Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Reformbewegung und Volksbewegung. Politische und soziale Aspekte im Umbruch der DDR-Gesellschaft | APuZ 16-17/1990 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 16-17/1990 Abschied von der sozialistischen Ständegesellschaft Reformbewegung und Volksbewegung. Politische und soziale Aspekte im Umbruch der DDR-Gesellschaft Mentalitätswandlungen der Jugend in der DDR Frauen in der DDR

Reformbewegung und Volksbewegung. Politische und soziale Aspekte im Umbruch der DDR-Gesellschaft

Jan Wielgohs/Marianne Schulz

/ 26 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Der Umbruch der DDR-Gesellschaft wurde im Oktober 1989 mit Massendemonstrationen für freie Wahlen und einen demokratischen Rechtsstaat eingeleitet. Seine Initiatoren waren vor allem reformsozialistisch bis alternativ orientierte Kulturschaffende und oppositionelle Gruppierungen, von denen insbesondere das Neue Forum einen fulminanten Mobilisierungseffekt erzielte. Der bisherige Verlaufdes Umbruchprozesses war gekennzeichnet durch den „vulkanischen“ Ausbruch der Volksbewegung, den erdrutschartigen Zusammenbruch des Machtsystems der SED-Führung, die Verdrängung einer demokratisch-sozialistischen Reformdiskussion durch die Favorisierung der deutschen Frage seit Ende November 1989 und die zunehmende Überlagerung der politischen Aspekte des deutsch-deutschen Vereinigungsprozesses durch die Thematisierung seiner sozialen Implikationen seit Mitte Februar 1990. Basisdemokratische Bürgerbewegungen hatten sich als die wichtigsten Initiatoren, nicht aber als die Repräsentanten der Volksbewegung erwiesen und wurden sukzessive durch neue und alte Parteien an den Raqd der öffentlichen Wahrnehmung gedrängt. Die mehrheitliche Skepsis der DDR-Bevölkerung gegenüber einem anderen, demokratischen Sozialismus und die Unaufgcschlossenheit gegenüber basisdemokratischem Engagement haben tiefliegende Wurzeln in einer sozialstrukturellen Regression und im paternalistischen Charakter der Sozialpolitik in der HoneckerÄra.

Wer als politisch engagierter DDR-Bürger im Früh-sommer 1989 die Gelegenheit hatte, die Debatte des 1. Volksdeputiertenkongresses der UdSSR im sowjetischen Fernsehen zu verfolgen und die Auftritte so prominenter — in den DDR-Medien bis dato ignorierter oder verschmähter — Reformpolitiker wie Andrej Sacharow, Boris Jelzin, Gawriil Popow, Tatjana Saslawskaja auf den allabendlich von verschiedenen Bürgerbewegungen veranstalteten „Meetings“ im Moskauer Lushniki-Sportpark zu erleben, sah sich mit Blick auf das eigene Land doch sehr widersprüchlichen Stimmungen ausgesetzt. Die faszinierende Wirkung der Demokratisierungs-und Politisierungsprozesse in der sowjetischen Öffentlichkeit rückte die Unabdingbarkeit grundlegender Reformen auch für die DDR nachdrücklich ins Bewußtsein. Zugleich mußten angesichts der seit Dezember 1988 immer offener demonstrierten Restaurationspolitik der SED-Führung alle Hoffnungen auf baldige Veränderungen als Illusion erscheinen.

Nur wenige Monate später war das Machtsystem der SED-Führung wie ein Kartenhaus zusammengefallen. Verglichen mit dem nunmehr fünfjährigen zähen Widerstand der sowjetischen Partei-und Ministerialbürokratie gegen die Perestroika und gemessen an der historischen Dimension des Um-bruchs erscheinen die Rettungsversuche des SED-Apparates unter Egon Krenz und in den ersten Wochen nach dem SED-PDS-Sonderparteitag eher wie episodische Unregelmäßigkeiten in einem ansonsten unaufhaltsamen Transformationsprozeß. Hatte Andrej Sacharows auf dem Volksdeputiertenkongreß unter Tumulten vorgetragenes „Dekret über die Macht“ mit der Forderung nach Streichung des Verfassungsartikels über die „führende Rolle“ der KPdSU noch kaum Aussichten auf Erfolg, so sah sich die SED-Führung unter dem Druck der Bevölkerung schon sechs Wochen nach dem Sturz Erich Honeckers gezwungen, die Aufhebung der verfassungsrechtlichen Verankerung ihres Machtmonopols in der Volkskammer selbst zu beantragen. Der Verlauf des politischen Umbruchs in der DDR ist in der bundesdeutschen Publizistik bereits aus-führlich dokumentiert und beschrieben worden Aus heutiger Sicht lassen sich u. E. folgende Merkmale dieses Umbruchprozesses ausmachen, die in der Literatur andiskutiert sind, aber weiterer politikwissenschaftlicher und soziologischer Bearbeitung bedürfen:

— der „vulkanische“ Charakter des Umschlags der akkumulierten allgemeinen Unzufriedenheit in die breite politische Volksbewegung, die in den Demonstrationen um den 7. Oktober ihren Anfang und in der Berliner Großkundgebung am 4. November 1989 ihren Höhepunkt hatte;

— der erdrutschartige Zusammenbruch der Machtstrukturen, der sowohl auf latente Erosionsprozesse innerhalb des politischen Systems der DDR als auch auf die Unfähigkeit der ja zahlreich vorhandenen reformwilligen Kräfte der SED verweist, in Kooperation mit den anderen Reformkräften das entstehende Machtvakuum wenigstens zeitweise zu füllen, um den drohenden Zusammenbruch des Gemeinwesens DDR aufzuhalten;

— die nach der Öffnung der Westgrenze einsetzende Verdrängung der Debatten über eine demokratisch-sozialistische Reformierung der DDR-Gesellschaft durch die Favorisierung der deutschen Frage im öffentlichen Kommunikationsprozeß, wodurch die ursprünglichen Initiatoren und Inspiratoren des Aufbruchs, insbesondere die Künstler-und Bürgerbewegungen zugunsten neuer politischer Kräfte nahezu an den Rand der öffentlichen Wahrnehmung gedrängt wurden

— eine vor allem im Kontext der Überlegungen um die Währungsunion einsetzende Überlagerung aller politischen Themen durch Diskussionen um die sozialen Implikationen der Einführung marktwirt-schaftlicher Verhältnisse und einer schnellen Vereinigung, worin sich sowohl ein wachsendes Maß an sozialer Verunsicherung in breiten Bevölkerungskreisen als auch erhebliche Schwierigkeiten der Parteien und Bewegungen offenbarten, dieser Verunsicherung mit verständlichen und überzeugenden Konzepten zu begegnen

Eine politisch-soziologische Interpretation dieser Dynamiken muß u. E. die Analyse der politischen Akteure in den Kontext der Wirtschafts-und Sozialstrukturentwicklung in der Honecker-Ära stellen. Aufgrund der Auswirkungen, die die funktionelle Integration der DDR-Soziologie in das autoritäre politische und ideologische System für die Soziologieentwicklung selbst hatte, steht die DDR-Soziologie erst am Beginn dieser Aufarbeitung. Eine politische Soziologie hat es bis zum November 1989 nicht einmal in Ansätzen gegeben.

I. Entwicklungstendenzen und -grenzen des Reformpotentials innerhalb der SED

Vereinzelte innerparteiliche Proteste gegen bestimmte politische Aktionen oder „Linien“ der SED-Führung (Beteiligung an der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968, Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976, Invasion in Afghanistan 1979) hat es bereits in den sechziger und siebziger Jahren gelegentlich gegeben. Allerdings blieben sie in der Regel auf marginale Gruppen zumeist Intellektueller beschränkt und konnten durch massive Disziplinierungsmaßnahmen und Medienkampagnen ohne unmittelbare Folgen für den innerparteilichen Konsens relativ schnell neutralisiert werden.

