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Natur -Gesellschaft -Kultur Auf dem Weg zu einer ökologischen Sozialethik | APuZ 20/1991 | bpb.de

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APuZ 20/1991 Vom Sozialen zur Politik. Entwicklungslinien, Positionen und Defizite christlicher Soziallehre Der Umbau kirchlicher Soziallehre in eine Ethik sozialer Bewegungen Natur -Gesellschaft -Kultur Auf dem Weg zu einer ökologischen Sozialethik Christliche Sozialethik im Horizont der Ethik der Gegenwart. Zum Problem der Menschenrechte Konfessionalismus und politische Kultur in Deutschland

Natur -Gesellschaft -Kultur Auf dem Weg zu einer ökologischen Sozialethik

Hans-Joachim Höhn

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Zusammenfassung

In Seoul tagte vom 6. bis 13. März 1990 die „Ökumenische Weltversammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“. Das Motto der aus allen Konfessionen und Kontinenten versammelten Christen benennt die großen Überlebensfragen der Menschheit und macht zugleich klar, daß diese Probleme hinsichtlich ihrer Ursachen und ihrer Lösungsmöglichkeiten eng miteinander verwoben sind: Das hinter den globalen Selbstgefährdungen der Menschheit stehende ausbeuterische Verhältnis zur Natur wird nur aufhören, wenn auch die wirtschaftliche Ausbeutung und politische Unterdrückung des Menschen durch den Menschen endet. Eine die ethisch-politischen Suchbewegungen der Gegenwart begleitende Sozialethik steht vor der Aufgabe, jene Argumentationsmodelle zu erarbeiten, in denen die Auseinandersetzung über die Zielmarken einer notwendigen Kurskorrektur von Politik und Wirtschaft geführt werden kann. Will ein solches Unternehmen nicht den zahlreichen Beschwörern einer in Bälde untergehenden Zivilisation das Wort reden, muß es jene Bedingungen aufweisen können, unter denen dieser Untergang zu verhindern ist. Damit sich die in den letzten Jahren unternommenen Versuche zur Konzeption einer „Zukunftsethik“ gegenseitig befruchten und ergänzen können, bedarf es der Angabe von Koordinaten, welche diese Beiträge kompatibel machen. Das Projekt einer „ökologischen Sozialethik“ will als eine solche Grundlagenreflexion verstanden werden.

Die Diskussion über die Zukunftsfähigkeit moderner Gesellschaften ist von einer tiefen Skepsis geprägt. Zu deutlich wird die Ambivalenz der technisch-industriellen Zivilisation wahrgenommen, als daß man weiterhin die Errungenschaften von Technik und Wissenschaft als Beweise für die prinzipiell unbegrenzten Möglichkeiten menschlicher Weltgestaltung und Wohlstandsmehrung feiern kann. Längst nicht mehr ist die Vokabel „Fortschritt“ ein Synonym für „Zukunft“. Immer seltener findet man einen Optimismus, der davon ausgeht, daß die Welt von morgen die bessere sein wird und es nur eine Frage der Zeit ist, bis das Bessere auch das Wirkliche geworden ist.

Die globale, politische und kulturelle Herausforderung der Wende zum 21. Jahrhundert besteht gerade darin, daß die Zukunft nicht von selbst kommt. Daß das einzige, was ohne Zweifel mit der Zeit eintritt, der Tod ist, stellt keine neue Einsicht dar. Neu ist allerdings, daß dieses Ende nicht mehr bloß schicksalhaft, sondern längst machbar geworden ist. Und als selbstproduzierbares trifft es nicht allein das Individuum, sondern auch die Gattung Mensch. Nachdem die industrielle Entwicklungsdynamik Risiken hervorgebracht hat, die alle Fortschrittshoffnungen der Menschheit und in letzter Konsequenz die Zukunft insgesamt zu zerstören drohen, kann es durchaus sein, daß ein solcher Exitus vor der vom Menschen erwarteten Zeit eintritt. haben Aber noch es die Industriegesellschaften in der Hand, Wirtschaft und Technik so zu organisieren, daß auch künftig sichere und lebenswerte Existenzbedingungen von einer immer noch wachsenden Erdbevölkerung angetroffen werden. Allerdings ist die Zeit befristet, in der entsprechende Vorkehrungen getroffen werden können. Die Zeit drängt, jedoch finden sich nur selten Menschen weltweit mit einer gemeinsamen Zukunftsvision zu gemeinsamem Handeln zusammen. In Seoul tagte vom 6. bis 13. März 1990 die „ökumenische Welt-versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ Das Motto der aus allen Konfessionen und Kontinenten versammelten Christen benannte die großen Überlebensfragen der Menschheit und machte zugleich klar, daß diese Probleme hinsichtlich ihrer Ursachen und ihrer Lösungsmöglichkeiten eng miteinander verwoben sind: Es wird kaum möglich sein, der Umweltzerstörung in der Dritten Welt, deren Folgen auf Dauer auch die Industrienationen erfassen werden, ein Ende zu setzen, solange dort die Armut der Menschen verhindert, daß diese den ökologischen Forderungen Rechnung tragen. Ebenso ist ohne die Überwindung von Armut und politischer Unterdrückung kein dauerhafter Friede möglich. Wo Hunger herrscht, hat der Friede keinen Bestand. Wo die Natur zerstört wird, herrscht bald Hunger. Das hinter den globalen Selbstgefährdungen der Menschheit stehende ausbeuterische Verhältnis zur Natur wird nur aufhören, wenn auch die wirtschaftliche Ausbeutung und politische Unterdrückung des Menschen durch den Menschen endet.

