Es ist müßig darüber zu streiten, ob das nationalzentrische Selbstverständnis der Rumänischen Kommunistischen Partei, so wie es vom Parteichef Nicolae Ceausescu in dogmatischen Sätzen formuliert wurde, Ursprung oder Folge des Emanzipationswillens Bukarests gegenüber dem sowjetischen Hegemonialanspruch gewesen ist. Fest steht, daß die RKP-Ideologie und Außenpolitik nach dem Utilitaritätsprinzip miteinander verflochten wurden. Die eigenwillige Diplomatie des kleinen Balkanstaates, die ihm insbesondere in den siebziger Jahren Lob und Anerkennung seitens der Länder des atlantischen Bündnisses, Chinas und der Dritten Welt einbrachten, hat wiederholt Moskaus weltpolitische Zielsetzungen durchkreuzt. Erfolgreich erwies sich der rumänische Partei-und Staatschef insbesondere auf dem Felde der Vermittlungsdiplomatie. Er trug unter anderem wesentlich zur Annäherung zwischen Israel und Ägypten sowie den Vereinigten Staaten und China bei. Die Zusammenarbeit Rumäniens innerhalb des Warschauer Paktes besitzt hingegen seit 1967 weitgehend formalen Charakter. Bukarest hat sich seither geweigert, Truppen an gemeinsamen Manövern teilnehmen zu lassen. Wenig Vorteilhaftes läßt sich über die Innen-und Wirtschaftspolitik Rumäniens sagen. Die forcierte Industrialisierung, die ursprünglich als Stütze der Autonomiepolitik gedacht war, später jedoch Eigengesetzlichkeiten entwickelte, führte zu strukturellen Fehlleistungen und erfolgte auf Kosten der Landwirtschaft, der die Mittel entzogen wurden, um echte Reformen und Modernisierungen durchzuführen. Zu Beginn der achtziger Jahre wurde die Westverschuldung Rumäniens, nachdem das Land im Winter 1981/1982 seine Zahlungsunfähigkeit anmelden mußte, zum schier unlösbaren Problem. Und Moskau zeigt verständlicherweise wenig Neigung, dem widerspenstigen Verbündeten in der Stunde der Not wirtschaftlich unter die Arme zu greifen. Innenpolitisch hat Rumänien weniger als alle anderen Ostblockstaaten das Erbe der stalinistischen Periode überwunden. Da der Weiterführung einer eigenwilligen Außenpolitik wegen des innen-wie wirtschaftspolitisch bedingten Prestigeverlusts der Regierung enge Grenzen gezogen sind, blickt Bukarest, ohne die dringend benötigte Unterstützung des Westens, in eine düstere Zukunft
Dem Außenstehenden mag es merkwürdig erscheinen, daß ausgerechnet jenes Mitgliedsland des Warschauer Paktes und des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW), das innenpolitisch die meisten Merkmale des Stalinismus bewahrte, im Bereich der Wirtschafts-und Außenpolitik ein verhältnismäßig hohes Maß an Blockunabhängigkeit erreichen konnte. Dabei stimmt die in den siebziger Jahren von Ostexperten vertretene These, wonach die weitgehende außen-politische Unabhängigkeit dieses Balkanlandes zwangsläufig mit innerer Unfreiheit erkauft werden mußte, nur bedingt mit der Wirklichkeit überein. Selbstverständlich durfte Bukarest, wollte es auf Emanzipationskurs gegenüber Moskau gehen, nicht zugleich der inneren Liberalisierung das Wort reden. Das Beispiel Ungarns 1956 und der Tschechoslowakei 1968 schreckte alle potentiellen Nachahmer gründlich ab. Die schwache und unpopuläre Rumänische Kommunistische Partei (RKP) hatte jedoch niemals die Absicht, eine innenpolitische Lockerung der Zügel vorzunehmen. Ganz abgesehen davon, daß es im Falle einer Liberalisierung mit der Entwicklung unkontrollierbarer Eigengesetzlichkeiten rechnen mußte, liegt dem Alleinherrscher Ceausescu auch schon der Gedanke einer Delegierung wesentlicher Kompetenzen an untergeordnete Organe oder Körperschaften fern. Rumänien war auch in der Zwischenkriegszeit im wesentlichen eine Pro-forma-Demokratie und das Volk hatte kaum Gelegenheit, sich mit demokratischen Spielregeln vertraut zu machen.
Die intensiven Kontakte Rumäniens zur Bewegung der blockfreien Staaten bedeuten andererseits nicht, daß sich Ceausescu mit dem Gedanken trägt, das osteuropäische Bündnis-system zu verlassen; allein schon deshalb nicht, weil seine Position im Lande dermaßen angeschlagen ist, daß er auf die psychologische Rückendeckung der „Bruderparteien“ nicht verzichten kann. Wenngleich ihm am Wohlwollen Moskaus nach wie vor gelegen sein muß, hält Ceausescu an der Idee der vollen Gleichberechtigung und Unabhängigkeit aller kommunistischen Staaten und Parteien fest. Diese spezifisch rumänische Konzeption einer Welt „sozialistischer Vaterländer“ hatte ihren Ausgangspunkt auf dem IX. Parteikongreß vom Juli 1965, der Nicolae Ceausescu zum Partei-Generalsekretär berief. Dieser Kongreß verabschiedete ein neues Parteistatut, in dem die Grundprinzipien der „sozialistischen Arbeitsteilung", denen sich das kommunistische Rumänien verpflichtet fühlt, aufgezählt werden Bukarest hat seither wiederholt darauf verwiesen, daß diese Grundsätze formal von allen kommunistischen Parteien bereits akzeptiert wurden.
