Während in den Medien eine viel beachtete Reformstau-Debatte geführt wird, weist die Gesetzgebungsstatistik eine unangefochtene Vormachtstellung der Regierung in puncto Einbringungen und Verabschiedungen von Gesetzesvorlagen aus. Ungeachtet des Ausbaus der Zustimmungsgesetzgebung und unterschiedlicher Parteimehrheiten in Bundestag und Bundesrat konnten Regierungsvorlagen in der 13. Wahlperiode sogar einen Verabschiedungsrekord erzielen, der die Frage nach den Gründen für ihre ungebrochene Durchsetzungskraft in der parlamentarischen und bundesstaatlichen Arena aufwirft. Eine ähnlich hohe Verabschiedungsquote kann lediglich der Vermittlungsausschuß vorweisen, was als ein weiterer Beleg gegen einen Reformstau in der Gesetzgebung zu werten ist. Im Beitrag wird die hohe Verabschiedungsquote von Regierungsvorlagen aus dem Zusammenspiel der Gesetzgebungsorgane Regierung, Bundestag und Bundesrat abgeleitet. Es zeigt sich, daß das parlamentarische System eine gegenseitige Abhängigkeit von Bundestags-und Regierungsmehrheit etabliert, während die Regierung eine Agenda-Setzerrolle gegenüber dem Bundesrat einnimmt. Zur Mitwirkung an der Gesetzgebung kann die Bundesratsmehrheit jedoch den Vermittlungsausschuß anrufen, der über seine konditionale Agenda-Setzerrolle eine ähnlich hohe Verabschiedungsquote wie die Regierungsvorlagen erzielt. Beide Befunde widerlegen somit nicht nur die Reformstauthese, sondern unterstreichen auch die Macht eines Agenda-Setzers. Schließlich trägt die konditionale Agenda-Setzerrolle des Vermittlungsausschusses zur föderalen Machtbalance zwischen parlamentarischer und bundesstaatlicher Arena bei, ohne jedoch eine Konkurrenz zur Regierung einzurichten.
I. Reformstau -Medienthema oder Ausdruck der Probleme föderativen Regierens
Mit dem Wahlsieg von SPD und Bündnis 90/Die Grünen am 27. September 1998 verstummte die Kritik an der Rolle des Bundesrats, der als föderatives Verfassungsorgan an der politischen Willensbildung mitwirkt. Gegen Ende der 13. Wahlperiode hatte der Stillstand in der Steuerreformgesetzgebung eine in den Medien viel beachtete Reformstau-Debatte entfacht, in deren Verlauf dem Bundesrat ein zu großer Einfluß auf die Regierungspolitik vorgeworfen wurde Die neuen Mehrheitsverhältnisse -die komfortable Mehrheit von 345 der insgesamt 669 Bundestags-mandate und 38 der insgesamt 69 Bundesratsstimmen -ließen dagegen zu Beginn der 14. Wahlperiode eher Auseinandersetzungen zwischen den Koalitionspartnern als zwischen Bundestag und Bundesrat erwarten, auch wenn einige Ministerpräsidenten umgehend ihr länderspezifisches Mitspracherecht einforderten Nach dem überraschenden Wahlsieg von CDU und F. D. P. in Hessen am 7. Februar 1999 hat sich das Medieninteresse erneut auf die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat gerichtet. Vor allem in der Zustimmungsgesetzgebung, in der Regierungsvorlagen mindestens 35 Bundesratsstimmen erhalten müssen, könnte der Verlust der fünf hessischen Bundesratsstimmen die Regierungspolitik einer höheren Blockadegefahr aussetzen
Laut Gesetzgebungsstatistik hat es allerdings in der Vergangenheit weder einen Reformstau noch einen Einfluß des Bundesrats auf die Regierungstätigkeit gegeben. Während seit der 1. Wahlperiode im Durchschnitt „nur“ 88 Prozent aller Regierungsvorlagen verkündet wurden, hatte ausgerechnet die Regierung Schmidt, die sich während der 7. und 8. Wahlperiode einer CDU-geführten Bundesratsmehrheit gegenübersah, mit ungefähr 92 Prozent die höchste Verabschiedungsquote vor der Vereinigung erzielt. Am Ende der 13. Wahlperiode stellte die Regierung Kohl, der spätestens seit Januar 1996 eine SPD-geführte Bundesratsmehrheit gegenüberstand, mit 95 Prozent aller Regierungsvorlagen einen neuen Verabschiedungsrekord auf. Die Quoten der anderen Initiatoren des Gesetzgebungsverfahrens weisen ebenfalls auf eine Regierungsdominanz und nicht auf ihre Einschränkung hin: Wie in den zwölf Wahlperioden zuvor waren in der 13. Wahlperiode etwa ein Drittel der 328 aus der Mitte des Bundestags eingebrachten Gesetzesvorlagen, aber nur ein Viertel der 146 Initiativen des Bundesrats, der ansonsten eine etwas höhere Durchschnittsquote vorweisen kann, erfolgreich Dieser Vergleich wirft angesichts der Rekordzahl an Gesetzesvorlagen, die seit der Vereinigung einen signifikanten Anstieg von 602 (11. Wahlperiode) auf 914 (13. Wahlperiode) Vorlagen verzeichnen, ein anderes Licht auf das Regieren im deutschen Föderalismus, als die Reformstau-Debatte suggeriert. An erster Stelle stellt sich vielmehr die Frage, wie sich die ungebrochene Vormachtstellung der Regierung im Gesetzgebungsverfahren erklären läßt.
Die Beantwortung dieser Frage fällt ebenso schwer, wie die Gesetzgebungsstatistik zu widerlegen ist. Betrachtet man die jüngere verfassungstheoretische Entwicklung des deutschen Föderalismus, der im Vergleich zum amerikanischen oder schweizerischen Prinzip der Trennung von Bundes-und Länderebene eine Verflechtung beider Ebenen in der Bundesgesetzgebung vorsieht, dann müßte das Regieren im deutschen Föderalismus trotz des Ausbaus an Bundeskompetenzen erschwert worden sein Die Länder ließen sich nämlich ihr Entgegenkommen, das für den Ausbau der Bundeskompetenzen notwendig war, mit der Erweiterung der Zustimmungsrechte des Bundesrats kompensieren. Anders als vom Parlamentarischen Rat ursprünglich vorgesehen rückte dadurch das zustimmungspflichtige Gesetzgebungsverfahren mit zwei gleichberechtigten Kammern in den Vordergrund, das der Regierungstätigkeit stärkere Restriktionen auferlegt als die Einspruchsgesetzgebung Nach föderalen Gesichtspunkten kommt diese Entwicklung einer Stimmenmehrheit der Landesregierungen und nicht den einzelnen Ländern zugute. Die Folge ist nicht eine vermehrte Eigenständigkeit der Länder, sondern die Stärkung eines kollektiven Vetospielers, über den eine Mehrheit von Landesregierungen einen größeren Einfluß auf die Regierungspolitik ausüben kann. Tatsächlich benötigen mittlerweile fast zwei Drittel aller Gesetzesvorlagen die Zustimmung einer Bundesratsmehrheit.