Umfassende Lernprozesse über den Bereich der bisher beteiligten Initiativen hinaus sind notwendig, daß aus solchen Appellen eine umfassende Neuorientierung des politischen und ökonomischen Handelns erwachsen kann. Einer solche Prozesse begleitenden antreibenden Sozialethik kommt die Aufgabe zu, jene Denkkategorien und Argumentationsmodelle zu erarbeiten, in denen die Auseinandersetzung über die Zielmarken einer notwendigen Kurskorrektur von Politik und Wirtschaft angesichts der Krisen und Pathologien moderner Gesellschaften geführt werden kann. Will ein solches Unternehmen nicht den zahlreichen Beschwörern einer in Bälde untergehenden Zivilisation das Wort reden, muß es seine Standortbestimmung verknüpfen können mit dem Aufweis jener Bedingungen, unter denen dieser Untergang zu verhindern gilt. Damit sich die in den letzten Jahren unternommenen Versuche zur Konzeption einer „Zukunftsethik“ gegenseitig befruchten und ergänzen können, ist es sinnvoll, sich einiger Koordinaten zu vergewissern, welche diese Beiträge kompatibel machen und auch den Rah-men angeben, innerhalb dessen die Relevanz eines religiösen Ethos für die Zukunftsfähigkeit moderner Gesellschaften verhandelt werden kann.

Die folgenden Überlegungen zu einer „ökologischen Sozialethik“ wollen als eine solche Grundlagenreflexion verstanden werden. Sie gehen davon aus, daß die Parameter einer umweit-und sozialverträglichen Weiterentwicklung der Industriegesellschaft die ökologische Problematik nicht als Anwendungsfall überkommener politischer und ethischer Denk-und Handlungsmodelle zu betrachten sind. Vielmehr muß die ökologische Dimension als die primäre und umgreifende angesehen werden, wovonher die sozialethischen Kategorien neu zu definieren sind.

I. Zukunftsfähigkeit -oder: Fortschritt wohin?

Am Ende der Moderne ist ein Stadium der Kultur-geschichte erreicht, in dem das Ausgeliefertsein des Menschen an die Natur verknüpft ist mit der Abhängigkeit der Natur vom Menschen. Zahlreiche Gefährdungspotentiale bedrohen sowohl die natürlichen Lebensbedingungen des Menschen als auch die vom ihm bislang unabhängigen natürlichen Ökosysteme. Zu nennen sind: -energie-und produktionstechnische Schadstoff-belastung der Biosphäre (z. B. Luft-und Wasserverschmutzung, Waldsterben, Ozonloch); -biogenetische Verformung der Erbanlagen von Mensch, Tier, Pflanze (z. B. Genmanipulation der menschlichen Keimbahn, agrartechnische Reduktion von Zuchtarten, Nebenwirkungen und Spätfolgen von Pestiziden, unkalkulierbare Gefahren bei der Aussetzung gentechnischer Neuzüchtungen); -radioaktive Verseuchung der Atmosphäre durch Eskalation eines Atomkrieges oder Unfälle in kerntechnischen Anlagen.

Diese Gefährdungen sind ebensowenig schicksalhaft wie unvermeidbar. Sie sind das Ergebnis sozio-ökonomischer Prozesse Sie erinnern daran, daß die Sicherung von Fortschritt und Zukunft nicht zuletzt eine politische Planungs-, Entscheidungs-und Gestaltungsaufgabe darstellt. Aber worin besteht das Maß des Fortschritts und das Ziel der Zukunft? Die bloße Verlängerung der Gegenwart im Stile eines „business as usual" schafft einen Zustand, für den und in dem zu leben es sich nicht mehr lohnt. Die lineare oder exponentielle Fortschreibung bisheriger Entwicklungstrends führt zum ökologischen Kollaps. W'enn die gegenwärtigen Überflußgesellschaften an der Produktion von Überfluß festhalten, wird ihnen in absehbarer Zeit das Lebensnotwendige fehlen: klares Wasser, gesunde Böden, saubere Luft. Einen Verzicht auf das ungehemmte Weiterlaufen ihrer technisch-ökonomischen Antriebsmomente kann und will sich die moderne Gesellschaft offenbar nicht leisten. Abhängig vom kategorischen Komparativ des „immer schneller, höher, weiter“ ist sie einem stationären Zustand nicht gewachsen bzw. hält ihn für unzumutbar. Sie gleicht einem Radfahrer, der das Gleichgewicht nur halten kann, solange er fährt. Ungehemmtes Geradeausfahren ist dem modernen Menschen jedoch immer seltener möglich. Mehr und mehr holen ihn die Altlasten aus einer nicht allzu fernen Vergangenheit ein, die vorrangig zu „entsorgen“ sind.

Den Gang der Sozial-und Kulturgeschichte wird in den kommenden Jahren immer weniger das Bemühen um die weitere Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, sondern vor allem die Bewältigung der von ihm selbst produzierten Gefährdungen moderner Gesellschaften bestimmen Es geht nicht mehr bloß um das Problem, ob der Mensch tun darf, was er kann. Die Irreversibilität von Entscheidungen, die heute gefällt und deren negative Konsequenzen erst spätere Generationen treffen werden, stellt zuvor noch die Frage, was der Mensch vernünftigerweise wollen soll. Aber gerade an solchen überzeugenden Vorgaben und Inhalten eines vernünftigen Willens fehlt es gegenwärtig. Wir leben in einer Zeit effizienter Mittel und unklarer Ziele. Konsens besteht unter aufgeklär-ten Zeitgenossen nur hinsichtlich der Tatsache, daß der herrschaftsförmige Ausgriff auf die natürlichen Bedingungen des Daseins an sein Ende gelangt ist und daß eine sich selbst überlassene Technik, Wissenschaft und Wirtschaft den erreichten Verfügungsspielraum über die Natur nicht mehr beherrschen kann.

