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Der Golfkrieg als Schlüsselereignis für den arabisch-israelischen Konflikt | APuZ 7-8/1991 | bpb.de

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APuZ 7-8/1991 Der Irak und der Golfkrieg. Regionale Faktoren der irakischen Invasion Kuwaits Der Krieg um Kuwait: Katalysator einer „neuen Weltordnung“ oder Vorbote neuer Konflikte? Saudi-Arabien im nahöstlichen regionalen System Der Golfkrieg als Schlüsselereignis für den arabisch-israelischen Konflikt

Der Golfkrieg als Schlüsselereignis für den arabisch-israelischen Konflikt

Andreas Rieck

/ 26 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Durch die schnelle und machtvolle Reaktion der USA und anderer westlicher Staaten auf den irakischen Einmarsch in Kuwait ist die Krise am Golf untrennbar mit dem arabisch-israelischen Konflikt verknüpft worden. Die USA als Hauptschutzmacht Israels verfolgen mit ihrem Engagement gegen einen aggressiven und expansiven Irak sehr ähnliche Ziele wie Israel selbst, das sich seit einigen Jahren vom Irak mehr als von jedem anderen Staat bedroht fühlt. Das Kernproblem zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn ist jedoch die Palästinafrage. Wenn es Israel gelänge, mit den Palästinensern einen Kompromiß über die Aufteilung der Souveränität zu finden, würden die arabischen Staaten sich einem Friedensschluß heute nicht mehr widersetzen. Der seit Ende 1987 andauernde Volksaufstand der Palästinenser („Intifada“) hat aber bisher nicht zu einem Gesinnungswandel bei der Mehrheit der Israelis geführt, die an den 1967 eroberten Gebieten festhalten wollen. Seit der Golfkrise haben sich die Fronten hier weiter verhärtet. Der am 17. Januar ausgebrochene Krieg bietet dennoch Chancen, daß an seinem Ende auch der israelisch-arabische Konflikt einer Lösung näher gebracht wird. Der Erfolg wird davon abhängen, wie die westliche Allianz ihre nach einer Niederlage des Irak gewonnene neue Machtposition im Nahen Osten zu nutzen weiß.

I. Einleitung

Wohl selten hat der Überfall eines Staates auf einen kleinen Nachbarn verheerendere Folgen für den Aggressor gehabt, als die irakische Besetzung Kuwaits vom 2. August 1990. Auch wenn das Ende des am 17. Januar 1991 begonnenen Krieges und das ganze Ausmaß an Zerstörungen und Verlusten an Menschenleben, die er mit sich bringen wird, bisher noch längst nicht abzusehen sind, so steht doch jetzt schon fest, daß das irakische Volk der Hauptverlierer sein wird.

Saddam Hussein und sein Regime haben das eigene Volk unerbittlich in eine aussichtslose Konfrontation gegen übermächtige Gegner geführt, und ähnlich wie früher Hitler scheint der irakische Diktator entschlossen zu sein, die „Mutter aller Schlachten“ bis zum bitteren Ende durchzustehen. Möglicherweise glaubt Saddam noch an einen Ausweg, der einen Rest des „politischen Erfolges“ der Kuwait-Invasion retten könnte, da sein Versuch, die Kraftprobe um Kuwait in einen Kreuzzug aller Araber gegen Israel und dessen Verbündete zu verwandeln, zumindest bei Teilen der arabischen Bevölkerung von Nordafrika bis Palästina Resonanz gefunden hat.

Am 2. August 1990 dürfte Saddam Hussein allerdings kaum auch nur annähernd die Katastrophe vorausgeahnt haben, die im Januar 1991 über sein Land hereingebrochen ist. Vielmehr scheint er einer dreifachen Fehlkalkulation erlegen zu sein: Er hatte vor der Kuwait-Invasion sicher nicht die machtvolle Reaktion der USA und anderer westlicher Staaten vorausgesehen. In den folgenden fünf Monaten spekulierte er vergeblich auf ein Auseinanderbrechen der internationalen Koalition und ein Zurückschrecken der westlichen Demokratien vor dem Einsatz militärischer Gewalt. Schließlich setzte er auch noch falsche Hoffnungen auf einen „Seitenwechsel“ seiner arabischen Gegner durch die Verwicklung Israels in den Krieg.

Welches Prestige auch immer Saddam Hussein durch seinen kompromißlosen Konfrontationskurs „für die arabische Ehre“ in den folgenden Wochen oder gar Monaten noch gewinnen mag. sofern er nicht schon frühzeitig kaputulieren muß — das Kräfteverhältnis zwischen Israel und den arabischen Staaten wird nach dem Krieg noch ungünstiger für die Araber sein als nach dem Junikrieg von 1967. Selbst ein (inzwischen unwahrscheinlicher) Kriegseintritt Jordaniens und Syriens auf Seiten des Irak könnte die militärische Katastrophe für die arabischen Hauptgegner Israels wohl nur verschlimmern. Ägypten und Saudi-Arabien würden wahrscheinlich sogar bei einem monatelangen Zermürbungskrieg gegen den Irak auf der Seite der westlichen Allianz bleiben, und die weiter vom Schauplatz entfernten arabischen Staaten könnten dem Irak nicht helfen, selbst wenn sie dies wollten. Der einzige greifbare „Gewinn“, den Saddam Hussein und seine Sympathisanten aus dem Krieg ziehen könnten, ist die zu erwartende Welle antiamerikanischer Emotionen, die selbst so prowestliche Staaten wie Ägypten und Saudi-Arabien erfassen und die dortigen Regime erschüttern könnte. Die USA sind wegen ihrer Rolle als Hauptschutzmacht Israels ohnehin seit Jahrzehnten der Feind für arabische Nationalisten und islamische Fundamentalisten. Viele Araber waren bereit, Saddam Hussein seine Untaten gegen die Kuwaitis und gegen das eigene Volk nachzusehen, weil er sich gleichzeitig als Vorkämpfer der arabischen Einheit und Herausforderer Israels präsentieren konnte. Wenn jetzt Amerikaner und andere westliche „Imperialisten“ zehntausende oder gar hunderttausende von Ira-kern töten, um Saddam Husseins Machtapparat zu zerschlagen, so werden die dadurch aufgerissenen psychologischen Wunden nur sehr schwer wieder zu heilen sein.

