Die Desintegration des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe. Neue Perspektiven für die mitteleuropäischen Länder?
Adam Gwiazda
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Zusammenfassung
Dieser Beitrag bietet eine Analyse der jüngsten Debatte über die Desintegration des Comecon, über die Zukunft dieser Organisation und die Aussichten für einige seiner Mitglieder. Im ersten Teil wird die Frage diskutiert, welcher Art die Außenhandelsbeziehungen der Comecon-Länder und welches ihre sichtbarsten Konsequenzen sowohl für den RGW-Binnenhandel als auch für die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Ost und West sind. Darüber hinaus werden alle Nachteile aufgelistct, die sich aus dem Zahlungssystem des RGW, das auf dem Transferrubel basiert, ergeben. Einige theoretische Annahmen bezüglich der Frage der „Gewinne und Verluste“ im RGW-Binnenhandel werden anhand des Beispiels polnisch-sowjetischer Handelsbeziehungen in den letzten Jahren illustriert. Daneben werden weitere Auswirkungen der Konzentration des RGW-Handels auf den Binnenmarkt vorgestcllt. Im zweiten Teil werden die jüngsten Bemühungen zur Reform des Comecon beschrieben. Mit dem Zusammenbruch des zentral gelenkten Planwirtschaftssystems in den mitteleuropäischen Ländern ist offensichtlich geworden, daß es für den RGW in seiner jetzigen Form keine Zukunft mehr gibt. Es besteht praktisch keine Möglichkeit, diese Organisation in eine Art osteuropäische Gemeinschaft (Gemeinsamer Markt) zu verwandeln, und nach Ansicht des Autors wird der RGW auch als Beratungsorgan keine wichtigen Funktionen übernehmen können. Daher wird er an Auszehrung cingehcn. In dieser neuen Situation werden die mitteleuropäischen Länder auf die gleiche Zukunft zusteuern: auf die Integration in die EG. Jedes Land dieser Region wird auf spezifische Weise dieses Ziel schrittweise umsetzen.
Der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW, auch bekannt als Comecon, Council for Mutual Economic Assistance, wurde Ende Januar 1949, in der Periode des Kalten Krieges, gegründet, in einer Zeit der wachsenden Konfrontation zwischen Ost und West. Sowohl diese äußeren Bedingungen als auch die damalige innenpolitische Situation in der Sowjetunion sowie in den mittel-und osteuropäischen Ländern (intensive Stalinisierung des politisehen, ökonomischen und soziokulturellen Lebens)
haben großen Einfluß auf den Charakter des RGW ausgeübt. Tatsache ist, daß der RGW Handlanger eines spezifischen politischen Systems war — des der Sowjetunion. Und es war dieses politische System — nicht der RGW selbst —, das in der Vergangenheit Umfang und Formen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten bestimmte -Übersetzung aus dem Englischen: Claudia Kemmer, Bonn Man sollte sich daran erinnern, daß eines der grundlegenden Ziele des RGW die Schaffung geeigneter Bedingungen für „gemeinsame Aktivitäten der Mitgliedstaaten“ war, „die ihnen helfen würden, die gemeinsame Aufgabe, d. h.den Aufbau des Sozialismus, zu bewältigen, und sie befähigen sollte, mit vereinten Kräften das ökonomische Diktat des Westens zu überwinden“ In den ersten 15 Jahren seiner Existenz war der RGW jedoch eine nahezu untätige Vereinigung. Während die EWG-Länder ihre Integration auf Prinzipien des Wettbewerbs und der Dynamik durch Harmonisierung der Märkte gründeten, verhielten sich die RGW-Mitglieder eher autark und zeigten wenig Interesse an der Entwicklung von Beziehungen zu westlichen Ländern. Im Gegensatz zur EWG wurde der RGW seit seiner Gründung von nur einem Mitgliedstaat dominiert — von der Sowjetunion. Zu jener Zeit handelte es sich nicht nur um eine wirtschaftliche, sondern vor allem um eine politische und militärische Vormachtstellung. Wie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit innerhalb des Comecon verteilt war, zeigt Tabelle 1 für 1988.
Abbildung 12
Tabelle 5: RGW-Anteil am Welthandel 1988 Quelle: UN Monthly Bulletin of Statistics 1989, verschiedene Ausgaben.
Tabelle 5: RGW-Anteil am Welthandel 1988 Quelle: UN Monthly Bulletin of Statistics 1989, verschiedene Ausgaben.
Widersprüchlich war auch, daß der RGW bis Ende der fünfziger Jahre keine Satzung (d. h. keine allgemeinverbindlichen Regeln und Vorschriften) besaß; erst im April 1960 wurde eine solche ratifiziert. Aber schon zwei Jahre später veränderte man diese Satzung, und seitdem wurde die sogenannte „Koordination der Wirtschaftspläne“ das elementare Instrument, um die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern und zu forcieren. Die mitteleuropäischen RGW-Staaten waren sich der Tatsache bewußt, daß die Sowjetunion mit Hilfe dieses Instruments ihren massiven Einfluß — primär — auf die Investitionspolitik der anderen Mitgliedstaaten und damit auf die Schaffung solcher Produktionskapazitäten (-Strukturen) ausdehnte, die mit den sowjetischen ökonomischen und strategischen Interessen in Einklang standen, statt mit ihren eigenen nationalen wirtschaftlichen -Belan gen.
Abbildung 13
Tabelle 6: RGW-Anteil am Handel mit den OECD-Ländern 1988 Quelle: Financial Market Trends, OECD. Paris, Nr. 42 vom Februar 1989, S. 20— 31, und GATT International Trade 1988-1989, Bd. 1, Genf 1989, S. 11-15.
Tabelle 6: RGW-Anteil am Handel mit den OECD-Ländern 1988 Quelle: Financial Market Trends, OECD. Paris, Nr. 42 vom Februar 1989, S. 20— 31, und GATT International Trade 1988-1989, Bd. 1, Genf 1989, S. 11-15.