Beides, sowohl der Wunsch nach größtmöglicher Unabhängigkeit wie auch der Hang der gegenwärtigen Parteiführung zu einer neostalinistischen Tyrannis wurzelt in der Geschichte der Rumänen und in der der Rumänischen Kommunistischen Partei. Man sucht vergeblich nach einem anderen Mitgliedstaat des Warschauer Paktes, dessen Politik ebenso stark wie in Rumänien von nationalen Nostalgien und historischen Empfindlichkeiten geprägt wäre. Dies führte zu einer synkretistischen Ideologie voller Paradoxien, auf der Grundlage eines extremen Nationalismus und ebenso radikalen „Internationalismus“ sui generis. Eine bizzare Dialektik, die marxistisches Gedankengut nur mehr als Spurenelemente enthält, hat dies ermöglicht. Ihr Schöpfer leitete freilich daraus den Anspruch für sich ab, einer der ganz großen Erneurer des Kommunismus zu sein. Und die rumänische Historiographie zählt die Zeit vor 1965, zumindest was Rumänien anbelangt, zur kommunistischen Vorgeschichte.
I. Die RKP-Ideologie: eine Mischung aus geschichtlichen Überlieferungen und national-egozentrischem Selbstverständnis
Das national-egozentrische Selbstverständnis der rumänischen Kommunisten war latent vorhanden, noch ehe die KP-Führung auch nur erwägen konnte, es programmatisch zu artikulieren. Die in der Zwischenkriegszeit politisch bedeutungslose RKP setzte sich zu einem erheblichen Teil aus „allogenen Elementen“ (im Volksmund: unassimilierbare Fremde, insbesondere siebenbürgische Magyaren, Juden und Ukrainer) zusammen, und auch die ihr von der KOMINTERN oktroyierten ZK-Generalsekretäre waren keine Rumänien und beherrschten noch nicht einmal, was von der Geschichtsschreibung der Ära Ceausescu besonders scharf angeprangert wird die rumänische Sprache. Sie seien „Kreaturen fremder Interessen“ gewesen und dienten fremden Mächten, nicht Rumänien und nicht dem rumänischen Volk 1. Die politischen Voraussetzungen der nationalen Emanzipation Es gibt keinen Zweifel daran, daß Stalin selbst die Weichen für die Rumänisierung der RKP gestellt hat, als er 1952, damals für Uneingeweihte völlig überraschend, die Gruppe um Ana Pauker, die sich während des Zweiten Weltkriegs in der UdSSR aufgehalten hatte und enge Beziehungen zum Kreml besaß, fallen ließ und Gheorghe Gheorghiu-Dej, einen in Rumänien verbliebenen und später verhafteten Kommunisten, als Ersten ZK-Sekretär bestätigte. Zwischen der Fraktion der „Moskowiter", die sich mehrheitlich aus Angehörigen nationaler Minderheiten zusammensetzte und im Gefolge der Sowjetarmee nach Rumänien zurückgekehrt war, und der Fraktion der „Bodenständigen" unter der Leitung des ehemaligen Eisenbahners Gheorghiu-Dej, die ausschließlich aus ethnischen Rumänen bestand, hatte es, da beide den Führungsanspruch erhoben, von Anfang an Reibereien gegeben. Der innerparteiliche Machtkampf mußte freilich so lange verschoben werden, bis der „Klassenfeind" liquidiert war und es der RKP gelang, ihre Kaderbasis zu erweitern.
1951 brach der Konflikt zwischen den beiden Flügeln offen aus. Stalin, der im Jahr vor seinem Tode seine letzte „antizionistische Aktion" gestartet hatte, entschied sich gegen die Jüdin Pauker. Die „Rumänisierung" der RKP war damit eingeleitet
Entscheidend für die spätere ideologische und außenpolitische Metamorphose der RKP war ferner der von rumänischen KP-Spitzen-funktionären Chruschtschow geschickt suggerierte Entschluß, die in Rumänien aufgrund des Pariser Friedensvertrags „zeitweilig stationierten“ sowjetischen Truppen zurückzuziehen Damit hat sich Bukarest eines lästigen Kontrolleurs entledigt, der sein Wohlverhalten auf Bündnistreue und „internationalistische Solidarität" überwachte.
