Der Haushalt der Europäischen Gemeinschaften war in früheren Jahren immer wieder heftig umstritten zwischen der Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten sowie innerhalb der Gemeinschaft zwischen Rat und Parlament. Das nach Einfluß strebende Europäische Parlament kritisierte vor allem, daß die obligatorischen Agrarausgaben einen immer größeren Teil des Haushalts verschlangen und damit die Mittel für andere Politikbereiche, über die das Parlament mitentscheiden kann, immer knapper wurden. Durch die Agrarreformen 1988 und 1992 und durch die Vorgabe eines mittelfristigen Rahmens für die wichtigsten Ausgabenarten wurde dieses Problem entschärft. Ende 1992 wurde beschlossen, die Mittel der EG bis zum Jahre 1999 von 1, 20% auf maximal 1, 27% des gemeinschaftlichen Sozialprodukts anwachsen zu lassen (= 80 Mrd. ECU), den Anteil der Agrarausgaben auf 46% zu senken und den der strukturpolitischen Maßnahmen auf 36% zu steigern. Bei der EG-infemen Lastenverteilung zwischen Netto-Zahlem und Netto-Empfängem wird sich tendenziell die Belastung der Netto-Zahler einschließlich der Bundesrepublik Deutschland verstärken. Dies folgt einerseits aus einer künftig stärkeren Orientierung der EG-Finanzierung an der vom Sozialprodukt bestimmten „Beitragskapazität“ der Mitgliedstaaten, andererseits aus dem politischen Willen, im Interesse des Zusam-, menhalts der Gemeinschaft (Kohäsion) den Mittelzufluß in die am wenigsten entwickelten EG-Länder zu verstärken: Die (politische) Integration Europas ist nicht kostenlos zu haben; für Deutschland liegt der Preis in Gestalt von Nettozahlungen bei 10-17 Mrd. DM pro Jahr. Dies entspricht in der Größenordnung etwa den Unterstützungen für den deutschen Steinkohlenbergbau sowie die Bundesbahn und erscheint vor diesem Hintergrund nicht unangemessen hoch. Unabhängig davon wird aber in Zukunft intensiver zu diskutieren sein, wie durch Umschichtungen oder Einsparungen die Mittel der EG noch wirksamer eingesetzt werden können.
I. Haushaltsgrundlagen, Haushaltsverfahren
Der Haushalt der EG war immer wieder Gegenstand teilweise heftiger politischer Kontroversen einerseits zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, andererseits innerhalb der Gemeinschaft zwischen Rat und Parlament Darüber hinaus wurde häufig die ungleiche Lastenverteilung zwischen Netto-Zahlern und Netto-Empfängem thematisiert und das ständige Anwachsen der Ausgaben der Gemeinschaft kritisiert.
Die wichtigsten Rechtsquellen für den Haushalt der Europäischen Gemeinschaften sind die Gründungsverträge der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS, 1952 der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG, 1958) und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG, 1958) die durch die Einheitliche Europäische Akte (EEA, 1987) geändert wurden. Der in Maastricht (1991) Unterzeichnete, aber noch nicht in Kraft getretene Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) übernimmt ohne größere Änderungen die Finanzvorschriften des EWG-Vertrags Nach Art. 209 EWG-Vertrag bzw. EGV wird vom Rat einstimmig eine Haushaltsordnung festgelegt, die im einzelnen die Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans sowie die Rechnungslegung und Rechnungsprüfung regelt. Die derzeit geltende Haushaltsordnung stammt aus dem Jahre 1977 und ist mehrfach geändert worden, zuletzt 1990.
Materielle Grundlage der Haushaltspolitik der letzten Jahre bis Ende 1992 waren der Beschluß des Rates über das System der eigenen Mittel der EG vom 24. Juni 1988 und die von Rat, Kommission und Parlament am 29. Juni 1988 geschlossene Interinstitutionelle Vereinbarung über die Haushaltsdisziplin und die Verbesserung des Haushalts-verfahrens, die für die großen Ausgabenblöcke eine mittelfristige finanzielle Vorausschau beinhaltet. Für die Haushaltspolitik ab 1993 wurden mit der Annahme des sogenannten Delors-II-Pakets beim Europäischen Rat in Edinburgh am 11. /12. Dezember 1992 die Weichen hinsichtlich der Eigenmittel der EG sowie der Ausgaben (Finanzplanung bis 1999) gestellt.