Im Gegensatz dazu erweckt die Gesetzgebungsstatistik den Eindruck, daß die Regierungstätigkeit weder von der verfassungstheoretischen Entwicklung noch von dem Umstand unterschiedlicher Parteimehrheiten in Bundestag und Bundesrat eingeschränkt wurde. Seit der 1. Wahlperiode versagte der Bundesrat bei lediglich 131 von insgesamt 8382 Gesetzesvorlagen die Zustimmung, was in nur 59 Fällen zum endgültigen Scheitern geführt hat Von kritischer Seite wird oftmals eingewendet, daß den wenigen Ablehnungen womöglich eine höhere politische Bedeutung zukam In diesem Fall hätte jedoch ihre inhaltliche Zustimmungsbedürftigkeit durch eine Teilung des Entwurfs in nichtzustimmungsbedürftige materiellrechtliche und zustimmungsbedürftige verfahrensrechtliche Vorschriften ausgeschaltet werden können Auf diesem Wege wurde beispielsweise in der 13. Wahlperiode die dritte Stufe des Ge sundheitsreformgesetzes, das als zustimmungspflichtiges Gesetz auch im Vermittlungsausschuß gescheitert war, in Einzelteile zerlegt, von denen die meisten in der Einspruchsgesetzgebung anschließend verabschiedet wurden. Tatsächlich erfolgte die Versagung der Zustimmung und die Anrufung des Vermittlungsausschusses, der seit der 1. Wahlperiode in 70 der insgesamt 131 Fälle erfolgreich vermitteln konnte, fast ausschließlich in Zeiten unterschiedlicher Parteimehrheiten in Bundestag und Bundesrat. Doch ist die hohe Erfolgsquote des Vermittlungsausschusses, der in fast 90 Prozent aller Vermittlungsverfahren vom Bundesrat angerufen wird, als ein weiterer Beleg gegen die Reformstau-These zu werten, was die Frage nach seiner Funktionsweise aufwirft. Im folgenden Beitrag werden die Bedingungen des Regierens im deutschen Föderalismus aus dem komplexen Zusammenspiel der Organe Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat in der Gesetzgebung abgeleitet. Zwar läßt der Ausbau der Zustimmungsgesetzgebung eine Einschränkung der Regierungstätigkeit durch den Bundesrat vermuten, doch nimmt die Regierung eine herausragende Rolle beim Setzen der Agenda ein, die ihr eine erfolgreiche Verabschiedung der meisten Gesetzesvorlagen ermöglicht. Im parlamentarischen System, das auf einer gegenseitigen Abhängigkeit von Regierungs-und Bundestagsmehrheit beruht, resultiert dieser Erfolg aus der administrativen Leistungsfähigkeit der Regierung. Im Vergleich dazu kann die zweidimensionale Interessenstruktur des Bundesrats, aufgegliedert in eine Struktur-und eine parteipolitische Dimension, die Koalitionsmöglichkeiten für Regierungsvorlagen in der bundesstaatlichen Arena erhöhen. Andernfalls kommt dem Vermittlungsausschuß, dessen Vorschläge eine ähnlich hohe Verabschiedungsquote wie Regierungsvorlagen haben, eine Scharnierfunktion zwischen parlamentarischer und bundesstaatlicher Arena zu. Wie die Vermittlung zwischen beiden Arenen erfolgt, soll die Unterscheidung zwischen Vermittlungsausschuß und -verfahren deutlich machen.
II. Die Einspruchs-und Zustimmungsgesetzgebung im Wandel
Abbildung 2
Schaubild 2: Die zweidimensionale Interessenstruktur des Bundesrats (Stand: 8. 2. 1999)
Schaubild 2: Die zweidimensionale Interessenstruktur des Bundesrats (Stand: 8. 2. 1999)
Der föderale Aufbau Deutschlands sieht eine Politikverflechtung der Bundes-mit der Länderebene vor, die mit dem Ausbau der Bundesratskompetenzen in der Bundesgesetzgebung stetig verstärkt wurde. Als Ausdruck des politischen Föderalismus ist die Verankerung des Bundesstaatsprinzips nach Artikel 20 Abs. 1 GG ein wesentliches Merkmal des Verfassungsgefüges. Anders als die verfassungsrechtliche Festlegung auf eine parlamentarische Demokratie ist das Bundesstaatsprinzip nach Artikel 79 Abs. 3 GG einer Verfassungsänderung entzogen. Allerdings unterliegt die über den Bundesrat bewerkstelligte Mitwirkungsform der Länder, die in den Artikeln 50-53 GG näher ausgestaltet wird, nicht der Ewigkeitsgarantie des Artikels 79 Abs. 3 GG. Vielmehr wird hier lediglich eine grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung vorgeschrieben, bei der aber auch andere Formen denkbar wären
Dennoch hat sich das Bundesratskonzept, das den Föderalismus zur Angelegenheit der Exekutive macht, unter den unterschiedlichsten Umständen der deutschen Verfassungsgeschichte durchgesetzt Sein Beharrungsvermögen läßt sich zum einen mit der Pfadabhängigkeit der föderalen Institutionenentwicklung und der Wirkung historisch gewachsener Leitideen erklären zum anderen auf den einfachen Umstand zurückführen, daß sich die Staaten bzw. Länder schon vor dem Reich bzw.dem Bund konstituiert hatten Dadurch waren die Länderverwaltungen immer am Aufbau der höheren Ebene beteiligt und konnten ihre Interessen nicht nur in die Verfassunggebung von 1815, sondern auch in die folgenden Verfassungen von 1870/71, 1918/19 und 1948 einbringen.
