Wirtschaft und Wirtschaftspolitik in Ungarn Entwicklung und Aussichten
Andräs Inotai
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Zusammenfassung
Die ungarische Wirtschaft, die als eine der weltwirtschaftlich verflochtensten anzusehen ist, befindet sich gegenwärtig in einer für die Zukunft entscheidenden Periode. Die weltwirtschaftlichen Veränderungen und die relativ langsame Anpassung an die sich wandelnde Umwelt haben das außenwirtschaftliche Ungleichgewicht der ungarischen Wirtschaft zugespitzt Die seit 1979 verfolgte neue Wirtschaftspolitik konnte in vier Jahren wesentliche Erfolge erzielen, indem sie das Defizit des Außenhandels beseitigt und mit dem Abbau des Schuldenbestandes begonnen hat. Dies war aber nur durch einschneidende binnenwirtschaftliche Korrekturen möglich. Einerseits mußten zunächst die Investitionen, seit kurzem aber z. T. auch der Privatverbrauch zurückgeschraubt werden. Andererseits wird versucht, mit Hilfe einer Beschleunigung des 1968 begonnenen, Anfang der siebziger Jahre jedoch festgefahrenen Reformprozesses neuen binnenwirtschaftlichen Spielraum zu schaffen und vorhandene Reserven zu mobilisieren. Die neue Reformperiode, deren Charakteristika sich in vielen Punkten von der Reform im Jahre 1968 unterscheiden, und deren wichtigste Bereiche im Aufsatz ausführlicher dargestellt werden, muß in einer harscher gewordenen außenwirtschaftlichen Umgebung durchgeführt werden, wobei gewisse kurzfristige Notmaßnahmen die längerfristigen Reformvorstellungen nicht immer unterstützen können. Die Zukunft der ungarischen Wirtschaft hängt in hohem Maße davon ab, wie und in welchem Umfang der industrielle Strukturwandel vorangetrieben werden kann. Dies bedingt einerseits der spezifische Verbrauch an Rohstoffen und Energieträgern, die einen wichtigen Posten der Einfuhren bilden, andererseits die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft, also die Möglichkeiten der Exportsteigerung. Darüber hinaus werden Aufgaben und Dilemmata der ungarischen Wirtschaft geschildert. Außerdem wird kurz auf das internationale Umfeld eingegangen, das auch die Perspektiven der Ost-West-Beziehungen wesentlich beeinflussen kann.
Es ist nicht übertrieben zu behaupten, daß sich die ungarische Wirtschaft in ihrer historischen Entwicklung in einer entscheidenden Periode befindet, in der sie sowohl den Herausforderungen der Weltwirtschaft als auch den notwendigen binnenwirtschaftlichen Wandlungen gerecht werden soll. Den Beginn dieses Zeitabschnittes repräsentiert die 1979 angekündigte neue Wirtschaftspolitik, die sich als Ziele Verbesserung und Stabilisierung des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts setzte. Diese außenwirtschaftliche Prioritätensetzung fiel zeitlich mit der Intensivierung der im ersten Drittel der siebziger Jahre in den Hintergrund gedrängten binnen-wirtschaftlichen Reformtendenzen zusammen.
I. Die neue Phase der Wirtschaftsreform
Zehn Jahre nach Einführung des neuen ungarischen Lenkungssystems kann jedoch nicht mehr von einer fast automatischen Neubelebung der einstigen Reformgedanken gesprochen werden: Es geht jetzt vielmehr auch um die Neubestimmung und Erweiterung früherer Reformziele.
Abbildung 8
Ausfuhr insgesamt — soz. Länder — RGW-Länder a)
— Sowjetunion — nicht-soz. Länder — OECD-Länder b)
— EG — Entwicklungsländer Einfuhr insgesamt — soz. Länder — RGW-Länder a)
— Sowjetunion — nicht-soz. Länder — OECD-Länder b)
— EG — Entwicklungsländer Bilanzen insgesamt — soz. Länder — RGW-Länder a)
— Sowjetunion — nicht-soz. Länder — OECD-Länder b)
Die reformhemmenden Kräfte, die sich nach 1972 entfalteten und teilweise auf bestimmte ungünstige Entwicklungen aus den vorangegangenen Jahren (vor allem die Zuspitzung der Wettbewerbsprobleme von Großunternehmen, die einsetzenden Tendenzen einer Einkommensdifferenzierung usw.) zurückgingen, waren schon eindeutig beherrschend, als die Preisproportionen auf dem Weltmarkt drastische Verschiebungen erfuhren und der Zwang zu Strukturwandel und Anpassung bedeutende Wandlungen in den einzelnen Volkswirtschaften vorbereitete. In dieser Periode hat die ungarische Wirtschaft wertvolle Jahre einer stufenweisen Anpassung verloren. Heute ist bereits deutlich erkennbar, daß die Unterbrechung des Reformprozesses zahlreiche negative Konsequenzen für die mittelfristige Wirtschaftsentwicklung Ungarns mit sich brachte
Zwar stellte das Jahr 1979 die politisch-wirtschaftlichen Grundlagen der Reformversuche wieder her, aber im internationalen Umfeld und in den allgemeinen Erwartungen gegenüber der Reform gibt es jedoch eine Reihe wichtiger Änderungen. War die Reform 1968 eine von mehreren wirtschaftspolitischen Varianten, so erscheint sie nach 1979 praktisch als die einzige Möglichkeit zur Milderung der Wirtschaftsprobleme und Erreichung des weltwirtschaftlichen Anschlusses.
Ein weiterer Unterschied besteht darin, daß 1968 hauptsächlich binnenwirtschaftliche Überlegungen der Einführung der neuen Wirtschaftslenkung zugrunde lagen (Dynamisierung der Wachstumsrate, bessere Nutzung der im allgemeinen noch hinreichend zur Verfügung stehenden Produktionsfaktoren, verstärkte Harmonie zwischen der eine rasche Strukturmodernisierung durchführenden Realsphäre und den zentralen Planungsmethoden). Nach 1979 dienten die Reform-maßnahmen hingegen vor allem dazu, das kritisch gewordene außenwirtschaftliche Un-gleichgewicht zu mildern und die Wettbewerbsfähigkeit der ungarischen Produkte zu steigern. Anders formuliert: Die Reform weitet sich aus und bezieht die Außenwirtschaft ein. Sie versucht, eine Einheit von Außen-und Binnenwirtschaft herzustellen, was für eine der offensten Wirtschaften der Welt unbedingt notwendig ist.