Das Haushaltsverfahren ist mit Angabe von (Mindest-) Fristen in Art. 203 EWG-Vertrag festgelegt (s. hierzu Abbildung 1). Auf der Grundlage eines Haushaltsvorentwurfs der Kommission erstellt der Rat den Entwurf eines Haushaltsplans, der vom Parlament beraten und in der Regel geändert wird (1. Lesung). Der Rat beschäftigt sich mit den Änderungen bzw. Änderungsvorschlägen, denen er zustimmen oder die er seinerseits wieder ändern kann. Diese Fassung des Haushaltsentwurfs wird wiederum vom Parlament beraten (2. Lesung), das ihn entweder in dieser Form annehmen oder durch Ablehnung der Änderungen des Rats an seinen Änderungen in die ursprüngliche Fassung (der 1. Lesung) zurückversetzen kann. Danach erfolgt die endgültige Feststellung des Haushaltsplans durch den Präsidenten des Parlaments -es sei denn, das Parlament lehnt aus wichtigen Gründen den Entwurf des Haushaltsplans gänzlich ab und verlangt die Vorlage eines neuen Entwurfs
Je nach Ausgabenkategorie sind die Mitwirkungsrechte des Parlaments bei der Haushaltsgestaltung unterschiedlich: -Bei den obligatorischen Ausgaben, die sich zwingend aus dem EWG-Vertrag oder den aufgrund des Vertrags erlassenen Rechtsakten ergeben, kann das Parlament in der 1. Lesung nicht selbst Änderungen am Haushaltsentwurf vornehmen, sondern nur (mit absoluter Mehrheit der abgegebenen Stimmen) dem Rat Änderungsvorschläge unterbreiten. Wenn der Rat die Vorschläge nicht übernehmen will, muß er sie mit qualifizierter Mehrheit (54 von 7 Stimmen) 6 ablehnen, wenn durch die Änderungen der Gesamtbetrag der Ausgaben nicht steigen würde, d. h. die Vorschläge auf 3-eine Umschichtung von Mitteln hinauslaufen; wenn die Vorschläge das Ausgabenvolumen erhöhen, reicht zur Ablehnung im Rat bereits eine Sperrminorität (von 23 Stimmen) aus Entsprechende Stimmenzahlen im Rat vorausgesetzt, trifft bei Auseinandersetzungen mit dem Parlament der Rat faktisch die Letztentscheidung über obligatorische Ausgaben.
Bei den nichtobligatorischen Ausgaben kann das Parlament selbst in der 1. Lesung (mit einfacher Mehrheit seiner Mitglieder) Änderungen am Haushaltsentwurf vornehmen. Der Rat kann diese mit qualifizierter Mehrheit abändern (oder ablehnen). Wenn der Rat Änderungen des Parlaments geändert hat, kann das Parlament die Ratsänderungen in der 2. Lesung (mit 3/5 der Stimmen der anwesenden Mitglieder, die eine Mehrheit aller -anwesenden und abwesenden -Parlamentsmitglieder sein müssen) ablehnen oder ändern. Entsprechende Stimmenzahlen im Parlament vorausgesetzt, kann dieses die Letztentscheidung bei den nichtobligatorischen Ausgaben treffen.
Es liegt im Interesse des Parlaments, das über Mittelzuweisungen im Haushaltsplan die Gemeinschaftspolitik mitgestalten will, die Kategorie der obligatorischen Ausgaben möglichst eng zu definieren. Es kam immer wieder zu Auseinandersetzungen mit dem Rat, der den Handlungsspielraum des Parlaments nicht ausweiten wollte. Der Konflikt hat an Bedeutung verloren, nachdem sich 1988 Kommission, Rat und Parlament in einer interinstitutionellen Vereinbarung darauf geeinigt hatten, großen Ausgabenblöcken mittelfristig Mittel zuzuweisen und den Anteil der obligatorischen Ausgaben zurückzuführen. -Zu den obligatorischen Ausgaben zählen insbesondere die Ausgaben der Abteilung Garantie des Europäischen Ausgleichs-und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL), d. h. die Ausgaben für Agrarmarktinterventionen, die Erstattungen und Beihilfen an Mitgliedstaaten sowie Zahlungen aufgrund internationaler Verpflichtungen. -Zu den nichtobligatorischen Ausgaben gehören insbesondere die Ausgaben für Strukturpolitiken, für Energie-, Industrie-, Forschungs-und Technologiepolitik, für Verbraucherschutz und Binnenmarkt, für Sozialmaßnahmen und für die Entwicklungspolitik.
Das Parlament hat ein Interesse daran, das Mittel-volumen für die mitgestaltbaren nichtobligatorischen Ausgaben möglichst großzügig zu bemessen. Das absolute Wachstum der nichtobligatorischen Ausgaben soll allerdings nach Art. 203 Abs. 9 EWG-Vertrag durch die Vorgabe eines von der Kommission festzusetzenden Höchstsatzes begrenzt werden der sich als Mittelwert aus dem nominalen Wirtschaftswachstum der Gemeinschaft und der durchschnittlichen Veränderung der Haushaltspläne der Mitgliedstaaten ergibt.
Voraussetzung für alle Ausgabenerhöhungen ist, daß das Ausgabenvolumen insgesamt durch die maximalen Eigenmittel der Gemeinschaft gedeckt wird. Je stärker das Eigenmittelpotential bereits durch die obligatorischen Ausgaben ausgeschöpft ist, um so weniger Spielraum bleibt dem Parlament für eine Ausweitung der nichtobligatorischen Ausgaben. Mit diesem Problem war das Parlament in den achtziger Jahren konfrontiert, weil der Anteil der obligatorischen Ausgaben für Agrarmarktinterventionen ständig zugenommen und damit die für andere (auch neue) Politiken freie Finanzmasse immer weiter abgenommen hatte. Erst die Agrarleitlinie von 1988 leitete eine nachhaltige Wende ein.