Seit der Verfassunggebung des Deutschen Bundes von 1815 sind im Bundesrat die Delegierten der Landesregierungen und keine unmittelbar gewähb ten bzw. aus den Reihen der Landesparlamente stammenden Repräsentanten vertreten Diese Repräsentationsform wurde als föderale Alternative zu republikanisch-demokratischen Bundesstaaten wie der Schweiz oder den Vereinigten Staaten entworfen, nicht zuletzt um den monarchischen Charakter der Einzelstaaten zu erhalten Die im Bundesrat vertretenen Staaten bzw. Länder implementieren fast alle Gesetze, an denen sie im Gesetzgebungsverfahren der Reichs-bzw. Bundesebene mitwirken. Der Bundesrat war aber niemals Teil einer parlamentarischen Körperschaft, obwohl nicht nur die vom Reichstag beschlossenen Gesetze, sondern auch die Vorlagen des Reichskanzlers seine Zustimmung finden mußten. Diese Zustimmungspflicht wurde in der Weimarer Verfassung abgeschwächt, deren Artikel 47 ein devolutives Einspruchsrecht des Reichsrats gegen Reichsgesetze und nach Artikel 77 nur dessen Zustimmungspflicht für die zur Ausführung der Reichsgesetze erforderlichen allgemeinen Verwaltungsvorschriften vorsah, wenn diese den Landesbehörden oblagen. Der Parlamentarische Rat lehnte sich an beide Vorläuferkonstruktionen an, indem erstmals eine Unterscheidung zwischen Einspruchs-und Zustimmungsgesetzgebung getroffen wurde
In der Zustimmungsgesetzgebung ist die mehrheitliche Befürwortung einer Gesetzesvorlage durch den Bundesrat zwingend erforderlich. Demgegenüber kann nach Artikel 74 Abs. 4 Satz 2 GG der Einspruch des Bundesrats, der entweder mit einer absoluten oder einer Zweidrittel-Mehrheit eingebracht wird, von der entsprechenden Bundestags-mehrheit zurückgewiesen werden. Die Intention dieser Unterscheidung wird besonders deutlich, wenn man die Auswirkungen von Stimmenthaltungen betrachtet Im Bundesrat werden die Fragen immer proaktiv gestellt, also „Wer stimmt dem Gesetz zu?“ oder „Wer ist für das Einlegen eines Einspruchs gegen das Gesetz?“. Diese Fragestellung hat zur Folge, daß sich Enthaltungen in der Zustimmungsgesetzgebung negativ, in der Einspruchsgesetzgebung positiv auf die Verabschiedungswahrscheinlichkeit eines Gesetzes auswirken. Aus Sicht der Regierung, die seit der 1. Wahlperiode die meisten Gesetzesvorlagen einbringt, benachteiligt die Einspruchsgesetzgebung die Gegnerschaft, die Zustimmungsgesetzgebung hingegen die Befürworterschaft ihrer Regierungsvorlagen.
Anders als vom Parlamentarischen Rat vorgesehen, hat sich ein Schwerpunkt zugunsten der Zustimmungsgesetzgebung herausgebildet. Seit den fünfziger Jahren wurden die Bundeskompetenzen ausgebaut, wofür die Länder mit einer Ausweitung der Zustimmungsgesetzgebung kompensiert wurden. Zum einen wurde der Katalog, der die Themen der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes aufführt, kontinuierlich verlängert; zum anderen erweiterte vor allem die Verfassungsreform von 1969, welche die Gemeinschaftsaufgaben einrichtete und dem Bund die Möglichkeit gab, die Länder auf gemeinsame Haushaltsprinzipien festzulegen, die Zustimmungsrechte des Bundesrats. Des weiteren hat die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in nicht unerheblichem Maße zum Ausbau der Zustimmungsgesetzgebung beigetragen. So geht das Bundesverfassungsgericht unter Hinweis auf die gesetzgebungstechnische Einheit einer Initiative (Artikel 78 GG) davon aus, daß nur eine einzige zustimmungspflichtige Regelung innerhalb eines vom Bundestag beschlossenen Gesetzes ausreicht, um das gesamte Gesetz der Zustimmungspflicht des Bundesrats zu unterwerfen
Mit dieser verfassungstheoretischen Entwicklung geht die Möglichkeit einer grundlegenden Machtverschiebung zugunsten einer Bundesratsmehrheit einher. Während die Zustimmungspflicht, der ursprünglich eine überschaubare Anzahl an Bundeskompetenzen unterlag, dem Erhalt der bundesstaatlichen Balance dienen sollte, hat ihr Ausbau ein Gesetzgebungssystem mit zwei gleichberechtigten Kammern etabliert, das ein hohes Maß an gegenseitiger Kontrolle garantiert. Da die meisten Gesetzesvorlagen mittlerweile die zustimmungspflichtige Hürde einer absoluten Mehrheit in Bundestag und Bundesrat nehmen müssen, fällt das Potential für politischen Wandel insgesamt geringer aus. Diese Entwicklung wird in der wissenschaftlichen Diskussion aus unterschiedlichen Blickwinkeln heraus eher skeptisch bewertet. Nach Scharpf der die Politikverflechtung aus einer akteursorientierten Perspektive analysiert, erzeugt beides zusammen, Parteienkonkurrenz und föderale Politikverflechtung, eine „Form der antagonistischen Kooperation, die in der Tat zum politischen Immobilismus tendiert“. Auch Lehmbuch der einen historisch-institutionalistischen Ansatz verfolgt, sieht als Ursache für Entscheidungsblockaden die Inkongruenz von Parteien-wettbewerb und Föderalismus. Nach seiner Auffassung muß eine losere Koppelung beider Arenen gefunden werden, wenn die Reform-und Innovationsfähigkeit des politischen Systems gesteigert werden soll Entgegen der Immobilismus-und Inkongruenzthese ist jedoch nicht nur eine Zunahme der Gesetzgebungstätigkeit, sondern auch eine Steigerung der Verabschiedungsquote von Regierungsvorlagen zu beobachten. Schaubild unterscheidet den Erfolg (+) und den Mißerfolg (-) der drei Gesetzesinitiatoren Bundesregierung (Breg), Bundestag (Btag) und Bundesrat (Brat) nach einzelnen Wahlperioden.
Laut Schaubild wurde in der 13. Wahlperiode ein Rekordniveau mit 914 Gesetzesvorlagen und 562 Verabschiedungen erreicht. Trotz der größeren Anzahl blieb damit die Verabschiedungsquote aller Gesetzesvorlagen mit ca. 63 Prozent relativ unverändert: Während in der 9. und 10. Wahlperiode nur ungefähr 55 Prozent aller Vorlagen verabschiedet wurden, stieg die Verabschiedungsquote seit der 10. Wahlperiode auf durchschnittlich 61 Prozent an. In diesem Zeitraum erhöhte sich auch stetig die Anzahl an Regierungsvorlagen, ohne daß sich ihre hohe Verabschiedungsquote von durchschnittlich 88 Prozent verringerte. Im Gegenteil, Regierungsvorlagen erreichten mit einer Verabschiedungsquote von 95 Prozent in der 13. Wahlperiode ein Rekordniveau. Im Ver gleich dazu brachte der Bundestag seither ebenfalls mehr Vorlagen ein und konnte seine Verabschiedungsquote auf etwas mehr als 30 Prozent geringfügig steigern. Mit 146 Vorlagen verdreifachte der Bundesrat in der 13. Wahlperiode sogar fast seinen Anteil gegenüber der 10. Wahlperiode, doch hat sich seine Verabschiedungsquote auf ungefähr 25 Prozent verringert. Nach diesen Ergebnissen hat sich also erstens die Gesetzgebungstätigkeit insgesamt erhöht, und zweitens konnte die Regierung ihre Vormachtstellung in der Gesetzgebung insbesondere gegenüber dem Bundesrat ausbauen. Ungeachtet der Erweiterung der Zustimmungsgesetzgebung und der Situation unterschiedlicher Parteimehrheiten dominiert die Regierung die Gesetzgebung in puncto Einbringungen und Verabschiedungen, während der Bundesrat seine Stellung kaum verbessern konnte. Wie läßt sich diese ungebrochene Regierungsdominanz erklären?
