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Vom Sinn des sudetendeutschen Rechtskampfes | APuZ 22/1957 | bpb.de

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APuZ 22/1957 Vom Sinn des sudetendeutschen Rechtskampfes Politik und Zeitgeschichte

Vom Sinn des sudetendeutschen Rechtskampfes

KURT RABL

Erweiterte Fassung eines am 24. Juni 1956 im Rahmen der Jahresversammlung des Landesverbandes Bayern der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Regensburg gehaltenen Vortrages.

Es ist jetzt fast genau elf Jahre her, daß eine Niederschrif ausgenommen worden ist, die in dem bekannten, von R. Turnwald herausgegebenen Urkundenbuch über die Austreibung der Sudetendeutschen Aufnahme gefunden hat. Dort heißt es: „Ich stand in Komoschau bei Prag in landwirtschaftlicher Arbeit bei einem tschechischen Gastwirt und Bauern. Eines Abends im Februar d. Js. (1946) bemerkte ich bei den tschechischen Nachrichten im Radio, daß man nicht alles glauben müßte. Da sprang die Frau meines Arbeitgebers auf und sagte, ich hätte gar nichts zu sagen, sie hätten es meinem Sohn angesehen, der hätte ein großes Vermögen bei sich gehabt, das hätte er sicher gestohlen. Ich fragte sie, was sie von meinem Sohn wisse. Sie erwiderte, daß mein Sohn auf diesem Hof begraben sei. Ihr Mann hätte es mir schon immer sagen wollen. Ich fragte sie, warum sie ihn erschlagen hätten. Ich bekam die Antwort: »Weil er Deutscher war, und wir haben das Recht, jeden Deutschen zu erschlagen.'Am nächsten Morgen sagte mir der Bauer: . Wenn wir gewußt hätten, wie unentbehrlich Sie uns werden, hätten wir auch ihn zur Arbeit behalten.'1)

„Wir haben das Recht, jeden Deutschen zu erschlagen.“ Elf Jahre ist es her, daß dieser Satz ausgesprochen werden konnte — es scheint nicht unnötig, sich heute dessen zu entsinnen: nicht um Anklage zu erheben oder um Racheinstinkte aufzustacheln, sondern um sich der Tiefe des Abgrundes bewußt zu werden, in den unser Volk — unser Volk allein? — damals versunken war.

In diesen elf Jahren ist hüben und drüben viel geschehen. Viele der Vertriebenen haben im Westen eine neue Existenz aufbauen können; manche haben erstaunliche und achtunggebietende Erfolge L. verzeichnen. Eine neue Jugend wächst heran, die hier ihre Schul-und Lehrkameraden, in nicht wenigen Fällen auch ihre Lebensgefährten gefunden hat und findet. Auf der anderen Seite ist nach allem, was man hört, die Lage in der alten Heimat seit langem nur wenig verändert: es ist dem volksdemokratischen Regime nicht gelungen, das Gebiet wieder voll zu besiedeln — ausgenommen mögen ein paar vereinzelte Punkte sein, die (wie etwa Joachimsthal) von besonderer industrieller oder strategischer Bedeutung sind. Daneben gibt es tiefe und breite Streifen Landes, die langsam verwildern und wieder ein ähnliches Aussehen annehmen wie sie es vor Jahrhunderten, vor der Hinrufung der deutschen Siedler wohl gehabt haben mögen. Das Regime macht die eine oder andere personelle Veränderung durch — sein Wesen, seine Absichten, seine Feindschaft gegen unsere Welt und insbesondere auch seine Entschlossenheit, am LInrecht der Austreibung festzuhalten, sind dieselben geblieben.

Wer das alles ruhig bedenkt, legt sich vielleicht nicht ohne Bangen und innere Bewegung die Frage vor: welchen Sinn hat es eigentlich, angesichts einer solchen Lage den Kampf um die Wiederherstellung der sudetendeutschen Rechte weiterzuführen?

* Diese Frage reicht über den Tag hinaus. Es ist daher vielleicht gut, sie nicht aus den Sorgen und Nöten des Tages heraus zu beantworten, sondern auf Gedanken zurückzugreifen, die — obgleich schon vor über 80 Jahren ausgesprochen — ihre Lebenskraft über alle Umwälzungen hinweg bis auf den heutigen Tag bewahrt haben. Im Jahre 1872 hat Rudolf v. Ihering, einer der bedeutendsten Rechtsgelehrten seiner Zeit, in Wien vor einem erlauchten Publikum von Fachkollegen und gebildeten Laien einen Vortrag über das Thema „Der Kampf ums Recht" gehalten; die schmale Buchausgabe ist in alle Kultursprachen des Erdkreises übersetzt worden und bei uns erst vor kurzer Zeit in 22. Auflage erschienen 21) 3. Man hat mit Recht gesagt, daß es sich um die „am weitesten verbreitete juristische Fachschrift der Welt“ handle. Das ist nicht verwunderlich, denn der — an sich einfache und klare — Gedanke, den Ihering in den Mittelpunkt seiner Erörterungen stellte, trifft ein Hauptanliegen, einen gerade heute im Guten und Bösen bestimmenden, schicksalhaften Zug unserer Zeit: es ist die Idee, daß „das Ziel des Rechts der Friede ist, das Mittel dazu aber der Kampf. Solange das Recht sich auf den Angriff von Seiten des Unrechts gefaßt halten muß — und das wird dauern, solange die Welt steht wird der Kampf ihm nicht erspart bleiben. Das Leben des Rechts ist Kampf: Kampf der Völker, der Staatsgewalten, der Stände, der Einzelnen. Alles Recht in der Welt — sowohl das Recht eines Volkes wie das eines Einzelnen — setzt die stete Bereitschaft zu seiner Behauptung voraus. Das Recht ist nicht ein bloßer Gedanke, sondern lebendige Kraft" 3).

Lins Heutigen erscheint das selbstverständlich. Bedenken wir aber die Zeit, in die hinein Ihering seine Worte warf, so wird die geistige Bedeutung dieses Gelehrten deutlich; seine Klarsicht muß Bewunderung abnötigen.

Was Ihering um sich sah, schien viel weniger zum Kampf aufzurufen als vielmehr zu wohlverdienter Ruhe einzuladen: anderthalb Jahre waren seit der Schlacht bei Sedan vergangen, der Glanz des soeben gegründeten Kaiserreiches durchsonnte fröhlich den Tag der Deutschen; Romanow, Habsburg und HohenzoIIern hatten sich im Dreikaiserbündnis vereinigt, der Fortsetzung der Heiligen Allianz, die Metternich einst gegründet. Die erste Weltausstellung, die Wien die Rotunde und das Riesenrad bescheren sollte, stand vor der Tür — Hand in Hand gleichsam mit ihr freilich auch die erste schwere internationale Krisis des großbürgerlichen Industrialismus.

Ihering spürte die Gefahr, die im Quietismus eines Gesellschaftslebens lag, das nur zu bald von noch schärferen wirtschaftlichen Spannungen, von sozialer Unrast und nationalen Kämpfen sonder Zahl heimgesucht werden sollte. Dem ungesund-beschaulichen Ruhebedürfnis der Zeit, deren Nutznießer er wachrütteln und warnen wollte, entsprach — wie dies der Fall zu sein pflegt — das damalige Gesetzessystem. Zwar war Österreich schon im Jahre 1811 zu einer Neukodifikation seines bürgerlichen Rechts vorgedrungen, und auf dem Gebiet der öffentlichen Verwaltung regten sich in Preußen seit Beginn des 19. Jahrhunderts, anderswo in deutschen Landen und zumal in Österreich seit dem Sturz Metternichs neue Kräfte und Gedanken. Ihnen stand indes die Front des romantischen Idealismus und ihre historische Rechtsschule gegenüber, deren festeste Stütze das damals noch in weiten Gegenden Deutschlands geltende römische Recht bildete. Hier war ein bis ins Feinste durchgebildetes Gefüge von Vorschriften, die bis zu anderhalb Jahrtausende alt und in einer Sprache abgefaßt waren, die das Volk nicht verstand. Dieses Recht war Sache der Gelehrten, nicht Sache des Volkes. Es konnte seiner Natur nach durch staatliche Gesetzgebung nicht fortgebildet werden;

der staatliche Gesetzgeber konnte sich bestenfalls Eingriffe zu schulden kommen lassen, über deren Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit die gelehrte Welt zu streiten pflegte, wenn es ihr nicht gelang, sie überhaupt zu verhindern.

Es wäre ungerecht, darin ein böswilliges Sichverschließen vor den Anliegen der Zeit zu sehen — diese Haltung entsprach vielmehr einer bestimmten wissenschaftlichen Anschauung, der zufolge „die Bildung des Rechts ebenso unvermerkt und schmerzlos vor sich geht wie die der Sprache, es bedarf keines Ringens und Kämpfens, ja nicht einmal des Suchens, sondern es ist die still wirkende Kraft der Wahrheit, welche ohne gewaltsame Anstrengung langsam, aber sicher sich Bahn bricht, die Alacht der Überzeugung, der sich allmählidr die Gemüter erschließen und der sie durch ihr Handeln Ausdrudz geben — ein neuer Rechtssatz tritt ebenso mühelos ins Dasein wie irgend eine Regel der Sprache“ ): der Mensch, welcher der Herrschaft des Rechts unterworfen ist, kann nur sehr wenig — eigentlich fast nichts — dazu tun, daß die Rechtsordnung sich in irgend eine bestimmte Richtung entwickle, daß sie eine Frage aufgreife, die das Leben ihr stellt, und sie beantworte. Das Volk soll sich der gewachsenen Ordnung fügen, ohne zu ihrer Mitgestaltung und Fortbildung aufgerufen zu sein; seine Stellung zum Recht war nach dieser Anschauung empfangend und duldend und sollte es bleiben. Ganz entsprechend faßten Gelehrte wie Savigny und Puchta die Aufgabe der Rechtswissenschaft als getreuliche Pflege des von den Vorgängern und den alten Römern in Ehrfurcht übernommenen Geistesgutes; man hatte es zu klassifizieren, durfte es wohl auch durch logisch-konstruktive Schlüsse ergänzen und erweitern, niemals es aber den konkreten Zielen und Zwecken, den Sorgen und Notwendigkeiten des Tages zuliebe ändern. Der Gelehrte konnte, der Richter durfte, der Staat sollte nicht so handeln; der Zeit — dies war Savignys berühmtes, später oft nachgesprochenes und mißverstandenes Wort — fehlte der „Beruf zur Gesetzgebung".

Es ist leicht zu sehen, daß diese Anschauung, aus dem philosophischen Geist des 17. und 18. Jahrhunderts erwachsen, schon durch die industrielle Revolution und die gewaltigen, durch sie hervorgerufenen sozialen Umschichtungen, die, je weiter fortschreitend, desto mehr und rascher herrschaftliche Eingriffe des Staats in die Rechtsordnung unumgänglich machten, unmöglich geworden war. Aber auch die nationalen Bewegungen der mitteleuropäischen Völker, die sich seit 1848 immer stürmischer zur Geltung brachten, forderten den Staat als Gesetzgeber und nicht nur als Wahrer und Bewahrer der „still wirkenden Kraft der Wahrheit" vor ihre Schranken.

Hier setzt Iherings Betrachtung ein. Soll und muß der Staat durch eine „absichtliche, auf ein Ziel gerichtete Tat“ — d. h. durch Erlaß eines Gesetzes — in die Rechtsentwicklung eingreifen, um einer praktisch-sozialen Notwendigkeit Genüge zu tun, so kann er das fast immer „nur um den Preis eines höchst empfindlichen Eingriffs in vorhandene Rechte und Privatinteressen“. Das Neue, das werden will und soll, muß sich im Kampf gegen diese vorhandenen Interessen und die mit ihnen begründeten „wohlerworbenen Rechte“ durchsetzen. Das Recht, formuliert Ihering, „kann sich nur dadurch verjüngen, daß es mit seiner eigenen Vergangenheit aufräumt" So ist die Geburt neuen Rechts „mitten hineingestellt in das chaotische Getriebe menschlicher Zwecke, Bestrebungen und Inter-essen"

und ist daher, genau so wie die Geburt des Menschen „regelmäßig begleitet gewesen von heftigen Geburtswehen. Und da. sie es ist, sollen wir es beklagen?" frägt der Gelehrte, um die Antwort zu geben — eine großartige Antwort, deren Grundgedanke uns noch beschäftigen wird —:

„Gerade der Umstand, daß das Redit den Völkern nickt mühelos zufällt, daß sie um dasselbe ringen und streiten, kämpfen und bluten müssen: gerade dieser Umstand knüpft zwischen ihnen und ihrem Recht dasselbe innige Band, wie der Einsatz des Lebens bei der Geburt zwisdren der Mutter und ihrem Kind. Ein mühelos gewonnenes Redit steht auf einer Linie mit den Kindern, die der Stordi bringt; was der Stordi gebracht hat, kann der Fuchs oder der Geier wieder holen. Aber die Mutter, die das Kind geboren hat, läßt es sich nicht rauben, und ebensowenig ein Volk die Redite und Einriditungen, die es in blutiger Arbeit hat erstreiten müssen. Man darf geradezu behaupten: die Energie der Liebe, mit der ein Volk seinem Redite anhängt und es behauptet, bestimmt sich nach dem Einsatz an Mühe und Anstrengung, die es gekostet hat. Hidit die Gewohnheit, sondern das Opfer ist es, welches das festeste Band zwisdten dem Volk und seinem Redite schmiedet. . . 6).