Ein in den Dimensionen weniger gravierendes, prinzipiell aber ähnlich gelagertes Problem stellen aus der Sicht des Parlaments die Verstöße gegen den „klassischen“ Haushaltsgrundsatz der Einheit des Haushaltsplans dar, wonach alle Einnahmen und Ausgaben im Haushaltsplan einzusetzen sind Was nicht im Gemeinschaftshaushalt erfaßt ist, ist der Mitwirkung des Parlaments entzogen. Problematisch sind in diesem Sinne -die Verselbständigung des Europäischen Entwicklungsfonds und -die unvollständige Berücksichtigung von Kredit-operationen. Mit dem Europäischen Entwicklungsfonds (EEF) unterstützt die EG seit 1959 im Rahmen mehrjähriger Abkommen eine Gruppe von (inzwischen) 69 afrikanischen, karibischen und pazifischen Entwicklungsländern (AKP-Staaten, ehemalige Kolonien von EG-Ländem). Das siebte EEF-Abkommen gilt für den Zeitraum 1990 bis 2000, das dazugehörige Finanzprotokoll allerdings nur für die ersten fünf Jahre. Den AKP-Ländern sollen in dieser Zeit insgesamt zwölf Mrd. ECU zufließen was eine durchaus beachtliche Größenordnung darstellt Parlament und Kommission hatten sich immer wieder für eine Einbeziehung des EEF in den Gesamthaushalt ausgesprochen aber der Rat hat dies stets abgelehnt. Bei einer Einbeziehung hätte nämlich der spezielle Schlüssel für die Aufbringung der Mittel des EEF durch die Mitgliedstaaten (der sich vom Finanzierungsschlüssel des Gemeinschaftshaushalts unterscheidet) aufgegeben, zumindest aber der Mitsprache des Parlaments unterworfen werden müssen
Bei den Kreditoperationen handelt es sich insbesondere um Kredite, die EG-Institutionen aus Struktur-und regionalpolitischen Gründen an private Unternehmen „weitergereicht“ haben Als Schuldner mit bester Bonität können EG-Institutionen Kredite zu günstigeren Konditionen auf dem Kapitalmarkt aufnehmen als die Unternehmen, die die Kredite letztlich nutzen („intermediäre Kredite“, Kreditvermittlung). Den Haushalt belasten solche Transaktionen nur dann, wenn ein Unternehmen -oder einer der ehemals sozialistischen mittel-bzw. osteuropäischen Staaten, für die auch Kreditvermittlung betrieben und Kreditbürgschaften übernommen wurden -seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommt. Weniger wegen der möglichen Haushaltsbelastungen als vielmehr wegen der Struktur-, regional-und außenpolitischen Wirkungen solcher Kreditoperationen will das Parlament stärker beteiligt werden.
II. Finanzierung (Einnahmen) der EG
Abbildung 3
Europas Finanzen
Europas Finanzen
Die EGKS verfügte von Anfang an über Eigenmittel, die aus einer Art Steuer auf den Wert der Kohle-und Stahlproduktion stammen Von einer solchen Gemeinschaftsteuer ist die EG noch weit entfernt, aber im Hinblick auf eine für 1995 geplante Reform des Eigenmittelsystems muß darüber in Zukunft intensiver nachgedacht werden. Die Finanzierung der EWG und der EAG sowie des Gemeinschaftshaushalts der EG beruhte zunächst (1958-1970) auf Finanzbeiträgen der Mitgliedstaaten. Die in Art. 200 EWG-Vertrag und 172 EAG-Vertrag genannten Aufbringungsschlüssel waren im wesentlichen politisch bestimmt und reflektierten nur grob die an der Bevölkerungszahl oder Wirtschaftskraft gemessene Größe der Länder
Ein späterer Ersatz der Finanzbeiträge durch eigene Mittel, insbesondere durch Einnahmen aus dem Gemeinsamen Zolltarif, war bereits in Art. 201 EWG-Vertrag vorgesehen; ein entsprechender Ratsbeschluß wurde 1970 gefaßt. Danach stehen der EG (schrittweise ab 1971, voll seit 1979) als Eigenmittel zu -die Einnahmen aus Agrarabschöpfungen -die Zolleinnahmen und -ein Mehrwertsteueranteil von (maximal) 1 %
Die Eigenmittelfinanzierung des Gemeinschaftshaushalts impliziert eine Abkehr vom politischen Aufbringungsschlüssel und eine Hinwendung zu primär ökonomischen Indikatoren für die Lasten-verteilung. Sie bedeutet in der gewählten Form aber auch eine Begrenzung des Haushaltsvolumens von der Einnahmenseite her, die es im System der Finanzbeiträge so nicht gab. Über dasursprüngliche Umlageverfahren konnten die Mittel für beliebige Haushaltsvolumina, die der Rat billigt, aufgebracht werden.
Die Gemeinschaft stieß bereits Anfang der achtziger Jahre an die Grenzen des Systems: Mit der 1968 beschlossenen Gemeinsamen Agrarpolitik waren obligatorische Ausgaben geschaffen worden, für die es (zunächst) keine Obergrenze gab und die unerwartet rasch und stark anstiegen, denn das System der garantierten Mindestpreise und Abnahmegarantien hatte zu einer schnellen Ausweitung der Agrarproduktion geführt. Die EG wandelte sich in den siebziger Jahren vom Agrarimporteur zum Überschußproduzenten. Für den Haushalt ergab sich daraus das Problem, daß mit sinkenden Agrareinfuhren die Einnahmen aus Abschöpfungen zurückgingen, während die Kosten für preis-stützende Interventionen und für die Verwertung der Agrarüberschüsse (insbesondere Lagerung und subventionierter Export) stark anstiegen. In den achtziger Jahren wurde deutlich, daß ohne eine Reform die Agrarausgaben das System sprengen würden, weil sie mehr Mittel zu beanspruchen drohten, als der EG nach den geltenden Finanzierungsregeln zur Verfügung stehen. Die Gemeinschaft schöpfte seit 1983 den maximalen Mehrwertsteueranteil von 1 % aus; um den vorgeschriebenen Haushaltsausgleich aus eigenen Mitteln zumindest formal herbeizuführen, mußten 1984 und 1985 „Befehlsfinanzierungen“ (z. B. Vorauszahlungen der Mitgliedstaaten auf die Abführungen des Folgejahres) konstruiert werden. Die 1984 beschlossenen punktuellen Maßnahmen zur Reform der Agrarpolitik zeigten keine Wirkung, und auch eine Erhöhung des maximalen Mehrwertsteueranteils 1986 von 1 % auf 1, 4 % brachte keine Entlastung: Trotz dieser Erhöhung des Finanzierungspotentials entstanden 1986 schon wieder Haushaltsdefizite und mußte 1987 erneut auf Behelfsfinanzierungen zurückgegriffen werden.
