschulen notwendig machen.

Die zweite wichtige Veränderung betrifft die Berechnungsgrundlage: Die revidierte Vorausberechnung der Schüler-und Absolventenzahlen bis 2010 vom April 1989 weist gegenüber der letzten Prognose Jahr für Jahr wesentlich höhere Zahlen an Studienberechtigten aus. Während 1987 z. B. für das Jahr 1995 noch mit 188 500 Studienberechtigten gerechnet wurde, geht man jetzt von 211 600 aus. Damit kommt man auf eine Erhöhung des Anteils der Studienberechtigten an der gleichaltrigen Wohnbevölkerung von derzeit rd. 30 Prozent auf rd. 35 Prozent im Jahr 1995; für das Jahr 2000 und danach wird mit einer Quote von 37 Prozent gerechnet. Die Entwicklung bis 1995 läßt sich mit Hilfe der derzeitigen Übergangsquoten auf Schulen, die zur Hochschulreife und Fachhochschulreife führen, relativ gut abschätzen, so daß diese Revision der Annahmen gut begründet ist. Weniger plausibel scheint die Annahme, daß der langfristige Trend zu einer Erhöhung der Berechtigtenquote nach der Jahrtausendwende abbricht. Dagegen spricht, daß das Schulwahlverhalten der zu einem höheren Anteil an Hochschulen ausgebildeten Elterngeneration wahrscheinlich zu einer weiteren Erhöhung der Quote führt. Zudem dürfte die erneut einsetzende Diskussion über Chancengleichheit bzw. soziale Selektivität im Bildungssystem bei nachlassendem demographischen Druck und nachlassender Kapazitätsüberlastung tendenziell eher einen Trend zu höheren Quoten begünstigen.

Der dritte wichtige Faktor für den Veränderungsschub ist die Anhebung der Annahmen über die Studienneigung der Hochschulberechtigten — die noch 1986 kräftig nach unten revidiert worden waren — für die obere Variante der Berechnung. Diese Anpassung war notwendig geworden vor dem Hintergrund neuer empirischer Trends seit Mitte der achtziger Jahre. Für diese Veränderung der Annahmen spricht, daß bei künftig wegen der demographischen Entwicklung etwas entspannteren Gesamtlage an den Hochschulen junge Menschen noch eher einen Studienentschluß fassen könnten, als sie es ohnehin schon in den letzten Krisenjahren taten, und dies u. U. nicht trotz, sondern wegen der schwierigen Arbeitsmarktsituation.

Die Auseinandersetzung um Studentenzahlen und Ausbauperspektiven des Hochschulsektors waren und sind auch heute und in Zukunft nie das einzige oder auch nur wichtigste Thema der öffentlichen Diskussion um die Hochschul-und Wissenschaftspolitik. Vielmehr wird dieses abstrakte und gleichzeitig praktisch relevante Thema stets begleitet einerseits von allgemeinen ideologisch-wertmäßigen Akzentsetzungen, andererseits von speziellen Themenpräferenzen und Prioritäten. Dies wird deutlich, wenn wir uns — ohne Anspruch auf Vollständigkeit — die Abfolge einiger wichtiger Themen-schwerpunkte mit Hilfe der in der politischen Diskussion kursierenden Schlagworte in Erinnerung rufen:

— Bis Anfang der siebziger Jahre hatten sich die mobilisierenden Argumente aus den Anfängen der Bildungsreformphase — wirtschaftlich-technologische Konkurrenzfähigkeit und Chancengleichheit — durchgesetzt; sie wurden abgelöst durch konkreter auf die Expansionsphase bezogene Themen: Demokratisierung der Binnenstruktur der Hochschulen (Abbau der Ordinarienuniversität), politische Verantwortung der Wissenschaft, Planungsoptimismus, Interdisziplinarität, Relegitimierung und Revitalisierung sozialistischer Denktraditionen und Perspektiven.

— Die frühen siebziger Jahre sind geprägt durch eine zunehmende Links-Rechts-Polarisierung, die auch die Diskussion für den zweiten Teil der Dekade bestimmte: Gesamthochschule, akademische Mitbestimmung, bildungspolitischer Stimmungsumschwung nach 1975, Jugendarbeitslosigkeit, Abbremsen von Schul-und Hochschulexpansion, Unsicherheit und Einflußverlust der akademischen Linken, „Berufsverbote“, RAF-Terrorismus, „Deutschland im Herbst“, Beginn der Öko-und AKW-Bewegung, neue Wissenschaftsskepsis, Erstarken liberal-konservativer wissenschafts-und hochschulpolitischer Positionen.