Es war außerdem offensichtlich, daß das andere maßgebliche Ziel sowjetischer Politik — zu diesem Zeitpunkt — darin bestand, RGW-Mitgliedsländer sowohl von sowjetischer Technologie (gemessen an westlichen Standards in hohem Maße veraltet) als auch von sowjetischen Rohstoffen und deren Markt abhängig zu machen. So gesehen hatte sich das traditionelle, räumliche Muster der Handelsbeziehungen aller mittel-und osteuropäischen Länder im Vergleich zur Zwischenkriegszeit drastisch verändert, als diese Länder Handelsbeziehungen hauptsächlich mit Westeuropa statt mit der Sowjetunion und den anderen osteuropäischen Staaten unterhielten.
Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, daß besagte Politik der „Koordination der Wirtschaftspläne“ zwischen RGW-Mitgliedern, die nach Meinung sowjetischer Funktionäre supranationalen (transnationalen) Charakters und der in Moskau angesiedelten Planungsmacht untergeordnet sei, von anderen Mitgliedstaaten wie Polen, Rumänien und Ungarn niemals vollständig gebilligt worden war. Wie Repräsentanten der rumänischen kommunistischen Partei 1964 explizit formulierten, wäre eine solche Planungsautorität mit der Souveränität anderer RGW-Mitgliedstaaten unvereinbar. Der erwähnte Widerstand einiger Mitglieder des Comecon gegen die Schaffung „supranationaler Institutionen“ (Befehlsgewalten) war die Hauptursache dafür, daß alle Entscheidungen und Resolutionen der zentralen Körperschaften des RGW, die vitale Interessen betrafen, nach dem Konsensprinzip (Einstimmigkeitsprinzip) gefällt werden mußten. Auf der anderen Seite enthält Artikel der RGW-Statuten einige Kompromißformeln zwischen Konsens-und Mehrheitsprinzip. Nach dieser Formel sind „solche Entscheidungen und Resolutionen, die nicht mit Interessen der Mitgliedstaaten in Einklang stehen, für diese solange nicht bindend, bis sie daran interessiert sind, daß diese Entscheidungen und Empfehlungen umgesetzt werden“ 3).
Trotz solcher Kompromißformeln war die Frage der gemeinsamen Politik und der Durchsetzung solcher Entscheidungen, die für alle RGW-Mitgliedstaaten bindend sein sollten, der Hauptanlaß für Unzufriedenheit bis heute, d. h. bis zum stufenweisen Abstieg des Comecon zu einem regionalen, ökonomischen Quasibündnis. Bis heute blieben die Märkte der einzelnen RGW-Mitglieder streng voneinander getrennt und haben ihren nationalen Charakter behalten. In diesem Zusammenhang sollte darauf aufmerksam gemacht werden, daß größere Meinungsverschiedenheiten darüber bestanden, wie der Comecon-Markt funktionieren und welche und diese Kräfte Mechanismen formal integrative Organisation antreiben sollten. Dies schien u. a. die Hauptquelle der Verwirrung für ausländische Investoren zu sein, die sich darum bemühten, eine Joint Venture-Firma auf dem Gebiet nur eines der RGW-Mitgliedsländer zu gründen, um Zugang zu dem ganzen, nahezu nicht existierenden „gemeinsamen“ RGW-Markt zu finden. Im Gegensatz zu den EWG-Staaten billigten die RGW-Länder niemals Pläne, in einer nahen oder fernen Zukunft einen „sozialistischen gemeinsamen Markt“ zu schaffen. Schließlich war dies bis zum Ende der achtziger Jahre nicht das Hauptziel dieser Organisation, die in erster Linie der Umsetzung ideologischer und politischer Vorgaben sowie den politischen Interessen der Sowjetunion diente.
Einige Versuche, die sowohl in den siebziger als auch in den achtziger Jahren unternommen worden waren, zielten auf eine Transformation des RGW. Um nur einige zu nennen: Das sogenannte „komplexe Programm für den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt der Comecon-Staaten bis zum Jahr 2000“ und die Resolutionen der 43 Sondersitzungen des RGW, die 1987 in Moskau stattfanden, haben das tatsächliche Gesicht der Organisation nicht im mindesten verändert Die Gründe für diesen Zustand lagen sowohl in der geringen Verhandlungsmacht der kommunistischen Regierungen kleinerer RGW-Länder gegenüber der UdSSR, als auch — in erster Linie — in der Weigerung des dominierenden Partners, ein solches System wirtschaftlicher Zusammenarbeit und Handels innerhalb des RGW zu schaffen, das für alle Länder gleichermaßen wünschenswert und vorteilhaft wäre.
I. Die Beschaffenheit des Außenhandels von RGW-Staaten
Abbildung 8
Tabelle 1: RGW-Staaten (Ausgewählte Indikatoren für das Jahr 1988) Quelle: International Financial Statistics (IMF); Vienna Institute for Comparative Economic Studies; The Amex Bank Review, Nr. 4/1990, S. 3.
Tabelle 1: RGW-Staaten (Ausgewählte Indikatoren für das Jahr 1988) Quelle: International Financial Statistics (IMF); Vienna Institute for Comparative Economic Studies; The Amex Bank Review, Nr. 4/1990, S. 3.
Wie oben bereits ausgeführt basierte das gesamte System wirtschaftlicher Zusammenarbeit innerhalb des RGW auf der Abstimmung der Wirtschaftspläne der Mitgliedstaaten, aber auch auf dem Transferrubel und nicht zuletzt auf dem ökonomischen Diktat, das Moskau seinen mittel-und osteuropäischen Partnern auferlegte. Bevor wir die Eigenart des Comecon-Außenhandels (sowohl des Handels zwischen den RGW-Staaten als auch des Anteils dieser Länder am Welthandel) besprechen, sollte erläutert werden, wie Handelsbeziehungen innerhalb des RGW von der Einführung des Transferrubels 1963, „dessen Vater das fortschrittlichste Land der Welt und dessen Mutter die kommunistische Ideologie waren“ beeinflußt wurden. Beim Transferrubel handelt es sich nicht um eine gemeinsame Währung des RGW, sondern um eine Verrechnungseinheit, die keine weiteren monetären Funktionen erfüllte. Im gleichen Jahr wurde in Moskau eine besondere Bank gegründet, die Internationale Bank der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, die ebensowenig normale Bankfunktionen wahrnahm.