Lind was hier von der Gemeinschaft gesagt wird, gilt auch vom Einzelnen.

„In dem Recht besitzt und verteidigt der Mensch seine moralische Daseinsbedingung . . . Behauptung des Rechtes ist demnach eine Pflicht der moralischen Selbsterhaltung“ Ihering verdeutlicht diesen Gedanken am Beispiel des Eigentums: in der Regel ein selbsterarbeiteter Wert, stellt es für den Eigentümer „ein Stück der eigenen Arbeitsvergangenheit“

dar und indem der Mensch eine Sache erarbeitet — d. h.

sie entweder durch seiner Hände oder seines Geistes Tätigkeit erschafft oder sich dadurch die Mittel zu ihrem Erwerb sichert — drückt er ihr (wie der Gelehrte sagt) den Stempel seiner Person auf: der Dieb oder der unredliche Schuldner jedoch, der das Eigentum eines Menschen antastet, rührt damit nicht nur an ein individuelles Recht, an einen persönlichen Anspruch oder irgend eine Einzelbefugnis, sondern er vergeht sich an der Persönlichkeit dessen, der es sich erarbeitet hat — er trifft den arbeitenden Menschen „in seinem innersten Kern“ er mißachtet seinen Fleiß, indem er sich an den Früchten dieses Fleißes rechtswidrig vergreift. Die Dinge dieser Welt mögen ihren materiellen Wert haben — der Anspruch des rechtmäßigen Eigentümers auf sie ist aber nicht nur mit diesen materiellen Werten zu messen und vor allem erschöpft er sich nicht in ihnen, sondern in der Tatsache, daß wir mit unserem Eigentum gleichzeitig das Recht innehaben, uns seiner grundsätzlich ungestört zu erfreuen, liegt ein über das bloß materielle Interesse hinausgreifender ideeller Wert, und wer diesen Wert verteidigt, verteidigt damit sich selbst als Mensch und als Persönlichkeit

Hieraus ist nach Iherings Ansicht eine wichtige Folgerung zu ziehen. Wer nämlich Unrecht gegen sich selbst widerstandslos duldet, bwohl es ihm möglich wäre, Widerstand zu leisten, „läßt einen einzelnen Moment der Rechtlosigkeit in seinem Leben zu. Dazu darf aber niemand selber die Hand bieten“. Warum nicht? Nicht nur deshalb, weil „Pflicht eines jeden gegen sich selbst ist, eine Mißachtung des Rechts in seiner Person mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln zu bekämpfen — sondern vor allem auch deshalb, weil die leichtherzige, gleichgültige oder feige Preisgabe des Rechts, „zur allgemeinen Maxime des Handelns erhoben, den Untergang des Rechtes (als eines objektiv überpersönlichen Sachverhaltes) bedeuten“ würde Ihering braucht ein eindrucksvolles Bild: der Kampf ums Recht, der Kampf für das gute Recht eines jeden Einzelnen ist wie der blutige Streit auf dem Schlachtfeld. „Wenn tausend Mann zu kämpfen haben, mag man die Entfernung eines einzelnen nicht verspüren: wenn aber hunderte von ihnen die Fahne verlassen, so wird die Lage derer, die treu aushalten, eine immer mißlichere, die ganze Last des Widerstandes fällt auf sie allein“ Und ein Recht muß aufhören zu sein, muß sterben, wenn jemals etwa die Mehrzahl der durch dieses Recht begünstigten Menschen ohne Not freiwillig sich aus welchen Gründen immer von ihm lossagen, sich entschließen würde, es nicht mehr in Anspruch zu nehmen. Wer sein Recht behauptet verteidigt innerhalb des engen Raumes desselben das Recht

Und hierin — in dem inneren, sittlichen Gehorsam gegenüber dem Gemeinschaftsanspruch der geläuterten Rechtsidee — verbindet sich der Mensch mit dem Übergeordneten: „Diese ideale Auffassung des Red'its bildet Glicht das 'Vorrecht höher angelegter Naturen, sondern der Roheste ist ihr ebenso zugänglich wie der Gebildetste, der Reichste wie der Ärmste, die wildesten Naturvölker wie die zivilisiertesten Nationen, und gerade darin offenbart sich so recht, wie sehr dieser Idealismus im innersten Wesen des Rechts begründet ist — er ist nichts als die Gesundheit des Rechtsgefühls. So erhebt dasselbe Recht, das scheinbar den Menschen ausschließlich in die niedrige Region des Egoismus und der Berechnung verweist, ihn andererseits wieder auf eine ideale Höhe, wo er alles Klügeln und Berechnen, das er dort gelernt hat, und den Maßstab des Nutzens, nach dem er sonst alles zu bemessen pflegt, vergißt, um rein und ganz für eine Idee einzutreten 14).

Bindung an die Gemeinschaft

In dieser inneren Bereitschaft zum Kampf ums Recht — zu einem Kampf, der nicht nur Einstehen für das eigene Interesse, sondern eben zugleich auch Bewährung eines gesunden Gefühls der Bindung an die Gemeinschaft ist — bewährt sich das Rechtsgefühl der Bürger, ihr lebendiges Bewußtsein für die hohen und höchsten Werte des im Staat und durch den Staat zur Ordnung zusammengefaßten Gemeinschaftslebens. „In dem gesunden, kräftigen Rechtsgefühl jedes Einzelnen besitzt der Staat die ergiebigste Quelle seiner eigenen Kraft, die sicherste Gewähr seines eigenen Bestandes“ Es erschien Ihering — angesichts des langsamen Zurückweichens des moralischen Obrigkeitsstaatsgedankens — als vordringliche sozialpädagogische Aufgabe, dieses Rechtsgefühl zu pflegen und als kostbares Gut zu hüten — und sehen wir uns heute nicht angesichts des totalitären Obrigkeitsstaatsgedankens vor wesentlich der gleichen Aufgabe?

Wie bewährt sich nun dieses gesunde Rechtsgefühl? Iherings kluge, durch jahrelange unermüdliche Beobachtung dem Leben abgelauschte, völlig modern anmutende Antwort: durch das Erlebnis des Schmerzes angesichts einer Rechtskränkung. Denn in diesem Schmerz werden Menschen und Gemeinschaft gewahr, was ihnen das verletzte oder geraubte Recht gewesen. Lange Jahre ungestörten Genusses können uns diesen Wert fast vergessen machen — ein Recht, das als selbstverständlich galt und durch Geschlechterfolgen hindurch weder angezweifelt noch angetastet wurde, schwindet als feststehend-lebendiger Begriff aus dem Bewußtsein der Menschen. Wird es ihm oder der Gemeinschaft, der er zugehört, jedoch geraubt, so stellt sich im Schmerz um seinen Verlust und in der Bereitschaft zum Kampf um seine Wiederherstellung dieses Bewußtsein in der Seele der Betroffenen schlagartig — und zwar mit einem schmerzenden Schlag — wieder her. „Und wer nicht an sich selbst oder an einem anderen diesen Schmerz erfahren hat, weiß nicht, was Recht ist — und wenn er das ganze Corpus iuris im Kopf hätte“

Wie richtig ist dieser Gedanke — wie sehr scheint er für das Heute der Vertriebenen-Wirklichkeit geschrieben! War es nicht so? War das Leben in der Heimat, in der heimatlichen Gemeinschaft nicht eine Selbstverständlichkeit, die man genoß, ohne viel danach zu fragen? Da war der von Kindheit an vertraute Kirchplatz mit Linde und Brunnen, und jenseits altbekannter Giebel blaute die wohlbekannte Kette der Hügel, deren Wälder geläufig waren durch den Wandel der Jahreszeiten hindurch. Man kannte Straßen, Brücken und Kreuzwege, die besten Fundplätze für Tannenreiser und Waldbeeren, Weidenkätzchen und Sommerblumen, man wußte um die schönsten Aussichtspunkte. Ging man die Straße hinab und betrat Kramladen oder modernes Warenhaus, Dorfschänke oder neuerbautes Restaurant — überall klang der heimisch vertraute Dialekt ins Ohr, und man kannte die Gesichter der Menschen, mit denen man sprach: der alte Lehrer aus der Schulzeit, der Arzt, der vielleicht schon den eigenen Eltern die Augen zugedrückt haben mochte.

Das alles war selbstverständlicher innerer Besitz — auch in der Arbeit für dieses Gemeinwesen und seine öffentlichen Verhältnisse. Was durch den Raub der Heimat verloren ging, wurde erst dann so recht gefühlt, als es verloren war — und diese Erkenntnis war ein Schmerz, der noch heute zu den Beraubten kommt, wenn sie an das ihnen Vorenthaltene denken und der sie nicht verlassen kann, wenn sie sich nicht aufgeben wollen als sittliche Wesen. All das hat Ihering klar vorausgesehen, obwohl er sich wohl niemals Rechenschaft abgelegt hat von den Schrecknissen der Zukunft nach seinem Tod. Aber in dieser Erkenntnis allein liegt so etwas wie . ein geistiges Vermächtnis, um dessentwillen er eines ehrenden Gedenkens gerade aus den Reihen der Vertriebenen würdig ist.

Dies gilt um so mehr, als er just aus dieser Erkenntnis — daß Rechts-verlust Schmerz bereitet — zum Kernsatz seiner Lehre gelangt: es gebe zwei Gebote — das erste laute: „Dulde kein Unrecht!“, das zweite: „Tue kein Unrecht!“ Das erste dieser beiden Gebote aber sei das wichtigste

Aber weiter: was ist der Gehorsam gegen das Gebot „Dulde kein Unrecht!“ anderes als Mithilfe „zum gemeinschaftlichen Werk, zum Kampf gegen die Willkür“ Und damit erst hat Ihering — und haben wir mit ihm — die große, ganze Wahrheit gewonnen: der „Kampf ums Recht“, letztlich ausgedrückt in dem Gebot „Dulde kein Unrecht!“, ist zugleich, zuerst und zuletzt Kampf gegen jene Macht des Bösen, die — mit der Waffe der Willkür — Fremdes Leben antastet oder vernichtet. Es ist der Kampf darum, daß das natürliche, urtümliche Rechtsgefühl der Menschen sich entfalten und bewähren, sich ungekränkt und un-verbogen zur Geltung bringen kann.

Da aber der Staat der natürliche Wahrer menschlicher Ordnung ist und daher ihm in erster Linie obliegt, das Recht zu verwirklichen bzw.seine Verwirklichung zu schützen, gelangt Ihering zu einer weiteren, wichtigen Aussage von größter Aktualität — heute fast 90 Jahre nach ihrer Niederschrift:

„Kein Unrecht, das der Mensch zu erdulden hat, und wiege es noch so schwer, reicht — wenigstens für das unbefangene sittlidie Gefühl — von weitem an das heran, weldtes die von Gott gesetzte Obrigkeit verübt, indem sie selber das Recht bricht"

Jeder solche Akt staatlich geduldeter oder gar vom Staat selbst angeordneter oder durchgeführter Rechtswidrigkeit stellt den, einer solchen Willkürherrschaft unterworfenen Menschen vor die bittere, zutiefst unsittliche Wahl: entweder den verzweifelten Versuch zu machen, das Unerträgliche zu wenden und dabei vielleicht Freiheit und Leben einzubüßen — oder aber in unbefriedigtem sittlichem Zorn des verletzten Rechtsgefühls „sich moralisch zu verbluten und den Glauben an das Recht zu verlieren“ Es gibt aber — und auch das hat Ihering mit weit in die Zukunft reichendem Blick erkannt — auch noch eine dritte Möglichkeit: es ist die lautlos-allmähliche Zersetzung des Rechtsgefühls, das planvoll-tückische Abwarten, bis das Bewußtsein der Menschen nicht nur wund, sondern vor allem müde genug geworden ist, um die Willkürherrschaft zunächst in ohnmächtigem Schweigen, schließlich aber in dumpfem Verzicht zu ertragen — dann, wenn „alles männliche Selbstgefühl und alle sittliche Kraft im Volk ertötet und dem Despotismus widerstandslos Eingang gesichert ist“

Welche Botschaft für uns Heutige — und in Sonderheit für die Vertriebenen! Wer die Sätze Iherings an Hand des Anspruchs auf Rückkehr in die Heimat, dieses ersten und grundlegenden Anliegens der Vertriebenen, prüfend durchdenkt, ermißt die Größe einer wissenschaftlichen Leistung, die Erkenntnisse und Forderungen vorweggenommen hat, die wir in unseren Tagen nicht besser in Worte fassen könnten.

Die Selbstverständlichkeit und Unbewußtheit des Heimatrechts, die Erkenntnis seiner grundlegenden Bedeutung im Augenblick seines schmerzhaft-gewaltsamen Verlustes; die besondere sittliche Verworfenheit der Austreibung deshalb, weil dieser Rechtsraub mit den Mitteln staatlicher Macht durchgeführt wurde; Willkür als Instrument der Despotie — fühlen wir nicht, daß hier der Finger tief in eine Wunde gelegt wird, die am Körper unserer Tage brennt?