III. Die Bundesregierung als Agenda-Setzer in der Bundesgesetzgebung
Abbildung 3
Tabelle: Das Vermittlungsverfahren und die Anrufung des Vermittlungsausschusses
Tabelle: Das Vermittlungsverfahren und die Anrufung des Vermittlungsausschusses
Die unabhängig von ihrer parteipolitischen Zusammensetzung festzustellende Gesetzgebungsdominanz der Regierung kann auf ihre Agenda-Setzerrolle zurückgeführt werden, die ihr in Bundestag und Bundesrat aus unterschiedlichen Gründen zukommt. Im allgemeinen ist die Agenda-Setzerrolle von Bedeutung, wenn über einen Vorschlag anschließend nur noch mit Ja oder Nein abgestimmt wird. In diesem Fall einer soge-nannten „geschlossenen Regel“ kann der Agenda-Setzer seinen Vorschlag in einer Weise formulieren, die seinen Vorstellungen am ehesten entspricht Der Agenda-Setzer muß zwar mindestens die für die Mehrheitsbildung entscheidenden Akteure zur Unterstützung bewegen, doch können diese den Vorschlag lediglich gegenüber der geltenden Regelung abwägen, ohne jedoch einen Gegenvorschlag zur Kompromißbildung erbringen zu können Die Macht des Agenda-Setzers steigt, je komplexer der Sachverhalt der zur Abstimmung vorliegenden Materie ist. Dieses Privileg entfällt, wenn die Mehrheitsakteure ein Änderungsrecht haben, mit dem sie einen Vorschlag an ihre eigenen Vorstellungen anpassen können, und der Initiator kein Rückzugsrecht für seinen Vorschlag besitzt.
Im Bundestag kommt der Regierung kein Vorteil aus einer geschlossenen Regel zu. Gegen eine Vormachtstellung der Regierung spricht erstens, daß Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat gleichermaßen Gesetzesvorlagen in das Einspruchs-und Zustimmungsverfahren einbringen können. Zweitens werden sowohl Regierungsvorlagen als auch die Initiativen aus der Mitte des Bundestags bzw. Bundesrats im Plenum des Bundestags und in seinen Fachausschüssen beraten, die proportional zur Fraktionsstärke besetzt sind. Und drittens kann die Regierung ihre Vorschläge aus dem Gesetzgebungsverfahren nicht zurückziehen, so daß der Bundestag „Herr des Verfahrens“ bleibt. Im Bundestag resultiert die hohe Erfolgsquote von Regierungsvorlagen vielmehr aus den Grundzügen parlamentarischer Systeme, die auf einer gegenseitigen Abhängigkeit von Parlaments-und Regierungsmehrheit aufbauen Auf der einen Seite erlaubt das vornehmlich von den Mitgliedern der Fachausschüsse ausgeübte Änderungsrecht, daß die Mehrheitsfraktionen einen erheblichen Einfluß auf die endgültige Formulierung der Gesetzestexte nehmen; auf der anderen Seite verfügt die Regierung über eine administrative Leistungsfähigkeit, die der Parlamentsmehrheit eine Vermeidung von Fehlern bei der Ausarbeitung der Gesetzesvorlagen verspricht Im Resultat greifen die Mehrheitsfraktionen auf die Kapazitäten der Regierung zurück, um ihre Politik erfolgreich ausgestalten zu können. Die Regierung kann jedoch keinen Vorschlag im Bundestag durchsetzen, der außerhalb der Vorstellungen der Mehrheitsfraktionen liegt Aufgrund dieser Überschneidung ist die hohe Erfolgsquote von Regierungsvorlagen für das parlamentarische System, das weniger durch eine Auseinandersetzung zwischen Regierung und Bundestag als zwischen Regierungs-und Oppositionsminderheit charakterisiert ist, unproblematisch.
Anders stellt sich die Situation im Verhältnis zwischen Regierungs-und Bundesratsmehrheit dar. Aus der bundesstaatlichen Arena können zwar Gesetzesvorlagen eingebracht werden, doch stimmen die Bundesratsvertreter über Einspruch und Zustimmung nur mit Ja oder Nein, also unter geschlossener Regel, über Gesetzesvorlagen ab. Im Gegensatz zum Bundestag verfügt der Bundesrat über kein Änderungsrecht. Deshalb muß die Regierung nur den entscheidenden Mehrheitsakteur im Bundesrat gewinnen, der im Zustimmungsverfahren die mediane 35ste Stimme zur absoluten Mehrheitsbildung und im Einspruchsverfahren die 23ste Stimme der insgesamt 69 Bundesratsstimmen zur Verhinderung eines Einspruchs, der mit Zweidrittel-Mehrheit eingebracht wird, innehat Unter diesen Bedingungen steigen die Durchsetzungschancen der Regierung, je komplexer ihre Vorlagen ausfallen. Bei komplexen Vorlagen ist eine eindeutige Mehrheitsbildung im Bundesrat unwahrscheinlich, so daß die Regierung mehrere Koalitionsmöglichkeiten in der bundesstaatlichen Arena hat.
Im Gegensatz zur Mehrheitsbildung im Bundestag hat jedoch die Frage, wie sich im Bundesrat eine Mehrheit konstituiert, heftige Kontroversen ausgelöst. Infolge der Bundeszentrierung der Parteien überlagern sich vielfach Partei-und Länderinteressen. Bester Beweis hierfür sind weniger die Auseinandersetzungen in Zeiten unterschiedlicher Parteimehrheiten als der auffällige Konsens zwischen Regierungs-und Bundesratsmehrheit in Zeiten ähnlicher Parteimehrheiten, der sich beispielsweise in der geringeren Anzahl von Vermittlungsverfahren offenbart. Dabei wird nicht über eine Parteipolitisierung des Bundesrats per se, sondern über ihre Ausprägung gestritten, die entweder zu ähnlichen, gemischten oder unterschiedlichen Parteimehrheiten in Bundestag und Bundesrat führen kann So hatte vor allem die Regierung Kohl in den achtziger Jahren den parteiinternen Abstimmungsweg in Zeiten ähnlicher Parteimehrheiten gepflegt den auch die Regierung Schröder zur Umsetzung ihrer Reform-Vorhaben in der 14. Wahlperiode einschlagen möchte.
