Politische Willensbildung im Föderalismus. Parteienwettbewerb, Regierungsbildungen und Bundesratsverhalten in den Ländern
Sabine Kropp/Roland Sturm
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Zusammenfassung
In der Reformdiskussion um den deutschen Föderalismus wird seit Jahren dessen unitarisierende Tendenz beklagt, zu der auch die Struktur der Parteien und des Parteiensystems beigetragen hätten. Betrachtet man die wesentlichen Elemente des politischen Willensbildungsprozesses in den Ländern, so stellt man fest, daß sich diese keineswegs allein aus der Logik des Parteienwettbewerbs im Bund definieren. Die Autonomie der Landesebene hat sich in den letzten Jahren vielmehr vergrößert. Diese Entwicklung liegt nicht zuletzt in der seit den neunziger Jahren beschleunigten Ausdifferenzierung der regionalen Parteiensysteme begründet, die in den Ländern zunehmend vom Wechselspiel von Regierung und Opposition im Bund abweichende Regierungsbildungen hervorgebracht hat. Zumal die beiden großen Parteien zeigen eine deutliche interne -eben auch regional begründete -Differenzierung. Auch die Bundesratspolitik der Landesregierungen läßt sich bei parteipolitisch ungleich eingefärbten Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat deshalb nicht ausschließlich durch die Kalküle der Bundesparteien erklären.
I. Einleitung
Föderale politische Systeme eröffnen ihren Bürgern auf mehreren politischen Ebenen die Möglichkeit, am politischen Willensbildungsprozeß teilzunehmen. Die Art des Zusammenspiels politischer Willensbildung auf der föderalen Ebene und in den Gliedstaaten hängt in erster Linie von den institutioneilen Besonderheiten der jeweiligen föderalen Ordnung ab. Je stärker Kompetenzen nach politischen Entscheidungsebenen getrennt sind (dualer Föderalismus), desto geringer ist der gesamtstaatliche Koordinierungsbedarf. Desto wahrscheinlicher wird aber auch, wie beispielsweise die Entwicklung des kanadischen Föderalismus vom innerstaatlichen zum zwischen kanadischen Provinzen und Bundesregierung verhandelten Föderalismus beweist daß sich die Politik auf der gesamtstaatlichen und der glied-staatlichen Ebene relativ eigenständigen Grundsätzen verpflichtet sieht. Kommt wie im kanadischen Falle hinzu, daß Bundes-und Landespolitik nicht durch ein Bundesorgan -wie eine Zweite Kammer des Parlaments -verklammert werden, so ist es sogar möglich, daß die politischen Parteien als Klammer zwischen den beiden Ebenen der staatlichen Willensbildung ausfallen. Die Bundespolitik ist lediglich noch gelegentlicher Bezugsrahmen der Landespolitik, aber nur von begrenzter Relevanz für diese.
Für Deutschland gilt das Gegenteil des bisher Gesagten. Wie ständig wiederholt und in der letzten Zeit immer häufiger beklagt wurde, ist der deutsche Föderalismus durch Politikverflechtung gekennzeichnet Im Laufe der Nachkriegsge schichte hat sich die Zusammenarbeit der Exekutiven von Bund, Ländern und immer mehr auch der EU stetig verstärkt. Der Bundesrat wirkt als Klammer, die durch Verfahren Landes-und Bundespolitik zusammenbindet. Verstärkt wurde die Verflochtenheit des föderalen Willensbildungsprozesses noch durch ein Parteiensystem, das politische Prioritäten in den Ländern anscheinend weitgehend aus der Bundessicht definierte.
Im folgenden soll der vorherrschenden Sichtweise einer bundespolitischen Durchformung des Föderalismus, den Klagen über den „verkappten Einheitsstaat“ bzw.den „verkorksten Bundesstaat“ eine Betrachtung der wichtigsten Elemente gegenübergestellt werden, die eine begrenzte, aber doch eigenständige Substanz der politischen Willensbildung auf Länderebene gewährleisten. Entgegegen dem vorherrschenden Pessimismus kommen wir zu dem Ergebnis, daß sich die Relevanz des politischen Willensbildungsprozesses auf der Länderebene seit den achtziger Jahren erhöht hat und daß es in Zukunft eher unwahrscheinlich ist (in diese Richtung deutet auch die gegenwärtige Debatte um Institutionenreformen im Föderalismus), daß die sich erweiternden Freiräume einer autonomen politischen Willensbildung auf Länderebene durch einen Zentralisierungsschub wieder beseitigt werden.
