Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Das Verhältnis zwischen Kirche und Staat im nationalsozialistischen Deutschland | Themen | bpb.de

Das Verhältnis zwischen Kirche und Staat im nationalsozialistischen Deutschland

Manfred Gailus

/ 10 Minuten zu lesen

Manfred Gailus gibt einen Überblick über die verschiedenen Phasen des Kirche-Staat-Verhältnisses während der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland.

Unterzeichnung des Reichskonkordats in Rom, zwischen dem Deutschen Reich und dem Heiligen Stuhl, am 20. Juli 1933. (© picture alliance / akg-images | akg-images)

Das Verhältnis zwischen Kirche und Staat im Nationalsozialismus ist von der historischen und kirchenhistorischen Forschung lange Zeit mit der Epochenbezeichnung „Kirchenkampf“ beschrieben worden. Damit wurde unterstellt, die beiden großen christlichen Konfessionen im Deutschen Reich, Katholiken und Protestanten, hätten in einem dauerhaften Abwehrkampf gegen die totalitären Geltungsansprüche des NS-Staats und seiner kirchenfeindlichen Weltanschauung gestanden. Eine solche Epochenbeschreibung für das Kirche-Staat-Verhältnis im „Dritten Reich“ trifft indes nur teilweise zu und bedarf dringend mehrfacher Einschränkung und Differenzierung.

Für beide Konfessionen gab es eine Reihe von Politikfeldern, auf denen sie mit dem NS-Staat weitgehend übereinstimmten: etwa im außenpolitischen Revisionismus; in der antiliberalen und antikommunistischen Grundhaltung und ihrer generellen Präferenz für einen autoritären Staat; und schließlich auch ein Stück weit in der antijüdischen Politik. Gegen den Kirchenkampfbegriff als Epochensignatur sprechen auch auffallende Unterschiede zwischen der Performance der beiden großen Konfessionen. Zudem sind unterschiedliche Fraktionen innerhalb des zeitgenössischen Protestantismus (die teils scharf gegeneinander agierten) unterschiedlich zu bewerten. Schließlich sind verschiedene Phasen des Kirche-Staat-Verhältnisses während der gut 12-jährigen Dauer nationalsozialistischer Herrschaft zu unterscheiden.

Das Jahr 1933

Zunächst begrüßten beide großen Konfessionen grundsätzlich den „nationalen Aufbruch“ von 1933 und verbanden mit der Abkehr von der Weimarer Demokratie die Hoffnung auf Rechristianisierung einer zuvor säkularisierten Gesellschaft, in der angeblich kirchenfremde und kirchenfeindliche Parteien, soziale Bewegungen und kulturelle Strömungen die große Politik und den öffentlichen Diskurs zuungunsten der christlichen Kirchen beherrscht hätten. Die Überwindung der von kirchlicher Seite häufig polemisch als „Gottlosenrepublik“ stigmatisierten Epoche der Weimarer Republik wurde als segensreiche Wende in Staat und Gesellschaft wahrgenommen. Besonders aus dem protestantischen Milieu gab es viel Zuspruch zur NSDAP und deren Führer Adolf Hitler. Offiziell blieben im Umbruchjahr 1933 die verfassungsrechtlichen Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung in Kraft: Trennung von Staat und Kirche; Freiheit der religiösen Bekenntnisse; Anerkennung des Status der großen Konfessionen als öffentlich-rechtliche Körperschaften; Garantie des kirchlichen Eigentums; Fortbestand des Rechts auf Erhebung von Kirchensteuern und deren Einzug mit staatlicher Unterstützung entsprechend der bürgerlichen Steuerlisten. Diese Bestimmungen wurden durch Hitlers moderate erste Regierungserklärungen vom Frühjahr 1933 im großen Ganzen zunächst bestätigt. Besonders die deutschen Protestanten mit ihren 28 separaten evangelischen Landeskirchen wurden im Umbruchjahr 1933 von nationaler Euphorie erfasst. Exemplarisch für ihre Stimmungslage waren die symbolpolitischen Zeremonien anlässlich des reichsweit gefeierten „Tages von Potsdam“ (21. März 1933). Unter maßgeblicher kirchlicher Beteiligung wurde durch einen Staatsakt in der traditionsreichen preußischen Garnisonkirche in Potsdam die „Vermählung“ zwischen den alten preußisch-deutschen Traditionseliten und der soeben zur Macht gelangten Hitlerpartei durch feierliche Erklärungen und Handschlag zwischen Reichspräsident Hindenburg und Reichskanzler Hitler besiegelt.