Aus dieser weltwirtschaftlichen Verknüpfung läßt sich ein dritter Unterschied ableiten: 1968 wurde die langfristig stabile außenwirtschaftliche Umgebung als wichtige Voraussetzung (und Fixpunkt) für den Reformprozeß formuliert Nach 1979 kann die Reform nicht nur nicht mit dieser Umgebung rechnen, sondern sie hat überdies die Aufgabe, bei Verschlechterung der internationalen Wirtschaftslage die Reserven zu mobilisieren, die eine entsprechende Antwort auf die Herausforderungen geben könnten.
Diese Antwort — und das ist gleichzeitig der vierte Unterschied — kann nicht mehr auf den eng genommenen Wirtschaftsbereich beschränkt bleiben: Anfang der achtziger Jahre wurde in Ungarn allgemein zur Kenntnis genommen und anerkannt, daß sich der wirtschaftliche Reformprozeß nur dann wie vorgesehen entfalten kann, wenn gleichzeitig entsprechende organisatorische und institutionelle Veränderungen durchgeführt werden.
Bemerkung: Abweichungen durch Rundungen Quelle: Központi Statisztikai Hivatal, Statisztikai Jahrbuch), Budapest 19߭
Ungarns außenwirtschaftliche Umgebung begann sich schon 1973/74 spürbar zu verschlechtern. Dies mußte für Ungarn Folgen haben; denn etwa 50% des Nationaleinkommens wird exportiert, wobei seit Mitte der siebziger Jahre je ein Viertel in den RGW-Handel (Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe) bzw. in den extraregionalen Handel fließt. Dies bedeutet eine Angewiesenheit auf jeden der beiden Hauptmärkte, die dem allgemeinen Verflechtungsgrad der westeuropäischen Wirtschaften gleichkommt.
Die ungarische Wirtschaft ist energie-und rohstoffarm, so daß die Preissteigerungen auf beiden Märkten sie notwendigerweise außerordentlich hart treffen mußten. Die terms-oftrade-Verschlechterung hat einen Verlust herbeigeführt, der zwischen 1973 und 1980 etwa 80% des Zuwachses des Nationaleinkommens betrug. 1980 mußte die ungarische Wirtschaft etwa 20% mehr exportieren, um eine Einheit ihrer Einfuhr bezahlen zu können. Der Umstand, daß die ungarischen Exportpreise bei allen wichtigen Produktgruppen und im Verhältnis zu den entsprechenden Importpreisen unterdurchschnittlich wuchsen, weist darauf hin, daß sich Struktur und Qualität der Ausfuhr an den im internationalen Maßstab erfolgten Wandlungsprozeß nicht oder nur teilweise und überdies langsam anpaßten. Trotzdem war es eine gewisse Zeit möglich, das außenwirtschaftliche und vor allem das Handelsdefizit durch reichhaltig vorhandene und auch im Interesse der westlichen Wirtschaften liegende Kredite zu finanzieren. Ein beachtlicher Teil dieser Kredite konnte sogar zur Entwicklung der unver-ändert rasch wachsenden ungarischen Wirtschaft (vor allem zur Durchsetzung priorisierter industriepolitischer Ziele) herangezogen werden. 1978 erreichte der Schuldenstand und mehr noch das Handelsdefizit in konvertierbarer Währung jedoch ein Niveau, das es notwendig machte — ungeachtet der fortschreitenden Verschlechterung der internationalen Wirtschaftslage und der sich abzeichnenden Wandlungstendenzen der politischen Großwetterlage —, die verfolgte Wirtschaftspolitik kritisch zu überprüfen.
Im Ergebnis wurde der allmähliche Abbau des Handelsdefizites (vorwiegend durch Steigerung der Exportfähigkeit und in geringerem Maße durch Verlangsamung des Import-wachstums) als Grundziel deklariert. Eine ausgeglichene Außenhandelsbilanz wurde für Ende des sechsten Fünfjahrplans (1981— 1985) geplant. Offenbar hätte diese stufenweise Anpassung nur relativ bescheidene Opfer bei der Wachstumsrate, der Investitionstätigkeit und im Verbrauch der Bevölkerung erfordert. Eine Reihe internationaler und nationaler Entwicklungen hat jedoch dazu geführt, daß das Handelsdefizit viel radikaler und viel früher abgebaut werden mußte, als vorgesehen. Die tiefe und andauernde Rezession in den Industrieländern, der zunehmende Protektionismus handelspolitische Dispräferenzen sowie die eindeutige Konzentration der ungarischen Westausfuhr auf das von der Krise überdurchschnittlich betroffene Westeuropa haben der Exportsteigerung enge Grenzen gesetzt. Der Absatz der ungarischen Export-Produkte, vor allem der der Maschinenindustrie, hinkte dem Plan hinterher. Auf zahlreichen für Ungarn wichtigen Warenmärkten kam es zu teilweise drastischen Preisstürzen. Zwischen 1980 und 1982 ging der Aluminium-preis um 40%, der für Aluminiumhalbwaren um 30%, für Bauxit um 10% zurück. Eine Tonne Getreide konnte 1981 für 220, 1982 nur für 180$verkauft werden. Die entsprechenden Preise für Mais lagen bei 164 bzw. 120, für Schlachtvieh bei 1 435 bzw. 1 280 $. Insgesamt hat der Preisverfall bei petrochemischen und Stahlprodukten 110 Millionen, bei landwirtschaftlichen Gütern etwa 150 bis 170 Millionen $Exporterlösausfälle bewirkt
Gleichzeitig machten sich auch im RGW-Handel limitierende Faktoren bemerkbar: Zwar stiegen die Preise der aus dem RGW importierten Rohstoffe und Energieträger (vor allem Erdöl) nur allmählich und zeitlich verschoben, aber schließlich wurde auch die ungarische Handelsbilanz zunehmend belastet. Inzwischen konnten die erwünschten Mengen von Roh-und Grundstoffen, die eine wirtschaftliche Kapazitätsauslastung der ungarischen Industrie ermöglichten, immer weniger aus dem RGW-Bereich bezogen werden. Es ist auch zu berücksichtigen, daß sich die ungarischen Preisverhältnisse in den siebziger Jahren gegenüber den Entwicklungs-und OECD-Ländern verschlechterten, während sich dieser Prozeß nach 1979 umkehrte. Zwischen 1978 und 1982 stand einer terms-of-trade-Verbesserung von 1, 5 Prözentpunkten im Nicht-Rubelhandel eine Verschlechterung von beinahe 10 Punkten im RGW-Bereich gegenüber. Schließlich muß man in den letzten Jahren auch von einer „Verhärtung" und relativen Einengung des früher für unendlich groß gehaltenen RGW-Absatzmarktes sprechen: Die Ansprüche sind gestiegen, die Tauschprodukte stehen nicht immer zur Verfügung, die Wachstumsraten sind auch in den anderen RGW-Ländern gefallen, mit unausweichlichen Konsequenzen für die Investitions-und Einfuhrtätigkeit In diese Situation fiel die erhebliche Aufwertung des Dollar, eine drastische Steigerung des Zinsniveaus und ein von politischen Überlegungen nicht ganz unabhängiger Verhaltenswandel in der internationalen Finanzwelt. Im Laufe der Entwicklung war nicht nur der von westlichen Banken vorausgesetzten sogenannten Regenschirmtheorie jede Grundlage entzogen, sondern es breitete sich (und dies war das Gefährlichere) eine Stimmung aus, die Zahlungsunfähigkeit eines sozialistischen Landes als die Zahlungsunfähigkeit aller RGW-Länder zu antizipieren. In dieser Lage erhielt Ungarn zwischen Mai 1981 und August 1982 auf den westlichen Märkten keinen Kredit, während zugleich im Frühjahr 1982 binnen weniger Wochen ein bedeutender Teil der in Ungarn zurückgelegten ausländischen Gelder abgezogen wurde