Indes — was können uns diese Sätze nützen? Sind sie etwas anderes als akademische, wenn auch vielleicht interessante Erkenntnisse? Geben sie — und damit kehrt die Betrachtung zum Ausgangspunkt zurück — Antwort auf die Frage, was die Vertriebenen tun sollen — was sie tun können angesichts der Tatsache, daß sie nach wie vor gezwungen sind, ihr Leben fern der angestammten Heimat zu verbringen und daß vorläufig keine Änderung des Zustandes abzusehen zu sein scheint?

Darauf sind — wie meist, wenn es sich um die Beantwortung einer Lebensfrage von grundsätzlicher Bedeutung handelt — zwei Antworten möglich. Die eine besteht darin, daß der augenblickliche Zustand als rechtmäßig anerkannt wird und daß man daher auf seine Änderung verzichtet. Die andere wird demgegenüber den Standpunkt vertreten, daß der gegenwärtige Zustand unrechtmäßig ist und daß dieser Standpunkt von der zur Vertretung der Vertriebenen zuständigen Stelle in Form einer völkerrechtlichen Willenserklärung kundgetan werden muß. Es ist zu prüfen, welche dieser beiden Anschauungen sich auf das objektive Recht berufen kann. Dies ist um so mehr vonnöten, als beide Anschauungen vertreten werden. Diese Erklärungen sind'nunmehr der Reihe nach zu betrachten und einer rechtlichen Wertung zu unterziehen.

Die „Provisorische Regierung der Deutschen Demokratischen Republik“ hat mit der derzeitigen tschechoslowakischen Regierung am 2. Juni 19 50 Erklärungen ausgetauscht, wonach beide Teile im Interesse der Erhaltung und Sicherung des Friedens anerkennen, daß es „zwischen ihren beiden Staaten keine strittigen oder offenen Fragen gibt“, daß gegenseitig keine Gebiets-oder Grenzansprüche zu stellen sind und daß namentlich die „durchgeführte Umsiedlung der Deutschen aus der tschechoslowakischen Republik unabänderlich, gerecht und endgültig gelöst sei

Mit dem Wort „Umsiedlung" werden dabei jene Vorgänge bezeichnet, die durch den eingangs mitgeteilten Ausspruch der tschechischen Bäuerin gekennzeichnet sind: „Wir haben das Recht, jeden Deutschen zu erschlagen.“ Ob diese Vorgänge und die durch sie zum Ausdruck gekommenen Gesinnungen als unabänderlich und endgültig anzusehen sind, ist ein völkerpsychologisches, politisches und sittliches Problem, über das an dieser Stelle nicht gesprochen werden kann. Die Betrachtung hat sich vielmehr auf die Prüfung der Frage zu beschränken, ob diese Vorgänge als rechtmäßig, d. h. als rechtlich nicht zu beanstanden und mit den einschlägigen geltenden Rechtsvorschriften übereinstimmend bezeichnet werden können. Dies wäre der Fall, wenn nachgewiesen werden kann, daß die im Jahre 194 5/46 im Sudetengebiet in Geltung gestandene Rechtsordnung die fragliche Handlungsweise der tschechoslowakischen Behörden den Deutschen gegenüber vorgesehen und geboten, zumindest aber erlaubt hat.

Hinsichtlich der Frage, welche Rechtsordnung im Jahre 194 5/46 im Sudetengebiet in Geltung gestanden hat und ob die tschechoslowakischen Organe dort zu eigenem Recht tätig werden konnten oder ob sie lediglich Inhaber einer Verwaltungshoheit in den Schranken der Haager Landkriegsordnung waren, besteht bekanntlich kein Einvernehmen; die tschechoslowakische Regierung selbst hat sich — nicht unbestritten und vor allem auch seitens ihrer Verbündeten nicht unangezweifelt — auf den Standpunkt der sog. „Kontinuität des tschechoslowakischen Staates“ gestellt und seine uneingeschränkte Fortdauer über die Ereignisse von 1938 und insbesondere 1939 hinaus behauptet. Es ist an dieser Stelle weder möglich, noch auch erforderlich, diese Frage in allen ihren Einzelheiten zu prüfen sondern man kann sich für den vorliegenden Zusammenhang ohne weiteres auf den von der tschechoslowakischen Regierung eingenommenen Standpunkt stellen und davon ausgehen, daß die tschechoslowakische Republik als staatliche Einheit über 1938/39 hinaus fortbestanden hat, wenn gleichzeitig darüber Klarheit besteht, daß in diesem Fall nicht nur der Staat als Stück der Erdoberfläche, sondern — da es sich hier ja um eine juristische Argumentation handelt — auch seine Rechtsordnung sowohl als Ganzes wie auch in ihren Teilen als unverändert fortbestehend angesehen werden muß

Die — an diese Rechtsordnung gebundenen — tschechoslowakischen Behörden haben nun im Hinblick auf die im Sudetengebiet ansässige deutsche Volksgruppe eine Reihe von Maßnahmen verfügt oder geschehen lassen, die in ihrer Gesamtheit eine einschneidende rechtliche Benachteiligung dieser Volksgruppe als Gemeinschaft sowie jedes einzelnen ihrer Glieder bedeuten. Alle diese Maßnahmen — Aberkennung der Staatsangehörigkeit, Nötigung, Freiheitsberaubung, Enteignung, Raub, Notzucht, Körperverletzung, Tötung (worüber an dieser Stelle keine Einzelheiten ausgeführt zu werden brauchen) — gipfelten im E n t -zug des Rechts auf Ansässigkeit gegen den Willen der Betroffenen und in ihrer zwangsweisen Wegschaffung aus der Heimat. Die vorerwähnten Eingriffe in den staatsbürgerlichen Status der deutschen Bevölkerung sowie die Beeinträchtigung bzw. Zerstörung ihrer körperlichen und bürgerlichen Sicherheits-und Freiheitsrechte mögen — weil nur Begleitumstände der Hauptsache — außer näherem Betracht bleiben. Daß diese Vorgänge zahlreichen Vorschriften der tschechoslowakischen Verfassungsurkunde (z. B.den §§ 94 Abs. 2, 106 Abs. 2, 107 Abs. 1, 109 Abs. 1, 111 Abs. 2, 112 Abs. 1, 115, 121, 126, 128 Abs. 1), ferner vielen Bestimmungen des Strafgesetzes und des bürgerlichen Rechts widerstreiten, bedarf keiner Erläuterung. Es ist jedoch Tatsache, daß sich nicht nur die tschechoslowakischen Behörden, sondern — wie das eingangs erwähnte Beispiel der tschechischen Bäuerin anschaulich vor Augen führt — auch einzelne Bürger tschechischer Volks-zugehörigkeit sich für berechtigt gehalten haben, solche Handlungen zu begehen. Eine solche Rechtfertigung glaubten sie in den diesbezüglichen Anweisungen der Behörden und vor allem auch in den durch den tschechoslowakischen Rundfunk verlautbarten Aufforderungen des Staatspräsidenten Dr. Benes und anderer Personen sehen zu können, in denen zur „Liquidierung“, bzw. zur „Vernichtung“ der Deutschen, „wo immer sie angetroffen werden“, aufgefordert wurde Soweit diese Aufforderungen bzw. Behördenanweisungen gesetzändernd waren oder der Verfassungsurkunde widersprachen, hätten sie der Form und Verkündigung eines Gesetzes oder Verfassungsgesetzes gern. Art. I, Abs. 2, §§ 3 3, 43 und 49 der Verfassungsurkunde bedurft, um wenigstens die Vermutung ihrer rechtlichen Gültigkeit für sich zu haben; ob solche Gesetzesbeschlüsse überhaupt hätten gefaßt werden dürfen — selbst wenn ordnungsgemäße gesetzgebende Körperschaften vorhanden gewesen wären —, soll unerörtert bleiben. Um so größer erscheint die Verantwortlichkeit derer, die zu dem Mittel solcher Rundfunkdurchsagen griffen, und auch derer, die ihnen Folge leisteten. Daß hier in der Tat ein heikles juristisches Problem aufgeworfen war, beweist der nachträgliche Erlaß eines Indemnitätsgesetzes, gemäß welchem „laut den geltenden Vorschriften strafbare Handlungen“, die zwischen 1938 und 1945 be-gangen waren und auf „gerechte Vergeltung für Taten der Okkupanten abzielten“, als „nicht widerrechtlich“ erklärt wurden Diese Äußerung des tschechoslowakischen Gesetzgebers steht inhaltlich und formal auf der gleichen Ebene wie das deutsche Gesetz vom 3. Juli 1934 über Maßnahmen der Staatsnotwehr womit die damalige nationalsozialistische Staatsführung die Rechtsmängel ihres Vorgehens am 30. Juni, 1. und 2. Juli jenes Jahres zu heilen versucht hat.

Zwangsweiser Entzug des Rechts auf Ansässigkeit

Es ist jedoch angezeigt, die Erörterung auf die wesentliche Frage — das Problem des zwangsweisen Entzuges des Rechts Juni, 1. und 2. Juli jenes Jahres zu heilen versucht hat.

Zwangsweiser Entzug des Rechts auf Ansässigkeit

Es ist jedoch angezeigt, die Erörterung auf die wesentliche Frage — das Problem des zwangsweisen Entzuges des Rechts auf Ansässigkeit — zu konzentrieren. Wie ist diese Frage zu beurteilen? Die Antwort ergibt sich aus den altösterreichischen Vorschriften über das Heimatrecht, die sowohl 1918 und — in der Form eines Verfassungsgesetzes — nochmals 1920 ausdrücklich in die tschechoslowakische Rechtsordnung übergeleitet worden sind 29). Danach gewährte das Heimatrecht in einer Gemeinde jedem — und daher auch jedem sudetendeutschen — Staatsbürger der tschechoslowakischen Republik die Befugnis, sich innerhalb des Gemeinde-

ebietes „ungestört aufzuhalten“; auch Mittellose, ja noch nicht einmal Landstreicher, Arbeitsscheue, entlassene Sträflinge und öffentliche Dirnen durften aus ihrer Heimat weggewiesen werden. Das Heimat-recht war unverzichtlich und unentziehbar. Das tschechoslowakische Recht erkannte dem Staat insbesondere nicht die Befugnis zu, einzelnen Bürgern das Heimatrecht lediglich deshalb abzuerkennen, weil diese einem bestimmten Volkstum zugehörten. Ebenso rechtswidrig ist die Ansicht, daß eine nationale Minderheit — als Kollektivum — zufolge politischer Unzuverlässigkeit den Schutz der verfassungsrechtlich verbrieften Minderheitsrechte „verwirken“ könnte. Auch eine solche Behauptung ist — wie die vorhergehende — nur auf dem Boden der Kollektivschuldthese denkbar. Daß es das Generalsekretariat der Vereinten Nationen für richtig gehalten hat, ihr in einer offiziellen Veröffentlichung Raum zu geben 30), muß Aufsehen erregen. Um so wichtiger ist der Hinweis darauf, daß selbst ein Mann wie Chruschtschow in seiner berühmten Rede vom 2 5. Februar 19 56 scharfe Kritik ul dem Gedanken der Zwangsaussiedlung ganzer Völker und Volksgruppen als Kollektiv-strafe für etwige politische Verfehlungen von einzelnel ihrer Angehörigen geübt hat: „ . . . Kein Marxist-Leninist“ so heißt es dort, „und überhaupt kein vernünftiger Mensch kann verstehen, wie es möglich ist, •ganze Völker samt Frauen und Kindern, alten Leuten, ... für feindliche Handlungen verantwortlich zu machen, Massenrepressalien gegen sie anzuwenden und sie wegen der Schädlingsarbeit Einzelner oder kleinerer Gruppen der Not und dem Elend auszusetzen“ Chruschtschow traf diese Feststellung angesichts der Tatsache, daß die Krimtürken, die Wolgadeutschen sowie einige kaukasische Stämme, die während des zweiten Weltkrieges den deutschen Truppen gegenüber eine, nach Ansicht der Sowjetmachthaber zu wenig feindselige Haltung an den Tag gelegt hatten, auf Befehl Stalins seit 1944 strafweise aus der Heimat vertrieben und nach alter, in Rußland bereits seit dem 15. Jahrhundert herrschender Gepflogenheit in unwirtliche Gegenden des russischen Machtbereichs — in diesem Fall nach Mittelasien und Zentralsibirien — zerstreut worden sind. Der theoretischen Verurteilung dieser Maßnahmen folgte allerdings nur in einigen — keineswegs in allen — Fällen ihre juristische Zurücknahme; nur für einige der seinerzeit betroffenen kaukasischen Stämme, nicht aber auch für Krimtürken und Wolgadeutsche, kündigte der Moskauer Rundfunk am 11. Februar 1957 einen angeblichen „Beschluß des Unions-und Nationalitätensowjet über die Wiederherstellung der Autonomie“ an und über die praktische Durchführung dieses Beschlusses, d. h. über die tatsächliche Wiedergutmachung des seiner-zeitigen Unrechts hat man bisher nichts vernommen.