Diverse neuartige innerkirchliche Reformbewegungen unter Selbstbezeichnungen wie „Glaubensbewegung Deutsche Christen“ (DC) forderten nun eine umfassende kirchliche Reorganisation in enger weltanschaulicher Anlehnung an den NS-Staat: Aufhebung der überlieferten Kirchenzersplitterung durch Zentralisierung aller Landeskirchen in einer von Berlin aus regierenden vereinigten Reichskirche unter straffer Führung eines Reichsbischofs; die Umprägung der kirchlichen Verkündigung im Sinne einer völkischen Theologie; Aufbau einer rassisch homogenen „Volkskirche“ unter Ausschluss der Christen jüdischer Herkunft, die als „Nichtarier“ keinen Platz in der neuen Kirche haben sollten. Die Proklamation einer „Deutschen Evangelischen Kirche“ (DEK) sowie die Durchführung kurzfristig anberaumter Kirchenwahlen im Juli 1933 und die Installierung eines deutschchristlichen Reichsbischofs auf der ersten deutschen Nationalsynode in Wittenberg am 27. September 1933 waren Schritte in Richtung einer avisierten Reichskirche unter deutschchristlicher Führung und in enger Anlehnung an den NS-Staat.

Verglichen mit den durch die innerkirchliche Massenbewegung der Deutschen Christen forcierten, tief einschneidenden Reformmaßnahmen im protestantischen Bereich war in der katholischen Kirche die Begeisterung für den politischen Umbruch 1933 spürbar geringer ausgeprägt. Entsprechend fielen die katholischen Anpassungsleistungen gegenüber dem neuen Staat deutlich moderater aus. Ende März 1933 nahmen die Bischöfe die zuvor weithin geltenden Unvereinbarkeitserklärungen zwischen katholischem Bekenntnis und Nationalsozialismus zurück. Am 20. Juli 1933 gelangten die Verhandlungen zwischen dem Vatikan und der Reichsregierung über einen Staatsvertrag zum Abschluss.

Durch dieses Reichskonkordat sollten die künftigen Beziehungen zwischen der katholischen Kirche im Deutschen Reich und dem NS-Staat, ihre wechselseitigen Ansprüche, Rechte und Verpflichtungen neu geregelt werden. Der Vertrag gewährleistete die Freiheit des Bekenntnisses und die „öffentliche Ausübung der katholischen Religion“, den Erhalt der katholisch-theologischen Fakultäten an den Universitäten sowie den Bestand der katholischen Bekenntnisschulen, Vereine und Verbände. Artikel 32 untersagte katholischen Geistlichen künftig die parteipolitische Betätigung. Im Vergleich der Performance beider Konfessionen im Jahr 1933 ist ein gravierender Unterschied hervorzuheben: eine christlich-völkische Massenbewegung innerhalb der Kirche, deren Forderungen und Aktionen die Strukturen der alten Kirche extrem stark erschütterten, gab es im Raum der deutschen katholischen Kirche nicht.

