Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Im Westen nichts Neues? | NATO | bpb.de

NATO Editorial Auf dem Weg zum Weltpolizisten? Präsident Obama und die transatlantischen Sicherheitsbeziehungen Im Westen nichts Neues? Partnerschaft, Kalter Krieg oder Kalter Frieden? Die Zukunft der NATO in Mittelosteuropa Russland und die NATO: Grenzen der Gemeinsamkeit Deutschland als europäische Macht und Bündnispartner

Im Westen nichts Neues?

Josef Braml

/ 15 Minuten zu lesen

Mit einer "globalisierten NATO" werden von der Regierung Obama neben den transatlantischen Verbündeten auch Demokratien in Asien in die Pflicht genommen, zu einer liberalen Weltordnung beizutragen.

Einleitung

Voraussagen, nach denen mit dem Untergang der Sowjetunion auch die transatlantische Allianz ihre Mission erfüllt habe, waren verfrüht. Die NATO hat das Ende des Kalten Kriegs überlebt. Gleichwohl muss sich die "großartigste Allianz, die je gebildet wurde, um unsere gemeinsame Sicherheit zu verteidigen" - wie US-Präsidentschaftskandidat Barack Obama die NATO an der Siegessäule in Berlin pries - den neuen geopolitischen Rahmenbedingungen und den strategischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts anpassen.



In seiner Berliner Rede stellte Obama die rhetorische Frage, ob es denn nicht auch gelingen könnte, "eine neue und globale Partnerschaft zu etablieren", um den Terrornetzwerken den Garaus zu machen. Obama verwies dabei auf die transatlantische Beziehung, machte aber auch deutlich, dass sich Amerika und Europa nicht von der Welt abwenden sollten, um der "Last globaler Staatsangehörigkeit" und Verantwortung zu entgehen. "Ein Wechsel der politischen Führung in Washington wird diese Last nicht beseitigen", warnte er. Es sei nunmehr an der Zeit, "neue, global übergreifende Brücken" zu bauen, die genau so stark sein sollten wie die transatlantische Verbindung, um die größer werdenden Belastungen zu tragen.

Mit seinen Ausführungen im Wahlkampf unterschied sich Senator Obama nicht wesentlich von den außenpolitischen Vorstellungen seines Herausforderers John McCain. Der Präsidentschaftsbewerber der Republikaner, Senator McCain, favorisierte zwar freimütiger eine so genannte "League of Democracies". Doch diese in ihren Grundzügen von der Clinton-Administration inspirierte Idee wird schon seit längerem von den Demokraten und insbesondere auch von Obama nahestehenden Experten in Think-Tanks befürwortet. Einer der Befürworter dieser Idee, Ivo Daalder, wird in der Obama-Administration voraussichtlich die Aufgabe des NATO-Botschafters übernehmen. Ebenso verdeutlichen die Übernahme von George W. Bushs Verteidigungsminister Robert Gates und die Berufung von James Jones (dem ehemaligen NATO-Kommandeur und späteren außenpolitischen Wahlkampfberater von John McCain) zum Berater für Nationale Sicherheit, dass in außenpolitischen Grundsatzfragen ein parteiübergreifender Konsens besteht. Die Personalentscheidungen des neuen US-Präsidenten lassen keinen radikalen Kurswechsel, sondern vielmehr Kontinuität erwarten.

Instrumenteller Multilateralismus

Obamas Grundorientierungen stehen in einer längerfristigen Tradition amerikanischer Außenpolitik. Zwar argumentieren an beiden Rändern des politischen Spektrums einerseits libertäre Republikaner und andererseits gewerkschaftsnahe Demokraten - aus unterschiedlichen Gründen - gegen das internationale Engagement der USA. Aber den tonangebenden außenpolitischen Mainstream einigt ein liberal-hegemoniales Weltbild, wonach die USA die Welt nach ihren Wertvorstellungen und Interessen ordnen.