II. Wechselbeziehungen zwischen Bundestagswahlen und Landtagswahlen
Abbildung 5
Tabelle 1: Neue Parteien bei Landtagswahlen seit 1990 (Mandatszahl)
Tabelle 1: Neue Parteien bei Landtagswahlen seit 1990 (Mandatszahl)
Eigenständige Landtagswahlen sind nur dann ein Beitrag zur Stärkung des föderalen und demokratischen Prinzips, wenn Landesparlamenten und Landesregierungen ein autonomer Handlungsspielraum bleibt. Die Sichtweise von zentralistisch organisierten Parteien, deren Bundesorganisationen ihre Landesverbände nach bundespolitischen Präferenzen anweisen können und damit die Richtung der Landespolitik entscheidend vorgeben, gilt heute jedenfalls als differenzierungsbedürftig
Zwei Variablen zeichnen dafür verantwortlich, daß der Parteienwettbewerb in den Ländern eigenständige Merkmale aufweist. Zum einen ist hier die Konzentration bzw. Dekonzentration des Parteien-systems zu nennen Seitdem die Dreiparteiendominanz von SPD, CDU bzw. CSU und F. D. P. in den achtziger Jahren zuerst auf der Landesebene zu zerbrechen begann, haben sich der Spielraum strategischer Alternativen und die Zahl der Koalitionsvarianten für die Landesparteiorganisationen erhöht. Dies heißt nicht unbedingt, daß diese auch von den Landesparteien um jeden Preis wahrgenommen werden. Es sei hier nur an das Diktum des damaligen SPD-Vorsitzenden Willy Brandt erinnert, es gebe eine neue Mehrheit links von der Mitte, das, wie sich herausstellte, der Bereitschaft der SPD-Regierungschefs in Berlin und Hessen zur Bildung zahlenmäßig möglicher rot-grüner Koalitionen weit vorauseilte. In die entgegengesetzte Richtung verlief die Entwicklung in Ost-, deutschland, wo die Landes-SPD in Sachsen-Anhalt und in Mecklenburg-Vorpommern Kooperation-und Koalitionsmodelle mit der PDS verfolgte, welche die Bundespartei zumindest anfangs nicht ermutigte.
Die zweite Variable, die Freiräume der Landesparteien definiert, bezieht sich auf Inhalte der Politik. Zum einen haben Landesparteien eine relative Autonomie im Hinblick auf die Gestaltung der politischen Tagesordnung, wenn sie Themen aufgreifen, die ausschließlich die Politik ihres Landes betreffen, wie beispielsweise die Reform der Landesverwaltung oder die Privatisierung von Landes-betrieben. Auch sind die Landesparteien weitgehend frei darin, für Fragen von allgemeiner politischer Bedeutung, wie die regionale Wirtschaftspolitik, innovative und auf die Bedürfnisse des jeweiligen Landes zugeschnittene Antworten zu finden Generell läßt sich sagen, daß sich der Freiraum der Landespolitik mit der allmählichen Entlegitimierung und der nachlassenden Bindewirkung des Topos „Einheitlichkeit der LebensVerhältnisse" sowie der verschärften wirtschaftlichen Regionalkonkurrenz auf dem europäischen Binnenmarkt tendenziell vergrößert Wie sehr dies landespolitisch als neue Gelegenheit genutzt wird, hängt nicht zuletzt von der finanziellen Ausstattung des jeweiligen Landes und den Landespolitikern selbst ab.
Angesichts zunehmender koalitionspolitischer und thematischer Handlungsspielräume mag es für die Karriereplanung führender Landespolitiker strategisch sinnvoll sein, Landespolitik nicht nur um ihrer selbst zu vertreten, sondern sie auch als Ressource für den Konflikt bzw.den Dialog mit der Bundesebene zu nutzen. Zum Teil geschieht dies bereits in der Zusammenarbeit von Bundestag und Bundesrat vor allem bei der Gesetzgebung. In der früheren Föderalismusliteratur wurde das „rechte Maß“ von Konflikt im Verhältnis der bundesstaatlichen zur Landesebene schon zum Maßstab eines funktionierenden Föderalismus gemacht Landtagswahlen müssen wegen der Freiräume und Gestaltungsmöglichkeiten der Landespolitik nicht automatisch den Charakter von Stimmungswahlen bzw. Testwahlen für die Bundespolitik annehmen. Bisher hat die Terminierung der meisten Landtagswahlen im Abstand zur Bundestagswahl die sachliche Trennung beider Wahlakte betont. Mit der zirkulären Argumentation, Landtagswahlen seien Testwahlen und deshalb könne man sie zu Test-wahlen machen, indem man sie am besten an einem Termin zusammenlegt wurde verschiedentlich der Wunsch nach einem kostengünstigen Modus der Mehrheitsfindung in den Ländern begründet, der auch die „Belastung“ der Bürger durch allzu häufiges Wählen verringere. Auf diese Weise könne der durch die ständig neuen Landtagswahltermine ausgelöste Dauerwahlkampf in der Bundesrepublik beendet werden. Ein solches Vorgehen würde indes die regionalen Unterschiede beträchtlich einebnen; Landtagswahlen würden dann zu vorgezogenen Bundestagswahlen umfunktioniert. Selbstverständlich kann es auch nicht dem Kalkül der nicht nur auf Bundes-, sondern auch auf Landesebene nach Stimmenmaximierung strebenden Parteien entsprechen, die Dauer der Landtagswahlkämpfe zu begrenzen, um zu erreichen, daß diese möglichst wenig die Kosten-Nutzen-Kalküle der Bundespolitik beeinflussen. Solche Vorschläge mögen föderalismus-und finanzschonend sein, sie entsprechen aber nicht dem Charakter des Parteienwettbewerbs.
