Kommunale Demokratie in der Umweltpolitik Neue Beteiligungsmodelle
Peter Henning Feindt
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Zusammenfassung
Neue, diskursive Beteiligungsmodelle liegen jenseits der Kontroverse um repräsentative oder direkte Demokratie. Als Foren auf Zeit, die den politischen Entscheidungsprozeß um Prozesse allgemeiner, öffentlicher Beratung ergänzen, besitzen sie ein großes Potential im Bereich der gesellschaftlichen Problemwahrnehmung, der konsensualen Konfliktregelung, der transparenten Netzwerkbildung und der partizipativen Projektentwicklung. In den letzten Jahren sind zahlreiche solcher Verfahren vorgeschlagen und vor allem im Bereich der kommunalen Umweltpolitik insgesamt erfolgreich erprobt worden. Sie weisen erhebliche Variationen auf im Hinblick auf ihre Kommunikationsformen nach innen und außen, Teilnehmerauswahl, Rolienverständnisse und inhaltliche Reichweite. Der Beitrag liefert einen Überblick über die wichtigsten dieser Modelle: Mediation, Konsensuskonferenzen und partizipative Technikfoigenabschätzung, Planungszelle, Mehrstufiges Dialogisches Verfahren, kooperativer Diskurs, Stadtforen, Energie-Tische, partizipative Umweltverträglichkeitsprüfung, partizipatives Öko-Audit und Community Advisory Panels (Nachbarschaftsforen). Da unabhängige Evaluationen noch kaum vorliegen, soll den Leserinnen und Lesern ein Vergleich der Modelle unter Demokratiegesichtspunkten anhand ihrer Verfahrenslogik ermöglicht werden.
I. Einleitung: Bürgerbeteiligung als Kapazitätserweiterung der kommunalen Umweltpolitik
Die neuen Beteiligungsmodelle, die hier vergleichend vorgestellt werden, liegen jenseits der Kontroverse um repräsentative oder direkte Demokratie. Vielmehr stellen sie Foren auf Zeit dar, mit denen die bestehenden Institutionen des politischen Systems und die Öffentlichkeit besser verknüpft werden sollen. Sie sollen einen fairen Dialog und begründungsorientierten Diskurs ermöglichen und damit zur Erfüllung von drei Bedingungen einer erfolgreichen Umweltpolitik beitragen: 1. Problemwahrnehmung und Regelung von Prioritätenkonflikten:Umweltfragen scheitern in Deutschland an der Fünfprozenthürde, wenn man kommunale Funktionsträger aus Politik und Verwaltung oder Bürger nach den wichtigsten Problemen in ihrer Gemeinde fragt. Umweltprobleme werden so nicht gelöst, sondern nur durch Fragen der Gemeindefinanzierung, der wirtschaftlichen Entwicklung und des Verkehrs verdrängt: Sie sind aus Sicht von etwa 90 Prozent der kommunalen Funktionsträger ein Problem, davon für etwa 30 Prozent sogar ein großes Problem. Spannungen zwischen Vertretern von Umweltschutz-und Wachstumsinteressen stellen zudem die größte Konfliktlinie in den Kommunen dar Vermittlung zwischen Experten und Bürgern:
Die Bearbeitung von Umweltproblemen erfordert in der Regel spezifisches Fachwissen in Gestalt von Fachkräften, die sich aber oft nur Behörden und Unternehmen leisten können und denen viele engagierte Bürger daher mit Mißtrauen begegnen. Sie setzen im Gegenzug auf Initiative „von unten“, auf Partizipation und lokales Erfahrungswissen. Handlungsrelevantes Wissen erfordert hingegen die Verschmelzung eines nachvollziehbar vermit-telten Expertenwissens mit Problemwahrnehmungen vor Ort 2. 3. Öffnung von Netzwerken: Etwa zwei Drittel der lokalen Funktionsträger meinen, daß die Hauptzuständigkeit für Umweltfragen bei der Gemeinderegierung liegen sollte. Aber weniger als 40 Prozent halten die kommunale Handlungsfähigkeit in diesem Bereich für ausreichend Offenbar wird auch in der kommunalen Politik die Notwendigkeit für den Ausbau von Handlungskapazitäten für die Umweltpolitik gesehen Tatsächlich setzt die Kommunalpolitik -ganz im Sinne des „kooperativen Staates“ -auch in der Umweltpolitik zunehmend auf die Einbeziehung gesellschaftlicher Akteure in Aushandlungsprozessen, Netzwerken oder einem „personenselektiven Korporatismus . . . das heißt, die Politik wählt gezielt den gesellschaftlichen Kräften verbundene Einzelpersonen aus“ Bürger-beteiligung, die über das gesetzlich Vorgeschriebene hinausgeht, wird dabei zwar vermehrt ange-boten, beschränkt sich aber zumeist auf herkömmliche Formen wie Bürgerversammlungen und Podiumsdiskussionen oder zielt auf die Aktivierung im Rahmen von Stadtmarketingkonzepten. Integration wird vorwiegend über Leitbilder oder spektakuläre Einzelprojekte angestrebt.
