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Juden in Finnland | APuZ 16/1959 | bpb.de

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APuZ 16/1959 Aktuelle Probleme der politischen Emigration Juden in Finnland

Juden in Finnland

JOSEPH WULF

Zeiten für sein Temperament berühmt ist. Was jetzt geschieht, ist normal, ein Auspendeln der Gewichte, kein Propagandaerfolg, wie die Kommunisten es darzustellen trachten. Denn vom Kadarregime zum ungarischen Exil führt keine Brücke, die noch’ einzureißen wäre.

Es ist müßig, Prognosen für die Zukunft zu stellen. Ereignisse wie die ungarische Revolution oder der polnische Oktober können die Lage von Grund auf ändern. Die politischen Emigrationen, in ihrer Handlungsfähigkeit beschränkt, werden sich stets den Verhältnissen anzupassen haben. Der richtige Weg im Exil — der, den die ungarischen Studenten gewählt haben — ist der Weg der Vernunft. Allerdings ist er nur dann gangbar, wenn die nichtkommunistischen Mächte, an der Spitze die USA, die Sowjetisierung Osteuropas nickt als unwiderruflidt akzeptieren.

Berlin wird möglicherweise in dieser so entscheidenden Frage der Prüfstein sein. Denn die moralische Verpflichtung des Westens, die Freiheit Berlins gegenüber dem Kreml zu bewahren, ist kein isoliertes Problem, sondern hängt auf das Engste mit der Zukunft der Mitteldeutschen und der Polen, der Ungarn und der Tschechen, der Rumänen und Bulgaren, der Esten, Letten und Litauer zusammen. Für alle diese Völker bedeutet das Verbleiben der Westmächte in Berlin ein Unter-pfand ihres Festhaltens an der Absicht, Osteuropa zur Wiedergewinnung seiner Freiheit zu verhelfen, sobald nur ein friedlicher Weg zu diesem Ziel gefunden werden kann.

Die Zeit bis 1917

Es ist anzunehmen, daß es in Finnland bis zum Jahr 1908 — dem Jahr, als Finnland zum Großfürstentum ausgerufen wurde und an Rußland fiel — keine Juden gegeben hat.

Seit dem 13. Jahrhundert war Finnland mit Schweden verbunden und seit dem 14. Jahrhundert gehörte es ihm als fester Bestandteil des Reiches an. Bezüglich der Juden paßte es sich demzufolge der schwedischen Gesetzgebung an. Diese aber verlangte, daß sämtliche Körperschaften oder Kollektive christlichen Glaubens sein mußten. In der schwedischen Kirchenverordnung aus dem Jahre 1571 heißt es, die Kirche habe sich nicht lediglich mit Dingen zu befassen, welche Gott und die Ewigkeit betreffen, sondern sie sei vielmehr auch für „das Wohlergehen und die weltlichen Angelegenheiten der Untertanen" verantwortlich. So kam es dazu, daß bei dieser Auffassung jede nicht christliche Religion in Schweden verboten gewesen ist. Der Standpunkt wurde später durch verschiedene königliche Gesetze und Erlasse sogar noch gefestigt. Zum Beispiel unterstrich das Dekret des Jahres 1772 ausdrücklich „die Einheitlichkeit der Religion". Jenes Dekret wurde erst im Jahre 1917 annuliert, als Finnland ein selbständiges souveränes Land geworden war.

Trotzdem beschloß und veröffentlichte der schwedische Reichstag 1779 ein Gesetz, demzufolge gestattet wurde, „außer in Stockholm auch in zwei bis drei anderen Städten Synagogen zu erbauen". Dieses Zugeständnis darf als Resultat der Reformen betrachtet werden, die König Gustav III. (1771 — 1792) durchführte, denn er gestattete erstmalig neben den christlichen Religionen auch anderen Religionsfreiheit. Ein Mitglied des finnischen Reichstags, der Pfarrer Anders Chydenius, dürfte ebenfalls nicht unwesentlich zu derartigen Reformen beigetragen haben, denn er richtete ein Memorandum an die Geistlichkeit, in dem er unter anderem hervorhob, daß religiöse Toleranz keinerlei Gefahren für die Staatsreligion in sich berge.

Derartige Lockerungen wirkten sich natürlich auch in gewisser Hinsicht auf den jüdischen Glauben aus. Da jedoch neben Stockholm die beiden schwedischen Städte Göteborg und Norrköping für den Synagogenbau ausersehen waren, war in Finnland wiederum für Juden kein Platz. Noch im Jahre 1806 untersagte eine königlich-schwedische Verordnung den Juden die Einwanderung nach Finnland und auch am 1. Juni und 13. Juli 1807 kamen diesbezügliche schwedische „Königsbriefe“ heraus. In ihnen wurde nämlich verlangt, daß alle Juden, die sich auf schwedischen Territorium befanden — also auch in Finnland —, in den drei bereits erwähnten Städten Stockholm, Göteborg und Norrköping zu konzentrieren waren.

Erst als Finnland ein autonomer Teil des russischen Zarenreiches geworden war, also nach 1809, findet sich in Finnland die Spur eines Juden. Im Jahre 1828 reichte nämlich der Jude Hesiko dem Zaren eine Petition ein, in der es heißt, daß Hesiko seit 1821 in Abo — dem heutigen Turku — wohne, wo er Unterricht erteile und als Buchhalter arbeite. Er bitte deshalb darum, ihm und seiner Familie die Erlaubnis zu geben, fortan in Helsingfors zu leben. Aus der Antwort des Zaren ist zu entnehmen, daß Hesikos Aufenthaltserlaubnis und Wohnrecht in Abo verlängert wurde, obwohl — wie es heißt „es den finnischen Gesetze zufolge Juden verboten ist, im Lande zu wohnen." Für Helsingfors hat der jüdische Lehrer und Buchhalter Hesiko jedenfalls die Aufenthaltserlaubnis und das Wohnrecht nicht bekommen.

Die Bewegungsfreiheit der Juden im Zarenreich war damals in bezug auf Finnland durch zwei Verordnungen festgelegt, und zwar die Verordnung vom 9. November 1827, laut welcher die finnirischen Behörden berechtigt waren, Pässe für Reisen innerhalb des russischen Imperiums nur für solche Juden auszustellen, die Kaufleute oder Handwerker waren, 2) die Verordnung vom 6. April 1829, der zufolge in Finnland die Durchreise auch jenen Juden verboten war, denen das Reisen innerhalb des russichen Imperiums sonst gestattet wurde.

Die ersten jüdischen Ansiedler in Finnland rekrutieren sich aus den sogenannten Kantonisten ’). Einem russischen Gesetz vom 26 Februar 195 8 entsprechend, war es bestimmten russischen Soldaten und Matrosen gestattet, sich in Finnland niederzulassen. Auf diese Weise nun verstanden auch jüdische Soldaten des Zaren — eben Kantonisten — es, sich das Recht zur Ansiedlung in Finnland zu verschaffen, obwohl der finnische Senat sogar noch im Jahre 1886 jenes die Kantonisten-Siedlung betreffende Gesetz des Zaren ausdrücklich so interpretierte, daß jüdische Soldaten von diesem Recht . auszuschließen seien.

Hier muß darauf hingewiesen werden, daß Finnland auch nachdem es 1809 zum russischen Großfürstentum wurde, die antijüdische Gesetzgebung der schwedischen Jahre weiter beibehielt. Manchmal mußten sich daher sogar russische Behörden für die Juden in Finnland einsetzen, wie es beispielsweise der russische Generalgouverneur Bobrikow getan hat.

Um die schon bestehende Diskrimination noch mehr zu verstärken, hat übrigens der finnische Senat zu den alten schwedischen Gesetzen noch Zusatz-Verordnungen herausgegeben.

Die hauptsächlichen antijüdischen Gesetze Finnlands waren die folgenden: 1) Gesetz aus dem Jahre 168 5: Juden ist die Einreise nach Schweden untersagt Selbstverständlich hat dieses Gesetz auch für Finnland Gültigkeit.