Das Naturverhältnis der fortgeschrittenen Industriegesellschaften ist naturzerstörend und darum auf lange Sicht auch selbstzerstörerisch. Was mit der Aneignung natürlicher Ressourcen begann, um das Überleben in der Natur zu sichern, führte zur Wohlstandsproduktion, deren vorläufiges Ende die Risikogesellschaft markiert. In diesem Begriff „drückt sich eine Grenzerfahrung der Moderne aus, die Erfahrung, an die Grenzen der Ausdehnbarkeit menschlicher Macht mit Hilfe von Technik und Wissenschaft geraten zu sein und die kulturellen und ethischen Voraussetzungen solchen Machtgebrauchs nicht schaffen und erhalten zu können. Die Wahrnehmung der eigenen Gesellschaft als Risikogesellschaft entsteht aus dem Gefühl, die eigene Macht und den Machtzuwachs der Moderne nicht mehr beherrschen zu können. Die Krise der modernen entwickelten Industriegesellschaft der wissenschaftlich-technischen Zivilisation ist eine Krise der Entgrenzung,... erwachsen aus der irrigen Annahme, daß die Naturbeherrschung unbegrenzt ausgedehnt werden, die Wirtschaft grenzenlos expandieren könne und die Natur in der Moderne keine Grenze menschlichen Handelns mehr bilde.“

Der Prozeß der Moderne wirkt nun „reflexiv“, d. h. sie wird sich selbst zum Thema und Problem. Ein erstes Kennzeichen dieses Zeitalters der wohlstandsbedingten Produktion von Gefährdungen besteht in der Koppelung von ökonomischen Fortschritten mit ökologischen Rückschlägen. Wissenschaft, Technik und Wirtschaft bringen Risiken und Gefahren hervor, die in demselben Maß steigen, wie die erfolgreiche Beherrschung der menschlichen Lebensbedingungen zunimmt. Wo man wirtschaftliches Wachstum mit steigenden Nachteilen für die soziale Lebenswelt und natürliche Umwelt bezahlen muß, geht der Grenznutzen dieser Entwicklung ins Negative. Ökonomische Fortschritte werden ökologisch entwertet.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Konfliktfeld der Wohlstandsproduktion, aus dem die Sozialtheoretiker des 19. und frühen 20. Jahrhunderts ihre Beschreibung der industriellen Klassen-gesellschaft bezogen haben, und dem Konfliktpotential der Gefahrenproduktion im entwickelten Nuklear-und Chemiezeitalter liegt darin, daß die alten Spannungen, Gegensätze und Kämpfe zwischen Kapital und Arbeit überlagert werden von ökologischen Systemgefährdungen, die Polarisierungen und Zwangssolidaritäten quer zu den bestehenden Antagonismen und Gruppenegoismen entstehen lassen. Der Grund liegt in der Tendenz zur globalen Verbreitung von Modernisierungsrisiken. Radioaktive Verseuchung, Schad-und Giftstoffe in Luft und Wasser treffen früher oder später auch die, welche sie verursacht haben. Über die Nahrungskette kommen die Schwermetalle zurück zu jenen, die sie als Nebenprodukt ihrer Unternehmen in keinem Prospekt führen.

Die Kehrseite der industriell betriebenen Ausbeutung der Naturschätze ist die Vergesellschaftung der Naturschäden, ihre Verwandlung in soziale, wirtschaftliche und politische Gefährdungen mit völlig neuartigen internationalen Herausforderungen. Das Ausmaß der Industrieskandale von Sandoz und Tschernobyl signalisiert das Ende der klassischen Industriegesellschaft mit ihrer Vorstellung einer nationalstaatlichen, politischen Souveränität. Die chemische Giftwelle im Rhein und die nukleare Giftwolke aus der Ukraine machten an keiner Staatsgrenze halt.

Völlig neu an diesen Risiken ist, daß sie sich der sinnlichen Wahrnehmung entziehen und erst über technische Meßinstrumente nachweisbar sind. Es tritt eine Entsinnlichung der Gefahren ein. Zeuge der Katastrophe von Tschernobyl wurde nicht, wer seinen fünf Sinnen vertraute. Allein wer sich auf Geigerzähler und Experteninformationen verließ und ihnen glaubte, bekam etwas von jener „Reaktorhavarie“ mit. An diesem Fall wurde offenkundig, daß Modernisierungsrisiken und -gefahren sich erst in einem Wissen um sie einstellen, das künstliche Wahmehmungsapparate bereitstellen. Sie werden damit ebenso wie die Festsetzung von „Grenzwerten“ bei der Schadstoffbelastung von Lebensmitteln zur Definitionssache. Institute und Fachleute der Risikodefinition rücken folglich in politische Schlüsselstellungen auf. Die zunächst Betroffenen macht diese Entwicklung bezüglich ihrer eigenen Gefährdungswahmehmung und -bewältigung unzuständig.

II. Die vergesellschaftete Natur: Ökologie und Sozialethik

Die Moderne bringt mit diesen Novitäten Vorzeichen einer Zukunft hervor, die es zu verhindern gilt. Die skizzierte Umstellung im Verlauf sozialen Wandels in Richtung Risikogesellschaft kann nicht ohne Auswirkungen auf eine diesen Prozeß begleitende Sozialwissenschaft und Sozialethik bleiben. Beide sind gezwungen, die ökologische Dimension ihres Gegenstandsbereiches bei der Wahl von Ansatz und Methode ihrer Reflexion zu berücksichtigen Hierbei meint „ökologisch“ allerdings nicht die Orientierung an einer ursprünglichen, ungestalteten Natur, in der selbsttätige Lebens-und Austauschprozesse walten. Eine solche „natürliche“ Natur gibt es am Ende der Moderne nicht mehr, nachdem der Prozeß der Vergesellschaftung auch diese Bereiche längst erfaßt hat.