Protestanten: Bruderkampf im eigenen Haus

Das deutschchristliche Projekt einer zentralisierten evangelischen Reichskirche unter Führung des NS-Reichsbischofs Ludwig Müller scheiterte im Herbst 1934, nicht zuletzt am Widerstand der lutherischen Landeskirchen in Bayern und Württemberg, die sich einer solchen erzwungenen Gleichschaltung unter ein DC-Kirchenregiment erfolgreich widersetzten. Mit der Gründung des Pfarrernotbunds im September 1933 und der Einberufung von Bekenntnissynoden seit Jahresbeginn 1934 wuchs eine innerkirchliche Opposition gegen das diktatorische DC-Kirchenreformprojekt, die sich mit der 1. Reichsbekenntnissynode in Wuppertal-Barmen Ende Mai 1934 als Bekennende Kirche (BK) konstituierte. Die von dieser Synode verabschiedete Theologische Erklärung kann als Magna Charta der Bekenntnisbewegung gelten. In ihr wurde Jesus Christus als das „eine Wort Gottes“ bekannt und - gegen die völkischen Theologien der DC gerichtet – die falsche Lehre verworfen, es könne neben diesem „einen Worte Gottes“ noch andere Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung geben. Eine Darstellung des evangelischen Kirche-Staat-Verhältnisses während dieser Phase (1934-39) wirft erhebliche Probleme auf, weil es zu dieser Zeit die eine evangelische Kirche nicht gab. Es scheint kaum übertrieben, von einer schweren Identitätskrise des deutschen Protestantismus zu sprechen, denn er spaltete sich durch internen Streit über seine angemessene Neupositionierung im NS-Staat stärker als jemals zuvor. Der zeitgenössische Protestantismus wirkte zerrissen, es fehlte ihm ein Zentrum und eine kraftvolle Führung. Er zerfiel und zerfaserte in einer Vielzahl kirchlicher, konfessioneller und kirchenpolitischer Fraktionierungen. Mindestens drei Ausprägungen, die teils konträr gegeneinander im Streit um Führung lagen, sind zu unterscheiden: die deutschchristlich regierten Kirchen mit DC-Majoritäten in der Pfarrerschaft und im Kirchenvolk; die durch den Kirchenstreit zwischen DC und BK gespaltenen Kirchenregionen mit zumeist regierender DC-Kirchenleitung und einer oppositionellen Bekenntniskirche; und drittens die an das NS-Regime moderat angepassten Kirchen der Mitte. In den DC-Kirchen (exemplarisch die Landeskirchen Thüringens und Mecklenburgs) war ein neuer kirchlicher Kult vorherrschend, eine neue deutschchristliche Liturgie des Gottesdienstes: exzessiver Fahnenkult mit Weihe von DC-Fahnen, Verdeutschung der traditionellen Liturgie, Tilgung hebräischer Termini und jüdischer Symbole. In der Predigt wurde ein der NS-Weltanschauung angepasstes „artgemäßes Christentum“ verkündet. NS-Bewegung und Hitler erschienen in dieser Neudeutung als geoffenbarter göttlicher Wille und Rettung der von Krieg und Krisen leidgeprüften Deutschen. Theologien einer göttlichen Schöpfungsordnung erlaubten die religiöse Würdigung von „Volk“, „Rasse“, „Blut und Boden“ als Gegebenheiten einer ursprünglichen Gottesordnung.

DC-Pfarrer, häufig zugleich gläubige Nationalsozialisten, präsentierten sich gern in Parteiuniform, heroisierten ihre Weltkriegserinnerungen, liebten den soldatischen Habitus des Marschierens und sakralisierten in ihren Diskursen einschlägige Begriffe wie Front, Kampf, Heldentum und Opfer. In dieser DC-Kirche gab es wenig Reibungspunkte mit dem NS-Staat, vielmehr bot sie sich dem Regime unter weitestgehender politischer und weltanschaulicher Anpassung als die neue, zeitgemäße Kirche im „Dritten Reich“ an.

Ein fortdauerndes politisches Ärgernis aus Sicht des NS-Regimes waren die gespaltenen Kirchen, allen voran die große Evangelische Kirche der altpreußischen Union. Hier tobte der „Kirchenkampf“ als permanenter Streit zwischen den zumeist regierenden Deutschen Christen in den Leitungen und der alternativen Kirche von unten, die sich in Bekenntnisgemeinden organisierte, von Bruderräten geleitet wurde und in eigenen Synoden repräsentierte. Die NS-Regierung sah im permanenten religiösen Streit eine ernsthafte Gefährdung der angestrebten „Volksgemeinschaft“. Die Beschlüsse der Bekenntnissynoden von Barmen (Theologische Erklärung) und Dahlem (Anwendung eines kirchlichen Notrechts in DC-beherrschten Kirchen) waren in der Bekenntnisopposition verbindliche Richtschnur kirchlichen Handelns.

Es geschah vor allem hier, in den gespaltenen Kirchenregionen, dass sich als Gegenkirche zu den ‚häretischen’ DC-Kirchenleitungen eine explizite, theologisch bewusste neue Bekenntniskultur als ‚wahre’ oder ‚rechtmäßige Kirche’ etablieren konnte. Die bruderrätlich strukturierte Bekennende Kirche war nicht, wie in der Nachkriegsliteratur oft suggeriert worden ist, eine politische Widerstandsbewegung gegen den Nationalsozialismus, sondern eine kirchlich-theologische Abwehrbewegung gegen die Vorherrschaft der völkischen DC in der Kirche. Entscheidend für den Aufbau der alternativen Kirche waren theologisch anspruchsvolle, mutige Geistliche. Wo solche Pfarrer fehlten, kam es kaum oder nur zu schwachen Bekenntnisgruppen. In den BK-Gottesdiensten dominierte die betont biblische Predigt mit sparsamen, indirekt kritischen Zeitbezügen. Im Horizont der BK-Bewegung stand nicht die Wiederherstellung allgemeiner politischer Freiheiten, Demokratie und Menschenrechte auf der Agenda, vielmehr verlangte man eng milieubezogen eigene religiöse Freiheiten und eine stärkere Berücksichtigung christlicher Werte und Gebote in den politischen Maßnahmen des NS-Regimes.