Handelsaktionen zwischen den RGW-Staaten wurden jedoch trotz des Vorhandenseins einer solchen künstlichen „Kollektivwährung“ praktisch auf einer bilateralen Tauschebene statt im Rahmen multilateraler Handelsabkommen abgeschlossen und beglichen. Gewinne in Transferrubel, die aus Geschäften mit einem RGW-Partner stammten, konnten nicht einfach in Güterlieferungen eines anderen umgewandelt, gegen Gold oder womöglich nationale Währungen von RGW-Staaten (weiche Währungen) getauscht werden.
Deshalb sind all jene Comecon-Staaten, die in dieses „seltsame“ Finanzsystem eingebunden sind und die ihre Exporte hauptsächlich auf andere Mitgliedstaaten (insbesondere die Sowjetunion) ausgedehnt haben, nun Gefangene ihrer Gewinne, die in Transferrubel bei der Moskauer Internationalen Bank der wirtschaftlichen Zusammenarbeit angelegt und weder in Güter noch in harte Währungen konvertierbar sind
In diesem Zusammenhang sollte daran erinnert werden, daß die Handelsbeziehungen zwischen den RGW-Staaten in der Vergangenheit von der Nachfrage nach sowjetischen Rohstoffen dominiert wurden. Rohstoffe machten den Hauptanteil der Exporte der UdSSR aus, die wiederum gegen handwerkliche und landwirtschaftliche Produkte eingetauscht wurden. Im Durchschnitt bestanden ungefähr zwei Drittel des ost-und mitteleuropäischen Handels bis Ende der achtziger Jahre aus Handels-transaktionen zwischen Comecon-Staaten. Noch 1989 beispielsweise betrug der gesamte Export Osteuropas in andere Comecon-Länder (nichtkonvertibler Bereich, wie in Tabelle 2 gezeigt) 29, 4 Mrd. US-Dollar im Vergleich zu 21, 6 Mrd. US-Dollar Exporte in OECD-Länder.
Gleichwohl gab es während des stufenweisen Zusammenbruchs des RGW einige Fluktuationen im Handel zwischen der Sowjetunion und den anderen Mitgliedstaaten. In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre z. B. betrug der Anteil der Sowjetunion am gesamten Handel der Comecon-Länder 51 Prozent. Nach einigen Vorhersagen sollte sich die Wachstumsrate des sowjetisch-osteuropäischen Handels 1985 bis 1990 um 35 Prozent bewegen, während das tatsächliche Wachstum nur 21 Prozent betrug. Nur 1986 steigerte sich der Handelsumsatz zwischen der Sowjetunion und den anderen RGW-Ländern um 6 Prozent verglichen mit dem Vorjahr und erreichte die Marke von 69, 1 Mrd. Rubel. Bereits 1987 sank der Wert dieses Umsatzes auf 68, 5 Mrd. Rubel, 1988 auf 67, 9 Mrd. und 1989 fast auf 66, 6 Mrd. Rubel. 1986 war auch das letzte Jahr, in dem die Sowjetunion eine positive Handelsbilanz mit ihren Comecon-Partnern verzeichnete (ca. 2, 5 Mrd. Rubel). Schon 1988 war diese Bilanz negativ (2, 2 Mrd. Rubel)
Geringfügig anders stellte sich die Situation der Handelsbeziehungen zwischen der Sowjetunion auf der einen Seite und den einzelnen Comecon-Ländern auf der anderen Seite dar. Z. B. ergaben sich einige Ungleichgewichte im sowjetisch-ungarischen Handel, dessen Wert 1989 um 7 Prozent niedriger als im Vorjahr war. Trotzdem beträgt der Handel mit der UdSSR noch 40 Prozent des gesamten ungarischen Handels, wobei es allerdings in den letzten drei Jahren mit dem gegenseitigen Austausch von Gütern und Dienstleistungen steil bergab ging. Überdies verzeichnet Ungarn substantielle Gewinne in der Handelsbilanz mit der Sowjetunion und deshalb stoppte der ungarische Außenhandelsminister im Februar 1990 alle Exporte in die Sowjetunion, um die Anhäufung wertloser Transferrubel zu verhindern. Einen Monat später unterzeichneten beide Staaten ein neues Handelsabkommen, nach dem die Sowjetunion ihr Handelsdefizit mit Ungarn am Ende des Jahres in US-Dollar beglichen wird. Von Beginn des nächsten Jahres an werden alle Handelstransaktionen auf der Basis von Welt-marktpreisen und in harter Währung verrechnet
Der Außenhandel Polens hängt ebenso von der Sowjetunion ab und verzeichnete in den letzten Jahren gleichfalls erhebliche Überschüsse in seiner Handelsbilanz und zwar sowohl mit der UdSSR als auch mit anderen Comecon-Ländern (vgl. Tabelle 3). Darin kommt jedoch keineswegs nur die „einseitige Abhängigkeit“ eines kleinen Landes von der Warenlieferung (hauptsächlich Rohstoffe und Brennmaterialien) eines größeren Landes zum Ausdruck, wie es z. B. bei den bulgarisch-sowjetischen Handelsbeziehungen der Fall ist. Abhängigkeiten in Bezug auf Industriegüterlieferungen aus Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn und der ehemals Deutschen Demokratischen Republik bestehen nämlich auch für die UdSSR. Polen ist noch immer ein bedeutender Handelspartner für die Sowjetunion, der größte unter den RGW-Mitgliedsländern. Hunderte verschiedener Fabriken in der \ Sowjetunion sind von polnischen Firmen mit polnischer Technologie gebaut worden, weshalb viele Güter aus Polen importiert werden müssen (einschließlich der Ersatzteile, die kaum durch Importe aus anderen Ländern ersetzt werden können), um die Produktion aufrechtzuerhalten und zu erweitern. Inzwischen weigert sich die Sowjetunion, bestimmte Maschinentypen von polnischen Firmen zu kaufen, unter dem Vorwand, ihre Technologie sei veraltet. Aber diese Maschinen wurden nach sowjetischen Lizenzen gebaut, die Polen nolens volens von der Sowjetunion innerhalb des Rahmens der erwähnten „Koordinierung der Wirtschaftspläne“ und der RGW-Arbeitsteilung bei der Produktion kaufen mußte. D. h. sie waren ausdrücklich für den sowjetischen Markt hergestellt worden.