— Für die „Wendezeit“ seit Anfang der achtziger Jahre gilt: aus liberal-konservativer Sicht Betonung disziplinärer akademischer Leistungsstandards bei gleichzeitig verstärkter Förderung technologisch-wirtschaftlicher Anwendungen und Umsetzungen durch Institutionen außerhalb des Universitätssektors; relative Vernachlässigung des Hochschulsektors; Kritik an bürokratischer Unbeweglichkeit und Unselbständigkeit von Hochschulen und ihren Einrichtungen, Hoffnung auf Deregulierung und Wettbewerb zur Effizienz-und Leistungssteigerung in Forschung und Lehre; gleichzeitig Konsolidierung der Linken unter einem Amalgam öko-libertär-sozialistischer Perspektiven; Verschlechterung der Studienbedingungen, zunehmende Arbeitsmarkt-probleme für Hochschulabsolventen.

Wir können hier nicht die ganze Vielfalt dieser Themen weiter verfolgen, sondern beschränken uns auf zwei Komplexe, die vom Wissenschaftsrat in seinen umfangreichen Empfehlungen aus dem Jahr 1988 besonders hervorgehoben werden: Probleme der Mittelausstattung und Finanzierung des Hochschulbereichs sowie die Verstärkung des Wettbewerbs im akademischen Leben.

In ungewöhnlich direkter und drängender Form weist der Wissenschaftsrat auf die Probleme und Gefahren hin, die die seit 1975 weitgehende Stagnation der Mittelzuweisung für den Hochschulbereich inzwischen heraufbeschworen hat. Die öffentlichen Netto-Ausgaben für den Hochschulsektor sind zwischen 1975 und 1986 real um mehr als zwei Prozent gesunken, vor allem wegen des starken Abbaus der Bundesbeteiligung an der Studienförderung, am Hochschulausbau und am Wohnheim-bau. Andererseits stieg die Bundesfinanzierung für Hochschulforschung. Insgesamt ist der Anteil der Hochschulausgaben am Bruttosozialprodukt gegenüber 1975 leicht gesunken. Hinter diesen allgemeinen Ausgabentrends verbirgt sich eine drastische Reduzierung der Investitionen, vor allem im Baubereich. Die Zahl der Stellen für Professoren und wissenschaftliches Personal stagniert seit 1975. Die realen laufenden Ausgaben fielen seit 1980 um einige Prozentpunkte, die laufenden Ausgaben pro Student sanken dramatisch.

Der Wissenschaftsrat sieht die reale Gefahr eines starken Abbaus der in den sechziger und frühen siebziger Jahren aufgebauten wissenschaftlichen und technologischen Kapazitäten bis hin zur Gefährdung der internationalen Konkurrenzfähigkeit. Er plädiert für eine starke Verringerung der medizinisch-klinischen Kapazitäten und Ausbildung (bei Erhöhung der Einnahmen der Kliniken) und unterstreicht die Dringlichkeit der Modernisierung und Erweiterung der technischen Forschungsinfrastruktur in allen Fächern. Da er die Möglichkeiten einer noch weiter verstärkten Finanzierung durch die Länder für erschöpft hält, ruft er die Bundesregierung auf, ihre wachsende Wissenschafts-und Forschungsförderung teilweise auf den Hochschulbereich umzulenken. Darüber hinaus solle die Bundesregierung von ihrer verfassungsmäßigen Verantwortung im Hochschulbereich Gebrauch machen, um substantiell zur Stärkung der Lehre und der Forschung an den Hochschulen beizutragen.