Dabei gibt es hin und wieder unterschiedliche Auffassungen darüber, wie diese Weltordnungsvorstellungen umgesetzt werden sollen. Als der neokonservativ inspirierte unilaterale Alleingang, vor allem der Waffengang im Irak, die Grenzen amerikanischer Militärmacht verdeutlichte, haben spätestens in der zweiten Amtszeit George W. Bushs multilateralere Stimmen den Ton angegeben. Während insbesondere die erste Amtszeit noch unter dem Mantra "unilateral soweit möglich, multilateral wenn nötig" stand, kündigte die Regierung Obama eine umgekehrte Handlungslogik an: "Wir handeln in Partnerschaft, wo wir können, und im Alleingang nur, wenn wir müssen." Die neue Regierung befürchtet nicht, dass internationale Bündnisse und Organisationen die Macht der USA verringern. Im Gegenteil: "Wir glauben", so Vizepräsident Joseph Biden, "sie helfen unsere kollektive Sicherheit, unsere gemeinsamen Wirtschaftsinteressen und Werte zu stärken."

Gleichwohl sollten sich die Europäer nicht täuschen: "Multilateral" wird in den USA anders, seit jeher instrumentell, verstanden. Multilaterale Organisationen wie die Vereinten Nationen und die NATO wurden geschaffen, um amerikanische Interessen und Weltordnungsvorstellungen durchzusetzen und die dabei anfallenden Lasten mit den Nutznießern und Trittbrettfahrern zu teilen.

Diese Grundhaltung außenpolitischer Eliten entspricht auch den Präferenzen der breiten Öffentlichkeit in den USA. Eine in den vergangenen Jahren unverändert große Mehrheit der Amerikaner (59 Prozent) schätzt den wesentlichen Beitrag, den die NATO zur Sicherheit des eigenen Landes leistet. Eine noch größere Zahl von Amerikanern (82 Prozent) ist aber der Meinung, dass im Falle eines Einsatzes alle NATO-Mitgliedstaaten Truppen entsenden sollten. Selbst jene, die keine Truppen bereitstellen, sollten sich an den Kosten beteiligen. Insbesondere Europa muss aus amerikanischer Sicht stärker in die Pflicht genommen werden.

Agenda zur Erneuerung der NATO

Obwohl Vizepräsident Joseph Biden als Vertreter der "neuen Regierung" in seiner Rede bei der Münchener Sicherheitskonferenz im Februar 2009 rhetorisch "ein neues Zeitalter" ankündigte, benannte er einen Aufgabenkatalog zur "Erneuerung der NATO", der inhaltlich im Großen und Ganzen auch so von der Vorgängerregierung hätte formuliert werden können. Demnach bleibe die Hauptaufgabe der NATO die kollektive Verteidigung ihrer Mitglieder. Doch angesichts "neuer Bedrohungen" und "neuer Realitäten" benötigten die Bündnispartner "neue Entschlossenheit", sie zu meistern, und "neue Fähigkeiten", um erfolgreich zu sein. Das Bündnis müsse besser ausgestattet werden, um der Verbreitung der gefährlichsten Waffen der Welt Einhalt zu gebieten, dem Terrorismus entgegenzutreten, Cyber-Sicherheit zu gewährleisten, die Energiesicherheit zu verbessern und innerhalb und außerhalb des Bündnisgebietes effektiver zu handeln. Um den zunehmenden Fähigkeiten Irans entgegenzuwirken, soll auch die Raketenabwehr weiterentwickelt werden. Voraussetzung dafür sei jedoch - und das ist eine bemerkenswerte Veränderung gegenüber der Haltung der Bush-Regierung -, dass sich die Technologie bewähre und kosteneffektiv sei. Ebenso außergewöhnlich war die Ankündigung, dieses in Abstimmung mit den NATO-Bündnispartnern und mit Russland zu überprüfen.

Mit anderen Worten: Aus amerikanischer Perspektive bleibt die transatlantische Allianz gefordert, neue Bedrohungen zu erkennen und ihnen mit politischer Entschlossenheit effektiv und kosteneffizient - bestenfalls in Kooperation mit Gleichgesinnten und -interessierten - zu begegnen.