Dieses kontroverse Thema ist keineswegs das bedeutendste Problem in den Handelsbeziehungen, doch ist es bis zu einem gewissen Grad beispielhaft für das Verhalten der Sowjetunion gegenüber ihren RGW-Handelspartnern im Rahmen des Modells „sozialistischer" internationaler wirtschaftlicher Zusammenarbeit. Die Hauptkontroverse, die die gesamten Binnenhandelsbeziehungen zwischen den RGW-Staaten betrifft, entzündet sich an den Gewinnen und Verlusten in den bisherigen Handelsgeschäften, bedingt durch die Beibehaltung des hochgradig künstlichen und für die europäischen Mitglieder des RGW unvorteilhaften Preis-und Verrechnungssystems. Die Sowjetunion behauptet — in gewissem Maße berechtigterweise —, daß der Comecon-Handel für sie nicht profitabel ist. Die verschiedenen Repräsentanten Polens und anderer mitteleuropäischer Länder argumentieren hingegen, daß man in diesem Zusammenhang nicht allein auf der Basis „rein monetärer Überlegungen“ danach fragen kann, wem alles zugute kam und wer nur verloren hat. Mit anderen Worten: Während der gesamten Nachkriegsperiode hatten die Polen und andere mitteleuropäische Länder eine Menge mehr zu zahlen als die Sowjetunion, nicht nur in Form von Geld, sondern auch in Form von Zwangs-investitionen, Belastungen der Umwelt und aufgezwungener veralteter Technologie
Selbst wenn man eine Analyse auf der Basis von Geldwerten vornimmt, kann man beweisen — gerade am Beispiel des polnisch-sowjetischen Handels, aber genausogut für den tschechoslowakischsowjetischen Handel —, wie groß die Verluste all jener Comecon-Länder waren, die sich dem „sowjetischen Handelsmodell" anschließen mußten. Wenn Polen z. B.seine Exporteinkünfte aus dem Handel mit der Sowjetunion (das sind ca. 13 Mrd. Rubel) in US-Dollar umtauschen könnte, so hätte es nach dem offiziellen Wechselkurs, den die Sowjetunion festlegt (1 Rubel entspricht 1, 56 Dollar bzw. 1 Dollar war 1988 nur 0, 61 Rubel wert) für den Import von 13 Mio. Tonnen sowjetischen Rohöls nach Weltmarktpreisen nur 1, 8 Mrd. US-Dollar zu zahlen (der Preis einer Tonne betrug 1988 ungefähr 100 US-Dollar). In Wirklichkeit mußte Polen jedoch, wie alle anderen mittel-und osteuropäischen Staaten, 1989 für aus der Sowjetunion importiertes Rohöl verglichen mit den Weltmarktpreisen 70 Prozent mehr bezahlen!
Überdies mußte Polen (wie einige andere mitteleuropäische Länder), um die Lieferungen von sowjetischem Öl und Gas sicherzustellen, zwei bis vier Mrd. US-Dollar auf dem Gebiet der Sowjetunion investieren, mit denen sowjetische öl-und gasfördernde Industrien und Pipelinekapazitäten aufgebaut wurden. Nach den (internen) sowjetischen Preisen lag der Wert solcher Investitionsprojekte im Vergleich zu Weltmarktpreisen jedoch mindestens um ein dreifaches niedriger. Auch mußte die polnische Regierung aus ihrem Staatsbudget die sowjetischen Importeure polnischer Schiffe subventionieren, indem diese für ein Viertel des Weltmarktpreises und im Tausch gegen sibirische Eisenerze an die Sowjetunion verkauft wurden (wie polnische Eisenbahnwagen und Schwerindustrieanlagen) Wie in einem von Jerzy Doefer, Professor für Polytechnik an der Danziger Technischen Universität und Spezialist in Sachen Schiffbau, veröffentlichten Artikel enthüllt wurde, bekam die Danziger Schiffswerft normalerweise für ein Schiff, das 10 Mio. US-Dollar wert und mit einigen Einrichtungen westlieher Elektronik etc. ausgestattet ist, von der Sowjetunion nur 6, 1 Mio. Rubel (ein Beispiel von 1988). Nach dem offiziellen Wechselkurs im Jahre 1988 von Zloty zu US-Dollar (453 Zloty = 1 US-Dollar) und Rubel (205 Zloty = 1 Rubel) bekam die Schiffswerft in jenem Jahr nur 1 230 Mio. Zloty Wenn dieses Schiff in ein Land mit harter Währung exportiert worden wäre (entweder westliche oder Entwicklungsländer), hätte man nach den angenommenen Kriterien dafür einen Preis von 4 530 Mio. Zloty erzielt — ein profitables Unternehmen. Manchmal mußte einfach die polnische Regierung die Differenz zwischen dem Weltmarkt-preis in US-Dollar und dem RGW-Binnenhandelspreis in Rubel an die Danziger Schiffswerft bezahlen, niemals aber der sowjetische Kunde.