Moskau konnte kaum damit rechnen, daß Bukarest sich die Begründung für seine spätere Emanzipationspolitik gerade auf der von der KPdSU einberufenen „Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien", die im Rahmen der Feierlichkeiten „zum 43. Jahrestag der Großen Oktoberrevolution" veranstaltet wurde holen würde. Als von grundsätzlicher Bedeutung für das politische Selbstverständnis der RKP sollte sich in den folgenden Jahren die in den Abschlußdokumenten der erwähnten Konferenz enthaltene Definition erweisen: „Das sozialistische Lager ist die soziale, wirtschaftliche und politische Gemeinschaft freier, souveräner Völker, die durch enge Bande der internationalen sozialistischen Solidarität und durch die Einheit der gemeinsamen Interessen und Ziele geeint sind und den Weg zum Sozialismus und Kommunismus gehen ... Die sozialistischen Staaten, die sich von den Prinzipien der völligen Gleichberechtigung, des gegenseitigen Vorteils und der kameradschaftlichen gegenseitigen Hilfe leiten lassen, vervollkommnen allseitig die wirtschaftliche, politische und kul-turelle Zusammenarbeit, was sowohl den Interessen eines jeden sozialistischen Staates als auch den Interessen des gesamten sozialistischen Lagers entspricht." Es kann als sicher gelten, daß diese von der KPdSU-Führung mitgetragene Definition vom Kreml nicht als Verzicht auf seinen Primatanspruch oder gar als Aufforderung an seine Satelliten aufgefaßt wurde, sich zu verselbständigen. Diese Moskauer „Beratung“ war das letzte internationale Treffen von kommunistischen Parteien, an dem die KP Chinas, die Ende der sechziger und in den siebziger Jahren den renitenten Rumänen wiederholt den Rücken stärkte, teilnahm. 2. Die Hauptthesen der Bukarester Doktrin Der Bruch zwischen Peking und Moskau bildete für Bukarest den willkommenen Anlaß, seinen Emanzipationskurs gegenüber der Sowjetunion einzuleiten und voranzutreiben. Die RKP-Führung sah freilich davon ab, in der Auseinandersetzung der beiden Giganten direkt einzugreifen; sie bot vielmehr ihre guten Dienste als Vermittler an, nutzte jedoch zugleich die Gelegenheit, um der eigenen unorthodoxen Ideologie schärfere Konturen zu verleihen. Nach mehreren Anläufen, in denen sie immer stärker ihre Unabhängigkeit betonte, war es 1964 so weit. Die RKP ließ im zentralen Presseorgan eine „Erklärung zum Standpunkt der Rumänischen Arbeiterpartei in den Fragen der internationalen kommunistischen und Arbeiterbewegung" veröffentlichen, die vom ZK-Plenum am 22. April verabschiedet worden war. Sie „empfahl" darin Peking und Moskau „die sofortige Einstellung der öffentlichen Polemik". Von größerer Tragweite für die weitere politische Entwicklung der RKP und ihres ideologischen Selbstverständnisses waren allerdings einige Grundsatzerklärungen, die ebenfalls in diesem Dokument enthalten sind. Als Eckpfeiler und „ideologisches Feigenblatt" diente Bukarest ein aus dem größeren Zusammenhang gerissenes Lenin-Zitat, in dem der Gründer der UdSSR von der Notwendigkeit der ideologischen und politischen Anpassung an die jeweiligen „nationalen Besonderheiten" sprach
Das ZK-Plenum verwies in seiner , April-Erklärung" nachdrücklich darauf, daß Bukarest die Übertragung der nationalstaatlichen Funktionen auf „überstaatliche Organe" grundsätzlich ablehne. Ein „allen RGW-Ländern übergeordnetes Planungssystem würde äußerst ernste wirtschaftliche und politische Verwicklungen mit sich bringen“. Ferner: Die volkswirtschaftliche Planung sei „ein grundlegendes, wesentliches und unveräußerliches Attribut der Souveränität jedes sozialistischen Staates... Die Souveränität würde zu einem inhaltslosen Begriff, ginge auch nur ein Hebel in die Zuständigkeit überstaatlicher Organe über“. Darüber hinaus kämpfe Rumänien für die Ausweitung der internationalen Kooperation auch zwischen Ländern „unterschiedlicher Gesellschaftsordnung". Schließlich setze sich die RKP für die Abschaffung aller Militärblöcke ein.
Definitive Form nahm die neue RKP-Doktrin auf dem IX. Parteikongreß vom 19. bis 24. Juli 1965 an. Die bis in die Gegenwart hinein geltenden Prinzipien wurden vom neuberufenen Partei-Generalsekretär Ceausescu und dem Altkommunist Emil Bodnäras den vor den Kopf gestoßenen Gästen aus den sozialistischen „Bruderländern“ und einer völlig überraschten Öffentlichkeit präsentiert Sie lauten: „ 1. Die Nation und der Staat werden noch lange Zeit die Grundlagen für die Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft bilden. Die Entwicklung der Nation und die Festigkeit des sozialistischen Staates entsprechen den objektiven Erfordernissen des gesellschaftlichen Lebens; dies widerspricht nicht nur in keiner Weise den Interessen des sozialistischen Internationalismus, sondern steht, im Gegenteil, in vollem Einklang mit diesen. 2. Die Nation als historische Formation, weit davon entfernt überholt zu sein, findet erst im Sozialismus die Voraussetzung, um sich vollauf durchsetzen und behaupten zu können. Die Unabhängigkeit und Souveränität der Nation und des sozialistischen Staates sind somit objektiv begründete Forderungen.
3. Erst zwischen unabhängigen und souveränen sowie gleichberechtigten sozialistischen Nationen und Staaten erhält der proletarische Internationalismus Inhalt und Wirklichkeit, stellt er die authentische Verkörperung der (...) vereinten Kraft aller dar.“
Der seltsame Synkretismus zwischen Internationalismus und Nationalismus war perfekt, der Streit mit den Verbündeten über die wahre Auslegung der „Klassiker" hatte begonnen und wird bis in die Gegenwart hinein lei-denschaftlich fortgesetzt. An aktueller Brisanz mangelt es diesen rumänischen Thesen vor allem in der erst seit einem Jahr eingeleiteten Andropov-Ära nicht: Die „Verschmelzungstheorie" steht vor allem in der UdSSR erneut hoch in Ehren. Anläßlich des 60. Jahrestages der Gründung der UdSSR am 21. Dezember 1982 berief sich Andropov auf die Zielsetzung Lenins, langfristig die Nationen und Staaten der Welt „nicht nur enger aneinander zu bringen, sondern sie zu verschmelzen", um die sowjetischen Ambitionen zu rechtfertigen Ceausescu begnügte sich in der Folgezeit bei verschiedenen Anlässen mit der Wiederholung seiner wohlbekannten Thesen; er ließ jedoch zugleich im April 1983 den Stellvertretenden Sektionsleiter für Propaganda im Zentralkomitee, Eugen Florescu, schroff auf Andropov — freilich ohne Namensnennung — erwidern. Florescu verwarf die „Verschmelzungstheorie" als „obsolet" und „wirklichkeitsfremd" in zwei Grundsatzartikeln Auch Vertreter anderer Blockstaaten griffen 1983 dezidiert im Sinne des sowjetischen Standpunkts in die neuentfesselte Polemik ein.
