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Die Bundestagswahl 1969 in wahlstatistischer Perspektive Materialien zur Diskussion des Wahlergebnisses | APuZ 51-52/1969 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 51-52/1969 Theodor Fontane als Zeit-und Gesellschaftskritiker Ein Beitrag zu seinem 150. Geburtstag am 30. Dezember Die Bundestagswahl 1969 in wahlstatistischer Perspektive Materialien zur Diskussion des Wahlergebnisses

Die Bundestagswahl 1969 in wahlstatistischer Perspektive Materialien zur Diskussion des Wahlergebnisses

Dieter Nohlen /Rainer-Olaf Schultze

1. Vorbemerkung

402") Tabelle I: Ergebnisse der Bundestagswahlen 1949— 1957 nach Stimmen und Mandaten Wahlen: Wahlberechtigte in °/o der Bevölkerung Abgegebene Stimmen in °/o der Wahlberechtigten Ungültige Stimmen in % der abgegebenen Stimmen Christlich Demokratische Union/Christlich Soziale Union (CDU/CSU) Sozialdemokraten (SPD)

Freie Demokratische Partei/Deutsche Volkspartei (FDP/DVP) Deutsche Partei (DP) Gesamtdeutscher Block BHE Zentrum Bayernpartei (BP) Kommunistische Partei (KPD) Deutsche Friedensunion (DFU) De車?

Die Parlamentswahlen in den demokratisch-pluralistischen Verfassungsstaaten erfüllen bestimmte Funktionen In parlamentarischen Systemen ist es eine vorrangig zu nennende Funktion, darüber zu entscheiden, welche Partei oder Koalition von Parteien die Regierung übernehmen soll und welche Partei oder Parteien in die Opposition gehen sollen.

Zu Darstellung I Gradzahlen für die Direktmandate: Schleswig-Holstein Hamburg Niedersachsen Bremen Nordrhein-Westfalen Hessen Rheinland-Pfalz Baden-Württemberg Bayern Saarland Bundesrepublik CDU SPD CDU SPD CDU SPD CDU SPD CDU SPD CDU SPD CDU SPD CDU SPD CSU SPD CDU SPD CDU SPD 1961 334, 3 25, 7 0, 0 360, 0 158, 8 201, 2 0, 0 360, 0 223, 7 136, 3 49, 1 310, 9 240, 0 120, 0 294, 5 65, 5 321, 7 38, 3 360, 0 0, 0 227, 4 132, 6 1965 327, 3 32, 7 0, 0 360, 0 240, 0 120, 0 0, 0 360, 0 187, 4 172, 6 81, 8 278, 2 圐٘?

Die Bundestagswahl vom 28. September 1969 hat in dieser wichtigen Frage keine eindeutige Entscheidung herbeigeführt. Ihr Ergebnis ließ mehrere Möglichkeiten der Regierungsbildung offen. Damit wurde es nach der Wahl zur Aufgabe derjenigen Parteien, die Parlamentsmandate erringen konnten, das Wahlergebnis zu interpretieren und eigentlich erst zu komplettieren. Die Analysen der Wahl, die von Seiten der Parteien vorgebracht wurden, besaßen somit eine eminent politische Funktion; sie dienten der Legitimierung ihrer eigenen Interessen. Es wurden Hypothesen aufgestellt über die Wählerbewegung zwischen den Parteien und die neue Wählerstruktur der FDP; die Bildung der kleinen Koalition unter Führung der Sozialdemokraten versuchte man damit zu begründen. Die Wahlsoziologie wird die Richtigkeit dieser Annahme erst noch überprüfen müssen. Auch wurde der ominöse Begriff vom Wählerwillen in die Auseinandersetzung um das Wahlergebnis hineingetragen, von Mani-pulation und Verfälschung des Wählerwillens gesprochen. Demoskopische Umfrageergebnisse wurden aufgegriffen, um mit ihnen die Aussage der Wählerschaft im Hinblick auf die Frage, wer Bundeskanzler werden solle, zu spezifizieren.

Prozent Prozent Darstellung II: Die Differenz von Stimmen und Mandaten der Parteien bei den Bundestagswahlen von 1949— 1969

Mit der Entscheidung über die Bildung der kleinen Koalition aus SPD und FDP wurde inzwischen — legitimiert durch die parteipolitische Interpretation des Wahlergebnisses — die wichtigste politische Konsequenz aus der Wahl gezogen. Dennoch bleibt die wissenschaftliche Analyse der Wahl eine vordringliche Aufgabe, zumal ihr für die Bundestagswahl von 1969 zumindest eine besondere, wenn nicht sogar eine größere Bedeutung als bei allen vorangegangenen Wahlen zukommt.

Zahlenangaben zur Darstellung II 1949 1953 1957 1961 1965 1969 CDU/CSU SPD FDP DP KPD Sonstige CDU/CSU SPD FDP DP KPD Sonstige CDU/CSU SPD FDP DP Sonstige CDU/CSU SPD FDP Sonstige CDU/CSU SPD FDP Sonstige CDU/CSU SPD FDP Sonstige Stimmen 31, 0 29, 2 11, 9 4, 0 5, 7 18, 2 45, 2 28, 8 9, 5 3, 3 2, 2 11, 0 50, 2 31, 8 7, 7 3, 4 6, 9 45, 3 36, 2 12, 8 5, 7 47, 6 39, 3 9, 5 3, 6 46, 1 42, 7 5, 8 5, 4 Mandate 34, 6 32, 6 12, 9 4, 2 3, 7 12, 0 49, 9 31, 0 9, 8 3, 1 — 6, 2 54, 4 34, 0 8, 2 3, 4 — 48, 5 38, 0 13, 5?

Das Ziel dieses Beitrages zur Wahl von 1969 ist es, einige Aspekte des Wahlergebnisses selbst, wie sie in den wahlstatistischen Zahlen zum Ausdruck kommen, darzustellen und in einem systematischen Vergleich mit früheren Wahlen zu untersuchen. Auf die Notwendigkeit einer solchen eher Dokumentation als Interpretation für die Analyse des Wahlergebnisses ist erst jüngst mit Nachdruck hinge-

Tabelle V: Überhangmandate 1949— 1969 Wahljahr 1949 1953 1957 1961 1965 1969 Gesamtzahl 2 3 3 5 — — Baden 1 CDU — — — — — Aufteilung auf die Bundesländer und Parteien Bremen Schleswig-

Holstein Hamburg 1 SPD — — — — — — 2 CDU 3 CDU 4 CDU — —-— 1 DP — — — — Saarland — — — 1 CDU — —

Das wahlstatistische Material der Bundestagswahl von 1969 wurde den Autoren freundlicherweise vom Statistischen Bundesamt zur Verfügung gestellt. Unser besonderer Dank gilt dabei Herrn Rangol für seine tatkräftige Unterstützung. wiesen worden Es erscheint dabei besonders wichtig, dieses Material relativ zeitig in die Diskussion über das Wahlergebnis einzubringen, da — wie die Erfahrung früherer Wahlen zeigt — die erst Jahre später vorliegenden Spezialuntersuchungen kaum mehr in der Lage sind, die verfestigten Meinungen, die teilweise auch auf vorschnelle Trendanalysen in der Wahlnacht zurückgehen, zu korrigieren. Die Autoren sind sich dabei der Tatsache bewußt, daß diese herkömmliche Methode der Wahlanalyse, die wahlstatistische Korrelation, eine Reihe von Fragen nur aufwerfen und nicht zugleich auch beantworten kann. Die Erklärung und Deutung der Veränderungen im Wählerverhalten soll und muß Aufgabe der Wahlsoziologie und ihrer sozialwissenschaftlich-empirischen Methoden und Techniken Quelle: Diese und alle folgenden Tabellen wurden zusammengestellt nach der amtlichen Statistik. Für die Wahlen 1949, 1953 und 1957 nach Statistik der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 10 (1952), Bd. 100, 2 Hefte (1954), Bd. 200, 4. Hefte (1957-— 1961); für die Wahlen von 1961 und 1965 nach Statistik der Bundesrepublik Deutschland, Fachserie A, Bevölkerung und Kultur, Reihe 8, für 1961 4 Hefte (1962— 1964), für 1965 9 Hefte (1964— 1967). Vgl. auch Bernhard Vogel/Rainer-Olaf Schultze, Deutschland, in: Die Wahl der Parlamente und anderer Staatsorgane, hrsg. von Dolf Sternberger und Bernhard Vogel, Red. Dieter Noblen, Bd. I: Europa, Berlin 1969, S. 366 ff. bleiben. Ihren Ergebnissen soll hier nicht vorgegriffen werden. Im Vorbereich dieser Fragen kann jedoch auch der wahlstatistische Vergleich einige grundsätzliche Entwicklungen und Strukturen aufzeigen und zu einer Vielzahl von Feststellungen kommen, die ein klareres Bild von den Veränderungen im Parteienspektrum vermitteln als vereinzelte Beispiele. Den Autoren geht es zudem darum, einige bei dieser Wahl in besonderem Maße deutlich gewordene Faktoren in den größeren Zusammenhang des Wahlsystems einzuordnen und dadurch auf ihre Relevanz für das politische System der Bundesrepublik zu überprüfen. Für die Bundestagswahl von 1969 gilt in besonderem Maße, was bereits für die vorangegangene Wahl von 1965 hervorgehoben wurde. Ihre Ausgangsposition ist erneut — diesmal jedoch erheblich grundsätzlicher — von der ihrer Vorgängerinnen verschieden gewesen*). Während man jene Wahl von 1965, vor allem, wenn man auf das Ergebnis sieht, noch weitgehend dem Entwicklungsprozeß zuordnen muß, der sich kontinuierlich seit 1949 vollzogen und zu einem wenn nicht Zweiparteien-, so doch „zweipoligen Parteiensystem" bei gleichbleibender Rollenverteilung von Regierung und Opposition geführt hat, so ist mit der Wahl von 1969 ein deutlicher Wandel eingetreten. Die Bildung der Großen Koalition vom Dezember 1966 hat so weitgehende Veränderungen in den innenpolitischen Struktu-’ ren und im politischen Bewußtsein der Wähler bewirkt, daß sich diesmal nicht nur die Ausgangsposition, sondern auch die Wahl selbst und ihr Ergebnis von früheren Wahlen grundsätzlich unterscheiden.