2) Gesetz des Jahres 1781: Juden ist verboten, Beamte zu sein; Juden dürfen keine eigenen Schulen gründen; Juden ist die Ausübung ihrer Religion untersagt. 3) Gesetz des Jahres 1790; Juden dürfen Gold-und Silbergegenstände jeder Art weder fabrizieren noch mit ihnen handeln. 4) Gesetz aus dem Jahre 1806: Die Einreise nach Finnland ist den Juden verboten; wollen sich Juden, die eine Durchreiseerlaubnis für Finnland besitzen, kurze Zeit im Lande aufhalten, so müssen sie dazu eine besondere Erlaubnis des örtlichen Gouverneurs einholen. (In den Jahren 1862 und 1 888 wurde dieses Gesetz noch verschärft). 5) Gesetz des Jahres 1869; Juden ist die Heirat untersagt und ebenso ist es ihnen verboten, ihre Eheschließung anzuzeigen. Eine Ausnahme kann nur dann gemacht werden, wenn einer der beiden Ehepartner einer christlichen Religion angehört.. 6) Gesetz 1872: Juden ist es verboten, nach Lappland zu fahren, um dort nach Gold zu graben. 7) Gesetz aus dem Jahre 1889: Wollen jüdische Kinder heiraten, so müssen sie Finnland verlassen; jüdische Frauen, die einen Juden ehelichen wollen, müssen Finnland auch dann verlassen, wenn die betreffenden Männer dort das Wohnrecht besitzen; auch wenn ihre Väter Reservisten sind oder ihrer Militärdienstpflicht bereits genügt haben, dürfen solche Juden, die Finnland verlassen, um in Rußland ihrer Militärdienstpflicht zu genügen, nicht wieder nach Finnland zurückkehren; es ist den Juden untersagt, Synagogen zu erbauen oder Rabbiner anzustellen; den Juden kann in Finnland nur eine beschränkte Aufenthaltsgenehmigung erteilt werden, die alle sechs Monate zu verlängern ist. 8) Gesetz aus dem Jahre 1891: Es ist den Juden verboten, unbewegliches Eigentum zu besitzen. 9) Gesetz des Jahres 1899: Das Wohnrecht kann Juden nur in den Städten Helsingfors, Abo und Viborg (heute Viipuri) erteilt werden. 10) Gesetz des Jahres 1909: Das Schächten ist den Juden untersagt.

Hier sei noch erwähnt, daß bis 1869 das schwedische Kirchengesetz allgemein in Finnland Gültigkeit hatte, das aus dem Jahre 1686 stammt und demzufolge jeder Einwohner, mit sehr wenigen und nur äußerst dringlichen Ausnahmen, der evangelisch-lutherischen Kirche angehören mußte. Außerdem bestimmte jenes Gesetz, daß „Jidden, Türken, Mohren und Heiden, welche in das Reich einwandern, zur clrristlichen Religion bekehrt werden müssen“.

Gewissen Quellen ist jedoch einwandfrei zu entnehmen, daß trotz alledem im Jahre 1870 etwa 400 Juden in Finnland gelebt haben. 1910 sind es dann schon ca. 1 000 Einwohner jüdischen Glaubens gewesen. Größtenteils waren diese Juden Kantonisten. Soweit es sich bei ihnen um eine Handelserlaubnis drehte, gestand man jenen Juden vornehmlich das Recht zu, mit Altwaren zu handeln.

Die ersten jüdischen Gemeinden entstanden in Helsingfors und Viborg.

Wie schwer das Leben für die kleine Anzahl Juden in Finnland damals war geht aus verschiedenen Presse-Veröffentlichungen jener Zeit ebenso hervor wie besonders aus einem Sitzungs-Protokoll des Landtags im Jahre 1872, das sich mit dem Vorschlag einer bedeutenden finnischen Persönlichkeit der zaristischen Zeit befaßt. Der Betreffende — Leo Mechelin — fordert nämlich „die Aufhebung der Gesetze, weldte die Juden außerhalb der Landesgesetze stellten“. Leo Mechelin wollte die Aufmerksamkeit seiner Landsleute ferner darauf lenken, „daß derartige Zustände nur in unserem Lande als Erbe der Vorurteile vergangener Jahrhunderte fortbestehen, während sie in anderen zivilisierten Ländern längst aufgehoben wurden.“ Alle derartigen Vorschläge Mechelins stießen jedoch auf erbitterten Widerstand und wurden daher abgelehnt.

Theodor Barth protestierte ebenfalls im Berliner Tageblatt scharf dagegen, daß noch Anfang des XX. Jahrhunderts aus Finnland Juden vertrieben wurden. Er weist in seinem Artikel darauf hin, daß in diesem Falle nicht etwa das zaristische Rußland daran die Hauptschuld trage, sondern allein die rein finnische Verwaltung (siehe „Nya Pressen", Nr. 1, 1909).

Der dänische Literatur-Kritiker Georg Brandes verurteilte die Diskrimierung der Juden in Finnland gleicherweise. Er ging sogar so weit, den Vorschlag zu machen, man solle hinfort Finnland jede Anleihe im Ausland ablehnen (siehe dazu „Hufvudstasbladet" Nr. 17,. 1909).

Auch in der „Neuen Preußischen Kreuzzeitung“ vom 19. November 1911 befindet sich ein Bericht aus Petersburg, in dem ausdrücklich darauf hingewiesen wird, daß es den Juden in Finnland weit schlimmer ergehe als denen im zaristischen Rußland.

Lim zu verstehen, weshalb die liberale Presse in Europa damals gerade gegen den Antisemitismus im Großfürstentum Finnland so protestierte, müssen notwendigerweise auch noch andere Tatsachen Erwähnung finden, durch welche vielleicht klarer wird, wie die Lage der kleinen in Finnland lebenden Anzahl Juden in jener Zeit gewesen ist. Die Verhältnisse weisen nämlich eine gewissen Ähnlichkeit mit manchen Parolen der späteren Nazizeit auf. Nicht nur daß die Juden häufig aus Finnland vertrieben wurden, sondern auch das rücksichtslose Vorgehen bei jenen Vertreibungen, die Grausamkeit, mit der man auch Schwer-kranke abtransportierte, erinnert an die Durchführung der nazistischen Aktionen. Der finnische Abgeordnete Murman hielt 18 82 beispielsweise öffentlich eine Rede gegen die „jüdische Weltherrschaft", und auch andere finnische Abgeordnete machten immerhin darauf aufmerksam, „daß Juden sich schnell verwehren, weil sie sehr frucditbar sind." Schon deshalb müsse man dafür Sorge tragen, keine Juden mehr nach Finnland hinein-zulassen. Die beste Lösung dieses Problems sei überhaupt, die bereits in Finnland ansässigen Juden des Landes zu verweisen.

Es ist ganz selbstverständlich, daß sich unter derartigen Bedingungen bis 1917 in Finnland keine normale jüdische Gemeindetätigkeit entwickeln konnte.

Bezüglich der Synagogen selbst oder der Angestellten der Jüdischen Gemeinde in Finnland ist daher auch fast nichts bekannt geworden. Einmal wird erwähnt, daß der Schächter Paley vom Magistrat der Stadt Abo zu 50, — Mark Strafe verurteilt wurde, weil er Hühner geschächtet hat. Vor Gericht verteidigte sich dieser Schächter Paley mit einem einzigen Satz. Er sagte: „Ich habe laut jüdischem Gesetz gehandelt.“

Ferner wurden die Namen der Rabbiner Naftali Amsterdam in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und Schein, seines Nachfolgers, bekannt. Auch weiß man, daß dem Rabbiner Schein Anfang des XX. Jahrhunderts dann der Rabbiner N. Bukanz folgte.

II. 1917-1939

Nach Gründung des finnischen Staates (1917), der gleich zu Beginn einen kurzen Freiheitskampf bestehen mußte, wurde in Finnland das demokratische Regierungssystem eingeführt. Endlich war es in der neuen Verfassung verankert, daß auch die Juden ein absolut gleichberechtigter Teil der finnischen Bevölkerung mit allen Rechten und Pflichten waren. Die Verfassung wurde auch sofort in die Praxis umgesetzt. Bald lebten Juden in Helsingfors, Turku, Viipuri und Tempere. In Tempere gab es allerdings nur 30 Juden, für die die Jüdische Gemeinde in Helsingfors sorgte.

Nun durfte das Gemeindeleben der Juden sich auf breiter Basis entwickeln und nahm schnell einen stark jüdisch-volkstümlichen Charakter an. In Helsingfors richteten die Juden ein jüdisches Gymnasium ein, das vom Staat finanziell unterstützt wurde und dessen Abitur zur Aufnahme an der Universität berechtigte. Den Verhältnissen einer so kleinen Gemeinde entsprechend, entwickelte auch die zionistische Organisation große Aktivitäten und ein jüdischer Sportverein mit dem Namen „Makabi" sowie ein jüdischer Klub und dergleichen wurden ins Leben gerufen.

Die 200 in Turku lebenden Juden waren innerhalb ihrer Gemeinde eifrig tätig und die nichtjüdischen Bewohner Turkus machen noch heute jeden Besucher von auswärts auf den gepflegten jüdischen Friedhof aufmerksam.