In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre hat sich dann vor dem Hintergrund deutlich erkennbarer Krisentendenzen, wachsender sozialer Unzufriedenheit sowie der Reformpolitik Michail Gorbatschows ein zunehmend kritisches Potential in unterschiedlichen Kreisen der SED-Basis herausgebildet. Die sozialpolitischen Beschlüsse des XI. SED-Parteitages von 1986, in denen vor allem die angesichts der verschwiegenen, aber offenkundigen Inflationstendenzen benachteiligten Gruppen von Rentnern und Berufstätigen im Vorrentenalter erneut brüskiert wurden, haben erstmals in der Honecker-Ära öffentliche und innerparteiliche Kritik an der „Einheit von Wirtschafts-und Sozialpolitik“ in einem Maße laut werden lassen, das die SED-Führung alsbald zum Einlenken veranlaßte

Den entscheidenden Konfliktstoff lieferte jedoch die immer offener und arroganter demonstrierte Ablehnung der sowjetischen Reformpolitik durch die SED-Führung. Die schon seit längerer Zeit per-manent beschworene Formel vom sich real vollziehenden „Prozeß tiefgreifender politischer, sozialer und geistig-kultureller Wandlungen“ der DDR-Gesellschaft im Unterschied zur sowjetischen Gesellschaft, provozierte angesichts der immer spürbarer werdenden tatsächlichen Stagnation und der zunehmenden Verfallserscheinungen in nahezu allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens den anwachsenden innerparteilichen Widerspruch. Dieser artikulierte sich zunächst in der paradoxen Form der einerseits informellen Antipositionierung von vielen einzelnen Mitgliedern der SED in kleinen Gruppen und der andererseits zunehmenden Entpolitisierung der offiziellen parteiinternen Diskussionen in den Organisationsstrukturen der SED. Die immerhin verschämt organisierten Aufkäufe der Broschüre mit Gorbatschows Rede zur Umgestaltung des politischen Systems auf dem Januar-Plenum des ZK der KPdSU 1987 durch SED-Kreis-leitungen und andere sogenannte öffentliche Bedarfsträger sowie die Versuche, die Herausgabe und den Vertrieb von Gorbatschows Buch „Perestroika und neues Denken für unser Land und die ganze Welt“ (Moskau 1987) soweit wie möglich hinauszuzögem und zu kanalisieren, verschärften den schon bestehenden Unmut in breiten Kreisen der SED-Basis. Spätestens mit der Streichung des deutschsprachigen sowjetischen Journals „Sputnik“ von der DDR-Vertriebsliste im November 1988 wurde der innerparteiliche Konflikt manifest und öffentlich. Die Basis reagierte mit zehntausenden individuellen oder kollektiven Protestbriefen selbst einige SED-Kreisleitungen funktionierten nicht mehr störungsfrei und versuchten mit mehr oder weniger Erfolg, ihre Grundorganisationen vor den einsetzenden Repressionsmaßnahmen der Führung abzuschirmen. Seitdem wurde in Mitgliederversammlungen und bis hin zu Lehrgängen in Kreis-Parteischulen immer offener diskutiert und die Politik der SED-Führung, insbesondere die Medien-und Sozialpolitik, zunehmend in Frage gestellt.

Dennoch blieben Reformbestrebungen weitgehend atomisiert und auf den Charakter informeller Diskussionen beschränkt. Zwar wurden in gesellschaftswissenschaftlichen Institutionen Überlegungen zu Teilreformen einzelner Gesellschaftsbereiche angestellt und diskutiert, etwa zur Reformierung des Wirtschaftsmechanismus oder zur Einführung eines Verwaltungsrechts. Aber erstens blieb derartigen Debatten der Weg in die Öffentlichkeit weitgehend versperrt; in den Medien dominierten weiterhin apologetische „Diskussionsbeiträge“ führender Ideologen zur „Vorbereitung“ des für 1990 einberufenen XII. SED-Parteitages, in denen das Bild einer krisenfreien, sich in tiefgreifenden Reformen die Zukunft erobernden Gesellschaft gemalt wurde Zweitens fehlte es fast gänzlich an Entwürfen zu gesamtgesellschaftlich ausgerichteten Reformprogrammen

Seit dem Rücktritt des ehemaligen stellvertretenden Ministers für Staatssicherheit Markus Wolf 1987 mehrten sich die Anzeichen für interne Konflikte im engeren Machtapparat der SED Seit Anfang 1989 wurde Hans Modrow parteiweit als Reformpolitiker im Sinne der sowjetischen Perestroika gehandelt. Zu mehr oder weniger verbindlichen Kontakten zwischen reformorientierten Politikern und Wissenschaftlern kam es aber offenbar erst im Herbst 1989.

Angst vor existentiellen Risiken dürfte eine Herausbildung übergreifender informeller Substrukturen innerhalb der SED ebenso verhindert haben, wie die Tatsache, daß es unter den kritisch eingestellten Parteimitgliedern zum einen recht diffuse, zum anderen sehr unterschiedliche Reformvorstellungen gab. angefangen bei — vor allem unter Wirtschaftsfunktionären weit verbreiteten — konservativ-technokratischen Neigungen bis zu an postmaterialistischen Werten orientierten Vorstellungen einer demokratischen und ökologischen Reorganisation des Wirtschafts-und Alltagslebens. Die Mehrheit der reformwilligen innerparteilichen Kräfte war offensichtlich darauf eingestellt, durch forcierten Druck der Basis eine auf dem anstehenden Parteitag neu zu formierende Führung zur Einleitung eines umfassenden, aber gesteuerten Reformprozesses „von oben“ veranlassen zu können. Dies erklärt, warum Parteiaustritte in größerer Zahl vorerst ausblieben; es hat aber auch verhindert, aus diesem Spektrum heraus den Kontakt zu den im Umfeld der evangelischen Kirchen sich formierenden oppositionellen Gruppen zu suchen — abgesehen von ohnehin bestehenden Berührungsängsten. Im Ergebnis bleibt zu konstatieren, daß sich im Unterschied etwa zu den Staatsparteien in Ungarn oder Polen die reformwilligen Kräfte aus der SED weder konzeptionell noch organisatorisch zu einem handlungsfähigen, für die weitere Entwicklung in der DDR politisch relevanten Reformflügel formieren konnten. Das Potential reichte noch, um den sich ohnehin schon abzeichnenden Zusammenbruch des Krenz-Politbüros und seiner nachgeordneten Parteistrukturen um wertvolle Wochen zu beschleunigen. Mit der Niederlage der innerparteilichen Reformkräfte auf dem SED-PDS-Sonder-Parteitag — belegt durch den Austritt Wolfgang Berghofers und maßgeblicher Initiatoren der Plattform „Dritter Weg“ im Januar l 990 — war deren Rolle für die Gestaltung des Umbruchs vorerst beendet.

II. Die Opposition in der Volksbewegung

Mit der Besetzung der Umweltbibliothek der Berliner Zionsgemeinde durch Staatssicherheitsbeamte im November 1987 und den Verhaftungen im Zusammenhang mit den Protestaktionen während der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration im Januar 1988 hat eine forcierte Politisierung unter den seit Ende der siebziger Jahre unter dem Dach der evangelischen Kirchen agierenden Friedens-, Umwelt-, Dritte-Weit-, Menschenrechts-, Minderheitengruppen eingesetzt. Die vom innerkirchlichen Arbeitskreis „Absage an Praxis und Prinzip der Ab-grenzung“. Mitgliedern der Initiative für Frieden und Menschenrechte, der „Kirche von unten“ und Vertretern anderer Gruppen initiierte Kontrolle der Stimmenauszählungen im Anschluß an die Kommunalwahlen vom 7. Mai 1989 kann als die erste landesweit organisierte Aktion einer sich herausbildenden politischen Opposition in der DDR angesehen werden.