Vor dem Hintergrund der permanenten Haushalts-krisen kam es 1988 zu durchgreifenderen Reformen sowohl in der Agrarpolitik als auch im Haushaltsbereich. Für die Agrarausgaben wurde eine sogenannte Agrarleitlinie beschlossen, die eine Begrenzung des weiteren Wachstums der Agrarausgaben auf 74 % der jährlichen Wachstumsrate des Bruttosozialprodukts (BSP) der Gemeinschaft vorsieht Wenn der EG-Haushalt sich zumindest proportional zum BSP entwickelt, wird der Anteil der Agrarausgaben am Gesamthaushalt zurückgehen.
Die Reform des Eigenmittelsystems 1988 verfolgte mehrere Ziele; es ging um -eine Ausweitung des Einnahmevolumens durch Vorgabe eines auf das BSP bezogenen Höchstsatzes der Eigenmittel und Einführung einer vierten Einnahmequelle („BSP-Mittel“); -eine stärkere Orientierung der Finanzierungslasten an der ökonomischen Leistungsfähigkeit („Beitragskapazität“) der Mitgliedstaaten; -eine Verbesserung der Haushaltsdisziplin im Rahmen einer mittelfristigen Finanzplanung („finanzielle Vorausschau“).
Für die gesamten Eigenmittel der EG wurde eine Obergrenze der Zahlungsermächtigungen von 1, 2 % des gesamten BSP der Gemeinschaft festgelegt, die schrittweise bis 1992 erreicht werden sollte
Da sich die Agrarabschöpfungen und Zölle sowie der Mehrwertsteueranteil nicht automatisch parallel zum BSP entwickeln (sondern möglicherweise nur unterproportional wachsen) werden, wird zur Verbreiterung der Eigenmittelbasis und zur besseren Steuerbarkeit bzw. Stabilisierung der Gesamteinnahmen eine vierte Einnahmeart eingeführt, auf die zur „Auffüllung“ der Mittel bis zur Obergrenze zurückgegriffen werden kann. Die auf dem BSP beruhenden Mittel sind ihrem Charakter nach eher Finanzbeiträge als Eigenmittel. Ihre Höhe wird jährlich neu bestimmt und im Prinzip ermit-telt als Differenz zwischen dem sich aus dem Haushaltsplan ergebenden (nach oben begrenzten) Finanzbedarf der Gemeinschaft und dem Mittel-aufkommen aus den ersten drei Eigenmittelarten (Abschöpfungen, Zölle und Mehrwertsteueranteil), die in Relation gesetzt wird zum gesamten BSP der Gemeinschaft. Mit dem so ermittelten einheitlichen Abrufsatz (z. B. 0, 0675% für 1989) wird das nationale BSP der einzelnen Mitgliedstaaten multipliziert, um die jeweiligen Zahlungen an den EG-Haushalt zu errechnen.
Wenn man in der absoluten Höhe des BSP einen Indikator für die Beitragszahlungsfähigkeit („Beitragskapazität“) eines Landes sieht werden seine tatsächlichen Beiträge durch die neue Einnahmequelle daran angekoppelt. In diese Richtung wirkt auch eine 1988 beschlossene Änderung bei den abzuführenden Mehrwertsteueranteilen: Die Mehrwertsteuer-Bemessungsgrundlage wird bei der Berechnung der Abführung so begrenzt, daß sie 55 % des BSP eines Landes nicht mehr überschreitet
Die Kappung der Mehrwertsteuer-Bemessungsgrundlage bei 55 % des BSP entlastet Länder mit einer relativ hohen Konsumquote (insbesondere Griechenland, Großbritannien, Irland, Luxemburg, Portugal), und der Einnahmeausfall dort muß durch höhere BSP-Mittel, die andere Länder stärker belasten, aufgefangen werden. Damit wird auch jene Kritik etwas entschärft, die darauf gerichtet war, daß ein Land wie Deutschland mit einer am BSP gemessen starken Wirtschaft wegen seiner hohen Exporte (die nicht der Mehrwertsteuer unterliegen) nur eine relativ geringe Mehrwertsteuer-Bemessungsgrundlage aufweist und -in Relation zur Wirtschaftskraft -niedrige Beiträge zur EG-Finanzierung leistet, während in Ländern mit niedrigerem BSP importierte Konsumgüter aus Deutschland die Mehrwertsteuer-Bemessungsgrundlage und damit die Zahlungen an die EG erhöhen
Die dritte wichtige Neuerung des Finanzreformpakets von 1988 war eine Art „mittelfristige Finanzplanung“ in Gestalt einer finanziellen Vor-ausschau über die Jahre 1988 bis 1992. Diese enthält die Angaben zum Umfang und zur (Grob-) Struktur der voraussichtlichen Ausgaben für alte und neue Politikbereiche der Gemeinschaft. Sie bildet auch die Grundlage für die interinstitutionelle Haushaltsdisziplin, indem die ausgewiesenen jährlichen Ausgabenhöchstbeträge von Kommission, Rat und Parlament als verbindlich anerkannt werden Aus diesen Festlegungen bei den Ausgaben ergibt sich das durch die Eigenmittel zu finanzierende Haushaltsvolumen. Die finanzielle Vorausschau ist allerdings kein starrer und unabänderlicher Plan; vielmehr können Rat und Parlament auf Vorschlag der Kommission die Struktur (und geringfügig auch im Rahmen einer Marge von 0, 03 % des BSP für unvorhergesehene Ausgaben das Volumen) der Ausgaben verändern.