Das politische, soziale und ökonomische Leben Rumäniens ist dermaßen von der Person des RKP-Generalsekretärs und Staatspräsidenten Ceausescu geprägt, daß die „Hofideologen" sich mit dem Werdegang ihrer Partei in der Zeit vor 1965 kaum noch befassen. Dafür wird jeder doktrinären Erklärung des „Staats-und Volksführers", wie Ceausescu von den Medien bezeichnet wird, der Wert eines historischen Faktums beigemessen. Der Personenkult um Ceausescu und seinen mit wichtigen Ämtern versehenen Familienangehörigen muß in der heutigen kommunistischen Welt wie ein Anachronismus wirken Ceausescu wird als Alleinschöpfer des heutigen Rumänien dargestellt: die Identifikation des kommunistischen Selbstherrschers mit seinem Werk erscheint vollkommen. Es gibt keinen Bereich der Politik und des öffentlichen Lebens, der nicht von ihm geprägt wäre. -1. Innenpolitische Inkonsequenzen Das Volk der Rumänen verfügt seit Beginn der siebziger Jahre über weniger Rechte und persönliche Freiheiten als die Bewohner aller anderen Länder des sozialistischen Lagers. Dies ist um so erstaunlicher, als Ceausescu in den ersten Jahren nach seiner Machtübernahme einige Liberalisierungsmaßnahmen mittrug bzw. in die Wege leitete. 1964 hatte bereits sein Vorgänger, Gheorghiu-Dej, unter dem Druck mehrerer westlicher Regierungen einen Großteil der politischen Gefangenen aus den Gefängnissen entlassen und nach und nach in das Arbeitsleben integriert. Ein wichtiges Moment im Umkehrprozeß des rumänischen Kommunismus bildete die „Versöhnung" mit den Intellektuellen, denen Ceausescu unmittelbar nach dem IX. Parteikongreß seine neue politische Linie erklärte, um sie für die Unterstützung seines nationalzentrischen Kurses zu gewinnen
Im Frühjahr 1965 verfügte Bukarest die Öffnung der Grenzen für den internationalen Tourismus und ermöglichte damit stillschweigend Kontakte zwischen Rumänen und Ausländern. Zugleich wurde eine großangelegte Kampagne zur Rehabilitierung der unter sowjetischem Einfluß diskreditierten „großen Männer" der rumänischen Geschichte gestartet, wobei deren politische Überzeugung oder „Klassenzugehörigkeit" nur eine unwesentliche Rolle spielte Diesem Konzept entsprechend wurde die nationale Geschichte im Eiltempo umgeschrieben In der zweiten Hälfte der sechziger Jahre wurden die Aktivitäten des Sicherheitsapparats deutlich eingeschränkt und die zuständigen Behörden handhabten die Ausstellung von Reisepässen für private Zwecke unbürokratischer. Zudem gab es Ansätze für eine größere Rücksichtsnahme gegenüber den nationalen Minderheiten
Vor allem das kulturelle Leben des Landes hatte von diesem politischen „Tauwetter", das den „sozialistischen Realismus" zeitweilig verdrängte, ausgiebig profitiert. Die von Ceausescu nach seiner Rückkehr von einer Chinareise im Sommer 1971 ausgelöste sogenannte „kleine Kulturrevolution" bereitete dann all diesen Neuerungen ein jähes Ende, über die Ursachen dieses unerwarteten Kurswechsels wird bis heute gerätselt. Wahrscheinlich ist jedoch, daß Ceausescu fürchtete, die von ihm tolerierten Liberalisierungsbestrebungen könnten ausufern, worauf ihm von Mao geraten wurde, die Zügel zu straffen Jedoch trug auch das Unvermögen des „Staats-und Volksführers“, in liberalen Kategorien zu denken und zu handeln, zum erneuten Kurswechsel bei.
Ungeachtet dieser teilweisen Rückkehr zu den Zuständen vor 1964 hielt Ceausescu an der nationalzentrischen Geschichtsdeutung und an der patriotischen Ausrichtung der Literatur und Künste ohne Abstriche fest. Die Rechte und Freiheiten der Bevölkerung wurden zu Beginn der achtziger Jahre im Gefolge der Verschärfung der Wirtschaftskrise, die Rumänien bis an den Rand der Zahlungsunfähigkeit führte, im Inneren verheerende Versorgungsengpässe verursachte und den Lebensstandard auf einen Nachkriegstiefstand sinken ließ, noch einmal beschnitten. 2. Die rumänische Wirtschaftskonzeption und -praxis Die ökonomische Konzeption der rumänischen KP-Führung läßt sich in wenigen Sätzen skizzieren: Vorbedingung für eine tragfähige eigenständige Politik sei der Abbau der 1965 bestehenden wirtschaftlichen Abhängigkeiten vom RGW; zugleich müßten die Wirtschaftsbeziehungen zur übrigen Welt ausgebaut und die eigene Industrie (auf Kosten der Agrarwirtschaft) forciert aufgebaut werden; diese Umorientierung bedürfe einer ideologischen Untermauerung. Diese wurde als Doktrin der „Öffnung nach allen Seiten" definiert. Als Bukarest um die Mitte der sechziger Jahre zunächst vorsichtig damit begann, die Bande zum Warschauer Pakt und zum RGW zu lockern, war seine Wirtschaft von der seiner Bündnispartner stark abhängig. Der RGW-Anteil am rumänischen Außenhandel betrug 1960 66. 62%, jener der UdSSR allein 40. 10 %. In der Zwischenkriegszeit waren die Industrieländer Westeuropas die wichtigsten Handelspartner Rumäniens gewesen. Ein Teil von ihnen ging in der ersten Nachkriegsperiode für Rumänien nahezu gänzlich verloren.