2. Zur Interpretation des Gesamtwahlergebnisses

‘ Wahlen: 7 Wahlberechtigte i in °/o der Bevölkerung N Abgegebene Stimmen in 0/0 der Wahlberechtigten 1 Ungültige Stimmen in °/o der abgegebenen Stimmen Christlich Demokratische Union/IChristlich Soziale Union • (CDU/CSU)

Sozialdemokraten (SPD)

Freie Demokratische Partei/Deutsche Volkspartei (FDP/DVP)

Gesamtdeutsche Partei (GdP)

Zentrum Bayernpartei (BP)

Deutsche Friedensunion (DFU)

Aktion Demokratischer Fortschritt (ADF)

Deutsche Reichspartei (DRP)

Nationaldemokratische Part圐٘?

Das Gesamtergebnis der Bundestagswahl von 1969 setzt dennoch in gewisser Hinsicht auch die Reihe der vorangegangenen Bundestagswahlen kontinuierlich fort. Entgegen der Meinung vieler Beobachter der politischen Szene hat die Große Koalition keineswegs ein weitgehendes Desinteresse der Bevölkerung an den politischen Zeitereignissen bewirkt und zu einer verstärkten Wahlenthaltung geführt. Nicht zuletzt der fast ausschließlich gegeneinander ausgetragene Wahlkampf der beiden Partner der Großen Koalition, die scharfen Kontroversen zwischen CDU/CSU und SPD vor allem um die Wirtschaftspolitik haben dazu beigetragen, daß die Wahlbeteiligung konstant und damit weiterhin ausgesprochen hoch geblieben ist. Sie erreicht 86, 7 v. H. und verfehlte die Beteiligung bei der Wahl von 1965 nur um 0, 1 v. H.der Wahlberechtigten.

o Tabelle VI: Ergebnisse der Bundestagswahlen 1961— 1969 nach Erst-und Zweitstimmen Wahlen Abgegebene Gültige Stimmen Ungültige Stimmen CDU/CSU SPD FDP GdP Zentrum BP DFU ADF DRP NPD Sonstige Insgesamt 17. September 1961 Erststimmen absolut in °/o 32 004 466 845 158 14 727 737 11 672 057 3 866 269 859 290 — — 587 488 — 242 649 48 976 32 004 466 32 849 624 97, 3 2, 7 46, 0 36, 5 12, 1 2, 7 — — 1, 8 — 0, 8 0, 1 — 100, 0 Zweitstimmen absolut in °/o 31 550 901 1 298 723 14 298 372 11 427 355 4 028 766 870 756郎?

Eine ähnliche Kontinuität in der Entwicklung ist auch bei einer Reihe weiterer Faktoren dieses Wahlergebnisses zu beobachten. Den zahlreichen kleinen Parteien und Splittergruppen — insgesamt hatten neben den drei dem fünften Bundestag angehörenden Parteien, CDU/CSU SPD und FDP, noch acht weitere Parteien Landeslisten zumindest in einem Bundesland aufgestellt v. H. und verfehlte die Beteiligung bei der Wahl von 1965 nur um 0, 1 v. H.der Wahlberechtigten.

Tabelle VII: Differenz von Erst-und Zweit-stimmen bei den Wahlen von 1961— 1969 nach Wahlkreisen 1961 1965 1969 Wahljahr 18 67 54 SPD weniger Erst-stimmen erhielten in Wahlkreisen CDU/CSU 18 56 114 mehr Erst-stimmen erhielten in Wahlkreisen SPD 230 181 194 CDU/CSU 230 192 134

Eine ähnliche Kontinuität in der Entwicklung ist auch bei einer Reihe weiterer Faktoren dieses Wahlergebnisses zu beobachten. Den zahlreichen kleinen Parteien und Splittergruppen — insgesamt hatten neben den drei dem fünften Bundestag angehörenden Parteien, CDU/CSU 5), SPD und FDP, noch acht weitere Parteien Landeslisten zumindest in einem Bundesland aufgestellt 6) — ist es wiederum nicht gelungen, größere Stimmengewinne zu erzielen. Der Gesamtstimmenanteil aller der Parteien, die die Fünf-Prozent-Sperrklausel nicht überspringen konnten, betrug nur 5, 4 v. H. 7); davon erreichte allein die NPD bereits 4, 3 v. H.der Zweitstimmen. Außer den Nationaldemokraten erzielte nur noch die ADF mehr als 0, 5 v. H.der Zweitstimmen, die dazu berechtigen, aus der staatlichen Parteienfinanzierung Wahlkampfkosten erstattet zu bekommen Gerade das schlechte Abschneiden der erstmals gemeinsam unter Einschluß der DKP kandidierenden linkssozialistischen und kommunistischen Gruppierungen war bei der Unruhe in der jüngeren Generation und den , wilden'Streiks größerer Teile der Industriearbeiterschaft kurz vor der Wahl nicht unbedingt zu erwarten, zumal die DFU bei den Wahlen von 1961 und 1965 immerhin noch 1, bzw. 1, 3 v. H.der Stimmen erhalten hatte.

Tabelle VIII: Differenz zwischen Erst-und Zweitstimmen bei den Wahlen 1961— 1969 nach Wahlkreisen und Stimmendifferenzen Stimmendifferenz unter 500 500— 1000 1000— 2000 2000— 3000 über 3000 Insgesamt weniger Erststimmen in Wahlkreisen 1961 18 — — — — 18 1965 38 17 11 — 1 67 1969 18 19 12 3 2 54 SPD mehr Erststimmen in Wahlkreisen 1961 58 71 73 24 4 230 1965 49 52 49 21 10 181 1969 35 31 51 36 41 194 weniger Erststimmen in Wahlkreisen 1961 14 3 1 — — 18 1965 21 17 11 2 5 56 CDU/CSU 1969 42 27 23 10 12 114 m圐٘?

Die Annahme, daß die Große Koalition zur Desintegration des Parteiensystems beitragen würde, ist durch das Wahlergebnis eindeutig widerlegt worden. Vielmehr hat sich erneut — wie bei allen vorangegangenen Bundestags-wählen — die Konzentration auf die beiden großen Parteien verstärkt. Sozialdemokraten und Unionsparteien verfügen jetzt zusammen über 88, 8 v. H.der Zweitstimmen, während auf alle neun anderen Parteien nur 11, 2 v. H. entfallen sind. Der Stimmenanteil aller drei Bundestagsparteien ist allerdings infolge der Verluste der Freien Demokraten, die nur noch 61 v. H. ihrer Stimmen von 1965 behaupten konnten, geringfügig zurückgegangen.

IX: Wahlkreise mit den höchsten Zunahmen der SPD (in Prozent der abgegebenen gültigen Zweitstimmen) Wahlkreis 60 Köln II 61 Köln III 66 Rheinisch-Berg.

Kreis 58 Köln-Land 95 Münster 64 Siegkreis-Bonn 63 Bonn 59 Köln I 62 Köln IV 166 Stuttgart III 15 Hamburg I 16 Hamburg II 190 Freiburg 57 Bergheim 22 Oldenburg 14 Eimsbüttel SPD + 10, 2 + 10, 0 + 9, 7 + 9, 5 + 9, 4 + 8, 7 + 8, 6 + 8, 5 + 8, 2 + 7, 4 + 7, 3 + 7, 3 + 7, 3 + 7, 2 + 7, 1 + 7, 1 CDU -9, 3 -9, 6 -8, 2 -9, 0 -7, 7 -7, 7 -5, 8 -8, 7 -8, 2 + 1,圐٘?

Seit dem Wandel der SPD zu einer Volkspartei nach dem Godesberger Parteitag von 1959 stieg der Stimmenanteil der Sozialdemokraten bei allen Wahlen bis 1966; bei den Bundestagswahlen von 1961 um 4, 4 v. H. auf 36, 2 v. H. und 1965 um 3, 1 v. H. auf 39, 3 v. H. Dieser Trend setzte sich jedoch nach Bildung der Großen Koalition bei den folgenden Landtagswahlen nicht fort. Die SPD mußte vielmehr teilweise erhebliche Stimmeneinbußen hinnehmen 9). Dies führte vielfach zu der Annahme, daß sich die Ausgangsposition der SPD auch für die Bundestagswahl von 1969 verschlechtert habe und die Partei über eine geringere Basis als bei der Wahl von 1965 verfüge Dennoch erreichte die SPD 42, 7 v. H.der Zweit-stimmen; der Abstand der beiden großen Parteien verringerte sich damit erneut. Die Differenz zwischen CDU/CSU und SPD ging von 18, 4 v. H. im Jahre 1957 über 9, 1 v. H. im Jahre 1961 auf 8, 3 v. H. im Jahre 1965 zurück und beträgt nunmehr nur noch 3, 4 v. H.

3. Regionale Differenzen

Tabelle II: Zweitstimmenanteil von CDU/CSU bzw. CDU/CSU, SPD und FDP bei den Wahlen von 1949— 1969 und Spd Wahljahr 1949 1953 1957 1961 1965 1969 CDU/CSU und SPD 60, 2 74, 0 82, 0 81, 5 86, 9 88, 8 CDU/CSU, SPD und FDP 72, 1 83, 5 89, 7 94, 3 96, 4 94, 6

Dieser Angleichungsprozeß der beiden großen Parteien — wie er aus dem Gesamtergebnis auf Bundesebene sichtbar wird — kann jedoch kein ausreichendes Bild des Parteienspektrums in der Bundesrepublik liefern. Er darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Parteistärken regional ganz erheblich differieren. Bei der Bundestagswahl von 1969 erreichte die CDU/CSU ihr bestes Ergebnis auf Länderebene mit 54, 4 v. H. in Bayern; den geringsten Stimmenanteil erzielte sie in Bremen mit 32, 3 v. H. Die SPD hingegen erhielt den größten Stimmenanteil in Hamburg mit 54, 6 v. H., den niedrigsten in Bayern mit 34, 6 v. H. Besonders auffällig ist, daß die Sozialdemokraten in den Stadtstaaten Hamburg und Bremen, in denen sie schon immer über starke Mehrheiten verfügten, erneut überdurchschnittliche Stimmen-* gewinne erzielen konnten. Der Abstand zur CDU/CSU vergrößerte sich somit wiederum, während er 1965 zurückgegangen und damit — ähnlich wie in den Ländern mit Stimmen-mehrheit der CDU/CSU — eine Tendenz zum Abbau der regionalen Hochburgen sichtbar geworden war.