Der Volkszählung des Jahres 1934 zufolge lebten damals 1 757 Juden in Finnland und wie die Statistik zeigt, verteilen sich die Sprachen wie folgt:

Finnisch 3 022 757 Schwedisch 343 916 Russisch 8 716 Deutsch 3 719 Lappisch 2 113 Andere Sprachen 1 523

Es ist anzunehmen, daß „andere Sprachen“ hier „Yiddisch" heißen müßte, denn die finnischen Juden sprachen hauptsächlich die yiddische Sprache und die Zahl „ 1 523“ entspricht fast genau der Ziffer der in Finnland lebenden Juden (1 757). Über 90 Prozent der finnischen Juden waren Kaufleute oder doch kaufmännische Angestellte. Die 200 Juden in Turku handelten in der Mehrzahl mit Stoffen oder waren sonst in der Konfektion tätig. Wirtschaftlich gehörten sie alle dem Mittelstand an.

Im Leben der Jüdischen Gemeinde während der dreißiger Jahre spielte der Groß-Rabbiner Szymon Federbusch eine große Rolle. Er gründete auch 1932 die „Föderation der Jüdischen Gemeinden Finnlands“, in welcher er auf diese Weise sämtliche jüdischen Aktivitäten innerhalb Finnlands zentralisierte. Als 1934 im finnischen Parlament ein Schächtverbot diskutiert wurde, intervenierte Großrabbiner Federbusch im Namen der Föderation energisch und fand dabei auch die Unterstützung des sozialdemokratischen Führers Väino Tanner sowie die der konservativen Partei „Alt-Finnen“. Solcherweise kam dann eine Mehrheit, die gegen ein Schächtverbot stimmte, zustande.

Nach 193 3 kamen die ersten Flüchtlinge aus Deutschland und nach 1938 auch aus Österreich flüchtenden Juden nach Finnland. Sie alle wurden von den finnischen Juden mit offenen Armen in ihre Gemein•den ausgenommen und es geschah alles, was im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten nur geschehen konnte. Im August 1938 erteilte Finnlands Regierung 5 5 österreichischen Juden das Einreisevisum und im September 1938 erhielten nochmals 150 jüdische Flüchtlinge aus Österreich die Einreise-Erlaubnis. Von diesen 205 Österreichern hielten sich 50 nur kurze Zeit in Finnland auf, bevor sie über Schweden nach England oder in die Vereinigten Staaten weiterreisten.

Ein anderes Komitee befaßte sich mit den getauften Flüchtlingen. An seiner Spitze stand die Finnin Frau Bolte. Sie veranstaltete oft abends gesellige Zusammenkünfte, die von 30— 40 getauften Flüchtlingen regelmäßig besucht wurden.

Selbstverständlich konzentrierten sich die jüdischen Flüchtlinge hauptsächlich in Helsingfors. In Turku lebten nur 10 Emigranten, von denen acht in Geschäften Anstellungen fanden Für eine alte Frau sorgte die jüdische Frauengruppe in Turku und ein Student erhielt ein Stipendium, damit er auf der Universität sein Studium fortsetzen konnte.

Wenn sich Vertreter der Jüdischen Gemeinde der Flüchtlinge wegen an die finnische Behörden wenden mußten, brachte diese ihren Problemen fast stets viel Verständnis entgegen und unterstützten die Jüdische Gemeinde in jeder Beziehung. Hier sei noch darauf hingewiesen, daß die antijüdische Politik des Dritten Reiches gerade in der finnischen Öffentlichkeit ausgiebig diskutiert wurde. Finnlands Öffentlichkeit stellte sich ganz spontan auf die Seite der Unterdrückten und Diskriminierten. Der damalige deutsche Gesandte in Finnland, Wipert von Blücher, erzählt in seinen Erinnerungen, daß viele Finnen sich entschlossen weigerten, Deutsche bei sich einzuquartieren, wenn dies erforderlich war, weil damals in Finnland sehr viele internationale Zusammenkünfte stattfanden. Ebenso berichtet Herr von Blücher, der Arzt einer größeren finnischen Provinzstadt habe beispielsweise festgestellt, auf 50 dort praktizierende Ärzte kämen nur fünf, die deutsch-freundlich wären.

Die Hilfsaktion, welche Finnland für die jüdischen Flüchtlinge startete, fand bei fast allen finnischen Parteien viel Unterstützung. Ganz besonders aktiv betätigte sich der Professor für Literatur an der Universität Helsinki, Irjö Hirn, im Hilfswerk für die Emigranten. Auch die staats-wissenschaftliche Fakultät der Akademie in Turku schloß sich ganz offiziell dem Flüchtlings-Hilfswerk an. Allerdings weigerte sich der Erzbischof Kaila, den Aufruf zur Hilfe für die jüdischen Flüchtlinge zu unterschreiben, doch die finnische Presse wiederum drückte 1938 nach der berüchtigten Kristallnacht in Deutschland ganz unverhohlen ihre Sympathie für die unterdrückten Juden Deutschlands aus und berichtete voller Verachtung über die Nazi-Pogrome. Der spätere finnische Gesandte in den Vereinigten Staaten, Procope, erklärte damals sogar bei einem Empfang in der deutschen Gesandtschaft zu Helsinki, daß er eindeutig auf Seiten der Juden stehe.

Wichtig zu erwähnen ist auch, daß Finnland seine Demokratie stets aufrecht erhielt, obwohl verschiedene rechts-extreme Gruppen wiederholt alle Anstrengungen machten, die Demokratie ihren radikalen Lo-sungen gefügig zu machen. Es sei deshalb besonders unterstrichen, weil sich an der Haltung auch später nichts änderte, als Finnland in den Kriegsjahren Hitlers militärischer Verbündeter war. Selbst die Waffenbrüderschaft vermochte nicht, irgendeinen Einfluß auf Finnlands demokratische und menschliche Einstellung auszuüben.

Die im Jahre 1929 gegründete Lappenbewegung — so genannt, weil sie im Ort Lapua geboren wurde — verfolgte außer rein antikommunistischen Zielen auch die Ausrottung jeder Art von Liberalismus und nahm recht faschistische Formen an, ohne jedoch jemals eine tatsächliche Bedrohung für die finnische Demokratie zu werden, obwohl es Zeiten gab, in denen die Anhänger der Lappenbewegung durch terroristische Handlungen der Regierung ihren Einfluß aufzuzwingen suchten. Im Jahre 1932 kam dann ein Gesetz heraus, das die Lappenbewegung in Finnland verbot.

Doch die faschistischen Kreise ruhten keineswegs. Kapitän Kalsta zum Beispiel — ein ausgesprochener Nazi — äffte Hitler ständig nach und versuchte auch weiterhin, mit allen Mitteln eine faschistische Bewegung am Leben zu erhalten. Später kam es sogar tatsächlich nochmals dazu, daß eine Partei entstand. Sie hieß „National-Patriotische Liga“ (Isänmaallinen Kansanliike, kurz IKL genannt). 19 3 8 aber wurde dann auch diese Partei verboten, und zwar durch den damaligen Innenminister Urho Kaleva Kekkonen. Allerdings wurde diese rein administrative Verordnung von den Justizinstanzen einfach wieder annuliert und vier Jahre später erhielt die IKL so die Möglichkeit, während der deutsch-finnischen Waffenbrüderschaft ihr wahres Gesicht zu zeigen und 'darzutun, wie faschistisch und antisemitisch sie eingestellt war.

In der finnischen Armee gab es ebenfalls Offiziere, die sich absolut nicht scheuten, ihre Sympathie zuerst mit der Lappenbewegung und später mit der IKL unter Beweis zu stellen. Zur besseren Analyse der folgenden Jahre sei hier noch besonders hervorgehoben, daß ein großer Teil der finnischen Offiziere gute Kontakte zum deutschen Offizier-korps hatte oder auch mit einigen von ihnen eng befreundet war, denn während des ersten Weltkriegs wurden beispielsweise viele finnische Offiziere in Deutschland ausgebildet und dienten regulär im 27. Königlich-Preußischen Jägerbatailion. Aus verschiedenen Dokumenten läßt sich heute unschwer feststellen, daß ein Teil des finnischen Generalstarbs die deutsche Handlungsweise für richtig hielt, als Hitler 1938 Österreich „heim ins Reich“ holte und absolut nichts dagegen einzuwenden hatte. Im Frühjahr 1939 stellte die finnische Sozialdemokratische Partei dann offiziell fest, wie extremrechts die Einstellung eines großen Teils der hohen finnischen Offiziere sei.

In jenen Jahren nahm außerdem aber auch noch die sogenannte • Nordische Gesellschaft in Deutschland auf verschiedene finnische Kreise Finnlands Einfluß. Jedenfalls versuchte sie es durch regen Austausch von Wissenschaftlern und Künstlern. Einmal im Jahr organisierte diese Nordische Gesellschaft überdies in Lübeck eine feierliche Zusammenkunft, zu der selbstverständlich auch viele Finnen eingeladen wurden

Doch wenden wir uns wieder den Gründen zu, denen trotz der erwähnten Gegenströmungen zu danken ist, daß die 2 000 Juden Finnlands während der deutsch-finnischen Waffenbrüderschaft der Jahre 1941— 1944 dennoch vor dem Schicksal der übrigen Juden Europas bewahrt blieben.