Landtagswahlen weisen trotz all dieser Diskussionen erkennbar eigenständige Merkmale auf. Bisher sind jedenfalls alle Versuche gescheitert, Landtagswahlen in bundespolitischer Absicht zu Abstimmungen über Bundesratssitze zu machen. Allerdings ist nicht von der Hand zu weisen, daß die sich durchsetzende Praxis, Kanzlerkandidaten in Landtagswahlen nach dem Vorbild amerikanischer Vorwahlen zu „testen“, die grundsätzlich eigenständige Legitimation der Landesparlamente und -regierungen bundespolitisch instrumentalisiert (zuletzt die Wahl Gerhard Schröders in Niedersachsen 1998). Umgekehrt werden, wie zuletzt die von der CDU durchgeführte Unterschriftenaktion gegen das von SPD und B’ 90/Grüne geplante neue Staatsbürgerschaftsrecht gezeigt hat, bundes-politische Themen auch in Landtagswahlkämpfen zur Mobilisierung der Wähler erfolgreich eingesetzt. Die empirische Forschung hat zyklische Effekte im Verhältnis von Bundestags-zu Landtagswahlen beobachtet. Je näher das Datum einer Landtagswahl vor oder nach der Bundestagswahl liegt, desto ähnlicher ist häufig das Ergebnis beider Wahlen. Zur Mitte einer Wahlperiode und zu Beginn der zweiten Hälfte der Wahlperiode sind die Unterschiede von Bundestags-und Landtags-wahlergebnissen am größten. Dies wird mit der Terminierung unpopulärer Entscheidungen der amtierenden Regierungen erklärt, die früher in der Legislaturperiode liegen, während zu deren Ende hin amtierende Regierungen aus Interesse an ihrer Wiederwahl eher den Erwartungen der Wähler entgegenkommen Eine andere These geht von einer Art Amtsmalus der regierenden Koalition aus, also von einem schlechteren Abschneiden der Regierung, die nicht nur für „Wohltaten“ verantwortlich sein kann, während die Oppositionsparteien ihre Gegenpositionen nicht kontrovers formulieren und diese auch nicht dem Praxistest aussetzen müssen Daß das Wählerverhalten bei Landtagswahlen teilweise von bundespolitischen Erwägungen gesteuert wird, ist somit nicht zu übersehen. Aus diesem Zusammenhang wurde das Argument entwickelt, daß sich mittelfristig wahrscheinlich immer wieder zum Bundestag alternative Mehrheiten in der Landes-politik und damit im Bundesrat entwickeln würden Die Opposition im Bundestag würde demnach bei Landtagswahlen in zyklischen Abständen Vorteile genießen.
Alle diese Modellüberlegungen sind indes eindimensional und werden den komplexen Gründen für Wahlentscheidungen bei Landtagswahlen nicht gerecht. Die empirischen Befunde liefern jedenfalls keinen eindeutigen Beleg. Für die Jahre 1990-1998 gilt zwar, daß die Union regelmäßig bei Landtagswahlen hinter ihrem Bundestagswahi ergebnis zurückbleibt. Sie nähert sich auch dem Bundestagswahlergebnis immer mehr an, je näher die Landtagswahl am Termin der Bundestagswahl liegt. Bei der SPD läßt sich der Oppositionsbonus in diesem Zeitraum aber nur für die Jahre 19901994 ausmachen eine Annäherung der landespolitischen Stärke der Partei an ihre bundespolitische Bedeutung blieb jedoch nicht zuletzt wegen des mangelnden Personalangebots bis zur Kandidatenkür Schröders nach den Landtagswahlen in Niedersachsen vom 1. März 1998 aus.
III. Zur Ausdifferenzierung der Parteiensysteme in den Ländern
Abbildung 6
Tabelle 2: Parteiendominanz auf Länderebene
Tabelle 2: Parteiendominanz auf Länderebene
Aus Sicht der Bürger mögen Landtagswahlen zwar weniger wichtig sein als Bundestagswahlen, aber gerade deshalb haben sie für ihn eine besondere Bedeutung als politisches Experimentierfeld. Die Bereitschaft, das Wahlalter bei Landtags-, nicht aber bei Bundestagswahlen auf 16 Jahre herabzusetzen, kann man als Beleg für die als geringer veranschlagte Bedeutung der Landesebene und für den Innovationscharakter von Landespolitik gleichermaßen werten. Auch neue Parteien haben in der Bundesrepublik zuerst bei Landtagswahlen Erfolge (vgl. Tab. 1). Diese setzen sich jedoch nicht automatisch in ähnliche Ergebnisse bei Bundestagswahlen um. Dies liegt zum einen daran, daß der Experimentcharakter von Wählerentscheidungen bei Landtagswahlen noch keine Parteiloyalität begründet. Zum anderen ist die Wahl neuer Parteien häufig auch kein Votum für eine bestimmte Partei, sondern eine Proteststimme gegen das Spektrum der etablierten Parteien. Trotz zunehmender Wechselbereitschaft der Wähler war es bisher nicht denkbar, daß eine Partei auf der Bundesebene, anders als auf der Landesebene, ohne sozialstrukturelle Verwurzelung die Fünf-Prozent-Hürde schaffen oder sich gar über mehrere Legislaturperioden hinweg behaupten kann. Erst der Durchbruch von Parteien bei Bundestagswahlen und damit die „Ratifizierung“ ihres Erfolges bei Landtagswahlen macht sie aus nationaler Sicht de facto zu einer relevanten Partei.