Neue Bedrohungswahrnehmung. Obschon die jüngsten Auseinandersetzungen zwischen Russland und Georgien sowie der Wettstreit um knapper werdende Energierohstoffe die traditionellen Sicherheitsbedrohungen wieder mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt haben, geht es nach der in den USA vorherrschenden Meinung heute weniger darum, zwischenstaatliche Angriffskriege zu verhindern. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 setzte sich in der amerikanischen Diskussion vielmehr die Einsicht durch, dass asymmetrische Bedrohungen durch nichtstaatliche Akteure, insbesondere die Gefahren, die von prekären Staaten ausgehen, das vitale Sicherheitsinteresse der USA berühren. Bruce Riedel, der vom Nationalen Sicherheitsberater Jones mit der Ausarbeitung einer umfassenden Strategie für Afghanistan und Pakistan beauftragte ehemalige Sicherheitsberater des CIA, verdeutlichte bereits im Oktober 2008 sein größtes Schreckensszenario, nämlich die Möglichkeit, dass islamische Radikale nach Afghanistan zum Zerfall eines weiteren Staates beitragen: "Ein gescheiterter Staat in Pakistan ist der schlimmste Alptraum, den sich Amerika im 21. Jahrhundert vorstellen kann."

Demnach gilt es, neuen grenzüberschreitenden Bedrohungen zu begegnen, die von der porösen inneren Struktur prekärer und zerfallender Staaten ausgehen. Das Souveränitätsrecht eines Staates soll demnach an die "Verantwortung zum Schutz" (responsibility to protect) der eigenen Bevölkerung vor schweren Menschenrechtsverletzungen und an die Bedingung geknüpft werden, dass vom eigenen Territorium keine Bedrohung für andere Länder ausgeht.

Neue Raison d'Être. Die "bedingte Souveränität" bedeutet für die internationale Staatengemeinschaft ein Recht, ja sogar eine Pflicht zu intervenieren, wenn ein Staat seine Sicherheitsverantwortung nicht erfüllt. Im Grundsatz hat die Weltgemeinschaft dieses grundlegende Prinzip (im "Outcome Document" des UN-Gipfels 2005) akzeptiert, das es aber noch zu konkretisieren gilt. Dabei geht es insbesondere um die Frage, ob ausschließlich der UN-Sicherheitsrat zu einem derartigen Eingriff in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten legitimiert sein soll. Amerikanische Sicherheitsexperten weisen darauf hin, dass der Sicherheitsrat seinen Aufgaben wiederholt (in Ruanda, im Kosovo oder in der westsudanesischen Provinz Darfur) nicht gerecht geworden sei. Nach diesen Erfahrungen sollten westliche Demokratien notfalls auch ohne Billigung der UN zusammenarbeiten. Den Präzedenzfall bildete aus amerikanischer Sicht der Kosovo-Krieg, namentlich die "humanitäre Intervention" der NATO im Frühjahr 1999 in Jugoslawien gegen das Regime von Slobodan Milosevic, nachdem eine russische Vetodrohung im UN-Sicherheitsrat ein Mandat für militärische Interventionen verhindert hatte.

Nach Einschätzung des Partei- und verschiedene Denkschulen übergreifenden Princeton Project on National Security könnte im Falle der Unreformierbarkeit der UN mit dem "Konzert der Demokratien" ein "alternatives Forum für die Bewilligung des Einsatzes militärischer Gewalt" gebildet werden. Ebenso fordert Will Marshall vom Democratic Leadership Council in einem Memo an den neuen Präsidenten, dass er die NATO von einem nordamerikanisch-europäischen Pakt in eine "globale Allianz freier Nationen" umwandeln sollte. Demokratien wie Japan, Australien und Indien in die NATO einzubinden, würde nicht nur die Legitimität globaler Einsätze, sondern auch die dafür notwendigen personellen und finanziellen Ressourcen des Bündnisses erhöhen.

Mehr Fähigkeiten und Ressourcen. Die NATO sollte grenzüberschreitenden Bedrohungen dort begegnen, wo sie entstehen. Demnach ist es für die NATO nötig, Sicherheit zu "externalisieren", sie außerhalb des Bündnisgebietes zu gewährleisten. Das umfangreiche Aufgabenspektrum einer derart "globalisierten NATO" reicht dabei von Katastrophenhilfe, Energiesicherheit und Piratenbekämpfung über friedenserhaltende Missionen bis hin zu "robusten" Kampfeinsätzen.

Seit September 2005 beteiligen sich NATO-Mitglieder an der Ausbildung und Ausrüstung irakischer Polizei- und Sicherheitskräfte, im Irak selbst oder, wie die deutschen Einheiten, auf externem Gebiet. Darüber hinaus wurde erwogen, derartige Ausbildungsmissionen der Allianz im Nahen und Mittleren Osten auszudehnen.