Dies kann überhaupt nur dann gelingen, wenn die nach einem Sturz Saddam Husseins und der Wiederherstellung Kuwaits zu erwartende Ära der absoluten westlichen Vormacht im Nahen Osten dazu genutzt wird, ernsthaft auf eine Lösung des über fünfzig Jahre alten arabisch-israelischen Konfliktes hinzuarbeiten. Die von Saddam Hussein vergeblich angestrebte Verknüpfung der Kuwait-Krise mit dem Palästinaproblem könnte so doch noch Wirklichkeit werden. Israel, das im Golfkrieg zum Ziel unprovozierter Raketenangriffe wurde, wird nach dem Krieg vielleicht einen Preis dafür bezahlen müssen, daß es der Bedrohung durch die irakische Militärmacht entledigt sein wird. Am Ende einer solchen Entwicklung könnte jedoch die Aussicht auf einen dauerhaften Frieden für Israel und seine arabischen Nachbarn stehen.

II. Der Stand des arabisch-israelischen Konflikts vor der Golfkrise

1. Israel und seine arabischen Nachbarn Die seit dem ägyptisch-israelischen Separatfrieden von 1978/79 so beliebt gewordene Floskel vom „Friedensprozeß“ im Nahen Osten ist ein starker Euphemismus, wenn nicht eine irreführende Bezeichnung für die tatsächliche Entwicklung der Beziehungen zwischen Israel, seinen arabischen Nachbarstaaten und den Palästinensern. Zwar hat der Friedensvertrag mit Ägypten seitdem schon etlichen schweren Belastungsproben standgehalten, aber selbst die bilateralen Beziehungen zwischen Israel und Ägypten stagnierten, blieben jedenfalls weit hinter den israelischen Erwartungen zurück. Ägypten brauchte fast 13 Jahre, um nach dem „Verrat“ Anwar al-Sadats — der für seinen Alleingang im Oktober 1981 mit dem Leben bezahlen mußte — wieder voll und ganz in die arabische Staatengemeinschaft aufgenommen zu werden

An der Spitze der „Ablehnungsfront“ gegen die ägyptische Politik des Friedens mit Israel standen Syrien, der Irak, Libyen und die PLO. Syrien beanspruchte nach dem Ausfall Ägyptens eine führende Rolle als „Frontstaat“ und ließ sich dafür von Saudi-Arabien und anderen arabischen Staaten wie auch vom Iran mit materiellen Zuwendungen belohnen. Mit sowjetischer Hilfe versuchte Syrien in den achtziger Jahren sein Möglichstes, um militärtechnologisch eine „strategische Parität“ mit Israel zu erringen

Auch Jordanien, der Anrainer mit der längsten Grenze zu Israel, konnte keinesfalls für Friedensverhandlungen nach ägyptischem Vorbild gewonnen werden, solange die Palästinenser bzw. die PLO als deren politischer Vertreter davon ausgeschlossen blieben. Die Mehrheit seiner Bevölkerung (selbst nach dem Verlust der bis 1967 jordanischen „Westbank“) ist palästinensisch, und anders als Ägypten könnte Jordanien auch nicht kurzfristig einen wirtschaftlichen Boykott durch seine arabischen Nachbarn durchstehen. Auch ohne die Beendigung des Kriegszustandes mit Israel hat Jordanien allerdings seit 1967 stets den Personen-und Warenverkehr von und zur besetzten Westbank erlaubt und seit der gewaltsamen Vertreibung der PLO aus seinem Staatsgebiet (1970/71) den Waffenstillstand streng respektiert. Jordanien hat sich bereits am arabisch-israelischen Krieg von 1973 (Oktoberkrieg) nicht mehr beteiligt.

Auch Syrien, seit dem Kurswechsel Ägyptens der ernsthafteste unmittelbare Gegner Israels, hat schon 1974 einem Truppenentflechtungsabkommen auf den israelisch besetzten Golan-Höhen zugestimmt und dort ebenfalls den Waffenstillstand fast nie gebrochen. Gleichzeitig war Syrien aber stets bestrebt, den militärisch machtlosen Kleinstaat Libanon zur Ausgangsbasis für anti-israelische Operationen und damit zum Hauptschauplatz des arabisch-israelischen Konflikts zu machen. Mit der massiven Förderung der Aufrüstung palästinensischer Guerillaverbände dort seit Ende der sechziger Jahre hat Syrien nicht nur erfolgreich den Libanon in einen „Konfrontationsstaat“ verwandelt, sondern auch den entscheidenden Anstoß zum Ausbruch des Bürgerkriegs (seit 1975) gegeben. Auch nach seinem Einmarsch in den Libanon als „Ordnungsmacht“ 1976 überließ Syrien der PLO eine Zone im Süden des Landes, um von dort aus den Kleinkrieg gegen Israel fortzusetzen.

Wie weit Israel auch nach dem Friedensschluß mit Ägypten von einer friedlichen Eingliederung in die Region entfernt war, zeigte 1982 seine hauptsächlich gegen die PLO gerichtete Libanon-Invasion. Dieser monatelange Feldzug, der über 20 000 Todesopfer unter den Libanesen und Palästinensern gekostet haben soll zerschlug zwar vorübergehend den militärischen Machtapparat der PLO, trug aber kaum zur „Lösung“ des Konflikts im israelischen Sinne bei. Ein 1983 mit amerikanischer Vermittlung geschlossenes Abkommen mit der li-banesischen Regierung, das Israel dauerhafte Kontrollrechte auf libanesischem Staatsgebiet zur Sicherung der eigenen Nordgrenze gewährt hätte, scheiterte am Widerstand Syriens und prosyrischer Milizen. Israels Besatzungstruppen zogen sich 1985 aus dem größten Teil Südlibanons zurück, wo selbst die PLO wieder neue Basen errichten konnte. Inzwischen hatte sich Israel neue gefährliche Gegner in Gestalt der libanesischen Schiiten geschaffen. Die vom Iran geförderte fundamentalistische „Hizbullah" (Gottespartei) kämpft nicht nur mit großem Elan für die Vertreibung der Israelis aus einer immer noch besetzten „Sicherheitszone“ im Südlibanon, sondern hat mit ihrer Propaganda für den Kampf „bis zur Zerschlagung Israels“ auch gleichgesinnten Bewegungen in Palästina selbst Auftrieb gegeben. 2. Die Palästinenser als Kern des Problems Der andauernde Kriegszustand mit seinen arabischen Nachbarstaaten — wobei Israel immer auch entferntere Staaten als potentielle Angreifer einkalkulieren muß — ist jedoch längst nicht mehr das größte Hindernis für eine Befriedung der Nahost-Krisenregion. Abgesehen von Syrien, das die Rückgabe der 1967 verlorenen und 1981 von Israel förmlich annektierten Golan-Höhen verlangt, hat heute kein Staat — auch nicht Jordanien — mehr territoriale Forderungen an Israel. Die arabischen Staaten begründen ihre Weigerung zum Friedensschluß mit Israel — wie schon vor den Kriegen von 1948/49 und 1967 — vielmehr mit ihrer Solidarität mit den Palästinensern. Dies war zwar nie die ganze Wahrheit, weil Ägypten, Jordanien und Syrien früher vor allem eigene Machtinteressen in Palästina verfolgt haben. Seit Ende der sechziger Jahre und dem Aufstieg der PLO zur eigenständigen Kraft hat sich jedoch langsam ein arabischer Konsens herausgebildet, politische Selbstbestimmung für die Palästinenser innerhalb der Grenzen des ehemaligen britischen Mandatsgebiets zu fordern

