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Posthume Zeitgenossenschaft -Anmerkungen zur Rezeption Friedrichs II. von Preußen | APuZ 20-21/1986 | bpb.de

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APuZ 20-21/1986 „Identität“ statt „Emanzipation“? Zum Geschichtsbewußtsein in der Bundesrepublik Kontinuität und Wandel in der Geschichtsschreibung der DDR. Das Beispiel Preußen Posthume Zeitgenossenschaft -Anmerkungen zur Rezeption Friedrichs II. von Preußen

Posthume Zeitgenossenschaft -Anmerkungen zur Rezeption Friedrichs II. von Preußen

Johannes Willms

/ 33 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

„Von der Parteien Gunst und Haß verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte“. Dieses häufig zitierte Schiller-Wort kennzeichnet auch die Rezeptionsgeschichte Friedrichs II. von Preußen. Die historische Einschätzung dieser seine Vorgänger wie Nachfolger auf dem preußischen Thron unstreitig weit überragende Herrschergestalt gibt ein getreuliches Spiegelbild der Geschichte der Deutschen in der Neuzeit. Seine über die eigene Lebenszeit weit hinausreichende Bedeutung ist allerdings weniger in der historischen Dauer seines Wollens und Tuns begründet gewesen — das Preußen Friedrichs II. brach bereits 1806 unter den Schlägen der napoleonischen Armeen endgültig zusammen —, als vielmehr darin, daß er zunächst zum Protagonisten einer Partei, eines Lagers und damit notwendig zum Hauptgegner der anderen Partei wurde. Dieser Prozeß seiner posthumen , Parteikarriere* setzte nach 1815 ein, als sich zunächst die Liberalen seiner bemächtigten und ihn zu einem Repräsentanten fortschrittlich aufgeklärten und toleranten Fürstentums stilisierten; aus dem historischen Friedrich wurde ein Vor-und Gegenbild zu dem damals real existierenden kleinstaatlichen Despotismus. Damit lieferten die vormärzlichen Liberalen ironischerweise die Voraussetzungen dafür, daß Friedrich nach dem Scheitern der groß-deutsch-liberalen Hoffnungen in der Revolution von 1848 zu jenem „deutschen Helden“ avancierte, den die preußisch-kleindeutsch Gesinnten nunmehr als einen Kronzeugen für ihr eigenes politisches Wollen in Anspruch nahmen. Diese Identifikation mündete dann nach 1871 in eine deutsch-national gefärbte Verklärung der Gestalt und der Taten Friedrichs, die auszumalen die Vertreter des wilhelminischen Historismus sich angelegen sein ließen — eine Entwicklung, die mit einer fortschreitenden Entpolitisierung des Friedrich-Mythos’ Hand in Hand ging. Dies änderte sich jedoch schlagartig, als 1914 mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs der wilhelminische Obrigkeitsstaat in seine Existenzkrise gestürzt und Friedrich wieder als ein politisches Vorbild reaktiviert wurde. Diese Tendenz verstärkte sich nach 1918 noch erheblich, so daß Friedrich bei Beginn des Dritten Reichs endgültig zu einer nationalistischen Reklamefigur verkommen war. Insofern war es wenig verwunderlich, daß nach 1945 eine radikale Abkehr von diesem Friedrich-Bild einsetzte: Friedrich II. von Preußen wurde nun als Dämon der deutschen Geschichte verketzert. Auch wenn diese radikale Ablehnung rasch verflog, so hat dennoch das Friedrich-Bild unserer Gegenwart, trotz der unterdessen stattgehabten Preußenrenaissance, keineswegs mehr jene Bedeutung, die ihm in früheren Epochen eignete.

Die Schätzung keiner anderen historisch bedeutsamen Gestalt der Neuzeit ist so vom Wechselspiel der politischen Konjunkturen abhängig gewesen wie die Friedrichs II. von Preußen. Die Beurteilung, die ihm zu unterschiedlichen Zeiten zuteil wurde, war auch stets eine Art Lackmusprobe auf die politische Gesinnung des Urteilenden. Und fast will es scheinen, als spotte dieser preußische König der historischen Beschränkung seiner physischen Existenz — als sei er auch der Nachwelt noch als Zeitgenosse gegenwärtig, die sich seiner jeweils bemächtigte, um ihn für die eine oder andere Sache oder Partei in Anspruch zu nehmen oder als Vorbild zu reklamieren.

Eine umfassende Analyse der Rezeptionsgeschichte Friedrichs II., die — sieht man von einigen Dissertationen und Aufsätzen einmal ab — bis heute noch aussteht, stellt deshalb im Grunde nichts anderes dar als die Dokumentation jener Pathogenese, mit der sich das politische Bewußtsein während der letzten 200 Jahre in Deutschland entfaltete. Insofern kann es nicht überraschen, daß auch jetzt wieder kein Mangel an Bestrebungen herrscht, die eine „Aktualität“ Preußens, wenn nicht geradezu die Vorbildlichkeit des friderizianischen, des vermeintlich „eigentlichen“ Preußens, suggerieren wollen. Nur vordergründig wird mit diesen Bestrebungen jedoch die Absicht verfolgt, namens der sogenannten historischen Gerechtigkeit die schweren Beschädigungen, die insbesondere der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg dem Mythos Preußen und des-sen gewiß bedeutendster Herrschergestalt zufügte, pietätvoll zu restaurieren, um so den Zeitgenossen wieder das beruhigende Gefühl des Behagens in einem geschichtlichen Herkommen zu verschaffen, dessen sie sich nicht zu schämen brauchen, sondern auf das sie vielmehr stolz sein können. Tatsächlich ist es den Protagonisten dieser Preußen-Renaissance vor allem darum zu tun, einen gewissermaßen „post-modern“ verblendeten Wertkonservatismus zu konstruieren, dem ein ideales Preußentum als ein gelebtes Vorbild für jene Sekundärtugenden dient, die vorgeblich dessen raison d’etre ausmachten. Mit anderen Worten: In der Beschäftigung mit Preußen im allgemeinen, die seit 1945 recht eigentlich nur noch eine antiquarische Liebhaberei ist, wie bei dem Kult einer politisch-historischen Hagiographie im besonderen, der, wenngleich heute wesentlich zurückhaltender, mit Friedrich II. getrieben wird, herrscht nicht unbedingt die höhere Weisheit besserer Einsicht vor; wie eh und je sind Preußen und Friedrich II. vor allem deshalb immer noch als ein Thema fach-wie populärhistorischer Auseinandersetzung interessant, weil die politische Virulenz, die ihnen einmal eignete, unbeschadet aller unterdessen eingetretenen Zusammenbrüche nicht restlos verzehrt worden zu sein scheint. Allein das Phänomen jedoch, daß die rezeptionsgeschichtliche Bedeutung Friedrichs II. in dem Maße wuchs, wie der historische Abstand zu seiner Person größer wurde, ist heute angesichts völlig veränderter äußerer Umstände verschwunden.

I. Urteile der Zeitgenossen

Als Friedrich II. am 17. August 1786 starb, nachdem er in einer verhältnismäßig langen Regierungszeit (seit 1740) das von seinen Vorgängern übernommene bescheidene Erbe mit viel Glück, List, Geschick und einer bis dahin beispiellosen Rücksichtslosigkeit gegen sich und jedermann ge-mehrt und dem brandenburgisch-preußischen Königreich den höchst prekären Rang einer europäischen Großmacht verschafft hatte, wußte der damals in geheimer Mission in Berlin weilende französische Gesandte Graf Mirabeau zu berichten: „Jedermann ist bedrückt, niemand trauert. Jedes Gesicht zeigt Erleichterung und Hoffnung, nicht ein Bedauern, nicht ein Seufzer, nicht ein Wort des Lobes. Das also ist das Ergebnis aller seiner Siege und seines Ruhms, einer Regierung von beinahe der Dauer eines halben Jahrhunderts, erfüllt mit großen Ereignissen. Jedermann ersehnte sich ihr Ende und begrüßte es, als es da war.“