Während vor allem US-Militärkreise grundsätzliche Zweifel artikulieren, ob das US-Militär und NATO-Truppen für derartige "hybride Missionen" überhaupt ausgebildet und ausgerüstet sind, hat Obama auch für Afghanistan eine "strategische Überprüfung" angeordnet. Demnach sollen eine "umfassende", Pakistan einbeziehende regionale Strategie erarbeitet und die zivilen und militärischen Ressourcen auf solidarische Weise genutzt werden.

Aus amerikanischer Perspektive haben die Europäer die Solidarität innerhalb der NATO schon seit Längerem strapaziert. Insbesondere die beschränkten militärischen Kapazitäten der meisten europäischen Bündnispartner, bedingt durch ihre niedrigen Verteidigungsbudgets und mangelnde Koordination, würden der Erosion des Bündnisses Vorschub leisten. Über kurz oder lang würde sich demnach eine Arbeitsteilung verfestigen, gemäß derer die USA und weitere Staaten mit entsprechenden militärischen Fähigkeiten und politischem Willen für Kampfeinsätze zuständig sind und die anderen NATO-Bündnispartner, die meisten Europäer, für die länger andauernden Aufgaben der Stabilisierung und des Wiederaufbaus verantwortlich zeichnen.

Trotz der funktionalen Ausdifferenzierung sollten jedoch im Sinne eines burden sharing alle Mitgliedsländer die anfallenden Lasten tragen, indem die gemeinsame Finanzierung (common funding) innerhalb des Bündnisses ausgeweitet oder ein anderes Verfahren entwickelt wird, um die Kosten gerechter zu verteilen. Nicht zuletzt aus diesem Grund sei es nötig, die Abstimmungsprozeduren effizienter zu gestalten, insbesondere das Konsenserfordernis zu lockern, um bei der Entsendung schneller Krisenreaktionskräfte, der NATO Response Force, eine zügigere Entscheidungsfindung zu ermöglichen.

Verbesserte Kooperation... Angesichts der Schwierigkeiten, innerhalb der Allianz die nötigen Ressourcen zu mobilisieren, werden die USA weiterhin darauf drängen, dass die NATO mit kooperationswilligen und -fähigen Partnern innerhalb und außerhalb des Bündnisgebietes zusammenarbeitet.

... mit der EU. Um die beschränkten Fähigkeiten effizienter zu nutzen, befürworten amerikanische Sicherheitsexperten schon seit Längerem, dass die europäischen Bündnispartner ihre Ressourcen koordinieren. Die Etablierung der Europäischen Rüstungsagentur ist als Schritt in die richtige Richtung begrüßt worden, unter anderem, um die einzelstaatlichen Verteidigungshaushalte der EU-Mitglieder zu optimieren. Auch die Erwartungen, europäische Regierungen für den Aufbau ziviler Kapazitäten innerhalb der NATO zu gewinnen, sind gering. Die USA drängen darauf, dass der NATO jene zivilen Kapazitäten zur Verfügung gestellt werden, welche die EU-Staaten ohnehin schon innerhalb der Union, im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), entwickeln.

... mit Russland. Knapper werdende Ressourcen könnten auch die ehemaligen Hauptantagonisten des Kalten Krieges zu mehr Kooperation bewegen. Die Ankündigung von Biden, die von der Vorgängerregierung geplante Raketenabwehr in Abstimmung mit den NATO-Bündnispartnern und Russland zu überprüfen, ist ein erstes Indiz dafür, dass die USA bereit für einen "Neustart" ihrer Beziehungen mit Russland sind.

Dass die USA nicht umhin kommen, mit Moskau zu verhandeln, um die prekäre Sicherheitslage in Afghanistan zu verbessern, wurde umso deutlicher, als der kirgisische Präsident Kurmanbek Bakijew am 3. Februar 2009 in Moskau nach einem Treffen mit seinem russischen Amtskollegen Dmitri Medwedew - wohl ermutigt durch die kurz zuvor bekannt gegebenen Zahlungsversprechen und Kreditangebote des Kremls - den USA bedeutete, ihren Luftwaffenstützpunkt in Manas zu räumen. Der Zeitpunkt der Entscheidung der ehemaligen Sowjetrepublik hätte für die USA nicht unpassender sein können, zumal Obama im Februar 2009 zur Stabilisierung der Lage in Afghanistan eine massive Truppenaufstockung um 17 000 Soldaten anordnete - von denen ein Großteil über Manas hätte transportiert werden sollen. Eine Alternative, etwa der Landweg über Pakistan, wäre, wie nach den Angriffen auf die Nachschubwege der NATO am Khaiberpass im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan deutlich wurde, erheblich gefährlicher und aufwändiger. Die USA könnten auch auf das Angebot Moskaus eingehen, russisches Territorium für den Nachschub zu nutzen.