Die Umorientierung des Warenverkehrs erfolgte nach 1960 sehr schnell — ein Prozeß, der durch den Beitritt Rumäniens zum Internationalen Währungsfonds (IMF) und zur Weltbank — als erstes RGW-Land — sowie zu verschiedenen UNO-Organisationen zu Beginn der siebziger Jahre ungemein beschleunigt wurde. Der RGW-und (getrennt errechnet) der sowjetische Anteil am rumänischen Außenhandel nahm in der Folgezeit rapide ab
Damit besaß Rumänien zu Beginn der achtziger Jahre unter allen RGW-Ländern den mit Abstand geringsten blockinternen Außenhandelsanteil. Gegenwärtig scheint sich dieser Trend angesichts der auf rund 15 Milliarden US-Dollar geschätzten Auslandsschuld Rumäniens gegenüber den Hartwährungsländern erneut umzukehren. Der Warenverkehrsanteil der UdSSR unterliegt bereits seit 1975 keinerlei gravierenden Schwankungen mehr. Zwar ist es Bukarest seit 1982 gelungen, im Handel mit den westlichen Industrieländern positive terms of trade zu erwirtschaften, dies ließ sich jedoch allein durch eine drastische Reduzierung des Außenhandels insgesamt bewerkstelligen. Ehrgeizige Exportpläne Rumäniens ließen sich angesichts der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit vieler rumänischer Industrieprodukte nicht verwirklichen. Darum scheut Bukarest neuerdings keinen Versuch, sich — freilich ohne auf die gewonnenen politischen Freiräume verzichten zu wollen — stärker an den RGW anzulehnen. Auf den RGW-Konferenzen von Prag (1980), Sofia (1981), Budapest (1982), Ost-Berlin (1983) wa-ren diese Bestrebungen aber weitgehend erfolglos. Nach den vorliegenden unvollständigen Angaben ist der RGW-Anteil am rumänischen Außenhandel 1982 dennoch gestiegen; dies jedoch, weil der Warenverkehr Rumäniens mit den Ländern mit konvertibler Währung absolut noch stärker als jener mit den „Bruderländern" abgenommen hat Er ist offenbar weiterhin rückläufig.
Bis zum Beginn der achtziger Jahre hatte sich der Außenhandel Rumäniens mit den Nicht-RGW-Ländern spektakulär entwickelt
Der Anteil der Dritten Welt (einschließlich Chinas und Jugoslawiens) ist demnach gegen Ende der analysierten Periode konstant und deutlich auf Kosten des OECD-Anteils gewachsen. Rumänien, das sich im Winter 1981/1982 gezwungen sah, bei den westlichen Gläubigerländern um Zahlungsaufschub zu bitten, mußte bereits gegen Ende der siebziger Jahre die Importe von Maschinen und Ausrüstungen aus dieser Region drosseln. Es ging jedoch nicht weit genug in diese richtige Richtung und steigerte darüber hinaus seine Schuldenlast auch gegenüber den OPEC-Staaten, deren Erdöllieferungen es durch Agrar-und Industrieexporte sowie durch Technologietransfer vergeblich zu begleichen hoffte. Länder wie Iran und Irak, zu denen Rumänien noch Mitte der sechziger Jahre kaum Außenhandelsbeziehungen unterhielt, erreichten zu Beginn der achtziger Jahre die anteilsmäßige Rangstellung vier und fünf
Jedoch, auch wenn Rumänien die Einwirkungen der Weltwirtschaftskrise erspart geblieben wären, hätte seine Wirtschaftspolitik über kurz oder lang Schiffbruch erlitten. Die RKP-Führung hat viel zu spät erkannt, daß Rumänien eine differenziertere internationale Wirtschaftskooperation und Arbeitsteilung betreiben muß, will es mit vergleichbaren Ländern Schritt halten und einen ökonomischen Kollaps vermeiden. Ungarn und Bulgarien haben beispielsweise beim Ausbau ihrer Wirtschaftsbeziehungen mit dem Ausland dank einer Auflockerung ihrer Planwirtschaft leidliche Ergebnisse erzielt. Rumänien hat aber auch nach der Gründung von joint ventures, die es als erstes unter allen RGW-Ländern einführte, seinen notorisch rigorosen Zentralismus nicht abgebaut Etliche gemischte Gesellschaften mußten aufgrund unbefriedigender Resultate mit der Zeit aufgegeben werden Und die Kooperation im Rahmen des RGW, die das Gründungsmitglied Rumänien seit 1964 systematisch unterlaufen hat, konnte niemals richtig gedeihen
Die RKP hat freilich im ökonomischen Bereich auch weitere Fehlleistungen verschuldet. Die sträfliche Vernachlässigung der Agrarökonomie und der beständige Versuch, offensichtliche Mängel durch personelle Veränderungen und organisatorische Reformen aus der Welt zu schaffen oder zu kaschieren haben jeden Ansatz einer Wirtschaftssanierung zunichte gemacht.