Mirabeaus ausgeprägtes Talent für boshafte Spöttereien und Medisancen ist hinlänglich bekannt; dennoch kann man diesmal seinem Zeugnis durchaus Glauben schenken: In ihrer übergroßen Mehrheit waren die Zeitgenossen des spröd-despotischen Regiments des „Alten Fritz“, das die beschränkten Möglichkeiten des „aufgeklärten Absolutismus“ mit unerbittlicher Konsequenz bis zum Letzten ausgereizt hatte, von Herzen überdrüssig. Otto Hintze, der Hof-Historiker der letzten regierenden Hohenzollern, hat eine höchst anschauliche Schilderung des „patriarchalischstaatssozialistischen Charakters des friderizianisehen Polizeistaats“ gegeben: „ ... das ganze soziale System der Regierung Friedrichs des Großen ... besteht in einer eigenartigen Verteilung der Staatslasten auf die verschiedenen Stände, und dieser politischen Belastung entspricht eine ganz bestimmte wirtschaftlich-soziale Fürsorge. Der Adel liefert die Offiziere und die Spitzen des Beamtentums, bei denen es besonders auf das persönliche Auftreten ankommt; dafür wird er im ausschließlichen Besitz der Rittergüter erhalten und geschützt; dem bürgerlichen Kapital wird das Eindringen in den ritterschaftlichen Gutsbesitz verwehrt, es soll sich in Handel und Gewerbe betätigen, deren Betrieb dem Adel versagt ist. Der Bürgerstand in den Städten trägt in der Akzise den größten Teil der staatlichen Steuerlast; darum werden ihm die bürgerlichen Nahrungen ausschließlich vorbehalten: Handwerk und Handel, auch Bierbrauerei bleiben in der Hauptsache auf den städtischen Mauerring beschränkt. Der Bauernstand zahlt die Kontribution und stellt die Kantonisten für das Heer; darum soll er in unverminderter Stärke erhalten werden, und es wird aufs strengste darauf gesehen, daß keine bäuerliche Nahrung in andere Hände gelangt, vor allem nicht zum adligen Gutsbesitz eingezogen wird. Der Druck der Lasten ist bei diesem System der politischen Arbeitsteilung nach der ständischen Gliederung nicht ganz gleich verteilt; die einen zahlen mehr mit dem, was sie leisten, die anderen mehr mit dem, was sie sind.“

Diese friderizianische Sozialordnung, unter deren mannigfachen Lasten die preußischen Untertanen ächzten, denen so gut wie jede bürgerliche Eigeninitiative, die wirtschaftliche und politische Selbstentfaltung schon im Ansatz verkümmert wurde, ist in ihrer an indische Kästenverhältnisse gemahnenden, strikt undurchlässigen Einteilung der Stände nur dann zu begreifen, wenn man sie vom Blickwinkel militärischer Notwendigkeit aus betrachtet — eine Anschauung, die außer dem auf die Chimäre chevaleresken Ruhms fixierten König und einiger weniger adeliger Nutznießer dieser Zustände von keinem der Zeitgenossen wirklich geteilt worden ist. Wenig Wunder nimmt es deshalb, daß der Gestalt Friedrichs II. zwar Respekt gezollt, aber keineswegs jene Bewunderung entgegengebracht wurde, die seine spätere Apotheose hätte vorbereiten können. Ganz das Gegenteil war vielmehr der Fall.

Als der Archäologe Johann Joachim Winckelmann beispielsweise der Frohn einer märkischen Schulstube glücklich nach Dresden entronnen war, schrieb er: „Ich gedenke mit Schaudern an dieses Land; auf ihm drückt der größte Despotismus, der je gedacht ist. Besser ein beschnittener Türke werden als ein Preuße. In einem Lande wie Sparta (eine sehr ideale Bezeichnung des Regiments des Corporalstocks!) können die Künste nicht gedeihen und müssen gepflanzt ausarten.“ Unter den Gebildeten seiner Zeit war Winckelmann mit dieser Einstellung zu Friedrichs Preußen keineswegs die Ausnahme; und auch Lessings anfänglich positiv gefärbtes Urteil über Friedrich II. wandelte sich rasch zu einer, wenn auch aus Zensurrücksichten leicht zu erklärenden indirekten Kritik, die vom Standpunkt der Humanität aus die „übermenschliche Unmenschlichkeit des Heldentums“ für die der preußische König das Beispiel gab, mit Nachdruck in Frage stellte. Dieser Humanitätsgedanke beherrscht auch Lessings Lustspiel „Minna von Barnhelm“, was allerdings nicht hinderte, daß die Erfinder und Apologeten der „Lessing-Legende“ gerade dieses Stück zu einem politischen Bekenntnis des Dichters für Friedrich II. umzuinterpretieren suchten Ganz ähnlich verhielt es sich mit Schiller, der, 1788 von Körner angeregt ein „episches Gedicht auf Friedrich“ zu verfertigen diesen Gedanken in sich reifen ließ um ihn dann drei Jahre später gänzlich fallen zu lassen, wovon er Körner mit den seither häufig zitierten Worten Mitteilung machte: „Friedrich II. ist kein Stoff für mich, und zwar aus einem Grunde, den Du vielleicht nicht für wichtig genug hälst. Ich kann diesen Charakter nicht lieb gewinnen, er begeistert mich nicht genug, die Riesenarbeit der Idealisierung an ihm vorzunehmen.“

Unter den bedeutenden Zeitgenossen machte Immanuel Kant eine gewisse Ausnahme, der Friedrich II. yor allem deshalb hohe Anerkennung zollte, weil dieser, wie er selbst, „den Hauptpunkt der Aufklärung, die des Ausganges der Menschen aus ihrer selbst verschuldeten Unmündigkeit, vorzüglich in Religionssachen gesetzt“ hatte Kant war sich des Umstands nur zu sehr bewußt, daß die einzige Freiheit, die Friedrich II. durch seine Person und seine philosophischen Neigungen in Preußen garantierte, diejenige war, auch die religiösen Glaubenssätze der kritischen Vernunft zu unterwerfen — eine Voraussetzung, die für den Königsberger Philosophen und preußischen Untertanen die Bedingung der Möglichkeit darstellte, sein erkenntnistheoretisches Werk zu vollenden. Daß sich Kants Anerkennung Friedrichs II. vor allem nur darauf gründete, macht der Schlußsatz seiner Abhandlung „Was ist Aufklärung?“ deutlich, in dem er seine Kritik an der friderizianischen Regierung verklausuliert äußert: „Wenn denn die Natur unter dieser harten Hülle (des friderizianischen Staats, J. W.) den Keim, für den sie am zärtlichsten sorgt, nämlich den Hang und den Beruf zum freien Denken, ausgewickelt hat, so wirkt dieser allmählich zurück auf die Sinnesart des Volkes, wodurch dieses der Freiheit zu handeln nach und nach fähiger wird —, und endlich auch sogar auf die Grundsätze der Regierung, die es ihr selbst zuträglich findet, den Menschen, der nun mehr als Maschine ist, seiner Würde gemäß zu behandeln.“

Der Ausbruch der Französischen Revolution und später die napoleonischen Armeen, die Preußen wie den Staaten des Alten Reichs ein rasches Ende bereiteten, beeinflußten das Urteil über Friedrich II. erheblich. Vor allem Ernst Moritz Arndt tat sich als ein scharfer Kritiker hervor, der Friedrich II. im ersten Teil seiner im Spätjahr 1805 entstandenen Schrift „Vom Geist der Zeit“ bescheinigte: „Wir Deutschen, wenn wir uns als Volk ansehen, haben uns dieses Königs wenig zu erfreuen gehabt, ja keiner hat uns so sehr geschadet, nicht bloß scheinbar, sondern wirklich.“

Arndts Kritik gründete vor allem auf dem Vorwurf, daß die Politik Friedrichs den unheilvollen Dualismus zwischen Preußen und Österreich provoziert und damit die „letzte allgemeine Religion“ in Deutschland zerstört habe, die mit dem Namen „Kaiser und Reich“ verbunden gewesen sei, die beide eine stärkere Wirkung besessen hätten, „als kalte Gesetze und Verhandlungen dagegen vermochten“

Dieser Vorwurf, der von den „Großdeutschen“ in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer wieder aufgegriffen werden sollte, gibt einen ersten Hinweis auf das damals erwachende deutsch-nationale Bewußtsein, das Friedrich II. als den großen Verderber des Reichs identifizierte. Dank dieser dezidierten Position, die Arndt noch in ärgste Schwierigkeiten mit der preußischen Obrigkeit bringen sollte erkannte er völlig zutreffend auch, was später von einer ob der Reichsgründung von 1871 trunkenen „kleindeutschen“ Geschichtsschreibung der historischen Wahrheit zum Trotz behauptet wurde: „Auch hat der große König im Ernst nie daran gedacht, die deutsche Nation bildend und schützend um seine Adler zu versammeln und ein gemeinschaftliches Ziel der Politik und Bildung auszustecken. Es ist nichts lächerlicher als ihm patriotisch deutsche Ideen beilegen zu wollen ... Friedrich brauchte den deutschen Staatskörper und die Fürsten, wozu sie brauchbar waren, ein Gegengewicht gegen Österreich zu erzeugen oder wenigstens Österreichs altes Übergewicht zu schwächen ...“