Ob Russland bereit sein würde, auch Militärausrüstung der USA und der NATO passieren zu lassen, ist sicherlich eine Frage des Preises, den Washington zu zahlen bereit ist. Ein für zentrale Anliegen wie die Stabilisierung Afghanistans und nicht zuletzt auch Verhinderung der militärischen Nuklearoption Irans notwendiges Einvernehmen mit Russland dürfte den doppelten Preis erfordern: zum einen, dass die USA die Stationierung von Komponenten des Raketenabwehrsystems in Polen und Tschechien bis auf Weiteres verschieben, und zum anderen, dass die USA ihre NATO-Erweiterungsagenda im Hinblick auf Georgien und die Ukraine künftig weniger intensiv forcieren werden.

Nach Berichten der "New York Times" hat Obama seinem russischen Amtskollegen bereits ein Kooperationsangebot unterbreitet, unter anderem die Raketenabwehrpläne gemeinsam zu überprüfen und Nachschubwege für den Militäreinsatz in Afghanistan auszuloten. Des Weiteren beschlossen die Außenminister der 26 NATO-Staaten im März 2009 in Brüssel, die formellen Sitzungen des NATO-Russland-Rats wieder aufzunehmen. Das sei nach Einschätzung von US-Außenministerin Hillary Clinton eine "Plattform für Zusammenarbeit" bei Themen, die im Interesse der NATO-Staaten sind, wie etwa der "Zugang zu Afghanistan".

... mit Staaten außerhalb des NATO-Gebiets. Um Staaten außerhalb des NATO-Gebiets, die willens und fähig sind, sich bei einzelnen Missionen substanziell zu beteiligen, institutionell an die Allianz zu binden, befürworten die USA ein so genanntes Security Provider Forum. Indem die NATO über ein "globales Netzwerk" wesensverwandte Länder, insbesondere Japan, Südkorea, Australien, Neuseeland und Indien, institutionell vorerst unterhalb der Mitgliedschaftsschwelle einbindet, soll die transatlantische Allianz mit "strategischen Partnern" im pazifischen Raum verknüpft werden.

Bereits heute unterhält die NATO bilaterale Kooperationsbeziehungen, die es noch stärker zu formalisieren gilt. Seit 2005 bzw. 2006 werden etwa geheime Informationen zwischen der Allianz und Australien und Neuseeland ausgetauscht. Beide Länder haben an der NATO-Mission in Afghanistan teilgenommen. Mit Japan und Indien pflegt die NATO strategische Dialoge. Einige der als besonders nützlich erachteten Länder, etwa Australien, Japan und Südkorea, haben die USA bereits militärisch (im Falle von Australien) oder logistisch im Kampf gegen den Terrorismus unterstützt.

Auch Außenministerin Clinton will jene "Bündnisse stärken, die sich über die Zeit bewährt haben", und denkt dabei an die "NATO-Partner" und insbesondere an die "Verbündeten in Asien". Nach der Ideensammlung der Aspirantin für die Leitung des Planungsstabes im Außenministerium Anne-Marie Slaughter soll die NATO Partnerschaften mit liberalen Demokratien in Asien festigen, um damit eines von vielen, formellen und informellen, multilateralen Foren zu bilden, die zur Schaffung einer neuen vernetzten, liberalen Weltordnung beitragen.

Fazit und Ausblick

In der Substanz wird sich wenig an der bislang vorherrschenden US-Strategie des instrumentellen bzw. selektiven Multilateralismus ändern. Auch der neuen Regierung unter Obama geht es vorrangig darum, mittels multilateraler Organisationen amerikanische Interessen zu fördern bzw. zu legitimieren. Wenn dies nicht gelingt, werden die außenpolitischen Ziele der Weltmacht auf anderen Wegen durchgesetzt, wenn nötig im Alleingang oder mit ausgesuchten Partnern oder Koalitionen der (Zahlungs-)Willigen.