Von großer negativer Tragweite erwies sich die forcierte Industrialisierung auf Kosten des Lebensstandards der Bevölkerung. Noch 1982, als die Wirtschaftskrise bereits mit voller Wucht ausgebrochen war, verwies ein rumänischer Nationalökonom mit Stolz auf die vermeintlichen Leistungen der siebziger Jahre, die sich gegenüber jenen anderer Länder und Ländergruppen stark abheben würden: „Zwischen 1970 und 1980 ist das durchschnittliche Nationaleinkommen der RGW-Staaten um 66 %, jenes der entwickelten kapitalistischen Länder jedoch lediglich um 38 % gewachsen. Der Zuwachs der EG-Staaten allein genommen fiel mit 28 % noch geringer aus." Die Industrie habe wiederum Zuwächse von 84 % (RGW), 37 % (OECD insgesamt) und 25 % (EG) registriert. Die entsprechenden Zuwachsraten in Rumänien lauteten aber: 141 % (Nationaleinkommen), 190 % (Industrieproduktion) und 185 % (produktives Anlagevermögen) Darüber, daß Rumänien gegenwärtig mit einem zum Teil veralteten Maschinenpark und ungenutzten Kapazitäten dasteht, ohne die Möglichkeit zu haben, durch dringend benötigte Importe Modernisierungen vorzunehmen, wird ebenso geschwiegen wie über die schlechte Arbeitsmoral großer Teile der unzulänglich bezahlten Arbeiterschaft und über die weit verbreitete Korruption. Unter den gegebenen Umständen würde es auch einem weitaus effizienteren Management, als dem vorhandenen, nur schwer gelingen, die ausgelaugte Wirtschaft anzukurbeln 3. Die eigenwillige Außenpolitik Außenpolitisch ist es Bukarest seit 1964 zweifellos gelungen, trotz einer oft akuten existentiellen Bedrohung durch die UdSSR seinen eigenen Weg zu gehen. Die Politik der „Öffnung nach allen Seiten“ diente Rumänien nicht allein zum weltweiten Ausbau seiner diplomatischen Kontakte, sondern zugleich zur internationalen Profilierung seiner Parteispitze. Als Sprachrohr der „kleinen und mittleren Staaten", ohne Rücksicht auf ihre Gesellschaftsordnung, als Interessenvertreter der Entwicklungsländer als Vorkämpfer für den Friedens-und Abrüstungsgedanken auf dem Boden der UNO, der KSZE und vieler anderer internationalen Foren insbesondere jedoch aufgrund seiner regen Vermittlertätigkeit im Ost-West-und Nord-Süd-Konflikt sowie in etlichen Spannungsregionen, erntete Ceausescu außerhalb des War-schauer Paktes viel Ansehen. Seine insgesamt betrachtet erfolgreiche Außenpolitik hat freilich die öffentliche Meinung der nichtkommunistischen Welt von der innenpolitischen Situation des Landes abgelenkt. a) Die blockinterne Politik Hauptkomponente der rumänischen Außenpolitik war seit 1964 die Bestrebung Ceauescus, den sowjetischen Hegemonialanspruch abzuschütteln. Die Versuche der RKP-Führung zwischen 1964 und 1968, eine Versöhnung zwischen Moskau und Peking herbeizuführen, waren fadenscheinig und wurden hauptsächlich deswegen unternommen, um sich blockintern von der UdSSR abzusetzen und international zu profilieren. Letztendlich strebte Bukarest auch die Rückendeckung Chinas für seinen Autonomiekurs an. Der sowjetisch-chinesische Zwist kam Rumänien insofern sehr gelegen, als er anschaulich den Beweis erbrachte, daß es im Rahmen der etablierten kommunistischen Parteien unterschiedliche, den nationalen Realitäten entsprechende Auslegungen des Marxismus-Leninismus geben kann und soll. So war es kein Wunder, daß ein hoher Parteifunktionär im krassen Widerspruch zur zentralistischen Auffassung Moskaus auf dem X. Parteikongreß der RKP vom Sommer 1969 statuierte: „Indem die Partei der Nation die Erinnerung an ihre unvergänglichen Tugenden zurückgab, vollzog sie einen ihrer bedeutsamsten Akte der Gerechtigkeit.“ Jede Partei war somit in den Augen der RKP an erster Stelle der eigenen Nation verpflichtet. Von einer Verpflichtung gegenüber der kommunistischen Weltbewegung war hingegen kaum noch die Rede.