Mit der nachgewiesenen Fälschung der Wahlergebnisse und der ignoranten Reaktion der Behörden auf den angemeldeten Protest war die politische und kommunikative Krise der DDR-Gesellschaft offenkundig geworden Die Opposition begann sich zu formieren. Im Juni konstituierte sich um Wolfgang Schnur, Rainer Eppelmann, Edelbert Richter, Friedrich Schorlemmer und Ehrhart Neu-bert die Initiative für den Demokratischen Aufbruch (offizielle Gründung am 30. Oktober 1989), im Juli folgte die von Ibrahim Böhme, Markus Meckel und anderen ergriffene Initiative für eine Sozialdemokratische Partei in der DDR (SDP, formelle Gründung am 7. Oktober 1989). Am 13. August 1989 rief der Synodale Dr. Hans-Jürgen Fischbeck vom Arbeitskreis „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung“ auf einem von 300 bis 400 Personen besuchten Sonntagsgespräch in der Berliner Bekenntnisgemeinde zur Bildung einer oppositionellen Sammlungsbewegung auf, um der Bevölkerung der DDR angesichts der über Ungarn einsetzenden Fluchtwelle eine „identifizierbare Alternative“ aufzuzeigen. Im September formierten sich Vertreter unterschiedlicher marxistischer bzw. linkssozialistischer Gruppen sowie konspirativ in der SED und im FDGB tätiger Zirkel mit der „Böhlener Plattform“ zur späteren Vereinigten Linken. Am 9. September 1989 unterzeichneten dreißig Vertreter unterschiedlicher Bezirke und Gruppen, darunter Bärbel Bohley, Katja Havemann, Jens Reich, Sebastian Pflugbeil, Rolf Henrich, Reinhard Schult den Aufruf „Aufbruch 89 — Neues Forum“.

Schließlich trat am 12. September 1989 der seit 1986 bestehende Arbeitskreis „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung“ um Ludwig Mehl-horn, Stephan Bickhardt, Wolfgang Ullmann, Konrad Weiß u. a. mit einem „Aufruf zur Einmischung in eigener Sache“ und beigefügten „Thesen für eine demokratische Umgestaltung in der DDR“ als Initiativgruppe der Bürgerbewegung Demokratie Jetzt (DJ) an die Öffentlichkeit. Eine maßgebliche Rolle für diesen Prozeß hat gewiß die seit 1985 weitgehend außerhalb der Kirche arbeitende Initiative für Frieden und Menschenrechte gespielt. Nicht wenige Initiatoren der 1989 entstandenen neuen Parteien und Bewegungen waren zuvor in dieser von Anfang an sich als politische Opposition verstehenden Gruppe engagiert (Ibrahim Böhme/SDP, Ulrike Poppe/DJ, Bärbel Bohley, Katja Havemann, K. und F. Eigenfeld/NF).

Die in den ersten Positionspapieren bzw. Stellungnahmen einzelner Initiatoren erkennbaren programmatischen Orientierungen wiesen zunächst kaum merkliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppierungen auf. Differenziert akzentuiert, aber von allen mitgetragen waren die in der Gemeinsamen Erklärung vom 4. Oktober 1989 ins Zentrum gerückte Forderung nach freien und geheimen Wahlen, die Orientierung auf einen pluralistischen demokratischen Rechtsstaat, aufdemokratisierte, ökologisch und sozial gebundene Wirtschaftsstrukturen, auf Entideologisierung des Bildungssystems, der Kultur-und Wissenschaftspolitik, auf eine der Lösung der globalen Probleme verpflichtete Außenpolitik.

Insgesamt antizipierte diese Programmatik einen anderen, an alternativen Werten orientierten Sozialismus Im Aufruf der Initiatoren von Demokratie Jetzt hieß es: „Der Sozialismus muß nun seine eigentliche, demokratische Gestalt finden, wenn er nicht geschichtlich verloren gehen soll. Er darfnicht verloren gehen, weil die bedrohte Menschheit auf der Suche nach überlebensfähigen Formen menschlichen Zusammenlebens Alternativen zur westlichen Konsumgesellschaft braucht, deren Wohlstand die übrige Welt bezahlen muß.“ Und der Erfurter Pfarrer Edelbert Richter, Mitbegründer des vier Monate später mit der ehemaligen Block-partei CDU sowie der Deutschen Sozialen Union die konservative Allianz für Deutschland eingehenden „Demokratischen Aufbruch“ äußerte am 16. November 1989 in einem Interview: „Nicht nur das Wort sozialistisch, sondern auch bestimmte gesellschaftliche Prinzipien des Sozialismus haben für uns nach wie vor einen guten Klang. Rechte Gedankengänge sind damit ausgeschlossen.“ „Die gesamte Opposition“, so der Sozialdemokrat Reiner Flügge Anfang November, „hat sich nicht vom Sozialismushorizont abgekehrt.“

Dieser reformsozialistischen Perspektive entsprach das Festhalten an der vorläufigen deutschen Zwei-staatlichkeit, wobei für die Zukunft eine Vereinigung beider deutscher Staaten im Rahmen einer neuen europäischen Friedensordnung nicht ausgeschlossen, zum Teil auch angestrebt wurde. Die Konsolidierung der DDR zu einem souveränen demokratischen und ökonomisch leistungsfähigen Staat wurde ebenso als Voraussetzung für diese Option betrachtet wie bestimmte gesellschaftspolitische Annäherungsprozesse seitens der Bundesrepublik. Als ein Moment solchen Entgegenkommens bezeichneten Edelbert Richter (DA) und Markus Meckel (SDP) beispielsweise die Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft durch die Bundesrepublik Als kennzeichnend für das damalige Selbstverständnis der Opposition im deutsch-deutschen Verhältnis sei Ibrahim Böhme (SDP) zitiert: „Natürlich freuen wir uns über die Sympathie-kundgebungen, die uns jetzt von Seiten der SPD entgegengebracht werden. Jegliche finanzielle Unterstützung durch die SPD lehnen wir allerdings ab.“

Der von Christa Wolf am 9. November 1989 im DDR-Fernsehen verlesene Aufruf an die DDR-Bürgerinnen, in der DDR zu bleiben und an der Gestaltung einer „wahrhaft demokratische(n) Gesellschaft .... die auch die Vision eines demokratischen Sozialismus bewahrt“ mitzuwirken, war das letzte von Vertretern aller Oppositionsgruppen sowie den an der Mobilisierung der Bevölkerung maßgeblich beteiligten Kulturschaffenden gemeinsam formulierte Plädoyer für eine reformsozialistische Perspektive der DDR.