Wenig Reibungspunkte gab es schließlich zwischen den angepassten Kirchen der Mitte, repräsentiert durch die drei lutherischen Bischofskirchen Hannover, Bayern und Württemberg, und dem NS-Staat, nachdem im Herbst 1934 das Reichskirchenprojekt Ludwig Müllers gescheitert war. Die drei Bischofskirchen steuerten einen kirchenpolitisch mittleren Kurs des Durchlavierens, jenseits der deutschchristlichen Regimenähe und der kirchenpolitischen Opposition der entschiedenen Bekenntniskirche („Dahlemiten“). Diese angepassten Mitte-Kirchen eines herkömmlichen Normalprotestantismus sahen sich selbst zwar als „intakte Kirchen“ und rechneten sich der BK zu, verließen aber allzu häufig den durch „Barmen“ und „Dahlem“ theologisch wie kirchenpolitisch vorgegebenen Kurs. Die Strategie der lutherischen Bischofskirchen war darauf aus, durch weitgehende kirchlich-theologische Anpassung an den NS-Zeitgeist ihren kirchlichen Grundbestand zu bewahren. Aus staatlicher Perspektive der NS-Machthaber bereiteten diese normalprotestantischen Mitte-Kirchen der ungestörten Durchsetzung nationalsozialistischer Politikziele relativ geringe Probleme.

Katholiken: permanente Konflikte mit dem NS-Staat

Im „Kirchenkampf“ auf katholischer Seite stand seit 1934 weniger der innerkirchliche Richtungsstreit als vielmehr Konflikte aufgrund politischer und weltanschaulicher Übergriffe des NS-Staats im Vordergrund. Die nach außen viel mehr geschlossen agierende katholische Kirche war darauf bedacht, ihre durch das Reichskonkordat von 1933 garantierten religiösen Freiheiten und kirchlichen Rechte gegenüber dem NS-Staat zu behaupten. Zahlreiche staatliche wie parteipolitische Angriffe und Übergriffe verletzten indessen seit 1934 in wachsendem Maße die Vereinbarungen des Konkordats. Im Zuge der um 1935/36 forcierten nationalsozialistischen Religionspolitik einer „Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens“ büßte die katholische Kirche in vielen Bereichen ihren traditionellen Einfluss ein: katholische Jugendorganisationen verloren einen Großteil ihrer Mitglieder, andere katholische Vereine und Verbände wurden verboten, ehemals konfessionelle Bekenntnisschulen in Gemeinschaftsschulen umgewandelt und der Religionsunterricht in Schulen eingeschränkt. Die kirchlichen Proteste gegen diesen Trend gipfelten in der päpstlichen Enzyklika „Mit brennender Sorge“, die im März 1937 von den meisten Kanzeln katholischer Kirchen verlesen wurde. Wer Rasse, Volk oder Staat vergöttere, so heißt es darin, der verfälsche die von Gott geschaffene Ordnung der Dinge. Beklagt wurde unter anderem die offene Verletzung der Konkordatsbestimmungen, die Begünstigung des christentumsfeindlichen „Neuheidentums“, der Personenkult um Hitler, die Verbannung des Christentums aus den Schulen. Vor diesem Hintergrund waren die Beziehungen zwischen katholischer Kirche und Reichsregierung während der Jahre 1937/38 andauernd äußerst angespannt, was nicht zuletzt in der propagandistischen Inszenierung und exzessiven Ausweitung von Devisen- und Sittlichkeitsprozessen gegen katholische Geistliche und Ordensangehörige zum Ausdruck kam.