Auch für die preußischen Reformer, die sich nach 1806 daran machten, den am Boden liegenden preußischen Staat wieder aufzurichten, hatte Friedrich II. keineswegs die Bedeutung eines Vorbilds, wie später immer wieder behauptet wurde; daß es Friedrichs Geist gewesen sei, der die Reformer bei ihrem Tun inspiriert habe, ist eine Einsicht, die allein der borussischen Legende zugehörig ist. Denn die Reformer hatten keinesfalls die Absicht, die preußische Großmacht um ihrer selbst willen zu rekonstruieren, Preußen wieder zu einem Mitglied der Pentarchie des europäischen Mächtekonzerts zu machen, wie dies die politische Absicht gewesen war, von der sich Friedrich II. hatte leiten lassen. Für die Reformer war die Großmachtstellung Preußens vielmehr eingebunden in eine deutschlandpolitische Perspektive, die Friedrich völlig fremd gewesen war:

Preußen mußte stark sein, um die Unabhängigkeit und Freiheit Deutschlands als einer Kulturnation, an der sich die Welt ein Beispiel nehmen könnte, zu gewährleisten Im übrigen liefen auch so gut wie alle Reformen hinsichtlich der mit ihnen beabsichtigten materiellen Auswirkungen der politischen Praxis des friderizianischen Staatssozialismus diametral zuwider.

II. Das Friedrich-Bild im Vormärz

In eine wirklich historische Perspektive rückte die Gestalt Friedrichs II. erst nach 1815, als die liberalen und die konservativen Parteimeinungen sich mit seiner Erscheinung auseinanderzusetzen begannen Die Kritik, die beispielsweise ein Liberaler wie Karl Rotteck im achten Band seiner „Allgemeinen Geschichte vom Anfang der historischen Kenntnis bis auf unsere Zeit“ — eines der wichtigsten und meistgelesenen Geschichtswerke des „Vormärz“ — an Friedrich II. übte, stützte sich auf die den damaligen Liberalen zentralen Postulate von Recht und Freiheit. In dieser Perspektive wird Friedrich als ein reiner Machtpolitiker geschildert, bei dem die Staatsraison vor der Respektierung von Verträgen rangierte; die von Friedrich II. initiierte Vernichtung Polens gilt für Rotteck als die Vollendung jener skrupellosen, auf Rechtsbruch gegründeten Politik. Andererseits aber zollte Rotteck der friderizianischen Monarchie Anerkennung dafür, daß sie Kirchen-freiheit gewährt und damit die Freiheit des Protestantismus gesichert habe, die für Rotteck in nuce das Prinzip der bürgerlichen Freiheit birgt. Deshalb kann Rotteck Preußens Aufstieg zu einer europäischen Großmacht ganz im Sinne Kants als durchaus vorteilhaft für den Fortschritt der Menschheit verstehen, insofern nämlich dadurch die Entwicklung der Freiheit — wenn auch nicht intentional, so doch materiell durch das Zusammenspiel der europäischen Mächtekonstellationen mit der preußischen Staatsraison — gefördert wurde.

Deutlicher als bei Rotteck schimmert in Friedrich Christoph Schlossers gleichfalls dem liberalen Geist verhafteten „Geschichte des 18. Jahrhunderts“ in der Beurteilung Friedrichs II. Kritik an dem damals herrschenden frömmlerisch-pietistischen Neoabsolutismus durch, der dann im Rahmen der Heiligen Allianz die weitgehende politische Unterwerfung Preußens unter Österreich und Rußland ideologisch absicherte. Im Gegensatz zu Rotteck figuriert Friedrich II. für Schlosser geradezu als ein Streiter für Recht und Freiheit, als der Bahnbrecher einer neuen, besseren Zeit. Die Staatsraison, der sich Friedrich verpflichtet fühlte, wird von Schlosser als eine sittliche Leistung gewürdigt, da für Friedrich nicht wie bei seinen Mitfürsten der despotische Eigennutz die Triebfeder des Handelns gewesen sei, sondern seine bedingungslose Unterordnung unter die Interessen des Staates, als dessen erster Diener er sich gefühlt habe. Mit Friedrichs Persönlichkeit und Taten verbindet Schlosser die Begriffe Fortschritt, Freiheit und eine neue, dem Eigennutz völlig entsagende und eben deshalb sittliche Auffassung der Monarchie — allesamt Kriterien, die für Schlosser Friedrichs Größe rechtfertigen.

In dem Maße, wie die Liberalen Friedrich II. für sich in Anspruch nahmen wurde seine Erscheinung den preußischen Konservativen suspekt, wiewohl diese andererseits nicht den Glanz der friderizianischen Erfolge missen mochten, auf die sich das preußische Selbstbewußtsein wesentlich gründete. Um sich dem Dilemma, das sich darin verbarg, zu entwinden, entwickelten die Konservativen ein Friedrich-Bild, das dem der Liberalen völlig widersprach. Den Schwierigkeiten, denen sie dabei begegneten, suchten sie derart zu entrinnen, daß sie den Philosophen Friedrich, der den neuen Ideen seiner Zeit gehuldigt hatte, von dem Regenten Friedrich unterschieden, der in seiner politischen Praxis stets bestrebt gewesen sei, die alten Zustände zu erhalten und der sich damit als ein entschiedener Gegner der aufklärerischen und liberalen Zeittendenzen erwiesen habe.

Wie unzulänglich aber alle diese Versuche blieben, sich den historischen Friedrich nach den Maßgaben des „vormärzlich“ -konservativen Weltbildes zurechtzuschneidern, wurde jeweils daran offenkundig, daß es den preußischen Kon-servativen nicht gelang, die nun einmal nicht zu leugnende Irreligiosität des Königs interpretativ zu eskamotieren, die andererseits den Liberalen als eines der wichtigsten Momente der von ihnen Friedrich nachgesagten Fortschrittlichkeit galt. Für die Konservativen war diese Irreligiosität Friedrichs II. um so mißlicher, als diese nicht nur ihren eigenen Glaubensüberzeugungen zuwider-lief, sondern vor allem auch eine grundsätzliche Infragestellung der monarchischen Legitimität des Gottesgnadentums darstellte, das der ideologische Kitt der Heiligen Allianz war. Die mit Friedrich II. verknüpfte Traditionspflege der Liberalen mußte deshalb, so seltsam einem dies auch heute erscheinen mag, den herrschenden Konservativen als geradezu staatsgefährdend erscheinen.

Eine erste große, dem Streit der Liberalen und Konservativen völlig entrückte wissenschaftliche Darstellung der Geschichte Friedrichs II. legte Leopold von Ranke mit seinem Werk „Zwölf Bücher Preußischer Geschichte“ vor. Grundlage seiner Darstellung ist die nach 1815 geschaffene europäische Mächtekonstellation, die sich für Ranke als eine ebenso dauerhafte wie glückliche Ordnung darstellte — ein, wie er es nannte, „halkyonischer“ Zustand, dem durch die Taten Friedrichs II. die Bahn gebrochen wurde. Den Aufstieg Preußens zu einer Großmacht erachtet Ranke dabei als eine entscheidende Voraussetzung, weil dadurch die Vorherrschaft Frankreichs in Europa zunichte gemacht wurde. Dies dem beschaulichen, von ihm überaus geschätzten Status quo zuliebe, der nach 1815 in Europa herrschte, ist Ranke ängstlich bestrebt, die ganze Tragweite des preußisch-österreichischen Gegensatzes, der von Friedrich II. durch die Annexion Schlesiens aufgebracht worden war, herunterzuspielen, obwohl doch gerade die siegreiche Behauptung Friedrichs in diesem Konflikt die Voraussetzung für die preußische Großmachtstellung gewesen war. Entsprechend ist Ranke auch darum bemüht, den Friedrichs Persönlichkeit eigentümlichen leidenschaftlichen Machtwillen, seine das Gemeinwohl hintansetzende Ruhm-und Ehrsucht, kurz, das gerade bei seinen bedeutenden Taten durchschimmernde Hasardeurtum des Alles-auf-eine-Karte-Setzens durch den Hinweis auf überpersonale Sachzwänge und Verhältnisse zu relativieren, ihn folglich nicht so sehr als Täter, denn als Werkzeug oder als Sachwalter des Hegelschen „Weltgeistes“ zu schildern. In der Einleitung zum „Neunten Buch der Preußischen Geschichte“ heißt es geradezu: „Begleiten wir Friedrich auf der von unzähligen Klippen umgebenen Laufbahn, auf welche er sich nun getrieben sieht. Sie ist nicht seine Wahl, sie ist sein Geschick.“