Solche für die Mehrheit der polnischen Firmen höchst unprofitablen Geschäfte waren nur durch die Existenz eines besonderen Handelsübereinkommens mit der Sowjetunion möglich. Bei Handelstransaktionen mit Entwicklungs-und westlichen Industrieländern bestand ein offizieller Wechselkurs zu harten Währungen. D. h. es gab eine direkte Beziehung z. B. zwischen dem Zloty als Ausdruck des Unternehmereinkommens und der D-Mark oder des US-Dollars als Berechnungsgrundlage der Exporteinnahmen. Dies war jedoch nicht der Fall beim Handel mit der Sowjetunion, denn alle Transaktionen, die mit diesem Land abgeschlossen wurden, wurden zunächst in US-Dollar berechnet (Nennwert), danach in Rubel umgerechnet (natürlich nach dem oben beschriebenen künstlichen sowjetischen Wechselkurs 1 US-Dollar zu 0, 61 Rubel) und erst zuletzt in Zloty umgewandelt (z. B. bekam man 1988 für 1 Rubel 205 Zloty im Vergleich zu 453 Zloty für 1 US-Dollar).
Wie die Zahlen in Tabelle 4 bestätigen, verschlechterte sich das hochgradig ungünstige Wechselkurs-verhältnis zwischen US-Dollar und Rubel für Polen ebenso wie für andere Comecon-Länder sogar 1989 und in der ersten Hälfte des Jahres 1990. Es gab nur eine positive Veränderung bezüglich des polnisch-sowjetischen Handels, daß nämlich nach dem Handelsprotokoll, das Polen und die Sowjetunion für dieses Jahr abgeschlossen haben, 15 Prozent des Umsatzes in konvertibler Währung verrechnet werden. Der Rest, d. h. 85 Prozent dieses Umsatzes, wird ungünstigerweise noch immer in Rubel bezahlt. Zwar erzielte Polen während des ersten Halbjahres 1990 1, 5 Mrd. Rubel mehr an Gewinnen durch den Handel mit der Sowjetunion als zuvor, doch keiner weiß, wie diese Gewinne verwendet werden sollen
Platzmangel erlaubt hier keine detaillierte Analyse aller negativen Effekte, die mit der schwerwiegenden Konzentration des Handels auf den RGW-Binnenmarkt und mit der Funktionsweise des besprochenen Finanzausgleichssystems Zusammenhängen. Es muß jedoch hervorgehoben werden, daß neben diesen direkten Verlusten, die die einzelnen Comecon-Länder im Handel miteinander (besonders mit der Sowjetunion) erlitten haben, die relative ökonomische Isolierung von der Weltwirtschaft eine der auffälligsten Folgen dieser Handelskonzentration war. 1988 betrug der Anteil der RGW-Länder am gesamten Welthandel weniger als 8 Prozent und 1989 sogar nur 5 Prozent (vgl. Tabelle 5). Dies ist weniger als ein Viertel des Beitrages der Europäischen Gemeinschaft (36, 7 Prozent der Gesamtsumme). Gegenwärtig exportieren osteuropäische Länder nur ca. 400 US-Dollar pro Kopf im Vergleich zu 3 437 US-Dollar pro Kopf, die EG-Länder ausführen. Ähnlich liegt das Verhältnis des Gesamthandels zu nationalen Einnahmen in den erstgenannten Ländern unter der Hälfte des entsprechenden EG-Wertes.
In jüngster Zeit war auch ein abnehmender Trend im Handel zwischen Comecon-Ländern und ihren westlichen Pendants zu verzeichnen. Der Anteil der RGW-Länder am gesamten OECD-Handel fiel von 3, 3 Prozent im Jahre 1980 auf nur 2, 2 Prozent 1988 (vgl. Tabelle 6). Innerhalb dieser Gesamtbilanz war die Bundesrepublik Deutschland bei weitem die wichtigste Versorgungsquelle für RGW-Länder mit 32 Prozent des gesamten OECD-Exports in diese Region im Jahre 1988 (einschließlich des damaligen innerdeutschen Handels). Während des Jahres 1989 stieg der Anteil der Bundesrepublik an allen OECD-Exporten in Comecon-Länder bis zur 34 Prozent-Marke. Zum Vergleich: Der britische Anteil am gesamten OECD-Export in diese Länder lag 1988 bei 4, 4 Prozent und ist 1989 und in der ersten Jahreshälfte 1990 drastisch gesunken
Auch die Warenstruktur des Comecon-Handels mit den OECD-Ländern ist in hohem Maße unvorteilhaft für die erstgenannten Länder und spiegelt ihre relative ökonomische Rückständigkeit. Zu betonen ist, daß eine solche Warenstruktur sich ebenfalls aus dem geschlossenen Wesen der RGW-Volkswirtschaften ergibt. Sie kann als Haupthindernis für einen wirtschaftlichen Fortschritt betrachtet werden. Das Wesen ihrer Wirtschaft erklärt in gewissem Maße ebenso wie das geschlossene politische System des RGW, innerhalb dessen die Sowjetunion den anderen Staaten — bis vor kurzem — einfach diktierte, in welcher Form Handel stattfinden sollte, warum es mittel-und osteuropäischen Ländern nicht gelang, die Früchte internationaler Arbeitsteilung zu ernten, und warum diese Länder unfähig waren, wie ihre westliche Pendants angemessene Gewinne aus der Ausweitung des Handels mit anderen Staaten zu ziehen.
Diese Tatsachen wurden vollständig enthüllt und anerkannt im Laufe der wirtschaftlichen Reformen in Polen, Ungarn und kürzlich in der Tschechoslowakei. Diese drei Länder haben gemeinsame Anstrengungen unternommen, das oben vorgestellte künstliche Handelsausgleichssystem innerhalb des RGW-Blocks zu verändern und gleichzeitig den RGW in eine Art Freihandelszone analog zur EFTA zu transformieren, die ihre wirtschaftliche Zusammenarbeit und das Bemühen um eine Assoziation mit der EG wie auch Kontakte mit anderen Ländern und regionalen Gruppierungen nicht einschränken sollten. Dieser Wunsch nach Schaffung eines neuen Handelssystems — wenn nicht des RGW, so doch innerhalb Mittel-und Osteuropas — das mit den weltweit üblichen Handelsgepflogenheiten und dem Fortschritt in jenen Ländern vollständig vereinbar ist, marktorientierte, ökonomische Reformen und die Einführung eines neuen demokratischen politischen Systems haben sich als die Hauptantriebskräfte einer stufenweisen Desintegration des RGW und, in mittelfristiger Sicht, einer kompletten Auflösung dieser Organisation erwiesen.