NS-Religionspolitik und „politische Religion“

Die Kirchen- und Religionspolitik der NS-Regierung war alles andere als eindeutig, klar erkennbar und zielstrebig. Vielmehr wechselten NSDAP und NS-Staat wiederholt die religionspolitische Strategie und Taktik, nicht selten agierten die regierenden Nationalsozialisten auch bewusst mehrstimmig und uneindeutig. Intern herrschte in der NSDAP keineswegs Klarheit darüber, wie denn die so genannte „religiöse Frage“ im nationalsozialistischen Sinn richtig zu lösen sei. Mehrere Parteiführer und viele Parteimitglieder hielten Nationalsozialismus und Christentum für miteinander vereinbare Größen, etwa in der Form eines völkischen, germanisierten Christentums, wie es die Deutschen Christen propagierten. Andere Parteifraktionen waren weltanschaulich weit radikaler und hielten einen Bruch mit der christlichen Tradition für unausweichlich. Diese weltanschaulichen Rigoristen um Heinrich Himmler, Reinhard Heydrich, Martin Bormann oder Alfred Rosenberg gewannen in den Führungspositionen von Staat und Partei im Laufe der Regierungszeit zunehmend an Gewicht. Langfristig sollte in dieser Perspektive der „alte Glaube“, der Einfluss von Christentum und Kirchen, zurückgedrängt werden und einem „neuen Glauben“, den Glaubensbekenntnissen der NS-Weltanschauung zu Deutschtum, Volk und Rasse als höchsten Werten Platz machen. Die christliche Tradition mit ihrer Herkunft aus dem Judentum müsse, so die ideologische Überzeugung der weltanschaulichen Rigoristen, am Ende durch einen neuen völkischen Glauben („Deutschglaube“) vollständig überwunden werden. Man hat in diesem Zusammenhang in der jüngeren Forschung auch vom Nationalsozialismus als einer Erscheinungsform von „politischer Religion“ im 20. Jahrhundert gesprochen.

Kriegszeit

Während der Kriegsjahre 1939-45 wandelten sich die Kirche-Staat-Beziehungen ein Stück weit. Im Protestantismus bildeten sich die scharfen inneren Kirchenkampffronten zurück, die Gemäßigten auf beiden Seiten – bei den Deutschen Christen ebenso wie bei der Bekennenden Kirche – traten stärker hervor und verständigten sich zum Teil mit der anwachsenden kirchlichen Mitte. „Religiöser Burgfriede“, wie er kriegsbedingt von Staat und Partei ausgerufen wurde, wäre indessen eine unangemessene Beschreibung des Staat-Kirche-Verhältnisses zu Kriegszeiten. Beide großen Konfessionen hatten weiterhin mit vielerlei Beschränkungen, Einschüchterungen und Gewaltmaßnahmen zu rechnen.

Auf kirchlicher Seite wurde der Krieg zwar nicht in gleichem Maße enthusiastisch begrüßt wie der Erste Weltkrieg von 1914-18, aber man ordnete sich loyal in die NS-Kriegsgesellschaft ein und legitimierte Hitlers Eroberungs- und Vernichtungskrieg in Predigt und Seelsorge. Es gab Zusammenarbeit mit dem Krieg führenden NS-Staat trotz religiös-weltanschaulicher Differenzen. Auf dem Gebiet der Militärseelsorge boten beide Konfessionen, wie zu früheren Kriegzeiten, ihre Dienste an und bemühten sich um seelsorgerlichen Einfluss auf die Truppe. Sie stießen nun jedoch auf zunehmenden staatlichen Widerstand: Unter den Bedingungen religiös-weltanschaulicher Rivalität zwischen dem „alten (christlichen) Glauben“ und dem „neuen NS-Glauben“ erzwangen die Machthaber auch eine wachsende „Entkonfessionalisierung“ in der Wehrmacht und schränkten die traditionellen Möglichkeiten der christlichen Militärseelsorge empfindlich ein. An die Stelle herkömmlicher christlicher Trost- und Erbauungsliteratur traten nun oft die neuartigen Kriegsfibeln eines „neuen Hitlerglaubens“, die in Millionenauflagen unter den Soldaten verbreitet wurden.

Christlicher Widerstand gegen den verbrecherischen Krieg, gegen die Euthanasiemaßnahmen, gegen die Judendeportationen und den Holocaust blieben in beiden Konfessionen die eher seltene Ausnahme von mutigen Einzelpersönlichkeiten wie Dietrich Bonhoeffer, Helmut Hesse oder Elisabeth Schmitz auf protestantischer und Clemens August Graf von Galen, Bernhard Lichtenberg oder Gertrud Luckner auf katholischer Seite.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Manfred Gailus ist ein deutscher Historiker und Hochschullehrer. Seit 2005 ist außerplanmäßiger Professor für Neuere Geschichte an der Technischen Universität Berlin.