Gleichviel: an der theoretischen Stellungnahme der Sowjetmachthaber gegen den Gedanken der Massenzwangsaussiedlung kann das nichts ändern und man wird sich mit Fug auf den Standpunkt stellen dürfen, daß den Sudetendeutschen dasjenige billig sein sollte, was den betroffenen kaukasischen Stämmen recht ist. Die Frage, ob man davon reden kann, daß die Sudetendeutschen ihre Heimat „verwirkt" hätten, erscheint damit beantwortet und kann für den Fortgang der Überlegungen auf sich beruhen bleiben.

Die sog. „Prager Erklärung“ vom 23. Juni 1950 stellt daher eine — auf keine Weise zu rechtfertigende — Verneinung bzw. Preisgabe von Rechten dar. Der deutsche Bundestag hat denn auch hiergegen in einer, am 14. Juli 1950 mit allen gegen die kommunistischen Stimmen des Hauses angenommene Entschließung, feierlich Einspruch erhoben und diesen Notenwechsel für nichtig erklärt. Er hat sich dabei darauf beziehen können, daß die Erklärung der Regierung von Pankow auch von den damaligen Hochkommissaren der drei Westmächte abgelehnt worden sei und hat diese Stellungnahme der Hochkommissare ausdrücklich zur Kenntnis genommen und begrüßt. Die Entschließung des Bundestages endet mit einem Hinweis auf die Atlantic-Charter und die Aufforderung an die freien Völker, in ihrem Geist „für eine Friedensordnung einzutreten, in der die natürlichen Rechte auch der Deutschen gewahrt sind“

Damit erhebt sich die Frage, inwieweit sich aus der Atlantic-Charter rechtliche Gesichtspunkte für die Beurteilung der Austreibungsfrage gewinnen lassen und inwieweit diese Gesichtspunkte den hauptbeteiligten Staaten — der Tschechoslowakei, den beiden angelsächsischen Mächten und der Sowjetunion — entgegengehalten werden können. In Betracht kommt Punkt VI der Atlantik-Charter. Darin wird die Hoffnung auf einen Frieden ausgesprochen, der u. a. allen Ländern und allen Einzel-menschen Gewähr biete, ihr Leben frei von Furcht oder Not führen zu können. Massenaustreibungen schaffen beides, verstoßen also gegen diesen Grundsatz. Die Zwangsaussiedlung der Sudetendeutschen wäre also als — unter diesem Gesichtspunkt — rechtswidrig anzusehen, wenn es sich bei dieser Bestimmung um eine rechtliche, d. h. rechtsgültige und daher rechtsverbindliche Regel handeln würde. Es ist daher zu prüfen, ob die Atlantic-Charter ins geltende Völkerrecht eingegangen ist — zumindest, soweit die oben genannten, an der Sudetenaustreibung beteiligten Staaten in Betracht kommen.

In der Tat hat die tschechoslowakische Exilregierung bereits am 29. August 1941 der britischen Regierung ihre Übereinstimmung mit dem Inhalt der Roosevelt-Churchill-Erklärung vom 14. August „sowie mit den daraus zu ziehenden politischen und wirtschaftlichen Folgerungen“ notifiziert In der Sitzung des Interalliierten Rates, der am 24. September 1941 im St. James Palast in London stattfand, gaben die Tschechoslowakei und Polen eine gemeinsame Zustimmungserklärung ab und unterzeichneten gemeinsam mit den, damals gegen die Antikomintern-Mächte im Kriegszustand befindlichen Staaten — u. a.der Sowjetunion und den freien Franzosen — eine diesbezügliche Erklärung, in der u. a. gesagt war, daß die betreffenden Regierungen ihre Zustimmung zu den allgemeinen, in der Atlantic-Charter enthaltenen politischen Grundsätzen sowie ihre Absicht erklären, nach besten Kräften an ihrer Verwirklichung mitarbeiten zu wollen Damit war auch nach tschechischer Ansicht eine positivrechtliche Verpflichtung internationaler Art entstanden; dieser Meinung ist beizupflichten Diese Verpflichtung bindet sämtliche vorerwähnten Staaten gegenseitig.

Die Frage ist, ob Deutschland sich hierauf zugunsten der Vertriebenen aus dem Sudetengebiet berufen kann. Ursprünglich gedachte man diese Möglichkeit ausdrücklich auszuschließen, obwohl dies dem ausdrücklichen Wortlaut des Punkts IV der Atlantic-Charter widerstreitet. Dort ist davon die Rede, daß die Teilnahme am Welthandel und der Zutritt zu den Rohstofflagern der Erde allen Staaten, u. zw. gleichgültig ob groß oder klein, Sieger oder Besiegte, zu gleichen Bedingungen und soweit für ihr wirtschaftliches Gedeihen erforderlich, offen stehen solle. Wird also hierdurch — zumindest mittelbar —das wirtschaftliche Gedeihen auch der Besiegten gewährleistet, so kann nicht behauptet werden, daß die Zusicherung eines wesentlichen Postulats aus Punkt VI, nämlich die Freiheit von Not, den gleichen Staaten verwehrt werden könne: denn man kann zwischen den Begriffen „wirtschaftliches Gedeihen“ und „Freiheit von Not“ höchstens insoweit einen Unterschied behaupten, als dieser weiter geht als jener; ist aber jener ausdrücklich auch für den Besiegten gewährleistet, so muß nach dem Grundsatz, daß das Wenige in Vielem enthalten ist, den Besiegten auch der zuletzt erwähnte Grundsatz in seiner Geltungskraft für sie sicher sein. M. a. W.: wird den Besiegten „wirtschaftliches Gedeihen“ gewährleistet, so kann man ihnen „Freiheit von Not“ nicht verwehren. Weiter: ist auf diese Weise ein Teil des Punkts VI der Antlantic-Charter für die Geltung auch zugunsten der Besiegten nachgewiesen, so wird es — vor allem im Hinblick darauf, daß die Atlantic-Charter Ausdruck einer in sich einheitlichen Gesinnung schwer fallen, hier oder an einer anderen Stelle eine juristisch exakte Grenzlinie zwischen den Bestimmungen zu ziehen, für die sich die Nichtgeltung zugunsten der Besiegten nachweisen läßt, und denjenigen Bestimmungen, für welche das Gegenteil angenommen werden müßte. Es ergibt sich also sowohl aus dem Wortlaut wie auch aus dem Sinngehalt der Atlantic-Charter, daß sie auch zugunsten der Besiegten, also auch zugunsten Deutschlands gelten muß.

Gleichwohl — die Erklärungen, die Churchill am 22. Februar 1944 und Eden am 29. September 1944 im Unterhaus sowie Präsident Truman am 27. Oktober 1945 in Washington abgaben, waren eindeutig; die Erfüllung der in der Atlantic-Charter enthaltenen Versprechen sollten zugunsten Deutschlands nicht gefordert werden können. Hierin lag — was an dieser Stelle nicht näher ausgeführt werden kann — das Wesen dessen, was die bedingungslose Waffenstreckung („unconditional surrender") juristisch bedeutete Es scheint jedoch, daß man neuerdings zumindest von Seiten der beiden angelsächsischen Weltmächte an dieser Auslegung nicht mehr festhält, und die sog. „PotomacCharter“ (gemeinsame Erklärung Churchills und Eisenhowers) vom 29. Juni 1954 und die von Eisenhower und Sir Anthony Eden unterzeichnete Washingtoner Erklärung vom 2. Februar 1956 enthalten keinen diesbezüglichen Vorbehalt mehr. Daraus ist zu folgern, daß die Ausschließung Deutschlands vom Genuß der Bestimmungen der Atlantic-Charter seitens Großbritanniens und der Vereinigten Staaten von Nordamerika nicht mehr aufrechterhalten wird, und daß Deutsch-land sich also auf diese Bestimmungen zu dem Zweck berufen kann, die Unrechtmäßigkeit der Austreibung der Sudetendeutschen nachzuweisen.

Die Atlantik-Charter ist indes keineswegs die einzige Völkerrechtsquelle, die zum Nachweis der Rechtswidrigkeit der Massenzwangsaussiedlungen herangezogen werden kann. Man denke an die Haager Landeskriegsordnung und den gerade für Deutschland und die Deutschen wichtigen Präzedenzfall der Arbeiterdeportationen aus Belgien im Jahre 1916 der im Art. 49 des Genfer Abkommens über den Schutz der Zivilpersonen in Kriegszeiten vom 12. August 1949 seinen positivrechtlichen Niederschlag gefunden hat. Es wäre falsch, in dieser Vorschrift, die „zwangweise Einzel-oder Massenumsiedlungen . . . aus besetztem Gebiet nach dem Gebiet der Besatzungsmacht oder dem Gebiet irgend eines anderen besetzten ... Staates .. . ohne Rücksicht auf deren Beweggrund untersagt“, eine völkerrechtliche Neuerung zu sehen, die für das diplomatische und militärische Verhalten der Unterzeichnerstaaten für die Zeit v o r Ratifikation des Abkommens -die sowohl seitens der Tschechoslowakei wie auch seitens der Sowjetunion im Dezember 1949 stattgefunden hat — juristisch bedeutungslos wäre.

Man muß sich nämlich vor Augen halten, daß die Haager Landkriegsordnung selbst und der aus ihr deduzierte Präzedenzfall von 1916 insoweit eine völkerrechtshistorische Vorgeschichte haben, die ganz sicher bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts — wenn nicht noch weiter — zurückreicht; jedenfalls kann man bereits an dem entschiedenen Wider-stand nicht nur der Betroffenen, sondern auch der Zeitgenossen (und insbesondere auch der römischen Kurie) gegen den Art. 16 des spanischportugisischen Pombal-Vertrages von 1750 (der als eine Art Vorgänger zu den Austreibungsbestimmungen des Potsdamer Protokolls angesehen werden kann) ermessen, daß der Grundsatz der Unantastbarkeit des angestammten oder wohlerworbenen Wohnsitzes— auch (und gerade!) angesichts einer militärischen Besetzung oder eines Wechsels der Gebietshoheit — im Rechtsempfinden der westeuropäisch-christlich orientierten Kulturvölker seit langer Zeit fest verwurzelt ist und auch in mannigfachen internationalen Akten und Instrumenten positiv-rechtlichen Ausdruck gefunden hat.

Damit ist die Rechtslage unserer Frage kurz gekennzeichnet. Die Zwangsaussiedlung der Sudetendeutschen ist also sowohl nach innerstaatlichem tschechoslowakischem Recht wie auch nach Völkerrecht unzulässig gewesen. Dieser Mangel könnte nur geheilt werden, wenn sich die Mehrheit der Vertriebenen mit ihrer Zwangsaussiedlung nachträglich einverstanden erklären, d. h. auf ihren Rechtsanspruch verzichten würde — wobei auf die Frage der Wiedergutmachung finanzieller und ideeller Schäden nicht eingegangen werden soll. Diese Erörterung erübrigt sich, weil ein solcher Verzicht bisher nicht vorliegt. Insbesondere kann die von Seiten der Provisorischen Regierung der Deutschen Demokratischen Republik in Prag abgegebene Deklaration nicht als solcher gewertet werden, weil sich auf dem Boden des mitteldeutschen Staatswesens nur eine Minderheit der sudetendeutschen Vertriebenen befindet und überdies nicht nachgewiesen ist, daß die Provisorische Regierung wenigstens von diesen Menschen ermächtigt worden wäre, in ihrem Namen eine solche Erklärung abzugeben. Selbst wenn aber eine solche Ermächtigung vorläge, hätte dies an der Rechtslage und an der mangelnden Vertretungsbefugnis dieser Regierung nichts ändern können.

Eine solche Verzichterklärung ist bisher aber auch seitens der Mehrheit der Sudetendeutschen, die in Westdeutschland Aufnahme gefunden haben, nicht ergangen. Sie allein könnte die Legalisierung der Zwangsaussiedlung bedeuten. Die Antwort auf die Frage, ob eine solche Erklärung seitens der sudetendeutschen Volksgruppe abgegeben werden soll, hat Ihering mit dem Kernsatz seiner Lehre — „Dulde kein Unrecht!“ — gegeben.

Ist das Sudetendeutschtum daher nicht bereit, auf sein Heimatrecht zu verzichten, so muß Klarheit darüber gewonnen werden, in welcher rechtsgültigen Form diese Weigerung zu erklären ist. Die Sudetendeutschen sind deutsche Staatsangehörige, was insbesondere auch von alliierter Seite ausdrücklich anerkannt worden ist AIs solche werden sie von der Deutschen Bundesregierung rechtsgültig vertreten. Diese hat sich den Rechtsanspruch der Sudetendeutschen auf Rückkehr in ihre angestammte Heimat zu Eigen gemacht. Sie hat dies zuletzt in ihrer Erklärung v. 28. Juni 1956 vor dem Bundestag bekräftigt und dabei ausgeführt, daß sie „das Recht auf die Heimat und das Selbstbestimmungsrecht (als) unabdingbare Voraussetzung für die Lösung des

Schicksals der in der Vertreibung oder in der Unfreiheit lebenden Menschen und Völker betrachte" Am 28. September 1956 hat Staatssekretär Prof. Dr. Hallstein diesen Rechtsanspruch der Vertriebenen auf Rückkehr in die angestammte Heimat ebenso zutreffend wie präzise nicht nur mit der Atlantik Charter, sondern ebenso mit der Satzung der Vereinten Nationen, der Allgemeinen Erklärung über die Menschenrechte v. 10. Dezember 1948 und der europäischen Menschenrechtskonvention v. 4. November 19 50 samt ihrem Zusatzprotokoll v. 26. März 19 52 verknüpft .