Allerdings findet eine an der Parteiarena orientierte Mehrheitsbildung des Bundesrats nicht in allen Fällen ihre Umsetzung. Vor allem in finanzpolitischen Fragen stehen sich oftmals Bundes-und Länderinteressen gegenüber, wobei eine Strukturdimension mit reichen Geberländern, ärmeren west-und sehr finanzschwachen ostdeutschen Nehmerländern immer deutlicher zum Vorschein kommt Seit dem Beitritt der fünf „neuen“ Länder spitzt sich dieses Problem der unterschiedlichen Leistungsfähigkeit der Länder zu. Auf der einen Seite hat der Vereinigungsprozeß einen weiteren Zentralisierungsschub ausgelöst, der sich sehr deutlich an den Aufgaben der Treuhandanstalt und dem Volumen des Fonds Deutsche Einheit festmachen läßt. Auf der anderen Seite stellt sich das Problem, auf Länderebene ein Gleichgewicht zwischen sehr unterschiedlichen Ländergruppen zu finden. Dies wirft die Frage nach den Auswirkungen einer zweidimensionalen Interessenstruktur des Bundesrats, für die sich eine Vielzahl an historischen Belegen finden läßt, für das Verhältnis von Regierungs-und Bundesratsmehrheit auf.
IV. Die zweidimensionale Interessen-struktur des Bundesrats
Der Einrichtung eines Bundesrats lagen schon bei der Reichsgründung zwei Dimensionen zugrunde. Zum einen wollte Bismarck die Integration der sehr unterschiedlichen Königreiche und Fürstentümer in das Deutsche Reich fördern; zum anderen sollte der föderalistisch-monarchische Bundesrat ein Korrektiv zu den direkt gewählten Reichstags-vertretern bilden, die sich über den Parteienwettbewerb rekrutierten. Auf dieser parteipolitischen Dimension konkurrierten bis zum Ende der Weimarer Republik mit den Konservativen, Rechts-liberalen, Linksliberalen, Katholiken und Sozialdemokraten im wesentlichen fünf Gruppierungen wohingegen der Bundesrat des Kaiserreichs nur dem Schein nach der Träger der Bundessouveräni-tät war Als Folge der administrativen und militärischen Dominanz Preußens, das über 17 von insgesamt 58 Bundesratsstimmen verfügte, wurde das föderative Prinzip vom Hegemonialprinzip überlagert
Auch nach der Niederlage des Kaiserreichs im Ersten Weltkrieg und der Novemberrevolte von 1918 blieb die zweidimensionale Interessenstruktur erhalten. Noch bevor die Nationalversammlung zur Weimarer Reichsgründung zusammengetreten war, konstituierte sich ein vorläufiger Staatenausschuß nach der Art des früheren Bundesrats, dessen Vertreter an den Beratungen des Verfassungsentwurfs beteiligt waren. Das Problem der Hegemonie Preußens sollte durch die Teilung seiner 26 der insgesamt 66 Reichsratsstimmen gelöst werden, doch blieben die großen Unterschiede in der finanziellen und administrativen Leistungsfähigkeit der einzelnen Länder erhalten. In der Zweikammergesetzgebung der Weimarer Reichsgesetzgebung ging es auch nicht mehr ausschließlich um bundesstaatliche, sondern zunehmend um parteipolitische Gegensätze. Man sprach nun vom Parteienbundesstaat, der sich aus der Parlamentarisierung der Länder ergab In diesem Parteienbundesstaat konnte von 1919 bis 1932/33 nur mit Unterstützung der katholischen Zentrumspartei, ohne die weder eine linke noch eine rechte Mehrheit zustande kam, eine Regierung auf Reichsebene, in Preußen sowie in Hessen, Baden und Baden-Württemberg gebildet werden.
Nachdem sich die Alliierten in den Frankfurter Dokumenten von 1948 lediglich auf eine Regierungsform föderalistischen Typs festgelegt hatten, erarbeiteten die von den Ministerpräsidenten beauftragten Staatskanzleibeamten auf dem Herrenchiemseer Konvent einen Entwurf, der als Vorlage für den Parlamentarischen Rat, in dem die Parteien entsprechend ihrer Stärke in den Landtagen vertreten waren, die Länderinteressen sichern sollte. Allerdings konnten sich die Länder nicht auf eine einheitliche Linie einigen, und auch innerhalb der Parteien wurden sehr unterschiedliche Föderalismuskonzepte verfolgt Letztlich kam ein Kompromiß zustande, der dem Bund eine Vor-Machtstellung in der Gesetzgebung und den Status quo der Länder über das Konzept des Bundesrats sichern sollte, dessen Mehrheit in der Einspruchs-gesetzgebung von der entsprechenden Bundestags-mehrheit überstimmt werden kann. Als Novum der deutschen Verfassungsgeschichte wurde ein Vermittlungsausschuß eingerichtet, dessen Ausgestaltung in puncto Zusammensetzung und Verfahrensweise durch eine von Bundestag und Bundesrat zu erlassende Geschäftsordnung zu regeln war
Infolge ihrer Status-quo-Sicherung besaßen die Länder von Beginn an eine unterschiedliche Leistungsfähigkeit, die zwangsläufig zu einer stärkeren Politikverflechtung mit dem Bund führen mußte. Zusammengehörige Wirtschaftsräume vor allem der Stadtstaaten Bremen und Hamburg blieben durch Landesgrenzen durchtrennt. Viele Länder waren zu schwach für die selbständige Bewältigung des Wiederaufbaus und zu ungleich, um wichtige Aufgaben für sich als autonome Länder-kompetenz beanspruchen zu können. Die Unterschiede in der finanziellen und administrativen Leistungsfähigkeit der Länder beeinträchtigten die Ausgewogenheit des Länderverhältnisses untereinander und führten zu einer Abhängigkeit der finanzschwachen Länder von den starken Ländern und dem Bund, der das Instrument der Mischfinanzierung zur Steigerung seines Einflusses zu nutzen wußte. Schon 1973 stellte die Ernst-Kommission, die im Auftrag des Innenministers Vorschläge für eine zeitgemäße Neugliederung des Bundesgebietes erarbeitet hatte, eine unzureichende finanzielle Leistungsfähigkeit insbesondere der Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Saarland fest Auch bei den Einnahmen und Ausgaben vollzog sich ein Übergang vom Trenn-zum Verbundsystem, welches das Gefälle in der Infrastrukturausstattung der Länder nicht ausgleichen konnte.