Im Sinne eines kompetitiven Multi-Multilateralismus werden die verschiedenen multilateralen Organisationen und Institutionen angehalten, um die Aufmerksamkeit der USA zu konkurrieren. Damit kann Amerika je nach Bedarf aus einem breiten, nötigenfalls auch neu zu schaffenden Angebot an multilateralen Dienstleistungen für die jeweilige Aufgabe das am besten geeignete Instrument auswählen.

Die Stabilisierung prekärer und zerfallender Staaten wird spätestens seit den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA parteiübergreifend als nationale Sicherheitsherausforderung angesehen. Um den neuen Gefahren zu begegnen, werden insbesondere die Aufgaben des Peacekeeping bzw. Peacebuilding auch im Rahmen der NATO befürwortet.

Wenn sich jedoch die Wahrnehmung der Amerikaner verstärkt, in Krisengebieten wie im Irak oder Afghanistan zunehmend auf sich allein gestellt zu sein, und es zu einer weiteren Verschlechterung der dortigen Sicherheitslage kommt, könnte in den USA - innerhalb der Elite und nicht zuletzt auch in der Bevölkerung - die Bereitschaft zum internationalen Engagement vor allem im Rahmen von Friedenskonsolidierungsmaßnahmen schwinden.

Während bislang federführende Republikaner im Kongress die von Obama im Februar 2009 befohlene Truppenaufstockung noch einmütig unterstützen (91 Prozent), stehen Obamas Parteifreunde bereits weniger geschlossen hinter ihrem Präsidenten: Ein Drittel (34 Prozent) lehnen den außenpolitischen Kurs ihres Oberbefehlshabers ab; neun Prozent der befragten demokratischen Abgeordneten und Senatoren sind unentschlossen. Die Haltung der Volksvertreter repräsentiert die ambivalenten Einstellungen der Bevölkerung: Zwar ist einerseits die Mehrzahl nach wie vor der Meinung, dass der Krieg in Afghanistan nötig sei, um den Krieg gegen den Terror zu gewinnen. Hingegen befürwortet andererseits nur ein Drittel der Amerikaner die Entscheidung ihres Präsidenten, mehr Truppen in Kampfeinsätze zu entsenden; ein Drittel will die gegenwärtige Truppenstärke beibehalten, und ein Drittel befürwortet, die US-Soldaten aus Afghanistan heimzuholen.

Im Zuge zunehmender Probleme nach dem Krieg im Irak war bereits Obamas republikanischer Vorgänger Bush gezwungen, auf die abnehmende Unterstützung an der Heimatfront zu reagieren. Nach seiner Überzeugung bildeten jedoch Rückzug und Passivität für Amerika keine Option. Vielmehr galt es mittels internationaler Zusammenarbeit die gemeinsamen Herausforderungen zu bewältigen. "We choose leadership over isolationism", so George W. Bushs unmissverständliche Botschaft an seine Landsleute.

Präsident Obama, der noch im Wahlkampf gegen Hillary Clinton und später gegen den uneingeschränkten Irak-Krieg-Befürworter John McCain mit der Forderung punktete, amerikanische Soldaten aus dem Irak abzuziehen, steht vor einer doppelten Herausforderung: Er muss zum einen die durch die Truppenaufstockung seines Vorgängers erreichte Stabilität im Irak aufrechterhalten und zum anderen der Verschlechterung der Lage in Afghanistan begegnen. Dass diese Aufgabe nicht einfach werden würde, erkannte Obama bereits in seiner Berliner Rede im Juli 2008. Schon als Präsidentschaftskandidat nahm er die europäischen Verbündeten in die Pflicht. In seiner Verantwortung als Präsident wird Obama die Europäer noch deutlicher auffordern, einen wesentlichen Beitrag für die gemeinsame Sicherheit zu leisten.

Der innenpolitische und fiskalpolitische Druck in den USA im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise wird eine kontroverse transatlantische Lastenteilungsdebatte forcieren. Die europäischen Alliierten werden bald Gelegenheit haben, ihr "effektives" multilaterales Engagement unter Beweis zu stellen, sei es mit einem umfangreicheren Truppenkontingent in Afghanistan mit weniger Auflagen bei Kampfeinsätzen, mit einem stärkeren finanziellen Engagement beim Wiederaufbau im Irak und in Afghanistan oder bei Wirtschaftshilfen für Pakistan. Can we?