Bis Mitte/Ende November 1989 waren es vor allem die gegen das autoritäre Herrschaftssystem der SED seitens der Opposition, der Rockmusiker, Schriftsteller und anderen Künstlern öffentlich erhobenen Forderungen, ‘die hundertausende politisch unterschiedlich denkender Bürgerinnen vereint und mobilisiert haben. So dominierten auf der Berliner Demonstration am 4. November 1989 eindeutig die Forderung nach freien Wahlen sowie die gegen das Machtmonopol der SED, gegen die Staatssicherheit und gegen die Person von Egon Krenz gerichteten Transparente und Spruchbänder. Orientierungen auf einen anderen Sozialismus oder eine wie auch immer verstandene Alternative zur westlichen Konsumgesellschaft waren abgesehen von den Rednern bestenfalls vereinzelt wahrzunehmen. Nicht die visionäre Programmatik der Opposition, sondern die situationsbedingt in den Vordergrund gestellte Protesthaltung ihrer Aktivisten haben das Volk in Bewegung gebracht. Nicht zufällig war es das Neue Forum, das im Oktober/November 1989 eine mit keiner der anderen Gruppierungen vergleichbare und auch von den Initiatoren unerwartete Resonanz erfuhr. Im Unterschied zu allen anderen Initiativgruppen hatten die Autoren des „Aufbruch 89 — Neues Forum“ bewußt auf jegliche programmatische Ausrichtung für die anstehenden Reformen verzichtet. Statt dessen verdeutlichten sie den zentralen Konflikt zwischen Staat und Gesellschaft anhand von Ungerechtigkeiten. Widersprüchen und Ungereimtheiten, wie sie im Alltagsleben für alle erfahrbar waren. Sie betonten die Selbstverständlichkeit der Kompetenz des Einzelnen, von welcher ausgehend in einem „demokratischen Dialog über die Aufgaben des Rechtsstaates, der Wirtschaft und der Kultur“ ein kollektiv zu erarbeitendes Reformkonzept „von unten“ entstehen müsse. Als einzige Wertorientierung für ein solches Konzept wurden „Gerechtigkeit, Demokratie, Frieden sowie Schutz und Bewahrung der Natur“ formuliert

Mit dieser programmatischen Unbestimmtheit hatten die Initiatoren des Neuen Forum reformwilligen Bürgerinnen unterschiedlichster Gesinnung eine gemeinsame Plattform als Alternative sowohl zu den staatlich beherrschten Foren als auch zur individualistischen Konfliktbewältigung durch Ausreise geschaffen. Innerhalb von gut zwei Monaten hatten sich rund 200 000 Menschen in das Neue Forum eingeschrieben, die Mitgliederzahlen der SDP und des DA lagen zur gleichen Zeit zwischen 10 000 und 15 000, die Zahl der Teilnehmer an den anderen Bewegungen deutlich darunter. Das öffentliche politische Leben wurde bis zu diesem Zeitpunkt weitgehend bestimmt durch die von der vereinten OpPosition, vor allem den weltanschaulich und parteipolitisch offenen basisdemokratischen Bürgerbewegungen initiierten Aktionen zur Demontage des Machtsystems der SED (Bildung von Bürgerkomitees zur Untersuchung der Polizei-und Stasieinsätze um den 7. Oktober, Aufdeckung von Korruptionsfällen, Organisation von Demonstrationen und Diskussionsforen, Unterschriftensammlung für einen Volksentscheid über die „führende Rolle“ der SED u. a. m.).

Mit der Aufkündigung des „Demokratischen Blocks“ durch die bisher mit der SED verbündeten Parteien und dem Sturz der gesamten Parteiführung unter Egon Krenz war das Machtsystem der SED Anfang Dezember 1989 endgültig zusammengebrochen. Angesichts der seit der Grenzöffnung am 9. November drastisch anwachsenden Übersiedlerzahlen und der immer deutlicher werdenden Ausmaße der ökonomischen Krise machten sich die bislang nur unterschwellig artikulierten sozialökonomischen Interessen breiter Bevölkerungskreise in einer Weise geltend, die die politischen Kräfte zunehmend in die Zwangssituation versetzte, entweder mit Angeboten für einen schnellen Ausweg aus der Krise aufzuwarten oder an den Rand der öffentlichen Wahrnehmung gedrängt zu werden. Mit dem Stimmungswandel nach der Grenzöffnung und spätestens nach der Verkündigung von Bundeskanzler Helmut Kohls „Zehn Punkten für Deutschlands Einheit“ wurde endgültig klar, daß die bisherige alternativ-sozialistische Programmatik der Opposition von der Mehrheit offenkundig ebensowenig als eine „identifizierbare Alternative“ angenommen wurde wie der von einigen hunderttausend befolgte Aufruf des Neuen Forum, „Zeit, Toleranz und Geduld“ aufzubringen, um ein Reformkonzept „von unten“ gemeinsam zu erarbeiten.

Die folgenden Monate waren geprägt durch die Transformation der parteipolitischen Landschaft der Bundesrepublik auf die DDR und den Wettbewerb um die öffentlichkeitswirksamsten Varianten für den Weg zur deutschen Einheit, der zunehmend als der einzig mögliche Ausweg aus der ökonomischen Krise angesehen wurde. Dabei waren unterschiedliche soziale Interessen zu berücksichtigen, die nach politischer Vertretung drängten, was sich sowohl in der Neugründung zahlreicher Parteien im Dezember und Januar als auch in jähen Wendungen ehemaliger Blockparteien hin zur nationalen Einheit sowie der hektischen Suche nach bundesdeutschen Partnern ausdrückte

Es ist anzunehmen, daß der stärkste Druck auf die zügige Vereinigung der beiden deutschen Staaten offenbar von qualifizierten Facharbeitern jüngerer und mittlerer Jahrgänge und aussichtsreicher Branchen (Bauwesen), von Angehörigen der technischen Intelligenz sowie Berufsgruppen ausgeht, die sich Chancen für einen Aufstieg in den bislang unterdrückten privatwirtschaftlichen Mittelstand ausrechnen. Abgesehen von der unzureichenden empirischen Untersuchungslage verbietet sich jedoch eine eindeutige Zuordnung deutschlandpolitischer Orientierungen zu bestimmten sozialen Schichten oder Berufsgruppen. Hier spielen unterschiedliche regionale Gegebenheiten ebenso eine Rolle wie konkrete individuelle Lebenssituationen (eine Wohnung in einem privaten Mietshaus zum Beispiel, verwandtschaftliche Beziehungen u. a. m.). Die günstigsten Voraussetzungen seitens der Oppositionsparteien bzw. -bewegungen, die parteipolitisch bislang unabgedeckten sozialen Interessen und politischen Orientierungen auf sich zu ziehen, brachten im Dezember zweifellos die Sozialdemokraten mit. Der zu dieser Zeit noch geringe und politisch relativ homogene Mitgliederstand bei schon etablierten innerparteilichen Organisationsstrukturen ermöglichten es, die deutschlandpolitisehe Umorientierung ohne größere interne Auseinandersetzungen zu bewerkstelligen. Zudem waren die konkreten Vorstellungen zu einzelnen Politikbereichen (Staat, soziale Marktwirtschaft, Umweltpolitik) so angelegt, daß sie durch die Absage an die Eigenstaatlichkeit der DDR kaum grundsätzlicher Revision bedurften. Nicht zuletzt assoziierten die Namensgebung wie die an modernen sozialdemokratischen Positionen orientierten Programminhalte von vornherein eine „natürliche“ Affinität zur SPD, deren schwesterparteiliche Zuwendung der SDP in den folgenden Wochen einen erheblichen Zuwachs an Mitgliedern und zunächst auch an potentiellen Wählern sicherte, da sich zu diesem Zeitpunkt noch keine wählbare Alternative liberal-konservativer Provenienz herauskristallisiert hatte.