III. Der „kleindeutsche“ und der „großdeutsche“ Friedrich

Rankes ganz auf die Entwicklung des europäischen Mächtesystems projiziertes Friedrich-Bild, das dessen Gestalt seltsam entpersönlichte und aus Friedrich II. eine geradezu konservative Herrscherpersönlichkeit machte, war in all seinen Zügen viel zu sehr von den politischen Zeitumständen geprägt, um auf die weitere Friedrich-Rezeption dauernden Einfluß auszuüben. Entscheidend dafür wurde vielmehr, daß nach dem Scheitern dergroßdeutschen Einigungsbewegung von 1848 die Liberalen in ihrer Mehrzahl in das „kleindeutsche“ Lager einrückten und ungeachtet aller erlittenen Enttäuschungen ihre Hoffnungen auf Preußen fixierten, die von ihnen ersehnte Einheit Deutschlands unter Ausschluß Österreichs zu verwirklichen. In dieser Perspektive politischer Erwartung unterlag auch das bisherige Bild, das sich die Liberalen von Friedrich II. gemacht hatten, einer dramatischen Wandlung: Aus dem einstigen Philosophen auf dem preußischen Thron wurde nun ein deutscher Held, dessen Lebenswerk im Dienst der politischen Einigung Deutschlands gestanden habe! Der Roi philosophe aus Sanssouci verschwand hinter dem deutschen Machtpolitiker aus Potsdam.

Dieser Wandel des Friedrich-Bildes war allerdings schon vor der März-Revolution angelegt gewesen. Vor allem die populäre und beim Publikum auch sehr erfolgreiche Lebensdarstellung Friedrichs II. von Franz Kugler (später versehen mit den Illustrationen Adolph Menzels), in der die Taten des preußischen Königs als ursächlich für das Wiedererwachen eines deutschen Nationalgefühls geschildert wurden, leistete hierzu einen lange nachwirkenden Beitrag. Allein diese Anstöße zu einer Revision des Friedrich-Bildes im nationalen Sinne wären sicherlich wirkungslos geblieben, hätten nicht auch die Liberalen nach 1849 die einst von ihnen hochgehaltenen Ideale von Recht und Freiheit weitgehend aufge-geben und sich zu „Realpolitikern“ gemausert, die auf die preußische Macht alle ihre Hoffnungen setzten, damit diese eine Antwort auf die in der 48er Revolution mit allem Nachdruck aufgeworfene deutsche Frage gäbe.

Diese von den liberalen „Realpolitikern“ favorisierte „kleindeutsche“ Lösung bedingte im weiteren eine große Überblendung, der die Beurteilung der Lebensleistung Friedrichs II. in den Jahren vor der Reichsgründung fast völlig unterlag, und zwar dergestalt, daß die liberalen Historiker ihre ureigensten Wünsche und politischen Ziele nicht nur virtuell, sondern auch tatsächlich in der friderizianischen Politik angelegt wähnten, ja, daß ihnen Friedrich II. geradezu als ein Vorkämpfer des kleindeutschen Reichs erschien und von ihnen als ein solcher verherrlicht wurde. Es ist müßig, im einzelnen und besonderen nachzuweisen, wie historisch unhaltbar diese deutsch-nationale Interpretation der friderizianischen Politik ist, die insbesondere von dezidiert kleindeutschen Historikern wie Adolf Schmidt und Ludwig Häusser vor der Reichsgründung von 1871 entwickelt wurde und die danach in Heinrich von Treitschke ihren großen Popularisator fand Bedeutsam daran ist lediglich, daß dieses deutsch-national übermalte Friedrich-Bild, dem nicht zuletzt von Otto Hintze entschieden widersprochen wurde als ein forschungsresistenter Bestandteil der populären Friedrich-Legende fortdauerte. Die Politisierung des Friedrich-Bilds im deutsch-nationalen Sinne, die sich die kleindeutsch-liberale Geschichtsschreibung nach 1849 angelegen sein ließ, provozierte notwendig eine Entgegnung des großdeutsch-katholischen Lagers: Stilisierte jene Friedrich zum deutschen Helden und Ahnherrn eines unter den Schwingen des preußischen Adlers geeinten kleindeutschen Reichs, so mußte den „großdeutsch“ Gesinnten der nämliche preußische König als der große Verderber Deutschlands erscheinen. Als ein solcher figuriert Friedrich II. auch in dem bedeutendsten Geschichtswerk großdeutscher Provenienz, in Onno Klopps „Der König Friedrich von Preußen und die deutsche Nation“, das 1860 erschien Nach Klopps Ansicht war es Friedrich II., der den deutschen Dualismus initiierte, durch den die Einheit des Reiches endgültig zerstört wurde. Diese Entwicklung hatte nach Klopp ihren Ursprung in der völlig rechtlosen Eroberungspolitik Friedrich II., als deren notdürftige Rechtfertigung das preußische Staatsinteresse herhalten mußte, die aber tatsächlich nur dem ruhmsüchtigen Egoismus und dämonischen Machtwillen dieses preußischen Königs entsprungen sei. Das „toujours en vedette“, die „stete Bereitschaft zum Eroberungskriege“ bildeten jenen Komplex, den Klopp mit dem Begriff des „Fridericianismus" zu fassen suchte und der ihm zufolge zum „inhärierenden Prinzip“ der gesamten preußischen Politik avancierte — ein Prinzip, das laut Klopp für alles Unglück in der deutschen Geschichte seit 1740 verantwortlich zu machen war und das er folgendermaßen definierte: „Es ist nach außen das Streben der Eroberung, welches keine Grenze findet an einem moralischen Wollen, sondern lediglich an dem physischen Können. Es ist nach innen das Prinzip des militärischen Absolutismus, als der steten Bereitschaft zum Eroberungskriege. Es ist endlich nach beiden Seiten hin dasjenige der Täuschung über den eigentlichen Zweck und der Verhüllung desselben durch das Vorgeben anderer Bestrebungen, die geeignet sind oder scheinen, die Popularität wenigstens derjenigen Menschen zu erwerben, welche die Dinge leichthin an der Oberfläche zu betrachten pflegen.“

IV. Das Friedrich-Bild im wilhelminischen Obrigkeitsstaat

Die heftigen Auseinandersetzungen zwischen den kleindeutsch-preußisch und den großdeutsch-katholisch gesinnten Historikern um Friedrich II., die in erster Linie von den unterschiedlichen deutschlandpolitischen Zielprojektionen beider Lager beeinflußt wurden, kamen nach dem deutsch-deutschen Krieg von 1866, dessen für Preußen siegreicher Ausgang von Klopp als ein posthumer Erfolg Friedrich II., als der endgültige Triumph des „Fridericianismus“ und damit als das Ende der deutschen Geschichte schlechthin interpretiert wurde, zu einem raschen Ende: Mit Bismarcks Reichsgründung von 1871 schienen endgültig jene Wechsel eingelöst worden zu sein, die Friedrich II. einst auf die Zukunft Preußens und Deutschlands ausgestellt hatte, war das Gebäude errichtet, zu dem dieser preußische König die Fundamente gelegt hatte.