Tabelle X: Wahlkreise mit den stärksten Stimmeneinbußen der CDU (in Prozent der abgegebenen gültigen Zweitstimmen) « Wahlkreise 61 Köln III 60 Köln II 58 Köln-Land 66 Rheinisch-Berg.

Kreis 59 Kölnl 62 Köln IV 57 Bergheim 95 Münster 64 Siegkreis-Bonn 77 Neuß-Grevenbroich 63 Bonn CDU -9, 6 -9, 3 -9, 0 -8, 2 -8, 7 -8, 2 -7, 8 -7, 7 -7, 7 -6, 8 -5, 8 SPD + 10, 0 + 10, 2 + 9, 5 + 9, 7 + 8, 5 + 8, 2 + 7, 2 + 9, 4 + 8, 7 + 6, 6 + 8, 6 FDP -1, 2 -1, 5 -1, 5 -2, 2 -0, 9 -0, 7 -1, 2 -2, 9 -2, 7 -1, 9 -4, 2

Die SPD hat 1969 in allen Bundesländern Stimmen hinzugewonnen, während der Stimmenanteil der CDU/CSU in acht Bundesländern zurückgegangen ist. Verbessern konnte sich die CDU/CSU nur in Baden-Württemberg (um 0, 8 v. H.) und Hessen (um 0, 6 v. H.). Die Gewinne in diesen beiden Ländern sowie die nur geringen Verluste in Niedersachsen (um 0, 6 v. H.) gehen einher mit überdurchschnittlichen Stimmeneinbußen der FDP in diesen Ländern, die zudem seit jeher relative Hochburgen der Freien Demokraten gewesen sind. Die CDU/CSU konnte damit ihre eigentlichen Verluste durch Gewinne von der FDP auffangen. Dies entspricht in gewisser Weise der Wahl-entwicklung bei den Bundestagswahlen in den fünfziger Jahren, als die Unionsparteien ihre Stimmengewinne fast ausschließlich auf Kosten der kleinen bürgerlichen Parteien erzielten Die vor allem von den Sozialdemokraten aus parteipolitischen Überlegungen heraus vertretene These, daß der konservative Teil der FDP-Wählerschaft nach der programmatischen Standortveränderung der Partei in erster Linie zur CDU/CSU gewechselt ist, erfährt hier zweifellos eine Bestätigung. Dennoch kann erst eine genaue, auf empirisches Material gestützte wahlsoziologische Analyse endgültige Klarheit über die Fluktuation der FDP-Wählerschaft geben.

Tabelle XI: Wahlkreise mit den stärksten Stimmeneinbußen der SPD (in Prozent der abgegebenen gültigen Zweitstimmen) Wahlkreise 213 Deggendorf 215 Passau 220 Regensburg 238 Augsburg 245 Saarbrücken-Land 200 Altötting 222 Bamburg 216 Straubing SPD -2, 7 -2, 5 -1, 8 -1, 6 -1, 1 -i, o -0, 8 -0, 6 CDU/CSU -0, 9 + 0, 5 + 0, 4 + 2, 1 -0, 3 -2, 5 + 0, 2 -1, 7 FDP -1, 4 -1, 1 -2, 4 -3, 3 -1, 8 -2, 0 -2, 9 -2, 0

Für die erwähnte These spricht auch die Tatsache, daß die CDU/CSU in den Bundesländern, in denen die FDP nur unterdurchschnittliche Verluste erlitt, ihre stärksten Stimmen-einbußen hinnehmen mußte, und zugleich die SPD hier (in Hamburg, Bremen, Nordrhein-Westfalen) ihren größten prozentualen Zuwachs erzielte: Am deutlichsten wird dies in Nordrhein-Westfalen, wo — höchst wahrscheinlich aufgrund einer starken Wählerbewegung von der CDU zur SPD — der Umschlag zwischen CDU und SPD erfolgte und die SPD die CDU aus ihrer führenden Position verdrängen konnte. Am geringsten sind die Abstände zwischen den beiden großen Parteien zudem in Niedersachsen und Schleswig-Holstein. In diesen drei Bundesländern gewannen dann auch die Sozialdemokraten — wie Darstellung I auf Seite 22 zeigt — die meisten Direktmandate hinzu. Wenn man die Tendenz vom Viel-zum Zweiparteiensystem als die Entwicklungslinie in der Bundesrepublik annimmt, ist in diesen Bundesländern, vor allem natürlich in Nordrhein-Westfalen, die Wahlentwicklung zu einem funktionsfähigen, alternierenden Zweiparteiensystem am wei-testen fortgeschritten, während in Baden-Württemberg und Bayern, aber auch in Hamburg und Bremen die Hochburgen stark verfestigt sind.

4. Das Wahlsystem und seine Bedeutung für die Mandatsstärken der Parteien

Tabelle III: Die Abstände von CDU/CSU und SPD in den Bundesländern bei den Wahlen von 1961— 1969 (in Prozent der Zweitstimmen) a) b) Bundesländer, in denen die SPD stimmstärkste Partei ist Hamburg Bremen Hessen Nordrhein-Westfalen Bundesländer, in Partei ist Bayern Baden-Württemberg Rheinland-Pfalz Saarland Schleswig-Holstein Niedersachsen Nordrhein-Westfalen 1961 15, 0 22, 7 7, 9 — denen 1961 24, 8 13, 2 15, 3 15, 5 5, 4 0, 3 10, 3 die 1965 10, 7 14, 5 7, 9 — CDU/CSU 1965 22, 5 16, 9 12, 6 7, 0 9, 4 6, 0 圐٘?

Das Wahlsystem der Bundesrepublik Deutschland ist ein System der Verhältniswahl. Die Ermittlung der Mandatszahl der einzelnen Parteien im Bundestag erfolgt ausschließlich nach dem prozentualen Stimmenanteil der Parteien auf Bundesbene Die „personalisierte Verhältniswahl" trägt dadurch — trotz der Erststimme für Wahlkreisbewerber, an die 248 Mandate direkt in den Wahlkreisen vergeben werden — der Zielvorstellung der Proportionalwahl weitgehend Rechnung. Sie verwirklicht die der Verhältniswahl zugrunde liegende Repräsentationsvorstellung, „daß es Aufgabe einer repräsentativen Körperschaft sei, die verschiedenen Gruppen einer Gemeinschaft so genau wie möglich gegenwärtig zu machen"

. + 2, 1 Tabelle XII: Wahlkreise mit den geringsten Abnahmen der FDP (in Prozent der abgegebenen gültigen Zweitstimmen) Wahlkreis 101 Bottrop-Gladbeck 88 Essen II 115 Dortmundil 62 Köln IV 111 Herne 59 Köln I 97 Gelsenkirchen 110 Wanne Eickel 85 Oberhausen 100 Recklinghausen FDP -0, 3 -0, 5 -0, 6 “ 0, 7 -0, 7 -0, 9 — 0, 9 -0, 9 -i, o -i, o CDU -4, 0 -2, 7 -2, 7 -8, 2 -3, 0 -8, 7 -2, 5 -2, 0 -3, 9 -3, 7 SPD + 3, 7 + 2, 1 + 1, 8 + 8, 2 + 2, 8 + 8, 5 + 1, 4 + 3, 6 + 3, 0

Kennzeichnend für dieses Repräsentationsmodell ist das Verhältnis von Stimmen und Mandaten Dabei ist zu berücksichtigen, daß eine vollkommene Kongruenz des Stimmen-und Mandatsanteils aller Parteien, die sich an einer Wahl beteiligen, in der Praxis selbst in reinen Verhältniswahlsystemen schwer zu erreichen ist Die Verhältniswahl der Bundesrepublik enthält jedoch einige Einschränkungen: die fünfprozentige Sperrklausel mögliche Überhangmandate, aber auch das Ver-rechnungsverfahren der Methode d'Hondt, das in geringem Maße größere gegenüber kleineren Parteien bevorzugt Diese Faktoren haben die Differenzen zwischen Stimmen-und Mandatsanteil bewirkt. Die Gültigkeit des Repräsentationsmodells der Verhältniswahl für das bundesrepublikanische Wahlsystem ver-mögen sie jedoch nicht grundsätzlich die Frage zu stellen.

Tabelle XIII: Wahlkreise mit den stärksten Abnahmen der FDP (in Prozent der abgegebenen gültigen Zweitstimmen) Wahlkreis 126 Waldeck 129 Fritzlar-Homberg 168 Heilbronn 195 Calw 175 Schwäbisch-Gemünd 22 Oldenburg 177 Waiblingen 165 Stuttgart II 166 Stuttgart III 133 Gießen 31 Lüneburg 197 Balingen FDP -12, 4 -11, 0 -10, 4 -8, 8 -8, 4 -8, 4 -8, 2 -7, 9 -7, 9 -7, 9 -7, 1 -7, 1 CDU + 4, 9 + 4, 0 + 4, 5 + 3, 8 + 1, 3 -0, 9 + 2, 4 + 2, 2 + 1, 2 + 3, 0 -0, 7 + 3, 8 SPD + 2, 0 + 2, 0 + 4, 7 + 3, 5 + 4, 1 + 7, 1 + 淚?

Wie die nebenstehende Darstellung zeigt, haben sich bei allen vorausgegangenen fünf Bundestagswahlen wie auch bei der diesjährigen nur geringfügige Abweichungen in der Stim-men-Mandatsrelation ergeben. Seit der Wahl von 1957 erzielten dabei — im wesentlichen eine Folge der Konzentration im Parteien-system und Wahlverhalten — alle Parteien, die über fünf von Hundert der Zweitstimmen erhalten haben, einen größeren Mandats-als Stimmenanteil. Die drei stimmstärksten Parteien, CDU/CSU, SPD und FDP, ziehen dabei Nutzen vor allem aus der Sperrklausel. Die Bedeutung der Uberhangmandate für die Differenz von Stimmen-und Mandatsanteil ist äußerst gering, zumal — wie Tabelle V ausweist — bei den Wahlen von 1965 und 1969 keine Überhangmandate entstanden sind. Die Überrepräsentation der dem Bundestag angehörenden Parteien erfolgt jeweils prozentual zu ihren Stimmenanteilen und ist bei jeder Partei um so größer, je höher die Summe der Stimmenzahlen der Parteien sind, die die Sperrklausel nicht überspringen können.