Netzwerke und Verhandlungssysteme sind wahl-verwandt mit intransparenten Entscheidungsprozessen; es kommt leicht zu einer Aufspaltung in Insider und Outsider. Um die Entscheidungsprozesse transparenter zu machen, reichen die herkömmlichen Angebote zu Bürgerbeteiligung im repräsentativ-demokratischen Prozeß nicht aus Auch die in fast allen Bundesländern inzwischen auf kommunaler Ebene eingeführten direktdemokratischen Elemente -Bürgerentscheide und Bürgerbegehren -stellen für die Sicherung einer breiten Interessenberücksichtigung in Netzwerken und Verhandlungssystemen -wegen deren informellen Charakters, der förmlichen Entscheidungen kaum zugänglich ist -keinen erfolgversprechenden Ansatz dar.
Mit den neuen, diskursiven Beteiligungsmodellen wird daher versucht, die informellen Prozesse, in denen sich der verhandelnde und argumentierende Staat zunehmend engagiert, mit der fairen Chance zur Teilnahme der Bürger zu verbinden. Dabei lassen sich am Modus der Teilnehmerauswahl drei Strategien unterscheiden, mit denen Ungleichgewichten zwischen verschiedenen Interessen begegnet werden kann: -die Einsetzung eines neutralen Dritten, der auf die gleichmäßige Vertretung aller Positionen im Verhandlungsprozeß achtet (Auswahl der Teilnehmer durch Verfahrensmittler, Beispiel:
Mediation-, vgl. Kapitel III); -die Neutralisierung von partiellen Interessen (Auswahl der Teilnehmer durch das Los, Beispiel: Planungszelle-, vgl. Kapitel IV); -die offensive partizipative Öffnung von Verhandlungs-und Beratungsprozessen für alle, die daran teilnehmen wollen (Selbstauswahl der Teilnehmer, zusätzlich Ermutigung mangelhaft organisierter und artikulierter Interessen durch den Verfahrenswalter, Beispiel: Foren-, vgl. Kapitel V).
Zwischen diesen drei Grundtypen gibt es eine große Bandbreite von Variationen und Kombinationen, wie die Energie-Tische, das Mehrstufige Dialogische Verfahren oder den kooperativen Diskurs.Nach einem kurzen Blick auf mögliche Wirkungsfelder werde ich die wichtigsten diskursiven Beteiligungsmodelle und ihre Verfahrenslogik im Überblick vorstellen. In den abschließenden Vergleich sind auch Agenda-Prozesse die wegen ihrer Vielfalt schwer zu typisieren sind und daher kein „Modell“ darstellen, und die hinreichend bekannten Zukunftswerkstätten aufgenommen.