Wenn es Israel also gelänge, sich mit den arabischen Palästinensern über eine Aufteilung der Souveränität in diesem 28 000 qkm großen Terrain zu einigen, könnte sich kaum ein arabischer Staat noch einem Friedensschluß mit Israel widersetzen — sofern die Bereitschaft dafür nach über vier Jahrzehnten kostspieligen Wettrüstens nicht ohnehin längst vorhanden ist. Genau dies erscheint aber der großen Mehrheit der Juden in Israel immer noch als unerträgliche Zumutung. „Die Israelis wollen Frieden und unser Land“, werfen die Palästinenser ihnen seit langem und nicht zu Unrecht vor. Tatsächlich hat Israel, das Ägypten im Austausch für den Frieden die Sinai-Halbinsel bis auf den letzten Quadratkilometer zurückgegeben hat, jede Art von Verhandlungen über die Errichtung eines arabischen Teilstaates in Palästina seit 1967 stets abgelehnt. Als Hauptargument wurde immer das eigene Sicherheitsbedürfnis angeführt: Der jüdische Staat brauche sichere, d. h. mit vertretbarem Aufwand zu verteidigende Grenzen, und jeder palästinensische Staat würde von arabischer Seite doch nur als Vorstufe zur Rückeroberung von ganz Palästina aufgefaßt werden.

So ernst zu nehmen solche israelischen Einwände gegen einen souveränen Palästinenserstaat auch sein mochten, so dienten sie in der Praxis als Alibi für die Fortsetzung der jüdischen „Landnahme“ und langsamen Verdrängung der arabischen Bevölkerung. Der arabische Ostteil von Jerusalem wurde schon 1967 annektiert und mit einem Ringjüdischer Vorstädte (bis 1990 mit ca. 100 000 Einwohnern) umgeben, weitere ca. 100 000 Juden siedelten sich zwischen 1967 und 1990 an zahlreichen nach strategischen Gesichtspunkten ausgewählten Orten in der übrigen Westbank und im Gaza-Streifen an. Der für diese Neusiedlungen erforderliche Grund und Boden wurde in der Regel von der Militärverwaltung zu herrenlosem Staatsland erklärt oder unter anderen Vorwänden beschlagnahmt

Wie immer man zu dem zionistischen Anspruch stehen mag, Juden müßten prinzipiell das Recht haben, an jedem beliebigen Ort im „Land ihrer Vorväter“ zu siedeln — mit einem „Friedensprozeß“ hatte diese Entwicklung in Palästina seit 1967 wenig zu tun. Sie ähnelt vielmehr der Phase des britischen Mandats (1922 bis 1948), als die jüdische Massen-einwanderung ebenfalls gegen den Willen der arabischen Bevölkerung das demographische Gesicht Palästinas veränderte. 3. Zuspitzung des Konflikts seit der „Intifada“ Über 20 Jahre lang hat Israel die genannte Politik der schleichenden Annexion der 1967 eroberten Teile Palästinas relativ unangefochten fortsetzen können. Zwar hatte es auch zwischen 1967 und 1987 häufig Unruhen durch das Aufbegehren der betroffenen Araber gegeben, aber in der Regel flauten diese innerhalb einiger Tage oder Wochen ab. Seit Dezember 1987 ist jedoch eine völlig neue Situation entstanden, indem sich Zusammenstöße im Gaza-Streifen zu einer Massenprotestbewegung auswei-teten, die alle 1, 5 bis 1, 8 Millionen Araber dort und in der Westbank erfaßte und in einen andauernden organisierten Volksaufstand (arabisch: „Intifada“) einmündete.

Diese neue Massenbewegung entstand sogar für die Palästinenser selbst überraschend, und ihre Haupttriebkraft war die unter der Besatzung aufgewachsene junge Generation in Palästina, nicht die von außen um Einfluß und Führung ringende PLO. Die 1965 gegründete PLO hat ihre aktiven Mitglieder stets überwiegend aus den in den Kriegen von 1948/49 bzw. 1967 vertriebenen oder geflohenen Palästinensern in den Flüchtlingslagern Jordaniens, Syriens und Libanons rekrutieren müssen wenn sie auch von einer Mehrheit der in Palästina verbliebenen Araber als ihr politischer Repräsentant angesehen wurde. Und anders als der überwiegend mit terroristischen Mitteln geführte Kampf der PLO-Guerillagruppen gegen Israel seit Ende der sechziger Jahre hatte die „Intifada“ von Anfang an die Sympathien der internationalen Medien auf ihrer Seite. Deren ausführliche Berichterstattung hat wesentlich dazu beigetragen, den Aufstand lebendig zu erhalten.

Trotz der gelungenen Mobilisierung fast aller Palästinenser in den 1967 besetzten Gebieten — und inzwischen auch von Teilen der 700 bis 800 000 als israelische Staatsbürger behandelten Araber in den Grenzen von 1949 bis 1967 — zu zahlreichen Formen des Protestes und des aktiven und passiven Widerstandes blieb der Kampf äußerst ungleich. Die nur mit Steinen und Brandflaschen bewaffneten Jugendlichen und Kinder konnten die israelische Armee zwar fast täglich provozieren, aber nicht wirklich „bekämpfen“ und zahlten dafür einen hohen Preis: Bis Mitte 1990 kostete die „Intifada“ über 700 Todesopfer und viele Tausend Schwerverletzte auf arabischer Seite, abgesehen von den Zehntausenden von Verhaftungen und den materiellen Verlusten durch ständige Streiks, israelische Repressalien und die Aufgabe arabischer Arbeitsplätze in Israel.

Die einzige Hoffnung für die Palästinenser bei ihrer opferreichen Dauerkonfrontation mit der Besatzungsmacht bestand von Anfang an in der Mobilisierung der Weltöffentlichkeit für ihre Sache. Tatsächlich haben die Presse-und Fernsehbilder von prügelnden und schießenden israelischen Soldaten und mißhandelten palästinensischen Zivilisten, darunter viele Frauen und Kinder, auch in Westeuropa und in den USA die Kritik an Israel und das Bewußtsein für die Notwendigkeit einer Lösung des Palästinenserproblems verstärkt. Dieser „moralisehe Sieg“ hat indessen bis 1990 nur sehr bescheidene politische Ergebnisse gebracht. Die Ausrufung eines „unabhängigen Staates Palästina“ durch den palästinensischen Nationalrat (eine Art Exil-parlament) im November 1988 blieb bisher ebenso folgenlos wie die gleichzeitige indirekte Anerkennung Israels, zu der sich die PLO-Führung seinerzeit erstmals durchgerungen hatte Die israelische Regierung blieb bei ihrer kategorischen Weigerung, mit der PLO auch nur zu verhandeln, und wurde von den USA letztlich darin bestärkt. Zwar begannen die USA Ende 1988 einen „offiziellen Dialog“ mit der PLO, brachen diesen aber im Juni 1990 wieder ab und unterließen jeden effektiven Druck auf Israel, ernsthafte Verhandlungen mit den Palästinensern einzuleiten.