Das Problem der unterschiedlichen Leistungsfähigkeit spitzte sich dramatisch zu, als die nach dem Zusammenbruch der DDR wiedererweckten fünf ostdeutschen Länder der Bundesrepublik beitraten. Während sich bei westdeutschen Experten die Auffassung durchgesetzt hatte, daß eine kleinere Anzahl an Ländern die Effizienz des Föderalismus steigern würde, lehnte die Regierung de Maizi& re ein Infragestellen der fünf Länder kategorisch ab Gleichzeitig wehrten sich vor allem die ärme ren Westländer, die durch den Beitritt von Nehmer-zu Geberländern geworden wären, gegen eine unmittelbare Anwendung der Regeln des Finanzausgleichssystems auf die fünf ostdeutschen Länder. Ein erster vorläufiger Ausweg fand sich durch die Einrichtung des Fonds Deutscher Einheit, dessen Schuldendienst sich Bund und Länder teilen. Des weiteren wurde die Anwendung der geltenden Regeln des Finanzausgleichssystems auf die fünf ostdeutschen Länder bis zum 1. Januar 1995 aufgeschoben, was diese in die Abhängigkeit vom Bund trieb Schließlich trug die Sorge um eine weitere Machtverschiebung zugunsten des Bundes zur Konsensbildung unter den Ländern bei, die sich die volle Aufnahme der ostdeutschen Länder in den horizontalen Finanzausgleich durch eine Vergrößerung ihres Umsatzsteueranteils vom Bund kompensieren ließen
Die aktuellen strukturpolitischen Unterschiede zwischen den Ländern lassen sich mit den Pro-Kopf-Zahlen des Länderfinanzausgleichs darstellen. Sicherlich können auch andere Indikatoren verwendet werden, doch geben die einwohnerbezogenen Ausgleichszahlen einen guten Einblick in die unterschiedliche Leistungsfähigkeit der Länder. 1997 war Hessen mit 522, -DM das Land mit der höchsten Ausgleichspflicht pro Einwohner, gefolgt von den vier Ländern Bayern (259, -DM), Baden-Württemberg (236, -DM), Nordrhein-Westfalen (168, -DM) und Hamburg (155, -DM). Schleswig-Holstein war mit ungefähr 2, -DM pro Einwohner noch zahlungspflichtig, während Rheinland-Pfalz (76, -DM), Niedersachsen (87, -DM) und das Saarland (185, -DM) zu den ausgleichsberechtigten Ländern gehörten. Größere Unterstützung erhielten Brandenburg (390, -DM), Sachsen (411, -DM), Sachsen-Anhalt (415, -DM), Mecklenburg-Vorpommern (452, -DM), Thüringen (438, -DM) und Bremen (522, -DM). Demgegenüber nahm Berlin (1 301, -DM) eine Sonderstellung ein.
Hinsichtlich der parteipolitischen Dimension findet sich ebenfalls eine erstaunliche Varianz bei den Landesregierungen. Die zahlreichen koalitionspolitischen Konstellationen, die seit 1949 auf Länderebene geschlossen wurden, lassen sich grob in fünf Typen zusammenfassen: Alleinregierungen von CDU/CSU, CDU/CSU-geführte Koalitionen ohne Beteiligung der SPD, Große Koalitionen zwischen CDU und SPD, SPD-geführte Koalitionen ohne Beteiligung der CDU und SPD-Alleinregierungen. In der Vergangenheit waren rund ein Fünftel aller Landesregierungen CDU/CSU-Alleinregierungen sowie Große Koalitionen, während die SPD nur in einem Siebtel der Fälle allein regierte, aber dafür häufiger Regierungen mit kleineren Koalitionspartnern (ca. 25 Prozent) als die CDU (ca. 20 Prozent) führte. Diese Ausgewogenheit zeigt sich auch bei den koalitionspolitischen Färbungen der derzeitigen Regierungen
Zur Einteilung der parteipolitischen Mehrheitsverhältnisse in Bundestag und Bundesrat, die aus den (koalitions-) spezifischen Landesregierungen hervorgehen, hat sich eine Unterscheidung von drei Kategorien etabliert, die sich an dem Ausmaß an Übereinstimmung mit der Bundestags-bzw. Regierungsmehrheit orientiert Neben der Gruppe der ähnlichen und unterschiedlichen Parteimehrheiten sind die sogenannten gemischten Landesregierungen aufzuführen, die sich auf Koalitionen zwischen Parteien des Bundestagsmehrheits-und -minderheitslagers stützen. Bundesratsklauseln, die in der Regel eine Stimmenthaltung eines gemischt regierten Landes bei Meinungsverschiedenheit der Koalitionspartner über das Abstimmungsverhalten im Bundesrat vorschreiben, wurden aufgrund der unterschiedlichen Auswirkungen von Stimmenthaltungen in der Zustimmungs-und Einspruchsgesetzgebung immer wieder umgangen *Letztlich entscheidet der Ministerpräsident, wie der Landes-vertreter im Bundesrat abzustimmen hat.
Seit 1949 bis zur Vereinigung war keine eindeutige Tendenz der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat auszumachen. Die CDU/CSU/F. D. P. -Koalitionsregierungen im Bund hingen zwischen 1949 und 1961 von der Unterstützung der gemischten Länder-gruppe ab, während sich die SPD/F. D. P. -Koalition von 1972 bis 1982 und die CDU/CSU/F. D. R-Koalition von 1996 bis 1998 mit unterschiedlichen Parteimehrheiten konfrontiert sahen. Auf ähnliche Parteimehrheiten konnten bis dahin lediglich die CDU/CSU/F. D. P. -Regierungen von 1961 bis 1966 und von 1982 bis 1990 zurückgreifen. Schon kurz nach der Vereinigung war die CDU/CSU/F. D. P-Koalitionsregierung zwischen 1991 und 1996 auf die Unterstützung der gemischten Ländergruppe angewiesen. Die Erhöhung des hessischen Stimmenanteils führte ab Januar 1996 zur Situation unterschiedlicher Parteimehrheiten in Bundestag und Bundesrat. Der Wahlsieg von SPD und Bündnis 90/Die Grünen schaltete die Mehrheitsverhältnisse in Bundestag und Bundesrat kurzzeitig gleich, doch seit dem Wahlsieg von CDU und F. D. P. in Hessen ist die Regierung wieder auf die Unterstützung durch die gemischte Ländergruppe angewiesen. Hinsichtlich dieser parteipolitischen Dimension verfügen momentan Rheinland-Pfalz, Bremen, Thüringen und Berlin über die mediane Abstimmungsstimme, die für die Verabschiedung von Regierungsvorlagen in der Zustimmungsgesetzgebung entscheidend ist.