Es ist inzwischen mehr als deutlich, daß mit dem Kollaps des Systems der zentral gelenkten Planwirtschaft in Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei (und mit der Wiedervereinigung auch in der ehemaligen DDR) einfach keine Möglichkeit mehr besteht, das grundlegende Instrument der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen RGW-Mitgliedsstaaten aufrechtzuerhalten, also die Koordination der Wirtschaftspläne der Mitgliedsländer miteinander sowie die veraltete bürokratische Struktur dieser Organisation.
Zusammenfassend kann man sagen, daß die Koordinierung der Wirtschaftspläne wie auch das gesamte System der Planwirtschaft in der Vergangenheit keine positiven Ergebnisse für die Gesellschaften der Comecon-Länder gezeitigt haben. Der auffälligste Zug dieses Systems bestand in der wachsenden Verknappung fast aller Waren und Dienstleistungen sowie in der Ineffektivität ihrer nationalen Volkswirtschaften.
II. Letzte Anstrengungen zur Reformierung des RGW
Abbildung 9
Tabelle 2: Exporte der Comecon-Länder 1989 Quelle: wie Tabelle 1 und eigene Berechnungen.
Tabelle 2: Exporte der Comecon-Länder 1989 Quelle: wie Tabelle 1 und eigene Berechnungen.
Mitte der achtziger Jahre entstand eine völlig neue Situation in den europäischen RGW-Ländern. Kein einziges Comecon-Land war noch zufrieden mit dem System, das sich im Laufe von 40 Jahren gebildet hatte. Die Staaten waren unzufrieden mit dem Verrechnungssystem, das auf dem zukünftig bedeutungslosen Transferrubel basierte, aber mehr noch mit den Regeln dieser besonderen Assoziation von Staatsmonopolen. Auch die Sowjetunion hatte sich von diesen Mechanismen mehr erhofft. Die Mehrheit der RGW-Mitgliedsländer (mit Ausnahme der Sowjetunion und bis zu einem gewissen Grade einiger nichteuropäischer Mitglieder dieser Organisation) wendet sich derzeit gegen die Idee einer Transformation dieser höchst uneffizienten quasi-integrativen in eine transnationale (supranationale) Organisation oder einen gemeinsamen Markt (Osteuropäische Gemeinschaft). Die Vorschläge, die die drei Staaten Polen, Ungarn und Tschechoslowakei im Hinblick auf eine Transformation des Comecon machten, laufen auf eine Beratungsorganisation hinaus, die mit der neuen Philosophie des internationalen Handels vereinbar ist.
Auf dem RGW-Gipfel in Sofia im Januar 1990 präsentierten die Vertreter Polens ihre Vorschläge, nach denen der Comecon die wirtschaftliche Integration seiner Mitglieder in das übrige Europa erleichtern und den allgemeinen Trend unter seinen Mitgliedern hin zu freien Handel unterstützen sollte. Daher schlug man eine Begrenzung der Institutionalisierung dieser Organisation vor, d. h. die Macht und die Anzahl der zentralen Organe des RGW sollten drastisch verringert werden. In diesem Zusammenhang forderte die polnische Delegation eine sofortige Auflösung von 20 Kommissionen und Komitees, die Umwandlung zweier Comecon-Banken in sich selbst finanzierende Aktiengesellschaften und die Übernahme des Eigenfinanzierungsprinzips durch die verbleibenden zentralen Organe des RGW.
Diese Vorschläge sind von der besonderen Kommission des RGW erwogen worden, aber bis August 1990 wurden keine Entscheidungen bezüglich der zukünftigen Form dieser Organisation gefällt. Es muß hervorgehoben werden, daß diese besondere Kommission, die in Prag — nicht in Moskau — gegründet wurde, von den traditionellen, zentralen Organen des Comecon völlig unabhängig ist. Ihr Präsident kann nur aus den Reihen derjenigen Mitgliedstaaten gewählt werden, die „fortgeschrittene marktorientierte wirtschaftliche Reformen“ durchführen, d. h. er kann Bürger Polens, Ungarns oder der Tschechoslowakei sein (der erste Präsident dieser Kommission war der ungarische Planungsminister Erne Kemensi).
Auf der anderen Seite begegnete der sowjetische Vorschlag einer sofortigen Entwicklung hin zu einem System, in dem Handel auf der Basis von Welt-marktpreisen abgewickelt wird und alle bilateralen Defizite in konvertibler Währung beglichen werden, paradoxerweise der stärksten Opposition ausgerechnet bei denjenigen Comecon-Länder (Polen, Ungarn, Tschechoslowakei), die in der Vergangenheit die Einführung eines solchen Zahlungsverkehrs innerhalb des RGW nachdrücklich unterstützt haben.
Man sollte sich in Erinnerung rufen, daß Comecon-Preise und der Wert des Transferrubels in der Vergangenheit dadurch künstlich niedrig gehalten wurden, daß der Durchschnitt aller Weltmarktpreise in der vorangegangenen Fünfjahresperiode als Maßstab genommen wurde. Jetzt bestehen einige Schwierigkeiten, zu definieren, was „Weltmarktpreise“ überhaupt sind. Mit Ausnahme der mit einem Index versehenen Erzeugnisse, die an der Börse gehandelt wurden, waren alle anderen Preise vertraglich fixiert. Diese Fragen werden wahrscheinlich in naher Zukunft auf die Tagesordnung gesetzt werden, denn die Sowjetunion hat am 30. Juni 1990 gemäß der Verordnung von Präsident Michail Gorbatschow bereits angekündigt, daß sie ab 1. Januar 1991 von einem Verrechnungssystem zu einem System konvertibler Währungen wechseln will, in dem Transaktionen zu Weltmarktpreisen abgewickelt und bilaterale Zahlungsdefizite in konvertible Währungen umgerechnet werden.