1939 -1944

a) Der Winterkrieg Nach der sowjetischen Aggression 1939 beteiligten sich die Juden gleich allen anderen Bürgern Finnlands ebenfalls am Krieg. Im so-genannten Winterkrieg kämpften etwa 200 jüdische Soldaten im finnischen Heer, darunter 15 jüdische Reserveoffiziere und mehrere Freiwillige. 14 Juden sind gefallen. Obwohl das jüdische Gemeindeleben seinen normalen friedensmäßigen Fortgang nahm, beteiligten sich gerade die Juden außerordentlich aktiv an jedem Hilfswerk für den sich im Kriege befindlichen Staat. Eine Gruppe freiwilliger jüdischer Helfer organisierte außerdem noch eine auf breiter Basis aufgezogene Hilfsaktion für jüdisch-sowjetische Gefangene, die mit offizieller Erlaubnis der finnischen Verwaltungs-und Militärbehörden vor sich ging.

Als Finnland laut Friedensvertrag vom 12. März 1940 Viipuri an die Sowjetunion abtreten mußte, verließen die 400 jüdischen Einwohner die Stadt, weil sie nicht unter sowjetische Herrschaft kommen, sondern bei Finnland bleiben wollten, und siedelten sich in Helsinki, Abo und Tempere an.

Kaum hatte Deutschland im April 1940 Dänemark und Norwegen besetzt, als eine große Anzahl jüdischer Flüchtlinge, die sich in jenen Landern als Ärzte, Zahnärzte oder Facharbeiter niedergelassen hatten, die neue Heimat wieder verließen und Zuflucht in Finnland suchten. Da Finnland den Flüchtlingen damals sofort Arbeitserlaubnis erteilte, konnten fast alle in ihren Berufen unterkommen. b) Finnland als Waffenbruder Deutschlands Nach Hitlers Angriff auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 führte auch Finnland als Verbündeter Deutschlands wieder Krieg. Alle demokratischen Kräfte Finnlands waren für diesen Krieg, das sei ausdrücklich hervorgehoben und deshalb nur erwähnt, daß Anfang Juli 1941 sowohl die finnische Sozialdemokratische Partei als auch der Zentralverband der finnischen Gewerkschaften England unter anderem mitteilte, „die Arbeiterschaft Finnlands habe keine Minute gezögert, für die Unabhängigkeit des Landes und seine Gesellschaftsordnung zu den Waffen zu greifen.“ Der American Federation of Labor gingen ähnlich lautende Mitteilungen zu.

Zur deutsch-finnischen Waffenbrüderschaft kam es im zweiten Weltkrieg, weil das im historischen Sinne ewig über Finnland hängende Damoklesschwert eben Rußland ist. Es gibt eine lange Liste von Verträgen zwischen Finnland und der Sowjetunion, die am 4. Januar 1918 mit der Anerkennung von Finnlands Unabhängigkeit beginnt, mit verschiedenen Nichtangriffs-und Freundschaftspakten der Jahre 1920, 1922, 1928 und 1932 fortgesetzt wird, um mit dem sogenannten Litwinow-Pakt 1934 zu enden, der bis zum Jahr 1945 Gültigkeit hatte. Doch obwohl Finnland so viele Abmachungen mit der Sowjetunion hatte und es im Jahre 1939 ablehnte, mit Hitler einen Nichtangriffspakt zu schließen, fiel die Sowjetunion trotz alledem 19 39 in Finnland ein, und die ganze demokratische Welt war über diese sowjetische Aggression empört. So empört, daß Rußland deswegen am 14. Dezember 1939 aus dem Völkerbund ausgeschlossen wurde. Der finnische Nationalhaß, eine Folge der langen Knechtschaft unter den Zaren und der neuen sowjetischen Aggression, schuf die finnische These vom „Separatkrieg“. Alle diese Umstände brachten es dazu, daß ein wahrhaft demokratischer Staat im letzten Weltkrieg dennoch gegen die Alliierten kämpfte.

So kam es dann auch zu der paradoxen und wohl einmaligen Situation, daß Juden als gleichberechtigt in einer mit Nazideutschland verbündeten und Seite an Seite kämpfenden Armee Soldaten sein konnten. Etwa 300 Juden kämpften in der finnischen Armee während des Krieges 1941— 1944. 17 jüdische Soldaten wurden zu Offizieren befördert und aus einer Anzahl jüdischer Ärzte sind Stabsärzte geworden. Deshalb kam es oft genug vor, daß deutsche „arische“ Soldaten finnisch-jüdische Offiziere grüßen mußten oder in der Kantine jüdische Solda-ten zu bedienen hatten. Zu Pesach (dem jüdischen Osterfest) erhielten die jüdischen Soldaten der finnischen Armee ihre Mazze (ungesäuertes Weißbrot) und am Jan Kipur (dem jüdischen Versöhnungstag) waren sie von jedem Militärdienst laut Armeebefehl befreit.

Auch im Kriege 1941— 1944 sorgten finnische Juden für jüdisch-sowjetische Gefangene und erwirkten sogar die Erlaubnis, sie durch die Jüdische Gemeinde auch religiös betreuen zu dürfen.

Um die These vom „Separatkrieg“ und das Paradoxon der Juden in einer Armee, die Nazideutschlands Waffenbruder war, verständlicher zu machen, sei folgendes gesagt:

Erstens ist bei der Analyse dieses Phänomens zu bedenken, daß die während des Krieges Finnland und die finnische Politik steuernden Persönlichkeiten keine neuen Männer waren, wie das gewöhnlich in den mit Hitler verbündeten Ländern der Fall gewesen ist, wo ja jedes Bündnis mit Hitler gleichzeitig auch die faschistischen Kräfte ans Ruder brachte. Größtenteils waren damals Finnlands Politiker noch die Männer, die einst Finnland Selbstständigkeit und Demokratie begründet und gezimmert hatten, wie Väino Tanner und Risto Heikki Ryti usw., oder die Organisatoren der finnischen Armee wie Marschall Mannerheim. Das eben ist ein Zeichen für die dauerhafte, zielbewußte und einheitliche finnische Politik.

Zweitens hatte Finnland bis 1944 gar kein direktes Bündnis mit Deutschland. Finnland betrachtete sich nicht etwa als politischer und ideologischer Partner Deutschlands, sondern lediglich als sein rein militärischer. Zur Erläuterung sei die Tatsache erwähnt, daß Finnlands Präsident Risto Heikki Ryti dem amerikanischen Gesandten in Helsinki am 4. Juli 1941 erklärte, Finnland habe politisch nicht das Geringste mit Deutschland gemein; die gleiche Feststellung wiederholte die finnische Regierung am 6. O Juli 1941 erklärte, Finnland habe politisch nicht das Geringste mit Deutschland gemein; die gleiche Feststellung wiederholte die finnische Regierung am 6. Oktober 1941 in England gegenüber in einem offiziellen Memorandum und am 3. Februar 1942 erklärte Präsident Ryti: „Wir kalten es für selbstverständlidr, daß keine Madrt von außen sich in unsere inneren Angelegenheiten einntisdien kann. Ebenso vermag niemand das System zu ändern, das wir selbst geschaffen haben und welches wir audr weiter entwickeln wollen.“

In Himmlers und Rosenbergs Stäben sowie in verschiedenen Abteilungen von Ribbentrops Außenministerium ist an dieser Erklärung eifrig herumgeknobelt worden. Heute läßt sich jedenfalls feststellen, sie zeitigte Resultate, denn bezüglich der finnischen Juden wagte Deutschland nie die Schärfe, welche es bei anderen Verbündeten für angebracht hielt (Ungarn, Slowakei usw.). Selbst mit dem offiziell ja nicht verbündeten Vichy-Frankreich von Petain und Laval ist die Judenfrage weit energischer und nachdrücklicher behandelt worden.

Als die schwedische kommunistische Zeitung „Arbetaren" Ende Dezember 1942 behauptete, die Juden Finnlands seien bedroht, gab der finnische Diplomat O. Varhervuori in den Vereinigten Staaten folgende amtliche Erklärung ab: „Das Statut der Juden in Finnland hat sich seit der Verfassung von 1919 in keiner Weise geändert. Ebenso kommen keinerlei Änderungen überhaupt in Betracht. Dem habe ich auf Wunsdi meiner Regierung noch hinzuzufügen, daß in Finnland nie so etwas wie ein „jüdisches Problem“ überhaupt existiert hat. Die 2 000 jüdisdten Mitbürger beteiligen sich normal an der allgemeinen Landesverteidigung und erfüllen ihre übrigen bürgerlichen Pfliditen ebenso normal.“

Man muß schon zugeben, das war eine klare und eindeutige Sprache bei einem Verbündeten, der damals Chelmno 3) und Belzec 4) längst weit hinter sich gelassen hatte.