Tabelle XIV: Wahlkreise mit den höchsten Zunahmen der CDU/CSU Prozent der abgegebenen (in gültigen Zweitstimmen) Wahlkreis 126 Waldeck 168 Heilbronn 129 Fritzlar-Homberg 195 Calw 197 Balingen 167 Ludwigsburg 182 Pforzheim-Karlsruhe 133 Gießen 188 Waldshut 39 Celle CDU + 4, 9 + 4, 5 + 4, 0 + 3, 8 + 3, 8 + 3, 1 + 3, 1 + 3, 0 + 2, 8 + 2, 5 SPD + 2, 0 + 4, 7 + 2, 0 + 3, 5 + 1, 3 + 2, 2 + 1, 0 + 0, 9 + 0, 9 + 2, 7 FDP -12, 4 -10, 4 -11, 0 -8, 8 -7, 1 -6, 3 -4, 0 -7, 9 -5, 2 -6, 2

Der Einfluß des Wahlsystems auf die Mandats-verhältnisse im Bundestag und damit letztlich auch auf die Regierungs-und Koalitionsbildung ist bei keiner vorangegangenen Bundestagswahl so relevant gewesen wie bei der diesjährigen. Dies kommt nicht so sehr in der endgültigen Stimmen-Mandatsrelation der dem Bundestag angehörenden Parteien zum Ausdruck, die kaum von der früherer Bundes-tagswahlergebnisse abweicht. Die neue Regierungskoalition aus SPD und FDP erzielte dabei mit 48, 5 v. H.der Zweitstimmen einen Mandatsanteil von 51, 2 v. H., während die CDU/CSU bei einem Stimmenanteil von 46, 1 v. H. auf 48, 8 v. H.der Mandate kommt.

Tabelle XV: Die Entwicklung der Parteien in den Städten über 100 000 Einwohner im Hinblick auf die Wahlkreismandate 1957— 1969 *) Aachen Augsburg Bielefeld Bochum Bonn Bottrop-Gladbeck Braunschweig Biemen Bremerhaven Darmstadt Dortmund Düsseldorf Duisburg Essen Frankfurt Freiburg Fürth Gelsenkirchen Hagen Hamburg Hannover Heidelberg Herne/Castrop-Rauxel Karlsruhe Kassel Kiel Koblenz Köln Krefeld Leverkusen/Opladen Ludwigshafen Lübeck Mainz Mannheim Mönchengladbach Mülheim München Münster Nürnberg Oberhauseﳜऺ㞐ۏЂ

Auch die Gesamtzahl der nicht verwerteten Stimmen ist bei der Wahl von 1969 keineswegs überdurchschnittlich gewesen, wie ein Vergleich mit den vorausgegangenen Bundestagswahlen seit 1953 — die Wahl von 1965 stellt mit 1 186 449 (3, 6 v. H.) allerdings eine Ausnahme dar — zeigt. So wurden 1953: 1 803 026 (6, 5 v. H.), 1957: 2 105 041 (6, 9 v. H.) und 1961: 1 796 408 (5, 7 v. H.) Stimmen nicht berücksichtigt, während bei der Wahl von 1969 die Stimmenzahl der Parteien, die die Sperrklausel nicht erreicht haben, 1 801 699 (5, 4 v. H.) beträgt.

Tabelle XVI: Wahlkreise, in denen eine Partei über 50 Prozent der Stimmen (Zweitstimmen) erhielt: 1949— 1969 1949 1953 1957 1961 1965 1969 CDU/CSU 27 114 127 84 99 82 SPD 1 1 5 11 32 54 zusammen 28 115 132 95 131 136 in °/o der Wahlkreise 11, 6 47, 5 53, 4 38, 8 52, 9 54, 9

Den ungleich größeren Einfluß des Wahl-systems, und hier besonders der Sperrklausel auf Mandats-und Mehrheitsverhältnisse bei der diesjährigen Wahl, haben vor allem die zahlreichen Hochrechnungen beider Fernsehanstalten in der Wahlnacht eindrucksvoll zutage treten lassen. Angesprochen sind hier nicht so sehr die Abweichungen vom endgültigen Wahlergebnis die in der Wahlnacht bei der Bevölkerung wie auch den Politikern zu weitgehender Verwirrung beigetragen und zweifellos das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Aussagekraft von Hochrechnungen erschüttert haben Es ist vielmehr die von den Hochrechnungen aufgezeigte Ungewißheit über das Abschneiden der NPD, die über lange Zeit vorgenommene doppelte Mandatsverteilung — zum einen unter der Prämisse, daß die NPD fünf von Hundert der Zweitstimmen erreicht und damit in den Bundestag einzieht, zum anderen unter der Prämisse, daß die NPD unter fünf von Hundert und somit von der Mandatsverteilung ausgeschlossen bleibt —, die die ganze Bandbreite der verschiedenen Koalitionsmöglichkeiten und -notwendigkeiten transparent werden ließ.

Tabelle XVII: Stimmenvorsprung der Parteien in den Wahlkreisen (Zweitstimmen) 1957— 1969 1957 1961 1965 1969 unter 5 °/o 39 49 43 37 über 5 °/o 31 47 50 49 über 10 °/o 154 144 155 160

Die erneute Bildung einer großen Koalition, möglicherweise gegen den Willen eines oder sogar beider Partner, wäre wohl unumgänglich gewesen, wenn die NPD mehr als fünf Prozent der Zweitstimmen erzielt hätte Die Bildung der kleinen Koalition aus SPD und FDP hingegen ist nur möglich geworden, weil die NPD die Sperrklausel nicht überspringen konnte. Die Hochrechnungen der Wahlnacht mit den jeweils zweifach angegebenen Mandatszahlen haben damit so deutlich wie nie zuvor erkennbar gemacht, in welchem Ausmaß die Mandatsverhältnisse im Bundestag, die Regierungsbildung und damit auch das ganze politische System unter bestimmten, durch die Stimmenanteile der Parteien gegebenen Voraussetzungen von Wahlsystem und Sperrklausel mitgeprägt werden können.

5. „Splitting" — ein neues Phänomen im Wahlverhalten?

Tabelle IV: Zweitstimmenanteil der Parteien in den Bundesländern bei den Wahlen von 1961— 1969 Wahljahr Länder Schleswig-Holstein Hamburg Niedersachsen Bremen Nordrhein-Westfalen Hessen Rheinland-Pfalz Baden-Württemberg Bayern Saarland Bundesdurchschnitt Wahljahr Länder Schleswig-Holstein Niedersachsen Hamburg Bremen Nordrhein-Westfalen Hessen Rheinland-Pfalz Baden-Württemberg Bayern Saarland Bundesdurchschnitt Anmerkung: ") 1961 36, 4 46, 9 38, 7 49, 7 37, 3 42, 8 33, 5 32, 1 30, 1 33, 5 36, 2 1961 13, 8 ?

Ein spezifisches Element des Wahlsystems der Bundesrepublik, dem gerade nach dieser Wahl besondere Aufmerksamkeit zugekommen ist, bildet die Erst-und Zweitstimmenkonstruktion. Von der Wahlforschung ist dabei in weitaus stärkerem Maße als bei früheren Bundestagswahlen der Begriff des „Splitting" in die Diskussion eingebracht worden. Wie eine Reihe anderer von der Wahlforschung verwandter Termini, so ist auch dieser Begriff aus der angelsächsischen, hier der amerikanischen Wahlforschung übernommen worden. Die Verwendung solcher Termini scheint jedoch nur dann methodisch unproblematisch und sinnvoll, wenn über den Begriff wie die mit ihm verbundenen Inhalte terminologisch völlige Klarheit besteht und die Bezugssysteme, in die ein solcher Begriff gestellt ist und durch die Übertragung gestellt wird, miteinander vergleichbar sind.

Tabelle XVIII: Stimmenvorsprung, aufgeschlüsselt nach den Parteien CDU/CSU und SPD, in den Wahlkreisen (Zweitstimmen) 1957— 1969 1957 1961 1965 1969 unter 5 °/o CDU/CSU SPD 19 26 24 17 20 23 19 20 19 19 18 23 über 5 °/o CDU/CSU SPD 12 28 32 26 über 10 °/o CDU/CSU SPD 143 104 110 85 11 40 45 75

Der Möglichkeit des Wählers zum Splitting in den Vereinigten Staaten und zu unterschiedlicher Stimmabgabe in der Bundesrepublik liegt zunächst eine vollständig voneinander abweichende Wahlpraxis zugrunde. Die Basis in der Bundesrepublik bildet das Wahlsystem mit seinem Versuch, Mehrheitswahl und Proportionalwahl, Personenwahl und Listenwahl zu kombinieren, indem die eine Hälfte der Mandate auf Wahlkreisebene und die andere Hälfte über Landeslisten vergeben werden. Jeder Wähler verfügt zu diesem Zweck für die Wahl ein und derselben Repräsentationskörperschaft über zwei Stimmen über eine Erststimme zur Wahl eines Wahlkreisabgeordneten nach relativer Mehrheitswahl in 248 Einerwahlkreisen sowie über eine Zweitstimme zur Wahl einer starren Parteiliste auf Länderebene. Der Wähler erhält somit die Möglichkeit, bei einer Bundestagswahl seine Partei-präferenz unterschiedlich zu äußern. Er kann seine Erststimme zur Wahl eines Wahlkreis-abgeordneten für einen Kandidaten abgeben, der nicht notwendig der Partei angehören muß, die er grundsätzlich mit seiner Zweitstimme wählen will. Geschaffen wurden Erst-und Zweitstimmen vor allem aus der Überlegung heraus, daß auch diejenigen Wähler, die eine kleine Partei wählen wollen, die aller Voraussicht nach keine reelle Chance auf den Gewinn eines Wahlkreismandates hat, die Möglichkeit erhalten, den Kandidaten einer der Parteien zu wählen, die die relative Stimmenmehrheit im Wahlkreis erreichen können.