Dieser sowjetischen Entscheidung liegt die Annahme zugrunde, damit eine deutliche Verbesserung der sowjetischen terms of trade mit Mittel-und Osteuropa in die Wege zu leiten, vor allem durch eine Anhebung der Energie-und Rohstoffpreise auf Weltmarktniveau kombiniert mit einer gleichzeitigen Verringerung der Preise, die an die ost-und mitteleuropäischen Länder für deren weitgehend unter dem Standard liegenden, mit minderwertiger Technologie ausgestattenten Exportprodukte gezahlt werden müssen.
Natürlich gibt es keinen anderen Ausweg für Polen, Ungarn und die Tschechoslowakei, als ganz einfach die neuen Regeln für den Handel zu akzeptieren (schließlich befürworteten diese Staaten immer die Einführung eines solchen Zahlungssystems). Jedoch argumentieren die Vertreter dieser Länder, daß die neue Ordnung stufenweise und auf bilateraler Ebene eingeführt werden soll. Mit anderen Worten: Die „Normalisierung“ des Handels inner-halb des Comecon-Blocks sollte sich über einige Jahre erstrecken, statt nach den Vorstellungen der UdSSR über Nacht, d. h. am 1. Januar 1991, eingeführt zu werden.
Die oben genannten Comecon-Länder betonen außerdem die Tatsache, daß das System der RGW-Arbeitsteilung von der Sowjetunion forciert (oder einfach aufgezwungen) wurde, die deshalb für den Abbau von Produktionskapazitäten (-Strukturen) in der Nachkriegszeit voll verantwortlich sei. Deshalb sollte sie die anderen Mitglieder während der schwierigen und mindestens ein paar Jahre lang andauernden Periode der Umwandlung zu globaler Wettbewerbsfähigkeit unterstützen. Trotz solcher Argumente scheint die Sowjetunion weder gewillt noch — vor allem — fähig (wegen der Desintegration ihres eigenen „Imperiums“ und der Entstehung neuer, autonomer und unabhängiger Republiken sowie wegen ihrer enormen wirtschaftlichen Schwierigkeiten), andere Comecon-Partner zu subventionieren, um ihnen eine „sanfte Landung“, d. h. einen weniger schmerzhaften Übergang zu einem System neuer Handels-und Zahlungsbedingungen, zu ermöglichen.
Wahrscheinlich wird die Sowjetunion deshalb nicht gegen die Auflösung des RGW opponieren. Dieser Prozeß ist bereits im Gange. Ein erstes diesbezügliches Zeichen bedeutete die Unterzeichnung eines Protokolls zwischen Ungarn und der Sowjetunion im März 1990, in dem beide Staaten übereinkamen, daß sie vom 1. Januar 1991 an ihren Handel ausschließlich in harter Währung abwickeln würden. Ein ähnliches Protokoll wurde im April 1990 mit Polen unterzeichnet, und — wie vorher erwähnt — die gleichen Vereinbarungen werden gemäß den sowjetischen Entscheidungen vom 30. Juni 1990 für alle anderen Comecon-Länder gelten.
Als Konsequenz der Einführung des neuen Zahlungssystems werden die Handelsbeziehungen zwischen allen mitteleuropäischen Staaten auf Welt-marktpreisenund Dollarzahlungen beruhen. Die Auswirkung dieser Entwicklung wird eine Beschleunigung des Trends hin zum Handel mit dem Westen und weg vom Handel untereinander (d. h.
innerhalb des ehemaligen Comecon-Blocks) sein.
Nach einigen Vorhersagen werden die Handelsbeziehungen zwischen der UdSSR und den mitteleuropäischen Ländern in naher Zukunft substantiell schrumpfen, obwohl die Vertreter der Sowjetunion behaupten, daß der sowjetische Markt für die osteuropäischen Länder und ihre Industriegüter von niedriger Qualität immer offen sein wird Es ist anzunehmen, daß die Sowjetunion, wenn sie ihre Importe aus Mittel-und Osteuropa in US-Dollar bezahlen muß, geneigt sein wird, auf anderen Märkten einzukaufen — und dies vielleicht sogar billiger. Das bedeutet, daß einige der polnischen, ungarischen und tschechischen Firmen, die vom Handel mit der Sowjetunion abhängig sind, Konkurs anmelden werden müssen, sofern sie nicht größere ausländische Investitionen erhalten, die ihnen eine Modernisierung erlauben. Andererseits wird die Sowjetunion nach Schätzungen 12 Mrd. US-Dollar sparen, wenn sie mit anderen Comecon-Ländern Handel treibt, vorausgesetzt, daß das Preisniveau im RGW-Binnenhandel 1991 auf dem derzeitigen Stand bleibt. Zusammenfassend kann man feststellen, daß die Entscheidungen der Sowjetunion, mit dem 1. Januar 1991 von allen multilateralen Handelsvereinbarungen, die auf Transferrubel basieren, zurückzutreten und alle Handels-sowie andere Transaktionen auf harte Währungen und Weltpreise umzustellen, typisch für die Beziehungen zwischen den RGW-Staaten ist. Schließlich war es dasselbe Land, das alle RGW-Mitgliedstaaten gezwungen hat, sein künstliches System des Transferrubels zu übernehmen, das jetzt als erstes diesem seltsamen (bizarren) System entflieht. Das Ende des Transferrubels wird mit Sicherheit das vollständige Ende des Comecon als eines Handels-blocks bedeuten.