Das Auftreten (und Verschwinden) von Kleinparteien und neuen Parteien bei Landtagswahlen ist nicht das einzige Charakteristikum, das die Landesparteiensysteme von der bundespolitischen Landschaft unterscheidet. Auf Landesebene ist eine Art „Hochburgenbildung“ möglich, die gelegentlich Landesidentität und Parteiidentität verschmelzen läßt und die Vorherrschaft einer Partei hervorbringt, die den Parteienwettbewerb bzw.den Wechsel zwischen Regierung und Opposition einschränkt. Parteien werden so nicht selten zu einer Art „Staatsparteien“ mit allen Anfechtungen, die eine permanente Nähe zur Macht bereithält. Dies gilt, wie Tabelle 2 zeigt, nicht für alle Länder, und nur in wenigen Ländern erhielt sich die „Dominanz“ einer Partei seit der Gründung der Bundesrepublik -im folgenden definiert durch die mindestens zwei Legislaturperioden währende mangelnde Chance der Opposition, einen Machtwechsel durchzusetzen. Die Ablösung der dominanten Partei durch eine konkurrierende politische Formation etabliert aber keineswegs auf Dauer ein kompetitives Parteiensystem, sondern kann auch in eine neue Parteiendominanz mit umgekehrtem Vorzeichen münden. Die Dominanz einer Partei auf Landesebene im Föderalismus wird für die jeweils unterlegene SPD oder CDU aber dadurch „gemildert“, daß sie in anderen Ländern Regierungspartei ist und damit auch eine bundespolitische Rolle spielt.
Die Parteiensysteme in den neuen Ländern weichen inzwischen deutlich vom „westdeutschen“ bzw. bundespolitischen Muster ab. In Ostdeutschland haben sich, bedingt durch die Schwäche der beiden kleinen Parteien B’ 90/Die Grünen und FD P. sowie durch die bislang konstante relative Stärke der PDS, Dreiparteiensysteme aus SPD, CDU und PDS entwickelt, welche der SPD eine zentrale Stellung auf der Links-Rechts-Skala zuweisen und sie deshalb mit einer guten Verhandlungsposition ausstatten Diese spezifisch ostdeutsche Entwicklung wiederum zeitigt koalitionspolitische Konsequenzen, die ihrerseits die Autonomie der Landespolitik tendenziell vergrößern.
IV. Regierungsbildungen in den Bundesländern
Abbildung 7
Tabelle 3: Zum Parteienwettbewerb auf Bundesebene konforme bzw. nicht-konforme Landesregierungen seit 1990
Tabelle 3: Zum Parteienwettbewerb auf Bundesebene konforme bzw. nicht-konforme Landesregierungen seit 1990
Die Ausdifferenzierung der Parteiensysteme in den Ländern hat vor allem in den neunziger Jahren nach der Deutschen Einheit dazu geführt, daß Koalitionsbildungen immer häufiger „quer“ zum Wechselspiel von Regierung und Opposition im Bund erfolgen. Auf diese Weise wird der Parteien-wettbewerb auf Bundesebene, der in den neunziger Jahren weitgehend nach einer bipolaren Logik von miteinander konkurrierenden Blöcken von CDU und FD P. auf der einen Seite sowie SPD und B’ 90/Grüne auf der anderen Seite funktionierte durch Konsensbildungen in Länderkoalitionen zwischen auf Bundesebene miteinander konkurrierenden Parteien überlagert („nicht-konforme“ Bündnisse). Während in den siebziger Jahren nicht-konforme Länderkoalitionen noch die seltene Ausnahme waren, stieg die Zahl dieser Regierungsbündnisse in den Ländern in den neunziger Jahren zeitweise beträchtlich an (vgl. Tabelle 3); 1995 regierten allein fünf große Koalitionen. Obschon Entscheidungen über die Regierungsbildung, wie das Geschehen in Rheinland-Pfalz 1991 und 1996 oder in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern 1998 gezeigt hat, in den Landesparteien fallen, die Bundesparteien mithin nicht hierarchisch auf ihre Landesverbände„durchgreifen“ können, sind bundespolitische Kalküle, die das Wechselspiel zwischen dem Parteienwettbewerb im Bund und in den Ländern betreffen, auch bei den Regierungsbildungen auf Länderebene präsent.
Koalitionsverhandlungen in den Ländern zeigen, daß die Landesparteien bei Regierungsbildungen ihr Kalkül auch auf die föderale Arena ausdehnen: Die Willensbildung im Föderalismus wird ebenfalls als Terrain betrachtet, auf dem Gewinne oder Verluste erzielt werden können. Indem Bundesratsentscheidungen und -initiativen der regionalen Regierungsbündnisse bereits in Koalitionsvereinbarungen festgelegt werden, soll die auf Bundesebene geltende Logik des Parteienwettbewerbs, der die föderale Konflikt-moderation zwischen Bundestag und Bundesrat (zumal bei parteipolitisch unterschiedlichen Mehrheiten) oft beherrscht, im eigenen Land ausgeklammert oder moderiert werden. Die Verhandlungskosten steigen für Koalitionen somit gerade dann, wenn es sich um nicht-konforme Varianten handelt.