Der finnische Diplomat Varhervuori sprach die Wahrheit, denn an Schulen und Universitäten in Finnland waren die jüdischen Studenten genau so zugelassen wie jeder andere Finne; das jüdische Gymnasium bestand weiter und erhielt seine Subvention vom Staat; der jüdische Klub und sonstige jüdische Institutionen hielten den Betrieb ebenfalls aufrecht. Alles war wie es immer gewesen war.

Im Hinblick auf derartige Dinge distanzierte sich auch die finnische Presse politisch von Nazideutschland und protestierte scharf gegen die antijüdischen Ausschreitungen in anderen Ländern. Als die Deutschen am 1. Oktober 1943 die dänischen Juden deportieren wollten und der deutsche Militärbefehlshaber in Dänemark deshalb den Belagerungszustand erklärte, griffen die finnisch-demokratischen Zeitungen die deutschen Maßnahmen heftig an. Als dann die finnische Presse nicht nur die deutschen Zivilbehörden sondern auch die Wehrmacht kritisierte, schickte Hitler am 14. Oktober 1943 General Jodl zu Präsident Ryti und protestierte schriftlich gegen den unfreundlichen Ton einem verbündeten Staat gegenüber. Wie wenig sich Finnland aus derartigen Protesten machte, geht deutlich aus zahlreichen Dokumenten hervor. Der gleichen Angelegenheit wegen intervenierte auch der deutsche Oberbefehlshaber in Finnland, General Waldemar Erfurth am 16. September 1943 bei Marschall Mannerheim persönlich. In seinen Erinnerungen meint General Erfurth, Mannerheim habe ihm darauf nur kurz und bündig geantwortet: „In Finnland herrscht Pressefreiheit.“ c) Marschall von Mannerheim Die 2 OOO jüdischen Menschen Finnlands sind jedoch nicht nur durch die demokratische Verfassung, die Regierung, öffentliche Meinung und Parteien gerettet worden, sondern auch Marschall Mannerheim, Finnlands oberster Soldat im zweiten Weltkrieg, trug seinen Teil dazu bei. Mannerheims ganze Persönlichkeit ist kaum weniger charakteristisch als die jüdischen Soldaten in den Reihen von Hitlers Waffenbruder.

Es ist wenig wahrscheinlich, daß Mannerheim aus irgendwelchen philosemitischen Gründen handelte. Wenn man seinen Lebenslauf kennt, wird man den Gedanken an solche Gefühle bei ihm schnell fallen lassen, denn die zaristische Vergangenheit war dazu viel zu tief in ihm verwurzelt. Mit 29 Jahren genoß der zaristische Offizier Mannerheim bereits das Privileg, einer der beiden auserwählten Offiziere zu sein, die den Zaren zu seiner Krönung begleiteten.

Im Hinblick auf die Juden handelte Mannerheim einfach aus Gründen der Staatsräson. Ein Nachgeben und die Auslieferung der Juden wären für den großen Patrioten Mannerheim gleichbedeutend mit Schwäche und Abhängigkeit gewesen. Unabhängig von deren Religion und Rasse, fühlte er sich für alle finnischen Bürger verantwortlich.

Mannerheim dehnte die finnische These vom „Separatkrieg" auch auf den militärischen Sektor aus und der Waffenbrüderschaft mit Hitler wegen betonte er Finnlands Unabhängigkeit umso energischer. Am 24. August 1941 lehnte der Marschall es ab, bei den Kämpfen in Karelien um Leningrad der deutschen Wehrmacht die finnische Armee zur Hilfe zu schicken; im Juli und August 1942 weigerte Mannerheim sich abermals, den deutschen Sturm auf Leningrad militärisch zu unter stützen. Das sind nur ein paar Beispiele, doch in den Akten des deutschen Generalstabs sind unzählige Einzelheiten darüber verzeichnet, wie oft Mannerheim sich über die strategischen Pläne Deutschlands einfach hinwegsetzte und seinen „Separatkrieg“ praktisch auf eigene Faust führte.

Der bereits erwähnte deutsche General Waldemar Erfurth sagt in seinen Erinnerungen über Mannerheim: „Er hat weder anglophile noch pro-deutsdie, sondern immer nur finnische Politik getrieben.“

Finnlands Verhalten verdient doppelte Würdigung, denn es darf nicht vergessen werden, daß es hinsichtlich der Lebensmittel-und Rohstoffversorgung niemals autark war. Während der Waffenbrüderschaft mußte Deutschland diese Mangelware laufend nach Finnland liefern und bei der Judenfrage — darauf wird an anderer Stelle noch ausführlicher eingegangen werden — hat Hitler auch versucht, Finnlands Notlage auf diesem Gebiet für seine Pläne auszunutzen.

Für Mannerheim waren Deutschlands Lieferungen an Kohle, Benzin oder Kautschuk im Interesse der finnischen Armee außerordentlich wichtig, aber kein einziges Mal ließ er sich dadurch zwingen, auf grundsätzliche Kompromisse einzugehen.

Wie absolut glaubwürdige finnische Politiker behaupten, hat Manner-B minister Horelli Deutschlands Verlangen Anfang 1942 schon stattgeben wollte und auf Kompromisse einzugehen bereit war, indem er deutsche jüdische Flüchtlinge auszuliefern beabsichtigte. Das Veto einer so verehrten Persönlichkeit wie Mannerheim hatte selbstverständlich Erfolg. Deshalb hängen auch nicht umsonst in den Heimen der finnischen luden die Bilder von Marschall Mannerheim und nicht ohne Grund steht sein Bild im jüdischen Klub oder in anderen jüdischen Institutionen auf dem Ehrenplatz. Die finnischen Juden, welche in Israel „Mannerheimbäume" pflanzten, wissen ebenfalls warum sie es taten, denn ohne Mannerheims Eingreifen, ohne sein Prestige, das enorm war, wären die 2 OOO jüdischen Bürger Finnlands wohl kaum unangetastet geblieben. d) Faschistisch-Antisemitische Gruppen Ganz wie in anderen demokratischen Staaten, war auch die offizielle Politik Finnlands aus dem Verhalten der Regierung, des Parlaments, der Presse und der öffentlichen Meinung ersichtlich.

Natürlich aber gab es auch in Finnland Kräfte, welche die demokratische Ordnung zu sabotieren und zu untergraben versuchten.

An der Spitze solcher Kreise stand die schon erwähnte National-Patriotische Liga — IKL. Im Herbst 1940 tauchte außerdem noch die „Finnische Nationalsozialistische Arbeiter Organisation“ (SKT) auf und neben ihr noch andere Splittergruppen. In jenen Jahren begannen auch Nazizeitungen zu erscheinen, so zum Beispiel „Der Nationalsozialist“ (Kansallissosialisti) und „Freies Finnland" (Vapaa Suomi) u. a. m Selbstverständlich hing das auch bis zu einem gewissen Grade mit den damaligen Siegen Hitlers zusammen, die sich so stark auswirkten, daß im Dezember 1940 in den Reihen der neuen Koalitionsregierung (nach der Wahl des neuen Präsidenten Risto Heikki Ryti) schon ein IKL-Minister mit Namen J. W. Annala war. Die faschistischen Kreise nützten eine derartige Konjunktur natürlich aus und veranstaltesen riesige Kundgebungen. Im Mekka des finnischen Faschismus — in Lapua) kam es sogar zu einer öffentlichen Sympathie-Kundgebung, auf der Hitlers Neuordnung Europas proklamiert wurde.

Auf einer Parlamentssitzung am 25. Juni 1941 propagierte die IKL, die von 200 Abgeordneten acht stellte, im faschistischen Stil die Idee eines Groß-Finnland vom Ladoga-See bis zum Weißen Meer.

Begreiflicherweise konnte der finnische Faschismus nicht auf den ewigen Sündenbock, den Juden, verzichten und mißbilligte daher bei jeder passenden Gelegenheit die liberale Behandlung der jüdischen Flüchtlinge im Lande. Professor B. A. Salmiala, ein IKL-Abgeordneter, veröffentlichte sogar einen giftigen Artikel in diesem Sinne und im April 1942 schlugen drei hitlerhörige Magistratsbeamte in Helsinki vor, die jüdischen Geschäfte zu kennzeichnen. Der übrige Magistrat stimmte jedoch einmütig dagegen.

