Sektion 1 – Arm und Reich – Soziale Ungleichheit
"Wohlstand für alle" ist das zentrale Versprechen der sozialen Marktwirtschaft. Doch wie erreicht man diesen Zustand und wie hat sich die Ungleichheit in der Gesellschaft in den letzten 50 Jahren entwickelt? In Sektion 1 wurden die grundlegenden Entwicklungen und Tendenzen sozialer Ungleichheit betrachtet.Referentinnen und Referenten der Sektion 1:
Prof. Dr. Steffen Mau, Universität Bremen / Bremen International Graduate School of Social Sciences (BIGSSS)
Dr. Oliver Nachtwey, Technische Universität Darmstadt
Dr. Judith Niehues, Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) e.V.
Dr. Brigitte Weiffen, Universität Sao Paolo, Brasilien
Moderation: Michael Hirz, Phoenix
Gemeinsamer Aufstieg und Abstieg
Schon 1986 bezog sich der kürzlich verstorbene Soziologe Ulrich Beck auf den Fahrstuhleffekt mit dem Grundgedanken, "dass die Klassengesellschaft gemeinsam eine Etage ‘höher‘ fahren würde."In der sozialen Moderne bestand ein stabiles Wirtschaftswachstum und eine Dominanz des

Wirklichkeit und Wahrnehmung von sozialer Ungleichheit
Dr. Judith Niehues vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln beschäftigt sich mit der Divergenz zwischen der Wirklichkeit und Wahrnehmung wachsender Ungleichheit in der Gesellschaft. In einer Studie wurde der Zustimmungswert zu Modellen der Einkommensverteilung abgefragt und es wurde deutlich, dass viele der Befragten von einer kleinen Elite, einer schmalen Mitte und einer breiten Unterschicht ausgingen. Die tatsächliche Einkommensverteilung und damit die "Wirklichkeit" deute aber in eine andere Richtung: Danach existiert eine breite Mittelschicht, die Vermögensanteile der Reichen bleiben gleich (in Deutschland), die Unterschicht ist schmal. Nach ihrer eigenen Lebenssituation gefragt gaben viele Studienteilnehmer zudem an, dass sie sich eher der Mittelschicht zuordnen würden. Das würde bedeuten, dass viele Bürgerinnen und Bürger sich und ihre Lage besser einschätzen und die Gesamtsituation der Gesellschaft eher zu pessimistisch sehen.Dr. Judith Niehues im Interview
Wachsende Ungleichheiten in Europa
Prof. Steffen Mau widerspricht der Auffassung seiner Vorrednerin und verweist auf den realen Zuwachs in den oberen Einkommensgruppen. Die Ungleichheit in der Einkommensverteilung sei gleich geblieben, obwohl seit 2005 mehr Menschen in Beschäftigung sind. Die Hoffnung und Annahme, dass sich die Schere zwischen Arm und Reich dadurch schließe oder sie zumindest kleiner werde, habe sich nicht bestätigt. Ein Prozent der reichsten Bürgerinnen und Bürger würden ein Drittel des gesamten Vermögens besitzen. Diese Ungleichheit hat laut Mau direkte und indirekte Auswirkungen auf unterschiedliche Bereiche der Gesellschaft und Wirtschaft, vor allem hätten die Statusunterschiede auch Effekte auf die Einkommensmobilität: Eltern geben ihren Status an ihre Kinder weiter – das entkräfte auch das liberale Modell des Aufstiegs durch individuelle Lernbereitschaft und Leistung. Die Ungleichheit behindere außerdem das ökonomische Wachstum, denn mit höherem Einkommen steige nicht automatisch der Konsum, es steigen eher die Investitionen im Anlagebereich. Maus Statement endet mit einem Appell an eine fairere und chancengleichere Verteilungspolitik.Die internationale Perspektive
Dr. Brigitte Weiffen untersucht die Entwicklungen von demokratischen und die damit einhergehenden Veränderungen gesellschaftlicher Strukturen, zurzeit an der Universität São Paolo/Brasilien.Die Hemmnisse für eine funktionierende Demokratie liegen Weiffens Ansicht nach teilweise in der Ungleichheit einer Gesellschaft: Eine kleine Mittelschicht, eine hohe Arbeitslosenquote, die ungleiche Verteilung materieller Ressourcen (z.B. Einkommen und Wohlstand) und intellektueller Ressourcen (Bildung und Wissen) erschweren die Etablierung einer stabilen Demokratie. Bisherige Forschungsergebnisse weisen laut Weiffen einer Gesellschaft mit einer hohen sozioökonomischen Gleichheit ein höheres Demokratieniveau nach.
von Theresa Kramer