In Schaubild 2 wird die parteipolitische und die strukturpolitische Anordnung der Länder zur Darstellung der zweidimensionalen Interessenstruktur des Bundesrats verwendet. Auf der vertikalen Achse ist die Anordnung der Länder auf der aktuellen parteipolitischen, auf der horizontalen Achse ihre Anordnung auf der strukturpolitischen Dimension, der die einwohnerbezogenen Länderfinanzausgleichszahlen von 1997 zugrunde liegen, abgetragen. Während die vier Länder Rheinland-Pfalz, Bremen, Thüringen und Berlin als Akteure der gemischten Ländergruppe der Regierung zur absoluten Mehrheitsbildung auf der parteipolitischen Dimension verhelfen können, ist auf der strukturpolitischen die Mittelgruppe der westlichen Nehmerländer entscheidend, die sich aus Niedersachsen, dem Saarland und Rheinland-Pfalz zusammensetzt. Da lediglich Rheinland-Pfalz in beiden Gruppen enthalten ist, kann keine Regierungsvorlage ohne dessen Zustimmung verabschiedet werden. Rheinland-Pfalz hat die mediane Abstimmungsstimme in beide Richtungen, die in zwei-und mehrdimensionalen Räumen eher selten eingenommen werden kann
Vor dem Wahlsieg von CDU und F. D. P. in Hessen hatten alle SPD-geführten Länder die mediane Abstimmungsstimme auf der parteipolitischen Dimension, so daß sich Niedersachsen und das Saarland die zweidimensionale Medianposition teilten. Aus Regierungssicht hat der hessische Regierungswechsel folglich die Koalitionsmöglichkeiten im Bundesrat verringert, die nun eine Kompromißbildung mit Rheinland-Pfalz verlangen. Dabei nimmt die Regierung eine Agenda-Setzerrolle ein, da der Bundesrat über ihre Regierungsvorlagen unter geschlossener Regel abstimmt. An diesem Regierungsprivileg ändert auch das Initiativrecht des Bundesrats nichts. Die Gesetzesvorlagen des Bundesrats müssen nämlich eine mehrheitliche Unterstützung des Bundestags finden, auf der wiederum die Regierung aufbaut. Die Bundestagsmehrheit kann somit jederzeit die Gesetzesvorlagen des Bundesrats ändern, über deren Annahme der Bundesrat anschließend nur mit Ja oder Nein entscheiden kann. Diese Asymmetrie kann eine Bundesratsmehrheit auszugleichen versuchen, indem sie den Vermittlungsausschuß änruft.
V. Der Vermittlungsausschuß als konditionaler Agenda-Setzer
Dem Vermittlungsausschuß wird nicht nur eine Schlüsselstellung bei der Aufhebung von Entscheidungsblockaden zugewiesen sondern auch eine zweifelsfreie Bewährung in dieser Scharnierfunktion attestiert Bisweilen werden seine verfassungsrechtlichen Bestimmungen und Grenzen auch kritisch diskutiert. Der Vermittlungsausschuß sei eine Dunkelkammer der Gesetzgebung die der parlamentarischen Demokratie entgegenlaufe Trotz der einhelligen Anerkennung seines Erfolgs und einiger kritischer Bewertungen ist wenig über die Art und Weise seiner Vermittlung bekannt, die einmalig in der deutschen Verfassungsgeschichte und im internationalen Vergleich ist Zur näheren Betrachtung seiner Vermittlungsweise kann zwischen den internen Modalitäten des Vermittlungsausschusses und den externen Modalitäten des Vermittlungsverfahrens unterschieden werden. Letztere gehen aus dem Gesetzgebungsverfahren hervor, während eine von Bundestag und Bundesrat zu beschließende Geschäftsordnung die Regeln des Vermittlungsausschusses definiert.
Im Unterschied zur Bundesversammlung, die anläßlich der Bundespräsidentenwahl alle Mitglieder des Bundestags und eine entsprechende Anzahl von Abgesandten der Länderparlamente versammelt, richtet sich die Größe des Vermittlungsausschusses an der Mitgliederzahl des Bundesrats aus, die von der entsprechenden Anzahl von Bundestagsvertretern komplettiert wird. Seit der Vereinigung entsenden beide Organe je 16 ständige Vertreter, wobei der Bundestag in der Vergangenheit schon mehrfach das Berechnungsverfahren geändert hat, das der Auswahl seiner Vertreter zugrunde gelegt wird. Nachdem das d'Hondtsche Höchstzahlverfahren, das große Fraktionen begünstigen kann, seit Beginn der 6. Wahlperiode durch mathematische Proportionalverfahren ersetzt worden war, führte es die Bundestagsmehrheit anläßlich des Bundestagseinzugs der PDS für die 13. Wahlperiode wieder ein Das Bundesverfassungsgericht verwarf die hierzu eingereichte Organklage der PDS, da sich der Bundestag kein bestimmtes Berechnungsverfahren auferlegen muß. Während die Auswahl der Bundestagsvertreter die Stärke der Fraktionen widerspiegelt, entsendet jedes Land einen Regierungsvertreter, der nicht an die Weisungen seiner Landesregierung gebunden ist und unabhängig von der Einwohnerzahl seines Landes nur eine Stimme besitzt.