Versteht man unter „Natur“ alles, „was der Mensch vor seiner kulturellen Tätigkeit vorfindet“ bzw. all das, „womit Menschen umgehen, ohne es jedoch ursprünglich gemacht zu haben, was insbesondere heißt, daß seine ursprüngliche ökosystematische Bestimmtheit ohne menschliches Zutun besteht“ so findet man auf der Erde kaum noch eine Region, die nicht mit den Vorboten, Ausläufern und Abfällen der technisch-wissenschaftlichen Zivilisation Bekanntschaft gemacht hat. Die Erde ist zu einer globalen Kultur-und Industrielandschaft geworden, in der jede Parzelle von menschlicher Nutzung und Gestaltung geprägt ist. Natur kann nicht mehr ohne Gesellschaft, Gesellschaft nicht mehr ohne Natur begriffen werden

Seitdem die biologische Evolution von der technisch-industriellen Revolution abgelöst wurde und Technik und Wissenschaft die schnelleren und weiterreichenden Veränderungen hervorbringen, als es durch den naturbelassenen Lauf der Welt geschehen kann, steht die biologisch-physikalische Umwelt (Biosphäre) nicht mehr außerhalb der sozialen Lebenswelt (Soziosphäre). Das Ozonloch über den Polkappen und die Erwärmung der Erdatmosphäre sind „Naturereignisse“, die ihre Ursache nicht in der Natur haben. Vermeintlich naturimmanente Prozesse wurzeln in sozio-ökonomischen Entwicklungen. Der Mensch übernimmt die Rolle der Evolution, seitdem er gentechnisch in der Lage ist, Varianten und Mutationen von Pflanzen zu (re-) produzieren. Der Unterschied zwischen der unabhängig vom Menschen gewordenen Natur und der synthetisch erzeugten Natur wird fließend.

Dieses kann durchaus zum Wohl des Menschen sein, wenn etwa künstlich produziertes Human-insulin in großen Mengen verfügbar ist oder natur-identische Aromastoffe die Qualität von Lebensmitteln steigern. Die Rekultivierung ganzer Landschaften, die durch industrielle Nutzung verwüstet worden sind, zeigt sogar, daß es möglich ist, die vergesellschaftete Natur zu „renaturalisieren". In Wahrheit ist dieser Vorgang aber eine „Kultivierung“ der Umwelt. Mehr und mehr bringt der Mensch technische Reproduktionen der Natur in die unmittelbare Lebenswelt ein. Gemeint ist damit nicht der Weihnachtsbaum aus Plastik, sondern die in Hydrokultur gehaltene Zimmerpalme.

Nicht immer läßt sich die Natur auf diese Weise domestizieren. Oft genug hat gerade der Versuch der Domestizierung die Konsequenz, daß die Natur in ihrer ganzen Ungezähmtheit und Gewalt über den Menschen hereinbricht. Das Vordringen der Wüstengürtel als Folge von Überweidung und extensivem Ackerbau oder erosionsbedingte Schlammlawinen, die nach starken Regenfällen ganze Alpentäler zudecken, sind Symptome eines in die globale Krise führenden Mißverständnisses dessen, was „Zivilisation“ sein kann.

Zur Bewältigung dieser Krise sind moderne Gesellschaften gezwungen, zu einer Wahrnehmung und Beschreibung der Natur zu finden, die integraler Bestandteil ihrer Selbstwahrnehmung und -beschreibung ist. Dieses aber zu leisten, ist den entsprechenden sozialwissenschaftlichen Disziplinen bisher nur unzureichend gelungen. Die neuere ökonomische und soziologische Theorie spiegelt eher den Prozeß der Naturentfremdung des modernen Menschen. Die Naturvergessenheit der Wirtschaftswissenschaften seit der Herausbildung der Neoklassik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist kaum bestreitbar. Die Natur spielt hier die Rolle eines freien Gutes, das im Überfluß vorhanden ist und als beliebig verfügbares Objekt von Technik und Industrie für eine auf maximale Produktion ausgerichtete Ökonomie ausgenutzt wird. Als eigenständiger Produktionsfaktor (neben Kapital und Arbeit) bleibt die Natur ausgeblendet, übrigens auch in marxistischen Theorien, die den Produktionsvorgang ausschließlich als Arbeitsprozeß und Verwertungsablauf des eingesetzten Kapitals begreifen

Ein analoger Befund ergibt sich bei der Durchsicht gesellschaftstheoretischer Entwürfe, die eine Theorie der sozialen Evolution anbieten. Auch hier fehlt ein Begriff von Natur, der diese als soziokulturell (mit-) konstituiert verstehen läßt. Soziale Evolution wird durchgängig als Emanzipation des Sozialen von den naturwüchsigen Fesseln und Zwängen menschlichen Miteinanders begriffen und an dem Vermögen gemessen, über die für die Reproduktion der Gesellschaft notwendigen natürlichen Ressourcen verfügen zu können 1. Die Soziologie hat die ökologische Krise bisher kaum zum Anlaß für eine Revision ihrer Grundbegriffe und einer Neubestimmung von Ansatz und Status ihrer Theoriebildung gemacht. Selbst ein soziologischer Insider wie Niklas Luhmann muß in diesem Zusammenhang eingestehen, „wie sehr die Gesellschaftstheorie durch die... ökologische Diskussion gefordert ist, -und wie wenig sie einstweilen zu bieten hat“ Eine gewisse Ausnahme bildet die „Chicago School“ (R. E. Park, E. W. Burgess, R. McKenzie u. a.), in der man bereits 1921 mit dem Paradigma „Ökologie“ operiert und nach einem Theorieansatz gesucht hat, „der die Prozesse wechselseitiger Anpassungszwänge zwischen Menschen und ihrer begrenzten physischen Umwelt zum Gegenstand des soziologischen Denkens macht und der insofern seine Vorläufer in der Biologie und in der Geographie hat“ Allerdings ist diese „Sozialökologie“ nie zu einer umfassenden Gesellschaftstheorie ausgearbeitet worden, sondern lediglich zum Programmwort für eine empirische Stadtsoziologie geworden bzw. für die „deskriptive Untersuchung der Anpassung einer Bevölkerung an die Bedingungen ihrer jeweiligen physischen Umwelt“