Es muß betont werden, daß diese Einschätzung des Wissenschaftsrates von 1988 sich auf die damals veröffentlichte untere Variante der KMK-Prognose von 1987 bezog (vgl. Abbildung 4), d. h. also, daß sie angesichts der neuesten Prognose ganz erheblich an kritischem Gewicht gewinnt. Und in der Tat wird der hinhaltende Widerstand der Finanzminister-konferenz verständlich, wenn man bedenkt, daß die politische Diskussion sich auf zusätzliche Mittel für die kommenden Jahre in der Größenordnung von (mindestens) sechs Mrd. DM bezieht, das sind etwa ein Viertel der bisherigen jährlichen Hochschulausgaben. In einer inzwischen moderateren Form griff der Wissenschaftsrat 1988 seine Empfehlung aus dem Jahre 1985 zur Verstärkung des Wettbewerbs in Forschung und Lehre wieder auf. Grundmotiv dieser Empfehlung ist einerseits die Zeit-und Kosten-effizienz (vor allem im Bereich der Lehre), andererseits die Sichtbar-und Bewußtmachung von Leistungsdifferenzen, um so die effiziente Weiterförderung von personellen und institutioneilen Potentialen zu erlauben. Unterstellt wird in dieser Argumentation, daß die heute dominierenden Mechanismen der Ressourcenzuteilung — vom Zugang zu Forschungsmitteln bis zum Zugang zu Studienplätzen — Leistungs-und Qualitätsunterschiede nicht oder nur unzureichend berücksichtigen. Für den Bereich der Hochschulforschung wird daher die konkurrenzfördernde und — global gesehen — lei-stungsgerechte Form der Drittmittelfinanzierung gegenüber der relativ leistungsindifferenten Grundausstattung betont. Voraussetzung dafür sei die Legitimierung und Sichtbarmachung von Leistungsunterschieden und eine leistungsgerechte Förderung.

Für den Bereich der Lehre und des Studiums wird festgestellt, daß es für Lehrkräfte und Studenten zu wenig Anreize und Belohnungen für zeiteffizientes und leistungsorientiertes Verhalten gäbe. Die Reformvorschläge reichen daher von der Verpflichtung, neben den individuellen Zeugnisnoten von Prüflingen den Notenspiegel der Gesamtheit von Absolventen des Prüfers oder des Fachbereichs anzugeben, Vergünstigungen bei der (Rückzahlung von) Studienförderung vom Prüfungsergebnis und von der Studienzeit abhängig zu machen, die Studienzulassung abzukoppeln vom zentralen Verfahren der ZVS wie vom Abitur als genereller Eintrittskarte und der einzelnen Universität (bzw. ihren Fachbereichen) größeren Einfluß bei der Studentenauswahl zu überlassen, die staatliche Finanzierung von Graduiertenprogrammen nur bei der zeiteffizienten Reorganisation der davor liegenden Diplomstudiengänge fortzusetzen, bis hin schließlich zu ökonomischen Anreizen für Hochschullehrer, damit diese mehr als das Minimum an Lehrleistungen erbringen.

Diese Wettbewerbsempfehlungen trafen und treffen auf Mißtrauen und Widerstand, weil befürchtet wird, daß sich hinter dem Plädoyer für eine „Modernisierung“ die Gefahr einer eindimensionalen Funktionalisierung der Hochschulen und einer Beschränkung der akademischen Freiheit verbirgt. Eine Forschungsgruppe unseres Instituts ist den Vermutungen und Unterstellungen der Befürworter wie der Gegner von Wettbewerb und sichtbarer Leistungsdifferenzierung nachgegangen. Hierzu seien im folgenden einige Ergebnisse vorgestellt.

III. Pluralismus in der Wissenschaft und der Januskopf des Wettbewerbs

Abbildung 3

In den fünfziger Jahren gab es schätzungsweise vier Prozent Akademiker in der Erwerbsbevölkerung; heute sind es einschließlich der Fachhochschulabsolventen rd. zehn Prozent, in den jüngeren Jahrgängen etwas mehr. Der Prozentsatz der Promovierten, die der Wissenschaftsrat als den wissenschaftlichen Nachwuchs bezeichnet, ist langsamer angewachsen und wird heute rd. 1, 5 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Diejenigen mit noch höheren akademischen Weihen (Professoren, Privatdozenten) entsprechen auch heute nur wenigen Tausendstel eines Altersjahrgangs. Kein Wunder also, daß diese kleine Minderheit bis heute im Selbstbild und in literarischen oder empirisch-sozialwissenschaftlichen Darstellungen zumeist als homogene Gruppe erscheint, die durchschnittlich recht gute Einkommen erzielt und sich durch vergleichsweise liberale Ansichten und Verhaltensweisen auszeichnet — eben als „Akademiker“ auftritt.

In bestimmten Dimensionen war und ist dieses Bild korrekt, in anderen war es schon immer, in jüngerer Zeit aber zunehmend stärker, irreführend und falsch. Die Denkstile und Verhaltensweisen von Menschen werden nicht nur durch die Dauer und das Niveau ihrer Ausbildung geprägt, sondern auch immer durch ihr sozio-kulturelles Herkunftsmilieu und ihre fach-disziplinäre Spezialisierung.