Die politische Stagnation trotz andauernder „Intifada“ hat seitdem beide Seiten weiter radikaüsiert. Unter den Palästinensern wuchs der Einfluß der fundamentalistischen Bewegung „Hamas“ die jeden Kompromiß mit den Juden über das „muslimische Land Palästina“ ablehnt und bis zur Zerschlagung des zionistischen Staates kämpfen will. Gleichzeitig richtete sich palästinensische Gewalt immer häufiger gegen „Verräter“ und „Kollaborateure“ in den eigenen Reihen, während die wirtschaftlichen Folgen der „Intifada“ viele Araber zur Auswanderung trieben.

Unter den Israelis wuchs unterdessen die Zahl derjenigen, die für noch härteres Durchgreifen zur Unterdrückung des Aufstandes plädierten oder sogar für einen „Transfer“ der arabischen Bevölkerung in die Nachbarländer — eine milde Umschreibung für eine angestrebte neuerliche Massenvertreibung. Radikale jüdische Siedler in den besetzten Gebieten übten Selbstjustiz gegen steinewerfende Araber und wurden dafür ebenso halbherzig von der israelischen Justiz belangt wie einige wegen besonderer Brutalität angeklagte Mitglieder der israelischen Streitkräfte. Nur eine Minderheit der Israelis wurde durch die „Intifada“ in der Überzeugung bestärkt, Israel müsse zu seiner eigenen Sicherheit die Kontrolle über die Westbank und den Gaza-Streifen aufgeben

Die israelischen Falken bekamen weiteren Auftrieb, seit die Sowjetunion Ende 1989 ihren jüdischen Staatsbürgern die freie Ausreise zu erlauben begann. Die Aussicht auf eine neue jüdische Masseneinwanderung nach Israel — bis Ende 1992 werden zwei Millionen Juden erwartet — erweckte bei den Palästinensern schlimmste Befürchtungen, nämlich daß das „Transfer“ -Projekt der jüdischen Ultras irgendwann zur offiziellen israelischen Regierungspolitik werden könnte. Dies galt besonders seit dem Ende der großen Koalition Schamir-Peres und der Bildung einer Regierung Schamir, in der nur noch die Rechtsparteien vertreten waren, im Juni 1990. Zwar hat auch diese Regierung bisher stets erklärt, keine sowjetischen Juden würden in den besetzten Gebieten angesiedelt, aber von dieser Zusage Ostjerusalem und seine Vororte ausgenommen. Im Kreise ihrer Anhänger haben rechte Politiker auch wiederholt durchblicken lassen, daß sie in der neuen Einwanderungswelle die Chance zur endgültigen Schaffung eines starken „GroßIsrael“ sehen 4. Iraks Entwicklung zum gefährlichsten potentiellen Gegner Israels So sehr sich der Konflikt mit den Palästinensern „im Inneren“ in den letzten Jahren verschärft hat, so gilt doch nach wie vor, daß eine wirkliche Bedrohung für den Staat Israel nur von außen, nämlich durch das militärische Potential seiner arabischen Nachbarstaaten, entstehen kann. Nach dem Friedensschluß mit Ägypten schien diese Gefahr für Israel längerfristig entscheidend verringert. Dennoch haben Israels Militärstrategen niemals das weitere Umfeld aus den Augen verloren, um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein.

Abgesehen von dem ständigen Rüstungswettlauf mit Syrien galt Israels größte Sorge seit 1979 Saudi-Arabien und dem Irak. Das saudische Staatsgebiet reicht bis 25 km an den Südzipfel Israels heran, und mit ihrem Bestreben, sich „islamisch“ zu legitimieren, wurde die Saudi-Dynastie bei aller engen Anbindung an den Westen von Israel stets als potentiell gefährlicher Feind angesehen. So verhinderten israelische Proteste in den achtziger Jahren wiederholt größere westliche WaffenVerkäufe an Saudi

Arabien, und Israels Einwände gegen dessen Aufrüstung blieben auch nach dem Anlaufen der Operation „desert shield" im Herbst 1990 bestehen

Der wichtigste Gegner Israels — abgesehen von seinen unmittelbaren Nachbarn — blieb jedoch der Irak, der im übrigen auch während der Kriege von 1948/49, 1967 und 1973jeweils Truppenkontingente an die arabisch-israelische Front entsandt hat. Ein israelischer Albtraum war stets ein effektives Militärbündnis zwischen Syrien, dem Irak und Jordanien, das allerdings wegen der chronischen Rivalität zwischen Syrien und Irak bisher nie zustande kam Doch auch schon die seit 1990 sehr intensiv gewordenen Beziehungen zwischen Jordanien und Irak boten Israel Grund genug zur Sorge.

Folgerichtig sah sich Israel als größter Nutznießer des im September 1980 ausgebrochenen irakisch-iranischen Krieges, der den Irak in schwere Bedrängnis brachte und von jedem weiteren Abenteuer abhalten mußte. Die Israelis hatten nicht einmal Hemmungen, das Regime der schiitischen Fundamentalisten in Teheran, die sich zumindest verbal als die unerbittlichsten Kämpfer gegen den Zionismus gebärdeten, wiederholt mit heimlichen Waffenlieferungen zu unterstützen — wohl wissend, daß 1000 km arabisches Land Israel vom Iran trennen.