Es unterliegt keinem Zweifel, daß der Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit Un-garns in dieser Situation absolute Priorität beigemessen werden sollte. Das bedeutet aber, daß der ungarische Handel in konvertierbarer Währung nicht erst 1985, sondern schon im Jahre 1982 einen beträchtlichen Überschuß erwirtschaften mußte. Von 1983 an sollen dann Handelsüberschüsse, die diejenigen aus dem Jahre 1982 um die Hälfte übersteigen, zum absoluten Abbau des Schulden-bestandes führen. In Zahlen ausgedrückt heißt das: der etwa 500 Millionen Dollar starke Überschuß in 1982 soll in den kommenden Jahren ständig in der Größenordnung von 750 bis 800 Millionen Dollar bleiben. Selbstverständlich erwies es sich soweit als unerläßlich, bestimmte ältere binnenwirtschaftliche Vorstellungen neu zu formulieren. Die Ist-Werte der Wachstumsraten des Nationaleinkommens mußten notwendigerweise hinter der im Plan für 1981 bis 1985 aufgezeigten Dynamik Zurückbleiben. Noch mehr traf dies für den im Inland verwendbaren Anteil des Nationaleinkommens zu. Die Realisierung eines Handelsüberschusses in konvertierbarer Währung, der in der ungarischen Wirtschaftsentwicklung ohnegleichen ist, erforderte eine sofortige und kräftige Import-drosselung und gleichzeitig eine breitangelegte Exportstrategie. Hinsichtlich der inländischen Verwendung des Nationaleinkommens wurde eine Entscheidung für die Priorität der störungsfreien Versorgung der Bevölkerung, d. h. für die Stabilhaltung des Lebensstandards getroffen. Andererseits mußte aber die Investitionstätigkeit starke Einbußen hinnehmen Das Verhältnis zwischen Verbrauch und Akkumulation, das in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre bei 75 : 25 lag, verschob sich auf 83 : 17 (1981) und wird für 1983 bei 87 : 13 erwartet. Infolge der anhaltenden Rezession des Welthandels und der weiterhin langsamen Anpassung im Inland sah sich die Regierung gezwungen, das 1978 formulierte Doppelziel (das in den letzten Jahren trotz aller Schwierigkeiten durchgehalten werden konnte), nämlich die Einheit der Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit und des erreichten Lebensstandards, zugunsten des ersten zu modifizieren Der Jahresplan für 1983 sieht eine Abnahme der Reallöhne im Durchschnitt von 1, 5 bis 2% und einen Rückgang des Privatverbrauchs von 0, 5 bis 1 % vor
Wie ist nun unter diesen außerordentlichen Umständen die Leistung der ungarischen Wirtschaft zu beurteilen? Die in Tabelle 1 zusammengefaßten Angaben weisen darauf hin, daß der zwischen 1979 und 1982 durchgeführte Bahnwechsel der ungarischen Wirtschaft zwar in einer verlangsamten Wachstumsdynamik zum Ausdruck kam, aber ohne die wichtigsten Gleichgewichtsverhältnisse gestört zu haben. Das Nationaleinkommen zeigt nach der Stagnation in den Jahren 1979 und 1980 eine bescheidene Belebung: eine für eine ressourcenknappe Wirtschaft nicht geringzuschätzende Leistung im Kontext der weltweiten Rezession. Im ganzen Zeitraum konnte man die inländische Verwendung des Nationaleinkommens unterhalb des produzierten halten. Die Industrieproduktion nahm mäßig zu, während die Landwirtschaft eine beachtliche Produktionssteigerung erbrachte. Der Privatverbrauch stieg innerhalb der vorgesehenen Grenzen, und auch die Lohnentwicklung entsprach im ganzen den Vorstellungen der Lebensstandardpolitik. 1982 schloß die Außenhandelsbilanz — ohne Transportkostenbilanz — mit einem bemerkenswerten Überschuß ab; der Abbau der früheren Defizite läßt sich Jahr für Jahr kontinuierlich beobachten. Weiterhin fällt auf, daß die Ausfuhr trotz immer schwierigerer Verhältnisse in vier Jahren um 35% erhöht werden konnte, während die Einfuhr — zu laufenden Preisen — nur um 8% wuchs.
Im Jahre 1983 soll das Nationaleinkommen um 0, 5 bis 1 %, die Industrieproduktion zwischen 1 und 2% und die Landwirtschaft etwa in derselben Größenordnung wachsen. Die Investionen bleiben hinter denen im Jahre 1982 um etwa 6% zurück, und die inländische Verwendung geht auch um 3 bis 4% zurück Innerhalb dieser Rahmenbedingungen besteht die Hoffnung, daß das außenwirtschaftliche Gleichgewicht erreicht und die Zahlungsfähigkeit aufrechterhalten werden kann. Die bereits zur Verfügung stehenden Teilangaben (für die ersten sieben Monate des Jahres) bestätigen eine bemerkenswerte Verbesserung der Außenhandelsbilanz: Die Ausfuhr in konvertierbarer Währung überschreitet um 22, 5%, die Einfuhr hingegen nur um 11, 5% die entsprechenden Vorjahrsdaten. Der Über-schuß beträgt 11, 2 Milliarden Forint (erste sieben Monate 1982: 1, 6 Mrd. Ft). Trotzdem muß betont werden, daß die ausbleibende Belebung in Westeuropa, die ungünstige Entwicklung auf den wichtigsten Produktmärkten sowie die Dollaraufwertung und der Preisverfall zu einem Ausfuhrausfall von ca. 200 bis 300 Millionen Dollar führen können. Dazu müssen noch weitere mögliche Exportrückgänge infolge der wegen Witterungsproblemen stagnierenden landwirtschaftlichen Erzeugung hinzugerechnet werden Trotzdem scheint die Hoffnung, begründet, daß die Zahlungsfähigkeit 1983 aufrechtzuerhalten ist.