Für das Konzept einer ökologischen Sozialethik ist die Sozialökologie neben anderen Ansätzen zu einer allgemeinen „Öko-Sozialwissenschaft“ insoweit relevant, als es auch ihr auf eine Reflexion des Sozialen als zur Natur und auf eine Sicherung der Anschlußfähigkeit ihrer Theoriebildung an die Naturwissenschaft ankommen muß. Die Naturvergessenheit der Sozialwissenschaften kann sie nur so überwinden, daß sie bei der Ermittlung der normativen Existenzbedingungen sozialer Systeme in der vergesellschafteten Natur jene objektiven Voraussetzungen einer sozialen Praxis lokalisiert, die zugleich einen vernunftgeleiteten Weg der sozialen Evolution verfolgt. Es geht hierbei um mehr und anderes als um das Bestreben, die Natur einfach für ethisch normativ zu erklären, womit in der Regel der für jede Ethik verhängnisvolle „naturalistische Fehlschluß“ verknüpft ist. Die Frage lautet vielmehr, unter welcher Rücksicht es ein Gebot der praktischen Vernunft sein kann, die Natur als Norm für die Gestaltung des Sozialen anzuerkennen Hierbei kann man sich nicht mehr allein auf eine metaphysisch konstituierte Natur berufen und die nicht hintergehbaren Bedingungen menschlichen Zusammenlebens jenseits von Geschichte und Empirie suchen, wie dieses etwa auf weiten Strecken in der Naturrechtsethik der Katholischen Soziallehre erfolgte Vielmehr muß es darum gehen, den ethischen Diskurs auf jene Momente des Unbeliebigen, Unverfügbaren und Unverrechenbaren auszudehnen, die innerhalb einer vergesellschafteten Natur soziales Handeln unter einen ethischen Anspruch stellen. Zu einer solchen Akzentverschiebung zwingen wissenschaftstheoretische Gründe, aber auch ideen-und sozialgeschichtliche Umbrüche, die weniger das Ende der Metaphysik als die Notwendigkeit ihrer Transformation signalisieren. Das Anliegen der Naturrechtsethik, positive Normen an einem Maßstab zu orientieren, der nicht zur freien Disposition steht, hat nichts an Gültigkeit verloren. Jedoch kann man nicht mehr auf Bestände zurückgreifen, die menschlichem Denken und Handeln vorausliegen und insofern „von Natur aus“ ethisch normativ sind, seitdem die Natur in „das Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit“ eingetreten ist. Sie ist nicht mehr das dem Menschen Vor-und Aufgegebene, sondern zusehends das im Sinne der Herstellbarkeit prinzipiell Mögliche. Zu dieser Einsicht nötigt spätestens die Gentechnologie, mit der die letzte nicht verfügbare Größe menschlicher Existenz -die Elternschaft -verfügbar wurde. Hat bisher die Differenz zwischen vorgegebener Natur und ihrer vom Menschen bestimmten Veränderung seine ethische Verantwortung mitbestimmt, so steht am Ende der Moderne diese Differenz selbst zur Disposition. Was in die Welt kommt, kommt deswegen zur Welt, weil es die Ausführung eines vom Menschen Erdachten darstellt. Nicht nur Geschichte, sondern auch Natur will der Mensch machen.

III. Kontingenztransfer und Risikobewußtsein: Die Herausforderung der Religion

Im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit der Natur reduziert sich nur auf den ersten Blick jenes Gefüge von Lebensbedingungen, die den Menschen unbedingt betreffen und angehen, die aber nicht von seinem Wollen und Tun abhängen. Denn diese Epoche bringt permanent neue Risiken und Gefahren hervor, deren Ausmaß proportional zum jeweils erreichten Stand der erfolgreichen Beherrschung menschlicher Lebensbedingungen steigt, wie etwa die janusköpfige Unterwerfung der natürlichen Umwelt durch Technik und Industrie eindrucksvoll belegt. Haben beide in der Vergangenheit noch aus der Einheit von „Versuch und Irrtum“ lernen und ihren Nutzen ziehen können, muß man sich in Zukunft eine andere Didaktik der Forschung einfallen lassen. Bei einer ständig in Katastrophennähe agierenden Nukleartechnik steigt die Wahrscheinlichkeit von Versagen und Irrtümern, bei denen man nicht mehr aus Schaden klug wird, sondern vorher schon tot ist.

Der Wandel in den Grundlagen und Konsequenzen sozialen Wandels hat keineswegs zur Folge, daß nunmehr jedes religiöse Ethos als unzeitgemäß gelten muß, das aus der Erfahrung der Kontingenz menschlichen Daseins entstanden ist. Kontingenz im ontologischen Sinn bezeichnet die Modalität eines Sachverhaltes bzw. eines Seienden, „das weder notwendig ist noch unmöglich ist; was aber so, wie es ist (war, sein wird), sein kann, aber auch anders möglich ist. Der Begriff bezieht mithin Gegebenes (Erfahrenes, Erwartetes, Gedachtes, Phantasiertes) im Hinblick auf mögliches Anderssein; er bezeichnet Gegenstände möglicher Abwandlungen“ Exakt ist dieses der Status der vergesellschafteten Natur, von der nur wenige Theologen noch behaupten würden, daß es in ihr nichts Zufälliges gebe, denn alles sei „kraft der Notwendigkeit der göttlichen Natur bestimmt, auf gewisse Weise zu existieren und zu wirken“

Die Erfahrung von Kontingenz ist jedoch ambivalent. Zum einen spiegelt sie das Vermögen des Menschen, die Wirklichkeit zu verändern wider, zum anderen steht sie für das Gewahrwerden der Nichtabsolutheit, d. h. Unabschließbarkeit, Inkonsistenz, Zufälligkeit menschlicher Weltgestaltung. In der jüngeren Religionssoziologie hat man der Religion die Aufgabe zugewiesen, das menschliche Selbstverhältnis in Entsprechung zu bringen mit diesen niemals in definitiver Gestalt vorhandenen bzw. herstellbaren Strukturen und Prozessen der Daseinssicherung, in denen sich letztlich die unverfügbare Daseinskontingenz des Menschen selbst manifestiert In der Praxis wird damit meist die Erwartung verbunden, die Religion solle die von Kontingenzerfahrungen ausgehenden destabilisierenden Wirkungen auffangen, absorbieren oder neutralisieren, indem sie entsprechende Offerten für die Deutung oder den Umgang mit solchermaßen Unverfügbarem bereithalte.