In die Kosten-Nutzen-Kalkulation von Landesparteien gehen auch strategische Überlegungen der Art ein, inwieweit die Wahl des jeweiligen Koalitionspartners für die Zukunft den koalitionspolitischen Handlungsspielraum im Land oder auch bundesweit öffnen kann. Parteien, die -sieht man von großen Koalitionen als typischen „Notlösungen“ (Ausnahme: Bremen) ab -über nur einen möglichen Koalitionspartner im Bundestag oder einem Landtag verfügen und deshalb gleichsam in einem „koalitionspolitischen Turm“ gefangen sind(z. B. die Grünen), verfügen gegenüber ihrem angestammten Bündnispartner tendenziell über eine schlechtere Verhandlungsposition. Deshalb werden von dem Muster der Bonner Regierungsbildung abweichende Kombinationen, wie die SPD/F. D. P. -Koalition in Rheinland-Pfalz, auch als strategische Optionen für die Zukunft der Parteien in Bund und Ländern gewertet
Daß Landesparteien nicht-konformer Koalitionen mögliche Loyalitätskonflikte, die sich zwischen den Interessen bzw. programmatischen Positionen der Gesamtpartei und dem Konsens in der eigenen Koalition aufspannen, nicht automatisch zugunsten der Bundespartei auflösen, zeigt sich immer wieder: So warf der SPD-Sozialminister in Rheinland-Pfalz, Florian Gerster, der ehemaligen Bonner SPD-Oppositionsfraktion vor, sie zeige im Gegensatz zur Finanz-oder Sozialpolitik, die von der SPD in den Ländern vertreten werde, zu wenig Beweglichkeit und hänge dabei überholten Idealen nach
Wie sich Länderkoalitionen politisch im Geflecht des Parteienwettbewerbs auf Bundesebene positionieren, zeigen Koalitionsvereinbarungen. Die Selbstdefinition von „konformen“ Regierungsbündnissen ordnet sich im wesentlichen in die Logik des Wechselspiels von Regierung und Opposition im Bund ein. Vor dem Regierungswechsel in Bonn vom September 1998 abgeschlossene rot-grüne Koalitionen definierten sich -ganz im Sinne eines politischen „Widerlagers“ -als Gegengewicht zur Bonner CDU/CSU/F. D. P-Koalition. Regierungs-bzw. Reformalternativen sollten in diesen Ländern sichtbar gemacht werden. Gelegentlich wurde auch der Wille unterstrichen, Reformanliegen der SPD-Bundestagsfraktion durch geeignete Aktivitäten im Bundesrat zu unterstützen und weiterzuentwickeln Gegengewichte und Alternativen waren laut Vereinbarungen dieser Regierungsbündnisse in nahezu allen Politikfeldern -allem voran in der Sozial-, in der Steuer-und Finanzpolitik sowie in der Umwelt-und Energiepolitik -geplant.
V. Koalitionsinterne Abstimmungsprozesse über föderale Fragen in Länderregierungen
Schwierig ist das Koalitionsmanagement vor allem für die nicht-konformen Länderkoalitionen, wenn diese in Konflikte zwischen Bundesregierung und Opposition geraten. Insbesondere das Bundesratsverhalten wird deshalb zum Gegenstand von Verhandlungen zwischen den Koalitionspartnern. Der Grundsatz, daß sich das Land im Bundesrat der Stimme zu enthalten habe, wenn sich die Regierungspartner nicht auf eine gemeinsame Position einigen können, ist nicht umsonst vor allem für nicht-konforme Koalitionen bedeutsam. Diese sind besonders anfällig dafür, daß der Parteien-wettbewerb im Bund sich konfliktverstärkend auf die Zusammenarbeit in der Länderregierung auswirkt. Wenn die Stimmführer der Regierungen im Bundesrat die Klausel ignorieren und sich über den Koalitionspartner hinwegsetzen, wie etwa die CDU in Baden-Württemberg oder in Thüringen 1996 bei der Abstimmung über das Ozongesetz, so signalisiert eine solche Verhaltensweise in aller Regel die Abkehr von einer am Konsens orientierten Zusammenarbeit. Die Klauseln gewinnen dann an Bedeutung, wenn es im Bundesrat knappe Mehrheiten gibt und strittige Fragen zwischen Regierungsfraktionen (im Bundestag) und der Oppositionsmehrheit (im Bundesrat) ausgehandelt werden müssen.
Bundesratsklauseln werden von den Parteien in Koalitionsvereinbarungen fixiert. Sie haben das Ziel, die Spielregeln des im Bund geltenden Wechselspiels von Regierung und Opposition -und damit wettbewerbsorientierte Verhaltensweisen, welche die Kooperation der Parteien erschweren können -im Regierungsbündnis des Landes zu neutralisieren. Dies gelingt jedoch nicht immer: Da im Bundesrat Abstimmungen positiv gestellt werden, haben Enthaltungen die Wirkung von Nein-Stimmen. Legt ein Koalitionspartner ein Veto ein und macht ein Regierungsbündnis daraufhin von der Bundesratsklausel Gebrauch, so kann dieses Verfahren Mehrheiten der A-Länder (SPD-regiert) oder B-Länder (CDU-regiert) im Bundesrat im Streitfall verhindern. Die meisten Regierungsbündnisse heben hervor, daß bei Verhandlungen der Koalitionspartner über das Stimmverhalten im Bundesrat die Interessen des Bundeslandes absoluten Vorrang haben -gleichsam eine wechselseitige Versicherung der Koalitionsparteien, daß die Legitimität der Landesregie rung sich eben nicht vorrangig aus dem Willen der Bundesparteien und bundespolitischen Gesichtspunkten speise. Im übrigen müßten sich die Parteien an Geist und Wortlaut des Koalitionsvertrags halten, der Grundlage der vereinbarten Politik sei.