Die augenblicklich zufriedenstellende Global-entwicklung darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß Ungarns finanzielle Lage weiterhin nicht stabil genug ist und daß die Industrie kaum imstande ist, die ausfallenden Agrarausfuhren zu kompensieren (wie dies die Landwirtschaft jahrelang für die Industrie leisten konnte). Der immer engere Bereich, in dem die inländische Verwendung des Nationaleinkommens noch beschränkbar ist — sowohl hinsichtlich der Investitionen als auch des Verbrauchs —, sowie die zeitlichen Schranken der Belastbarkeit von Wirtschaft und Gesellschaft erfordern die Ausarbeitung und Verwirklichung einer längerfristigen Wirtschaftsstrategie. Sie kann sich teilweise der Reformmaßnahmen bedienen, die die ungarische Wirtschaft in den letzten Jahren zunehmend entwickelt hat.
III. Wichtige Reformmaßnahmen
Abbildung 5
Produktion (1 000 t) Einfuhr (1 000 t)
Einfuhr im Verbrauch a) (%) Produktion (1 000 m 3) Einfuhr (1 000 m 3) Einfuhr im Verbrauch a) (%) Rohöl Produktion (1 000 t)
Reformvorstellungen sind bereits im Fünfjahresplan für 1981— 1985 deutlich geworden. Der Plan unterstreicht die „Offenheit" der Planung, indem er nur die Schlüsseldaten (Nationaleinkommen, Wachstumsraten für Landwirtschaft und Industrie, Investitionen, Verbraucherpreise, Lohnentwicklung, außenwirtschaftliches Gleichgewicht) vorgibt, und steht überdies eindeutig im Zeichen des „weniger aber besser". Davon ausgehend, daß die internationale Konjunktur auf fünf Jahre nicht vorauszusehen war, enthält der Plan detailliertere Aufgabenstellungen nur für die ersten zwei Planjahre und macht den weiteren Verlauf vom Anspringen (oder Ausbleiben) des weltwirtschaftlichen Konjunkturmotors abhängig (für eine mögliche Belebung sind etwa 50 Milliarden Forint als Zusatzinvestitionen zurückgelegt). 1980 erfolgte eine bedeutende und seitdem vieldiskutierte Änderung des Preisbildungsprinzips. Ein Teil der ungarischen Wirtschaft (etwa 60% der Industrieproduktion und 35% der materiellen Produktion) ging zum kompetitiven Preissystem über. Dieses System bewertet Naturressourcen (Rohstoffe, Energie usw.) nach Weltmarktpreisen, unabhängig davon, ob die betreffenden Güter aus dem RGW oder vom Weltmarkt kommen Die Exportpreise im konvertierbaren Handel liegen den inländischen Preisen für die Industriegüter zugrunde. Die erste Maßnahme zwingt zu er-höhter Sparsamkeit, die zweite trägt zur Messung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der ungarischen Industrie bei
Von den im finanziellen Bereich erfolgten Änderungen ist die Einführung des einheitlichen Wechselkurses des ungarischen Forints im Oktober 1981 hervorzuheben, sowie die Unterbrechung einer lange Jahre hindurch praktizierten Aufwertungspolitik Die wöchentliche Anpassung der Wechselkurse der konvertierbaren Währungen zueinander und die häufiger vorgenommenen Modifizierungen des Wechselkurses des Forints im Verhältnis zum amerikanischen Dollar sollen die elastische und kostenbewußte Unternehmensmentalität fördern. Als einen ersten Schritt in Richtung auf die „Monetarisierung" der ungarischen Wirtschaft ist die erste Anleiheemission zu interpretieren, die den Unternehmen und Behörden die Mitfinanzierung infrastruktureller Vorhaben ermöglicht
Auf eine Neubelebung der Außenwirtschaftsdiplomatie läßt der Beitritt Ungarns zum Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank schließen. Für den Beitritt Ungarns sprachen vor allem die zunehmende Verflechtung der ungarischen Wirtschaft mit der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung, die Möglichkeit, IWF-Kredite zu erhalten und nicht zuletzt die Beteiligung an Projekten, die die Weltbank in Entwicklungsländern mitfinanziert Von geringerer Reichweite, aber nicht zu vernachlässigen, sind die 1982 abgeschlossenen Handelsabkommen (diskriminierungsfreie Behandlung ungarischer Waren in Schweden, vorzeitiger Zollabbau im österreich-ungarischen Handel) sowie die Erneuerung der Abkommen mit der Europäischen Gemeinschaft (EG) über den Zugang ungarischer Produkte zum EG-Stahl-und Bekleidungsmarkt. In mehreren Bereichen sind organisatorische Änderungen vorgenommen worden: Die drei ehemaligen industriellen Branchenministerien wurden in einem Ministerium für Industrie zusammengefaßt. Mehrere Konzerne wurden aufgelöst oder in Teilbetriebe zerlegt (Lebensmittelindustrie, Großhandel, Bauindustrie und die Csepel-Werke). Regionale Verbindungs-und Vertretungsbüros, die dem Ministerium für Außenhandel unterstehen, sollen einen effektiven Beitrag zur Exporttätigkeit der Klein-und Mittelbetriebe und der Genossenschaften leisten.
Vielleicht stellt die Entstehung neuer Unternehmens-und Betriebsformen den spektakulärsten (aber ihrer Wichtigkeit nach nicht den wesentlichsten) binnenwirtschaftlichen Wandel dar. Die Kleinunternehmen und -genossenschaften arbeiten auf der Grundlage des sozialistischen Eigentums; sie können aber ihre Produktionsstruktur selbst bestimmen. Auf staatliche Unterstützung können sie (wie manche Großunternehmen) nicht zurückgreifen; sie sind aber nicht gezwungen, verschiedene Fonds (technischer, Kultur-, Reserve-fonds) zu bilden und die im allgemeinen strengen Lohnregeln strikt zu befolgen. Privatunternehmen können in mehreren Formen arbeiten. Im Kleingewerbe erhalten alle diejenigen ihre Lizenz automatisch, die die entsprechende Fachausbildung nachweisen können. In letzter Zeit dürfen sie auch für , staatliche Unternehmen arbeiten. Früher un-wirtschaftliche Gaststätten, Restaurants, Lebensmittelgeschäfte können für eine im voraus fixierte Summe gepachtet werden. Wirtschaftliche Arbeitsgemeinschaften dürfen hauptberuflich zwei bis dreißig Leute beschäftigen. Sie können aber auch innerhalb von Industriebetrieben entstehen, um spezifische Produktionsziele zu erreichen. Die Zivilrechtsgesellschaften dürfen maximal fünf Personen beschäftigen, und zwar ausschließlich hauptberuflich. Eine statistische Erhe-bung über das erste Jahr nach Einführung dieser neuen Tätigkeitsformen stellt fest, daß es Ende 1982 insgesamt 2 775 Arbeitsgemeinschaften in staatlichen Unternehmen, 2 688 landwirtschaftliche Fachgruppen, 2 341 von Privatpersonen gebildete Arbeitsgemeinschaften, 145 Kleingenossenschaften und 23 Kleinunternehmen gab. Ihre Einnahmen betrugen 4, 3 Milliarden Forint, das entspricht 0, 2% des Nationalprodukts. Sie beschäftigten etwa 0, 4% der aktiven Bevölkerung, wobei die Durchschnittslöhne den industriellen Durchschnitt in geringem Maße übertrafen
Trotz vielfältiger Reformmaßnahmen und der dynamischeren Entwicklung dieser Unternehmenstätigkeit kann jedoch nicht erwartet werden, daß bereits auf dieser Grundlage die Probleme der ungarischen Wirtschaft gelöst werden können. Die Reformen beheben Mängel, mobilisieren einen Teil des Arbeitsmarktes, garantieren zusätzliche Einkommensquellen für einen Teil der Bevölkerung bei sonst stagnierenden Reallöhnen. Ein grundlegender Wandel kann aber erst dann eintreten, wenn es in den Schlüsselsektoren der Wirtschaft zu wesentlichen Weiterentwicklungen kommt.