Insgesamt ist es durch das Reformpaket von 1988 gelungen, weitere Haushaltskrisen zu vermeiden. Das Wachstum der Agrarausgaben wurde auf hohem Niveau gestoppt und ihr Anteil am Haushalt zurückgeführt. Damit wurde Freiraum für neue Politikbereiche geschaffen, was auch die Konflikte zwischen Rat und Parlament gemildert hat. Dennoch wurde schon sehr bald nach den Reformen wieder über eine Aufstockung des Gemeinschaftshaushalts diskutiert. Den Hintergrund bildeten einerseits neue und expandierende Politikbereiche in Westeuropa und die Fortentwicklung der EG zu einer Wirtschafts-und Währungsunion, andererseits das notwendig gewordene finanzielle Engagement in Mittel-und Osteuropa.
III. Quantitative und strukturelle Perspektiven des Haushalts
Abbildung 4
Tabelle 1: Finanzielle Vorausschau der EG 1993-1999 (Ausgabenbereiche) Quelle: Europäischer Rat in Edinburgh, Schlußfolgerungen des Vorsitzes -Teil C, Anlage 1, abgedruckt in: Presse-und Informationsamt der Bundesregierung, Bulletin, Nr. 140 vom 28. 12. 1992, S. 1295; Anteile z. T. eigene Berechnung.
Tabelle 1: Finanzielle Vorausschau der EG 1993-1999 (Ausgabenbereiche) Quelle: Europäischer Rat in Edinburgh, Schlußfolgerungen des Vorsitzes -Teil C, Anlage 1, abgedruckt in: Presse-und Informationsamt der Bundesregierung, Bulletin, Nr. 140 vom 28. 12. 1992, S. 1295; Anteile z. T. eigene Berechnung.
Für die Ende 1992 ausgelaufene interinstitutionelle Vereinbarung und die finanzielle Vorausschau 1988-1992 mußten Anschlußregelungen gefunden werden, die die neuen Aufgaben der Gemeinschaft und die Konsequenzen der Ende 1991 Unterzeichneten Verträge von Maastricht berücksichtigen (auch wenn diese noch nicht in Kraft getreten sind). In Maastricht wurden einige Eckdaten für die künftige Haushaltspolitik der EG vorgegeben: -Zur Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts der Gemeinschaft soll ein Kohäsionsfonds geschaffen werden, mit dessen Mitteln Umwelt-und Infrastrukturmaßnahmen in den weniger entwickelten Mitgliedstaaten finanziert werden sollen. -Im Bereich der transeuropäischen Netze (Verkehr, Kommunikation, Energie) und im Bildungsund Forschungsbereich werden neue Politikfelder eröffnet oder ausgeweitet, die zusätzliche Mittel erfordern werden. -Das System der Eigenmittel in seiner Struktur soll so modifiziert werden, daß es noch stärker als bisher der Beitragskapazität der Mitgliedstaaten Rechnung trägt und die regressiven Wirkungen weiter reduziert werden.
Die Kommission hat diese Vorgaben aufgegriffen und im Februar 1992 ein entsprechendes Maßnahmenbündel vorgelegt, das als Delors-II-Paket bekannt ist. Darin wurden u. a. eine Anhebung der Obergrenze der Eigenmittel von 1, 20 auf 1, 37% (bzw. nach Ablehnung einer Erhöhung der Agrarleitlinie durch den Rat auf 1, 35 %) des BSP der Gemeinschaft bis 1997, strukturelle Änderungen des Eigenmittelsystems sowie eine Aufteilung der Mittel vorgeschlagen, die diese in den kommenden Jahren auf Maßnahmen zur Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts, Maßnahmen zur Verbesserung der Effizienz des europäischen Binnenmarktes und zur Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Gemeinschaft sowie auf Maßnahmen im Außenbereich zur Verbesserung der internationalen Handlungsfähigkeit konzentriert.
Auf der Grundlage dieses Paktes wurden vom Europäischen Rat in Edinburgh im Dezember 1992 Beschlüsse zur künftigen Finanzierung der Gemeinschaft gefaßt die u. a. vorsehen, -die Obergrenze der Eigenmittel (Zahlungsermächtigungen) bis 1999 auf 1, 27 % des BSP der EG ansteigen zu lassen (statt bis 1997 auf 1, 35%, wie es die Kommission vorgeschlagen hatte); -den stärker an der Beitragskapazität ausgerichteten BSP-Mitteln dadurch ein höheres Gewicht zu verschaffen, daß der Mehrwertsteueranteil generell und für die weniger entwickelten Mitgliedstaaten temporär noch stärker reduziert wird Damit werden die BSP-Mittel den Mehrwertsteueranteil als wichtigste Einnahmequelle ablösen.