Es gehört zur Dialektik der Moderne, daß sie durch ihre Modernisierungen Risiken und Gefahren schafft, die sie mit den Mitteln von Technik und Wissenschaft allein nicht bewältigen kann. Sie erweist sich daher unmittelbar als kontingenzproduktiv und mittelbar als „religionsproduktiv“. Die moderne Welt hat unter dieser Rücksicht nicht zu einem Verschwinden der Anknüpfungspunkte für eine religiöse Daseinsbewältigung geführt, sondern zu ihrer Verlagerung in den Bereich von Technik, Wissenschaft und Politik beigetragen. Erhalten geblieben ist die Grundbestimmung und die Grundfunktion des Religiösen. Religiös ist eine Lebenspraxis, durch die sich der Mensch in ein gedeutetes Verhältnis zu den unableitbaren Voraussetzungen seines Daseins setzt. Thema der Religion ist in diesem sehr grundsätzlichen Sinn unsere Einstellung zu den Bedingungen und Einflüssen, die das Leben „ausmachen“, d. h. konstituieren und beenden. Zu diesen Einflüssen zählt heute nicht mehr nur das, dem der Mensch „von Natur aus“ ausgeliefert ist und das in ihm das Bewußtsein weckt, daß sein Leben ein ihm „von anderswoher zugefallenes , Kontingentes 1 ist“ (J. Singer). Er lebt in einer Welt des Werdens und Vergehens, die es ihm versagt, jemals in seiner Existenz „autark“ zu sein. Technik und Wissenschaft haben dem Menschen auch die Mittel eines von ihm produzierten Unterganges in die Hand gegeben und nur ein unvollkommenes Bewußtsein dafür entwickelt, wie man diesen todbringenden Gefahren entgegensteuert. Je moderner die moderne Welt wird, um so unvermeidlicher wird die Verarbeitung dieser neuen Kontingenzen in einem entsprechenden Risikobewußtsein. Daß jene Kräfte dieses Bewußtsein entwickeln, die seine Notwendigkeit hervorgerufen haben, ist kaum zu erwarten.

Wenn es zutrifft, daß die Moderne von Voraussetzungen lebt, die ihre Leitgrößen Technik und Wissenschaft nicht garantieren können, und daß sie auf Inhalte angewiesen bleibt, die sie selbst nicht hervorbringen kann, dann bedarf es anderer Wahmehmungsmuster, die in der Lage sind, das Nichttechnische der Technik zu erkennen, das Nichtökonomische der Ökonomie ins Blickfeld zu rücken und das Nichtpolitische der Politik zu benennen. Daß dieses gelingt, entscheidet über die Zukunft moderner Gesellschaften. Und die Zukunft der Religion bemißt sich nach ihrem Vermögen, dieses technisch Unableitbare, ökonomisch nicht Verrechenbare und politisch Unverfügbare im gesellschaftlichen Prozeß zur Geltung zu bringen

IV. Zukunftsfähigkeit: Plädoyer für einen ökologischen Generationenvertrag

Die Kategorie der Kontingenz ist für eine ökologische Sozialethik über das bisher Ausgeführte hinaus insoweit relevant, als sie zu einer vertieften Analyse der Modalstruktur der sozialen Evolution verhilft: Die Moderne ist das Zeitalter des Fortschritts, genauer: die Epoche beschleunigter Veränderungen Alles Wirkliche setzt sie in Beziehung zu dem besseren Möglichen; alles bessere Mögliche unterstellt sie der Notwendigkeit zur Verwirklichung. Derart unter dem Gesetz der Kontingenz stehend, kann sie ihre Zukunft nur so sichern, daß ein Kontinuum zwischen dem Möglichen, dem Notwendigen und dem Wirklichen erhalten bleibt. Die Welt geht unter, wenn alles von* Notwendigkeiten regiert wird (d. h. wenn nichts mehr möglich ist) und wenn alles möglich ist (d. h. nichts mehr notwendig erscheint). Es muß verhindert werden, daß das Notwendige und Wirkliche das Mögliche so sehr reduzieren, daß sich in Zukunft nichts wirklich Neues mehr ereignen kann und jede Zukunft bloß als verlängerte Gegenwart erscheint.

Hier beginnt das Geschäft der Ethik, die das Mögliche und Wirkliche nicht dem Beliebigen ausliefern und ebenso vermeiden will, daß mit Notwendigkeit etwas eintritt, was nicht wiedergutzumachen ist. Dieses ist zugleich das erste Gebot einer „Zukunftsethik“, die sich als Ethik der Prävention begreift Wenn es auch gegenwärtig kei-ne überzeugenden Sozialutopien gibt, so muß gegenwärtiges Entscheiden und Handeln dennoch so angelegt sein, daß es in Zukunft etwas tatsächlich heute noch Unbekanntes zuläßt. Dazu gehört eine Praxis des Zeitgewinns, d. h. ein Offenhalten von Zeiten und Räumen für die Realisierung noch ungedachter Utopien.