Alle anderen Parteien Finnlands lehnten sowieso derartige Projekte und Tendenzen schärfstens ab und im Mai 1942 berief die Sozialdemokratische Partei eine große Protestversammlung gegen solche faschistischen Versuche ein. Die Zeitungen „Suomi Sosialidemokrati“

und die konservative „Svenska Pressen“ sowie andere machten sich um die Aufklärung der finnischen Massen bezüglich der wahren Absichten der Faschisten sehr verdient.

Analysiert man einmal die allgemeine Stimmung der finnischen Bevölkerung damals gründlich, läßt sich feststellen, daß alle faschistischen Parolen wenig Anklang fanden. Bester Zeuge dafür ist wieder einmal der deutsche General Waldemar Erfurth, der in seinen Erinnerungen meint, das finnische Volk habe keinen Funken Interesse für die nationalsozialistische Doktrin gezeigt, sondern im Gegenteil, seine Abneigung deutlich bekundet e) Himmlers Besuch in Finnland Hitler war fest entschlossen, auch die 2 000 Juden Finnlands zu vernichten und schickte deshalb den Hauptverantwortlichen für die Durchführung seiner Mordphantasien, Heinrich Himmler, nach Helsinki.

Wenn es trotzdem nicht zum Mord kam, ist das allein der Einstellung der finnschen Regierung und auch Himmlers Leibarzt, Felix Kersten, zu verdanken.

Kersten wurde 1898 in Dorpat/Estland geboren und absolvierte die Mittelschule in Riga. Als in Rußland die bolschewistische Revolution ausbrach, trat Kersten als Freiwilliger in die finnische Armee Manne-heims ein, wurde verwundet und lag längere Zeit im Lazarett. Dort entdeckten die Ärzte seine wunderliche Veranlagung zur medizinischen Massage, die in Kerstens Leben eine so große Rolle spielen sollte. Der junge Mann wurde finnischer Staatsbürger und studierte in Deutschland Medizin. Nach Abschluß des Studiums spezialisierte er sich sofort auf medizinische Massage und da er viele berühmte Leute heilen konnte, wurde er bald sehr bekannt. Sein Ruhm drang auch zu Himmler, der an Magenkrämpfen litt. Kersten nahm jedoch Himmlers Angebot, sein Leibarzt zu werden, erst an nachdem ihm der damalige finnische Gesandte in Berlin, Professor T. M. Kivimaeki (siehe Anhang!) 1940/41 dazu geraten hatte.

Im Juli 1942 teilte Himmler seinem Leibarzt während einer Behandlung mit, er müsse nach Finnland reisen, um dort unter anderem die Deportation der 2 000 finnischen Juden zu betreiben. Auch sie sollten nach Majdanek „ausgesiedelt“ werden. Himmler war über den großen Lebensmittelmangel in Finnland unterrichtet, und hoffte wohl, auf diese Weise eine Art Erpressung durchführen zu können, denn zur gleichen Zeit lieferte Deutschland 30 000 Tonnen Getreide an Finnland.

Sobald Kersten von Himmlers Vorhaben erfuhr, setzte er sich mit Professor Kivimaeki, seinem Gesandten, in Verbindung und beide beschlossen, Himmler müsse seine Reise verschieben. Ferner habe Kersten dafür zu sorgen, daß er Himmler nach Finnland begleitete. Als sein Arzt teilte Kersten also Himmler mit, daß dessen Gesundheitszustand augenblicklich eine solche Reise nicht zulasse. Deshalb entschied Himmler, Kersten habe eben mitzukommen. Beide reisten bald darauf zusammen mit Himmlers Adjudanten und Verbindungsmann zu Hitler, SS-Obergruppenführer Karl Wolff, ab. Kurz nach seiner Ankunft in Helsinki bekam Himmler wieder Magenkrämpfe und während Kersten ihn massierte, riet er ihm, einstweilen keine offiziellen Demarchen der finnischen Juden wegen zu unternehmen, sondern sich lieber erst einmal mit finnischen Regierungsmitgliedern über dieses Thema zu unterhalten. Kersten aber nutzte die Zeit und berichtete dem finnischen Außenminister Rolf Witting von der Deportations-Mission Himmlers. Beide kamen überein, Himmler klarzumachen, daß Finnland die Juden nicht ausliefern könne ohne Abstimmung des Parlaments. Dieses sei jedoch in Ferien und trete erst wieder im November zusammen. Bis dahin müsse man warten, da es zu großes Aufsehen erregen würde, wenn die Regierung das Parlament aus den Ferien zurückrufe und eine außerordentliche Sitzung anberaume.

Einige Tage später erzählte Himmler seinem Leibarzt, er wolle nun endlich die Judenfrage anschneiden. Sofort schlug Kersten vor, er, als finnischer Staatsbürger, wollte dann lieber sondierende Gespräche mit dem finnischen Premierminister J. W. Rangell führen und vielleicht auch mit Außenminister Witting, bevor Himmler selbst offiziell damit herauskomme. Nach längerem Hin und Her willigte Himmler ein und Kersten teilte ihm schon wenige Stunden später — angeblich nach Gesprächen mit den beiden Ministern — mit, daß beide im Prinzip mit der Deportation der finnischen Juden einverstanden seien, die Angelegenheit jedoch erst im Herbst vom Parlament beschlossen werden könne. Nachdem Himmler deswegen mit Hitler telefoniert hatte, ging er freudig auf den Novembertermin ein. Kurz darauf erwähnte Himmler Premierminister Rangell gegenüber, daß ihm Kersten von den Schwierigkeiten hinsichtlich der Deportation erzählt habe und daß er selbst auch dagegen sei, der Juden wegen so viel Aufhebens zu machen und eine Sondersitzung des Parlaments einzuberufen. Es würde doch zu viel Aufsehen erregen.

Damit schlief die Sache dann ein.

Wichtig wäre vielleicht noch, darauf hinzuweisen, daß es dem finnischen Geheimdienst während des Himmler-Besuchs in Finnland gelang, den Inhalt der persönlichen Akten des Reichsführers-SS zu fotographieren. In ihnen befand sich auch eine Liste der ca. 2 000 Juden Finnlands. Auf einer Geheimsitzung beschloß die finnische Regierung übrigens damals, keinen einzigen Juden auszuliefem und Außenminister Witting hatte auch Kersten gegenüber bereits geäußert-. „Finnland ist eine anständige Nation. Lieber gehen wir mit den Juden zusantnten zugrunde. Wir werden keinen einzigen Juden ausliefern. u f)

Jüdische Flüchtlinge werden ausgeliefert Was Himmler bei der finnischen Regierung nicht durchsetzen konnte, gelang der Gestapo beim finnischen Polizeichef Arno Kalervo Anthoni in kleinem Rahmen.

Die Lage der jüdischen Flüchtlinge nach Ausbruch des Krieges 1940/41 war wie folgt: Im Sommer 1941 konzentrierte man jüdische Flüchtlinge in einem Arbeitslager nördlich des Polarkreises, in einem Gebiet also, in dem deutsches Militär stationiert war. In solcher Nachbarschaft fühlten sich die Flüchtlinge aus begreiflichen Gründen nicht gerade sonderlich wohl und baten daher, in eine andere Gegend verlegt zu werden. Das geschah. Man schaffte sie auf die Insel Suursaari im finnischen Golf, die allerdings im Kriegsgebiet lag und dauernd den Bomben ausgesetzt war, wohin sie aber mit tausend Freuden gingen. Andere Flüchtlinge waren in Lammi zusammengezogen.

So gut sie eben konnten, unterstützten die jüdischen Gemeinden in Finnland alle Flüchtlinge. Viele von ihnen eröffneten übrigens kleine Werkstätten und beschäftigten sich hauptsächlich mit der Anfertigung von Papiertaschen und Miedern.

Selbstverständlich wußte die Gestapo sehr wohl, wo die jüdischen Flüchtlinge waren, und beschloß — wenn auch nur jeweils in geringer Anzahl — sie mit allerlei Tricks aus Finnland herauszuholen. So übergab sie Anfang 1942 den finnischen Polizeiämtern eine Liste von ca. 50 jüdischen Flüchtlingen und verlangte deren Auslieferung, weil sie Schwindler und Verbrecher seien, die vor ein deutsches Gericht gestellt werden sollten. Der als nicht gerade großer Freund der Flüchtlinge bekannte Innenminister Horelli hatte fast schon die Genehmigung erteilt und ein deutsches Schiff lag ebenfalls bereit, um die „Fracht“

an Bord zu nehmen. Inzwischen aber hatten sozialdemokratische Führer und andere demokratische Politiker von der Sache Wind bekommen und protestierten erbittert dagegen, daß so eine Genehmigung jemals erteilt werden könnte. Der sozialdemokratische Minister Karl August Fagerholm drohte sogar mit seinem Rücktritt, falls die Flüchtlinge tatsächlich ausgeliefert würden. Wie bereits erwähnt, wandte sich auch Marschall Mannerheim schärfstens gegen das schändliche Ansinnen.