Die langfristige, schrittweise Öffnung des Akademikerstatus reicht inzwischen weit über die engen Kreise der traditionellen Oberschichten hinaus. Die erhebliche absolute Zunahme der Zahl der Hochschulabsolventen und Studenten spiegelt auch die Erweiterung der in Hochschulen verankerten Disziplinen wider durch Auffächerung und Spezialisierung sowie durch die Einbeziehung weiterer und neuer „Professionen“, die unter bestimmten wertmäßigen Prämissen Spezialkenntnisse verschiedener Disziplinen zu berufsorientierten Studienbereichen kombinieren (Lehrer, Journalisten, Sozialarbeiter, Verwaltungsfachleute neben den älteren Professionen wie Ärzte, Juristen, Ingenieure).

Die Konsequenz dieses Prozesses ist, daß die Verschiedenartigkeit der Fächer und Professionen, ihrer Wahrheitskriterien und Methoden, ihrer Relevanzvorstellungen und Praxisbezüge deutlicher werden, weil sie von sehr viel mehr „gebildeten“ Menschen verstanden und artikuliert werden können. Die Gelehrtenrepublik wurde geteilt in viele Teilrepubliken Eine Folge davon ist die schwieriger gewordene Kommunikation zur Überwindung der Grenzen zwischen den akademischen Teilbereichen selbst und den nicht-akademischen Gesellschaftsbereichen. Diese Kommunikation wird ermöglicht durch die Orientierung an allgemeineren, aber nicht einheitlichen und konfliktlosen Werten und Ideologien. Sie findet als gesellschaftliche Kommunikation Ausdruck in verschiedenen Formen politischer Auseinandersetzungen. Aus dieser Perspektive betrachtet, ist es nicht verwunderlich, daß — sich die politisch-ideologischen Orientierungen der Angehörigen verschiedener Fächergruppen systematisch und in international ähnlicher Form voneinander unterscheiden; — der akademische Bereich in politisch-ideologische Kontroversen besonders einbezogen wird, ja sie dort ihren kulturellen Ursprung und ihre „Heimat“ haben (insbesondere natürlich in solchen Fächern, bei denen „gesellschaftliche Situationsdefinitionen“ im Mittelpunkt stehen);

— die politische Polarisierung und Mobilisierung des Hochschulbereichs (bei systematisch unterschiedlicher Einbeziehung der verschiedenen Fächer) zum modernen, differenzierten System von Massenuniversitäten strukturell dazugehört und keine Fehlentwicklung darstellt.

Vor diesem Hintergrund wird die Skepsis der akademischen Öffentlichkeit gegenüber den Wettbewerbsempfehlungen vielleicht etwas plausibler. Wie stark waren nun Ablehnung und Zustimmung, und — wichtiger noch — gibt es oder gibt es keine sichtbaren und begründeten Leistungs-und Reputationshierarchien? Im Rahmen einer Studie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung zu diesen Fragen hatten wir 1984 an alle Hochschullehrer und den Mittelbau der Fächer Politikwissenschaft, Soziologie, Volks-und Betriebswirtschaftslehre und Physik an allen Universitäten in der Bundesrepublik unseren Fragebogen versandt. Statt ihn jedoch zu beantworten, reagierten viele befragte Hochschullehrer mit scharfem telefonischen oder schriftlichen Protest auf die Zumutung, ihre Meinungen zu heiklen bildungspolitischen Themen zu äußern und Urteile über die Qualität der Fachbereiche ihrer Disziplin abzugeben. Sie befürchteten ganz offensichtlich einen politischen Mißbrauch der Ergebnisse. Die Folge dieser Einschätzung waren vergleichsweise niedrige Rücklaufquoten und eine beträchtliche Verzerrung in der Urteilstendenz zugunsten der Befürworter einer stärkeren Differenzierung im Hochschulsystem. Dies zeigte sich in einer telefonisch mit einer kleineren Zufallsstichprobe von Professoren der Politologie und Soziologie durchgeführten Nachbefragung: Von den Wissenschaftlern, die unseren Fragebogen beantworteten, befürwortete mehr als die Hälfte eine stärkere Differenzierung und Wettbewerbsorientierung, unter den Wirtschaftswissenschaftlern waren es sogar mehr als zwei Drittel. Die Nachbefragung zeigte jedoch, daß nach Berücksichtigung der Verzerrung eine knappe Mehrheit von Soziologen, Politologen und Physikern eine solche Entwicklung ablehnt und sie nur noch von einem guten Drittel klar befürwortet wird (unter der Annahme, daß die Verzerrung der realisierten Stichprobe, wie wir sie durch die Nach-erhebung kontrollierten, für alle untersuchten Fächer gilt). Nur bei den Wirtschaftswissenschaftlern ergibt sich auch nach der Korrektur der Fragebogenergebnisse noch eine knappe Mehrheit für die Befürwortung. , Diese Unterschiede zwischen den Disziplinen spiegeln ihre Verortung aufeinem Spektrum allgemein-und bildungspolitischer Einstellungen. Bei den Politologen und Soziologen konnte ein solcher Zusammenhang zwischen allgemeineren politischen Einstellungen (indirekt erfaßt über die Bewertung eines politisch breiten Spektrums von Fachzeitschriften) und Einstellungen zum Wettbewerb im Hochschulbereich belegt werden: Die politisch eher „rechten“ Wissenschaftler befürworten die Wettbewerbsverstärkung häufiger, die politisch eher „linken“ lehnen sie stärker ab.