Diese den Zeitgenossen Bismarcks ganz selbstverständliche nationale Gewißheit beeinflußte auch das Friedrich-Bild der Wilhelminischen Ära, das in Reinhold Kosers großer Biographie seinen repräsentativen Ausdruck fand Die deutschnationale Tendenz, die das Friedrich-Bild der klein-deutschen Historiker beeinflußte, ist bei Koser weitgehend in den Hintergrund getreten, ohne indes völlig zu verschwinden. So unterschlägt Koser zwar keineswegs das Motiv persönlichen Ehrgeizes, das für Friedrich II. bei der Anzettelung des Ersten Schlesischen Krieges eine ganz entscheidende Rolle spielte, aber gleichzeitig ist er dennoch bestrebt, diesen Ehrgeiz zu idealisieren und damit zu rechtfertigen, indem er schreibt: „Es war ein Ehrgeiz, beglaubigt durch die Weihe der Kraft und geadelt vor allem dadurch, daß er sich erwärmte an der heiligen Flamme der Vaterlandsliebe. Denn unzertrennlich von dem persönlichen Ehrgeiz war in Friedrichs Brust die edle Leidenschaft, seinem Volk vor Europa Achtung zu verschaffen ..., sein Preußen einzuführen in die Reihe der großen Mächte.“ Dieser Veredelungsversuch des königlichen Ehrgeizes, dessen Triebfeder jenes berühmte „Rendezvous mit dem Ruhm“ war, zu dem Friedrich II.seine Offiziere zu Beginn des Feldzuges einlud, ist nicht nur als Poesie schlecht, sondern auch nachweislich falsch, insofern damit diesem preußischen König ein deutsches Nationalgefühl imputiert wird, das ihm und seiner Zeit noch völlig fremd war, in dem sich aber andererseits eine nationale Stimmung ausspricht, in der die Wilhelminische Gesellschaft schwelgte und in die Kosers gesamte Darstellung getaucht ist.

In dem Maße aber, wie die von den älteren klein-deutsch-liberalen Historikern entwickelte Deutung von der deutschen Sendung Preußens, in deren Dienst angeblich die Politik Friedrichs II. gestanden habe, als unhaltbar erwiesen wurde, unterlag die Gestalt des Königs einer ethischen und moralischen Verklärung, suchte man in der Formel von dem „kategorischen Imperativ seiner Königspflicht“ (Koser) nicht nur die immer deutlicher zu Tage geförderten Widersprüche in seiner Persönlichkeit, sondern auch die Gegensätzlichkeit seines Denkens und Handelns zusammenzuzwingen und zu rechtfertigen. Daß er sein ganzes Leben der „Pflicht“ zum Opfer gebracht, sich wahrhaft als der „erste Diener seines Staates“ verzehrt habe, wurde nun im zeitlichen wie kausalen Zusammenhang mit Bismarcks Sozialgesetzgebung zum tragenden Motiv der These vom „sozialen Königtum“ der Hohenzollern, wie sie vor allem von Otto Hintze entwickelt wurde: „Indem er sich selbst wiederholt als den ersten Diener oder Beamten des Staates bezeichnete, gab er als der erste Fürst der Weltgeschichte dem modernen Gedanken Ausdruck, daß der Monarch ein Organ der über ihm stehenden Staatspersönlichkeit sei. Aus dieser Auffassung des Fürstenamtes quoll ihm jenes echt preußische Pflichtgefühl, das dem kategorischen Imperativ des großen Königsberger Denkers innerlich verwandt ist. So ist Friedrich der Hauptvertreter des aufgeklärten Absolutismus geworden, den man als die Vorstufe unseres modernen Rechts-und Verfassungsstaates bezeichnen kann. Es handelt sich aber bei ihm nicht um die Verwirklichung doktrinärer Ideale der Aufklärung, sondern um rein praktische Ziele, vor allem um die Macht und Größe seines Staates und die Wohlfahrt seiner Untertanen, die er nicht bloß im materiellen Sinne faßte.“

Mit der von ihm entwickelten These, daß Friedrichs II. gesamtes politisches Handeln gewissermaßen von der sittlichen Idee des Staates überwölbt gewesen sei — eine Anschauung, die als der Kern des „echt preußischen Pflichtgefühls“ ausgegeben wurde —, schuf der spezifisch borussische Historismus ein Friedrich-Bild, das dem Gedanken eines als vorbildlich schlechthin gesetzten Preußentums die Weihen vermeintlicher historischer Rechtfertigung lieferte. Diese borussische Ideologie auszugestalten, den der auf einen hegelianisch durchherrschten Historismus heruntergekommene deutsche Idealismus sich angelegen sein ließ, hat mittelbar erheblich zur deutschen Misere im 20. Jahrhundert beigetragen, insofern er sich jeweils damit begnügte, die widersprüchliche Wirklichkeit des Wilhelminischen Obrigkeitsstaates als historisch notwendig zu verklären und damit kritiklos zu rechtfertigen.

Nietzsche hat die Gefahren dieser Verklärungsarbeit früh durchschaut als er gegen Hegel den Vorwurf erhob, er habe „in die von ihm durchsäuerten Generationen jene Bewunderung vor der , Macht der Geschichte* gepflanzt, die praktisch alle Augenblicke in nackte Bewunderung des Erfolgs umschlägt und zum Götzendienst des Tatsächlichen führt: für welchen Dienst man sich jetzt die sehr mythologische und außerdem recht gut deutsche Wendung , den Tatsachen Rechnung tragen allgemein eingeübt hat“

Allein, jene aus durchaus wissenschaftlicher Kärrnerarbeit hervorgegangene borussische Ideologie, mit der das vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs von den Historikern entwickelte Friedrich-Bild grundiert wurde, war in ihrer Wirkung auf die breite Öffentlichkeit zunächst sehr begrenzt. Wirklich bedeutsam wurde diese Ideologie erst dadurch, daß sie das geistige Unterfutter für jene „konservative Revolution“ lieferte, die sich an der Kritik des platten Materialismus und der Dekadenz der Wilhelminischen Epoche entzündete und die den Ausbruch des Krieges als „Reinigung“ und „Nationale Wiedergeburt“ feierte: Das von der borussischen Geschichtsschreibung idealisierte friderizianische Preußen diente den Protagonisten dieser „konservativen Revolution“ als Vorbild für die eigenen autoritären Ziele und reaktionären Wertsetzungen wie Bindung statt Freiheit, Gliederung statt Gleichheit, Volk und Aristokratie statt Masse und Demokratie sowie Kultur statt Zivilisation, die sie den sogenannten „Ideen von 1789“, dem zutiefst verabscheuten Rationalismus und Liberalismus des westlichen „freimaurerisch-republikanischen Rhetor-Bourgeois“ (Thomas Mann) entgegenstellten.

Als der mit großem Abstand einflußreichste Wortführer dieser „konservativen Revolution“ von 1914 kann Thomas Mann gelten. Sein in den Kriegsjahren gezeichnetes Bild Friedrichs II. als eines zugleich tragisch-heroischen und böse-dämonischen Menschen, das aber keineswegs negativ gemeint war sollte für die künftige populäre Friedrich-Literatur exemplarische Bedeutung bekommen. Diese langanhaltende Wirkung des von Thomas Mann entwickelten Friedrich-Bildes ist vor allem damit zu erklären, daß er als erster die borussische Preußen-Legende (die im wesentlichen eine Friedrich-Legende war) mit der heroischen Lebensphilosophie Nietzsches und der daraus abgeleiteten Zivilisationskritik amalgamierte.

Mit seinem im September 1914 publizierten Aufsatz „Gedanken im Krieg“ lieferte Thomas Mann eine erste, seinerzeit vielbeachtete Probe auf jene ihm vorschwebende Synthese von Geist und Macht: „Und Deutschland ist heute Friedrich der Große. Es ist sein Kampf, den wir zu Ende führen, den wir noch einmal zu führen haben ... Es ist auch seine Seele, die in uns aufgewacht ist, diese nicht zu besiegende Mischung von Aktivität und durchhaltender Geduld, dieser moralische Radikalismus, der ihn den anderen so widerwärtig zugleich und entsetzlich, wie ein fremdes und bösartiges Tier, erscheinen ließ“. Dementsprechend geht es für Thomas Mann in diesem Kampf vor allem darum, gegen „englische Humanitätsgleisnerei und französische Damennaivität“ die deutsche Seele — deren Wesen sozusagen mit dem „Geist von Potsdam“ gleichgesetzt wird — zu verteidigen: „Es ist wahr: der deutschen Seele eignet etwas Tiefstes und Irrationales, was sie dem Gefühl und Urteil anderer, flacherer Völker störend, beunruhigend, fremd, ja widerwärtig und wild erscheinen läßt. Es ist ihr , Militarismus*, ihr sittlicher Konservatismus, ihre soldatische Moralität, — ein Element des Dämonischen und Heroischen, das sich sträubt, den zivilen Geist als letztes und menschenwürdigstes Ideal anzuerkennen.“

Diese platte Identifikation des wilhelminischen Deutschen Reichs mit dem der borussischen Legende abgeschauten und nietzscheanisch dämonisierten „Fridericianismus", mit der die Wirklichkeit des Deutschen Reiches mindestens so sehr mißverstanden wurde wie sie der Philosophie Nietzsches Gewalt antat — die aber gerade deswegen in der deutschen Kriegspropaganda, wenngleich vergröbert, vielfach nachgeahmt wurde —, baute Thomas Mann im zweiten Teil seines 1915 publizierten Essays „Friedrich und die Große Koalition“ noch weiter aus: Der Siebenjährige Krieg, den Friedrich II. führte, wird hier insgesamt in eine Analogie zum Krieg des deutschen Kaiserreichs gesetzt — ein äußerst fragwürdiges Verfahren, das Thomas Mann aber vor dem Hintergrund der populären Friedrich-Legende gerade jene apologetischen Möglichkeiten eröffnete, auf die es ihm bei seiner Auseinandersetzung mit den „Zivilisationsliteraten“ in erster Linie ankam.