Tabelle XIX: Abstand der Parteien nach Erststimmen in den Wahlkreisen 1961— 1969 Vorsprung in °/o unter 1 1— 2 2— 5 5— 10 10— 15 15— 20 20— 25 25— 30 30— 40 über 40 CDU/CSU I 8 5 14 20 14 9 35 22 30 1961 SPD 4 8 11 28 23 10 6 1 — Anmerkung: *) in Klammern = davon CSU CDU/CSU 3 7 12 16 20 18 37 18 19 1965 SPD 4 5 9 27 26 14 9 — — CDU/CSU 1 3 7 21 (1) 18 (4) 14 (3) 11 (2) 14 (6) 20 (9) 12 (7) (1) •) (1) 1969 SPD 4 4 14 26 30 18 15 11 5 —

In den Vereinigten Staaten hingegen ist das Wahlsystem ohne irgendeinen Belang für das Splitting. Es ergibt sich dort vielmehr dadurch, daß die Präsidentschaftswahl und die Wahlen aller Repräsentationskörperschaften von der Gemeinde-bis hin zur bundesstaatlich-nationalen Ebene gleichzeitig an einem Wahltag abgehalten und zumeist auch mit nur einem Stimmzettel durchgeführt werden Abgesehen von der politischen Relevanz schafft das Splitting in den Vereinigten Staaten zunächst nur die Voraussetzung, daß der Wähler seine Parteipräferenz für die Vielzahl zu bestellender exekutiver und legislativer Organe jeweils gesondert — sei es als „Straight ticket" (ohne Änderung der Parteipräferenz bei allen Wahlen) oder als „split ticket" (mit Änderung der Parteipräferenz bei einer, mehrerer oder auch aller Wahlen) — ausdrücken kann. So gesehen ist Splitting nichts anderes als die technische Möglichkeit, mehrere Wahlen auf einen

Termin zu konzentrieren und gegebenenfalls mit einem Stimmzettel durchzuführen, ohne dadurch zugleich die Entscheidungsfreiheit des Wählers einzuschränken.

Dem Splitting kommt jedoch in den Vereinigten Staaten zudem erhebliche politische Bedeutung zu, die sich aus dem engen Zusammenhang mit dem Verfassungssystem ergibt. Die von der amerikanischen Verfassung verwirklichte Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Legislative, Präsident und Kongreß, die trotz aller seither entstandenen Verschränkungen das politische System noch immer grundsätzlich bestimmt, findet im Splitting ihren besonderen Ausdruck. Die Möglichkeit, seine Stimme bei der Wahl des Präsidenten für den Kandidaten der einen Partei, bei den Wahlen zum Repräsentantenhaus und Senat hingegen für die Kandidaten der gegnerischen zweiten oder auch dritten Partei abgeben zu können, erlaubt es dem amerikanischen Wähler somit, das von der Verfassung angelegte Regierungssystem selbst mit zu prägen und das gewaltenteilige Element -verstärkt wirksam werden zu lassen.

Ein besonderer Einfluß auf die politischen Strukturen geht vom Splitting notwendigerweise dann aus, wenn die Partei des Präsidenten in einem oder sogar beiden Häusern des Kongresses nicht über die Mehrheit der Mandate verfügt und der Präsident damit zu verstärkter Zusammenarbeit mit der „Oppositionspartei" gezwungen ist Das Splitting verliert seine grundsätzliche Bedeutung jedoch nicht, falls eine solche Konstellation zwischen Exekutive und Legislative nicht eintritt und die Partei des Präsidenten die Mehrheit im Kongreß innehat. Wie amerikanische Wahl-untersuchungen gezeigt haben, erreicht der siegreiche Präsidentschaftskandidat zumeist in einer größeren Zahl der Repräsentantenhauswahlkreise die Stimmenmehrheit als die Kandidaten seiner Partei bei den Wahlen zum Repräsentantenhaus, während die Partei des unterlegenen Kandidaten relativ besser abschneidet als ihr Bewerber um die Präsidenten-, schäft. Dem amerikanischen Wähler dient das Splitting folglich vor allem dazu, dem von ihm gewählten Präsidenten mit dem Repräsentantenhaus ein Element der Kontinuität und Stabilität gegenüberzustellen Seine Funktion besteht im wesentlichen darin „to strengthen the checks on power of the President that are built into the American System of govern-ment"

Das Splitting bildet somit einen entscheidenden integralen Bestandteil des amerikanischen Regierungssystems, von dem maßgeblicher Einfluß auf die politischen Strukturen ausgeht. Der Begriff des Splitting ist dadurch so spezifisch determiniert, daß eine Übertragung auf die Erst-und Zweitstimmenkonstruktion in der Bundesrepublik nicht unproblematisch erscheint. Zudem kommt der Erststimme für das parlamentarische Regierungssystem der Bundesrepublik nur ganz geringe Bedeutung zu. Die Mandatsverhältnisse im Bundestag können von ihr in aller Regel nicht oder doch nur unerheblich beeinflußt werden Der ausschlaggebende Faktor des Wahlsystems ist die Zweitstimme, die allein die Grundlage für die Mandatsermittlung darstellt. Auch eine solche, vornehmlich funktionale Sicht spricht gegen die Verwendung des Begriffes. Beide Faktoren sollten zumindest Anlaß sein, den Gebrauch des Begriffes Splitting in Frage zu stellen.

Von der Möglichkeit, Erst-und Zweitstimmen unterschiedlich abzugeben, ist bisher bei den Bundestagswahlen nur relativ wenig Gebrauch gemacht worden. Bei der Wahl von 1965 ist allerdings im Vergleich zur vorausgegangenen Wahl eine minimale Zunahme eingetreten So gaben 1961 93, 7 v. H. und 1965 nur noch 91, 4 v. H.der Wähler Erst-und Zweitstimme einheitlich ab. Wie die Repräsentativauszählungen des Statistischen Bundesamtes zeigen, ist dabei die unterschiedliche Stimmabgabe der Wähler, die mit.der Zweitstimme eine der beiden großen Parteien gewählt haben, äußerst gering gewesen, während die Wähler kleinerer Parteien, vor allem die der FDP, in weitaus stärkerem Maße von dieser Möglichkeit des Wahlsystems Gebrauch machten. Von 100 FDP-Wählern unterstützten 1961 nur 86 und 1965 sogar nur 70 den Wahlkreiskandidaten ihrer Partei. Von dieser unterschiedlichen Stimmabgabe profitierten bei den vorangegangenen Bundestagswahlen vornehmlich die Wahlkreisbewerber der CDU/CSU, und zwar 1957 im Verhältnis von 2: 1, 1961 von 2, 6 : 1 und 1965 von 3 : 1 gegenüber den Sozialdemokraten

Für die Bundestagswahl von 1969 liegen die Ergebnisse der Repräsentativauszählungen noch nicht vor 36a). Endgültige Aussagen über die Abgabe von Erst-und Zweitstimmen können deshalb noch nicht gemacht werden. Dennoch müssen 1969 erhebliche Veränderungen eingetreten sein, die in ihrer Tendenz bereits aus den vorhandenen absoluten Zahlen sichtbar werden. Ganz allgemein wird man die These aufstellen können, daß die Wähler in viel stärkerem Maße als bei den vorangegangenen Wahlen Erst-und Zweitstimmen unterschiedlich abgegeben haben. Dies ist nicht zuletzt auch eine Folge der Großen Koalition. Die Zusammenarbeit von Unionsparteien und Sozialdemokraten in der Regierung hat zweifellos die Bereitschaft der Parteianhänger beider Par-B teien, den Wahlkreisbewerber des jeweiligen Partners zu unterstützen, wesentlich vergrößert. Vor allem ein nicht geringer Teil der CDU/CSU-Wähler dürfte bei dieser Wahl mit seiner Erststimme den Wahlkreiskandidaten der SPD gewählt haben. Für ein solches Wahl-verhalten spricht insbesondere die Tatsache, daß sich die Zahl der Wahlkreise, in denen der Kandidat der CDU/CSU weniger Erststimmen erhielt als seine Partei Zweitstimmen, im Vergleich zur Wahl von 1965 fast verdoppelt hat. Aus der obenstehenden Tabelle VIII wird zudem deutlich, daß sich auch in den Wahlkreisen, in denen die Wahlkreiskandidaten der CDU/CSU weiterhin mehr Erststimmen als ihre Partei Zweitstimmen erzielen konnten, ihr Stimmenvorsprung erheblich verringert hat, während bei den Kandidaten der SPD im Vergleich zu den Wahlen von 1961 und 1965 genau die entgegengesetzte Entwicklung eingetreten ist. In einer Reihe von Wahlkreisen ging dies sicherlich auf die Persönlichkeit des CDU/CSU-Kandidaten zurück. Die Tendenz selber wird dadurch jedoch nicht grundsätzlich in Frage gestellt, zumal auch die NPD, die in allen 248 Wahlkreisen Kandidaten nominiert hatte, wesentlich weniger Erst-als Zweitstimmen erzielte und man vermuten darf, daß die Mehrzahl der NPD-Wähler, die Erst-und Zweitstimme unterschiedlich abgegeben haben, mit ihrer Erststimme den Wahlkreis-bewerber der CDU/CSU unterstützt haben Dennoch erreichte die CDU/CSU im gesamten Bundesgebiet nur 36 137 mehr Erst-als Zweitstimmen, während die SPD einen Erststimmenüberschuß von 336 658 Stimmen erzielte.

Ausschlaggebend für diese Entwicklung muß wohl eine Veränderung im Wahlverhalten der FDP-Wähler gewesen sein, die erneut in größerem Umfang von der Möglichkeit, Erst-und Zweitstimmen getrennt abzugeben, Gebrauch gemacht haben dürften. Die Differenz zwischen Erst-und Zweitstimmen ist zwar aufgrund der beträchtlichen Verluste der Freien Demokraten von 534 455 auf 348 771 zurückgegangen, doch stieg die prozentuale Differenz (Prozentsatz der weniger erzielten Erststimmen -an den jeweils erzielten Zweitstimmen) von 1965 17, 2 v. H. auf 18, 3 v. H. an. Im Gegensatz zu früheren Bundestagswahlen müssen dabei die FDP-Wähler, die ihre Stimme aufgespalten haben, zumindest in erheblich stärkerem Ausmaß als bisher, wenn nicht sogar in ihrer Mehrheit, die Wahlkreiskandidaten der SPD gewählt haben. Beeinflußt haben dieses Wahlverhalten sicherlich auch die programmatische Annäherung der FDP an die SPD und die kurz vor der Wahl deutlich gewordene Absicht der FDP-Führung, eine Regierungskoalition mit den Sozialdemokraten einzugehen, falls dies zahlenmäßig im Bundestag möglich sein sollte.