Weitaus größere Schwierigkeiten brachte die programmatische Wende für den Demokratischen Aufbruch mit sich. Auf dem Gründungsparteitag am 16. /17. Dezember 1989 kam es zu heftigen Flügelkämpfen zwischen ökologisch-sozialistisch orientierten Mitgliedern der Gründergeneration um den Wittenberger Pfarrer Schorlemmer und Vertretern der im November vor allem in den Süd-bezirken neugewonnenen Basis, die die eindeutige Absage an jegliche Sozialismusvorstellungen sowie ein klares Bekenntnis zur Wiedervereinigung forderten. Letztgenannte setzten sich schließlich durch. Die sich in der Folge deutlich abzeichnenden Orientierungen auf die CDU (West) sowie die sich anbahnende Allianz mit der als ehemalige Block-partei diskreditierten, an der Spitze aber bereits im Dezember 1989 erneuerten CDU (Ost) und der maßgeblich durch die CSU zusammengeschmiedeten Deutschen Sozialen Union (DSU) führte im Januar zum Austritt des linken Flügels (einschließlich der Mitbegründer Schorlemmer und Richter), der teils in die SPD teils zu Demokratie Jetzt überwechselte. Die Resonanz des „konservativen Wandels der einstmals reformsozialistisch orientierten Partei und ihrer noch verbliebenen Gründer (Schnur, Eppelmann) ist schwer abzuschätzen. Die Infas-Erhebungen von Anfang Februar gaben dem Demokratischen Aufbruch nur ein Prozent Wählerstimmen, was dem tatsächlichen Ergebnis entspricht, doch lassen sich die Gründe für die geringe Resonanz des DA derzeit noch nicht eindeutig benennen. Über die Mitgliederbewegung kursieren äußerst widersprüchliche Angaben. Das Wahlergebnis vom 18. März 1990 zeigt die weitreichenden Verschiebungen in der Orientierung der Wähler, die sich in der ersten Märzhälfte ergeben haben, nachdem sich die Allianz als der Partner der bundesdeutschen CDU und CSU eindeutig positioniert hatte und damit auch von der Resonanz der Deutschlandpolitik des Bundeskanzlers und den damit verbundenen ökonomischen Erwartungen (Währungs-und Wirtschaftsunion) profitieren konnte.

Infolge der zahlreichen und politisch heterogenen Mitgliederschaft kam es auch im Neuen Forum im Rahmen der Programmdebatte zu heftigen Auseinandersetzungen um die deutsche Frage, wobei sich auf der offiziellen Gründungskonferenz Ende Januar die Mehrheit für eine Vereinigung der deutschen Staaten aussprach. Die drohende Spaltung konnte vorerst durch einen Kompromiß abgewendetwerden, der einerseits der Minderheit das Recht auf Vertretung ihrer Auffassungen einräumte, andererseits zu einer deutschlandpolitischen Position führte, die mit der Formulierung außen-und sozialpolitischer Bedingungen die Möglichkeit eines gemeinsamen Wahlbündnisses mit der Initiative Frieden und Menschenrechte und Demokratie Jetzt offenhielt.

Zusammenfassend lassen sich hinsichtlich der Oppositionsparteien und -bewegungen, ihrer programmatischen Einstellung auf die diesbezüglichen Stimmungslagen in der Bevölkerung und der entsprechenden Resonanzwirkung im groben zwei Tendenzen unterscheiden:

- Die im Bündnis 90 vereinten Bürgerbewegungen sowie die im November entstandene Grüne Partei und der im Dezember gegründete Unabhängige Frauenverband haben mit unterschiedlicher Akzentsetzung in Details den Versuch unternommen, unter Verzicht aufeine reformsozialistische Begriff-lichkeit ihre Orientierung auf die alternativen Werte einer nach innen und außen solidarischen Gesellschaft mit dem Ziel der nationalen Einheit zu verbinden. Hinsichtlich der Modalitäten eines anzustrebenden stufenweisen Vereinigungsprozesses betonten sie vor allem die außen-und sicherheitspolitischen Aspekte, das Recht der DDR-Bevölkerung auf Selbstbestimmung sowie das Ziel, die basisdemokratischen Erfahrungen des Oktober/November 1989 in Form einer Bereicherung des herkömmlichen Parlamentarismus durch Elemente direkter Demokratie für die politische Gestaltung eines künftigen neuen Deutschlands fruchtbar zu machen. Die sich darin ausdrückende Weigerung, den in der Öffentlichkeit virulenten Stimmungen populistisch nachzugeben, hat in der Zeit von Dezember 1989 bis Februar 1990 zu einem Rücklauf in der Mitgliederbewegung (Neues Forum) und einem öffentlichen Resonanzverlust für die Bürgerbewegungen geführt, der sich schließlich auch in ihrem Wahlergebnis deutlich ausdrückte.

— Kennzeichnend für die Reaktion der aus der „alten“ Opposition hervorgegangenen Parteien (SPD, DA) auf die gewandelte Stimmungslage war erstens das Bestreben, die Potenzen „natürlicher“ oder potentieller bundesdeutscher Schwesterparteien möglichst schnell für die eigene Profilierung zu erschließen, zweitens der Versuch, eine Strategie für den Vereinigungsprozeß im vordergründigen Hinblick auf die gegebenen Bedürfnisse und sozialen Interessen mehrheitsrelevanter Bevölkerungsgruppen zu formulieren. Mit dem frühzeitig vorgelegten Konzept, durch eine schnelle Währungsunion sowohl den zum privatwirtschaftlichen Mittelstand strebenden Gruppen als auch breiten Schichten der lohnabhängigen Beschäftigten einen baldigen sozialen Aufschwung in Aussicht zu stellen und zugleich die außen-und abrüstungspolitischen Aspekte der Vereinigung zu betonen, war es insbesondere der SPD zunächst gelungen, einen erheblichen Zuwachs an Mitgliedern und eine entsprechende Aufmerksamkeit bei den Wählern zu gewinnen. Seit Mitte Februar wird die öffentliche Diskussion über die politischen Aspekte des Vereinigungsprozesses zunehmend durch die Artikulation sozialer Verunsicherungen im Hinblick auf eine schnelle Einführung der Währungsunion und marktwirtschaftlicher Verhältnisse überlagert. Insbesondere sozial Schwache, alleinerziehende Frauen, Mieter und Nutzer von Wohnungen bzw. Grundstücken, deren ehemalige Besitzer heute in der Bundesrepublik wohnen, sowie viele Bauern befürchten eine Destabilisierung ihrer derzeitigen Lage. Mit der Initiative zur Erarbeitung und Verabschiedung einer als Grundlage von Verhandlungen über die Währungs-und Wirtschaftsunion dienenden Sozial-Charta haben die Bürgerbewegungen erstmals soziale Befindlichkeiten von großen Bevölkerungsgruppen in das Zentrum ihrer politischen Aktivitäten gerückt, die weit über ihr eigenes Rekrutierungs-und Sympathisantenpotential hinausreichen, doch hat sich dieser Umstand nicht auf das tatsächliche Wählerverhalten ausgewirkt. Dies indiziert, daß für breite Wählerschichten die Einführung der Währungs-und Wirtschaftsunion gegenüber Erwägungen einer sozialen Absicherung prioritär waren. Die seit Dezember 1989 deutlich gewordene Skepsis der DDR-Bevölkerung gegenüber einer reform-sozialistischen Perspektive bzw. einem „dritten Weg“ und die mehrheitliche Unaufgeschlossenheit für basisdemokratisches Engagement sind u. E. aus den aktuellen Ereignissen während des politischen Umbruchs (die provokatorische Wahl von Krenz, die Enthüllungen über Korruption und Machtmißbrauch usw.) allein nicht hinreichend zu erklären. Ihre Wurzeln liegen vielmehr in der sozialen Entwicklung während der Ära Honecker.