Diese Neuverteilung der Bundesratsstimmen, die den in den Stimmengewichten der Bundesratsvertreter zum Ausdruck kommenden Unterschied zwischen großen und kleinen Ländern nivelliert, kann als ein Faktor aufgeführt werden, der die interne Abstimmung unter den Mitgliedern des Vermittlungsausschusses begünstigt. Die interne Abstimmung im Vermittlungsausschuß erfolgt nämlich laut § 8 GO VA auf der Basis des Mehrheitsentscheids und nicht nach dem Einstimmigkeitsprinzip, das eine Umverteilung zu Lasten einer Seite ausschließen würde. Die größeren Länder verlieren demnach gegenüber der Bundesratsabstimmung an Gewicht, so daß andere Mehrheiten als im Bundesrat zustande kommen können. Des weiteren können sich auch andere Mehrhei-ten aus dem Umstand ergeben, daß die 32 Bundestags-und Bundesratsvertreter den Mehrheitsbeschluß in einem Organ fassen. Im extremen Fall können 15 der 32 Vertreter des Bundestags oder des Bundesrats im Vermittlungsausschuß überstimmt werden, die für die Mehrheitsposition ihres Organs einstehen
Nun sind die Möglichkeiten einer einseitigen Majorisierung des Vermittlungsausschusses mit dem Hinweis auf das Vermittlungsverfahren verworfen worden, das dem Vermittlungsausschuß nur ein Vorschlagsrecht einräumt, dessen Annahme im Bundestag und Bundesrat beschlossen werden muß Allerdings stimmen Bundestag und Bundesrat über den Vorschlag des Vermittlungsausschusses unter geschlossener Regel ab, so daß dem Vermittlungsausschuß eine Agenda-Setzerrolle zukommt. Diese hat der Vermittlungsausschuß des öfteren zu nutzen gewußt. Ein häufig zitiertes Beispiel ist sein Vorschlag zum 2. Haushaltsstrukturgesetz von 1981, in den der Vermittlungsausschuß die im Fachausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zur Beratung vorliegenden Entwürfe eines Wohnungsbauänderungsgesetzes einbezog Das Bundesverfassungsgericht bestätigte die Vorgehensweise des Vermittlungsausschusses, Pakete zu schnüren, deren Bestandteile nicht unmittelbarer Grund für seine Anrufung sind. Durch dieses weitgehende Änderungsrecht und die Vorgabe, daß Bundestag und Bundesrat über den Vorschlag des Vermittlungsausschusses nur noch unter geschlossener Regel abstimmen, können durch das Vermittlungsverfahren einerseits Entscheidungsblockaden aufgehoben werden: Bisher konnten mehr als die Hälfte der 131 Gesetze, denen der Bundesrat bis zur 13. Wahlperiode seine Zustimmung zunächst versagt hatte, nach einem anschließenden Vermittlungsverfahren verkündet werden; selbst in Zeiten unterschiedlicher Parteimehrheiten wurde diese Erfolgsquote des Vermittlungsverfahrens nur geringfügig unterschritten Andererseits stellt sich die Frage, ob der unter Vertraulichkeitspflicht und Ausschluß der Öffentlichkeit tagende Vermittlungsausschuß in Konkurrenz zur Regierung tritt. Empirisch konzentriert sich der Vermittlungsausschuß tatsächlich auf seine Agenda-Setzerrolle. Anrufungen, die in der zweiten Hälfte der Wahl-perioden stark ansteigen, bezwecken in der überwiegenden Mehrheit der Fälle eine Änderung der Bundestagsbeschlüsse und nur selten eine Bestätigung oder Ablehnung Dem Anliegen der Antragsteller entspricht auch der Vermittlungsausschuß, der seit der 1. Wahlperiode bei fast 85 Prozent aller Fälle eine Änderung, bei nur ungefähr 13 Prozent eine Bestätigung und bei zwei Prozent aller Fälle eine Ablehnung der Gesetzesvorlage vorgeschlagen hat Die interne Unterstützung hierfür wird aus seiner 95prozentigen Vorschlagsquote ersichtlich, die der Vermittlungsausschuß in mehr als 700 Verfahren erzielt hat. Dabei wird der Vermittlungsausschuß von den jeweiligen Organen sehr unterschiedlich angerufen. Laut obiger Tabelle schlagen Bundesregierung und Bundestag zusammen nur in einem Zehntel aller Fälle das Vermittlungsverfahren ein, während der Bundesrat in fast 90 Prozent der insgesamt 756 Fälle den Vermittlungsausschuß anruft.
Der Grund für diese einseitige Nutzung des Vermittlungsverfahrens kann in der ungleichen Verteilung des Änderungsrechts im Gesetzgebungsverfahren gesehen werden. Während Regierungsbzw. Bundestagsmehrheit eine dominante Agenda-Setzerrolle gegenüber dem Bundesrat im „normalen“ Gesetzgebungsverfahren einnehmen, kann die Bundesratsmehrheit ein Änderungsrecht nur über den Vermittlungsausschuß ausüben. Besonders in der Einspruchsgesetzgebung kann der Bundesrat nur über den Vermittlungsausschuß auf die Bundestagsmehrheit einwirken, die ansonsten seine Einsprüche überstimmen kann. Allerdings kommt dem Vermittlungsausschuß keine vollständige Agenda-Setzerrolle zu, da seine Vermittlung nur im Fall einer Anrufung zum Tragen kommen kann. Der Vermittlungsausschuß ist daher ein konditionaler Agenda-Setzer, den primär eine Bundesratsmehrheit nutzen kann, wenn erstens ihre Mehrheit auch ohne Stimmengewichtung zustande kommt und zweitens ihr der Bundestag nicht entgegensteht.
Für das Regieren im deutschen Föderalismus läßt sich festhalten, daß die Erfolgsquote des Vermittlungsausschusses die Verabschiedungsquote von Regierungsvorlagen noch erhöht. Stellt man die sehr hohen Verabschiedungsquoten von Regierungsvorlagen und den Vorschlägen des Vermittlungsausschusses in Rechnung, dann kann zum einen die Reformstau-Debatte als eine reine Medienangelegenheit betrachtet werden. Weder der Anstieg an Zustimmungsgesetzen noch die Situation unterschiedlicher Parteimehrheiten haben zu einer signifikanten Entscheidungsblokkade geführt. Zum anderen kann die Höhe ihrer Verabschiedungsquoten als ein Ausdruck für die Macht eines Agenda-Setzers gewertet werden, dessen Bedeutung bei komplexen Sachverhalten steigt. Würde nun die Regierung über das Schnüren von Reformpaketen die Dimensionalität der Interessenstruktur des Bundesrats zu erhöhen versuchen, dann könnten sich ihre Koalitionsmöglichkeiten in der bundesstaatlichen Arena vergrößern. Allerdings würde dadurch auch der Spielraum des Vermittlungsausschusses erweitert, der primär von der Bundesratsmehrheit genutzt wird Je spezieller folglich die Thematik der Vorlage und der Anrufungsgründe, desto begrenzter ist die Macht der die Agenda setzenden Organe. Insofern trägt die Agenda-Setzerrolle des Vermittlungsausschusses zum föderalen Gleichgewicht bei, ihre Konditionalität schließt jedoch eine Konkurrenz zur Regierung aus.
Thomas König, Dr. phil., geb. 1961; Karl W. -Deutsch-Professor des Wissenschaftszentrums Berlin; Heisenberg-Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft; Vertreter des Lehrstuhls für Politikwissenschaft der Universität des Saarlandes. Veröffentlichungen u. a.: Europa auf dem Weg zum Mehrparteiensystem, Opladen 1997; verschiedene Beiträge in Fachzeitschriften.
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