Wenn alle sozialethischen Anstrengungen der Gegenwart darin konvergieren, die Zukunftsfähigkeit moderner Gesellschaften zu sichern, so bedeutet dies, daß sie die Grundlage für einen „ökologischen Generationenvertrag“ zu legen haben. In der Christlichen Sozialethik gibt es erste Bemühungen, die Grunddaten einer solchen Vereinbarung zu benennen. Zur Konkretisierung steht dabei der Grundsatz von der „Bestimmung der Erdengüter für alle Menschen“ an Der davon abgeleitete ökologische Imperativ „Lebe so als ob die Welt, in der du lebst, identisch sei mit der Welt, die du künftigen Generationen hinterläßt“ bedeutet mehr als ein behutsamer Umgang mit begrenzten Ressourcen. Angesprochen sind damit Solidaritätspflichten gegenüber den Ländern der Dritten Welt und gegenüber kommenden Generationen, über deren Lebenschancen heute entschieden wird. In der gemeinsamen Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz „Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung“ finden sich einige Präzisierungen dieser Solidaritätspflichten: -„Es ist sittlich verwerflich, die Umwelt so zu verändern, daß dadurch heute oder zukünftig lebende Menschen klar voraussehbar Schäden erleiden... Schäden können nur dann in Kauf genommen werden, wenn dies das einzige Mittel ist, um von heute oder zukünftig lebenden Menschen noch größeren Schaden abzuwenden. -Die Umwelt darf zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse herangezogen werden, solange Nachteile und Schäden für Mensch und Natur nicht größer sind als der Nutzen aus dem Gebrauch der Naturgüter und solange dabei der Fortbestand der Menschheit garantiert bleibt. -Die Umwelt ist mit aktiven und notfalls einschneidenden Maßnahmen zu erhalten und zu schützen, solange dadurch nicht gegenwärtig oder zukünftig lebenden Menschen schwerer Schaden zugefügt wird.“ (Nr. 39)

Die Realisierung dieser ethischen Vorzugsregeln erzwingen sowohl Veränderungen im Lebensstil des einzelnen (Bewußtseinswandel) als auch einen ökologischen „Umbau“ der Gesellschaft (Struktur-wandel), wobei der Natur ein Eigenwert zuerkannt wird. Sie darf nicht länger als bloßes Nutzungsund Ausbeutungsobjekt des Menschen betrachtet werden. Die Anerkennung und Achtung des Unverfügbaren in der Natur (und ebenso im Personalen und Sozialen) ist die Vorgabe und Grenze für das weitere Verfügen über die Möglichkeiten technisch-industrieller Weltgestaltung

Es entspricht dem christlichen Bild vom Menschen, ihn als ein Wesen zu sehen, das sich nur im Horizont prinzipiell unerschöpflicher Daseins-chancen verwirklichen kann; als ein Wesen, das Freiheit und Erfüllung nur dort findet, wo das Realisieren bestimmter Optionen eine stets noch größere Vielfalt an Erlebnis-und Handlungsmöglichkeiten offenläßt. Weil ihm die Vielfalt der Pflanzen-und Tierwelt immer auch die Vielfalt der eigenen Existenz widerspiegelt und verbürgt, muß sich der Mensch die Bewahrung der Schöpfung zu einem existentiellen Anliegen machen

Fussnoten

Fußnoten

  1. Wesentliche philosophisch-politische Impulse verdankt dieser sogenannte „konziliare Prozeß“ Carl F. von Weizsäkker, Die Zeit drängt. Eine Weltversammlung der Christen für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung, München-Wien 1986. Zu Vorgeschichte, Verlauf und Ergebnis der Weltversammlung in Seoul vgl. Lothar Coenen (Hrsg.), Unterwegs in Sachen Zukunft, Stuttgart-München 1990.

  2. Zu den verschiedenen Ansätzen einer theologischen Umweltethik vgl. die Diskussions-und Literaturberichte von Rainer M. Bucher, Die ökologische Krise -eine Schöpfungskrise. Ansätze und Perspektiven einer Theologie des Über-lebens, in: Theologie und Glaube, 79 (1989), S. 19-41; Konrad Hilpert, Verantwortung für die Natur. Ansätze zu einer Umweltethik in der gegenwärtigen Theologie, in: Theologie und Philosophie, 60 (1985), S. 376-399; Hans Halter, Theologie, Kirchen und Umweltproblematik. Der Beitrag der Theologie zu einer ökologischen Ethik, in: Josef Pfammatter/Franz Furger (Hrsg.), Theologische Berichte. Bd. XIV. Katholische Soziallehre in neuen Zusammenhängen, Zürich-Einsiedeln-Köln 1985, S. 165-211.

  3. Vgl. hierzu ausführlich Ulrich Beck, Risikogesellschaft. Überlebensfragen, Sozialstruktur und ökologische Aufklärung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 36/88, S. 3-13.

  4. Vgl. Emst U. von Weizsäcker, Erdpolitik. Ökologische Realpolitik an der Schwelle zum Jahrhundert der Umwelt, Darmstadt 1989.

  5. Peter Koslowski, Risikogesellschaft als Grenzerfahrung der Moderne. Für eine post-moderne Kultur, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 36/88, S. 14f. Zum Folgenden vgl. Ulrich Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt 1986; Hans-Joachim Höhn, Ende oder Wende der Moderne?, in: Orientierung, 52 (1988), S. 114-117.

  6. Vgl. Christoph Lau, Risikodiskurse. Gesellschaftliche Auseinandersetzungen um die Definition von Risiken, in: Soziale Welt, 40 (1989), S. 418-436.

  7. Erinnert sei an die klassische Definition von Emst Haekkel, Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 2. Allgemeine Entwicklungsgeschichte der Organismen, Berlin 1866, S. 67: „Unter Oecologie verstehen wir die gesamte Wissenschaft von den Beziehungen des Organismus zur umgebenden Außenwelt, wohin wir im weitesten Sinn alle , Existenz-Bedingungen“ rechnen können. Diese sind theils organischer, theils anorganischer Natur, sowohl diese als jene sind, ..., von der größten Bedeutung für die Form der Organismen, weil sie dieselbe zwingen, sich ihnen anzupassen.“

  8. Beat Sitter, Wie läßt sich ökologische Gerechtigkeit denken?, in: Zeitschrift für evangelische Ethik, 31 (1987), S. 279.