III. Sozialstruktur und Sozialpolitik: Vorleistungen für die Wende der Wende

Schon die sprachliche Formulierung des vom VIII. SED-Parteitag 1971 beschlossenen Kurswechsels als „Hauptaufgabe“ deutet auf die Ambivalenz der nun proklamierten „Einheit von Wirtschafts-und Sozialpolitik“ hin. Dieses Konzept bezeichnete den Versuch, eine wechselseitige Abhängigkeit zwischen Wirtschaftswachstum und der sozialen Lage der Produzenten herzustellen, um so ein den Anforderungen des Strukturwandels und der technologischen Modernisierung entsprechendes Leistungsverhalten zu erzeugen und Loyalität der Bürgerinnen gegenüber der gesellschaftlichen Ordnung und ihren politischen Repräsentanten zu sichern Zugleich aber war dieses Modernisierungsmodell, wie die 1971 einsetzende Rezentralisierung der Planungs-und Leitungsprozesse belegt, als konzeptive und organisatorische Aufgabe vor allem der SED-Führung und ihrer Apparate projektiert. Die in der — Lenin entlehnten — These vom „Primat der Politik über die Ökonomie“ umschriebene Subordination aller Wirtschaftssubjekte unter die zentralen politischen Machtorgane mußte im Kontext der eingeleiteten Modernisierung und der — wenngleich zaghaften — Öffnung der Wirtschaft zum Weltmarkt zu erheblichen Inkonsistenzen im Zusammenhang von Wirtschaftsentwicklung und sozialem Wandel führen. Die Deklamation der Stabilität und Stärkung der sozialistischen Staatsmacht als wichtigste politische Bedingung fürdie erfolgreiche Verwirklichung der „Hauptaufgabe“ hat sich als ideologische Verklärung einer Strategie entlarvt, in der Machterhalt als Selbstzweck fungierte, und die sich insbesondere in den achtziger Jahren sowohl in ökonomischen Krisentendenzen als auch in einer „sozialstrukturellen Regression“ niederschlug.

Der soziale Wandel in der DDR war von Beginn an durch den Anspruch der „Staats-und Parteiführung“ geprägt, die Entwicklung der sozialen Struktur in all ihren wesentlichen Komponenten -Eigentums-, Bildungs-und Qualifikations-, Beschäftigungs-und Einkommensstruktur — zentralistisch zu planen und den wirtschaftspolitischen Zielstellungen entsprechend zu steuern. Bis Ende der siebziger Jahre fungierte dabei die „Annäherung der Klassen und Schichten“ hinsichtlich wesentlicher Lebensbedingungen (Einkommen, Bildung, Wohnen) als zentrales ideologisches Leitmotiv. Die bis dahin verlaufene Sozialstrukturentwicklung wird gemeinhin in zwei große Phasen unterschieden: Die bis 1961 weitgehend abgeschlossene Herausbildung der sozialen Grundstruktur, die sich durch umfangreiche kollektive Mobilitätsprozesse infolge der Umwälzung der Eigentumsordnung auszeichnete, und eine anschließende Stabilisierungsperiode, gekennzeichnet durch den drastischen Anstieg des Beschäftigungsgrades von Frauen eine spürbare Entwicklung des allgemeinen Bildungsund Qualifikationsniveaus sowie Homogenisierungstendenzen in den Lebensbedingungen und damit zunehmende Uniformität von Sozialprofilen.

Seit Anfang der achtziger Jahre sind deutliche Modifikationen in der sozialstrukturellen Entwicklung und in den Grundsätzen ihrer Steuerung erkennbar, deren ambivalenter Charakter für den spezifischen Verlauf des politischen Umbruchs 1989 von erheblicher Bedeutung ist. Angesichts der erkannten disfunktionalen Wirkungen der Homogenisierungstendenzen der siebziger Jahre bezüglich der Entwicklung eines innovationsgerechten Leistungsverhaltens wurde das Postulat anzustrebender sozialer Gleichheit in ideologisch mehr oder minder verbrämter Argumentation auf die Formel der Chancengleichheit zurückgenommen und dazu übergegangen, durch entsprechende bildungspolitische Maßnahmen, Einkommensdifferenzierungen und abgestufte Privilegierungen die Herausbildung bestimmter Wissenschafts-und Arbeitereliten und entsprechend spezifischer Sozialprofile zu fördern. Andererseits wurden seit Mitte der siebziger Jahre aus vor allem demographischen und beschäftigungspolitischen Erwägungen die Zulassungsquoten zum Hochschulstudium drastisch reduziert und zugleich die Abiturientenzahlen auf diese Quoten begrenzt, was eine erhebliche Beschränkung sozialer Aufstiegschancen und damit zwangsläufig auch einen Loyalitätsverlust zur Folge hatte. Restriktive Zulassungspraxis und bestehende Überqualifikation zusammen ergeben eine der wesentlichen sozialstrukturellen Komponenten der Sinnkrise, aus der größere Teile der Jugend für sich einen Ausweg in Subkulturen sowie in den Gruppen suchten, die sich in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre zu den organisatorischen Kernen der Opposition entwickelt haben.

Beide hier skizzierten Momente zusammen haben in den achtziger Jahren zu einer wachsenden Differenzierung innerhalb der sozialen Binnenstrukturen mit entsprechenden Bündelungseffekten sozialer Merkmale geführt, die aber aufgrund verschiedener Faktoren zugleich erheblichen Deformationsprozessen unterlagen. Angesichts der system-bedingt anhaltenden Priorität von Loyalitätskriterien in der Praxis der Eliteförderung, der ohnehin schon bestehenden Monopolstrukturen (beispielsweise in bezug auf Informationen und Entscheidungskompetenzen) und unter Voraussetzung der chronischen Defizite im Konsumtionsbereich hat die Reproduktions-und Funktionsweise der sozialen * Strukturen insbesondere in den achtziger Jahren deutliche ständegesellschaftliche Züge angenommen

Die „Monopolisierung ideeler und materieller Güter oder Chancen“ reichte in der DDR von den Selbstrekrutierungstendenzen bestimmter sozialer und Berufsgruppen über ein fein gefächertes System von Privilegien (Nomenklatura, Informationszugang, „Reisekader“, „Aufwandsentschädigungen“usw.), enormen Einkommensunterschieden zwischen gleichen Qualifikations-und Leistungsgruppen in unterschiedlichen Branchen (z. B. Pförtner in einem Krankenhaus und Pförtner in einem Objekt der Staatssicherheit) bis hin zu spontanen Monopolbildungen in der Schattenwirtschaft (z. B. geschlossene Kreisläufe im Tausch von defizitären Waren unter Beschäftigten verschiedener Handelseinrichtungen). Diese Tendenz wurde noch durch eine Einkommenspolitik komplettiert, die die Diskrepanz zwischen der Qualifikationsstruktur und der Überzahl von Arbeitsplätzen mit geringen Qualifikationsanforderungen, welche aus dem zunehmend disproportionalen technologischen Entwicklungsstand sowie „ungeplanter“ Automatisierungsfolgen herrührt, durch überhöhte Lohn-und Gehaltszahlungen kompensieren mußte.

Einkommensnivellierungen zwischen unterschiedlichen Qualifikations-und Leistungskategorien einerseits und wachsende leistungsunabhängige Differenzierungen innerhalb derselben andererseits waren die Folge Der sozial wesentliche Effekt dieses hier skizzierten komplexen Deformationszusammenhangs waren die zur Permanenz neigende Unterwanderung des „Prinzips der Verteilung nach der Leistung“ und damit die sukzessive Erosion einer der beiden wichtigsten Legitimationsgrundlagen des sozialökonomischen und politischen Systems.

