Film ist Gefühl. Film ist Geschäft. Wenn das Gefühl zu Markte getragen wird, wer will es noch haben? Authentisch soll es sein. Dieser Widerspruch regiert die billige RTL-Dokushow genau so wie den aus Steuermitteln finanzierten Dokumentarfilm. Die Unterschiede sind nicht so prinzipiell, wie wir Dokumentarfilmer sie gerne hätten. Auch wir verwursten Privates zu öffentlichen Darreichungen fremden Lebens. Zwar sprechen wir oft fürsorglich von unseren Protagonisten und versuchen, keinen geschäftlichen Zynismus zu zeigen. Aber auch wir kommen an erzählerischen Regeln nicht vorbei. Wir verleugnen unsere heimliche Freundschaft zu den Antagonisten. Ob sie Armut, Hunger, Eltern oder böses System heißen, es gilt: je schlimmer, umso besser für uns. Die Widerstände, die man im wirklichen Leben so schnell wie möglich beseitigen möchte, müssen für den Film noch einmal aufleuchten. Gefühle sind schön. Man kann aber auch zeigen, wie sie gemacht werden. Das schadet ihnen weniger als das übliche Versteckspiel. "Glotzt nicht so romantisch" - so Bertolt Brecht in den 20er Jahren.
"Das Problem ist meine Frau"
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Das Thema von Gewalt gegen Frauen wird in unserer Gesellschaft oft sehr reißerisch in den Boulevardmedien abgehandelt. Der deutsche Regisseur Calle Overweg versucht, mit seiner dokumentarischen Nachinszenierung von Therapiesitzungen den gesellschaftlichen wie psychologischen Hintergründen für männliche Übergriffe auf die Spur zu kommen. In dem folgenden Essay stellt Calle Overweg selbst Überlegungen zu dem filmischen Umgang mit diesem schwierigen Thema an.
Performing Documentary: Interview mit Calle Overweg
Filmen heißt veröffentlichen. Manche Dinge können nicht veröffentlicht werden und sind doch interessant für eine öffentliche Diskussion. Wenn jemand seine Frau schlägt, sollte er nicht öffentlich darüber reden: Solange er schlägt, wäre es eine (vielleicht prahlerische) Rechtfertigung, sobald er damit aufhören möchte, wäre es eine Selbstanklage, die lebenslange soziale Ächtung nach sich zöge. Ich wollte trotzdem die Seelenlage von Tätern darstellen, denn die öffentliche Diskussion war vor allem von der Opferperspektive beherrscht, die es erlaubte, die Täter als das weit entfernte Böse wahrzunehmen, das sie nicht sind. Im Nachstellen von Gesprächen mit Tätern fand ich einen Weg, Täter so zu zeigen, wie sie sein könnten, ohne selbst in ein moralisches Dilemma zu geraten.
Der Film ist weder Plattform für Perverse noch außergerichtliche Anklageschrift gegen schutzbedürftige Privatpersonen. Er ist eine Diskussionsgrundlage.
Text: Calle Overweg
Calle Overweg, geb. 1962, lebt in Berlin. Filme (Auswahl): Beziehungsweisen (2011), Da kann noch viel passieren (2008), Grünschnäbel: Träume leben weiter (2007), Die Villa (2004), Das Problem ist meine Frau (2003), Tumber Narr, heiliger Tor (1999/2000), Grünschnäbel (1996/97), Fünf Moskauer Musikanten (1993/94).