Damit ist die Forderung erfüllt, die der Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Dr. Lodgman, in seiner Rede v. 24. Mai 19 5 3 auf dem Sudetendeutschen Tag in Frankfurt M. aufgestellt hat 52) — die deutsche Bundesregierung hat den Rechtsanspruch der Vertriebenen auf Rückkehr in ihre Heimat zum Bestandteil ihrer Politik gemacht und ihn damit als ihren eigenen übernommen — so, wie dies übrigens auch bereits aus der Erklärung des Bundeskanzlers v. 3. April 19 5 5 hervorgeht

„Internationaler Moralkodex"

Welche rechtlichen Folgen hat die Stellungnahme der Bundesregierung? Völkerrechtlich betrachtet, stellt sie sich als namens der sudetendeutschen Volksgruppe abgegebener Protest gegen den gewaltsamen Entzug ihres Heimatrechts dar. Ein Protest hat den Sinn und normalerweise auch die Wirkung, daß der durch ihn angefochtene Zustand, soweit die Beziehung zwischen protestierendem Staat und dem Staat, gegen dessen Maßnahmen protestiert wird, in Betracht kommen, nicht rechtskräftig zu werden vermag. Vielmehr gibt der protestierende Staat zu erkennen, daß er sich vorbehält, sein Recht zur gegebenen Zeit und in der ihm zweckmäßig erscheinenden Form geltend zu machen d. h. in geeigneter Weise auf die Beseitigung des von ihm als völkerrechtswidrig angesehenen Zustands hinzuwirken. Die praktische Wirkung eines Protestes wird — sehr oft mit Unrecht — gering eingeschätzt. Sie liegt darin, daß sie den Staat, gegen den der Protest sich richtet, hinsichtlich des angefochtenen Zustandes zu besonderen Maßnahmen — wirtschaftlicher, politischer Art u. dgl. — zwingt, die dazu dienen sollen, sich den Besitz der angefochtenen Rechtsstellung zu sichern. Darin liegt normalerweise — und, wenn es sich (wie im vorliegenden Fall) um Gebietsfragen handelt, immer — ein Nachteil für diesen Staat. Es ist allerdings richtig, daß sich dieser Nachteil nicht immer in einen unmittelbaren Vorteil für seinen Gegner, den protestierenden Staat (im vorliegenden Fall also die Bundesrepublik und das Sudetendeutschtum) umsetzt, doch soll das nicht hindern, die rechtliche Lage unvoreingenommen und nüchtern einzuschätzen.

Die Nachteile, die sich für die derzeitige tschechoslowakische Regierung aus der Tatsache des seitens der Bundesrepublik nunmehr seit 1950 unverändert und ununterbrochen aufrechterhaltenen Protestes gegen die Austreibung der Sudetendeutschen ergeben, sind in doppelter Hinsicht festzustellen. Einmal scheint nicht zweifelhaft, daß die Besiedlung des Sudetengebietes mit nichtdeutschen Elementen (wolhynischen und innerböhmischen sowie mährischen Tschechen, Slowaken, Zigeunern usw.) nach wie vor zu wünschen übrig läßt; noch im April 195 5 verlangte die kommunistische Partei der Tschechoslowakei in einer ihrer Thesen zum 1. Mai und zum zehnten Jahrestag „der Befreiung unseres Vaterlandes durch die Sowjetarmee" ausdrücklich die „endliche Vollbesiedlung des Grenzgebietes“ (doosdlen pohranici) als Mittel zur Kräftigung der militärischen Widerstandskraft des Staates Der Mißerfolg der Besiedlungsbemühungen im Sudetengebiet kann nicht ausschließlich auf rein bevölkerungsquantitative Gründe zurückzuführen sein — obwohl diese Ursache sicher eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt —, sondern er muß nicht zuletzt auch im inneren Widerstreben der Neusiedler wurzeln, sich in den ihnen zugewiesenenGebieten trotz der mannigfachen, ihnen vom Staat in vielen Fällen geradezu aufgedrängten Vorteile ständig und endgültig seßhaft zu machen. Wir erfahren von diesen Schwierigkeiten aus vorsichtig dosierten Geständnissen und Beschwerden sowie immer neuen Anregungen in der tschechischen Fachpresse Dieses Widerstreben spricht noch immer für ein waches Rechtsbewußtsein dieser, von der Staatsmacht in eine, ihnen fremde Umgebung, hineingeschobenen Menschen, die sich scheuen, ein Land für sich selbst als „Heimat“ zu nehmen, daß rechtmäßigerweise die Heimat anderer ist. Diese Empfindung wird nicht in allen Fällen deutlich sein oder gar ausgesprochen werden — obwohl auch, wie nicht anders möglich, auch das vorkommen soll —: sie ist indes vorhanden, den kommunistischen Machthabern sicherlich hinderlich und zumindest mittelbar auf den deutschen Protest zurückzuführen.

Eine weitere Folge dieses Protests ist, daß die Tschechoslowakei zunächst nicht damit rechnen kann, die Diskussion über die Frage der Austreibung — wenn auch zu einem späteren, vorläufig unbestimmten Zeitpunkt — vermeiden zu können. Damit aber wird die derzeitige Regierung gezwungen, nach Begründungen und Rechtfertigungen für diese Maßnahmen Ausschau zu halten, die sie im gegebenen Augenblick denjenigen Mächten entgegnen könnte, welche die Rechtmäßigkeit der Austreibung bestreiten. Zu diesen Mächten gehört nicht nur die Bundesrepublik, sondern — wie aus der oben erwähnten Entschließung des Bundestages hervorgeht — auch Frankreich, Großbritannien und die Vereinigten Staaten von Nordamerika.

Die Aufgabe, die sich damit der tschechoslowakischen Politik stellt, ist nicht leicht; sie darf auch nicht leicht genommen werden, denn — wie man wird zugeben müssen, ob man will oder nicht — die Zeiten der schrankenlosen Souveränität des modernen Staates, welcher der LImwelt für die von ihm getroffenen Maßnahmen und die politischen Machtentscheidungen seiner Organe schlechterdings keinerlei juristische Rechenschaft (abgesehen von der Nemesis in Gestalt der Machtpolitik seitens der durch diese Maßnahme in Mitleidenschaft gezogenen Umwelt) schuldig war, ist vorbei und es ist nicht anzunehmen, daß sie wiederkommt. In einer Rede auf der 50. Jahrestagung der Amerikanischen Gesellschaft für Völkerrecht hat John Foster Dulles am 20. April 1956 u. a. darauf hingewiesen, daß heute selbst die mächtigsten Staaten bestrebt sind, ihr Verhalten als im Einklang mit der „Weltmeinung“ befindlich darzustellen, und er hat den Begriff „Weltmeinung" nicht etwa als eine bloß theoretisch-ideologische Überzeugung gefaßt, sondern als „eine Art von internationalem Moralkodex“ bezeichnet, der mit dem Gemeinen Recht („Common Law“) der englisch sprechenden Kulturwelt vergleichbar sei Denselben Vergleich braucht z. B.

auch das Urteil des amerikanischen Nürnberg-Gerichts v. 4. Dezember 1947 im sog. „Juristenprozeß“ Das Wesen des englischen Gemeinrechts ist für den kontinentalen Europäer nicht leicht zu begreifen — man kommt ihm indes recht nahe, wenn man es in Anlehnung an Iherings Beschreibung der Wirkungen des klassischen römischen Rechts auf deutschem Boden definiert als „still wirkende Kraft der Wahrheit“, aus der sich „die Macht der Überzeugung (bildet), der sich die Gemüter erschließen und der sie durch ihr Handeln Ausdruck geben“ Das gemeine Recht des englischsprechenden Kulturkreises ist eine geistige und geschichtliche Macht — unter Berufung auf seine Normen haben sich die dreizehn Neuenglandstaaten von der britischen Krone losgesagt, weil diese nicht bereit war, die von den damaligen amerikanischen Führern formulierten gemeinrechtlichen Regeln (Besteuerung, Gerichts-und Heerwesen, Gewaltenteilung usw.) unverletzt aufrechtzuerhalten. So spricht z. B. die Entschließung Nr. 5 der „Erklärung über die Rechte und Beschwerden der Kolonien“, die der zu Philadelphia tagende „Kontinental-Kongreß“ am 1. Oktober 1774 verabschiedete, ausdrücklich von dem „Recht der Kolonien auf Englands Gemeinrecht“, und insbesondere auf die unveränderte Aufrechterhaltung der überlieferten schwurgerichtliehen Verfassung Der gemeinrechtliche Gedanke stellt also eine der Wurzeln der heutigen Weltmacht USA dar.

Nun berufen sich, wie bereits erwähnt, die derzeitigen tschechischen Machthaber und ihre sowjetdeutschen Partner darauf, daß die Austreibung der Sudetendeutschen aus ihrer Heimat „unabänderlich und endgültig“ sei. Und gerade in diesem Zusammenhang muß hervorgehoben werden, daß John Foster Dulles trotz großer rechtspolitischer Vorsicht, von der sein Vortrag im übrigen Zeugnis ablegt, dennoch eine Regel des — wenn man es so nennen will — „Gemeinen Völkerrechts der Gegenwart“ erwähnt, die nach seiner Meinung heute als feststehend betrachtet werden kann. Diese Regel lautet: Es gibt keine Gewähr gegen den Wandel politischer Machtlagen, soweit dieser Wandel auf Grund vorhandenen und unverfälscht zur Geltung gelangenden Volkswillens in friedlicher Form angestrebt wird — obwohl man sich keiner Täuschung über den „verbissenen Widerstand“ hingeben dürfe, der dem „moralischen (!) Druck“, der sich zugunsten eines solchen Wandels bemerkbar mache, im unfreien Teil der Welt noch stets geleistet werde

Die Frage ist nun, ob die unfreie Welt einem solchen moralischen Druck, der den Geist des in Bildung begriffenen Gemeinrechts der Völkerrechtsgemeinschaft für sich hat, auf die Dauer standzuhalten in der Lage ist. Es ist nicht Sache des Verfassers dieser Zeilen, hierüber eine politische Prognose zu wagen. Eines ist aber vom rein rechtlichen Standpunkt klar und nachdrücklich auszusprechen: diese Frage ist heute durch die Berufung auf die physisch-militärische Macht und den Begriff der Souveränität allein, d. h. ohne jede Rücksicht auf rechtliche Erwägungen, nicht mehr zu lösen. Die völkerrechtsgeschichtliche Entwicklung seit dem ersten Weltkrieg — man denke an die drei Marksteine:

Kelloggpakt, Stimson-Doktrin, Lösung der militärischen Suez-und Sinai-Frage zu Ende 1956 — läßt sich nicht mehr ungeschehen machen.

Dazu kommt noch etwas. Wenn wir richtig unterrichtet sind geht auch die Entwicklung der sowjetischen Völkerrechtswissenschaft in letzter Zeit in steigendem Maß in Richtung auf Anerkennung des außervertraglichen, also der Willenseinwirkung und Zustimmung der Sowjetregierung nicht unmittelbar unterworfenen Völkerrechts. Das hat nichts mit der wirklichen — oder vermeintlichen — „Entstalinisierung“ zu tun, sondern ist das unausweichliche Ergebnis einer Entwicklung, die zu so vielfältigen, insbesondere wirtschaftlichen internationalen Kontakten zwischen der Sowjetunion und der freien Welt geführt hat, daß das geschriebene Vertragsrecht in jedem einzelnen internationalen Fall nicht mehr ausreicht. Wohl legt man nach wie vor Wert auf die Feststellung, es gebe keine dem Staatsleben übergeordnete „abstrakte Norm“ und insonderheit keinen selbständig-rechtsschöpferisch wirkenden „Weltgeist“ — aber man muß sich andererseits damit abfinden, daß das Völkerrecht (und zwar auch das für die Sowjetunion verbindliche Völkerrecht!) aus den „materiellen, ökonomischen Bedingungen“ der Welt sowohl innerhalb, wie auch außerhalb des sowjetischen Machtbereichs und damit auch aus den „materiellen Lebensbedingungen der außerhalb des Friedensblocks herrschenden Klassen“ entstanden ist und entsteht Aber das ist ein Spiel mit Worten; es wird zugegeben, daß aus der Welt, in die hinein die Sowjetunion zu wirken strebt, weil sie sich innerhalb dieser Welt materiell und ideologisch durchzusetzen trachtet, ein rechtlicher Wille ihr entgegenwirkt, der nicht der ihre ist, und dem sie sich nicht gänzlich zu entziehen vermag. Diese Erkenntnis allein ist wesentlich — die Sowjetwissenschaft konnte nicht umhin, sie auszusprechen.