Eine Reform des Systems der Eigenmittel ist für 1995 geplant. Dazu wird die Kommission Vorarbeiten leisten und dabei auch prüfen, ob eine fünfte Einnahmequelle eingeführt werden soll. Dies könnte eine Gemeinschaftssteuer sein, für die ein operationales Konzept bisher aber noch nicht vorliegt Es ist zu vermuten, daß in die Diskussion um die Reform des Eigenmittelsystems auch Erkenntnisse oder erste Ergebnisse aus den Beitrittsverhandlungen mit Österreich, Schweden, Norwegen und Finnland einfließen werden
Betrachtet man in der finanziellen Vorausschau die Aufgliederung der Mittel auf die großen Ausgabenbereiche und vergleicht das Anfangsjahr (1993) mit dem Endjahr (1999), so erkennt man (s. Tabelle 1), daß -der Anteil der Verwaltungsausgaben in etwa konstant und unter 5 % bleiben soll; -die internen und externen Politikbereiche in etwa gleiches Gewicht haben und moderat von 5, 7 % auf 6, 1 % bzw. 6, 7 % ansteigen sollen; -der Anteil der Mittel für strukturpolitische Maßnahmen deutlich von 30, 8 % auf 35, 7 % gesteigert werden und -der Anteil der Agrarausgaben von 50, 9 % auf 45, 7 % zurückgenommen werden soll.
Im wesentlichen ist also eine Verlagerung von den Agrarausgaben zu den strukturpolitischen Maßnahmen vorgesehen. Bei den Strukturmaßnahmen will die Gemeinschaft den Mitteleinsatz auf die am wenigsten entwickelten Mitgliedstaaten, die am stärksten benachteiligten Gebiete und die ländlichen Gebiete der Gemeinschaft konzentrieren. Die Mittel des neu einzurichtenden Kohäsionsfonds kommen bis auf weiteres Griechenland, Irland, Portugal und Spanien zugute. Das Gesamtvolumen des 7 % gesteigert werden und -der Anteil der Agrarausgaben von 50, 9 % auf 45, 7 % zurückgenommen werden soll.
Im wesentlichen ist also eine Verlagerung von den Agrarausgaben zu den strukturpolitischen Maßnahmen vorgesehen. Bei den Strukturmaßnahmen will die Gemeinschaft den Mitteleinsatz auf die am wenigsten entwickelten Mitgliedstaaten, die am stärksten benachteiligten Gebiete und die ländlichen Gebiete der Gemeinschaft konzentrieren. Die Mittel des neu einzurichtenden Kohäsionsfonds kommen bis auf weiteres Griechenland, Irland, Portugal und Spanien zugute. Das Gesamtvolumen des Fonds beträgt 15 Mrd. ECU (1993-1999), womit Vorhaben in den Bereichen Umwelt und Verkehrsinfrastruktur zu 80 bis 85 % von der EG (mit-) finanziert werden. Strukturpolitik wird auch mit Mitteln des internen Politikbereichs betrieben, denn die Hälfte bis zu zwei Drittel dieser Mittel sollen zur Unterstützung von (zumeist marktorientierter) Forschung und Entwicklung eingesetzt werden.
Ob diese Umschichtung zugunsten der Struktur-und zu Lasten der Agrarpolitik in dem vorgesehenen Umfang gelingen wird, ist durchaus fraglich. Gemeinschaftsintem kommt es darauf an, daß die Agrarreform von 1992 wirklich zu einer nachhaltigen Kostendämpfung führt. Außerdem können Veränderungen der Währungsparitäten innerhalb der EG zu erheblichen Kostensteigerungen führen. Externe Faktoren, die die Kosten der Agrarpolitik beeinflussen, sind insbesondere die Entwicklung der Weltmarktpreise für Agrargüter und die Kursentwicklung der ECU gegenüber dem US-Dollar. Sinkende Weltmarktpreise und eine Dollarabwertung machen höhere Exporterstattungen erforderlich 33.
IV. Der EG-Haushalt in der öffentlichen Kritik
Die Abführungen der von den einzelnen Mitgliedstaaten aufgebrachten Eigenmittel der EG (Ab-Schöpfungen, Zölle, Mehrwertsteueranteil und BSP-Mittel) stimmen nicht mit den direkt identifizierbaren Rückflüssen aus Agrar-, Regional-und Sozialfonds in die jeweiligen Mitgliedstaaten (die gut 80 % der gesamten EG-Ausgaben ausmachen) überein. In der letzten Dekade 34 war Deutschland nicht nur in absoluten Beträgen der größte Netto-Zahler, sondern nach Luxemburg auch das Land mit der niedrigsten Rückflußquote (zwischen 41 % und 57 %) 35. Weitere ständige Netto-Zahler waren Belgien (außer 1991), Frankreich und Großbritannien sowie seit 1986 auch Italien. Die höchsten Rückflußquoten (bis 600 %) verzeichnen die am wenigsten entwickelten Länder der Gemeinschaft (Griechenland, Irland, Portugal und Spanien); daneben sind auch Dänemark und bis 1990 die Niederlande Netto-Empfänger.