V. Die „Karriere“ Friedrichs als nationale Reklamefigur

Vor allem dieser ebenfalls auf große Resonanz stoßende Essay Thomas Manns war es, der das Friedrich-Bild in den zwanziger und dreißiger Jahren nachdrücklich beeinflußte. Von fataler Wirksamkeit erwiesen sich hier aber weniger die auf einem übersteigerten Nationalismus basierenden Parallelen — die Thomas Mann beispielsweise zwischen dem. Überfall Friedrichs auf das neutrale Sachsen zu Beginn des Siebenjährigen Krieges und der Invasion des neutralen Belgiens durch deutsche Truppen im Jahre 1914 zog und damit diesen Völkerrechtsbruch als notwendig rechtfertigte —, als vielmehr, daß er den Krieg Friedrichs als eine „Probe auf das Schicksal“ darstellte und damit implizierte, daß weder eine internationale Rechtsordnung noch eine irgendwie irdische Gerechtigkeit das Recht Preußens oder des Deutschen Reiches erweise, sondern einzig und allein der Ausgang des Krieges: „Nur wenn sich durch den Erfolg herausstellte, daß er der Beauftragte des Schicksals war, nur dann war er im Recht und immer im Rechte gewesen. Jede Tat, die diesen Namen verdient, ist ja eine Probe auf das Schicksal, ein Versuch, Recht zu schaffen, Entwicklung zu verwirklichen und die Fatalität zu lenken“.

Mit dieser Vulgarisierung eines auf Hegel zurückgehenden Gedankens, daß einzig der Erfolg darüber entscheide, was Recht sei, öffnete Thomas Mann die Pandorabüchse einer nationalistischen Agitation, die sich künftig stets auf das Beispiel Friedrichs II. berufen sollte, um ihr Credo zu verkünden, daß allein der Erfolg im Mit-und Gegeneinander der Völker entscheide und daß dieser sich auch unzweifelhaft einstellen werde, erstrebte man ihn nur mit jener Rücksichtslosigkeit gegen sich und andere, wie dies der preußische König getan habe.

Die gleichsam dämonische Absicherung dieser ebenso fragwürdigen wie verderblichen Argumentation lieferte Thomas Mann mit einem anderen, ebenfalls der Geschichtsphilosophie Hegels entlehnten Gedanken, den er aber mit seinem Nietzsche-Erlebnis, das sich für ihn im Begriff des Opfers erfüllte, verblendete. Indem er Friedrich II. ein überpersonales Daimonion attestierte, das sein Handeln wie sein Leben bestimmt habe und das er als „eine durchaus deutsche Denkbarkeit“, geradezu als „Drang des Schicksals“, als „Geist der Geschichte“ qualifizierte, ließ er seinen Essay „Friedrich und die Große Koalition“ mit den folgenden Sätzen ausklingen: „Er war ein Opfer. Er meinte zwar, daß er sich geopfert habe: seine Jugend dem Vater, seine Mannesjahre dem Staate. Aber er war im Irrtum, wenn er glaubte, daß es ihm freigestanden hätte, es anders zu halten. Er war ein Opfer. Er mußte Unrecht tun und ein Leben gegen den Gedanken führen, er durfte nicht Philosoph, sondern mußte König sein, damit eines großen Volkes Erdensendung sich erfülle“. Ebenso wie Friedrich unterlag nach Thomas Mann auch Deutschland, die ganze deutsche Geschichte dem Fatum des Tertium non datur,konnte es nicht anders als siegen — oder untergehen und damit aus der weiteren Geschichte verschwinden.

Dieser eine Gedanke, keine wirkliche Wahlfreiheit zu haben, durchherrscht auch trotz aller „oppositionellen“ Zweifelsbekundungen „an Deutschlands Berufenheit zur Großen Politik und imperialer Existenz“ Thomas Manns großen Essay „Bekenntnisse eines Unpolitischen“, der 1918 erschien und in dem es heißt: „Der Heroismus Deutschlands, unbestimmbar seiner Natur nach als Angriff oder Verteidigung, schien freilich ganz und gar kein Heroismus der Schwäche, sondern strotzender Kraft; und doch war es derselbe Heroismus noch immer, der die ganze Werdensgeschichte dieses unwahrscheinlichen und dennoch so überaus wirklichen Reiches durchzog — dieses Reiches, in dem Politik zu machen aus äußeren wie aus inneren Gründen beinahe unmöglich ist und das dennoch durch seine Kraft, Tüchtigkeit, Modernität zu großen Unternehmen, großer Politik verpflichtet —, dieses Volk, das, wie Hamlet, zur Tat nicht eigentlich geboren, aber unausweichbar berufen war. Berufen sein, sei es zu einem Wissen oder einer Tat, zu der man nicht geboren ist, das schien mir immer der Sinn des Tragischen .. ,“ Wo auf Tragik erkannt wird, ist Geschichte als prüfende Instanz verantwortlichen Handelns abgeschafft, waltet nur noch die willkürliche Notwendigkeit des blinden Zufalls oder jene „Vorsehung“, auf die sich Hitler dann stets und gern berufen sollte.

Insgesamt läßt sich die Argumentation dieser drei während des Ersten Weltkrieges entstandenen politisch-historischen Essays, die alle mehr oder minder eindeutig die Gestalt Friedrichs II. umkreisen, „dessen Taten und Leiden all dies in die Wege geleitet...“, wie Thomas Mann in den „Bekenntnissen eines Unpolitischen“ selber offen-barte als anti-historisch und irrational qualifizieren; eben das aber machte ihren Reiz, ihre Attraktion, ihre verführerische Kraft aus, die sie insbesondere auf das in seinem Selbstwertgefühl durch den verlorenen Krieg, die Inflation und die anhaltenden innenpolitischen Spannungen und wachsenden Unübersichtlichkeiten der Weimarer Republik erschütterte Bürgertum ausübten. Allerdings verwahrte sich Thomas Mann dagegen, dieses ideologische Falschgeld, dessen Prägestempel er geschnitten hatte, auch selbst auszumünzen; derlei lag einem Repräsentanten fern, das besorgten andere, die mit ihren Friedrich-Dramen, Romanen und Filmen während der zwanziger Jahre große Konjunktur hatten: Herrmann von Boettichers Drama „Friedrich der Große“, Walter von Molos Roman „Fridericus“ oder auch dessen Drama „Ordnung im Chaos“, Ernst Geyers Schauspiel „Fritzische Rebellion“ und nicht zuletzt auch Reinhold Schneiders wohl fragwürdigstes Buch „Die Hohenzollern" sind hier als die wichtigsten Beispiele für jene Friedrich-Literatur zu nennen, die ganz in der Nachfolge der von Thomas Mann entwickelten tragisch-heroischen Friedrich-Interpretation stehen auch wenn sie an diese weder in literarisch-stilistischer noch intellektueller Hinsicht heranreichen. Andererseits war aber gerade diese Vulgarisierung der von Thomas Mann entfalteten Sichtweise entscheidend für die Popularität dieser Friedrich-Literatur, die zusammen mit den Fridericus-Filmen des Hugenberg-Konzerns der Herausbildung eines neuen, extrem politischen Friedrich-Mythos’ Vorschub leistete. Dieser Friedrich-Mythos der Weimarer Republik war im Gegensatz zu seinem wilhelminischen Vorgänger jedoch nicht mehr affirmativ, sondern stellte die derzeitige Wirklichkeit um einer künftigen, von diesem Mythos erst noch zu schaffenden Wirklichkeit willen nachdrücklich in Frage. Kern dieses Mythos’ war die tragisch-heroische Glorifizierung einer übermenschlichen Führergestalt, die in der zeitgemäßen Kostümierung des „einfachen Weltkriegs-Gefreiten“ schon in der Kulisse für ihren Auftritt bereitstand. In seinen „Spandauer Tagebüchern“ notierte Albert Speer unter dem 25. Dezember 1946: „Wir alle waren fasziniert von überragenden historischen Persönlichkeiten, und wenn einer auch nichts davon war, es vielmehr nur mit einigem Geschick prätendierte, lagen wir schon auf dem Bauch. So im Falle Hitler. Ich glaube, ein Teil seines Erfolges beruhte auf der Dreistigkeit, mit der er vorgab, ein großer Mann zu sein.“