Von der Landwirtschaft läßt sich für die weitere Entwicklung der ungarischen Wirtschaft relativ wenig erwarten. Einerseits hat sie in den letzten Jahren zur Erweiterung der Exportfähigkeit wesentlich beigetragen. Andererseits garantiert sie seit langer Zeit die störungsfreie und ausgeglichene Lebensmittel-versorgung. Auch im klimatisch besonders schlechten Jahr 1983 hat sie eine bemerkenswerte Leistung hervorgebracht
Die Unternehmensstruktur, der Facharbeiter-bestand, die Erfahrungen und die gegenseitige Ergänzung von Groß-und Kleinbetrieben in der Landwirtschaft haben es ermöglicht, sie in den siebziger Jahren zum Versuchsfeld für in der ganzen Wirtschaft einführbare Unternehmensformen und -methoden zu machen.
Hier wurden erstmals die Bedingungen der höheren individuellen Interessiertheit, der demokratischen Unternehmungsführung, der kleinbetrieblichen Produktion usw. angewendet. Die Landwirtschaft spielt auch eine wesentliche Rolle in der Industrie und auf dem Dienstleistungssektor: Anfang der achtziger Jahre haben fast alle Staatsgüter und etwa 85% der Genossenschaften irgendeine industrielle Tätigkeit ausgeübt. Damit läßt sich zum Teil erklären, warum die in den letzten Jahren abnehmende Zahl der Beschäftigten in der Industrie durch zunehmende Beschäftigtenzahlen in der Landwirtschaft begleitet wird (Tabelle 2). Auch in Zukunft kann mit der Attraktivität der sekundären Aktivitäten der Landwirtschaft für die Beschäftigten gerechnet werden. Unter den gegenwärtigen Umständen beteht die Hauptaufgabe der Landwirtschaft darin, die Input-Kosten der produzierten Waren zu senken, da die Erträge in Teilbereichen bereits über dem westeuropäischen Durchschnitt liegen Schlüsselgebiete der Weiterentwicklung der Wirtschaft sind: die auf Einsparungen konzentrierte Energiewirtschaft, die mit Strukturproblemen beladene Industrie und die außen-wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, die von der industriellen Produktion nicht getrennt gesehen werden kann. In diesen Bereichen entscheidet sich das Schicksal der Wirtschaftsreform. Auf den ersten ölpreisschock antwortete die ungarische Energiewirtschaft mit zusätzlichen Investitionen im Kohlebergbau. Die äußerst hohen Investitionen standen aber mit der relativ niedrigen Qualität der geförderten Kohle kaum in Einklang. Anfang der achtziger Jahre wurde das Hauptgewicht in Richtung Einsparungen verschoben. Diese Entwicklung verdient in mehreren Hinsichten Aufmerksamkeit. Erstens erweist sich die ungarische Produktion im internationalen Vergleich als rohstoff-und energieintensiv, was durch den Charakter der technologischen Prozesse und durch die jahrzehntelang ausgebaute und sich auf importierte Rohstoffe stützende Schwerindustrie bedingt ist -Zweitens stellten die Einsparungen ein wichtiges Element in der intensiven Wirtschaftsentwicklung dar. Während neue Bergwerke und die Erschließung neuer Energiequellen der quantitativen Befriedigung der Rohstoffnachfrage dienen und letzten Endes eine extensive Entwicklung fördern, beeinflußt die sparsame Energienutzung sämtliche Industriezweige, und zwar in unterschiedlichem Maße. Die Einsparungsmöglichkeiten hängen von der Produktionsstruktur, aber auch vom Unternehmensverhalten, insbesondere der Innovationsfähigkeit, ab. Damit setzt eine gesunde Differenzierung ein. Drittens können die Energieeinsparungen einen bedeutenden Beitrag zum außenwirtschaftlichen Gleichgewicht leisten, weil 80% des im Inland verbrauchten Rohöls, annähernd 40% des Erdgases und 7% der Kohle durch Einfuhr gedeckt werden und die Einfuhr elektrischer Energie ebenfalls von Bedeutung ist (Tabelle 3).
Die Energiepläne sehen für die Zeit zwischen 1981 und 1985 eine Einsparung von etwa 1 Million Tonnen Rohöl vor (Rationalisierung, höherer Anteil von Erdgas und Atomenergie). Die bisherige Entwicklung ist erfreulich: 1981 und 1982 ging eine bescheidene Wachstumsrate des Nationaleinkommens mit 4% Abnahme des spezifischen Energieverbrauchs und 2% Abnahme des Rohstoffverbrauchs einher. Dabei konnte auch der Rohölbedarf planmäßig gebremst werden (Tabelle 4) Das Unterstützungsprogramm der Regierung zur Energieeinsparung sieht 30 Milliarden Forint vor, wobei etwa 15 Milliarden für Rationalisierungsaufgaben ausgegeben werden können. Von diesen 15 Milliarden haben die Unternehmen bereits mehr als 10 Milliarden in Anspruch genommen
Im Mittelpunkt der gegenwärtigen ungarischen Wirtschaftsentwicklung steht zweifelsohne die verarbeitende Industrie. Sie stellt 46% der Bruttoproduktion, mehr als 40% des Nationaleinkommens und beinahe 75% der Ausfuhr dar. Mehr als ein Viertel der Produktion wird im Ausland abgesetzt, darunter fast 50% des Maschinenbaus. Die letzten Planangaben konnte der Maschinenexport (in konvertierbarer Währung) nicht erfüllen — trotz einer eindeutigen prozentualen Zunahme zwischen 1975 und 1981. Gleichzeitig sind mehrere Sektoren (Stahl und Eisen, Leichtindustrie, Petrochemie) durch die westliche Strukturkrise und/oder durch den zunehmenden Konkurrenzkampf der Entwicklungsländer hart betroffen.