Welche Trends der Hochschulentwicklung halten nun die antwortenden Wissenschaftler der einbezogenen vier Disziplinen für wahrscheinlich und wie bewerten sie diese Entwicklung? Zunächst einmal halten sie mehrheitlich einen Trend zu stärkerer Differenzierung im Hochschulbereich für wahrscheinlich. und sie glauben, daß er vor allem durch den bewußt selektiven Einsatz von Drittmitteln zur Forschungsförderung unterstützt wird. Eine etwas geringere Rolle wird dabei der universitätsinternen leistungsorientierten Mittelzuweisung zugedacht. Vor allem die Ökonomen glauben häufiger, daß es dazu nicht kommen wird, obwohl sie dieses Instrument besonders positiv einschätzen. Die stärkere institutioneile Absicherung des Unterschieds zwischen Fachhochschulen und Universitäten hinsichtlich Aufgabenstellung und Status wird ebenfalls von einer deutlichen Mehrheit der Befragten aller Disziplinen als Teil dieses Differenzierungsprozesses erwartet und insbesondere von den antwortenden Physikern und Wirtschaftswissenschaftlern extrem positiv bewertet. Für eher unwahrscheinlich halten es die Befragten dagegen, daß sich die Wettbewerbssituation im Hochschulbereich durch stärkeren Einsatz privater Mittel — sei es durch ein verstärktes Angebot privater Universitäten, sei es durch die Vermehrung privater Stiftungslehrstühle — verändern wird. Insbesondere die Politologen und Soziologen sind geneigt, beides auch eher negativ zu bewerten.

Besonders skeptisch wird die Wahrscheinlichkeit eingeschätzt, daß die Hochschulen in Zukunft die Möglichkeit erhalten werden, ihre Studenten aus den Studienbewerbern selbst auszuwählen — ein Instrument, das in vielen Hochschulsystemen des Auslands das vielleicht wichtigste Mittel zur institutionellen Differenzierung und zur Festigung von Wettbewerbspositionen ist. Bei Physikern und Ökonomen besteht eine deutliche Diskrepanz zwischen der überwiegend positiven Bewertung dieser Möglichkeit und der skeptischen Einschätzung ihrer Wahrscheinlichkeit.

Zwei Fragen waren der Reorganisation der Studiengänge gewidmet. Die erste galt der Durchsetzung eines kürzeren Erst-oder Anfangsstudiums, das analog zu angelsächsischen Undergraduate-Programmen mehr allgemeinbildende Elemente enthält, die zweite der stärkeren Strukturierung von Studienphasen nach dem ersten Hochschulabschluß in engerer Verbindung zu Forschungsprogrammen. Die Durchsetzung eines Undergraduate-Studiums wird von der Mehrheit der antwortenden Wissenschaftler für eher unwahrscheinlich gehalten; von den Politologen und Soziologen wird sie zugleich positiver bewertet als von den anderen Disziplinen. Noch positiver wird freilich von allen Wissenschaftlern die Neustrukturierung des Graduiertenstudiums bewertet. Die Skepsis, daß es dazu auch kommen wird, ist bei den Physikern am geringsten. Kaum minder wichtig ist den Befragten, daß die Gleichheit der Ausbildung durch staatliche Hochschulfinanzierung und öffentliche Studienfinanzierung gesichert wird. Politologen und Soziologen sind eher skeptisch, daß dies auch gelingt.