Die andere Legitimationsgrundlage war das System der sozialen Sicherheit. Die für die DDR charakteristische staatliche Sozialpolitik war „gekennzeichnet durch eine zentral geplante und gesteuerte paternalistische Bedürfnisregulierung: Die Bürokratie ermittelt und bestimmt den Bedarf, entscheidet über die Grundsätze der Verteilung und organisiert die Zuteilung. So werden nicht nur vorhandene Bedürfnisse und Lebensgewohnheiten reprodu-ziert, sondern auch Wertorientierungen, Lebens-pläne und Entfaltungschancen von Individuen und Gruppen nachhaltig vorgeprägt.“ Zwei Aspekte scheinen uns hier im Hinblick aufdie politische Entwicklung 1989/90 besonders bedeutsam:

— Vom Standpunkt der vorherrschend gegebenen Bedürfnisse und Lebensgewohnheiten erscheinen die für eine effektive Modernisierung erforderlichen Veränderungen in den Lebensweisen — häufige berufliche Weiterbildung, territoriale Mobilität, verändertes Zeitverhalten, neue Kooperationsformen in der Arbeit — ebensowenig attraktiv wie alternative, ökologisch verträgliche und solidarische Wertorientierungen. Mit der Konservierung eher herkömmlicher Bedürfnisstrukturen und Konsumtionsgewohnheiten hat die praktizierte Sozialpolitik dazu beigetragen, daß zum einen die angeStrebte Modernisierung auch an soziale Grenzen stieß. Und sie hat zum anderen einen sozialen Bewußtseinswandel behindert, der die Voraussetzung für die Akzeptanz der Programmatik der „alten Opposition“ gewesen wäre.

— Der obrigkeitsstaatliche Charakter der Bedürfnisregulierung und Verteilungspolitik war ein Ausdruck der Eliminierung der „Empfänger“ von Arbeitsaufgaben, Einkommen und Sozialleistungen aus dem Gestaltungsprozeß sozialer Verhältnisse. Dieser „Entsubjektivierung“ sozialer Strukturen entsprach eine zur Uniformität neigende Individualisierung und Atomisierung des sozialen Verhaltens breiter Bevölkerungskreise, die zum einen soziale Kommunikationsprozesse durch den Rückzug in die vielzitierten „Nischen“ (Familie, Freundeskreis usw.) zunehmend privatisierte und zum anderen die eigenen Bedürfnisse und Interessen nicht zum Ausgangspunkt selbstorganisierten kollektiven Handelns machte, sondern sie in eine Erwartungshaltung an den Staat umformulierte Orientierung an Konsum, Freizeitgenuß, privatem Wohlbefinden vor allem in der Familie, Interesse an leistungsgerechter Bezahlung sowie die Befürwortung einer „stark ordnende(n) und aktiv gestaltende(n) Rolle eines .demokratischen Staates* in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft“ kennzeichnen die mehrheitliche Grundhaltung der DDR-Bürgerinnen. In dieser, das widersprüchliche Verhältnis von sozialer Integration und politischer Distanz zum Ausdruck bringenden Grundhaltung sehen wir eine — künftig noch tiefer auszulotende — Erklärungsmöglichkeit dafür, warum die Revolution einerseits „so spät kam“ und andererseits so schnell ihre Richtung änderte.

Da das soziale und politische System eben nur zu partiellen Integrationsleistungen fähig war, zugleich aber eine strukturelle Unfähigkeit zu kollektivem sozialem Handeln erzeugte und reproduzierte, mußte soziale Unzufriedenheit erst in erheblichem Maße akkumuliert werden, ehe sie politisch mobilisierbar wurde. Und als in Anbetracht der nicht mehr nur individuell alltäglich wahrgenommenen, sondern nun auch öffentlich offenbarten ökonomischen und ökologischen Krisenausmaße die Formulierung von Erwartungen an den eigenen schon sichtbar zerfallenden Staat zunehmend als aussichtslos erscheinen mußte, war nichts naheliegender, als diese Erwartungen in alter Gewohnheit an den sich seit langem anbietenden anderen deutschen Staat und die ihn in der DDR vertretenden Parteien umzulenken.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14. Juni 1989, S. 13.

  2. Vgl. die taz. DDR-Journal zur Novemberrevolution, Frankfurt/M. 1989; Gert-Joachim Glaeßner, Vom „realen Sozialismus“ zur Selbstbestimmung, in: Aus Politik und Zeit-geschichte, B 1— 2/90. S. 3 ff.

  3. Nach (als repräsentativ ausgewiesenen) Meinungsumfragen des Leipziger Zentralinstituts für Jugendforschung sprachen sich Ende November 1989 48 Prozent der DDR-Bürgerinnen für eine Vereinigung der beiden deutschen Staaten aus. Anfang Februar 1990 waren es 76 Prozent. Der Anteil potentieller Wähler des Neuen Forum sank im gleichen Zeitraum von 17 auf 4 Prozent. Vgl. Neues Deutschland vom 7. Dezember 1989 sowie Berliner Zeitung vom 7. Februar 1990.

  4. Diese Situation wird u. a. auch in Ergebnissen von Infas-Umfragen (vorgestellt am 12. Februar bzw. 2. März 1990 im Fernsehen der DDR) widergespiegelt, nach denen der Anteil der hinsichtlich ihrer Wahlentscheidung noch unschlüssigen Bürgerinnen im Februar wieder von 43 auf 52 Prozent angestiegen war.

  5. So wurde 1987 der Jahresurlaub für Berufstätige im Vor-rentenalter um fünf Tage verlängert und eine Rentenerhöhung in Aussicht gestellt, die allerdings erst 1989 in Kraft trat.

  6. Materialien des IX. Parteitages der SED, Berlin 1976.

  7. DDR-weit wird insgesamt von ca. 200 000 Protestbriefen gegen das Sputnikverbot gesprochen.

  8. Vgl. Otto Reinhold. Der Sozialismus als Leistungsgesellschaft, in: Neues Deutschland vom 8. August 1989; Kurt Tiedke, Die neue Epoche auf deutschem Boden, in: Neues Deutschland vom 30. August 1989.

  9. Eine Ausnahme bilden hier die von Rainer Land, Michael Brie und Dieter Segert im Rahmen einer Projektgruppe an der Berliner Humboldt-Universität initiierten Arbeiten zu einer „Theorie des modernen Sozialismus“, die im Juni 1989 in einer Studie zu anstehenden Reformprozessen (2. Fassung im November 1989) zusammengefaßt wurden. Vgl. Rainer Land (Hrsg.), Aufbruch in die Zukunft, Berlin 1990.

  10. Im Sommer 1988 hielt sich beispielsweise das Gerücht sehr hartnäckig, daß der damalige Leiter der Staatlichen Plankommission. Politbüromitglied Gerhard Schürer, in einem Brief an Erich Honecker die Absetzung Günter Mittags gefordert hätte.

  11. Ulrike Poppe schätzte die Anzahl der Gruppen 1988 auf 325. Wieland Giebel gibt für 1989 ca. 500 an, Hubertus Knabe schätzte die Zahl der von den Gruppen erfaßten Menschen auf etwa 100 000. Vgl. Ulrike Poppe. Das kritische Potential der Gruppen in Kirche und Gesellschaft, unveröfftl. Vortrag in der Ev. Akademie Berlin-Brandenburg vom 26. November 1988. S. 91. Vgl. auch Matthias Geis/Wieland Giebel. Als Reaktion auf die Ausreisewelle geht die DDR-Opposition an den Start, in: die taz (Anm. 2), S. 7; Hubertus Knabe, Neue soziale Bewegungen im Sozialismus, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 40 (1988) 3, S. 555.