Der finnische Polizeichef Anthoni allerdings hatte — wenn auch rein verwaltungsmäßig — stets gut mit der Gestapo zusammengearbeitet.

Bereits im April 1942 war Anthoni nach Berlin eingeladen worden und hatte dort mit SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann, dem Haupt-verantwortlichen für die Endlösung der Judenfrage, SS-Gruppenführer Strechenbach und SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Sicherheitspolizei Heinrich Müller verhandelt. Nach dem Kriege entdeckte man auch noch eine Korrespondenz Anthonis mit SS-Gruppenführer Müller, in der „Gespräche“ und „Absprachen“ hinsichtlich „der nach Finnland geflüchteten mitteleuropäischen Juden“ verschiedentlich erwähnt sind. In einem Schreiben schlägt Anthoni vor, „die Juden bei erster Gelegenheit" auszuliefern. Die Polizei der beiden Staaten verständigte sich offenbar.

Einem offiziellen Kommunique der finnischen Regierung ist zu entnehmen, daß Anfang November 1942 tatsächlich vier jüdische Flüchtlinge an Deutschland ausgeliefert wurden.

• Der finnische Abgeordnete Carl Olof Frietsch yon der schwedischen Volkspartei behauptet jedoch, es seien nicht vier, sondern vielmehr 15 jüdische Flüchtlinge ausgeliefert worden. Aus anderen Dokumenten geht hervor, daß es acht Flüchtlinge waren, und zwar Elias Kopelowski, Heinrich Huppert mit seinem 10jährigen Sohn Kurt, Georg Kolmann mit seiner Frau Janka und dem zweijährigen Sohn Franz Olof sowie Hans Robert Korn, ein Kriegsfreiwilliger des Winterfeldzugs 1939/40, und Hans Eduard Szybils. Außer Georg Kolmann sind alle umgekommen. Diese acht jüdischen Flüchtlinge, die ausgeliefert wurden, schaffte man mit dem Schiff „Hohenhörn“ von Helsinki nach Reval und dort lieferten die Posten sie an die Gestapo ab.

Kurz nach diesem schrecklichen Ereignis setzte ein heftiger Protest-

rm der demokratischen Presse sowie der demokratischen Parteien in Finnland, ein. Wenn die Auslieferung von ein paar jüdischen Flüchtlingen an die Gestapo in einer Zeit, da Menschenleben im allgemeinen und jüdische im besonderen keinen Pfifferling wert waren, so einen Orkan der Empörung verursachten, so kann das nur als Lob für die finnische Demokratie und die humane Einstellung der Finnen selbst gewertet werden Später stellte sich dann heraus, daß die meisten Mitglieder der finnischen Regierung überhaupt nichts von der guten polizeilichen Zusammenarbeit Finnlands mit Deutschland ahnten.

Die „Suomen Sosialidemokratii" schrieb damals: „Das Schicksal der Flüchtlinge, die schon Vermögen und Heim verloren haben, ist schrecklich genug. Es gibt aber wahrhaftig keinen triftigen Grund, ihre Lage noch zu versdrlimmern. Laßt uns dafür sorgen, dafl auf Finnlands Ehre kein Fled^ fällt, nadtdem wieder Frieden herrschen wird “ Eine andere Zeitung, die „Helsingin Sanomat“, schrieb: „Jeder Staat, der das Asylrecht nicht achtet, verwirkt das Recht, als unabhängiger Staat angesehen zu werden “ Auf ganz ähnliche Art reagierte fast die gesamte Presse aller demokratischen Parteien.

Von dem Zeitpunkt jener beklagenswerten Auslieferungen an gönnten sich viele demokratische Politiker schon keine Ruhe mehr, sondern trachteten ununterbrochen danach, das Leben der jüdischen Flüchtlinge vor eventuellen Gefahren zu schützen. Ihre hauptsächlichen Bemühungen konzentrierten sich darauf, die Flüchtlinge möglichst nach Schweden in Sicherheit zu schaffen. Doch selbst Schweden stellte damals nicht so leicht Einreisevisen aus. Erst nachdem die Vereinigten Staaten erklärt hatten, sie seien bereit, die Flüchtlinge aufzunehmen, bewilligte Schweden 200 Transitvisen. Der Hauptteil der jüdischen Flüchtlinge war inzwischen sowieso bereits auf verschiedenen Wegen und LImwegen nach Schweden gelangt. Außerordentlich wertvoll war die Arbeit der sozialdemokratischen Abgeordneten Frl. Karson, sowohl beim allgemeinen Flüchtlingshilfswerk als auch bei den diversen Intervenzen in Schweden. Andere sozialdemokratische Führer Finnlands, besonders aber der Abgeordnete A. Viirtaanen, fuhren Anfang 1944 nach Schweden, um dort mit der Jüdischen Gemeinde in Stockholm über die den Juden in Finnland unter Umständen drohenden Gefahren zu beratschlagen. In Stockholm wurde damals sogar beschlossen, auf ein bestimmtes Zeichen hin, eine allgemeine Rettungsaktion für alle Juden Finnlands zu unternehmen. Aber die finnischen Juden hatten Glück, denn zum Lobe Finnlands muß gesagt werden, daß es dazu nicht kam.

Von den vielen Flüchtlingen sind nur zehn in Finnland geblieben und nach dem Kriege finnische Bürger geworden.

Anhang

1) Brief des finnischen Gesandten, Prof. T. M. Kivimaeki Herrn Medizinalrat Felix Kersten Stockholm In meiner Eigenschaft als Finnlands Gesandter in Berlin während der Jahre 1940 bis 1944, bestätige ich Ihre Aktivitäten in jeder Zeit gern wie folgt:

Nachdem Sie als Freiwilliger 1918 am Befreiungskrieg teilgenommen hatten, wurde Ihnen die finnisdte Staatsbürgersdiaft zuerkannt. Darauf absolvierten Sie Ihre Dienstzeit beim Schutzkorps.

Den mir vorgelegten Dokumenten zufolge, waren Sie befugt als Natur-Arzt zu praktizieren und als solcher wurden Sie dann auch mit der therapeutischen Behandlung Himmlers beauftragt, wodurch Sie die einmalige Gelegenheit erhielten, zu Gunsten Finnlands Einfluf? auf Ihren Patienten auszuüben, der in politischer Beziehung in Deutschland sehr einflußreich war. In sehr vielen Fällen nutzten Sie diese Möglichkeit mit gutem Erfolg. Ganz besonders entsinne ich mich der Tatsadte, daß Ihre Unterstützung wirksam dazu beitrug, die verheerende Lebensmittelverknappung in Finnland durch deutsche Getreidelieferungen zu lindern Ebenso lebhaft blieb mir im Gedächtnis, daß Sie mich über Hitlers Vorhaben, die finnische Regierung zur Deportation der finnisdten Juden nach Polen zu veranlassen, informierten. und daß Himmler schon im Juli 1942 damit beauftragt worden war. Wenn das Ansinnen auch keinen Erfolg hatte, so ist es doch Ihrem Eingreifen zu danken, daß die Forderung nicht nachdrüddidi gestellt worden ist.

In gleicher Weise unterstützten Sie mich in anderen Fällen. Sei es indem Sie verhinderten, daß die gegen Finnland tatsächlich beabsichtigten Maßnahmen ergriffen wurden, sei es indem Sie die Freilassung oder dodt Erleidrterung der schrecklichen Lage gewisser Verhafteter erreidtten, um deren Rettung ich mich auftragsgemäß zu kümmern hatte oder deren Schid tsal mir am Herzen lag (der norwegische Prof. Leip, der finnisd'ie Generalkonsul Bodker in Oslo, aus Dänemark deportierte Juden, norwegische Studenten etc.), ganz zu schweigen von den unzähligen Informationen, die ich im Lauf des Krieges über die innerpolitischc Lage in Deutsdtland von Ihnen erhielt und die für die Politik Finnlands von Widrigkeit waren.

Darüber hinaus ist mir bekannt, daß Sie Tausenden und Abertausenden von Holländern, Polen, Sdiweden und anderen Staatsangehörigen halfen und ihnen das Leben retteten. Die Kühnheit, mit der Sie trotz dem Widerstreben der Nazis und oft unter eigener Lebensgefahr Ihre Unternehmungen durchführten, habe ich jederzeit voll anerkannt. Nun höre idt da von Ihnen, daß man Sie selbst für einen „Nazi“ hält; nadt allem, was ich von Ihnen kennengelernt habe, entspricht diese Bezeidi-Miing jedodr nidrt der Wahrheit.