Ungeachtet der Verzerrung unserer Stichprobe läßt sich also zusammenfassend für Wissenschaftler aller vier Disziplinen festhalten: Für weniger wahrscheinliche Entwicklungen halten sie die Verkürzung und Neustrukturierung des Erststudiums, die Rekrutierung von Studenten durch die Universitäten sowie eine Steigerung des Angebots privater Hochschulen und Stiftungslehrstühle. Auch in der Bewertung solcher Trends sind sie eher skeptisch. Als ebenso wahrscheinlich wie begrüßenswert erscheint den antwortenden Wissenschaftlern dagegen der Einsatz von Drittmitteln zur gezielten, leistungsorientierten Schwerpunktsetzung in der Forschung. Eine höchst positive Bewertung erfahren die Abgrenzung gegenüber der Fachhochschule, eine forschungsorientierte Neustrukturierung des Graduiertenstudiums und Anstrengungen zur Sicherung der Gleichheit der Ausbildung — bei zwischen den Fächern unterschiedlicher Einschätzung der real zu erwartenden Entwicklung. Hervorgehoben werden sollte ferner, daß es so gut wie keine Unterschiede im Meinungsprofil der Professoren und der wissenschaftlichen Mitarbeiter der einzelnen Fächer gibt.

Nun kann die Diskussion über Differenzierung und Wettbewerb im Hochschulbereich nicht von der Tatsache absehen, daß die Hochschulen auch ohne weitere institutionelle Verstärkung in einem dauernden Wettbewerb um Wissenschaftler, Studenten und finanzielle Ressourcen stehen. Und der Prozeß ihrer Expansion war nicht nur einer der institutioneilen Homogenisierung. Zu vermuten ist vielmehr, daß mit der Gründung neuer Universitäten, die ihre Studenten großenteils regional rekrutieren und die häufig das traditionelle Fächerspektrum nur partiell anbieten, dafür aber bestimmte Schwerpunkte in Lehre und Forschung setzen, auch Differenzierungsprozesse verbunden waren. Die von uns durchgeführten statistischen Analysen, die Universitäten in bezug auf Ähnlichkeit in bestimmten Merkmalen wie Studentenzahl und Vollständigkeit des Fächerangebots gruppieren, bestätigen solche Vermutungen. Die so gebildeten Gruppen von Universitäten unterscheiden sich z. B. beträchtlich im Hinblick auf ihre Attraktivität für Studenten: 57 Prozent der Varianz der Studienplatznachfrage in den Wirtschaftswissenschaften lassen sich statistisch durch die Zugehörigkeit zu den gebildeten Hochschultypen erklären. Und selbst die Varianz des fachlichen Prestiges von wirtschaftswissenschaftlichen Fachbereichen wird zu 43 Prozent durch diese Zugehörigkeit erklärt. Zwischen den Universitäten bestehen offenbar beträchtliche Positionsunterschiede im Wettbewerb um Studenten und um angesehene Wissenschaftler.

Schon diese Befunde sind geeignet, die — spezifisch deutsche — normative Vorstellung von der prinzipiellen Gleichwertigkeit unserer Universitäten in Frage zu stellen. Dies gilt erst recht für die Ergebnisse unserer direkten Fragen nach der Qualität von Forschung und Lehre der Fachbereiche an deutschen Universitäten im jeweiligen Fach der Befragten (die Einstufung erfolgt einerseits auf einer vierstufigen Skala von eher niedrig bis eher hoch bzw. Hinweis auf fehlende Information und andererseits durch die mögliche Zuordnung eines Fachbereichs zur Spitzengruppe oder zu den „Schlußlichtern“ — je fünf Nennungen möglich). Die Ergebnisse spiegeln gewissermaßen „amerikanische Verhältnisse“: Für jedes der vier Fächer ergibt sich eine klare — aber untereinander nicht identische — Rangreihe des wissenschaftlichen Ansehens der Fachbereiche, die — wie verschiedene Überprüfungen ergeben — stabil und statistisch zuverlässig ist. Zwar ist vor allem bei den Soziologen und Politologen das Qualitätsurteil über Fachbereiche keineswegs ganz unabhängig von ihrer politischen Einstellung (hier gemessen an einer Skala, die Gegner und Befürworter der Differenzierung trennt), aber die Konsistenz dieses Urteils ist auch hier groß. Bei den Wirtschaftswissenschaftlern spielen solche politischen Einstellungen nur im unteren Bereich der Prestigerangreihe eine gewisse Rolle. Dieses Ergebnis mag überraschen, vor allem im Hinblick auf die Soziologie. die häufig als junge, noch ungefestigte und in verfeindete Lager gespaltene Disziplin wahrgenommen wird. Auf die Frage nach der Existenz einer Prestigeordnung, die unter Hochschulangehörigen der Disziplin konsensfähig sei, antworteten nur 40 Prozent der von uns befragten Politologen und Soziologen positiv. Fast ebenso viele verneinten dies (die entsprechenden Prozentsätze bei Ökonomen und Physikern sind: jeweils ca. 70 Prozent positiv und 22 Prozent bzw. 17 Prozent negativ); trotzdem sind die Rangreihen von Befürwortern und Gegnern eines verstärkten Wettbewerbs konsistent. Auch Soziologie und Politologie sind also insofern normale Wissenschaften, als sie über gemeinsame und übergreifende Standards verfügen; auch für sie ist Reputation ein wesentliches Medium der „Selbststeuerung der Wissenschaft“ sind Qualitätsurteile über Institutionen, Personen und Produkte der wissenschaftlichen Arbeit unvermeidlicher Teil des Professionsalltags.