Angesichts dessen haben die sowjetischen Machthaber die Wahl, die damit gegebene Entwicklung zu dulden oder aber in dem Bestreben, sich der Einwirkung dieses rechtlichen Willens der nichtsowjetischen Welt gänzlich zu entziehen, in die weitgehende Isolierung der zwanziger Jahre zurückzukehren. Natürlich ist eine solche Rückwendung zur Theorie und Praxis der Ära Lenin-Trotzki-Tschitscherin denkbar. Darauf kommt es im vorliegenden Zusammenhang indes nicht an. Vielmehr geht es — stets ausschließlich rechtlich betrachtet — um die Erkenntnis, daß eine solche Rückwendung unumgänglich wäre, würde die sowjetische Führung mit dem Gedanken Ernst machen wollen, sich der Gewalt des ungeschriebenen Völkerrechts — und nichts anderes ist ja die von Dulles erwähnte Macht der Weltmeinung — zu entziehen. Diese-Erkenntnis kann gerade dem deutschen Betrachter nicht schwer fallen — denn an dieser Problematik ist ja letzten Endes auch die Völkerrechtspolitik des nationalsozialistischen Deutschen Reiches gescheitert.

Was im Vorstehenden über das sowjetische Völkerrechtsdenken und die darauf fußende Völkerrechtspraxis gesagt worden ist, gilt auch für die Tschechoslowakei, die ja eigenständiger außenpolitischer Entscheidungen ebensowenig fähig ist wie irgend ein anderer Staat der unfreien Welt. Daraus ergibt sich, für unsere Frage zusammengefaßt, Folgendes: 1. Die Bundesrepublik hat sich das heimatrechtliche Anliegen ihrer Staatsbürger sudetendeutscher Herkunft zu eigen gemacht und hat durch ihre zuständigen Organe (Bundestag, Bundesregierung) gegen die Austreibung protestiert.

2. Das sog. „Prager Abkommen“, das dazu bestimmt war, die Austreibung in den Augen der Tschechoslowakei und der Weltöffentlichkeit zu legalisieren, ist auch von den drei führenden Westmächten (Großbritannien, Frankreich, LISA) abgelehnt worden.

3. Dieser Sachverhalt ist für die Tschechoslowakei insoweit nachteilig, als a) die Besiedlung des Sudetengebietes mit Nichtdeutschen sich nur zögernd vollzieht und b) die Tschechoslowakei damit zu rechnen hat, von neuem in eine Erörterung über die Sudetenfrage eintreten zu müssen, wobei lediglich der Zeitpunkt hierfür unbestimmt ist. 4. Die Teilnehmer an dieser zukünftigen Erörterung werden — wer immer sie sind — sich nicht über den, zur Zeit rechtssätzliche Kraft gewinnenden Gedanken hinwegsetzen können, daß die Austreibung als durch mechanisch-militärische Gewalt herbeigeführter Zustand entgegen dem in friedlicher Form geltend gemachten Willen der rechtmäßig ansässigen Bevölkerung (bzw. ihres verfassungsgesetzlichen Vertreters, der Bundesrepublik) nicht aufrechterhalten werden kann.

Die Aufgabe und der Sinn des sudetendeutschen Rechtskampfes liegt darin, dafür zu sorgen, daß der rechtliche Grundtatbestand der vorstehend gekennzeichneten Sachlage — der Protest der deutschen Bundesrepublik (Pkt. l) bzw. die Ablehnung der Regierungen der Westmächte (Pkt. 2) — auch für die Zukunft bestehen bleibt. Soweit und solange dies der Fall ist, bleibt die sich hieraus ergebende, für die Tschechoslowakei nachteilige Rechtsfolge (Pkt. 3) gewahrt und kann der dem sudetendeutschen Selbstbestimmungsrecht gürs. ge Rechtsgrundsatz, wie oben in Pkt. 4 umschrieben, zur gegebenen Zeit zur Geltung gebracht werden. Dieses Anliegen ist seiner juristischen Struktur — wenn auch nicht dem Inhalt und der Zielrichtung — nach das gleiche wie dasjenige hinsichtlich der entfremdeten Oder-Neiße-Gebiete; hier wie dort kommt es darauf an, mittels eines formgerechten völkerrechtlichen Protestes einen Rechtsanspruch zu wahren

Vom sudetendeutschen Standpunkt entscheidend ist daher, den Protest gegen die Austreibung nicht still werden und weder bei Freund noch bei Feind Zweifel darüber aufkommen zu lassen, daß die Volksgruppe nicht gewillt ist, sich mit ihrem Vertriebenenschicksal abzufinden, sondern fortfahren wird, die friedliche Revision des jetzigen Zustandes in ihrer Heimat zu fordern. „Das Ziel des Rechtes ist der Friede, das Mittel dazu ist der Kampf“.

Die Verlockung der Koexistenz

Skeptiker und Ungeduldige werden dem Juristen vorwerfen, daß er damit nur sehr wenig gebe. Diesen Vorwurf muß er sich gefallen lassen und kann kaum Besseres tun als den Kritikern ein Wort Masaryks entgegenzuhalten:

„Durch Lärtu und Toben erreichen wir ja nichts, sondern nur durch stilles, treues, aufrid-itiges und beständiges Streben, das sich weder durch Lockungen ablenken, noch durch Greuel abschrecken läßt"

Was Masaryk dabei „Greuel“ nannte, hat das Sudetendeutschtum in einer Form und in einem Ausmaß erlebt, von dem sich der erste Präsident der tschechoslowakischen Republik wohl niemals eine Vorstellung machen konnte. Wie aber steht es mit der anderen Gefahr?

Die große „Verlockung“, die sich gegenüber dem Rechtsanspruch der Vertriebenen erhebt, ist die Verlockung der Koexistenz. Die Sowjetunion hat für diesen Begriff eine juristische Formel gefunden Diese Formel besteht in den sog. „Fünf Grundsätzen der friedlichen Koexistenz“, die, kurz gefaßt, folgendermaßen lauten: (l) gegenseitige Respektierung der staatlichen Unabhängigkeit und der bestehenden Grenzen, (2) gegenseitige Nichteinmischung in die Innenpolitik des Partners, (3) Verzicht auf Aggression, (4) Anerkennung der gegenseitigen Gleichberechtigung und (5) friedliche Koexistenz Nachdem diese Grundsätze auf internationalem Feld zum ersten Mal in einer (rot-) chinesisch-indischen Erklärung vom Juni 1954 aufgetaucht sind ° 6, wurden sie von sowjetischer Seite ausgenommen und seither zunächst in der Erklärung vom 26. Juni 195 5 in Belgrad, später in weiteren Erklärungen verwendet, die mit Burma, Indien und Afghanistan, zuletzt am 26. April 1956 mit Großbritannien ° ausgetauscht worden sind.

Bei näherer Betrachtung der fünf Grundsätze stellt sich heraus, daß sie juristisch ungleiche Kategorien umfassen. Die ersten vier Grundsätze — Nichtantastung der fremden Grenzen, Unterlassung von Angriffen; Gleichberechtigungsgrundsatz; Nichteinmischung — umschreiben ein bestimmtes Verhalten der beteiligten Staaten gegeneinander, während der fünfte Grundsatz auf einen Zustand („friedliche Koexistenz“) zielt, der durch das, den übrigen Grundsätzen entsprechende Verhalten herbeigeführt werden soll. Handelt einer der beiden Partner irgend einem der ersten vier Grundsätze entgegen — gleichgültig, welchem —, so ist „friedliche Koexistenz“ insoweit nicht gegeben. Punkt 5 bezeichnet daher nichts weiter als die logisch-politische Folge staatlichen Handelns, das sich nach den Regeln 1— 4 richten soll und er entfällt daher, sobald auch nur eine dieser Regeln nicht beachtet wird. Die Forderung nach „friedlicher Koexistenz“ hat daher für sich allein kein rechtliches Gewicht; als juristisch greifbare Rechte und Pflichten, die sich eindeutig umschreiben lassen, kommen nur die Regeln 1— 4 in Betracht.

Sieht man näher zu, so ergibt sich auch hier eine juristische Gruppierung. Der Grundsatz der Gleichberechtigung (Pkt. 4) ist — wenn man es so ausdrücken kann -verfahrensmäßiger Natur, während die Regeln 1— 3 das völkerrechtliche (Unabhängigkeit, Grenzen) und staatsrechtliche Dasein (innere Ordnung) der Partner betreffen. Was nun den Grundsatz der Gleichberechtigung betrifft, so gewinnt er seinen Sinn aus dem Gegensatz zur ungerechtfertigten machtmäßigen Beeinflussung, zum Diktat. Die gebietsmäßige Größe, die Volkszahl und die wirtschaftliche Kraft der Staaten und daher notwendigerweise ihre Machtmittel können niemals gleich sein, aber diese faktische Ungleichheit darf nicht zur Minderberechtigung des Schwachen gegenüber dem Starken führen. Das ist der exakt-juristische Sinn des Ausdrucks „Gleichberechtigung“, und diesen Sinn hat als erster wohl Woodrow Wilson klar erkannt und deutlich ausgesprochen So betrachtet, enthält der Gleichheitsgrundsatz in erster Linie eine Pflicht der starken Staaten gegenüber den schwächeren Nachbarn: nämlich, sich von diesem Mißverhältnis der Macht nicht zu Ungunsten der Schwachen verführen zu lassen.

Von diesem Gesichtspunkt aus erhält man zugleich einen wichtigen Hinweis auf den rechtlichen Gehalt der anderen drei Regeln. Wie bereits angedeutet, betreffen sie das staatliche Dasein eines Gemeinwesens und seine innere Ordnung schlechtweg; sie sollen die Partner gegenseitig davor schützen, daß ihre völkerrechtliche Existenz oder das Gefüge ihrer Verfassungsordnung widerrechtlich angegriffen wird. Nun ist offenkundig, daß der Schwache garnicht die Möglichkeit hat, das Dasein des Mächtigen in dieser Weise herauszufordern oder gar anzutasten — wohl aber besteht diese Möglichkeit seitens des Mächtigen dem Schwa-chen gegenüber. Werden also völkerrechtliche Enthaltungspflichten dieser Art festgelegt (Nichtangriff, Nichteinmischung usw.), so richten sich auch diese in erster Linie gegen die Kräfte der Verführung, welche die Entschließung der maßgebenden Politiker starker Staaten beeinflussen könnten.

Indes ist an dieser Stelle noch ein anderer Hinweis am Platze. Die zuletzt erwähnten Punkte 1— 3 umschreiben Enthaltungspflichten, d. h. Verpflichtungen, einen bestehenden Zustand durch eigenes Verhalten nicht zu ändern. „Eigenes Verhalten“ eines Staates gegenüber einem anderen Staat sind völkerrechtlich faßbare Akte oder Maßnahmen der Regierung oder anderer Organe eines Staates gegenüber Organen, Bürgern, Werten oder dem Gebiet eines anderen Staats. Werden nun die Organe des Staates A verpflichtet, sich jeder Maßnahme zu enthalten, die auf Organe, Bürger, Werte oder das Gebiet des Staates B einwirken und dadurch den zwischen beiden Staaten bestehenden Zustand verändern könnte, so gewinnt dieser Zustand, dem zur Handlungsenthaltsamkeit verpflichteten Staat A gegenüber den Charakter einer Rechtslage — denn nur dann, wenn ein Zustand rechtmäßig ist, kann von der Pflicht gesprochen werden, ihn nicht anzutasten —, und er gewinnt diesen Charakter ohne Rücksicht darauf, auf Grund welcher Motive und durch welche Mittel er herbeigeführt wurde.

Das Versprechen, die drei vorerwähnten Koexistenz-Regeln beobachten zu wollen, enthält daher das rechtliche Anerkenntnis des zwischen zwei Staaten bestehenden Zustandes als eines rechtmäßigen und dieses Rechtsanerkenntnis wird an keine Voraussetzung gebunden, ja, es darf — dem Sinngehalt dieser Regeln gemäß — mit keiner Voraussetzung oder Bedingung verknüpft werden. Eine Machtlage, die vorhanden ist, wird — wie immer sie entstanden sein mag — als rechtmäßig und dadurch als unabänderlich anerkannt. Das ist der Sinn dieser Regeln, wenn man sie ihres jouralistisch-diplomatischen Beiwerks entkleidet und auf ihren juristischen Kern zurückführt.

Weiter: Da dieses Anerkenntnis gemäß der — ebenfalls bereits erwähnten — Regel 4 auf dem Fuß der Gleichberechtigung erfolgt, so folgt daraus, daß beide Paitner durch ihre Erklärung gegenseitig in gleicher Weise gebunden, also berechtigt und verpflichtet werden. Das bedeutet, daß dieses Anerkenntnis als von beiden Beteiligten in gleicher Weise ausgesprochen gilt. Ein Staat, der mit einem anderen Staat Koexistenz-Erklärungen austauscht, empfängt und gibt damit das ausdrückliche und für ihn rechtsverbindliche Anerkenntnis, daß er selbst bzw.der andere Staat 1) unabhängig ist, 2) rechtmäßige Grenzen und 3) eine rechtmäßige, d. h. auf rechtlich einwandfreie Weise zustande-gekommene innere Ordnung besitzt.

Die juristische Tragweite dieser Schlußfolgerung wird deutlich, wenn man prüft, welche Staaten bisher diese Koexistenz-Erklärungen ausgetauscht haben. Der erste derartige Erklärungsaustausch ist, wie erwähnt, zwischen Indien und (Rot) -China erfolgt. Zwischen diesen Staaten hatte es bis dahin niemals Grenzfragen gegeben, noch hatte es sie geben können, weil sie damals (1954) noch keine gemeinsame Grenze hatten.