Trotz des Krieges am Golfsah sich Israel schon 1981 veranlaßt, mit einem Luftangriff den irakischen Atomreaktor „Osirak“ bei Bagdad zu zerstören. (Ohne diesen Präventivschlag wäre der Irak heute wahrscheinlich bereits — wie Israel selbst — im Besitz von Atomwaffen.) Und als im Sommer 1988 der von der UNO vermittelte Waffenstillstand den irakisch-iranischen Zermürbungskrieg beendete, äußerten israelische Politiker nicht nur Sorge um die Zukunft, sondern fast offenes Bedauern

Der Irak war aus dem Golfkrieg als die stärkste Militärmacht der Nahost-Region hervorgegangen. So hatte er sowjetische Kurzstreckenraketen (ScudB) bis zu einer Reichweite von über 600 km weiterentwickelt und im Februar 1988 erstmals auf Teheran und andere entfernte iranische Städte abgeschossen. Schon seit 1983 hatte die irakische Armee außerdem wiederholt Giftgas gegen iranische Truppen eingesetzt und im März 1988 sogar gegen kurdische Zivilisten im eigenen Land (Halabja). Auch mit konventionellen Waffen war der Irak nach Einkäufen im Wert von 80 Milliarden US-Dollar in den achtziger Jahren besser ausgerüstet als alle Nachbarstaaten, einschließlich Israels

Schon seit dem Herbst 1988 waren Andeutungen israelischer Militärs über mögliche weitere „Präventivschläge“ gegen das irakische Arsenal von Massenvernichtungswaffen und irakische Gegen-drohungen an der Tagesordnung. Die Spannungen verschärften sich, seit im Frühjahr 1990 auch bei den westlichen Staaten, die mit heimlichen oder offenen Waffenlieferungen seit dem Golfkrieg kräftig zu diesem militärischen Potential beigetragen hatten, die Sorge über das beschleunigt fortgesetzte irakische Aufrüstungsprogramm wuchs. Einige Tage nach der Beschlagnahme für den Irak bestimmter Bauteile zur Zündung von Atombomben auf dem Londoner Flughafen (28. März 1990) sprach Saddam Hussein von einer „internationalen Verschwörung“, die auf die Zerstörung der militärischen Macht des Irak abziele. In diesem Zusammenhang drohte er, im Falle eines israelischen Präventivangriffs „halb Israel mit chemischen Waffen zu verbrennen“

Mit dieser viel publizierten Drohung provozierte der irakische Diktator heftige Proteste in der westlichen Welt, aber überwiegend respektvolle Kommentare in der arabischen Presse Saddam Hussein stellte sich in der Folgezeit zielstrebig als Vorkämpfer für die Rechte der Palästinenser dar, z. B. auf der arabischen Gipfelkonferenz in Bagdad vom 26. bis 28. Mai 1990, auf der die Bedrohung Palästinas durch die erwartete Masseneinwanderung sowjetischer Juden das Hauptthema war.

Während israelische Experten Ende 1989 noch mit einer Frist von fünf bis zehn Jahren rechneten, nach der der Irak über einsetzbare Atomwaffen verfügen könnte nahm Israel die Bedrohung durch irakische Mittelstreckenraketen, möglicherweise mit Giftgas-Sprengköpfen, sehr ernst. Iraks Staatsgebiet reicht bis 350 km an Israel heran, und spätestens seit Juni 1989 sollen auf dem irakischen Luftwaffenstützpunkt „H-2“ nahe der jordanischen Grenze feste Abschußrampen für solche Raketen installiert sein

III. Die neue Lage nach dem irakischen Einmarsch in Kuwait

1. US-Truppen in Saudi-Arabien zur Präventiv-verteidigung Israels?

Obwohl zu Beginn kein direkter Zusammenhang zwischen dem arabisch-israelischen Konflikt um Palästina und der irakischen Invasion Kuwaits vom 2. August 1990 bestand, hat die führende Rolle der USA bei den internationalen Gegenreaktionen auf den irakischen Überfall genau diesen Zusammenhang sehr schnell hergestellt. Der amerikanische Präsident Bush sah sich veranlaßt, sofort und mit aller verfügbaren Macht dem Aggressor Paroli zu bieten — im Gegensatz zu der Passivität, mit der die USA seit Jahrzehnten zahllose andere Verletzungen des Völkerrechts im Nahen Osten und in der ganzen Welt hingenommen haben. Indem die USA mit der Entsendung von Truppen nach Saudi-Arabien begannen, bevor noch die Staatschefs der Arabischen Liga zu einer ersten Aussprache über die Kuwait-Invasion zusammentrafen (in Kairo am 10. August), verhinderten sie von vornherein eine rein „arabische Lösung“ der Krise. Es stimmt zwar, daß viele arabische Regimes eine solche „arabische Lösung“ niemals wollten, da sie aller Wahrscheinlichkeit nach doch nur auf eine Belohnung der Aggression und einen weiteren Machtzuwachs des Irak hinausgelaufen wäre. Dennoch lieferten die USA mit ihrem schnellen Eingreifen allen jenen Kräften im Nahen Osten Argumente, die darin nur ein flagrantes Beispiel neoimperialistischer Hegemonialpolitik sahen.

Bezeichnenderweise kamen die schärfsten Reaktionen auf die brutale Unterdrückung der Kuwaitis nicht von „arabischen Brüdern“, sondern von pro-israelischen Kolumnisten amerikanischer Zeitungen, die aus völlig anderen Motiven für eine schnelle und gründliche Bestrafung der Aggressoren Stimmung zu machen versuchten. Kaum daß die ersten amerikanischen Truppen am Golf gelandet waren, wurde bereits verlangt, daß am Ende der Intervention mindestens die Vernichtung des irakischen Potentials an Massenvernichtungswaffen stehen müsse Als prominentester Verfechter eines baldigen „chirurgischen Schlages“ gegen den Irak meldete sich auch der Ex-Außenminister Henry Kissinger zu Wort

Nicht nur in der arabischen Welt wurde schon im August 1990 geargwöhnt, daß ein vernichtender Schlag gegen das irakische militärische Potential das eigentliche Ziel des amerikanischen Engagements sei und nicht nur die Wiederherstellung des Status quo ante in Kuwait. Der Verdacht erhärtete sich nach der Entscheidung zur Truppenverstärkung bis zur „offensiven militärischen Option“ (8. November) und der Verabschiedung der Resolution Nr. 678 des UN-Sicherheitsrates mit dem Ultimatum für den Irak (29. November).

Zweifellos sind Saddam Hussein in den letzten fünf Monaten etliche Chancen gegeben worden, durch einen freiwilligen Abzug aus Kuwait seinen militärischen Apparat vor der drohenden Zerstörung zu retten, zuletzt ausdrücklich in dem Brief des Präsidenten Bush vom 9. Januar 1991. Dennoch spricht einiges dafür, daß die militärische Option von Anfang an von Bush und der Mehrheit der amerikanischen Entscheidungsträger bevorzugt worden ist. Sie vertrauten nicht auf die Wirkung des Handels-embargos und setzten sich durch die große Zahl der entsandten Truppen wohl absichtlich selbst in Zug-zwang. Außerdem wurde Saddam bewußt keinerlei Brücke gebaut, die ihm einen Abzug aus Kuwait ohne Gesichtsverlust gestattet hätte.