Mit der damaligen Bundesregierung identische Koalitionsformationen aus CDU und F. D. P, wie die Thüringens (1990-1994) oder Sachsen-Anhalts (1990-1994), hatten wiederum die Unterstützung der Bundesregierung im Bundesrat -mithin ansatzweise die Überordnung der „bundeskoalitionären“ Interessen über föderale Gesichtspunkte -in ihren Abkommen vereinbart. Doch auch dort wurde mit Nachdruck unterstrichen, daß den Interessen des Landes der Vorrang gebühre.
Die rheinland-pfälzische Bundesratsklausel stellt ein Novum in den bislang gewohnten Alternativen von Enthaltung oder eindeutiger Zustimmung dar. An ihrem Beispiel läßt sich anschaulich verdeutlichen, daß sich die Landesregierungen einer schwer auflösbaren Gemengelage aus landespolitischen Prioritäten und Anforderungen des Parteienwettbewerbs auf Bundesebene gegenübersehen. Die derzeit einzige Koalition aus SPD und F. D. P. (1996-2001) vereinbarte, ihr Stimmverhalten im Grundsatz an den Zielen einer steuerlichen Entlastung der Bürger und von Investitionen in Arbeitsplätze zu orientieren. Dabei habe sich das Land nach den föderativen Grundlagen der Bundesrepublik und nach den Interessen des Landes zu richten. Für den Fall einer Nicht-Einigung vereinbarten die Parteien eine in der Folgezeit in der Öffentlichkeit umstrittene Losformel, nach der Zustimmungsgesetze und Einigungsgesetze jeweils getrennt zu behandeln sind. Dissenspunkte im Stimmverhalten des Bundesrates sollen in der Reihenfolge der Tagesordnungspunkte der jeweiligen Sitzung des Bundesrates festgestellt werden. Das Los habe dann zu entscheiden, welche Haltung beim ersten Dissenspunkt ausschlaggebend sein soll. Die folgenden Punkte werden dann den Koalitionspartnern alternierend zur Entscheidung nach den jeweils eigenen Präferenzen zugeteilt
Zur Zeit der Koalitionsbildung verfügte die SPD im Bundesrat über 35 von 69 Stimmen auf der Basis der allein von ihr und rot-grün bzw. rot-grau (Hamburger Koalition aus SPD und Statt-Partei) regierten Länder. Die von Justizminister Peter Caesar (F. D. P.) ersonnene Losformel hätte dann an Bedeutung gewonnen, wenn eines der SPD-regierten Länder aus der einheitlichen politischen Front ausgeschert wäre oder die SPD in einem von ihr beherrschten Land mit einer der damaligen Bonner Koalitionsparteien die Macht hätte teilen müssen. Dann hätte die F. D. P. in der Hälfte aller Fälle darauf verzichtet, die Bonner Koalition zu stützen.
Bei erstem Hinsehen liegt die Logik einer Losformel darin, daß die Verantwortung für eine bestimmte Entscheidung nicht dem einen oder anderen Koalitionspartner und seiner Durchsetzungsmacht zugeordnet werden kann -eine für eine nicht-konforme Koalition durchaus konflikt-entlastende Regelung. Bis zum Jahresende 1998 ist die Losformel indessen kein einziges Mal angewandt worden. Dies entsprach durchaus der Intention der Vertragspartner: Die versteckte Rationalität der Entscheidungsformel, die gleichsam die Irrationalität und das Zufallsprinzip in das Stimmverhalten der Landesregierung eingebaut hatte, lag in ihrem für beide Partner unwägbaren Risiko Die abwechselnde Zuteilung des Entscheidungsvorrangs hätte Gewinne und Verluste für die beiden Partner keineswegs automatisch jeweils hälftig zugewiesen, da die Reihenfolge der Tagesordnungspunkte nicht durch die Koalitionsparteien austariert werden kann, sondern durch den Bundesrat vorgenommen wird. Daher wären durchaus ungleiche Gewinnverteilungen möglich gewesen -je nachdem, welche Materien für welche Partei von Bedeutung gewesen wären. Nach Aussagen der Koalitionsparteien hat die pure Möglichkeit des Losentscheids deshalb den Einigungsdruck zwischen den Partnern enorm erhöht. Auch das negative Echo in der Öffentlichkeit hat es erschwert, von dieser Regelung Gebrauch zu machen.