Die Veränderungen im Wählerverhalten bei der Bundestagswahl von 1969 dürfen jedoch nicht dazu führen, daß der unterschiedlichen Stimmabgabe zu großes Gewicht beigemessen wird. So wurde unmittelbar nach der Wahl vorgeschlagen, die Bezeichnung Erst-und Zweitstimme durch die von „Personal-" und „Parteistimme" zu ersetzen Dies wird jedoch der Motivation der Wahlentscheidung nicht gerecht. Die Stimmabgabe für den Wahlkreiskandidaten ist auch weiterhin bei der überwiegenden Mehrzahl der Wähler identisch mit der für die Partei. Dies zeigt sich vor allem auch darin, daß die Erststimmenmehrheit in den Wahlkreisen nur in seltenen Fällen von der Zweitstimmenmehrheit abweicht. Die Häufigkeit, daß ein Kandidat mit der Erststimme im Wahlkreis siegte, obwohl seine Partei nach Zweitstimmen unterlag, war 1953 32, 1957 13 1961 sechs, 1965 neun und 1969 acht. Für die Wahlentscheidung bleibt die Parteipräferenz des Wählers ausschlaggebend. Die unterschiedliche Stimmabgabe der Wähler kleinerer Parteien steht dem nicht grundsätzlich entgegen. Auch hier beruht die Entscheidung des Wählers zugunsten des einen oder anderen Wahlkreisbewerbers in erster Linie auf der Überlegung, für welche Partei dieser kandidiert. Gerade auch das Wahlverhalten der FDP-Wähler, die bei der Bundestagswahl von 1969 ihre Erst-und Zweitstimme aufspalteten, bekräftigt dies. Von einer Personalentscheidung des Wählers kann bei der Erst-stimme nur sehr bedingt gesprochen werden, zumal die Stimmabgabe für die Kandidaten in Einerwahlkreisen bei relativer Mehrheitswahl identisch mit der Parteipräferenz des Wählers ist und umgekehrt

6. Die Wahlentwicklung in den Wahlkreisen

(134 “ 4195/© 9 (40 69 /5 V 0 (24 /452/(5) (106 © /“ 0 20/© 9 455 38/6 (d /2 307 /2 36/(/a 4" P) (7" (9 €182) Q (4) 69 (10 /(22 (349 (3 Bundesland Hamburg Niedersachsen Bremen Nordrhein-Westfalen Hessen Rheinland-Pfalz Baden-Württemberg Bayern Saarland Bundesrepublik 1961 156 1965 154 1969 121 SPD=schraffiert Darstellung I: Die Verteilung der Wahlkreismandate nach Ländern Schleswig-Holstein CDU/CSU=weiss

Die Veränderungen in den Stimmenanteilen der Parteien bei der Bundestagswahl von 1969, die bei der regionalen Analyse bereits deutlich geworden sind werden bei der Auswertung der einzelnen Wahlkreisergebnisse verstärkt sichtbar. In den folgenden Tabellen auf den Seiten 33 und 34 werden die Wahlkreise aufgeführt, in denen die beiden großen Parteien, SPD und CDU/CSU, ihre höchsten Zu-bzw. Abnahmen und die FDP ihre höchsten bzw. geringsten Verluste zu verzeichnen hatten Auffällig ist dabei zunächst, daß — von wenigen Ausnahmen abgesehen — die Wahlkreise in den sechs Tabellen mehrmals erscheinen. Besonders starke Verluste einer Partei haben somit zu hohen Stimmengewinnen einer der beiden anderen Parteien geführt Diese Korrelation trifft vor allem für die CDU und SPD zu. Zehn der aufgeführten elf Wahlkreise, in denen die CDU ihre größten prozentualen Stimmeneinbußen hinnehmen mußte — die Ausnahme bildet der Wahlkreis 77 Neuß-Grevenbroich —, gehören zugleich zu den 16 Wahlkreisen mit den höchTabelle sten Stimmengewinnen der SPD. Alle diese Wahlkreise liegen in Nordrhein-Westfalen. Sie umfassen vornehmlich stark urbanisierte Gebiete.

Auch die übrigen sechs Wahlkreise sind städtische Wahlkreise (Hamburg, Freiburg, Stuttgart, Oldenburg). Aus der weitgehenden Übereinstimmung von maximalen SPD-Gewinnnen und CDU-Verlusten wird man eine starke Wählerbewegung von der CDU hin zur SPD schließen können, die um so stärker wird, je höher der Grad der Urbanisierung in den Wahlkreisen ist. Hinzu kommt dabei, daß dieses Wählerverhalten vornehmlich in den Wahlkreisen eingetreten ist, in denen die Entwicklung zum Zweiparteiensystem besonders stark vorangeschritten war. Dem entspricht auch die Tatsache, daß mit Ausnahme des Wahlkreises 245 Saarbrücken-Land alle Wahlkreise mit den größten SPD-Verlusten in Bayern liegen. Vor allem in Bayern besteht somit die Asymmetrie des Parteiensystems zuungunsten der SPD weiter fort.

Die Freien Demokraten erlitten in der Mehrzahl der Wahlkreise mit den größten SPD-Gewinnen und CDU-Verlusten nur unterdurchschnittliche Verluste. Die Ausnahmen, die Wahlkreise Bonn, Stuttgart, Hamburg I, Freiburg und Oldenburg, sind solche Wahlkreise, in denen die FDP bei der Bundestagswahl von 1965 einen über ihrem Stimmenanteil im Bundesgebiet liegenden Prozentsatz an Zweitstimmen erreicht hatte. Ihre geringsten Stimmverluste hat die FDP im Gegensatz dazu vornehmlich in denjenigen Wahlkreisen hinnehmen müssen, in denen sie bereits bei früheren Wahlen nur geringe Stimmanteile erzielt hatte. In sieben der zehn angeführten Wahlkreise, die zudem alle wiederum in Nordrhein-West-falen liegen, war die FDP schon 1965 unter fünf von Hundert der Zweitstimmen geblieben. Im Wahlkreis Recklinghausen blieb sie auch bei dieser Wahl unter diesem Prozentsatz. Nur in den beiden Kölner Wahlkreisen konnte sie auch 1969 mehr als fünf von Hundert der Zweitstimmen erreichen.

Ihre größten Verluste mußte die FDP in den Wahlkreisen hinnehmen, die bei den vorangegangenen Wahlen ihre Hochburgen gewesen waren. Von den hier angeführten zwölf Wahlkreisen mit Stimmeneinbußen von mehr als sieben von Hundert der abgegebenen Zweit-stimmen sind acht — die Ausnahmen bilden Gießen, Lüneburg und Balingen — identisch mit den Wahlkreisen, in denen die FDP bei der Wahl von 1965 ihre besten Ergebnisse im Bundesgebiet erzielt hatte. So erlitt sie im Wahlkreis Waldeck, der 1965 mit 20, 6 v. H. an der Spitze aller Wahlkreise stand, 1969 mit einer Abnahme von 12, 4 v. H. ihren größten Stimmenrückgang. Die schon bei der Analyse des Wahlergebnisses auf Länderebene zutage getretene Korrelation zwischen den FDP-Verlusten und CDU-Gewinnen wird auf Wahlkreisebene noch wesentlich deutlicher. In allen Wahlkreisen mit der größten CDU-Zunahme mußte die FDP Stimmeneinbußen hinnehmen, die erheblich über den Bundesdurchschnitt liegen. Mit Ausnahme der Wahlkreise Calw und Heilbronn erzielte die SPD in diesen Wahlkreisen nur unterdurchschnittliche Stimmengewinne. In zehn der zwölf Wahlkreise mit den maximalen Verlusten der Freien Demokraten konnte die CDU teilweise erhebliche Stimmen-anteile hinzugewinnen. Die These, daß ein Teil der FDP-Wählerschaft zur CDU gewechselt ist, erfährt durch diese Ergebnisse ihre grundsätzliche Bestätigung. Sie muß jedoch insofern modifiziert werden, als es in mehreren dieser Wahlkreise auch der SPD gelungen ist, überdurchschnittliche Stimmengewinne zu erzielen. Dies braucht aber nicht notwendig auf einer direkten Wählerbewegung zwischen FDP und SPD zu beruhen, obwohl auch ein solches Wählerverhalten nicht auszuschließen ist. In diesen vornehmlich städtischen Wahlkreisen dürften sich vielmehr zwei Entwicklungslinien im Wahlverhalten gekreuzt und teilweise ausgeglichen haben. Die starken Verluste der FPD dürften weitgehend der CDU zugute gekommen sein, die durch diese Stimmengewinne die Fluktuation ihrer Wähler zur SPD auffangen konnte. Die Höhe der Zunahme ist dabei — wie auch die Stärke der CDU-Verluste in den Wahlkreisen, in denen die FDP-Wählerschaft bereits bei den vorangegangenen Wahlen relativ gering gewesen ist — in erster Linie von dem Grad der Urbanisierung und Industrialisierung abhängig.

Innerhalb der Gesamtwählerschaft der Sozialdemokraten hat bei allen Bundestagswahlen ein deutliches Übergewicht der städtischen Wähler bestanden, während sich die Wählerschaft der Unionsparteien in ihrer Mehrheit stets aus ländlichen Wählerschichten zusam-mensetzte Wie die Tabelle XV zeigt, konnte sich die CDU/CSU bis zur Wahl von 1961 aber auch in den großstädtischen Wahlkreisen relativ gut behaupten. Mit der Wahl von 1961 verstärkte sich der Gegensatz von

Stadt und Land jedoch in erheblichem Ausmaß. Auf der einen Seite stieg der Anteil der ländlichen Wähler an der CDU/CSU-Wählerschaft und auf der anderen beruhten die Stimmengewinne der SPD seit ihrem Wandel zur Volkspartei in erster Linie auf einem überdurchschnittlichen Stimmenzuwachs städtischer Wählerschichten. Auch bei der Wahl von 1969 hat sich diese Entwicklung fortgesetzt. Sie ist mittlerweise soweit vorangeschritten, daß die CDU/CSU nur noch in 14 von 90 großstädtischen Wahlkreisen stimmstärkste Partei ist. Dem unterschiedlichen Wahlverhalten von Stadt und Land kommt vor allem im Hinblick auf die Wahlreformdiskussion besondere Bedeutung zu. Der verfestigte Gegensatz von Stadt und Land dürfte ein wesentliches Faktum sein, das gegen die Einführung der relativen Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen in der Bundesrepublik spricht

Bei der Bundestagswahl von 1969 hat in 35 Wahlkreisen ein Wechsel des Mandates zwischen den beiden großen Parteien stattgefunden, wobei die Sozialdemokraten in 34 Wahlkreisen das Direktmandat neu gewinnen konnten und nur einen Wahlkreis an die Union verloren. Trotz dieses recht erheblichen Man-datswechsels besteht auch nach dieser Wahl in der überwiegenden Zahl der Wahlkreise eine ähnlich ausgeprägte Hochburgen-situation, wie sie bei der Gegenüberstellung von Stadt und Land deutlich geworden ist. Der Angleichungsprozeß der beiden großen Parteien auf Bundesebene seit 1961 hat keineswegs dazu geführt, daß sich zugleich auch die Zahl der Wahlkreise mit unsicheren Mehrheitsverhältnissen stetig erhöht hat. In aller Regel kann man dabei alle die Wahlkreise als sichere Wahlkreise ansehen, in denen die stimmstärkste Partei einen Vorsprung von etwa zehn von Hundert der Stimmen erreicht hat. In solchen Wahlkreisen dürfte bei der nächsten Wahl kein Mandatswechsel eintreten, sofern diese nicht unter ganz außergewöhnlichen politischen Voraussetzungen stattfindet.