Auf die Notwendigkeit grundlegender Änderungen machen einerseits die eingeengten Einfuhrmöglichkeiten der Roh-und Grundstoffe, andererseits der strukturell bedingte Absatzrückgang aufmerksam Der indu-strielle Strukturwandel soll die auf den RGW gerichtete Industriestrategie (die durch Endproduktkonzentration, unelastische technologische Struktur und Produktionsstruktur, überzentralisierte Betriebsgrößen, mangelndes Niveau der Lenkungs-und Organisationsstruktur und Material-und Energieverschwendung charakterisiert wurde durch eine der weltwirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit angepaßte industrielle Entwicklung und durch die dazu gehörenden kontextuellen Bedingungen (entsprechende Betriebsgröße, sparsamer Umgang mit Rohstoffen usw.) ersetzen
Eine solche Strategie erfordert Änderungen in der Verteilung der Investitionsmittel. Eines der ersten Zeichen für eine solche Entwicklung mag sein, daß der Anteil der staatlichen Investitionen innerhalb der zentralen Entwicklungsprogramme von 40% in den Jahren 1971— 1975 und 61% in den Jahren 1976— 1980 im gegenwärtigen Plan auf 9% schrumpfte, was die größere Rolle der Unternehmensinvestitionen unterstreicht. Daneben enthält der laufende Fünfjahresplan nur zwei neue Zentralprogramme (früher waren es fünf bis sechs). Sowohl die Produktion von Arznei-und Pflanzenschutzmitteln als auch die Elektronik beruhen auf den natürlichen Gegeben-heiten einer kleinen, rohstoffarmen und relativ humankapitalreichen Volkswirtschaft
Die Industrieproblematik wird vor allem darin deutlich, daß das ZK der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei (USAP) im Juli 1983 einen Beschluß über Lage und Aufgaben der ungarischen Industrie gefaßt hat. Er stellt fest:
„Das Zentralkomitee hält eine Weiterentwicklung der Industriepolitik für erforderlich, damit als dauerhaftes Erfordernis — die rasche Zunahme der Arbeitsproduktivität, — die Senkung des Mittelbedarfs, die Erhöhung der Effektivität, — die Senkung des spezifischen Rohstoff-und Energieverbrauchs, — die Annäherung an und in einigen Bereichen das Erreichen des technologischen Niveaus der entwickelten Industrieländer besser zur Geltung kommen.
In Anbetracht der einheimischen Gegebenheiten und der Welttendenzen machen diese Erfordernisse die Bestimmung folgender Hauptentwicklungsrichtungen notwendig:
— die wirtschaftliche Nutzung der Natur-schätze, — die Entwicklung moderner, wettbewerbsfähiger Maschinen, Ausrüstungen, agrochemischer Produkte, Verpackungsmaterialien, biotechnischer Vorgänge, die mit den landwirtschaftlichen Produktionsbedingungen verbunden sind, — die Entwicklung und Verbreitung der Elektronik, insbesondere der Mikroelektronik, — die Entwicklung und ausgedehnte Nutzung energie-und rohstoffsparsamer Technologien, Verfahren, Einrichtungen, — unter Berücksichtigung der Effektivität, die Steigerung des Verarbeitungsgrades, die Erweiterung der Tätigkeiten, die ein höheres Niveau von geistiger und physischer Arbeit erfordern."
Demgegenüber sollte auf die nicht-wettbewerbsfähige Produktion verzichtet werden (mangelndes Know-how, unzureichende economies-of-scale, konkurrenzunfähiges Lohn-niveau, hoher Transport-und Materialaufwand). Der industrielle Strukturwandel hängt unmittelbar mit der Konsolidierung des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts zusammen. Einerseits kann die weniger rohstoff-und energieintensive Entwicklung die entsprechenden Einfuhren senken, die Anfang der achtziger Jahre (ohne Landwirtschaft) fast 30% der Gesamteinfuhr ausmachten (ohne Grundstoffe). Andererseits gilt es, den Anteil der verarbeiteten Güter, vor allem der Maschinenbauprodukte, am Gesamtexport zu erhöhen. Letztere hatten 1981— 1982 einen Anteil von etwa 31% an der Gesamtausfuhr, aber nur 11— 13% der Ausfuhr in die OECD-Länder. Eine Verbesserung im Jahre 1982 läßt sich vor allem mit Exporterfolgen in Entwicklungsländern erklären (Tabelle 5).
Auf eine verstärkte Hinwendung der ungarischen Wirtschaft zur Weltwirtschaft weisen die Daten in Tabelle 6 hin. Zwar sind in den letzten Jahren etwas höhere Anteile für den sozialistischen Handel zu verzeichnen, doch zeigen die in Rubel-bzw. Dollarverrechnung vorhandenen Trends ein anderes Bild. Der Anteil von 50 : 50 der letzten Jahre bei beiden Hauptwarenströmen verschob sich auf 56 : 44 zugunsten der Dollarverrechnung in der Ausfuhr. Im Agrarexport ergab sich eine Änderung von 67: 33 (1978) auf 73: 27 (1982), im Maschinenexport von 21 : 79 auf 31 : 69. Die überkommene duale Exportstruktur (einerseits für den RGW-Raum, andererseits für die OECD-Länder) soll möglichst schnell einheitlich reformiert werden. Für die strukturelle und internationale Verflechtung einer kleinen Wirtschaft erwies sich diese Exportstruktur auch in der Vergangenheit als wenig günstig. In Zukunft kann sie schon wegen der verstärkten außenwirtschaftlichen Zwänge und der spürbaren Schranken der Belastbarkeit der ungarischen Wirtschaft nicht aufrechterhalten werden
In den letzten Jahren sind eine Reihe export-fördernder Maßnahmen ergriffen worden. Hervorgehoben werden soll hier das Exportkreditsystem, das zwischen 1976 und 1980 zum ersten Mal voll zur Geltung kam In diesem Rahmen hat die Nationalbank 54 Mrd. Forint (statt der früher geplanten 45 Mrd.) an Krediten vergeben, um die Exporte in konvertierbarer Währung zu erhöhen. Bis Ende 1980 waren zwei Drittel der Investitionen abgeschlossen. Zu 60 % ermöglichten die in Betrieb genommenen Kapazitäten eine Ausfuhrsteigerung in konvertierbarer Währung, 10% dienten der Importsubstitution und 30% ziel-ten auf den Inlands-und RGW-Markt Insgesamt erreichte man dadurch einen zusätzlichen Exporterlös von 1, 1 Mrd. Dollar und eine Importsubstituierung von 100 Millionen Dollar
Zwischen 1981 und 1985 stehen insgesamt 64 Mrd. Forint für Exportkredite zur Verfü-aus einer Kreditsumme von 10 Mrd. Forint etwa 200 Millionen Dollar zusätzlicher Export finanziert. gung: bis zum Frühjahr 1983 wurden davon 31 Milliarden genehmigt — bei inzwischen strenger gewordenen Bedingungen (Laufzeit, Zinsen). Die Industrie beteiligt sich daran mit 66%, die Lebensmittelwirtschaft mit 32%. In den letzten Jahren konnte im gewissen Grade eine Verschiebung der Prioritäten von der Exportsteigerung auf die Importersetzung beobachtet werden. Im Prinzip können zwar beide Strategien zur Verwirklichung einer ausgeglicheneren Handelsbilanz beitragen, tatsächlich bringen aber die Importsubstitutionen nicht das erwünschte Resultat, ganz zu schweigen davon, daß die Exportorientierung und die Importsubstituierung zwei verschiedene Wirtschaftsstrategien darstellen, die — wenigstens in der ungarischen Wirtschaft — anderer, manchmal grundverschiedener Mittel bedürfen.