II. Partizipationsfähige Handlungsfelder in der kommunalen Umweltpolitik
Angesichts oft globaler Problemlagen und weitgehend nationaler und europäischer Regelungskompetenz ist zu fragen, wo die kommunalen Wirkungsfelder liegen. Ich möchte drei Handlungsfelder in den Vordergrund stellen:
-Die Regelung von Umweltkonflikten im Zusammenhang mit Standortentscheidungen, Genehmigungs-
und Planungsverfahren und bei der kommunalen Mitwirkung im Rahmen der Naturschutzplanung. Verschiedene Formen der Mediation können hier der Tendenz entgegenwirken, daß die gesetzlich vorgeschriebene Bürger-
und Öffentlichkeitsbeteiligung infolge der Praxis informeller Vorverhandlungen zwischen Vorhabenträgern und Verwaltung, der Verwis-senschaftlichung der Verwaltungsentscheidung im Bereich des Umweltrechts und des strategischen Verhaltens aller Beteiligten im Hinblick auf spätere gerichtliche Auseinandersetzungen ihre Funktionen nicht mehr erfüllt
-Die Integration von ökologischen, ökonomischen und sozialen Gesichtspunkten in der Verwaltungs-und Planungstätigkeit und bei der Erstellung öffentlicher Leistungen insbesondere im Umwelt-und Naturschutz, bei der Stadtentwicklung und städtischen Bautätigkeit.
Neue Modelle der Bürgerbeteiligung können hier dazu beitragen, den Bedarf zu formulieren und Konzepte zu erarbeiten, um die begrenzten Mittel besser den Bedürfnissen der Menschen vor Ort entsprechend zu verwenden.
-Anstöße für soziale Innovationen und nachhaltigkeitsorientierte Lebensstile durch partizipative Projektentwicklung (also über die üblichen Beratungs-und Informationsleistungen der Kommunen hinaus).
III. Konfliktmittelnde Ansätze
1. Umweltmediation Das Modell der Umweltmediation wurde in den siebziger Jahren in den USA als Reaktion auf die hohe Komplexität von Umweltkonflikten mit vielen Beteiligten entwickelt. Mediation zielt auf Konfliktlösung durch konsensorientierte, informelle Verhandlungen unter Einbeziehung eines neutralen Dritten, des Mediators oder Konflikt-mittlers.
Anders als ein Schiedsrichter oder ein Schlichter ist dieser nicht befugt, am Ende der Verhandlungen einen Schiedsspruch zu fällen. Seine Funktion geht aber über die eines bloßen Moderators hinaus. In der Vorbereitungsphase obliegt es ihm, nach eingehender Konfliktanalyse die Teilnehmer so zu benennen, daß alle Interessen angemessen artikuliert werden können. Er hilft den Teilnehmern, arbeitsfähige Spielregeln zu vereinbaren, zu denen im allgemeinen gehört, daß Aussagen weder gerichtsverwertbar sind noch ohne Zustimmung nach außen getragen werden dürfen. In der Verhandlungsphase sichert der Mediator die Kommunikations-und Verhandlungsfähigkeit aller Beteiligten in gemeinsamen und getrennten Sitzungen, fungiert als Bote und hilft unterlegenen Teilnehmern bei der Informationsbeschaffung und Artikulation, was bis zur Beschaffung von Finanzierungen für Gutachter ihres Vertrauens reicht Die Mediation endet, „wenn die Parteien eine Übereinkunft erzielt haben, die sie selbst als eine arbeitsfähige Konfliktlösung bezeichnen“ oder bei Abbruch. Vereinbarungen können, müssen aber nicht vertraglich festgeschrieben werden.
In Deutschland waren im April 1996 mindestens 25 Mediationsverfahren abgeschlossen, 18 noch im Prozeß, und sechs waren durch Abbruch beendet worden Dies entspricht Erfahrungen aus den USA, wo ebenfalls Raten von 80 Prozent abgeschlossener Verfahren beobachtet werden, was angesichts der Freiwilligkeit der Teilnahme und der meistens komplexen und konflikthaltigen Thematik durchaus beachtlich anmutet. Dennoch gibt es eine Reihe von Problemen: -Wegen der Gefahr einer Einigung auf Kosten Dritter gilt die repräsentative Einbeziehung aller Betroffenen als Voraussetzung für ein Mediationsverfahren.
-Inwieweit die Einbeziehung aller Betroffenen auch gegen Widerstände gelingt, hängt von der Stärke und Persönlichkeit des Mediators ab.
-Durch das Prinzip der Freiwilligkeit wirken bestehende Machtungleichgewichte in die Mediation hinein, wenn eine Partei durch Ausstieg aus dem Verfahren ein besseres Ergebnis erreichen kann.