Wir gehen deshalb davon aus, daß solche Urteile ihre Basis in realen Erfahrungen und Beobachtungen haben, daß Reputation gewonnen wird auf der Basis wissenschaftlicher Arbeit und ihrer Rezeption in der Disziplin. Damit ist zugleich zu erwarten, daß auch die Rahmenbedingungen der wissenschaftlichen Arbeit — also die Verfügung über personelle und finanzielle Ressourcen sowie die normative Forschungsorientierung eines Fachbereichs — einen mindestens indirekten Einfluß auf die Reputation von Fachbereichen haben.

Um diese These überprüfen zu können, haben wir zusätzlich zur Fragebogenerhebung Daten zu fünf weiteren Dimensionen ermittelt: Studentenzahl und Fächerangebot der Universitäten, Personalsituation der Fachbereiche, Zahl der DFG-Projekte im Zeitraum 1981 bis 1984, Zahl der Veröffentlichungen der Hochschullehrer (Monographien, Aufsätze, Konferenzbeiträge, Herausgeberschaft), Häufigkeit der Zitierung von Veröffentlichungen der Hochschullehrer in einem Zeitraum von vier Jahren. Jeder dieser Bereiche wird durch mehrere Variablen repräsentiert. Damit wird es möglich, die Zusammenhänge zwischen ihnen in einem Strukturgleichungsmodell mit latenten Variablen (also den fünf genannten Bereichen und der Reputation der Fachbereiche als abhängiger Variable) einigermaßen zuverlässig zu schätzen. Das Ergebnis dieser Schätzung ist in Abbildung 5 für die Wirtschaftswissenschaften dargestellt. Das Pfadmodell für die übrigen Wissenschaften hat — mit plausiblen Modifikationen — eine ähnliche Struktur. In diesem Modell ist die Reputation von Fachbereichen mit beträchtlicher Genauigkeit vorherzusagen (76 Prozent der gemessenen Reputationsunterschiede können erklärt werden). Ihr Zusammenhang mit den institutioneilen Rahmenbedingungen auf der Ebene der Universität bzw.des Fachbereichs ist eher indirekt.

Wie in Abbildung 5 deutlich wird, haben die personellen Ressourcen der Fachbereiche einen relativ starken Einfluß auf die Nutzung von DFG-Mitteln, aber auch auf die Rezeption der wissenschaftlichen Arbeit, wie sie sich in den Zitierungen niederschlägt. Die Nutzung von DFG-Mitteln ihrerseits determiniert recht stark die wissenschaftliche Produktivität der Hochschullehrer eines Fachbereichs, die wiederum der wichtigste Faktor für dessen Rezeption ist. Von dieser vor allem ist auch die Reputation eines Fachbereichs abhängig. Das Pfadmodell spiegelt gewissermaßen ein Zwischenergebnis eines sich über Jahrzehnte erstreckenden Wettbewerbs zwischen Universitäten um Studenten, wissenschaftliches Personal und Ressourcen für die Forschung, indem sich eine relativ stabile und differenzierte, in den institutionellen Gegebenheiten verankerte Prestigeordnung herausgebildet hat.