Eine immer wichtigere Rolle kommt in der Exportsteigerung der Partnerwahl zu Die ungarischen Ausfuhrmöglichkeiten werden dadurch begrenzt, daß die wichtigsten Kunden in Westeuropa zu finden sind. Gleichzeitig stellt aber diese Region eine problembeladene und immer mehr strukturschwache weltwirtschaftliche Einheit dar. Stagnierendes Wachstum, Strukturschwierigkeiten und protektionistische Maßnahmen haben den Anteil der EG an der ungarischen Gesamtausfuhr von 1979 an spürbar beeinträchtigt: er ging von 18, 9% (1973) und 22, 9% (1979) auf 15, 6% (1982) zurück. Dank der exportdiversifizierenden Bestrebungen nahm der Anteil der USA bescheiden, der einzelner Nahost-und nordafrikanischer Länder kräftiger zu (Tabelle 7).
Da die Warenstruktur der ungarischen Ausfuhr recht „sensitiv" ist, sind entsprechende handelspolitische Schritte von außerordentlicher Wichtigkeit (Abkommen mit der EG im Stahl-und Textilsektor, diskriminationsfreier Warenaustausch mit Österreich und einigen skandinavischen Ländern, Meistbegünstigung im USA-Handel usw.). Möglichkeiten der Exportsteigerung, in der Form ungarischer Beteiligungen an Projekten in Entwicklungsländern, erhofft man sich auch vom Beitritt zur Weltbank. Schließlich sei hier noch kurz darauf hingewiesen, daß Ungarn die Behandlung des Auslandskapitals in letzter Zeit mehrmals modifizierte und dessen Tätigkeitsbedingungen erleichterte. Diese günstige juristische Entwicklung soll in Zukunft durch eine entsprechende Entwicklung des allgemeinen wirtschaftlichen Kontexts begleitet werden
Zusammenfassend können für die kommenden Jahre als wichtigste Aufgaben, die sich aus der geschilderten Wirtschaftslage ergeben, folgende hervorgehoben werden:
1. Die Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit und die Konsolidierung des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts haben weiterhin absolute Priorität. Da die ungarische Wirtschaft in den kommenden Jahren nur mit bescheidenen neuen Krediten rechnen kann ist sie überwiegend auf Exportsteigerung und allenfalls mäßige Importzuwächse angewiesen. Unter den möglichen Einnahmequellen wird den nicht-kommerziellen Bereichen (Tourismus, Dienstleistungen usw.) größere Bedeutung zukommen Die strukturelle Modernisierung der Ausfuhr soll entsprechend unterstützt werden von der Neugestaltung 'der außenwirtschaftlichen Institutionen. Es ist ohne weiteres einzusehen, daß der Export von Maschinen, Ausrüstungen, Ersatzteilen und Teileinheiten kontinuierlicher technischer Entwicklungen, Instandhaltung und eines größeren Umfanges von Dienstleistungen bedarf.
2. Nicht nur wegen außenwirtschaftlicher Schwierigkeiten, sondern auch infolge ausstehender binnenwirtschaftlicher Probleme ist es erforderlich, die Wirtschaftsreform in den folgenden Jahren beschleunigt voranzubringen. Zentrale Bedeutung kommt der zunehmenden „Monetarisierung" der ungarischen Wirtschaft zu (Erweiterung der Kredittätigkeit, Trennung der Noten-und Handelsbank-funktionen, Schaffung eines direkten Kapital-flusses unter den Unternehmen)
3. In Anbetracht des engen Kreises der zu mobilisierenden Reserven ist eine effektivere Anwendung der zur Verfügung stehenden Mittel unumgänglich. Umverteilungen in der Produktion werden notwendig sein, wobei die Behandlung verlustreicher Unternehmen überdacht und eine Lösung für den planmäßigen Abbau unwirtschaftlicher (vorwiegend in-dustrieller) Tätigkeiten gefunden werden sollen. Diese vielseitigen Aufgaben werden durch die Reform des Lohn-und Steuersystems unterstützt werden, die z. Z. in Vorbereitung ist. Ergänzend kommen die Mobilisierung des Arbeitsmarktes, der Ausbau des Fachaus-und -Umbildungssystems und die Reform des ganzen Bildungswesens dazu.
4. Die ungarische Wirtschaftspolitik konnte unter schwierigsten internationalen Verhältnissen den Realwert der Einnahmen der Bevölkerung zufriedenstellend schützen. Nach Möglichkeit wird dieses Hauptziel weiterhin angestrebt. Bei vorübergehendem Reallohn-rückgang und der notwendigen zunehmenden Differenzierung wird aber der Verbesserung der Lebensverhältnise der Bevölkerung besondere Aufmerksamkeit geschenkt (das stabile und breitgefächerte Warenangebot ist organischer Bestandteil dieser Politik)
5. Sowohl die innenpolitisch stabile Grundlage als auch die binnen-wie außenwirtschaftlich absolut notwendige Weiterführung der Reform sprechen dafür, das organisatorische und institutioneile System in den Reformprozeß einzugliedern. Während 1968, aber auch noch 1979 die Überlegung vorherrschte, das politisch-gesellschaftliche Risiko der Reformen zu minimieren, erfordert die Verwirklichung der Reform in der heutigen schwierigen weltwirtschaftlichen Situation notwendigerweise die bewußte Inkaufnahme größerer Gefahren
Trotz klarer Aufgabenstellung gibt es natürlich zahlreiche Probleme, deren Lösung heute kaum eindeutig erkennbar ist:
— Der Reformprozeß kann sich in einer verlangsamten Wirtschaft anders als in günstigeren, durch dynamische Entwicklung gekennzeichneten Umständen entwickeln. — Die Reform soll unter Berücksichtigung vieler exogener Faktoren verwirklicht werden, die nicht immer in das ursprüngliche Reformkonzept passen (z. B. zunehmender Zentralismus in der Importwirtschaft, zeitliche Verschiebung früher geplanter Maßnahmen usw.)