-Es kommt zum Verlust der Verhandlungsgrundlage im Laufe des Verfahrens, wenn sich herausstellt, daß kein Raum für einen Kompromiß vorhanden ist (meistens, weil das Verfahren nicht früh genug eingesetzt hat), nicht alle Beteiligten über ausreichende Tausch-und Verhandlungsmacht verfügen, die Ergebnisse in der Praxis politisch, rechtlich und/oder technisch nicht umsetzbar sind oder Teilnehmern die Fähigkeit fehlt, sich selbst an die Vereinbarung zu binden 2. Konsensuskonferenz und partizipative Technikfolgenabschätzung Konfliktmittler kommen inzwischen auch bei der Abschätzung und Bewertung von Technikfolgen in sogenannten Konsensuskonferenzen oder Technikforen zum Einsatz Unter Leitung eines Mediators oder Mediatorenteams versuchen Interessengruppen und Experten (und Gegenexperten) ihrer Wahl, einen Konsens über Risiken und Chancen neuer Technologien zu finden und eventuell sogar Vereinbarungen über Verhaltensstandards zu treffen. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, daß auf diese Weise Sachfragen geklärt und Szenarien erstellt werden können während etwa der Versuch, fundamentale Wertkonflikte im Gentechnik-Streit zu überwinden, mit dem Ausstieg der Vertreter der Umweltverbände endete, die den Verzicht auf die „Nulloption“ nicht ihrer Basis vermitteln konnten Bei dem (erfolgreichen) Verfahren „Bürgerbeteiligung an der Abfallplanung für die'Region Nordschwarzwald“ ging der Standortauswahl durch Planungszellen die partizipative Erstellung von Szenarien für die Restabfallmengenprognose und die Auswahl der Verwertungstechnik nach dem mediationsnahen Modell der Konsensuskonferenz voran
IV. Interessenneutralisierende Ansätze
1. Planungszelle/Bürgergutachten Während Mediationsverfahren und Konsensuskonferenzen darauf setzen, gute und faire Problemlösungen durch eine umfassendere und stärker gleichberechtigte Beteiligung betroffener Interessengruppen zu finden, verfolgt eine andere Gruppe neuer Beteiligungsverfahren dieses Ziel dadurch, daß Foren auf Zeit geschaffen werden, deren Teilnehmer nicht als Betroffene nach Kompromissen, sondern als Bürger nach gemeinwohl-orientierten Problemlösungen suchen sollen. Das älteste dieser Verfahren ist die Planungszelle. Ihr „Erfinder“, Peter C. Dienel, ging von der Beobachtung aus, daß es in der Bundesrepublik vom Kindergarten bis zur Krankenkasse zwar die vielfältigsten Formen der Betroffenenbeteiligung gebe, es den Menschen aber nirgendwo ermöglicht werde, aktiv die Rolle des Bürgers einzunehmen.
Ein solches Bürgerbeteiligungsverfahren müßte -die Artikulation von Eigeninteressen, -langfristiges Denken im Interesse der Allgemeinheit,
-Systemvertrauen und -die Akkumulation von bürgernotwendigem Verfahrenswissen ermöglichen.
Dies leistet die Mediation nicht, denn die Teilnehmer müssen dort andere als ihre eigenen Interessen nur insoweit einbeziehen, wie ihnen dies beim Finden von Lösungen zum gegenseitigen Vorteil hilft. Eine „Planungszelle“ setzt sich daher nicht aus Interessenvertretern zusammen, sondern aus einer Gruppe von etwa 25 Bürgern, die nach einem Zufallsprinzip ausgewählt und für begrenzte Zeit, meistens drei bis vier Tage, von ihren arbeitstäglichen Verpflichtungen freigestellt worden sind, um, assistiert von Prozeßbegleitern und informiert von Fachleuten, Lösungen für vorgegebene Planungsprobleme zu erarbeiten Ihre Bewertungen und Lösungsvorschläge fassen sie in einem „Bürgergutachten“ zusammen.
Die Arbeit der Planungszelle verläuft vorwiegend in fünfköpfigen Kleingruppen mit wechselnder Besetzung. Die Ergebnisse sind nach Möglichkeit im Konsens mit allen Teilnehmern zu verabschieden, ansonsten besteht die Möglichkeit zu Minderheitenvoten Auf diese Weise soll die Frage geklärt werden, wie eine informierte öffentliche Meinung zu einer Fragestellung aussehen könnte.