In Deutschland wird immer wieder Kritik an der „Zahlmeister-Rolle" laut, die man häufig mit dem Hinweis auf Vorteile, die Deutschland aus dem innergemeinschaftlichen Industriegüterhandel zieht, zu entkräften versucht. Dies ist aber keine sehr überzeugende Widerlegung: -Zunächst ist zu beachten, daß Deutschland im Außenhandel mit der EG stets einen Handelsüberschuß erzielte, also wertmäßig mehr Waren an die anderen Länder lieferte, als es von dort bezogen hat; Deutschland produzierte mehr Güter als es absorbierte. Es ist sehr fraglich, ob man den ständigen Verlust von Gütern als Vorteil bezeichnen soll -Von 1969 bis 1986 lag der Anteil der EG-Länder an den deutschen Warenexporten bei 50% (mit einem Rückgang in den Jahren nach der ersten Ölkrise); erst danach ist er deutlich auf 55 % angestiegen. Das bedeutet, daß die Erweiterung der EG um Dänemark, Großbritannien und Irland 1973 und Griechenland 1981 keine sichtbare Exportsteigerung mit sich brachte. -Seit den fünfziger Jahren ist nicht nur der Anteil der EG-Länder an den deutschen Ausfuhren ge-stiegen, sondern auch ihr Anteil an den Einfuhren. Das bedeutet, daß nicht nur Deutschland von der Ausweitung des innereuropäischen Handels profitiert hat, sondern auch andere Länder der Gemeinschaft, darunter nicht zuletzt Länder, die Netto-Empfänger von Mitteln aus dem EG-Haushalt sind. -Schließlich kann man darauf verweisen, daß eine Ausweitung des Industriegüterhandels durch Abbau von Zöllen auch in einer Zollunion (etwa nach Art der Europäischen Freihandelszone, EFTA) möglich wäre, die keine teure Agrarpolitik betreibt. Wenn man die Vorteilhaftigkeit der EG für Deutschland darstellen will, müßte die reale Situation mit solchen Alternativen verglichen werden was aber leicht in spekulativen Szenarien endet.
Die Versuche, die Vorteilhaftigkeit der EG für Deutschland mit primär ökonomischen Argumenten zu rechtfertigen, sind sehr fragwürdig. Überzeugender wäre es, den zu leistenden Netto-Transfer offen als den Preis darzustellen, den Deutschland für eine stärkere politische Integration Europas zahlen muß, denn die Gemeinschaft war von Anfang an mehr als nur ein ökonomischer Zweckverband. Die Größenordnung des Netto-Transfers lag in den achtziger Jahren unter 10 Mrd. DM und stieg erst 1991 auf ca. 17 Mrd. DM an Diese Beträge entsprechen grob gerechnet dem, was an direkten und indirekten Subventionen der deutschen Steinkohle und der Deutschen Bundesbahn zufließt. Damit erscheint der Netto-Transfer durchaus nicht als übermäßiger Preis für die politische Integration Europas.
Aber auch wenn man den Netto-Transfer im Prinzip und in der gegenwärtigen Größenordnung für akzeptabel hält, muß man diskutieren, ob nicht Mittel effizienter eingesetzt werden können, und ob es nicht insgesamt transparentere und rationalere Methoden für den grundsätzlich akzeptierten Ressourcentransfer zwischen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft gibt als das derzeitige System. So, wie über eine Gemeinschaftssteuer diskutiert werden wird, sollte auch über Modelle eines offenen Finanzausgleichs innerhalb der EG nachgedacht werden.
Das Delors-II-Paket sieht vor, die Obergrenze der Eigenmittel bis 1997 auf 1, 37 bzw. 1, 35 % des BSP wachsen zu lassen. Kritik an dieser vorgeschlagenen Ausweitung des Haushalts versuchte die Kommission u. a. durch folgende Argumente zu entkräften -Der EG-Haushalt sei mit derzeit weniger als 1, 2 % des BSP sehr bescheiden im Vergleich zu nationalen Haushalten, die Größenordnungen bis zu 50 % des jeweiligen BSP erreichten. -Einsparungen im EG-Haushalt würden die nationalen Haushalte nicht entlasten, da diese dann unabweisliche Ausgaben übernehmen müßten, die bislang von der EG getätigt wurden. -Bei einer Ausweitung der Aufgaben sei auch eine Ausweitung der Mittel erforderlich, da die gegenwärtige Haushaltsstruktur kaum Einsparungsund Umschichtungspotentiale biete.
Zur Größenordnung der Haushalte ist zunächst anzumerken, daß z. B.der deutsche Bundeshaushalt keineswegs 50 %, sondern deutlich weniger als 20% des nationalen BSP erreicht. Sodann muß man beachten, daß die Aufgaben von EG und nationalen Regierungen sehr unterschiedlich sind. Haushaltskommissar Schmidhuber weist selbst darauf hin, daß der EG-Haushalt einerseits der Finanzierung der Agrarpolitik und der außenpolitischen Aktivitäten der Gemeinschaft (z. B. Nahrungsmittelhilfe für die GUS) diene und andererseits weitgehend ein Investitionshaushalt sei. Wenn man diesen Hinweis ernst nimmt, dürfte man dem EG-Haushalt nur analoge Teile des Bundeshaushalts gegenüberstellen, also z. B. die Ausgaben für laufende Zuschüsse und die Sachinvestitionen. Diese liegen in Deutschland in der Größenordnung von 10 % des BSP und im Vergleich dazu wären 1, 35 % keineswegs eine fast zu vernachlässigende Größe.
Die EG finanziert in einem beachtlichen Umfang Politiken, die der zweiten obigen These zufolge von den Mitgliedstaaten weitergeführt werden müßten, wenn die EG wegen unzureichender Mittelausstattung dazu nicht mehr in der Lage ist, so daß die Mitgliedstaaten nichts sparen würden. Dieses Argument berücksichtigt nicht, daß die von einer Gemeinschaftspolitik Begünstigten nicht identisch sind mit den Belasteten. Da es bislang kein System eines offenen Finanzausgleichs und keine der Höhe nach explizit anerkannten Ansprüche der Netto-Empfänger an das Sozialprodukt der Netto-Zahler gibt, kann man kaum erwarten, daß die Netto-Zahler nach einer Rückwälzung etwa von Teilen der Agrar-oder Regionalpolitik auf die Mitgliedstaaten bereit sein werden, Finanztransfers in einer Höhe zu leisten, die es den Netto-Empfängem erlauben würde, die bisherige Begünstigung ihrer Bürger unverändert fortzusetzen.