  9. Ebd., S. 281.

  10. Vgl. Mechthild Oechsle, Der ökologische Naturalismus. Zum Verhältnis von Natur und Gesellschaft im ökologischen Diskurs, Frankfurt-New York 1988.

  11. Vgl. Peter Weinbrenner, Ökonomie und Ökologie im politischen Interessenkonflikt, in: Bernd Henning u. a., Grundfragen der Ökonomie, Bonn 1989, S. 332-361.

  12. Aus Platzgründen kann im folgenden dieser Sachverhalt nicht näher erläutert werden. Für eingehende Analysen sei verwiesen auf: Peter Wehling, Ökologische Orientierung in der Soziologie, Frankfurt 19892; Klaus Eder, Die Vergesellschaftung der Natur. Studien zur sozialen Evolution der praktischen Vernunft, Frankfurt 1988, S. 27-63.

  13. Niklas Luhmann, Ökologische Kommunikation. Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen?, Opladen 1986, S. 8.

  14. Bernd Hamm, Aktuelle Probleme sozialökologischer Analyse, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 36 (1984), S. 277.

  15. Amos Hawley, Ökologie und Sozialökologie, in: Peter Atteslander/Bemd Hamm (Hrsg.), Materialien zur Siedlungssoziologie, Köln 1974, S. 121. Vgl.ders., Theorie und. Forschung in der Sozialökologie, in: Ren König (Hrsg.), Handbuch der empirischen Sozialforschung, Bd. 4, Komplexe Forschungsansätze, Stuttgart 19744, S. 51-81; Jiri Musil, Der Status der Sozialökologie, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 29 (1988), S. 18-34.

  16. Vgl. Walter L. Bühl, Soziologie und Systemökologie, in: Soziale Welt, 37 (1986), S. 363-389.

  17. Vgl. hierzu etwa William K. Frankena, Der naturalistische Fehlschuß, in: G. Grewendorf/G. Meggle (Hrsg.), Seminar: Sprache und Ethik. Zur Entwicklung der Metaethik, Frankfurt 1974, S. 83-99.

  18. Zu dieser Unterscheidung vgl. Wilhelm Korff, Wie kann der Mensch glücken? Perspektiven der Ethik, München-Zürich 1985, S. 260-271.

  19. Vgl. Werner Kroh, Aufklärung und Katholische Sozial-lehre. Kritische Anfragen an eine naturrechtlich argumentierende Sozialethik, in: Marianne Heimbach-Steins (Hrsg.), Naturrecht im ethischen Diskurs, Münster 1990, S. 47-66.

  20. Vgl. Jürgen Habermas, Nachmetaphysisches Denken. Philosophische Aufsätze, Frankfurt 19882, S. 11-60.

  21. Gernot Böhme, Die Natur im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit, in: Information Philosophie, 18 (1990) 4, S. 5-17.

  22. Vgl. Alois Müller, Religion als Kontingenzbewältigungspraxis?, in: Concilium, 26 (1990), S. 370-376; ders., Überlegungen zum Verhältnis von Religion und Kontingenz, in: A. A. Bucher/H. Reich (Hrsg.), Entwicklung von Religiosität, Freiburg i. Ue. 1989, S. 35-50.

  23. Niklas Luhmann, Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt 1984, S. 152.

  24. Baruch de Spinoza, Die Ethik nach geometrischer Methode dargestellt, Hamburg 1976, S. 31.

  25. Vgl. Niklas Luhmann, Funktion der Religion, Frankfurt 1977; Hermann Lübbe, Religion nach der Aufklärung, Graz u. a. 1986.

  26. Vgl. Hans-Joachim Höhn, Vernunft -Glaube -Politik. Reflexionsstufen einer Christlichen Sozialethik, Paderborn u. a. 1990.

  27. Vgl. Hans-Joachim Höhn, Im Zeitalter der Beschleunigung. Konturen einer theologischen Sozialanalyse als Zeit-diagnose, in: Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften, 32 (1991).

  28. Vgl. Thomas Meyer/Susanne Miller (Hrsg.), Zukunftsethik und Industriegesellschaft, München 1986; Günter Altner, Präventionsprinzip und Ethik: Was ist zu tun?, in: Universitas, 44 (1989), S. 373-384.

  29. Vgl. Gerhard Höver, Solidarität und Entwicklung. Zur Bedeutung der Menschenrechte im Hinblick auf das „Gemeinsame Erbe der Menschheit“, in: Gerfried W. Hunold/Wilhelm Korff (Hrsg.), Die Welt für morgen. Ethische Herausforderungen im Anspruch der Zukunft, München 1986, S. 142-154.

  30. Vgl. Ph. Schmitz, Ist die Schöpfung noch zu retten? Umweltkrise und christliche Verantwortung, Würzburg 1985, S. 55 ff.

  31. Zu dem hier angeschnittenen Fragenkreis vgl. die Beiträge von Jürgen Moltmann, Elisabeth Giesser, Peter Saladin, Christoph Zenger, Jörg Leimbacher und Christian Link, in: Evangelische Theologie, 50 (1990), S. 437-468.

  32. Vgl. Hans Kessler, Das Stöhnen der Natur. Plädoyer für eine Schöpfungsspiritualität und Schöpfungsethik, Düsseldorf 1990.

Weitere Inhalte

Hans-Joachim Höhn, Dr. theol. habil., geb. 1957; Studium der Philosophie und katholischen Theologie in Frankfurt, Rom, Freiburg und Bonn; Promotion 1984 in Freiburg; Habilitation 1989 in Bonn; seit 1991 o. Professor für Katholische Theologie an der Philosophischen Fakultät der Universität Köln. Veröffentlichungen u. a.: Kirche und kommunikatives Handeln, Frankfurt 1985; Vernunft -Glaube -Politik. Reflexionsstufen einer Christlichen Sozialethik, Paderborn 1990.