Mit der Planungszelle vergleichbare Beteiligungsmodelle gibt es als sogenannte citizen’s juries in England und als deliberative opinion polls in den USA.
In der Bundesrepublik und anderen Ländern sind bisher mehrere hundert Planungszellen durchgeführt und etwa zwanzig Bürgergutachten in den Bereichen Stadtentwicklung, Standortplanung und Technikfolgenabschätzung erstellt worden, in denen im Einzelfall die Arbeit von bis zu 20 Planungszellen zusammengefaßt wurde Citizen’s juries sind wiederholt in England vor allem im Bereich der Gesundheitsversorgung, deliberative opinion polls in den USA und England, mehrfach mit ausführlichen Live-Übertragungen im Fernsehen, unter anderem zur Kriminalitätspolitik und zur Beurteilung von Kandidaten in Texas durchgeführt worden. Der neugewählte englische Premierminister Blair hat-vor seiner Wahl den Einsatz von citizen’s juries im Bereich der Gas-, Wasser-und Elektrizitätsversorgung angekündigt 2. Mehrstufiges dialogisches Verfahren Das Mehrstufige Dialogische Verfahren (MDV) zielt auf die Erhebung und Systematisierung des lokalen Wissens und auf die Durchdringung von Wahrnehmungs-und Urteilsstrukturen. Es kombiniert Bürger-und Betroffenenbeteiligung mit den Mitteln politischer Kulturforschung In einer ersten Phase werden in zirka eineinhalbstündigen leitfadengestützten Individualinterviews nach einer geschichteten Zufallsstichprobe ausgewählte Bürger als „Experten für ihre Lebenswelt“ nach ihrer Wahrnehmung der Probleme und Konflikte zum Thema sowie nach möglichen Lösungswegen befragt. In der zweiten Phase werden in Moderatorenrunden mit je etwa 15 Teilnehmern aus der Gruppe der Interviewten und für die Fragestellung relevanten Akteuren und Multiplikatoren die Ergebnisse der Interviews gemeinsam interpretiert und die Problemwahrnehmungen und Lösungsvorschläge auch dieser Teilnehmer erhoben. Die Ergebnisse der Interviews und der Moderatoren-runden gehen dann -dritte Phase -als Daten in eine oder mehrere Planungszellen ein.
Das MDV ist seiner Logik nach eine gemeinsame, mehrstufige und wissenschaftlich angeleitete Selbstaufklärung. Eine gesellschaftliche Dauerbeobachtung, also eine laufende Erhebung und Fortschreibung von Daten, könnte es ermöglichen, Wahrnehmungsstrukturen, die die Identifizierung von Problemen beschränken, und diffuse Konflikt-linien frühzeitig zu erkennen und massive Konflikte zu vermeiden. Dafür ist eine intensive begleitende Öffentlichkeitsarbeit notwendig. In letzter Zeit wird das MDV durch Schulung von Bürger-Interviewern in die Richtung einer Dauer-beobachtung mit Frühwarnfunktion weiterentwikkelt. Auf dieser Basis kann der Einsatz von Moderatorenrunden oder Planungszellen dann Situationen mit sih abzeichnenden Konflikten Vorbehalten werden. 3. Kooperativer Diskurs Der kooperative Diskurs ist ein theoretisches Modell, das auf die systematische Trennung und Verknüpfung von gesellschaftlichen Werten, Fachwissen und rationaler Abwägung zielt. In einem ersten Schritt werden alle an einem Konflikt beteiligten Parteien gebeten, ihre Werte und Kriterien für die Beurteilung unterschiedlicher Handlungsoptionen offenzulegen. Die Menge aller Angaben wird nach der Methode der Wertbaumanalyse strukturiert, so daß ein Katalog von Bewertungsdimensionen entsteht, der die Werte aller Parteien additiv in sich vereinigt und von dem begleitenden Forschungsteam in einen Satz von Indikatoren übersetzt wird. In einem zweiten Schritt werden die zur Entscheidung stehenden Optionen von Experten anhand der Indikatoren nach der Methode des Gruppendelphi gemeinsam abgeschätzt. Auf der Basis dieser Informationen erfolgt der Prozeß der Abwägung durch zufällig ausgewählte Bürger nach dem Modell der Planungszelle.