Diese von „überragenden historischen Persönlichkeiten“ ausgehende Faszination, für die nicht zuletzt auch der Historismus das Material geliefert hatte wurde von den Nazis mit großem propagandistischem Geschick für ihre verbrecherischen Zwecke ausgenutzt. Der völlig zu Recht berühmte „Tag von Potsdam“, jene von Goebbels inszenierte Ikone nationalsozialistischer Traditionsergreifung, als sich am 21. März 1933 Reichskanzler Hitler und Reichspräsident Hindenburg — der „Gefreite“ und der „Feldmarschall" — an der Bahre Friedrichs II. die Hand reichten — ein Akt, der den neuen Bund zwischen Nationalsozialisten und Preußentum in den Augen vieler symbolisch besiegelte und der Hitler mit der Aureole Friedrichs II. umgab —, setzte den Maßstab: Wie auf anderen Feldern, so schuf auch hier der Nationalsozialismus nichts prinzipiell Neues; vielmehr bediente er sich nur mit größtem Geschick jener preußischen Legende, die längst unabhängig von seiner Einflußnahme entstanden war.

Deshalb läßt sich dieser Vorgang auch kaum als Mißbrauch irgendwelcher „wahrer“ preußischer Traditionen durch den Nationalsozialismus qualifizieren, wie dies häufig gesagt wird, da dieser Mißbrauch längst von jenen begangen worden war, die diese preußische Legende, den Mythos Friedrichs II., für ihre jeweiligen politischen Zwecke entwickelt hatten. Ganz entsprechend verhält es sich auch mit dem Bild, das Hitler und seine Paladine von Friedrich II. hatten und das jeglicher Originalität entbehrt: In seinen wesentlichen Zügen stimmt es durchaus mit jenem Bild des preußischen Königs überein, das in den zwanziger Jahren in Vergröberung der von Thomas Mann gelieferten Entwürfe zur nationalen Reklamefigur geworden war und das in der Erscheinung des Ufa-Schauspielers Otto Gebühr in geradezu parodistischer Vollkommenheit personifiziert wurde

VI. Wachsende Entfernung — Friedrich II. von Preußen nach 1945

Das Pendel der Friedrich-Vergötzung und der Preußen-Verherrlichung, das unter dem Einfluß der von den Nationalsozialisten fortgeführten älteren nationalen Propaganda besonders weit nach einer Seite hin ausgeschlagen war, schwang — wie leicht erklärlich — nach 1945 mit großer Heftigkeit in die andere Richtung: Nicht wenige erkannten nun in Friedrich II.den Dämon der deutschen Geschichte, hielten ihn gar für die Inkarnation der deutschen Misere, für einen der Hauptschuldigen an dem Weltgericht, das über dem in Schutt und unendlichem Leid versunkenen Deutschland hereingebrochen war. Und nicht wenige auch erachteten beispielsweise den Überfall Friedrichs auf Schlesien, den man in der Nachfolge Thomas Manns nicht müde geworden war als kühnen Frevel zu feiern, nunmehr als den großen Sündenfall der deutschen Geschichte, mit dem der Knoten zu allem weiteren Unheil geschürzt worden war: Diese Tat habe das Beispiel gegeben für den Einfall Wilhelms II. in das neutrale Belgien und für den Überfall Hitlers auf Polen. Alles, an was man geglaubt, dem man Verehrung und Bewunderung gezollt hatte, war nun nur noch ein besudelter Götze. Das vermeintliche Vorbild Friedrich II., so schien es vielen, hatte einen schrecklichen Irrweg gewiesen, an dessen Ende man nun gelangt war. In seinem unmittelbar nach Kriegsende entstandenen bedeutenden Essay hat Otto Heinrich v. d. Gablentz dies konstatiert: „Der borussische Machiavellismus ist seit Friedrich die Geheimreligion des preußischen Staates, selten bewußt und darum besonders verderblich. Darum sind alle Ansätze zur Volkserziehung, zu Selbstverwaltung im Inneren, zur Eingliederung in eine deutsche oder europäische Staatengemeinschaft, so schöne Blüten sie gezeigt haben, letztlich unfruchtbar geblieben.“

Alle Ansätze aber zu einer kritischen und vom Lichte der gemachten Erfahrungen beschienenen Betrachtung Friedrichs und Preußens verliefen jedoch rasch im Sande. In dem Maße, wie in der jungen Bundesrepublik die restaurativen Tendenzen in Gesellschaft und Staat an Boden gewannen, erfreuten sich auch die überkommenen Urteile über Friedrich II. und Preußen neuerlicher Wertschätzung und Anerkennung. Bereits 1961 konnte der bundesrepublikanische „Oberborusse“ Walther Hubatsch gelegentlich eines auf der Burg Hohenzollern gehaltenen Festvortrags vermelden: „Preußens Leistung in der deutschen Geschichte ist vom Standpunkt der strengen Fachhistorie her gesehen heute eigentlich kein echtes Problem mehr. Wenn auch diese Leistung nicht unumstritten ist und einen vielseitigen Charakter hat, so sind deren wirkliche Werte doch völlig in die Gegenwart eingegangen und von ihr aufgenommen worden, sofern es überhaupt eine historische Kontinuität gibt.“

In der DDR-Geschichtsschreibung hingegen läßt sich im Falle Friedrich II. eine — verglichen mit der Bewertung anderer bedeutender historischer Persönlichkeiten wie Luther oder Bismarck — auffallend starke Kontinuität eines negativen Urteils feststellen ein Eindruck, dem gewisse Nuancierungen — vor allem seine Leistungen auf wirtschaftlichem Gebiet werden zunehmend positiver gewürdigt — keinerlei Abbruch tun können. Die Biographie Friedrichs II., die von Ingrid Mittenzwei 1980 vorgelegt wurde, weicht von dieser Generallinie lediglich insofern ab, als sie jene von der DDR-Historiographie lange Zeit vertretene These einer direkten Verbindung von Friedrich über Bismarck zu Hitler derart differenziert, daß bei ihr nur noch von einer gebrochenen Kontinuität die Rede ist. Aufschlußreich für das derzeit in der DDR gültige, aller falschen Idealisierungen konsequent entkleidete Bild Friedrich II. ist die abschließende Beurteilung, die dieser preußische König in Mittenzweis Biographie erfährt: „Das faschistische Deutsche Reich mußte untergehen und in seinem Sog die Reste jenes alten Preußen mitziehen, ehe — zumindest in einem Teil des ehemaligen Deutschland — Friedrich 11. auf die normale Größe eines Herrschers aus dem 18. Jh. zurückgeführt werden konnte; normal nicht in dem Sinne, daß er das Niveau deutscher Fürsten-herrlichkeit nicht überschritten hätte — das tat er —, sondern in seiner Gebundenheit an die Zeit und die Klasse, deren Repräsentant er war.“

Verglichen mit der DDR ist das Interesse an der Gestalt Friedrichs sowohl in der bundesrepublikanischen Geschichtsschreibung der letzten Jahre als auch in der breiteren Öffentlichkeit eher rückläufig. Daran änderte auch die umfassende Preußen-Renaissance wenig, die 1980/81 abrupt einsetzte und in deren Verlauf auch wieder zahlreiche Versatzstücke jener Preußen-Legende emporgeschwemmt wurden, die man längst auf dem Schutthaufen der kompromittierten Geschichtsmythen deponiert glaubte. Wie fern und fremd im übrigen Friedrichs II.selbst jenen geworden war, bei denen noch am ehesten eine innere Beziehung zu seinem historischen Lebenswerk zu vermuten ist, zeigte der Umstand, daß Mitte der siebziger Jahre „Der Schlesier“, das Verbandsorgan der Schlesischen Landsmannschaft, sich nicht entblödete, in einer nur flüchtig bearbeiteten Fassung, aber gleichwohl unter anderem Verfassernamen, die aus der Feder des preußischen Offiziers Archenholtz, eines Zeit-und Kampfgenossen Friedrich II., stammende „Geschichte des Siebenjährigen Krieges“ unter dem Titel „Fridericus erobert Schlesien“ in Fortsetzungen wieder abzudrucken. Nein, Friedrich II. eignet sich heute nicht mehr als politische Identifikationsfigur für breitere Schichten oder gar als eine Schablone für nationalistische Rattenfänger. Und hinsichtlich der fach-wissenschaftlichen Beschäftigung mit seiner Person ist, so hat es zumindest den Anschein, mit Theodor Schieders großer und differenzierter Biographie, mit der noch einmal an einem ihm würdigen und auch von ihm bereits vielfach erprobten Gegenstand alle Möglichkeiten wie alle methodischen Schwächen des Historismus eindrucksvoll demonstriert wurden, das für unsere Zeit wohl letzte Wort über Friedrich II. gesprochen worden 47).