(Heute, nach der Besetzung Tibets durch die Rotchinesen, ist das anders geworden.) Die Verfassung beider Staaten leitete sich von einem Macht-Umschwung her. Dieser Machtumschwung war im indischen Fall in Form eines vertraglichen Übereinkommens mit Großbritannien, im (rot) chinesischen Fall durch eine (bolschewistische) Revolution erfolgt.

Diese Vorgänge können rechtlich nicht mit dem gleichen Urteil bedacht werden, weil der aus dem jeweiligen Machtumschwung entstandene Verfassungszustand in beiden Fällen verschieden ist. (Indien ist ein Rechtsstaat geblieben, Rotchina hingegen nicht.) Dennoch bestand auf beiden Seiten das gleiche, politisch nicht unbegreifliche Bestreben, diesen Verfassungszustand nach außen abzusichern, d. h. die Umwelt — soweit als möglich — zu verpflichten, auf seine Entwicklung und Konsolidierung keinen nachteiligen Einfluß zu nehmen. In dieser Hinsicht kam im vorliegenden Fall erleichternd hinzu, daß die Frage der gegenseitigen Einmischung in die inneren Verhältnisse des anderen Staates zwischen Indien und China bisher noch niemals eine Rolle gespielt hatte. Wurden nunmehr diese Koexistenz-Erklärungen ausgetauscht, so erschien damit die Aufrechterhaltung eines Zustandes gewährleistet, der zwischen beiden Staaten von jeher geherrscht hatte und gegen den keiner der beiden Beteiligten irgend eine, rechtlich begründbare Beschwerde vorbringen kennte. Die „fünf Grundsätze der friedlichen Koexistenz“

wurden also von zwei Staaten als für ihre gegenseitigen Beziehungen maßgebend bekräftigt, zwischen denen — um die oben erwähnte „Prager Erklärung“ zu zitieren — „keine strittigen oder offenen Fragen“ bestanden. Das für den vorliegenden Zusammenhang zwar fernliegende, aber anschauliche und sachlich zutreffende Gegenbeispiel ergibt sich, wenn man die deutsch-französischen Beziehungen zwischen 1871 und 1919 betrachtet. Georges Bonnet, ein in dieser Hinsicht ebenso unbeeinflußter wie sachkundiger Zeuge, erwähnt die dauernden Bemühungen der deutschen Politik des Kaiserreichs, Frankreich zur Anerkennung des Verlusts von Elsaß-Lothringen zu bewegen, und fügt hinzu: „Niemals ist Frankreich dazu bereit gewesen“ Frankreich hätte also von hier aus einer etwaigen deutschen Aufforderung, die „Fünf Grundsätze der friedlichen Koexistenz“ als für die gegenseitigen Beziehungen maßgebend anzuerkennen, entweder überhaupt nicht oder doch nur unter einem entsprechenden Vorbehalt folgen können. Es zeigt sich daher, daß die „friedliche Koexistenz“ im Sinne einer gegenseitigen Anerkennung und Gewährleistung des Status quo zwischen zwei Staaten, d. h. also im Sinne des ausdrücklichen Verzichts auf jede Bemühung, diesen Status quo zu ändern, in dem Fall problematisch ist, wenn dieser Status quo für einen der beiden Teile zu Rechtsbeschwerden, d. h. zu rechtlichen Vorbehalten Anlaß gibt, für die der andere Teil die Verantwortung deshalb zu tragen hat, weil er die tatsächlichen Akte (Grenzänderungen, Einmischungen, Zwangsaussiedlungen usw.) gesetzt hat, auf die sich Beschwerde bzw. Vorbehalt beziehen. Positiv ausgedrückt: Die sowjetischen Koexistenz-Grundsätze umschreiben eine zwischenstaatliche Beziehung, die durch die gegenseitige Gewährleistung einer diplomatischen Statik und der politischen Unantastbarkeit des gebietsmäßigen und verfassungsrechtlichen Status beider Partner gekennzeichnet ist. Diese Zusicherung kann gegenseitig erwartet und verlangt werden, wenn der damit gewährleistete Zustand jedem der beiden Teile rechtlich zumutbar ist.

Das ist kein müßiges Spiel mit Worten und Begriffen. Vielmehr unterscheidet auch die Satzung der Vereinten Nationen — die zufolge ihres Art. 35 Abs. 2 insoweit auch für Nichtmitglieder, wie z. B. Deutschland, von Bedeutung werden kann — zwischen der Lösung internationaler Streitfälle durch friedliche Mittel (Art. 33 Abs. 1: Verhandlungen, Untersuchung, Vermittlung, Vergleich, Schiedsspruch, Urteil eines Gerichts, Erledigung durch ein regionales Organ, ferner „andere friedliche Mittel“ und durch unfriedliche Mittel (Art. 2 Abs. 4: Drohung mit Gewalt oder tatsächlicher Gewaltanwendung). Die erste Lösung ist grundsätzlich erlaubt und vorgesehen; sie ist es, die John Foster Dulles offenbar im Auge gehabt hat, als er davon sprach, daß kein Staat eine Gewähr dafür verlangen oder erhalten könne, daß sein rechtlicher und politischer Besitzstand für alle Zeit unantastbar sei. Vielmehr ist es — so muß man diesen Gedanken ausdrücken, wenn man ihn positiv faßt — das gute Recht eines jeden Staates, für die Änderung eines Zustandes einzutreten, den er als für seine Selbstachtung, Sicherheit oder andere wohlverstandene Interessen nicht zumutbar betrachtet und es ist die Pflicht eines jeden Staates, an der Revision eines solchen völkerrechtlichen Zustandes mitzuwirken, wenn das diesbezügliche Verlangen in friedlicher Form geltend gemacht wird und sich durch eines der in Art. 33 Abs. 1 der UNO-Satzung erwähnten friedlichen Mittel herausstellt, daß das Vorbringen des revisionssuchenden Staates objektiv begründet ist. Hier liegt das Wesen des „peaceful change" oder, anders ausgedrückt: nicht nur nach „Gemeinem“, sondern auch nach positivem Völkerrecht bedeutet der Begriff des „Friedens" nicht auch, daß die gegenseitigen Rechtsbeziehungen der Staaten als unabänderlich anzusehen seien, vielmehr besteht unter bestimmten (nl.den vorstehend skizzierten) Bedingungen ein Rechtsanspruch — und nicht nur eine rein machtmäßige Forderung! — auf Revision, wenn die unveränderte Fortdauer dieser Beziehungen für den passiv betroffenen Staat objektiv unzumutbar geworden ist.

Von hier aus wird die juristische Konsequenz der Koexistenzthesen deutlich: wer sich zu ihnen bekennt, verzichtet — und zwar, wie hervorzuheben ist, unwiderruflich — auf das an sich gegebene Recht, eine Revision des Status quo zu verlangen. Ein derartiger Verzicht kann verlangt werden, wenn dieser Status quo zumutbar ist und wenn — was zu diesem rechtlichen Urteil hinzukommen muß — vernünftigerweise erwartet werden kann, daß er für sämtliche Beteiligten auch in aller Zukunft zumutbar bleiben werde. Angesichts der Schnellebigkeit unserer Zeit wird man gut daran tun, die Frage, ob diese zweite Bedingung als erfüllt angesehen werden kann, stets vorsichtig und zurückhaltend zu beantworten. Kein Zweifel scheint jedoch insoweit zu bestehen, als hinsichtlich der ersten der beiden Bedingungen („Zumutbarkeit“ des Status quo) je nach dem ein Unterschied zu machen ist, ob die gegenseitige Gewährleistung des Status quo einen Rechtszustand konsolidieren oder einen Unrechtszustand legalisieren soll Letzteres ist nicht nur dann der Fall, wenn ein Zustand unzumutbar geworden ist, sondern auch dann, wenn die Lage für einen der beiden betroffenen Staaten von Anfang an nicht zumutbar war, d. h. insbesondere, wenn es sich bei dem fraglichen Status quo um einen politischen Machtzustand handelt, der unter Verletzung eben jener Gewährleistungspflicht der politischen Unantastbarkeit des Partners herbeigeführt worden ist und dessen Duldung vom Partner zwar kraft der im Besitz des Stärkeren befindlichen militärischen Machtmittel und seines wirtschaftlichen Übergewichts erzwungen werden kann, ihm aber nichtsdestoweniger, sowohl rechtlich wie sittlich betrachtet, nicht zugemutet werden kann.

Beschränken wir uns, um dies deutlich zu machen, auf das tschechoslowakische Beispiel. Hätte die Sowjetunion den Grundsatz der Respektierung der territorialen Integrität des tschechoslowakischen Partners anerkannt, so wäre das sowjetische Verlangen nach Abtretung der Karpathenukraine unmöglich gewesen — selbst wenn dies, wie Stalins Brief vom 23. Januar 1945 an Dr. Benes 72) zeigt, unter Berufung auf angeblich vorhandene gesamtukrainische Vereinigungsbewegungen innerhalb der Bevölkerung dieses Landes gestellt wurde. Ebenso sind die Ereignisse, die zur Nichtbeteiligung der Tschechoslowakei am Marshallplan (6. Juli 1947) und zur Bildung der Regierung Gottwald am 25. Februar 1948 führten, kaum denkbar, wenn sich die Sowjetunion an den Grundsatz der Nichteinmischung gehalten hätte. Man wird daher — an dieses Beispiel anknüpfend — stets gut tun, die Frage zu stellen, ob die Annahme und Beobachtung der von der Sowjetunion aufgestellten Koexistenzgrundsätze nicht zur Befestigung eines Zustandes beiträgt, der nur durch die Mißachtung eben dieser gleichen Grundsätze hat herbeigeführt werden können.

Geht Macht vor Recht?

An dieser Stelle ist innezuhalten. Lenkt man den Blick von den „Koexistenz“ -Problemen auf die Sudetenfrage zurück, so läßt sich der spezifisch juristische Gehalt der bisherigen Überlegungen etwa folgendermaßen formulieren:

1. Die Austreibung der gesamten sudetendeutschen Volksgruppe aus ihrer angestammten Heimat kann durch den Hinweis auf etwaiges Verschulden einzelner ihrer Angehöriger auch nach sowjetischer Ansicht nicht gerechtfertigt werden. Sie ist als Kollektivmaßnahme daher ein Llnrechtstatbestand.

2. Kann der begünstigte Staat — also die Tschechoslowakei — diesem Llnrechtstatbestand, den er im eigenen Interesse gesetzt hat und im Vertrauen auf eigene und fremde Machtmittel rechtswidrig aufrecht-erhält, dadurch den Makel der Gesetzlosigkeit nehmen, daß er sich einfach weigert, das Recht wiederherzustellen und jede, darauf hinzielende Bemühung als „unfriedlich“ in Verruf bringt? Anders gesagt: kann aus vergewaltigtem Recht der Friede erwachsen? oder noch einfacher: geht Macht vor Recht?

Um diese Frage geht es. Wer sie durchdenkt, wird gewahr, daß sie keineswegs nur das Sudetenproblem betrifft, sondern sich ihrem Wesen nach genau so stellt, wenn man die Frage der Freiheit der versklavten Völker Mitteleuropas oder die Frage der deutschen Einheit oder der deutschen Ostgrenzen ins Auge faßt. Diese Verbindungslinien nachzuzeichnen, kann allerdings nicht Aufgabe der vorliegenden Darstellung sein.

Bleiben wir bei der Rechtsfrage in ihrer Beschränkung auf das Sudetenproblem. Es wäre nichts damit gewonnen, wollte man sie mit wohlfeiler politischer Polemik beantworten. Der Jurist kann nichts Besseres tun, als an dieser Stelle nochmals auf dasjenige verweisen, was sich aus Rudolf v. Iherings Ausführungen über die Gesundheit des Rechtsgefühls ergibt — eines Rechtsgefühls, das aus dem Bewußtsein seiner Gebundenheit an das wohlverstandene Anliegen der Gemeinschaft seine besten Kräfte schöpft. Es scheint, daß zwei Sätze Immanuel Kants treffend zusammenfassen, was der Verfasser dieser Zeilen seinen Zuhörern und Lesern nahezubringen bestrebt war: „Laßt euer Recht nicht ungeahndet mit Füßen treten“, schreibt der Weise von Königsberg einmal und an anderer Stelle: „Die Natur will unwiderstehlich, daß das Recht zuletzt die Oberhand behalte“ 7G).

Was kann der vertriebene Deutsche in den dunklen Tagen unserer Gegenwart Besseres tun, als an diese Verheißung glauben und jenes Wort beherzigen?

Anmerkung Dr. Dr. Kurt Rabl

Fussnoten

Fußnoten

  1. a. a. O. S. 25, 27.

  2. a. a. O. S. 39.

  3. a. a. O. S. 91.

  4. a. a. O. S. 60.

  5. a. a. O. S. 41.

  6. a. a. O. S. 57.

  7. a. a. O. S. 69.

  8. a. a. O. S. 70 „Was sich nicht realisiert, ist kein Recht" — s. Ihering, Der Geist des römischen Rechts auf den Stufen seiner Entwicklung, Göttingen 1853, Bd. 1 (4. Aufl.), § 4 S. 49 f.; zit. nach Erik Wolf, Ihering, in: Große Rechtsenker, Tübingen 1939, S. 491 ff. Der Verfasser verdankt diesem ausgezeichneten Aufsatz viel und will nicht versäumen, seine Leser und Zuhörer, die näheres über Ihering erfahren möchten, sehr nachdrücklich auf ihn hinzuweisen.