V. Partizipative Projektentwicklung
1. Foren „Mit Regional-, Stadt-und Stadtteilforen soll Gelegenheit gegeben werden, kommunalpolitische Themen unter Beteiligung möglichst aller relevanten Akteure zu erörtern.“ Sie wurden bislang zu Fragen der Stadt-und Verkehrsentwicklung oder zur Entwicklung von Stadtmarketing-Konzepten eingesetzt. Stadtforen wie dem Heidelberger Verkehrsforum geht in der Regel ein breiter und aufwendiger Einladungsprozeß voraus. Anders als bei der Mediation ist die Teilnehmerzahl im allgemeinen nicht beschränkt. Dadurch besteht die Gefahr, daß unübersichtlich große Gruppen mit hoher Fluktuation entstehen und Konfliktregelung an Arbeitsgruppen oder Mediationsrunden delegiert werden muß, deren Ergebnisse dem nicht beteiligten Plenum dann oft nicht vermittelt werden können Weil die Teilnehmer als Interessierte angesprochen sind und die Foren öffentlich stattfinden, besteht die Tendenz zu strategischer Argumentation. Anders als bei der Mediation ist die Selbstbindungsfähigkeit der Teilnehmer nicht Voraussetzung für die Teilnahme. Daher erscheinen Foren ein interessantes Element für die breite Einbeziehung von Ideen, doch muß ihr begrenzter, nicht auf bindende Verhandlungen zielender, sondern informativer und vernetzender Charakter im Vorweg deutlich sein, um Frustrationen zu verhindern. 2. Energie-Tische Energie-Tische sind Teil einer bundesweiten Kampagne zur CO 2-Vermeidung durch Verbraucher und Kommunen, die im September 1995 von Bundesumweltministerin Merkel eingeleitet wurde. Über die Projektentwicklung in der einzelnen Kommune hinaus sollen mit der Energie-Tisch-Kampagne, die vom Institut für Organisationskommunikation in Bensheim durchgeführt und von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt gefördert wird, der Erfahrungstransfer zwischen den Kommunen verbessert, die Resonanz bei Zielgruppen und in der Öffentlichkeit erhöht, die notwendige Kooperation zwischen lokalen Behörden und verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen erleichtert und ein gesellschaftlicher Konsens als Grundlage des Klimaschutzes gefördert werden.
In ihrer Arbeitsform kombinieren Energie-Tische das Ziel der partizipativen Projektentwicklung der Stadtforen mit Elementen der Mediation. Teilnehmer sind 20 bis 25 ausgewählte Akteure des lokalen Klimaschutzes und Multiplikatoren. Während der Haupt-oder Beratungsphase, die sechs bis neun Monate dauert, treffen sie sich alle vier bis sechs Wochen im Plenum, das von einem professionellen Moderator geleitet und von je nach Bedarf eingeladenen Fachleuten und Vertretern der Kommune begleitet wird. Kompliziertere Fragen werden an Arbeitsgruppen delegiert, die zwischen den Plenumssitzungen tagen. Es werdenauch „Hausaufgaben“ verteilt. Das Prozeßmanagement versorgt die Teilnehmer außerdem jederzeit mit Expertisen und organisiert Informationsveranstaltungen. Auf der letzten Sitzung der Arbeitsphase wird im Konsens aller Teilnehmer ein Konzept verabschiedet, das anschließend der Öffentlichkeit vorgestellt wird.