Diese „Faustregel" wurde auch bei dieser Wahl grundsätzlich bestätigt. So betrug der stärkste Verlust der CDU 9, 6 v. H.der Zweit-stimmen, während die SPD einen maximalen Gewinn von 10, 2 v. H. erzielte. Nur in drei der 34 Wahlkreise, die die Unionsparteien an die Sozialdemokraten verloren, war die Differenz der Erststimmen bei der Wahl von 1969 größer als zehn von Hundert; sie betrug in zehn Wahlkreisen über fünf, in 21 Wahlkreisen unter fünf Prozent der Erststimmen. Wie Tabelle XVII zeigt, ist die Zahl der Wahlkreise mit einem Vorsprung von über zehn von Hundert der Zweitstimmen im Vergleich zu den vorangegangenen Bundestagswahlen keineswegs zurückgegangenen, sondern hat sich geringfügig erhöht. Dies beruht zum einen darauf, daß die CDU/CSU — wenn auch nicht mehr in dem Ausmaß wie bei früheren Wahlen — auch 1969 die überwiegende Mehrzahl ihrer Wahlkreise mit einem übergroßen Stimmenüberschuß gewonnen hat und die SPD in diesen vornehmlich bayerischen und baden-württembergischen Wahlkreisen nur minimale Stimmengewinne erzielte. Zum anderen aber konnten die Sozialdemokraten nicht nur 34 Wahlkreise neu gewinnen, es gelang ihnen zugleich auch, ihren Stimmenvorsprung in den bereits bei früheren Wahlen gewonnenen Wahlkreisen erheblich zu vergrößern. Die Zahl ihrer Wahlkreise mit einem Erststimmenüberschuß von weniger als zehn von Hundert hat sich dadurch gegenüber 1965 nur um drei erhöht, so daß nach der Wahl von 1969 von den 127 sozialdemokratischen Wahlkreisen 79 (61, 4 v. H.) als sichere Wahlkreise angesehen werden können, während es 1965 nur 49 (54, 5 v. H.) waren. Die Stimmengewinne der SPD haben also nur in geringem Maße dazu beigetragen, die Hochburgenbildung in der Bundesrepublik abzubauen. Die Stimmentwicklung in den Wahlkreisen hat vielmehr bewirkt, daß nun auch die SPD über annähernd so viele sichere Wahlkreise verfügt wie die CDU/CSU.

Die Wahlkreisergebnisse spiegeln somit in gewisser Weise die ausgeprägten regionalen Unterschiede wider, wobei als weiteres Element noch der Gegensatz von Stadt und Land hinzutritt. Diesen Entwicklungen im Wahlverhalten der Bundesrepublik kommt besondere Bedeutung zu vor allem im Hinblick auf die Frage, ob und inwieweit die Bundestagswahl von 1969 einen weiteren Schritt auf dem Wege zu einem funktionsfähigen Zweiparteiensystem darstellt, das bei jeder Wahl die Möglichkeit des Regierungswechsels offen läßt. Eine ausschließlich auf wahlstatistischem Material basierende Interpretation des Wahlergebnisses kann diese Frage nicht zureichend beantworten. Hierzu bedarf es der weiterführenden Analysen der Wahlsoziologie über die Wechselwählerschaft und das Wahlverhalten der einzelnen Bevölkerungsschichten, deren Ergebnisse gerade für diese Bundestagswahl von 1969 von besonderem Interesse sein werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Siehe hierzu Dieter Nohlen, Begriffliche Einführung in die Wahlsystematik, in: Die Wahl der Parlamente und anderer Staatsorgane. Ein Handbuch, hrsg. von Dolf Sternberger und Bernhard Vogel, Red. von Dieter Nohlen, Bd I: Europa, Berlin 1969, S. 12 ff.; vgl. auch Helmut Unkelbach /Rudolf Wildenmann 7 Werner Kaltefleiter, Wähler — Parteien — Parlamente. Bedingungen und Funktionen der Wahl, Frankfurt/M. 1965.

  2. Karl Schwarz, Der Beitrag der amtlichen Statistik zur Analyse der Ergebnisse politischer Wahlen, in: Sozialwissenschaftliches Jahrbuch für Politik, hrsg. von Rudolf Wildenmann, Bd. 1 (1969), S. 156.

  3. Hinsichtlich der Wahl von 1965 vgl. etwa Werner Kaltefleiter, Macht ohne Konsens?, in: Verfassung und Verfassungswirklichkeit, Bd. 1 (1966) S. 14 ff.

  4. So etwa auch Rudolf Wildenmann, Die Bundesrepublik am Scheideweg. Zur Bundestagswahl 1969, in: Sozialwissenschaftliches Jahrbuch, a. a. O., S. 19.

  5. CDU und CSU, die organisatorisch zwei Parteien sind und auch mit getrennten, d. h. unverbundenen Landeslisten an den Wahlen teilgenommen haben, werden im folgenden aufgrund ihrer engen Fraktionsgemeinschaft im Parlament als „eine" Partei bezeichnet.

  6. Siehe hierzu auch S. 17.

  7. Vgl. § 18 ff.des Parteiengesetzes vom 24. Juli 1967 (BGBl. 1967/1, S. 773) mit Abänderungen vom 25. Juni 1969 (BGBL 1969/1, S. 645) und 22. Juli 1969 (BGBl. 1969/1, S. 925).

  8. So 8, 7 v. H. in Bremen und 8, 3 v. H. in Baden-Württemberg; vgl.den Beitrag „Deutschland" von Bernhard Vogel und Rainer-Olaf Schultze, in: Die Wahl der Parlamente und anderer Staatsorgane, a. a. O., S. 318.

  9. Vgl. Rudolf Wildenmann, in: Sozialwissenschaftliches Jahrbuch, a. a. O., S. 19.

  10. Vgl.den Beitrag „Deutschland" von Bernhard Vogel und Rainer-Olaf Schultze, a. a. O., S. 298 ff.

  11. Die Wählerbewegung zwischen CDU und SPD wird auch bei einer Analyse auf Wahlkreisebene deutlich; siehe unten S. 32 ff. Aber auch hier können nur empirische Untersuchungen die Richtigkeit dieser These endgültig bestätigen.

  12. Zur Definition siehe die „Begriffliche Einführung in die Wahlsystematik" von Dieter Nohlen, in: Die Wahl der Parlamente und anderer Staatsorgane, a. a. O., S. 28 ff.

  13. Vgl.den Beitrag „Deutschland" von Bernhard Vogel und Rainer-Olaf Schultze, ebenda, S. 292 ff.

  14. Zur Analyse von Erst-und Zweitstimmen siehe unten S. 27 ff.

  15. Carl J. Friedrich, Repräsentation und Verfassungsform in Europa, neuerdings in: Zur Theorie und Geschichte der Repräsentation und Repräsentativverfassungs, hrsg. von Heinz Rausch, Darmstadt 1968, S. 218.

  16. Diese Frage besitzt vor allem in Verhältniswahlsystemen Relevanz. Mehrheitswahlsysteme unterliegen nicht dem gleichen Maßstab, denn sie gehen von einer anderen Zielvorstellung politischer Repräsentation aus. Eine historische Analyse zeigt jedoch auch, daß erhebliche Unterschiede zwischen Stimmen und Mandaten, die etwa so ausschlugen, daß Sieger und Besiegte wechselten, stets zu Über-prüfungen des jeweils bestehenden Mehrheitswahlsystems und oft zur Reform des Repräsentationsmodells (und damit des Wahlsystems) geführt haben.

  17. Selbst das in der Weimarer Republik angewandte Verrechnungsverfahren, die „Automatische Methode", konnte keine vollkommene Deckungsgleichheit erzielen. Technisch-logische Gründe verhindern dies: Wenn — wie in der Weimarer Republik gültig — 60 000 Stimmen notwendig sind, um an der Mandatsvergabe beteiligt zu sein, muß eine Gruppe eben zumindest 60 000 Stimmen erreichen.

  18. Jede Art von Sperrklauseln durchbricht an sich von der Theorie her gesehen das proportionale Repräsentationsprinzip. So auch Dolf Sternberger, Die große Wahlreform. Zeugnisse einer Bemühung, Köln und Opladen 1964, S. 143. In der Praxis sind jedoch Sperrklauseln, die ein allgemein anerkanntes Maß nicht überschreiten, mit dem Proporzprinzip zu vereinbaren. Rahmen und Höhe sind aber äußerst enge Grenzen gesetzt. Die vom Bundesverfassungsgericht noch als mit der Verhältniswahl konform anerkannte Fünf-Prozent-Sperrklausel dürfte ein solcher Grenzwert sein. Vgl. die BVerfG Entsch. 1, 209/256; 3, 383 ff.; 4, I 40/143/380; 5, 83; 6, 94.

  19. Vgl. Dieter Nohlen, Begriffliche Einführung in die Wahlsystematik, in: Die Wahl der Parlamente und anderer Staatsorgane, a. a. O., S. 48 ff.