Es scheint, als hätten sich die USA mit ihrem Engagement am Golf das zentrale Ziel der Abschreckungsstrategie Israels zu eigen gemacht, nämlich den militärtechnologischen Vorsprung Israels vor den potentiellen arabischen Gegnerstaaten aufrechtzuerhalten und jede ernsthafte Bedrohung dieses Machtgefälles präventiv auszuschalten. Somit war es von Anfang an unmöglich, die Golf-krise ganz vom arabisch-israelischen Konflikt „abzukoppeln“. Diejenigen arabischen Regime, die sich mit den USA gegen den Irak verbündet haben, waren sich des Risikos bewußt, im Kriesgfall als indirekte Verbündete Israels dazustehen, und taten daher ihr Möglichstes, um Saddam Hussein zum Einlenken zu bewegen. So beschwor Syriens Hafiz al-Assad am 12. Januar 1991 seinen „Bruder Saddam“ in einem dramatischen Fernsehappell, durch einen Abzug aus Kuwait „den Feinden der arabischen Nation die goldene Gelegenheit zu verderben“ Befürchtungen, daß von einer zu großen Schwächung des Irak nur Israel (und der Iran) pro-fitieren würden, gab es sogar im saudischen Herrscherhaus

Saddam Hussein hat seinerseits frühzeitig versucht, seine Aggression gegen Kuwait durch eine weitere Verquickung der Golfkrise mit dem Palästina-Problem vergessen zu machen. Am 12. August schlug er vor, „alle Fragen der Besetzungen ... in der Region . . . nach den gleichen Prinzipien zu lösen“, darunter vorrangig die Besetzung arabischer Gebiete durch Israel In der Folgezeit drohte er wiederholt und zusehends unverblümter mit sofortigen Vergeltungsschlägen gegen Israel im Falle eines amerikanischen Angriffs. Israels Regierung reagierte mit schärfsten Gegendrohungen und fand es von Woche zu Woche schwieriger, das von den USA gewünschte „niedrige Profil“ in der Golfkrise zu wahren. 2. Palästinensische Fehlreaktionen und ihre Folgen Dieselben Überlegungen, die die USA und ihre Verbündeten zu schnellen Reaktionen gegen den Irak nach der Besetzung Kuwaits veranlaßt haben, verführten umgekehrt die Palästinenser in den besetzten Gebieten und in Jordanien zu spontanen Solidaritätsbekundungen für Saddam Hussein. In ihm glaubten die unterdrückten und erniedrigten Palästinenser endlich wieder einen arabischen Führer gefunden zu haben, der nicht nur redet, sondern handelt, notfalls der ganzen Welt zum Trotz, und der früher oder später auch Israel mit militärischer Macht besiegen oder wenigstens zum Nachgeben im Konflikt um Palästina zwingen könnte.

Vor der Invasion lebten über 300 000 Palästinenser in Kuwait, das seit Jahrzehnten das bevorzugte Land für palästinensische Arbeitsemigranten war. Trotzdem hatten sie wenig Sympathien für die Kuwaitis, die ihrerseits soziale Distanz zu den „Gastarbeitern“ — darunter viele palästinensische Akademiker und andere Fachkräfte — hielten und jedem die Aufenthaltserlaubnis schnell entzogen, der nicht mehr gebraucht wurde.

Die weitverbreiteten Ressentiments gegen die als arrogant verrufenen Kuwaitis verleiteten anfangs eine Mehrheit der Palästinenser dazu, den Irakern ihre Übergriffe in Kuwait nachzusehen und die Invasion als „Schritt zur Verwirklichung der arabischen Einheit“ zu bejubeln. Ausschlaggebend für die palästinensische Parteinahme für Saddam Hussein war jedoch die Einmischung der USA in den Konflikt. Auch die meisten Untergruppen der PLO, einschließlich des PLO-Chefs Yassir Arafat, solidarisierten sich weitgehend mit dem Irak, wenn Arafat auch versuchte, seine Position als „vermittelnd“ darzustellen (ebenso wie der seit der Kuwait-Invasion zwischen allen Stühlen sitzende König Hussein von Jordanien). „Wir können nur im Lager der Gegner Israels und seiner Verbündeten stehen, erklärte Arafat jedoch Anfang September 1990

Indem die meisten Palästinenser ihren proirakischen Emotionen freien Lauf ließen, haben sie zunächst ihrer Sache geschadet und einen Teil des „moralischen Sieges“ des drei Jahre langen Auf-standes wieder verspielt. Die Weltöffentlichkeit verlor durch die Golfkrise das Interesse an der „Intifada“ und fragte sich, wieso die gegen eine Besatzung kämpfenden Palästinenser der Besetzung eines anderen arabischen Landes applaudieren. Die Ölmonarchen der arabischen Halbinsel, seit jeher die wichtigsten Finanziers der PLO, waren erbittert über palästinensische Undankbarkeit und drosselten erheblich ihre Zuwendungen. Selbst die irakischen Besatzungstruppen in Kuwait haben sich inzwischen auch als Unterdrücker der dort lebenden Palästinenser entpuppt Vor allem aber haben die Palästinenser einen großen Teil ihrer schon vor der Kuwait-Invasion nur wenigen Fürsprecher in der israelischen Gesellschaft verloren.

Die israelischen Falken fühlen sich seit der Golf-krise in ihrem Vorurteil bestätigt, daß „den Arabern“ grundsätzlich nicht zu trauen sei, weil sie bei aller vorgeblichen Bereitschaft zum Frieden und Kompromiß letztlich doch immer noch die völlige Vernichtung Israels anstreben würden: Mit den Sympathie-Kundgebungen für einen Massenmörder wie Saddam Hussein hätten die Palästinenser ihr „wahres Gesicht“ gezeigt. Aber auch viele Israelis, die sich bisher für die Rechte der Palästinenser engagiert hatten, erklärten nach der Kuwait-Invasion öffentlich ihr „Umdenken“ und plädierten für ein Festhalten an den 1967 eroberten Gebieten aus Sicherheitsgründen., Der wechselseitige Haß zwischen Arabern und Juden wurde durch den Aufruhr am Jerusalemer Tempelberg vom 8. Oktober 1990, bei dem israelische Polizisten 20 Palästinenser erschossen, weiter aufgeheizt. Seitdem häuften sich die Fälle von arabischen Angriffen auf einzelne Juden mit tödlichen Waffen und von jüdischen Racheakten, während Israels Regierung immer mehr Schritte ergriffen hat, um die Araber aus der Westbank und dem Gaza-Streifen am Zugang zum israelischen Kern-land zu hindern.

Anfang 1991 befinden sich die Palästinenser mithin in einer noch viel bedrückenderen Situation als vor Beginn des Aufstandes 1987: wirtschaftlich ausgeblutet durch drei Jahre „Intifada“ und den fast völligen Ausfall von Geldzuwendungen aus den Golfstaaten — sowohl von deren Regierungen als auch von den dort lebenden Angehörigen —, zermürbt durch interne Abrechnungen und den Vormarsch der Extremisten in den eigenen Reihen und konfrontiert mit einer mehr denn je aggressiven und expansiven israelischen Übermacht.