Da die Teilnehmer selbst für dessen effektive Umsetzung verantwortlich sind, wirkt die Moderation auf den Aufbau kooperativer Strukturen hin, die in der Regel -etwa in Form eines eingetragenen Vereins -institutionalisiert werden. In der laufenden Modell-Phase nehmen etwa zwanzig Kommunen und Landkreise an der Kampagne teil. Themenfelder der bisherigen Energie-Tische waren Altbausanierung, Beeinflussung des Verbraucherverhaltens über Schulen und Beratung, Stadtentwicklung und Verkehr 3. Partizipative Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP), partizipatives Öko-Audit und Community Advisory Panels (CAP)
Neben den Kommunen können auch Unternehmen als Akteure im Umweltschutz die Öffentlichkeit verstärkt einbeziehen. In der Diskussion ist die Nutzung von Mediations-oder Moderationselementen bei der Festlegung des Untersuchungsrahmens (scoping) von Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP), das bislang zumeist von Antragsteller und Genehmigungsbehörde vorgenommen wird Auch das Öko-Audit -der Begriff steht für die freiwillige Beteiligung gewerblicher Unternehmen an einem Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung -besitzt einen expliziten Öffentlichkeitsbezug über die Publizitätspflicht der Umwelt-erklärung und die Veröffentlichung der Teilnahmeerklärung im EU-Amtsblatt. Bei seiner Erstellung ist die Einbeziehung von Öffentlichkeit und Mitarbeitern daher leicht möglich und wird auch empfohlen
Ein Community Advisory Panel (CAP), vielleicht am besten als Nachbarschaftsforum zu übersetzen, besteht aus zehn bis fünfzehn Meinungsführern aus der Kommune am Standort eines Unternehmens, die sich regelmäßig treffen und autonom konstituieren. Im Laufe der Zeit ist dabei regelmäßig eine Funktionsverschiebung vom Ziel der Akzeptanzerzielung für das Unternehmen hin zur Vermittlung von Feedback zu beobachten
VI. Zusammenfassung und Vergleich
Alle vorgestellten Verfahren arbeiten deliberativ, temporär, informell und zumeist vertraulich und setzen auf externe Durchführung. Auftraggeber ist zumeist die Kommune. Bei Bedarf wird der Dialog der Teilnehmer mit Fachleuten und wissenschaftlichen Experten vorgesehen. Bei allen Beteiligten sind sachliche und soziale Lerneffekte zu konstatieren. Verschiedene Formen der Mediation werden bereits zum Netzwerkmanagement und als Ergänzung von Planungs-und Genehmigungsverfahren eingesetzt; durch partizipative Projektentwicklung wird vielerorts der personenselektive Korporatismus durch Mittler gebändigt und das einbezogene Interessenspektrum erweitert.
Trotz vieler Erfahrungen liegen aber kaum wissenschaftliche Evaluationen solcher Verfahren vor. Für die nähere Beurteilung ihres Beitrags zur kommunalen Demokratie wird daher abschließend die Handlungslogik der verschiedenen Verfahrensweisen anhand der drei Kriterien Partizipation, Reichweite der Themen und Nähe zu politischen Entscheidungen verglichen. Die folgende Tabelle gibt Hinweise auf die Plazierung der vorgestellten Verfahren. Dabei stellen die Rolle, in der die Teilnehmer angesprochen sind, der Auswahlmodus und die Art der Binnenkommunikation Indikatoren für die Dimension der Partizipation dar, und die Nähe zu Entscheidungen wird durch die Art der Kommunikation nach außen angedeutet. Im Einzelfall spielen lokale Besonderheiten, situative und persönliche Faktoren sowie Verfahrensdetails allerdings eine große Rolle.
Peter Henning Feindt, Dipl. -Volksw., geb. 1967; Studium der Volkswirtschaftslehre in Hamburg; Mitglied der Arbeitsgruppe Demokratieforschung am Institut für Politikwissenschaft in Hamburg; Projektleiter und Moderator am Institut für Örganisationskommunikation (IFOK) in Bensheim. Veröffentlichungen u. a.: (Hrsg. zus. mit Stefan Bornholdt) Komplexe adaptive Systeme, Dettelbach 1996; (Hrsg. zus. mit Wolfgang Gessenharter, Markus Birzer und Helmut Fröchling) Konfliktregelung in der offenen Bürgergesellschaft, Dettelbach 1996; (Hrsg. zus. mit Markus Birzer und Edmund A. Spindler) Nachhaltige Stadtentwicklung, Bonn 1997; (Mitautor) IFOK, Bausteine für ein zukunftsfähiges Deutschland, Wiesbaden 1997 (i. E.).
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