— Früher oder später muß die Investitionsquote erhöht werden, da die neuen Investitionen einen wesentlichen Faktor der zukünftigen Exportfähigkeit bilden, die aber gleichzeitig durch die notwendige Senkung der Ein-fuhr beeinträchtigt wird; denn es besteht im Reproduktionsprozeß der ungarischen Wirtschaft eine enge Wechselwirkung zwischen Ex-und Importen.
— Das kompetitive Preissystem läßt sich ohne wirkliche Importkonkurrenz nicht entfalten, die jedoch unter den gegenwärtigen finanziellen Umständen nicht freigegeben werden kann.
— Eine mögliche Alternative könnte in der Entwicklung der vernachlässigten und auf unterdurchschnittlichen Importbedarf abgestellten Infrastruktur bestehen. Andererseits erfordert sie jedoch Kapitalinvestitionen, die in der gewünschten Größenordnung in einer kapitalarmen Volkswirtschaft kaum aufzubringen sind und sich erst in vielen Jahren auszahlen würden
— Ein spezifischer Widerspruch besteht zwischen dem Bergbau, der die Milderung der Rohstoff-und Energieimportabhängigkeit verspricht, und der verarbeitenden Industrie, die die internationale Wettbewerbsfähigkeit der ungarischen Wirtschaft sicherstellen soll. — Offensichtlich ist eine höhere Einkommens-und Unternehmensdifferenzierung zu erwarten, die bei ständig wachsendem verteilbaren Anteil des Nationaleinkommens besser gehandhabt und kontrolliert werden kann als in einer stagnierenden Periode, in der ein vorübergehend kleineres Volumen um-und neu-verteilt werden soll.
— Einerseits will die Lohnpolitik mehr Anreiz schaffen, andererseits muß sie die ausströmende Geldmenge stets unter Kontrolle halten, um einem unerwünschten Inflationsdruck vorzubeugen.
— Schließlich heben einige Reformer die Behäbigkeit und Widersprüchlichkeit des Reformprozesses hervor und fürchten negative Einflüsse der in einigen Bereichen zu beobachtenden Zentralisierung. Einmal abgesehen von den Notmaßnahmen in der heutigen Finanzlage, ist es wichtig zu erkennen, daß außenwirtschaftliche Konzentration und binnenwirtschaftliche Dezentralisierung einander nicht ausschließen, sondern einander sogar gegenseitig bedingen. Westeuropäische Erfahrungen nach der Ölkrise machen deutlich, daß die weltwirtschaftlich kleinen Einheiten (Unternehmen wie Volkswirtschaften) ihren außenwirtschaftlichen Spielraum durch kräftige zentrale (staatliche) Unterstützung erhalten bzw. ausdehnen konnten.
Es unterliegt keinem Zweifel, daß — obwohl die genannten Probleme von der ungarischen Wirtschaft zu lösen sind — Richtung und Tempo der Reaktionen und Entscheidungen durch das internationale Umfeld maßgebend beeinflußt werden. Abgesehen von den politischen Implikationen, deren Behandlung außerhalb des Themenbereichs dieses Aufsatzes liegt, sollen hier kurz die wirtschaftlichen Zusammenhänge aufgezeigt werden:
— Im allgemeinen: Die sehr hohe Verflechtung der ungarischen Wirtschaft mit der Außenwelt übt notwendigerweise einen starken Einfluß auf binnenwirtschaftliche Entscheidungen aus.
— In den internationalen Finanzen: Leichterer Zugang zu internationalen Krediten könnte die Wachstumsaussichten verbessern und die Investitionen und technologischen Importe erhöhen, die zur Exportsteigerung schon mittelfristig unabdingbar sind.
— Im internationalen Handel: Die Veränderung der Exportstruktur kann nicht über Nacht erfolgen, da aber die Steigerung der Exporterlöse die wichtigste kurzfristige Aufgabe darstellt, könnten bessere Marktzugangsbedingungen (handelspolitische Erleichterungen vor allem seitens der EG) eine Atempause herbeiführen und die allmähliche Anpassung ermöglichen.
— In der Rückwirkung auf die ungarische Entwicklung: Die in Gang gesetzten Reform-27 Prozesse werden wegen weltwirtschaftlicher Ereignisse und Einflüsse oft konterkariert (zwangsläufige Importsubstituierung, unternehmerische Gegeninteressen hinsichtlich zu „rascher" und „weitgehender" Reformen usw.). Diese Wirkungen können bleibende Spuren in der ungarischen Wirtschaftsentwicklung hinterlassen und dadurch auch den Rahmen und die Perspektiven der allgemeinen Ost-West-und gesamteuropäischen Zusammenarbeit nachhaltig — direkt oder indirekt — mitbestimmen.
Andräs Inotai, Dr. phil., geb. 1943 in Szombathely (Ungarn); seit 1982 Leiter der Abteilung für Wirtschaftsintegrationen am Institut für Weltwirtschaft der Ungarischen Akademie der Wissenschaften; seit 1967 dort wissenschaflicher Mitarbeiter. Hauptarbeitsbereiche: Integrationstheorie und -praxis, Ost-West-Beziehungen, Strukturwandel, internationaler Kapitalverkehr, internationales Umfeld der ungarischen Wirtschaft. Zahlreiche längere und kürzere Aufenthalte in Westeuropa und Lateinamerika. Vorlesungen, Studien und Beiträge in mehreren Ländern bzw. Sprachen. Veröffentlichungen u. a.: Die Außenwirtschaftsbeziehungen der VR Ungarn unter dem Gesichtspunkt der Ost-West-Zusammenarbeit, Ebenhausen 1980; Regional Economic Integrations and International Division of Labour, Budapest; Competition of CMEA, Southern European and Rapidly Industrializing Countries in the West German Import Market for Manufactured Products in the Second Half of the Seventies, Budapest 1982; Auswirkungen weltwirtschaftlicher Veränderungen auf den Westhandel der RGW-Länder (in englischer Sprache), Ebenhausen 1982.
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