III. Perspektiven für die mitteleuropäischen Länder
Abbildung 10
Tabelle 3: Der Handel Polens 1989 mit anderen Comecon-Länder im Vergleich zu 1988 Quelle: Zycie gospodarcze, Nr. 2/1990.
Tabelle 3: Der Handel Polens 1989 mit anderen Comecon-Länder im Vergleich zu 1988 Quelle: Zycie gospodarcze, Nr. 2/1990.
Der RGW löst sich allmählich auf, weil er in Wirklichkeit keine Funktion hat. Früher oder später (eher früher als später) wird er deshalb der Auszehrung anheim fallen Es darf bezweifelt werden, daß derjetzige Comecon fähig sein wird, sich in eine Beratungsorganisation zu verwandeln (zu welchem Zweck?). Daher stellt sich die Frage, welche Optionen die mitteleuropäischen Länder in dieser Situation haben. Haben sie überhaupt eine Wahl bei der Bestimmung ihrer zukünftigen Entwicklung und der Gestaltung ihrer Handelsbeziehungen außerhalb des Ostblocks? Das Problem dieser Länder liegt in ihren rückständigen, ineffizienten Industrien, die vornehmlich zur Selbstversorgung und Belieferung des sowjetischen Marktes errichtet wurden. Die Übernahme des Autarkieprinzips durch diese Staaten (nicht aufgrund ökonomischer, sondern aufgrund politischer Zielsetzungen unter der Aufsicht der Sowjetunion) führte zu einer sehr ähnlichen industriellen Struktur. So produzieren die einzelnen Comecon-Länder Mitteleuropas im Grunde alle dieselben Waren, und nur wenig von dem, was sie herstellen, hat Weltmarktqualität. Mit anderen Worten: Die mitteleuropäischen Länder haben sich gegenseitig nicht viel anzubieten.
Vor diesem Hintergrund macht es absolut keinen Sinn, eine Art polnisch-tschechisch-ungarischer Konföderation oder wirtschaftlicher Einheit zu konstruieren (mitteleuropäischer Gemeinsamer Markt) Anfang 1990 favorisierten diese Länder enthusiastisch eine solche Art der „Konföderation“, doch schon Mitte des Jahres kristallisierte sich die gemeinsame Ansicht heraus, daß eine „Konföderation“ oder „Assoziation“ ein Zusammenschluß von Mittellosen wäre! Nichtsdestotrotz streben die Tschechoslowakei und Ungarn für sich eine Form der Zusammenarbeit mit Jugoslawien, Österreich und Italien an; Polen hingegen bevorzugt eher eine Intensivierung und Ausdehnung der wirtschaftfichen Kooperation mit den Staaten Westeuropas (besonders mit dem wiedervereinigten Deutschland). Langfristig wünscht es die Integration in die Europäische Gemeinschaft.
Für mich besteht kein Zweifel daran, daß nicht nur Polen, sondern auch die anderen mitteleuropäischen Länder dieselbe Zukunft erwartet — die ei-ner Eingliederung in die EG. Natürlich wird es sich dabei um einen vielfältig abgestuften Prozeß handeln, den jedes einzelne mitteleuropäische Land in seiner Gangart vornehmen wird (wahrscheinlich wird sogar die Tschechoslowakei der EG zuerst beitreten und nicht Polen), aber andere, bessere Perspektiven bzw. Alternativen als die Integration in die EG (mit Europa) wird es für sie nicht geben. Natürlich müssen sich all diese Länder auf solch eine gewünschte Integration einstellen und ihre weitaus beschränktere Infrastruktur der in Westeuropa vorhandenen angleichen. Dies umfaßt sowohl ihre materielle Infrastruktur als auch ihre Gesetzgebung, ihre Zölle, ihre technischen und Qualitätsstandards, ihre ökologischen Vorschriften etc.
Es wird nicht einfach sein, Fabriken der älteren Generation in solche zu verwandeln, die Spitzentechnologieprodukte für einen westlichen Markt produzieren, und dies wird auch nicht ohne die konsequente Privatisierung der derzeit ineffizienten Staatsbetriebe und die Neuordnung der nationalen Volkswirtschaften vonstatten gehen. Das wiederum wird ebenso schwer in kurz-oder mittelfristiger Perspektive ohne Beteiligung ausländischen Kapitals zu erreichen sein. Daher sollten alle mitteleuropäischen Staaten ihren Reformprozeß und ihre Bemühungen zur Stabilisierung ihrer Volkswirtschaften unter dem Leitbild marktorientierter wirtschaftlicher Reformen so schnell wie möglich vervollständigen und darüber hinaus akzeptable (zumindest „normale“) Bedingungen für ausländische Investoren schaffen, um wesentlich mehr ausländisches Kapital anzulocken. Auf der anderen Seite sollten sich sowohl die EG-Institutionen, die Regierungen westeuropäischer Länder als auch westliche Privat-investoren der Möglichkeiten bewußt sein, die für ganz Europa durch den Zusammenbruch des Kommunismus in Mittel-und Osteuropa, durch die fortschreitende Desintegration des Comecon und die stufenweise Umwandlung des Warschauer Paktes, der 1995 wahrscheinlich längst nicht mehr die Bedeutung haben wird, die er heute hat, geschaffen wurden und werden.
Adam Gwiazda, Dr. rer. oec. habil., geb. 1946; seit 1973 Lehrbeauftragter an der Nikolaus-Kopernikus Universität in Torun (Thom); 1978— 1988 Dozent an der Universität Gdansk (Danzig); 1988— 1990 an der Universität Stettin; zugleich wissenschaftlicher Mitarbeiter des Polnischen Instituts für Internationale Angelegenheiten, Abt. Torun (Thorn). Veröffentlichungen u. a.: Internationale Interdependenz in der gegenwärtigen Welt, Warschau 19852; Dilemma der gegenwärtigen westlichen Ökonomie, Danzig 1988; zahlreiche Veröffentlichungen zu Fragen der internationalen Wirtschaftsbeziehungen und Wirtschaftspolitik in polnischen und ausländischen Fachzeitschriften.