Indem idt Ihnen diese Versicherung gebe, stelle idt gleidtzeitig ausdrüddich fest, daß Ihnen ein finnischer Militärpaß zur Verfügung gestellt wurde, um Ihnen die Arbeit zu erleichtern, und in Anerkennung der außerordentlidt wertvollen Dienste, die Sie Finnland erwiesen haben, wurde Ihnen der Titel eines finnisdten Medizinalrats sowie das Komtur-Kreuz der Weißen Rose verliehen.

Ich ermächtige Sie dazu, sich dieser Besdteinigung bei den zuständigen Behörden zu bedienen. Hodtachtungsvoll gez. T. M. Kivimaeki Helsinki, den 5. 12. 48 Prof, an der Universität Helsinki 2) Erklärung des finnischen Gesandtschaftsrates Edvin Lundstroem . . . In meiner Eigenschaft als Gesandtschaftsrat der finnischen Gesandtschaft zu Berlin von 1937— 1944, bin ich in der Lage, die nachstehende Erklärung über die Aktivitäten des finnischen Medizinalrats Felix Kersten abzugeben . . .

. . . Medizinalrat Kersten, der den Reichsführer-SS und Chef der deutschen Polizei Heinrich Himmler seit 1939 als Spezialist für manuelle Therapie behandelte, übte diese Tätigkeit mit Wissen und vollster Zustimmung der finnischen Gesandtschaft aus. Bei ihrer Zustimmung ging die Gesandtschaft von dem Gedanken aus, daß die enge Verbindung eines finnischen Staatsangehörigen zum Chef der deutschen Polizei in dieser oder jener Weise nutzbringend werden könnte. Der Verlauf der Ereignisse zeigte uns dann auch später wie recht wir mit dieser Annahme hatten . . .

. . . Was nun Finnland selbst betrifft, so entsinne ich mich, daß Herrn Kerstens Intervention bei Himmler vielleicht entscheidend dazu beigetragen hat, die Verpflegungsschwierigkeiten in Finnland durch deutsche Getreidelieferungen zu beheben. Wie ich von Persönlichkeiten erfuhr, die bei Herrn Kersten Interventionen zugegen waren, benutzte Herr Kersten seinen Einfluß auf Himmler dazu, durchzusetzen, daß dem deutschen Verlangen, als Gegenleistung für das Getreide die Auslieferung der finnischen Juden zu fordern, nicht mit Schärfe Ausdruch verliehen wurde. Bei unzähligen anderen Gelegenheiten ist Herr Kersten gleicherweise stets sofort bereit gewesen, die finnische Gesandtschaft so tatkräftig wie nur möglich zu unterstützen . . .

. . . Darüber hinaus unterliegt es keinem Zweifel, daß Herr Kersten seinen Kampf zum Wohle der Menschheit aus eigenem freien Willen geführt hat, und zwar ausschließlich als Arzt und Mensch, ohne jeglichen politischen Hintergedanken . . . . . . In Anerkennung seiner Dienste hat die finnische Regierung Herrn Kersten den Titel und Rang eines Medizinalrats sowie das Komtur-Kreuz des Ordens der Weißen Rose verliehen.

Stockholm, den 1. Juli 1949 gez. Edvin Lindstroem 3) Brief des Jüdischen Weltkongresses Congres Juif Mondial — 78, avenue des Champs-Elysees, Paris (8e)

ALK/St Paris, den 4. Dezember 1946 Herrn Felix Kersten Stockholm Sehr geehrter Herr Kersten, wir fühlen uns verpflichtet, Ihnen unseren Dank und unsere besondere Anerkennung für die wertvollen Dienste auszusprechen, die Sie unserem Volk geleistet haben, als wir im Verlauf der tragischen Kriegsjahre verzweifelt versuchten, Juden zu retten. Besonders denken wir da an Ihre erfolgreichen Versuche, die vor Kriegsende dazu führten, 3 500 in deutschen Konzentrationslagern internierte Juden zu befreien, und daran, daß eine Zahl Konzentrationslager den Alliierten von den deutschen Behörden übergeben wurde.

Niemals haben Sie uns Ihre Unterstützung versagt, so schwer das in jener Zeit auch war. Unser Volk wird Ihre Bemühungen und das von Ihnen Vollbrachte niemals vergessen.

Mit dem Ausdruck der vorzüglichen Hochachtung gez. A. — Leon Kubowitzki Generalsekretär Bibliographie 1) Archiv des YAD VASHEM, Israel, Aussage von Frau Rauha Moision.

2) Archiv des „Centre de Documentation Juive Contemporaine", Paris, Dokument LXX— 106.

3) Archiv der „Wiener Library", London: Presse aus Finnland und Schweden 1936— 1944.

4) Blauweißbuch der Finnischen Regierung, Helsinki 1939.

5) Blücher, Wipert v.: Gesandter zwischen Diktatur und Demokratie-Erinnerungen aus den Jahren 1935— 1944, Wiesbaden 1951.

6) Brotherus, K. R. Dr.: Staat und Kirche in Finnland, Königsberg/Pr. 1931.

7) Commentary, New York, April 1957.

8) Congress Weekly, New York, 28. Mai 1943.

9) Erfurth, Waldemar: Der finnische Krieg 1941— 1944, Wiesbaden 1950.

10) Fischer, A. J.: „Juden in Finnland'in „Zionistische Stimme', Paris, 18. November 1948.

11) Hitler's Ten Year War on the Jews, New York 1943.

12) Karjalainen, Ahti: Finnlands Neutralität in „Außenpolitik", Bonn, Heft 5, 1958.

13) Kersten, Felix: Totenkopf und Treue — Heinrich Himmler ohne Uniform, Hamburg 1952.

14) Kling, Ernst: Finnlands Freiheit 1917— 1957, U. Steiner Verlag, Schloß Laupheim 1956.

15) Leiviska, J.: Finnland Jahrbuch, 1943.

16) Lundin, G. Leonard: Finland in the Second World War, Indiana University Press, 1957.

17) Mannerheim, C. G.: Erinnerungen, Zürich 1952.

18) Mazour, Anatole G.: Finland between East and West, New York 1956.

19) Minnesskrift tillägnad de judiska soldater i finska armen vilka stupat för fosterlandet i finsk-ryska kriget 1939— 40.

20) Moräne, Pierre: Finlande et Caucase, Paris 1900.

21) New Leader, New York, Mai, 4. 1956.

22) New York Times, 6. 12. 1942 und 20. 12. 1942.

23) Perret, Jean-Louis: La Finlande, Paris 1937.

24) Perret, Jean-Louis: La Finlande en Guerre, Paris 1940.

25) Procope, Hjalmar J.: Sowjet Justiz über Finnland, Zürich 1947.

26) Roussilon, Didier de: Vrits sur la Finlande.

27) Sabille, Jacques: Le Dossier Kersten, (Le Monde Juif), Paris, Januar 1951.

28) Souvoroff, P.: La condition des Juifs en Finlande (traduit par A. du Charyla), St. Petersburg 1912.

29) Tanner, Väino: The Winter War — Finland against Russia 1939— 1940, Stanfort University Press 1957.

30) Wulf, Josef: Zickzack des jüdischen Schicksals (über Juden in Finnland während des letzten Krieges) in „Kyioum*, Paris, Juni—August 1952.

31) Wuorinen, JohnH.: Finland and World War II 1939— 1944, New York 1948.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Ein weiterer Schritt in dieser Richtung erfolgte Ende Februar 1959 durch die Konstituierung des Ungar. Jugendkongresses in Hennef.

  2. Es handelte sich um Soldatenkinder, die gegen spätere Dienstverpflichtung auf Staatskosten erzogen wurden. Als Nikolaus I. 1827 die Rekruten-dienstpflicht auf die jüdische Bevölkerung ausdehnte, wurde ein besonderer Punkt in das Gesetz ausgenommen: „Minderjährige Kinder von Juden, d. h im Alter bis zu 18 Jahren, werden in Spezialanstalten untergebracht, um sie für den Kriegsdienst vorzubereiten". Diese Maßnahme wurde sehr streng durchgeführt. Kinder von 8— 12 Jahren, manchmal sogar darunter, wurden den Eltern entrissen und zur militärischen Ausbildung verschickt. Die Dienstpflicht Jahren dauerte selbst mit 18 und 25 Jahre.

  3. In den National Archives in Washington befindet sich eine umfangreiche Dokumenten-Sammlung der Auslands-Organisation der NSDAP. Jenen Berichten ist eindeutig zu entnehmen, wieviel Propaganda-Material in Druck, Film und dergl. für „weltanschauliche Aufklärung“ seitens der NSDAP gerade nach Finnland eingeschleust worden ist.

  4. Vernichtungslager, in dem ca. 600 000 Juden umkamen. f

  5. Die 3 Briefe stammen aus dem Archiv des „Centre de Documentation Juive Contemporaine“ in Paris.

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