In der Praxis der rheinland-pfälzischen SPD/F. D. P-Koalition haben sich beide Partner zumeist auf ein gemeinsames Stimmverhalten geeinigt -insbesondere deshalb, weil es der F. D. P, der im Land neben der SPD theoretisch auch die CDU als Regierungspartner zur Verfügung gestanden hätte und die damit eine starke Verhandlungsposition innehat, gelungen ist, ihre Stellung schon bei der Aushandlung des Koalitionsvertrags auszuspielen. Die F. D. P. konnte sich in etlichen, zwischen Regierung und Opposition im Bund höchst umstrittenen Fragen gegen die SPD durchsetzen (z. B. Ladenschlußgesetz; Mindestlohn am Bau; Kindergelderhöhung). Zumeist enthielt sich das Land in solchen Konflikten: Damit gingen die Stimmen von Rheinland-Pfalz der SPD-geführten Mehrheit im Bundesrat verloren. Dies war allerdings deshalb nicht von großer bundespolitischer Bedeutung, weil die rheinland-pfälzische Position für die Mehrheitsbildung im Bundesrat nicht ausschlaggebend war. Auf diese Weise wurden durch den Parteienwettbewerb im Bund induzierte Konflikte in der Koalition nicht dominant. Wiederholt hat die Mainzer Regierung im Bundesrat und im Vermittlungsverfahren eigene Vorschläge in die Diskussion eingebracht, die dann bereits Kompromisse zwischen den Positionen von Regierungsund Oppositionslager im Bund enthielten.
Wie dominant die Logik des Parteienwettbewerbs für die föderale Willensbildung ist, wird zumeist anhand der Anzahl der von der Oppositionsmehrheit im Bundesrat abgelehnten Gesetzentwürfe diskutiert. Länderregierungen bringen jedoch auch eigene Initiativen in den Bundesrat ein; sie kooperieren dabei in zahlreichen Politikbereichen eng mit der parteipolitisch gleich eingefärbten Bundestagsfraktion Föderale Gesichtspunkte werden dabei schon innerhalb der Parteien abgewogen. Die Landesparteien legen auch in Koalitionsvereinbarungen bereits eine Vielzahl von Bundesratsinitiativen fest. Entsprechend ihrem Selbstverständnis als „Gegenlager“ zur Bundesregierung haben rot-grüne Länderkoalitionen in der Vergangenheit deutlich mehr Vorhaben vereinbart als andere Koalitionsvarianten. In den zuletzt abgeschlossenen Koalitionsabkommen Schleswig-Hol-steins, Nordrhein-Westfalens und Hessens sind 35, 64 bzw. 56 Vorhaben unterschiedlicher Wichtigkeit fixiert; in Baden-Württemberg (CDU/F. D. P.) hingegen zählt man z. B. nur sechs. Dies kann als ein Indiz dafür gelten, daß rot-grüne Koalitionen den Bundesrat in der Tat intensiver als Instrument der Oppositionspolitik nutzten, wenngleich damit noch keine Aussagen über das tatsächlich praktizierte Stimmverhalten eines Landes im Bundesrat möglich sind. In der Tat brachten rot-grüne Koalitionen bislang etwas mehr Gesetze in den Bundesrat ein als andere Koalitionsvarianten; als besonders „bundesratsaktiv“ zeigten sich aber auch die große Koalition in Berlin oder die Brandenburger Ampelkoalition -alle mit Beteiligung der SPD. Koalitionen, welche die gleiche parteipolitische Zusammensetzung wie die damalige Bundesregierung aufwiesen, brachten durchwegs weniger Gesetze und Entschließungen in den Bundesrat ein
Seit dem Regierungswechsel 1982/83 ist die Anzahl der von den Ländern beantragten Einbringungen von Gesetzentwürfen insgesamt sprunghaft angestiegen. In der zehnten und elften Wahlperiode, als Bundestag und Bundesrat die gleiche parteipolitische Mehrheit aufwiesen, sank die Quote der vom Bundesrat als Gesetzentwurf beschlossenen Anträge hingegen auf 42, 4 bzw. 39, 8 Prozent ab. Erst in der zwölften Wahlperiode, als die SPD-regierten Länder im Bundesrat wieder über die Stimmenmehrheit verfügten, stieg die Quote der vom Bundesrat als Gesetzentwurf beschlossenen Anträge wieder auf 65, 5 Prozent an
Seit 1982/83 haben SPD-beteiligte Landesregierungen den Bundesrat in der Tat genutzt, um oppositionelle Politik zu betreiben Bundesregierung und Bundestag sahen sich somit mit einer gestiegenen Anzahl an (oppositionellen) Gesetzesvorlagen konfrontiert. Die Quote der vom Bundestag als Gesetz beschlossenen Anträge ist in der 11. Wahlperiode mit 11, 7 Prozent dennoch so gering wie nie gewesen (12. Wahlperiode: 20, 7 Prozent) -ein weiteres Indiz dafür, daß der Parteien-wettbewerb im Bund noch immer großteils die Willensbildung im Bundesrat strukturiert. Allerdings haben -insbesondere in der Steuerpolitik oder allgemein bei für die Länder kostenträchtigen Vorhaben des Bundes -die Länder in der Vergangenheit immer wieder über Parteilinien hinausgreifende föderale Interessen vertreten.