  9. a. a. O. S. 93.

  10. a. a. O. S. 62.

  11. a. a. O. S. 72.

  12. a. a. O. S. 74.

  13. a. a. O. S. 85.

  14. a. a. O. S. 77.

  15. a. a. O. S. 94.

  16. voller Wortlaut vgl. Hohlfeld, Dok.der dtsch. Politik und Geschichte von 1848 bis zur Gegenwart, Bd. 6, München 1952, S. 494 f.

  17. vgl. z. B. die brit. Note v. 18. Juli 1941 (voller Wortlaut in tsch. übers.: Benes, Pameti, Prag 1947, S. 186 ff. — S. 188). Die brit. Note v. 5. August 1942 enthält keinen ausdrücklichen Hinweis auf diese Frage, die dadurch zwischen beiden Partnern offen geblieben ist, wie sich dies aus dem Text ergibt. Vgl. noch H. Raschhofer, Die Sudetenfrage, München 1953, S. 248 ff.

  18. vgl. Krystyna Marek, Identity and Continuity of States in Public International Law, Genf, 1954 — dazu Verdroß, in Osterr. Zeitschr. f. öffentl. Recht, n. F. Bd. 7 S. 107 ff.

  19. Ich habe auf diesen Gesichtspunkt bereits hingewiesen — vgl. Rabl, Der gegenwärtige Stand des sudetendeutschen Rechtskampfes, in: Unser Recht auf Rückkehr, Frankfurt a. M., 1956, S. 23 ff. (S. 36).

  20. genauer Wortlaut dieser Rundfunkdurchsagen vgl. Turnwald, a. a. O. Prot. Nr. 19, S. 63 ff.; Prot. Nr. 11, 15 und 256, S. 11 ff., 18 ff. und 190 ff.

  21. § 1 des Ges. Nr. 51/1946 Sig.

  22. RGBl. 1934 I S. 529.

  23. vgl. Annuaire des Droits de l’Homme pour 1946, hrsg. v. UNO-General-Sekretariat, New York 1947, S. 438 f.

  24. Wortlaut der Rede vgl. Ostprobleme, Bd. 8 S. 867 ff. (S. 886).

  25. dazu die Nachweise bei G. Rhode, Völker auf dem Weqe, Kiel 1952, S. 10 ff.

  26. Wortlaut der Rundfunkdurchsage vgl. Ostinformationen (Presse-und Informationsamt der Bundesregierung), Nr. 36 v. 12. Febr. 1957, S. 6,

  27. voller Wortlaut vgl. Sten. Prot. d. Dtsch. Bundestags, 75. Sitzung, Bonn, 14. Juli 1950, S. 2688D, 2689A.

  28. Genaue Inhaltsangabe dieses Schriftstücks bei E. Täborsky, The Czehoslovak Cause - an account of the problems of International Law in relation to Czechoslowakia, London 1944, S. 141 f.

  29. Text bei Täborsky a. a. O. S. 142.

  30. Wortlaut dieser Erklärung bei G. Decker, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, Göttingen 1955, S. 368.

  31. so Täborsky (während des zweiten Weltkrieges politischer Sekretär von Dr. Benes, nach dem zweiten Weltkrieg tschechoslowakischer Gesandter in Stockholm) a. a. O. S. 143.

  32. Daß man sich im Schoß der gegen Deutschland verbündeten Staaten zumindest zwischen 1941/42 und 1944 über die bindende Kraft der Atlantic Charter als rechtliche Verpflichtung im klaren war, geht aus verschiedenen diplomatischen Instrumenten und Erklärungen hervor — aufschlußreiche Einzelheiten bei Sasse, Die ostdeutsche Frage auf den Konferenzen von Teheran bis Potsdam, in: Jahrb. f. d. Gesch. Mittel-und Ostdeutschlands, Bd. 2, Tübingen 1954, S. 3 ff. (S. 11 ff.).

  33. vgl. dazu das Interview des „Christian Science Monitor" mit Präsident Roosevelt v. 20. Dezember 1944, abgedr. bei Decker a. a. O. S. 367.

  34. Nachweise vgl. Zeitschr. f. ausländ, öffentl. Recht und Völkerrecht, Bd. 13, S. 402 ff.

  35. Nachweis bei H. -J. Jellinek, Der automatische Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit durch völkerrechtliche Vorgänge, Köln 1953, S. 44.

  36. dazu F. Klein, Neues deutsches Verfassungsrecht, Franks, a. M., 1949, S. 17 f. (m. Lit.).

  37. Wortlaut vgl. Europa-Archiv Bd. 9 S. 6757.

  38. Wortlaut vgl. Neue Zürcher Zeitung Nr. 305 v. 2. Febr. 1956.

  39. vgl. dazu Guggenheim, Lehrbuch des Völkerrechts, dtsch. Ausg., Basel 1949, S. 942; A. Basdevant, Les deportations du Nord de la France et de la Belgique en vue du travail force, Paris 1917.

  40. vgl. J. Jaksch, Sudetendeutsche in der Weltmission des 17. und 18. Jahrhunderts, Königstein/Taunus 1957, S. 36 ff. — unter Bezugnahme auf eine Darstellung von X. Enis, Buenos Aires 1846.

  41. Pombal-Vertrag — abgedr. in: Supplement au Recueil des principaux Traites . . ., Bd. 1, Göttingen 1802, S. 328 ff. (S. 353 f.). Art. 16 lautet auszugsweise in der von Maartens gegebenen Übersetzung: „Aus den Flecken und Dörfern, welche S. Kathol. Majestät am östlichen Ufer des Uruguay abtritt, sollen die Missionarien mit Guth und Meublen abziehen und die Indier mit wegführen, um sich mit ihnen in anderen Ländern Spaniens niederzulassen; und erwähnte Indier können gleichfalls alle ihre beweglichen Güter und Geräthschaft mit sich nehmen, wie auch Waffen, Pulver und Kriegsmunitionen, welche sie haben mögen: also sollen die Flecken der Krone Portugal übergeben werden mit allen ihren Häusern, Kirchen und öffentlichen Gebäugen, wie auch mit dem Eigenthum und Besitz des Landes . . ." . Vgl. § 1 Buchstabe a des Bundesges. v. 22. Febr. 1955, BGBl. I 65.

  42. Urt. d. V. Kammer d. Gerichtshofs der Alliierten Hohen Kommission in Deutschland i. S. Hrnecek v. 26. Mai 1954 — Crim. 52/A 5/486; abgedr. im Arch. d. Völkerrechts, Bd. 5 S. 222 ff.

  43. zit. nach Bulletin Nr. 118 v. 29. Juni 1956, S. 1168.

  44. vollständ. Wortlaut der Erklärung des Staatssekretärs Hallstein, vgl. Sten. Prot. d. Verhandlungen des 2. Deutschen Bundestages — 161. Sitzg., S. 8951

  45. vgl. R. Lodgman v. Auen, Reden und Aufsätze, München o. J., S. 127 ff. (S. 129)

  46. vgl. dazu die Definition bei Oppenheim-Lauterpacht, Int. Law, 6. Ausl., London 1947, S. 789 ff.

  47. These 51 - vgl. Rude Prävo, Nr. 99 v. 10. April 1955.

  48. vgl. statt vieler die Artikelserie in der Wochenschrift Osvetovä Präce, Nr. 25/26-1955; Landwirtschaft im Sudetenland, in: Nova Mysl (Zeitschr. d. ZK der KPC) Nr. 1/56; Wiederbesiedlung des Sudetenlandes — das Beispiel des Bezirks Theusing, in: Sbornik csl. spolecnosti zemepisne, Nr. 4/1955; J. Dobersky, Hilfe für die Wiederbesiedlung des Sudetenlandes, in: Geogr. Casopis, Nr. 3— 4/1955. Nachw. in: Wiss. Dienst Ostmitteleuropa, Bd. 6 S. 52 ff., 76 ff., 120 ff. Es ist ferner darauf hinzuweisen, daß die Erläuterungen zum staatlichen Wirtschaftsplan für 1956 an erster Stelle die Notwendigkeit einer größtmöglichen Steigerung der landwirtschaftlichen Erzeugung betonen, womit ein Mangel offenbar wird, der zumindest teilweise auf die ungenügende Wiederbesiedlung der Sudetenländer zurückgeführt werden muß — vgl. Wiss. Dienst Südosteuropa Bd. 4 S. 12 ff. (S. 116).

  49. m. W. ist diese Rede pressemäßig nicht publiziert worden. Ich zitiere nach einer hektographierten deutschen Übersetzung des „Amerika-Dienstes" v. 9. Mai 1956. Im gleichen Sinne neuestens John Foster Dulles, Wider den Status quo, in Rhein. Merkur, Nr. 21 v. 24. Mai 1957, S. 1 f.

  50. a. a. O. S. 6.

  51. engl. Ausg. S. 19; wörtl. zit. bei Telf. Taylor, Die Nürnberger Prozesse, dtsch. Ausg., Zürich 1951, S. 63.

  52. vgl. die Definition des Begriffs „Common Law" bei Blacks Law Dich, 4. Ausl., St. Paul (Minn.) 1951, S. 345 f. (mit vielen Belegen aus der modernen amerikanischen Gerichtspraxis), und bei W. J. Byrne, Dict. Engi. Law, London 1923, S. 209.

  53. vgl. Engi. Hist. Docs., Bd. 9 (American Colonial Docs, to 1776) hrsg. v. Meryll Jensen, London 1955, S. 805 ff. (S. 807).

  54. a. a. O. S. 7.

  55. dazu B. Meißner, Die sowjetische Bewertung der Völkerrechtsquellen in: Osteuroparecht, Bd. 1 S. 2 ff.

  56. vql.den anonymen (also vermutlich von einflußreicher Seite stammenden) Aufsatz „Zu den Ergebnissen der Diskussion übereinige Fragen des Völkerrechts“, in: Sowjetskoje Gosudarstwo i Prawo, Nr. 5/1955 — gekürzter deutscher Auszug in: Ostprobleme, Bd. 7 S. 1816 ff.

  57. für die Oder-Neiße-Linie vgl.den magistralen Vortrag von Herbert W. Kraus, Die Oder-Neiße-Linie - eine Völkerrecht!. Studie, Köln 1954, insbes. S. 11 f.; der Verfasser hat aus der Lektüre dieser Ausführungen reichsten sachlichen Gewinn gezogen, was mit aufrichtigem Dank anerkannt sei.

  58. vgl. Die Weltrevolution, dtsch. Ausg., Berlin 1927, S. 516.

  59. vgl. z. B. die UP-Meldung aus Khabul v. 19. Dez. 1955 — Neue Zürcher Ztg. Nr 3539 vom gleichen Tag.

  60. vgl. S. K. Chatterji, Pancha-Sila — eine Studie zum Begriff der „Fünf Grundprinzipien", in: Ztschr. f. Geopolitik, Bd. 27 Heft 3.

  61. vgl. die Reuter-Meldung v. 26. April 1956, in Neue Ztg., Fern-Ausq., Nr. 116 v. 28. April 1956.

  62. Rede v. 22. Januar 1917 („Peace without victory") — Wortlaut vgl. Henry Steele Commager, Docs, on American History, 5. Ausl., New York 1949, Bd. 2 S. 305 ff. (S. 306).

  63. vgl. Vor der Katastrophe, Köln 1951, S. 137.

  64. vgl. die Formulierung des Bundespräsidenten Dr. Heuss (Ansprache v. 13. Juli 1956 an Min. -Präs. Nehru): ..... Darf ich eine kleine Reflexion knüpfen an die heute gängige Losung . Koexistenz', die vielen eine Lösung der Dinge zu sein pflegt. Sie spricht etwas sehr Einfaches und in sich Richtiges aus, das gar nicht einer sonderlichen Aura bedarf: daß die Menschen miteinander leben und trachten sollen, verträglich, in der Würdigung der Rechte und Eigenart des anderen, miteinander zu leben. Und was für die Menschen, die Familien, die Gruppen, die Religionen gilt, soll auch für die Völker gelten, zumal die Völker, die aus eigenem freien Willen in einer gemeinsamen staatlichen Herberge , verfaßt'sind. Hier aber beginnt die aktuelle Problematik, wo das Wort . Koexistenz'sich in seinem Sinn innerlich aufhebt, wo es zu einer Vergewaltigung des natürlichen Rechts werden muß, wenn es einen aus Ubermachtung und Erschöpfung gewordenen Zustand um der aktuellen Bequemlichkeit willen zu vernachlässigen bereit erscheint und eine Wunde am Heilen verhindert, weil primitiver Machtwillen oder doktrinäre Verbohrtheit den Prozeß, der nach so sinnlosen Opfern allein zur friedsamen Koexistenz in sich beruhigter Kräfte führen kann, aufhält . . ." Voller Wortlaut der Rede s. Bulletin Nr. 130 v. 14. Juli 1956, S. 1282.

  65. über die damaligen Ereignisse orientiert Ripka, Czechoslovakia enslaved, London 1950, S. 56 ff., 283 ff.

  66. vgl. Metaphys. Anfangsgründe der Tugendlehre, 2. Ausl., Kreuznach 1800, S. 133.

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