Der rumänisch-sowjetische Gegensatz hatte freilich bereits ein Jahr zuvor im Zusammenhang mit der Besetzung der Tschechoslowakei durch Truppenverbände aller Warschauer-Paktstaaten mit Ausnahme Rumäniens einen ersten Höhepunkt erreicht. Nur dank einer engagierten Rückendeckung durch die kommunistischen Parteien Chinas, Italiens, Spaniens sowie einiger anderer nichtblockgebundener Länder konnte es sich Ceausescu damals leisten, Moskau frontal zu attackieren: „Die Truppen der fünf sozialistischen Länder sind, ohne von den legalen und gewählten Organen des Landes gerufen worden zu sein, unter dem Vorwand in die Tschechoslowakei eingedrungen, eine gewisse Gruppe habe sie dazu aufgefordert.“ Bukarest widersprach damit der sowjetischen Version unumwunden. Mit Blick auf die von Moskau formulierte so-genannte „Breschnew-Doktrin“, die auch im Falle Rumäniens Anwendung finden konnte, befand Ceausescu, daß „allein die gewählten Organe der jeweiligen Partei und des jeweiligen Staates ... die Verantwortung für die Geschicke ihrer sozialistischen Nation tragen“ Rumänien hatte sich folgerichtig be-reits seit 1967 geweigert, an Manövern des Warschauer Paktes teilzunehmen oder die Abhaltung solcher auf rumänischem Territorium zuzulassen. Die Verurteilung der Niederwerfung des „Prager Frühlings" wurde seinerzeit von großen Teilen der rumänischen Bevölkerung mitgetragen. Ceausescu hatte gleichwohl den Zenit seiner Popularität erreicht. Die Beziehungen Rumäniens zur UdSSR und in unterschiedlichem Maße zu den anderen Verbündeten blieben seither unverändert gespannt und der latente Konflikt spitzte sich hin und wieder zu bedrohlichen Krisen zu. Moskau verwies damals und wiederholt danach mit Blick auf Bukarest auf die Verpflichtung aller Parteien, „nicht allein gegenüber der eigenen Arbeiterklasse..., sondern auch gegenüber der kommunistischen Weltbewegung insgesamt" ihre Pflicht zu erfüllen Die RKP-Führung hatte freilich schon längst der kommunistischen Einheit unter Moskauer Führung abgeschworen und zugleich erklärt, entschlossen zu sein, jeder Aggression, gleich aus welcher Richtung sie erfolge und welcher Begründung sie sich bediene, mit aller Entschiedenheit entgegenzutreten. Manöver der rumänischen Armee werden seit 1968 bezeichnenderweise demonstrativ gegen einen angenommenen Gegner abgehalten, der die rumänischen Grenzen vom Nordosten her zu überschreiten versucht
Mit Nachdruck wandte sich Bukarest auch gegen die wiederholten Bestrebungen Moskaus, ein neues kommunistisches Machtzentrum einzurichten. Man spreche im kommunistischen Lager — so ein programmatischer Artikel — von der Festigung der Einheit und man bedauere, daß es sie nicht gäbe. Dabei sei man offenbar geneigt, zu vergessen, zu welchen Mißbräuchen die (von KOMINTERN und KOMINFORM) „zentral oktroyierte und gelenkte Einheit" geführt habe. Welch immenser Schaden sei beispielsweise dadurch angerichtet worden, daß „manche kommunistische Partei (Jugoslawiens BdKJ) als Agentur des Imperialismus'diffamiert wurde". Ähnliches geschehe noch heute (China)
Bukarest setzte seit 1968 offen auf die chinesische Karte. Blockpolitisch bedeutungsvoll war vor allem der innenpolitisch für Rumä-33 nien so verhängnisvolle Besuch, den Ceausescu im Sommer 1971 Mao abstattete. In einer Ansprache vor dem chinesischen Parlament verwarf Ceausescu erneut nachdrücklich den Gedanken einer Neuauflage der kommunistischen Internationale Gastgeber Chou-Enlai revanchierte sich mit einem Superlativen Lob an die Adresse der Rumänen und versprach ihnen unverhüllt chinesische Unterstützung gegen jedweden „fremden Aggressor" Sieben Jahre später konnte man erfahren, daß Ceausescu bei diesem Anlaß den ersten erfolgreichen Versuch unternommen hatte, zwischen Peking und Washington zu vermitteln. b) Bukarests weltweites politisches Engagement Ceausescu stellte die Vermittlertätigkeit in den Mittelpunkt seiner weltweiten diplomatischen Aktivitäten, weil sie ihm unter dem Vorwand, unparteiisch und neutral zu sein, viele bis dahin verschlossene Türen öffnete und Freiräume für eigene außenpolitische Initiativen schaffte. Außerhalb des kommunistischen Raumes schuf er 1967 — das Jahr, in dem Rumänien lange vor den anderen Warschau-er-Pakt-Staaten mit Ausnahme der UdSSR diplomatische Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland anknüpfte — die Grundlagen für eine der bislang erfolgreichsten Vermittlungen, jene zwischen Ägypten und Israel, indem er als einziger Parteichef eines Ostblock-landes wegen des „Sechstagekrieges" vom 5. bis 10. Juni 1967 die diplomatischen Beziehungen zu Jerusalem nicht abbrach. Einige arabische Staaten, darunter auch Ägypten, suspendierten darauf zeitweilig ihre Beziehungen zu Bukarest. Diese wurden jedoch zu Beginn der siebziger Jahre erneut aufgenommen. Vom 19. bis 21. November 1977 kam es dann nach vorangegangenen Kontakten via Rumänien zum sensationellen Treffen zwischen Anwar as-Sadat und Menachem Begin in Jerusalem.