Diese Prestigeordnung ist sachlich begründet und nicht etwa nur eine Vorurteilsstruktur; sie ist den jeweils beteiligten Wissenschaftlern bekannt, und sie ist das Ergebnis von ausgeprägtem individuellen und institutionellen Wettbewerb. In diesem Wettbewerb sind es vor allem die großen alten Universitäten, die ihren ursprünglichen Startvorteil halten oder gar ausbauen konnten. Diese Gruppe von Fachbereichen mit hohem Ansehen ist freilich keine geschlossene Gesellschaft; auch einigen neuen Universitäten ist es durch deutliche Schwerpunktsetzung gelungen, in die oberen Ränge dieser Prestigeordnung aufzusteigen. Mancher Fachbereich an einer neuen Universität wird — gemessen an seiner Produktivität und Rezeption — (noch) unterschätzt. Bei anderen ist das Ansehen besonders stark von politischen Einstellungen der Beurteiler abhängig.

Es spricht also trotz des insgesamt deutlichen Konsenses über Reputation manches gegen eine Veröffentlichung derartiger Rangreihen. Vor allem kann Reputation ihre Funktion als Austauschmedium von Wissenschaft nur dann erfüllen, wenn sie nicht an die Stelle von Wahrheitsfindung als Ziel wissenschaftlicher Arbeit tritt. Die skeptische oder gar ablehnende Reaktion der Hochschulöffentlichkeit auf die Wettbewerbsempfehlungen des Wissenschaftsrates wird nach diesen Ergebnissen noch plausibler: Im Bereich der Forschung herrschen in der Bundesrepublik bereits „amerikanische Verhältnisse“. Es ist nicht einzusehen, warum sie weiter verstärkt werden sollten. Vielleicht ist dies der Grund, weshalb in der 88er Fassung die empfohlene Wettbewerbsorientierung moderater klingt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. KMK. Prognose der Studienanfänger. Studenten und Hochschulabsolventen bis 2010. Statistische Veröffentlichungen der Kultusministerkonferenz 106, Bonn. April 1989.

  2. Vgl. Wissenschaftsrat. Empfehlungen des Wissenschaftsrates zu den Perspektiven der Hochschulen in den 90er Jahren. Köln 1988.

  3. Vgl. Wissenschaftsrat, Empfehlungen zum Wettbewerb im deutschen Hochschulsystem, Köln 1985.

  4. Vgl. E. C. Ladd/S. M. Lipset, The Divided Academy. Professors and Politics. Berkeley 1975.

  5. Vgl. J. Baumert/J. Naumann/P. M. Roeder/L. Trommer. Zur institutionellen Stratifizierung im Hochschulsystem der Bundesrepublik Deutschland. Berlin (Max-Planck-Institut für Bildungsforschung) 1987; dies., Leistungshierarchien, Reputationsdifferenzen und Fachkulturen, Berlin (MaxPlanck-Institut für Bildungsforschung) 1987; dies.. Institutionelle Bedingungen wissenschaftlicher Produktivität, in: H. -D. Daniel/R. Fisch (Hrsg.), Evaluation von Forschung, Konstanz 1988, S. 457— 495.

  6. N. Luhmann. Selbststeuerung der Wissenschaft, in: Jahrbuch für SozialWissenschaft, (1968) 2, S. 147— 170.

Weitere Inhalte

Jens Naumann, Dr. rer. pol., geb. 1943; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin. Veröffentlichungen u. a.: Mitarbeit an: Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Das Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland. Reinbek 1984 (eine Neufassung erscheint 1990); (mit Klaus Hüfner, Helmut Köhler und Gottfried Pfeffer) Hochkonjunktur und Flaute: Bildungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland 1967— 1980, Stuttgart 1986. Helmut Köhler, Dr. phil., geb. 1940; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin. Veröffentlichungen u. a.: Neuere Entwicklungen des relativen Schul-und Hochschulbesuchs. Eine Analyse der Daten für 1975— 1985. Materialien aus der Bildungsforschung, Berlin 1990 (im Druck); Eine „stille Revolution“ an Hochschulen? Hochschullehrerinnen im Spiegel der Statistik, in: Zeitschrift für Pädagogik, (1989) 4. Peter Martin Roeder, Dr. phil., geb. 1927; Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin; 1966— 1973 o. Prof, für Erziehungswissenschaft an der Universität Hamburg. Veröffentlichungen u. a.: Erziehung und Gesellschaft. Ein Beitrag zur Problemgeschichte unter besonderer Berücksichtigung des Werkes von Lorenz von Stein, in: Marburger Forschungen zur Pädagogik, Bd. 1., Weinheim-Berlin 1968; (mit A. Leschinsky) Schule im historischen Prozeß. Zum Wechselverhältnis von institutioneller Erziehung und gesellschaftlicher Entwicklung, Stuttgart 19832.