IV. Der Golfkrieg und sein mögliches Nachspiel

1. Der schwerste Rückschlag für die Araber seit 1967

Während noch nicht abzusehen ist, wie lange der Irak den Angriffen der alliierten Übermacht standhalten wird, und ob Israel zur aktiven Beteiligung am Golfkrieg provoziert werden kann, so steht ein Ergebnis jetzt schon fest: Von der in Jahrzehnten aufgebauten und in acht Jahren Krieg gegen den Iran erprobten Militärmaschine des Irak wird nur ein Bruchteil übrig bleiben. Der einzige arabische Staat, der Israel noch ernsthaft bedrohen konnte, wird auf viele Jahre hinaus als Machtfaktor ausgeschaltet sein. Vielmehr steht ihm eine Phase der inneren Konflikte zwischen sunnitischen und schiitischen Arabern und der kurdischen Minderheit bevor, an deren Ende vielleicht die Machtübernähme der schiitischen Bevölkerungsmehrheit stehen wird. Der Irak könnte sich dann politisch an die Islamische Republik Iran anlehnen und zum Außenseiter in der überwiegend sunnitischen arabischen Staatenwelt werden.

Saddam Hussein sah sich in der Rolle eines „neuen Saladin" und Einigers der arabischen Welt, aber seine skrupellosen Methoden haben das Gegenteil erreicht: Die 200 Millionen Araber sind heute zersplitterter und schwächer denn je. Die Monarchien der arabischen Halbinsel, auf deren Reichtum sich die Begehrlichkeiten der 90 bis 95 Prozent aller Araber richten, die in den armen Staaten leben — zu den Armen wird man in den nächsten Jahren auch die 17 Millionen Iraker zählen müssen —, haben sich selbst zu Protektoraten der westlichen Großmächte degradiert. Sie werden in den kommenden Jahren vielleicht noch weniger bereit sein, ihren Reichtum mit den „arabischen Brüdern“ zu teilen, von denen viele nach der Kuwait-Invasion Saddam Hussein zugejubelt haben. Einzig Ägypten, Syrien und Marokko, deren Regime loyal zu Saudi-Arabien und Kuwait gestanden haben, können auch künftig auf die Großzügigkeit der Erdöl-monarchen rechnen. Besonders Ägypten wird als wichtigster arabischer Verbündeter dieser Staaten vom Ausgang des Golfkrieges profitieren.

Als große Verlierer erscheinen auch die Palästinenser, oder zumindest die PLO, deren Führer Arafat sich mit seiner Parteinahme für Saddam Hussein so viele Feinde wie nie zuvor in der arabischen Welt geschaffen hat. Vielleicht werden die Golfstaaten nach dem Ende des Krieges ihre Geldzuwendungen an die Palästinenser in den besetzten Gebieten wieder aufnehmen, um verlorene arabische Sympathien zurückzugewinnen, aber sie werden bestimmt ein Interesse daran haben, die PLO als Organisation zu schwächen. Der PLO bleiben dann nur noch Staaten wie Algerien und Libyen als finanzielle Förderer, ihre übrigen Sympathisanten sind selbst hilfsbedürftig. 2. Chancen für eine neue Friedensordnung im Nahen Osten?

Vordergründig sieht es so aus, als ob nach einer Niederlage des Irak der Staat Israel auf viele Jahre hinaus die unangefochtene militärische Macht im Nahen Osten sein wird und weiterhin aus einer Position der Stärke Tatsachen in Palästina zu Lasten der arabischen Bevölkerung schaffen kann. Einiges spricht jedoch dafür, daß auch die Israelis in naher Zukunft Abstriche von ihren Ansprüchen und Ambitionen machen müssen.

Die irakischen Raketen auf Israel haben unter anderem ein Versagen der rein militärischen Abschreckung zum Schutz des Judenstaates gezeigt. Ein Fanatiker wie Saddam Hussein hat sich auch durch die Androhung „hundertfacher Vergeltung“ nicht abschrecken lassen, und er hätte mit Sicherheit auch noch schlimmere Waffen eingesetzt, wenn sie ihm zur Verfügung gestanden hätten. Auch hochmoderne Abwehrwaffen bieten, wie gesehen, keinen absoluten Schutz. Die irakischen Raketen-angriffe und die schadenfrohen Reaktionen darauf bei Palästinensern und anderen Arabern zeigen vielmehr, daß Israel das Problem seiner Sicherheit langfristig nur lösen kann, wenn es an der Wurzel angepackt wird: Die Ursachen für unversöhnlichen Haß auf arabischer Seite müssen beseitigt werden.

Dies wird ohne Zugeständnisse an die Palästinenser nicht möglich sein. Und trotz der weiter fortgeschrittenen Entfremdung zwischen Israelis und Palästinensern seit der Golfkrise gibt es Chancen für einen israelischen Gesinnungswandel. Die Zunahme gewaltsamer Anschläge von Palästinensern seit Ende 1990 hat auch wieder mehr Israelis davon überzeugt, daß eine Koexistenz zwischen Juden und Arabern in einem Staat unter den seit 1967 herrschenden Bedingungen nicht länger aufrechterhalten werden kann.

Die Israelis werden zwar niemals der Errichtung eines arabischen Staates oder Teilstaates in Palästina zustimmen, solange sich wichtige arabische Staaten noch im Kriegszustand mit ihnen befinden. Aber nach dem Ende des Golfkrieges könnten auch die Voraussetzungen für die Beseitigung dieses Hindernisses geschaffen werden. Bemerkenswert war in der ersten Kriegswoche das Verhalten der Saudis und der Syrer, die Israel sogar eine „begrenzte“ Vergeltung für die irakischen Raketenangriffe zubilligen wollten. Diese beiden Staaten könnten in der Nachkriegsphase sogar zu einem formellen Frieden mit Israel bereit sein, wenn minimale Rechte der Palästinenser dabei gewahrt bleiben. Die Araber sind in den über fünfzig Jahren seit der Existenz Israels schrittweise von ihrer früheren „Alles-oder-nichts-Haltung“ abgerückt und haben sich inzwischen mehrheitlich mit diesem Staat abgefunden, wenn auch nicht mit dessen vollständiger Einverleibung Palästinas. Eine internationale Nahost-Konferenz nach dem Ende des Golfkrieges könnte also durchaus zu Ergebnissen führen — wenn denn Isarel, das sich bisher immer dagegen gesperrt hat, zur Teilnahme daran gezwungen werden kann. Hier liegt die Schlüsselrolle der USA und der gesamten westlichen Allianz, die ihre neugewonnene Machtposition im Nahen Osten entsprechend nutzen müßten. Die USA haben durch ihren entschlossenen Einsatz gegen die Annexion Kuwaits eine nie dagewesene Glaubwürdigkeit als Schutz-und Garantiemacht für alle Staaten der Region, besonders Israels gewonnen, und haben sich im übrigen auch erstmals direkt an der militärischen Verteidigung Israels (mit Patriot-Raketen) beteiligt. Sie wären also durchaus in der Lage, Israel einen Ersatz für die bisher immer so hartnäckig verlangten „sicheren Grenzen“ zu bieten.