Diese Vermittlungsaktion brachte erwartungsgemäß auch die USA Rumänien näher. Der neugewählte Präsident Nixon hatte bereits im Sommer 1969 die . Aufgeschlossenheit Rumäniens in der Nahostpolitik" mit einem Besuch — dem ersten eines amerikanischen* Präsidenten — in Bukarest honoriert Und auch Präsident Carter bescheinigte dem rumänischen Partei-und Staatschef neun Jahre später, „der große Führer... einer großen Nation“ zu sein, einen „außerordentlichen Einfluß in der internationalen Arena" zu besitzen und „eine Brücke zwischen Nationen mit grundlegend verschiedenen Standpunkten und Interessen" gebaut zu haben
Dieses große Lob hatte sich Ceausescu nicht zuletzt durch seine Vermittlung zwischen Washington und Peking verdient. Die guten Beziehungen zu China erhält Bukarest bis in die Gegenwart hinein aufrecht Im Mai 1978, unmittelbar nach seinem USA-Besuch, begab sich Ceausescu erneut nach Peking, wo er mit Sicherheit seinen chinesischen Gastgebern amerikanische Vorschläge über die Verbesserung von bilateralen Beziehungen überbrachte. Parteichef Hua Guofeng empfing den rumänischen Gast mit gewohnter Herzlichkeit Die Gipfeltreffen zwischen Bukarest und Peking rissen auch in der Folgezeit nicht ab. Mitte August 1978 besuchte Hua Guofeng Ceausescu, ehe er seine Fahrt nach Belgrad fortsetzte Die Annäherung zwischen China und Jugoslawien dürfte in erheblichem Maße auch Ceausescus Werk sein, ebenso wie jene zwischen Peking und Teheran, wo der chinesische Parteichef auf seiner Rückreise Station machte, um mit dem Schah informelle Gespräche zu führen. Bukarest konnte somit gegen Ende der siebziger Jahre mit seiner Leistung zufrieden sein, zur Entstehung und Festigung von Kontakten zwischen potentiellen Gegnern der UdSSR, die bis dahin teilweise im scharfen Gegensatz zueinander gestanden hatten, beigetragen zu haben.
III. Zukunftsperspektiven
Die große Zeit Ceausescus als Allround-Vermittler und initiativenreicher Pionier der Weltpolitik scheint seit Beginn der achtziger Jahre weitgehend vorüber zu sein. Ein Besuch, den er vom 12. bis 17. April 1983 China abstattete, dürfte — er traf unter anderem mit dem Pragmatiker Teng Xiaoping zusammen — die erhofften Ergebnisse, vor allem eine Ausweitung der gegenseitigen Wirtschaftskooperation, nicht erbracht haben Seine Bestrebungen, zwischen Israel und den arabischen Staaten bzw. zwischen Iran und Irak weiter zu vermitteln, werden wahrscheinlich angesichts der erstarrten Fronten und der verfahrenen Gesamtlage im Nahen Osten erfolglos bleiben Und die Groß-bzw. Supermächte bedürfen seit geraumer Zeit seiner guten Dienste kaum mehr, da sie direkte Kontakte miteinander haben, auch wenn es (wie geschehen) passieren kann, daß einige amerikanische Kongreßmitglieder, die mit dem Stellenwert Rumäniens im Ostblock wenig vertraut waren, Bukarest bitten, zwischen Washington und Moskau in der Abrüstungsfrage zu vermitteln
Die Prestigeminderung Rumäniens auf außen-politischer Ebene, die Bukarest nach wie vor durch eine hektische Geschäftigkeit zu verbergen versucht, bereitet freilich gegenwärtig den verantwortlichen Stellen geringere Sorgen für die Zukunft des Landes als die extrem prekäre und sich laufend, verschlechternde Wirtschaftslage. Bukarest könnte es zwar noch mittelfristig gelingen, positive Handelsbilanzen auf Kosten des Bruttosozialproduktes und des Lebensstandards zu erwirtschaften und auf diese Weise seine Auslandsschulden allmählich zu vermindern. Der Internationale Währungsfonds bezweifelt jedoch neuerdings zu Recht, daß es — wie von Bukarest angekündigt — möglich sein wird, die Schulden bis 1988 weitgehend zu begleichen. Dieser Plan beruht auf zwei utopischen Postulaten: darauf, daß die Wirtschaft durch eigene Kraftanstrengung in der Lage sein wird, die Exporte in den kommenden Jahren erheblich zu steigern, ohne Rücksicht darauf, daß der Weltmarkt in absehbarer Zeit auch für technologische Spitzenleistungen, die Rumänien erwiesenermaßen nicht erbringen kann, nur beschränkt aufnahmefähig ist; und ferner darauf, daß es trotz der zum Teil versiegenden eigenen Reserven ab 1990 möglich sein wird, auf die Einfuhr von teueren, in konvertibler Währung zu bezahlenden Energieträgern zu verzichten Seit Jahren jagt eine optimisti-sehe Wirtschaftsprognose die andere — und die Lage hat sich kontinuierlich verschlechtert Allein ein radikales ökonomisches Umdenken könnte Abhilfe verschaffen. Das ist jedoch nicht zu erwarten.
Dionisie Ghermani, Dr. phil., geb. 1922 in Govora, Rumänien; seit 1964 Leiter des Rumänienreferats im Südost-Institut, München; seit 1981 Redaktionsmitglied d. Zeitschrift Süd-osteuropa; Mitglied des Lehrkörpers und Senats der Hochschule für Politik, München; Lehrbeauftragter an der Universität Bamberg; Kuratoriumsmitglied des Ihternationalen Instituts für Nationalitätenrecht und Regionalismus; Mitglied der Südostdeutschen Historischen Kommission; Geschäftsführer des Forschungskreises für Kultur-und Religionsgeschichte des östlichen Europa; Mitglied der American Association for the Advancement of Slavic Studies usw. Veröffentlichungen u. a.: Die kommunistische Umdeutung der rumänischen Geschichte, München 1967; Die nationale Souveränitätspolitik der SR Rumänien, München 1981; Die rumänische Kommunistische Partei, in: Südosteuropa-Handbuch, Bd. II, Rumänien (Hrsg. K. -D. Grothusen), Göttingen 1977; Die rumänische Außenpolitik im Spannungsfeld von Autonomie und Blocktreue, in: Südosteuropa in Weltpolitik und Weltwirtschaft der achtziger Jahre (Hrsg. R. Schönfeld), München 1983.
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