  12. Eine Analyse von Leserbriefen, die in verschiedenen Zeitungsredaktionen der DDR seit November 1988 eingegangen waren, ergab allerdings, daß ein massiver Anstieg von Protestbriefen noch nicht nach dem Wahlbetrug, sondern erst nach den Beifallskundgebungen der SED-Führung für die brutale Zerschlagung der chinesischen Studentenbewegung einsetzte. Seit dieser Zeit erreichte etwa das Zehnfache des zuvor üblichen politischen Leserbriefpotentials die Redaktionen. Zugleich nahm die bisherige Überrepräsentanz der Intelligenz unter den Autoren ab. Vgl. Uwe Matthes/Irene Müller-Hartmann. Zur politischen Stimmungslage der DDR-Bevölkerung im Zeitraum November 1988 bis November 1989. unveröffentl. Vortrag auf dem 5. Soziologie-Kongreß der DDR, Berlin, Februar 1990.

  13. Zu Ursprüngen und Programmatik der Opposition vgl. Hubertus Knabe, Politische Opposition in der DDR, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 1— 2/90, S. 21 ff.

  14. die taz (Anm. 2), S. 9.

  15. Ebd., S. 12.

  16. Demokratie Jetzt, Zeitung der Bürgerbewegung, Nr. 3, November 1989.

  17. Vgl. Interview mit Edelbert Richter, in: die taz (Anm. 2), S. 12; Markus Meckel, Das Anknüpfen an die deutsche sozialdemokratische Tradition, programmatischer Vortrag anläßlich der Gründung der SDP.

  18. Interview mit Ibrahim Böhme, in: die taz (Anm. 2), S. 67.

  19. Brief der Erstunterzeichner des Neuen Forum vom 1. Oktober 1989, S. 3 ff.

  20. Ebd.

  21. Bis 26. Februar 1990 hatten sich 36 Parteien und politische Vereinigungen in der Wahlkommission zur Registratur gemeldet, zuvor hatten sich schon 12 Parteien zur DSU zusammengeschlossen.

  22. Wie aussichtslos die ehemaligen Blockparteien ihre eigene Lage einschätzten, wurde im Februar an dem krampfhaften Versuch der NDPD deutlich, in den die Aufnahme von der FDP, der LDP und der DFP begründeten Bund freier Demokraten zu finden.

  23. Vgl. Die Tageszeitung/DDR vom 4. März 1990, S. 4.

  24. Zur Strategie der SED seit 1971 vgl. R. Land (Anm. 9), S. 55 f.

  25. Vgl. Doris Comeisen, Ende oder Wende?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 1— 2/90, S. 33 ff.; dies., Die Volkswirtschaft der DDR: Wirtschaftssystem — Entwicklung — Probleme, in: Werner Weidenfeld/Hartmut Zimmermann (Hrsg.), Deutschland-Handbuch. Eine doppelte Bilanz 1949-1989, Bonn 1989, S. 258 ff.

  26. Vgl. Thomas Hanf, Auf der Suche nach Subjektivität. Thesen zum Fortgang der Sozialstrukturforschung in der DDR. unveröffentl. Vortrag zum 5. Soziologie-Kongreß der DDR, Berlin, Februar 1990, S. 3.

  27. Vgl. Katharina Belwe, Sozialstruktur und gesellschaftlicher Wandel in der DDR, in: Deutschland-Handbuch (Anm. 25), S. 216.

  28. Der Beschäftigungsgrad der arbeitsfähigen weiblichen Bevölkerung lag 1960 bei 69, 8 Prozent, 1980 bei 90. 3 Prozent. Vgl. Die Frau in der Deutschen Demokratischen Republik. Statistische Kennziffernsammlung, Berlin 1988, S. 64.

  29. Vgl. Rüdiger Thomas, Aspekte des sozialen Wandels in der DDR. in: Heiner Timmermann (Hrsg.), Sozialstruktur und sozialer Wandel in der DDR, Saarbrücken 1988. S. 36 f.

  30. Vgl. Ingrid Lötsch/Manfred Lötsch, Arbeiterklasse und intensiv erweiterte Reproduktion. Neue Tendenzen und Probleme der Entwicklung der Arbeiterklasse in der DDR. in: wissenschaftlicher Rat für Sozialpolitik und Demografie, Protokolle und Informationen, 4/1985, S. 38.

  31. Vgl. K. Belwe (Anm. 27), S. 136 f.

  32. 1989 waren 10, 6 Prozent der Hochschulkader und 20, 1 Prozent der Meister unterhalb ihres Qualifikationsniveaus eingesetzt. Vgl. Sozialreport 1990, Bd. 1, Berlin 1990 (Manuskriptdruck), S. 87 f.

  33. Vgl.den Beitrag von Artur Meier in dieser Ausgabe, S. 3 ff.

  34. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1976, S. 537.

  35. Während eine zunehmende Differenzierung der Arbeitseinkommen zwischen den Zweigen und vor allem auch zwischen den Geschlechtern zu verzeichnen ist, hat sich der durchschnittliche Nettolohnabstand zwischen Hoch-bzw. Fachschulkadern zu Produktionsarbeitern von 122 Prozent (1984) auf 115 Prozent (1988) verringert. Vgl. Sozialreport 1990 (Anm. 32), S. 114 ff.

  36. Gerd Meyer. Der versorgte Mensch, in: Zur politischen Kultur der DDR. Der Bürger im Staat. 39 (1989) 3, S. 159.

  37. „Entsubjektivierung“ sozialer Strukturen meint, daß die Proportionen sozialer Differenzierung nicht „aus dem interessengeleiteten Handeln wirtschaftlicher Subjekte hervorgehen“ (Th. Hanf [Anm. 26], S. 2). Soziale Gruppen oder Klassen fungieren daher nicht mehr als Akteure kollektiven Handelns, sondern nur noch als sozialstatistische Kategorien.

  38. Eine Untersuchung von DDR-Soziologen im Januar 1990 ergab, daß 90, 8 Prozent der Befragten den Staat für die Altersrentenversorgung, 95, 8 Prozent für medizinische Versorgung und 61, 8 Prozent für die finanzielle Absicherung bei Krankheit verantwortlich machen. Vgl. Sozialreport 1990 (Anm. 32), S. 216.

  39. G. Meyer (Anm. 36), S. 162.

Weitere Inhalte

Jan Wielgohs, Dr. phil., geb. 1957; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie und Sozi alpolitik der Akademie der Wissenschaften der DDR, Berlin. Veröffentlichungen u. a.: Das „Soziale**-philosophisch-methodologische Überlegungen zur Diskussioi um die Begriffsbestimmung, in: Soziologie und Sozialpolitik, Symposien und Kolloquien IV, Berlin 1988 (mit Astrid Segert) Ökonomische Soziologie in Novosibirsk (Literaturbericht), in: Deutsche Zeitschrift fü Philosophie. 37 (1989) 10-11. Marianne Schulz, Dr. phil., geb. 1946; wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie um Sozialpolitik der Akademie der Wissenschaften der DDR, Berlin. Veröffentlichungen u. a.: (Autorenkoll.) Wie steht es um Leistungsstreben, Initiative, Schöpfertum? Berlin 1979; Maurice Halbwachs — zu seiner Durkheim-Marx-Rezeption am Beispiel des Verständnisse sozialer Klassen, insbesondere der Arbeiterklasse, in: Soziologie und Sozialpolitik, Symposien und Kol loquien I, Berlin 1987; In einer „erweiterten wissenschaftlichen Gemeinschaft“ eine progressive gesell schaftliche Entwicklungsalternative für Frankreich denken — Zehn Jahre marxistische Gesellschaftsana lyse des Instituts des Recherches Marxistes (IRM), Paris, in: Jahrbuch für Soziologie und Sozialpolitik Berlin 1989.