Unter der Leitung von Ulrike Weckel (Justus-Liebig-Universität Gießen) und Christa Schikorra (KZ-Gedenkstätte Flossenbürg) fand am 3. Tag der Konferenz im Rahmen des Praxisforums der Workshop "Frühe Berichte, Bilder und Filme der nationalsozialistischen Verbrechen" statt. Die Arbeitsschwerpunkte von Weckel sind der Umgang mit der NS-Vergangenheit, Film als historische Quelle und die Rezeptionsforschung; Schikorra hingegen hat als Pädagogin und Leiterin der Pädagogischen Abteilung der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg viel praktische Erfahrung im Bereich der Bildungsarbeit an einem historischen Ort.
Der Workshop beschäftigte sich schwerpunktmäßig mit visuellen Zeugnissen der nationalsozialistischen Verbrechen, insbesondere mit den sogenannten "Atrocity-Films" und Photographien der Alliierten aus den befreiten Konzentrations- und Vernichtungslagern. Vor allem ging es um die Frage, wie diese in die Bildungsarbeit eingebunden werden könnten.
Durch einen Ausschnitt des Dokumentarfilmes "Die Todesmühlen" (Hanuš Burger) haben die circa 35 Workshop-Teilnehmenden einen kurzen Eindruck des Filmmaterials bekommen. In der folgenden Diskussion bezog sich die Kritik insbesondere auf die Tonebene des Films. Der Kommentar des Off-Sprechers würde die Bilder ins Lächerliche ziehen und bediene sich teilweise derselben manipulativen Mittel wie Propagandafilme, so die Ansicht eines Teilnehmers. Andere Teilnehmer waren der Meinung, dass die Schockwirkung des Bildmaterials im Zeitalter des Internets nicht mehr dieselbe Wirkung hätte, so sei es Jugendlichen heute jederzeit möglich, Enthauptungsvideos und Massenerschießungen zum Beispiel auf YouTube zu konsumieren. Ob es dadurch zu einer Verrohung der Jugendlichen komme, blieb unbeantwortet.
Verstörung und Beschämung – Ziel von Bildungsarbeit?
Im Rahmen ihrer Re-Education setzten die Alliierten auf eine "Schockpädagogik", die eine Entmenschlichung der Opfer in Kauf nahm. Doch können Verstörung und Beschämung wirklich Ziel von Bildungsarbeit 70 Jahre nach der Shoah sein? Nein, eine solche Zielsetzung sei nicht richtig, so Schikorra - doch auch unter den Teilnehmern des Workshops herrschte an diesem Punkt weitestgehend Konsens. Es sei an der Zeit, so eine Teilnehmerin, dass es zum Beispiel von dem Film "Die Todesmühlen" eine kommentierte, historisch aufgearbeitete Fassung des Films für edukative Zwecke gebe.
Eine andere Teilnehmerin verwies darauf, dass auch Aufnahmen, die die Alltags- und Lebenswelten der Opfer abbildeten, eine ebenso starke Wirkung auf den Betrachter haben könnten, es müsse nicht immer das "Resultat" der Wannsee-Konferenz gezeigt werden, um pädagogisch arbeiten zu können.
Es folgte eine kurze Präsentation von Photographien aus Burgsteinfurt aus dem Frühjahr 1945, die zeigten, wie die Einwohner der Stadt von britischen Alliierten zu einem Kinobesuch gezwungen wurden, der sie mit den deutschen Gräueltaten konfrontierte. Ergänzend wurden Bilder aus der Photoserie "Die Auflösung der Konzentrationslager" gezeigt, die Teil der Dauerausstellung im Haus der Wannsee-Konferenz ist. Im Anschluss wurde über die Verwendung von Ausschnitten aus "Atrocity-Films" in Spielfilmen gesprochen und mit exemplarischen Ausschnitten der Filme "Verboten!" (Samuel Fuller) und "Die innere Sicherheit" (Christian Petzold) verschiedene Film-im-Film Situationen veranschaulicht.
Dekonzeptualisierung und Umkehrung des Schreckens
Auch auf die Gefahr einer Dekonzeptualisierung des Bildmaterials wurde von einer Teilnehmerin hingewiesen. Der digitale Zugang zu den "Bilderwelten" werde immer einfacher und damit einhergehend steige auch die Gefahr, dass das Material von rechten Gruppen missbraucht werden könne. Ein Beispiel für die Umkehrung des Schreckens kam von einem Teilnehmer, der im Rahmen seiner Lehrtätigkeit an einer Bildungseinrichtung mehrfach "Atrocity-Films" vorführte. Im Anschluss sei es zu einem signifikanten Anstieg von §86a Verstößen (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) an seiner Schule gekommen. Ob es tatsächlich einen kausalen Zusammenhang zwischen den Vorführungen der Filme und den §86a Verstößen geben würde, stellte überraschenderweise keiner der Teilnehmer in Frage.
Anhand der vorgeführten Filmquellen und Photographien konnte nur unzureichend erörtert werden, was generell für und gegen eine weitere Verwendung des Materials in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen spräche. Wichtig seien ein interdisziplinärer Ansatz und die Berücksichtigung des Vorwissens der Zielgruppe, so ein Teilnehmer. Die Ikonografie der Shoah gehöre inzwischen zum Bilderhaushalt jeder Generation. Die Frage, ob man das beschämende Bildmaterial zeigen dürfe, habe sich für Schikorra daher nie gestellt, vielmehr ginge es ihr um eine strukturierte Kontextualisierung und Historisierung des Materials.