So mag man denn auch diesen preußischen König — hüben wie drüben — wieder auf jene Denkmale setzen, von deren Sockeln man ihn einst entfernte und ihm jene historische Größe zuerkennen, auf die er unstreitig Anspruch hat. Dies zu tun heißt aber auch, ihn endlich und endgültig aus jener falschen Zeitgenossenschaft, aus der widrigen politischen Vorbildrolle zu entlassen, in deren fatale Pflicht ihn die Legende so lange genommen hat.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zu nennen wären vor allem: Karl Erich Born, Der Wandel des Friedrich-Bildes in Deutschland während des 19. Jahrhunderts, Köln 1953; Helga Karrer, Die Gestalt Friedrich des Großen in der Deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts, Fribourg 1973; Walter Bussmann, Friedrich der Große im Wandel des europäischen Urteils, in: Werner Conze (Hrsg.), Deutschland und Europa. Festschrift für Hans Rothfels Köln, 1951; Stephan Skaiweit, Das Problem von Recht und Macht und das historiographische Bild Friedrich des Großen, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 2 (1951), S. 9I— 106; seit langem angekündigt, aber bislang noch nicht erschienen: Henning Herzeleide, Bibliographie zur Geschichte der preußischen Könige, Bd. 1: Bibliographie zur Geschichte Friedrich des Großen.

  2. Zit. bei George P. Gooch, Friedrich der Große, 1951, S. 121.

  3. Otto Hintze, Die Hohenzollern und ihr Werk, Berlin 19169, S. 396.

  4. Otto Hintze (Anm. 3), S. 398 f.

  5. Zit. bei Heinrich von Treitschke, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, Bd. 1, Leipzig 1879, S. 48.

  6. Konrad Schwarze, Der Siebenjährige Krieg in der zeitgenössischen deutschen Literatur, Berlin 1936, S. 142.

  7. Vgl. Helga Karrer, Die Gestalt Friedrichs des Großen (Anm. 1), S. 7— 10. Zum Verhältnis Lessings zu Friedrich II. vgl. insgesamt: William R. Gaede, Wie dachte Lessing über Friedrich II.?, in: Journal of English and German Philology, XXXV (1936), S. 546— 565.

  8. Friedrich von Schiller, Werke, Nationalausgabe, Weimar, 1954, Bd. 16, S. 494 (Brief vom 14. 10. 1788).

  9. Schiller (Anm. 8), (Brief v. 10. 3. 1789).

  10. Schiller (Anm. 8), S. 497 (Brief v. 28. 11. 1791).

  11. Immanuel Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung, Werke, hrsgg. von Wilhelm Weischedel, Wiebaden 1964, Bd. 6, S. 60.

  12. Immanuel Kant (Anm. 11), S. 61.

  13. Ernst Moritz Arndt, Geist der Zeit, in: Werke, hrsgg. v. W. Steffens, Berlin o. J., Bd. 6, S. 142— 143.

  14. Ebenda, S. 144.

  15. Vgl. Ernst Moritz Arndt, Briefe, hrsgg. v. A. Dühr, Darmstadt 1973, Bd. 2, S. 164— 167 (Schreiben Arndts an den preußischen Staatskanzler Hardenberg v. 6. 10. 1821).

  16. Ernst Moritz Arndt, Geist der Zeit (Anm. 13), S. 147 f.

  17. Zu Wilhelm von Humboldt vgl. Peter R. Sweet, Wilhelm von Humboldt, A Biography, Columbia 1980, Bd. II, S. 140— 143.

  18. Vgl. Karl Erich Born, (Anm. 1), S. 10 ff.

  19. Ausführlich dazu Karl Erich Born, ebda., S. 21— 28.

  20. Leopold v. Ranke, Zwölf Bücher Preußischer Geschichte, Akademie-Ausgabe, hrsgg. v. G. Küntzel, München 1930, Bd. 2, S. 536.

  21. Franz Kugler, Geschichte Friedrich des Großen, Berlin 1840 (1. Auflage).

  22. Adolf Schmidt, Preußens deutsche Politik 1785, 1806, 1849, Berlin 1867 3, und Ludwig Häusser, Deutsche Geschichte vom Tode Friedrichs des Großen bis zur Gründung des Deutschen Bundes, Leipzig 1854, Bd. 1; zu Schmidt und Häusser vgl. Karl Erich Born (Anm. 1), S. 78— 88.

  23. Vgl. Heinrich von Treitschke, Deutsche Geschichte, Bd. 1 (Anm. 5).

  24. Otto Hintze, Die Hohenzollern (Anm. 3), S. 395.

  25. Die zweite, erweiterte Auflage von 1867 trägt den Titel: Der König Friedrich II. von Preußen und seine Politik.

  26. Onno Klopp, Der König Friedrich IL, Schaffhausen 1860 S. 541.

  27. Reinhold Koser, Friedrich der Große als Kronprinz, Stuttgart 1886; ders., König Friedrich der Große, Stuttgart 1893 und 1903, 2 Bde.

  28. Reinhold Koser, Friedrich der Große, Volksausgabe, Stuttgart 1913, S. 77.

  29. Otto Hintze, Die Hohenzollern (Anm. 3), S. 400.

  30. Friedrich Nietzsche, Unzeitgemäße Betrachtungen II. Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben, Werke, Kritische Gesamtausgabe, hrsgg. v. G. Colli u. M. Montinari, Berlin—New York 1972, 3. Abtl., Bd. 1, S. 305.

  31. Vgl. dazu Thomas Manns Erläuterungen in seiner 1916 geschriebenen Buchbesprechung: Carlyle’s „Friedrich“, in: Ges. Werke, Frankfurt 19742, Bd. 10, S. 568.

  32. Thomas Mann, Gedanken im Kriege, in: Ges. Werke, Bd. 13, S. 533f.

  33. Thomas Mann, ebda., S. 545.

  34. Thomas Mann, Friedrich und die Große Koalition, in: Ges. Werke, Bd. 10, S. 122— 123.

  35. Thomas Mann, ebda., S. 135.

  36. Thomas Mann, Bekenntnisse eines Unpolitischen, in: Ges. Werke, Bd. 12, S. 33.

  37. Thomas Mann, ebda., S. 148.

  38. Thomas Mann, ebda.

  39. Vgl. die ausführliche Erörterung dieser Werke bei Helga Karrer, Die Gestalt Friedrichs des Großen (Anm. 1), S. 103— 116 und 175— 193.

  40. Albert Speer, Spandauer Tagebücher, Berlin 1975, S. 52.

  41. Vgl. u. a. Gerhard Ritter, Friedrich der Große. Ein historisches Profil, Berlin 1936.

  42. vgl. Konrad Barthel, Friedrich der Große in Hitlers Geschichtsbild, Frankfurter Historische Vorträge, Heft 5. 1977.

  43. Otto Heinrich v. d. Gablentz, Die Tragik des Preußentums, München 1948, S. 46.

  44. Walther Hubatsch, Hohenzollern in der Geschichte, Köln 1961, S. 31.

  45. Vgl. Peter Meyers, Friedrich II. von Preußen im Geschichtsbild der SBZ/DDR. Ein Beitrag zur Geschichte der Geschichtswissenschaft und des Geschichtsunterrichts in der SBZ/DDR, Studien zur internationalen Schulbuchforschung, Schriftenreihe des Georg-Eckert-Instituts, Braunschweig 1983, Bd. 35, S. 124— 175.

  46. Ingrid Mittenzwei, Friedrich II. von Preußen, Köln 1980, S. 211.

Weitere Inhalte

Johannes Willms, Dr. phil., geb. 1948; Journalist. Veröffentlichungen u. a.: Nationalismus ohne Nation. Deutsche Geschichte 1789— 1914, Düsseldorf 1983, Fischer-Taschenbuch 1985.