  20. Auf das Entstehen von Überhangmandaten kann hier nicht näher eingegangen werden. Siehe dazu Karl Heinz Seifert, Das Bundeswahlgesetz. Bundeswahlordnung und wahlrechtliche Nebengesetze, 2. Ausl., Berlin und Frankfurt/M. 1965; Karl Schwarz, Die Ursache von Überhangmandaten bei Bundestagswahlen und Möglichkeiten zu ihrer Beseitigung, in: DOV Bd. 15 (1962), S. 373 ff.; vgl. auch den Artikel „Überhangmandate" von Dieter Nohlen in dem von Kurt Sontheimer und Helmut Röhring hrsg. „Handbuch des Parlamentarismus", das voraussichtlich im Frühjahr 1970 erscheinen wird.

  21. Die Wahl von 1949 kann nicht zum Vergleich herangezogen werden, da die Sperrklausel 1949 nur in einem Bundesland erreicht werden mußte. Erst seit dem Wahlgesetz von 1953 müssen die Parteien einen Zweitstimmenanteil von fünf Prozent im gesamten Wahlgebiet erzielen, um an der Mandats-vergabe beteiligt zu sein.

  22. Sie betrugen bei der ersten von der ARD durchgeführten Hochrechnung 1, 5 v. H. zugunsten der CDU/CSU und 1, 6 v. H. zuungunsten der SPD.

  23. Die Hochrechnungen der Fernsehanstalten sind bisher immer ziemlich genau an das endgültige Ergebnis herangekommen, so daß die Abweichungen fast zwangsläufig Verwunderung in der Öffentlichkeit hervorrufen mußten. Im Falle großer Veränderungen im Wählerverhalten und starker regionaler Differenzen können solche Abweichungen jedoch auftreten, da die Möglichkeit besteht, daß das Wahlverhalten einiger Wahlbezirke nicht mehr repräsentativ für die Bevölkerungsschichten ist, für die sie ausgewählt worden sind. Eine gewisse Rolle kann auch der zeitliche Faktor spielen; das Eintreffen der Einzelergebnisse kann eine über-bzw. Unterrepräsentation der Parteien bewirken. Ähnlich wie die demoskopischen Umfragen sind auch die Hochrechnungen unter solchen Voraussetzungen in gewisser Weise überfordert; dies kann jedoch nicht ausreichen, sie und die ihnen zugrunde liegenden mathematischen und sozialwissenschaftlichen Methoden grundsätzlich in Frage zu stellen.

  24. Theoretisch denkbar wären auch: 1. eine Minderheitsregierung der CDU/CSU, die sich dann zwangsläufig auf die Tolerierung durch die NPD hätte einlassen müssen; 2. die Auflösung des neu-gewählten Bundestages und die Ausschreibung von Neuwahlen, sofern bei der Kanzlerwahl im Bundestag kein Kandidat die absolute Mehrheit der Stimmen erreicht hätte (vgl. GG Art. 63). Beide Möglichkeiten wären in der Praxis aber wohl kaum in Erwägung gezogen worden.

  25. Zu möglichen Listenformen siehe Dieter Noh-len, Begriffliche Einführung in die Wahlsystematik, in: Die Wahl der Parlamente und anderer Staatsorgane, a. a. O., S. 41 ff.

  26. Formalrechtlich und in der wahlorganisatorischen Ausprägung besteht die Erst-und Zweitstimmenkonstruktion erst seit dem Wahlgesetz von 1953. Faktisch war sie jedoch bereits 1949 vorhanden. Bei der Wahl von 1949 hatte jeder Wähler zwar nur eine Stimme; diese wurde jedoch zweimal zur Mandatsermittlung herangezogen: zum einen zur Wahl der 242 Wahlkreisabgeordneten nach relativer Mehrheitswahl und zum zweiten als Stimme für die Landesliste zur Berechnung des Mandatsanteils der Parteien. Die Grundzüge des Wahlsystems sind somit seit 1949 unverändert gültig. Der Wähler konnte allerdings 1949 seine Parteipraferenz nicht unterschiedlich äußern.

  27. Dies gilt jedoch nicht für die gesamten Vereinigten Staaten. Aufgrund der bundesstaatlichen Struktur der USA fällt die Wahlgesetzgebung mit Ausnahme der Verfassungsbestimmungen in die Kompetenz der Einzelstaaten. In einigen Bundesstaaten gibt es daher für die verschiedenen Wahlen mehrere Stimmzettel.

  28. Diese Konstellation ergibt sich aufgrund des amerikanischen Parteiensystems vornehmlich dann, wenn der Kandidat der Republikaner die Präsidentschaftswahl gewinnen kann. So sehen sich die beiden letzten republikanischen Präsidenten, Eisenhower und Nixon, jeweils einer demokratischen Mehrheit im Repräsentantenhaus gegenübergestellt. Falls alle Wähler, die sich 1956 für Eisenhower entschieden haben, gleichzeitig auch für die republikanischen Kandidaten zum Repräsentanten-haus gestimmt hätten, hätte Eisenhower im Repräsentantenhaus über eine Mehrheit von 328 zu 107 Mandaten verfügt. Das Splitting bewirkte jedoch, daß die Demokraten eine Mehrheit von 29 Mandaten erhielten.

  29. Siehe hierzu vor allem die Untersuchung von Milton C. Cummings Jr., Congressmen and the Electorate. Elections for the US-House and the President, 1920— 1964, New York/London 1966; dort auch weitere Literaturangaben.

  30. Vgl. ebenda, S. 55.

  31. Ebenda, S. 30.

  32. Einfluß auf die Mandatsstärke der Parteien im Bundestag erhält die Erststimme nur dann, wenn es zu Überhangmandaten kommt. Siehe hierzu oben S. 23 ff.

  33. ßei den Wahlen von 1953 und 1957 war der Anteil der Wähler, die Erst-und Zweitstimme unterschiedlich abgaben, höher. So betrug er z. B. 1957 10, 7 v. H. Die Wahlen von 1953 und 1957 können zum Vergleich nur bedingt herangezogen werden, da die CDU/CSU in zahlreichen Wahlkreisen mit den kleinen Parteien Wahlabsprachen eingegangen war und auf die Nominierung eines Wahlkreiskandidaten verzichtete. Zudem war der Stimmenanteil der kleineren Parteien erheblich höher, so daß auch die Differenz zwischen Erst-und Zweitstimmen fast automatisch größer sein mußte.

  34. Veröffentlicht in den Textheften zu den jeweiligen Bundestagswahlen, für 1953 und 1957 in den Bden. 100 und 200, für 1961 und 1965 innerhalb der Fachserie A, Bevölkerung und Kultur, Reihe 8.

  35. Vgl. Hartmut Jäckel, Die Auswirkungen einer Wahlrechtsreform. Methodische Bemerkungen zur Analyse von Wahlsystemen und Wahlergebnissen, in: PVS 7. Jg. (1966), S. 537 ff.; dort auch eine eingehende Analyse der Bedeutung der Erststimmen im Hinblick auf eine Revision des Wahlsystems.

  36. Auch hier kann erst die Repräsentativauszählung des Statistischen Bundesamtes über die Richtigkeit dieser These endgültig Klarheit schaffen. Bei der Wahl von 1965 gaben von den NPD-Wäh-lern, die ihre Stimme aufspalteten, doppelt so viele ihre Erststimme für die Wahlkreisbewerber der CDU/CSU ab als für die der SPD.

  37. Dieser Vorschlag wurde von Frau Noelle-Neumann am 1. Oktober 1969 im ZDF-Magazin gemacht. Er diente wohl vornehmlich dazu, eine Motivation für die in der Tendenz richtige, in den Zahlen aber erheblich abweichende Wahlvoraussage des Allensbacher Instituts zu geben, da die Prozentzahlen der Voraussage näher an das Erstais Zweitstimmenergebnis herangekommen war.

  38. Davon 1953 15 mal und 1957 fünf mal aufgrund von Wahlabsprachen.

  39. Siehe hierzu die „Begriffliche Einführung in die Wahlsystematik", in: Die Wahl der Parlamente und anderer Staatsorgane, a. a. O., S. 37 ff.

  40. Vgl. oben S. 19 ff.

  41. Angegeben jeweils in Prozent der gültigen Zweitstimmen.

  42. Dies gilt allerdings nicht für die FDP.

  43. Vgl. hierzu den Beitrag „Deutschland", in: Die Wahl der Parlamente und anderer Staatsorgane, a. a. O„ S. 308 ff.

  44. Das gegensätzliche Wahlverhalten von Stadt und Land steht damit jedoch keineswegs auch der Einführung eines mehrheitsbildenden Wahlsystems, wie etwa dem Dreierwahlsystem, entgegen, dessen Vorzug gegenüber der relativen Mehrheitswahl u. a. darin besteht, daß auch in Hochburgen die zweitstärkste Partei die Chance auf einen Mandats-gewinn hat und somit die „Verödung" bestimmter Regionen verhindert wird.

  45. Bei der Wahl von 1965 fand nur in 25 Wahlkreisen ein Mandatswechsel statt.

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Dieter Noh len, Dr. phil., geb. am 6. November 1939; Studium der Politischen Wissenschaft und Geschichte, Promotion in Heidelberg mit einer Arbeit über den Spanischen Parlamentarismus im 19. Jahrhundert, die in Kürze unter dem Titel „Spanischer Parlamentarismus 'im 19. Jahrhundert, «Regimen parlamentario» und parlamentarische Regierung" erscheinen wird. Gegenwärtig am Institut für Politische Wissenschaft der Universität Heidelberg Leiter des Forschungsprojektes „Die Wahl der Parlamente ". Veröffentlichungen: Parlamentarismus in Spanien 1833— 1837. Modellvorstellungen parlamentarischer Regierung und Verfassungspraxis um die Zeit des «Estatuto Real», in: PVS 9. Jg. (1968), S. 544 ff., sowie zahlreiche Beiträge zur Wahlforschung, vor allem innerhalb des ersten Bandes, Europa, von „Die Wahl der Parlamente". Rainer-Olaf Schultze, geb. am 6. Oktober 1945, Doktorand am Institut für Politische Wissenschaft der Universität Heidelberg und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsprojekt „Die Wahl der Parlamente". Veröffentlichungen: Innerhalb des ersten Bandes von „Die Wahl der Parlamente" die Länderbeiträge „Bulgarien" und „Tschechoslowakei" sowie in Ko-Autorschaft mit Bernhard Vogel den Länderbeitrag „Deutschland".