Fussnoten

Fußnoten

  1. Übersetzt aus dem Transkript der Rede von Barack Obama in Berlin, in: New York Times vom 24.7. 2008; dort auch das folgende Zitat.

  2. So Senator John McCain in seiner außenpolitischen Grundsatzrede am 1.5. 2007 an der Hoover Institution.

  3. Vgl. Ivo Daalder/James Lindsay, An Alliance of Democracies. Our Way or the Highway, in: Financial Times vom 6.11. 2004.

  4. Die einen, libertär gesinnte Republikaner, sind besorgt um die "innere kapitalistische Ordnung" und das wachsende Haushaltsdefizit und stellen sich gegen ein kostspieliges militärisches Engagement. Die anderen, traditionelle, den Gewerkschaften nahe stehende Demokraten, verteidigen die "sozialen Interessen Amerikas" und befürchten, dass Mittel für internationale bzw. militärische Zwecke verbraucht werden und für innere soziale Belange fehlen.

  5. Übersetzt aus dem Transkript der Rede von US-Vizepräsident Joseph Biden bei der 45. Münchener Sicherheitskonferenz vom 7.2. 2009.

  6. Vgl. German Marshall Fund, Transatlantic Trends 2008, Berlin 2008, S. 15.

  7. Vgl. J. Biden (Anm. 5).

  8. Zit. nach: James Kitfield "Af-Pak" Presents a Daunting Challenge, in: National Journal vom 21.2. 2009.

  9. Dafür plädieren etwa I. Daalder/J. Lindsay (Anm. 3).

  10. Vgl. G. John Ikenberry/Anne-Marie Slaughter, Forging a World of Liberty Under Law, Princeton University (The Princeton Project Papers), September 2006, S. 7, S. 23 - 26, S. 61.

  11. Vgl. Will Marshall, Taking NATO Global. Memo to the New President, Washington, DC (Democratic Leadership Council), 15.1. 2009.

  12. Vgl. J.Biden (Anm. 5).

  13. Bislang haben nach dem Prinzip costs lie where they fall die truppenstellenden Nationen auch die Kosten zu tragen.

  14. Vgl. Daniel Hamilton u.a., Alliance Reborn. An Atlantic Compact for the 21st Century, The Washington NATO Project, Washington, DC, Februar 2009, S. 15, S. 45-48.

  15. Vgl. David S. Yost, An Interview with General James L. Jones. Research Paper, Nato Defense College, Rom, Januar 2008.

  16. Vgl. Markus Kaim, Pragmatismus und Grand Strategy. Die NATO-Debatte in den Vereinigten Staaten (SWP-Studie S 31/2006), Berlin 2006, S. 16.

  17. So James Dobbins, NATO Peacekeepers Need a Partner, in: International Herald Tribune vom 30.9. 2005.

  18. Vgl. Kyrgyzstan Says U.S. Air Base Decision is Final, in: Reuters vom 6.2. 2009.

  19. So auch Richard N. Haass/Martin Indyk, Beyond Iraq. A New U.S. Strategy for the Middle East, in: Foreign Affairs, (2009) Jan./Feb.

  20. Vgl. Peter Baker, Obama Offered Deal to Russia in Secret Letter, in: New York Times vom 3.3. 2009.

  21. Erklärung von Außenministerin Hillary Clinton beim Treffen der NATO-Außenminister am 5.3. 2009.

  22. Erklärung der designierten Außenministerin Hillary Clinton vor dem Auswärtigen Ausschuss des Senats vom 13.1. 2009.

  23. Vgl. G. J. Ikenberry/A.-M. Slaughter (Anm. 10), S. 27f.

  24. Vgl. Richard E. Cohen/Peter Bell, Congressional Insiders Poll, in: National Journal vom 14.2. 2009.

  25. Umfrage (13.-16.1. 2009) der Washington Post und ABC News; siehe: www.washingtonpost.com/wp-srv/politics/documents/postpoll_011709.html (19.2. 2009).

  26. Im Vorwort der National Security Strategy of the United States of America, Washington, DC, März 2006.

Dr. phil., geb. 1968; Leiter der Redaktion "Jahrbuch Internationale Politik", Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), Rauchstraße 17-18, 10787 Berlin.
E-Mail: E-Mail Link: braml@dgap.org