VI. Mehr Parteien-und Koalitionsvielfalt -mehr Länderautonomie?
Bundes-und Landespolitik sind in der Bundesrepublik über die Parteien zwar eng miteinander verwoben. Dennoch werden Bundes-und Landesregierungen in getrennten Wahlgängen legitimiert. Schon deshalb ist eine hierarchische Steuerung der Landespolitik durch die Bundespolitik bei aller parteipolitischer Durchdringung beider Ebenen nur eingeschränkt möglich. Die regionalen Parteiensysteme haben sich in den vergangenen Jahren, verursacht durch eine größere Experimentierfreudigkeit der Wähler in den Ländern und beschleunigt durch die Deutsche Einheit, teilweise von der Struktur des Parteiensystems im Bund wegentwikkelt. Dies zeitigte Konsequenzen für Regierungsbzw. Koalitionsbildungen in den Ländern, die häu-figer vom Muster des Wechselspiels zwischen Regierung und Opposition im Bund abwichen. „Nicht-konforme“ Koalitionen sind überdies nicht immer aus der Not eines die Koalitionsvarianten einschränkenden regionalen Parteiensystems geboren. Einige von ihnen beruhen vielmehr auf strategischem Kalkül oder auf von der Bundespartei abweichenden koalitionspolitischen Präferenzen des Landesverbands oder seiner Spitzenakteure.
Zwar hat die Opposition im Bund in der Vergangenheit den Bundesrat in der Tat genutzt, um eigene Positionen und Alternativen zur Bundesregierung kenntlich zu machen. Parteipolitische Kalküle der Gesamtpartei haben selbstverständlich nach wie vor Einfluß auf das Stimmverhalten eines Landes. Je bunter jedoch die Koalitionsvarianten über die Länder streuen, desto weniger leicht läßt sich der Bundesrat als Instrument der Opposition im Bundestag nutzen. Davon zeugen die Bundesratsklauseln „nicht-konformer“ Koalitionen, die das Ziel haben, den Parteienwettbewerb im Bund innerhalb der Länderkoalition zu neutralisieren und dergestalt das Konfliktniveau im Regierungsbündnis eines Landes abzusenken.
Die Spitzenakteure in Landeskoalitionen nehmen oft auch führende Funktionen in ihrem Landesverband wahr. Da sie damit an den Schnittstellen der einzelnen, durch verschiedene Entscheidungsmodi gekennzeichneten föderalen und parteipolitischen bzw. parlamentarischen Arenen angesiedelt sind, können sie diese Arenen durchaus koordinieren und damit nach eigenen Präferenzen entscheiden Solche Prioritäten werden, dies hat die Ver gangenheit mehrfach gezeigt, nicht automatisch zugunsten des Parteienwettbewerbs im Bund gesetzt. Vielmehr sind Tendenzen einer Reföderalisierung erkennbar, die auf Veränderungen der regionalen Parteiensysteme und auf ein gefestigtes Selbstbewußtsein der Ministerpräsidenten und ihrer Regierungen -auch gegenüber der eigenen Bundespartei -zurückzuführen sind. Die deutliche Stellungnahme einiger SPD-Länderregierungschefs gegen die Pläne der eigenen Bundesregierung schon kurz nach deren Amtsantritt im Oktober 1998 ist der jüngste Beleg hierfür. Die Kehrseite einer solchen Entwicklung kann darin bestehen, daß sich -trotz gleicher parteipolitischer Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat -die Zahl der Vetopositionen, denen sich die Bundesregierung bei der Durchsetzung ihrer Reformvorhaben gegenübersieht, dennoch nicht signifikant verringert.
Aus der Sicht der Landespolitik entspricht ein solches Verhalten duchaus den regional divergierenden Interessen. Es nimmt zur Kenntnis, daß es nicht genügt, Imperative der Bundespartei zu verfolgen, um die Wähler bei Landtagswahlen zu überzeugen. Spiegelbildlich zur größeren Volatilität des Wählerverhaltens entwickelt sich eine größere Flexibilität des politischen Willensbildungsprozesses in den Ländern. Diese sehen sich selbst als Ost-und Westländer, als reiche oder arme, als große oder kleine Länder, als Stadt-oder Flächenstaaten, als Kooperationspartner europäischer Regionen oder als Wirtschaftsregionen im europäischen Binnenmarkt. Der politische Willensbildungsprozeß in den Ländern, d. h. nicht zuletzt die Logik des regionalen Parteienwettbewerbs, muß sich diesen neuen Herausforderungen stellen. Dabei nimmt ersichtlich die regionale Differenzierung auch innerhalb der beiden großen Parteien zu.
Sabine Kropp, Dr. phil., geb. 1964; wissenschaftliche Assistentin am Institut für Politische Wissenschaft der Universität Erlangen-Nürnberg. Veröffentlichungen u. a.: Systemreform und lokale Politik in Rußland. Zur Dezentralisierung politischer Entscheidungsprozesse, Opladen 1995; (zus. mit Roland Sturm) Koalitionen und Koalitionsvereinbarungen. Theorie, Analyse und Dokumentation, Opladen 1998. Roland Sturm, Dr. phil. habil., geb. 1953; von 1991 bis 1996 Professor für Politikwissenschaft, Universität Tübingen; seit 1996 o. Professor für Politische Wissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg. Veröffentlichungen u. a.: (Hrsg. zus. mit Stephen Wilks) Wettbewerbspolitik und die Ordnung der Elektrizitätswirtschaft in Deutschland und Großbritannien, Baden-Baden 1996; (zus. mit Sabine Kropp) Koalitionen und Koalitionsvereinbarungen. Theorie, Analyse und Dokumentation, Opladen 1998.
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