Das geringe Einspar-und Umschichtungspotential wird so abgeleitet, daß man vom gesamten Haushaltsvolumen die durch die Agrarleitlinie bestimmten Agrarausgaben sowie die als prioritär geltenden (und daher auszuweitenden) Ausgaben für Maßnahmen im Außenbereich und die Kohäsionsausgaben (Ausgaben zur Förderung der am wenigsten entwickelten Mitgliedstaaten) abzieht, so daß schließlich für Einsparungen nur noch die vorgeschlagenen Erhöhungen im Bereich der Forschungsausgaben und der transeuropäischen Netze (Verkehr, Kommunikation, Energie) übrigbleiben. Dort zu kürzen wäre auch nicht angebracht, wenn man auf Forschungsförderung und Netzausbau nicht verzichten will, weil dann nämlich die Kosten dafür national von den Mitgliedstaaten aufgebracht werden müßten, also faktisch nur eine Belastungsverschiebung und keine echte Einsparung eintreten würde. Da auf diese Weise eine mittelfristige Weichenstellung mit erheblichen finanziellen Konsequenzen gerechtfertigt werden soll, sind einige grundsätzlichere Anmerkungen dazu erlaubt. Die Argumentation verliert (vielleicht nicht bei Fachministern im Rat, wohl aber bei Außenstehenden) dann an Überzeugungskraft, wenn Zweifel an der Effizienz des Mitteleinsatzes in den in ihrer Dimensionierung fortgeschriebenen oder sogar aufgestockten Ausgabenblöcken bestehen. Für solche Zweifel gibt es systembedingte Gründe, vor allem für die beiden quantitativ wichtigsten Blöcke, nämlich die Agrar-und die Regionalpolitik.
Mit der Agrarreform von 1992 hat die EG zwar den ersten Schritt für eine Abkehr von der einkommensorientierten Preispolitik und eine Hinwendung zu stärker am Marktausgleich orientierten Preisen in Verbindung mit produktionsunabhängigen Transfers getan. Aber diese Reform war nicht konsequent genug, um zu einer spürbaren und dauerhaften Entlastung des EG-Haushalts zu kommen So sind z. B. längst nicht alle Agrarerzeugnisse einbezogen worden; die Flächenstillegungen als Vorbedingung für Einkommens-beihilfen sind nicht endgültig, sondern zeitlich befristet und faktisch nur für Großbetriebe bindend; die Transfers sind nicht personengebunden (so daß sie mit dem Ausscheiden der gegenwärtigen Generation von Landwirten gänzlich abgebaut wären), sondern flächengebunden und damit auch auf neue Landwirte übertragbar. Es ist daher nicht überraschend, wenn Ratsmitglieder trotz der Agrarreform in den nächsten Jahren nicht mit einer Senkung, sondern allenfalls mit einem begrenzten Wachstum der Agrarausgaben rechnen. Aus der Sicht der europäischen Verbraucher und Steuerzahler darf das eigentlich nicht das letzte Wort sein, und eine konsequente Fortsetzung der Agrarreform mit markträumenden (freien) Preisen und personengebundenen Transfers bietet mittelfristig ein beachtliches Einsparungspotential.
Der EG-Haushalt ist von 1986 bis 1992 mit einer durchschnittlichen jährlichen Rate von 11, 5 % gewachsen also weit stärker als die nationalen Haushalte der Mitgliedstaaten. Angesichts der Forderungen der Kommission nach einer weiteren Aufstockung des Finanzierungsspielraums wegen neuer Aufgaben wäre eine kritische Überprüfung der Effizienz der bisherigen Mittelverwendung angebracht gewesen. Der Europäische Rat hat die Wünsche der Kommission im Umfang reduziert und zeitlich gestreckt. Er tat dies aber nicht, weil er nach einer kritischen Evaluierung Einsparpotentiale entdeckt hat, sondern vielmehr wegen der akuten Finanzprobleme in den Mitgliedstaaten, insbesondere in der Bundesrepublik als größtem Netto-Zahler.
Volker Nienhaus, Dr. rer. oec., geb. 1951; Professor für Wirtschaftspolitik an der Ruhr-Universität Bochum; Mitdirektor des Instituts für Entwicklungsforschung und Entwicklungspolitik und Mitglied des Vorstands des in Gründung befindlichen Instituts für Europäische Wirtschaft der Ruhr-Universität. Veröffentlichungen u. a.: Politische Ökonomie der Deregulierung, in: Peter Oberender/Manfred E. Streit (Hrsg.), Soziale und ökologische Ordnungspolitik in der Marktwirtschaft, Baden-Baden 1990; Sozialraum Europa -Hoffnungen, Befürchtungen und Realitäten, Materialien und Beiträge zur europäischen Wirtschaftspolitik, Nr. 4, Trier 1990; Gesundheitswesen im Europäischen Binnenmarkt -Konsequenzen für Fachhandel und Fachhandwerk, in: Orthopädie-Technik, 43 (1992); Die Sozialunion: Eine notwendige Ergänzung der Wirtschafts-und Währungsunion?, in: Rolf Caesar/Hans E. Scharrer, Europäische Wirtschafts-und Währungsunion? -Perspektiven der Wirtschafts-und Währungsunion, Bonn 1993 (i. V.).
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