Wenn nun, wie zu erwarten ist, der Irak mit Waffengewalt dazu gezwungen werden kann, die UN-Resolutionen bezüglich Kuwaits zu erfüllen, so sollten über die Resolutionen Nr. 242 und 338, die einen Abzug Israels aus den 1967 besetzten Gebieten verlangen, zumindest Verhandlungen möglich sein. Wird dagegen diese Chance nicht genutzt, so wird keine noch so große arabische Niederlage ein erneutes Wettrüsten und schließlich einen weiteren arabisch-israelischen Krieg in der Zukunft verhindern können.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Nach dem Camp-David-Abkommen vom 17. September 1978 wurde am 26. März 1979 ein ägyptisch-israelischer Friedensvertrag geschlossen.

  2. Als letzte arabische Staaten nahmen Syrien und Libyen 1990 wieder volle diplomatische Beziehungen mit Ägypten auf, und der Sitz der Arabischen Liga wurde im Oktober 1990 nach Kairo zurückverlegt.

  3. Vgl. Yair Hirschfeld, The Odd Couple: Ba’athist Syria and Khomeini’s Iran, in: Moshe Ma’oz/Avner Yaniv (Hrsg.), Syria under Assad, London 1986, S. 105— 124.

  4. Ende 1989 erklärte die Sowjetunion, dieses Ziel nicht länger zu unterstützen, sondern nur noch eine „vernünftige Verteidigungsfähigkeit“ Syriens; vgl. Le Monde vom 22. November 1989.

  5. Vgl. Israel in Lebanon. Report of the International Commission to enquire into reported violations of international law by Israel during its invasion of the Lebanon, London 1983.

  6. Am 31. Juli 1988 erklärte König Hussein den Verzicht auf die „administrative Zuständigkeit“ Jordaniens für die Westbank und bereitete damit den Weg für die Proklamation eines „Staates Palästina“ einige Monate später.

  7. D. h. in Israel (ohne Golan-Höhen), in der Westbank und im Gaza-Streifen.

  8. Vgl. Alexander Flores. Intifada: Aufstand der Palästinenser. Berlin 1988. S. 15— 42.

  9. 1948/49 flohen 700— 800 000 Araber bzw. wurden vertrieben, blieben jedoch zum Teil noch in Lagern in Palästina (Gaza-Streifen und Westbank). Der Krieg von 1967 führte zum neuerlichen Exodus von mindestens 300 000 Palästinensern. Heute wird die Zahl der Palästina-Flüchtlinge und ihrer Nachkommen allein in Jordanien, Syrien und Libanon auf fast zwei Millionen geschätzt.

  10. Dies durch die Anerkennung der UN-Resolutionen Nr. 242 (1967) und 338 (1973), in denen u. a. vom „Recht aller Staaten der Region auf Sicherheit“ die Rede ist; vgl. auch Anm. 6.

  11. Arabisch: „Eifer“, Akronym für „Bewegung des islamischen Widerstandes in Palästina“. Die „Hamas“ hat ihr politisches Programm im August 1988 in einer „Charta“ niedergelegt.

  12. Bei einer Umfrage unter Israelis im Juli 1990 sprachen sich nur 30 Prozent für einen Rückzug aus diesen Gebieten aus; vgl. Jerusalem Post vom 10. August 1990. S. 12.

  13. Bis Ende 1990 sind erst ca. 150 000 sowjetische Juden in Israel eingetroffen. Die Gesamtzahl der jüdischen Bevölkerung Israels beträgt derzeit ca. vier Millionen.

  14. So zuletzt Schamir am 19. November 1990; vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20. November 1990.

  15. Im Oktober 1990 widersetzte sich die israelische Lobby in den USA dem Verkauf von F-15 Kampfflugzeugen an Saudi-Arabien. verzichtete aber auf ein „Veto“ gegen andere Waffenlieferungen; vgl. Jordan Times vom 20. Oktober 1990.

  16. Vgl. Eberhard Kienle, Ba‘th versus Ba’th, London 1990.

  17. Vgl. Sohrab Sobhani. The Pragmatic Entente: Israeli-Iranian Relations 1948— 1988, New York 1989.

  18. Vgl. Stellungnahmen von Schamir und Peres in: Arab News (Jeddah) vom 20. Juli 1988, und in: Le Monde vom 11. August 1988.

  19. Vgl. Kenneth Kaplan. The Military Balance 1987— 1988: Iraq holds the Key, in: Jerusalem Post vom 24. September 1989.

  20. Baghdad Observer vom 3. April 1990.

  21. Arab News vom 4. April 1990 zitiert eine Reihe solcher Kommentare.

  22. Vgl. Le Monde vom 23. Dezember 1989.

  23. Vgl. International Herald Tribune vom 31. März 1990.

  24. Siehe z. B. William Safire. Either Roll Saddam Back Now Or Prepare to Roll Over Later, in: International Herald Tribune vom 8. August 1990; A. M. Rosenthal. Baghdad Must Not Be Left With a Nuclear Capability. in: International Herald Tribune vom 17. August 1990.

  25. Vgl. Henry Kissinger, Bush Has Crossed a Rubicon in the Saudi Sands, in: International Herald Tribune vom 20. August 1990.

  26. Al-Baath (Damaskus) vom 13. Januar 1991.

  27. Vgl. Caryle Murphy. Saudis Fear Chaos in Mideast ifIraq is Annihilated. in: International Herald Tribune vom 13. November 1990.

  28. Vgl. Deutsche Welle. Monitor-Dienst Nahost. 13. August 1990. S. 1 f.

  29. Vgl. Le Monde vom 5. September 1990.

  30. Vgl. International Herald Tribune vom 19. November 1990, S. 5.

Weitere Inhalte

Andreas Rieck, Dr. phil., geb. 1954; Studium der Islamwissenschaft und Politologie in Bonn und Hamburg; 1984— 1987 Referent am Orient-Institut der DMG in Beirut/Libanon; seit 1989 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Orient-Institut in Hamburg. Veröffentlichungen u. a.: Unsere Wirtschaft (kommentierte Übersetzung von: M. B. Sadr, Iqtisaduna), Berlin 1984; Die Schiiten und der Kampf um den Libanon, Hamburg 1989; Aufsätze zum Libanon-, zum arabisch-israelischen Konflikt und zum Iran.