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Zur Veränderung des Altersbildes in Deutschland | Alter und Altern | bpb.de

Alter und Altern Editorial Warum wir nicht mehr älter werden - Essay Zur Veränderung des Altersbildes in Deutschland Die große Alterswende Zur Bedeutung von Altersstereotypen Alter(n) und Geschlecht: ein Thema mit Zukunft

Zur Veränderung des Altersbildes in Deutschland

Andreas Kruse Eric Schmitt Andreas Kruse · Eric Schmitt

/ 15 Minuten zu lesen

Die These einer altenfeindlichen Gesellschaft wird unter anderem durch Ergebnisse empirischer Forschung widerlegt. Gleichwohl spiegeln Altersbilder auch soziale Ungleichheiten wider, die bei der Förderung von Potenzialen des Alters berücksichtigt werden müssen.

Einleitung

Bis zum Jahr 2050 wird nach Prognosen des Statistischen Bundesamtes mit einem Rückgang der Gesamtbevölkerung Deutschlands um etwa neun Prozent gerechnet. Dabei wird für die Anzahl der Personen im Erwerbsalter (20 bis 64 Jahre) ein Rückgang um 20 Prozent, für die Anzahl der über 65-Jährigen eine Zunahme um 54 Prozent und für die über 80-Jährigen eine Zunahme um 174 Prozent erwartet.

Im Jahre 2050 würde demnach der Bevölkerungsanteil der über 65-Jährigen bei 29,6, der Bevölkerungsanteil der über 80-Jährigen bei 12 Prozent liegen. Der demografische Wandel ist auch mit einer Alterung des Erwerbspersonenpotenzials verbunden. Bis zum Jahre 2020 wird die Anzahl der 55- bis 64-Jährigen um fünf Millionen von heute 20 Prozent auf 34 Prozent des Gesamterwerbspersonenpotenzials steigen.

Aus der skizzierten Entwicklung ergeben sich drei grundlegende Herausforderungen für unsere Gesellschaft: Erstens stellt sich die Aufgabe einer solidarischen und gerechten Verteilung der Lasten des demografischen Wandels auf die Generationen.

Zweitens ergibt sich die Aufgabe, die Rahmenbedingungen für eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern und damit zu einer kinderfreundlicheren Gesellschaft beizutragen. Drittens muss die Gesellschaft realisieren, dass sie bereits heute nicht mehr auf die Potenziale älterer Menschen verzichten kann - das Humanvermögen des Alters ist in gleicher Weise für die Arbeitswelt wie auch für unsere Kultur unverzichtbar.

Potenziale des Alters

Im öffentlichen Diskurs über die Folgen des demografischen Wandels wird zunehmend thematisiert, dass es sich eine alternde Gesellschaft auf Dauer nicht leisten kann, auf die gezielte Nutzung von Potenzialen des Alters zu verzichten. Als Potenziale des Alters für unsere Gesellschaft werden dabei primär die im Durchschnitt vergleichsweise hohen materiellen Ressourcen älterer Menschen gewertet, die einen bedeutenden Impuls für die Wirtschaft darstellen. Diese Aussage lässt sich anhand von zwei statistischen Daten belegen: Im Jahre 2003 betrugen in der Bundesrepublik Deutschland die Ausgaben der Haushalte von Menschen im Alter von 60 Jahren und älter mit 308 Milliarden Euro fast ein Drittel der Gesamtausgaben für den privaten Verbrauch in Höhe von 987 Milliarden Euro; in diesem Jahr bildete die Konsumquote der Haushalte mit Bezugspersonen im Alter von 65 bis unter 75 Jahre mit rund 84 Prozent die höchste aller Altersgruppen (im Durchschnitt gaben die privaten Haushalte etwa 75 Prozent ihres verfügbaren Einkommens für den Konsum aus).

Doch beschränken sich die Potenziale des Alters für die Gesellschaft keinesfalls allein auf die materiellen Ressourcen und deren Impuls für die Wirtschaft. Genauso wichtig sind die Potenziale des Alters für die Arbeitswelt wie auch für die Zivilgesellschaft. In der Arbeitswelt wird die Frage, wie das Humanvermögen älterer Menschen produktiv genutzt werden kann, vielfach ausgeblendet; bis heute werten nur wenige Unternehmen die Beschäftigung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wie auch deren Qualifizierung als eine wichtige, zukunftsorientierte Unternehmensstrategie. Dies spiegelt sich in der Entwicklung der Erwerbsquote in den vergangenen Jahrzehnten wider: Im Jahre 2004 waren in der Bundesrepublik Deutschland nur 41,4 Prozent aller Personen im Alter zwischen 55 und 64 Jahren beschäftigt; zwischen 1970 und 2000 ist in Deutschland die Erwerbsquote der 55- bis 64-Jährigen um 9 Prozent von 51,9 auf 42,9 zurückgegangen. Eine Neuorientierung der Unternehmen im Hinblick auf die realistische Einschätzung der Potenziale älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie der berufsbegleitenden Qualifizierung als Voraussetzung für die Entwicklung und Umsetzung dieser Potenziale ist auch angesichts der Tatsache notwendig, dass in Deutschland bis zum Jahre 2020 das Erwerbspersonenpotenzial der über 50-Jährigen um fast fünf Millionen Menschen und ihr Anteil am Erwerbspersonenpotenzial insgesamt von 22 auf 34 Prozent steigen wird.

Doch ist auch in unserer Gesellschaft vielfach das Argument zu hören, dass die veränderte Altersstruktur - unter sonst gleich bleibenden Rahmenbedingungen - nicht nur zu steigenden Lohnnebenkosten, sondern auch zu einer verringerten Innovationsfähigkeit führe, welche die Absatzchancen auf einem globalisierten Markt gefährden und langfristig den Verlust der Konkurrenzfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland zur Folge haben könne. Dabei wird nicht berücksichtigt, dass das höhere Lebensalter Innovationsfähigkeit und Kreativität nicht ausschließt, sondern dass diese - im Falle günstiger Entwicklungsbedingungen im Lebenslauf - bis in das hohe Lebensalter erhalten bleiben. Zu diesen günstigen Entwicklungsbedingungen gehört auch eine Unternehmensstrategie, die auf Entwicklung und Erhaltung der Innovationsfähigkeit und Kreativität der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch berufsbegleitende Weiterbildung zielt.

Leben wir in einer altenfeindlichen Gesellschaft?

In unserem Verhalten gegenüber anderen Menschen orientieren wir uns nicht nur an unserer Kenntnis von deren individuellen Eigenschaften, Stärken und Schwächen; aus der (mutmaßlichen) Zugehörigkeit eines Menschen zu spezifischen sozialen Kategorien oder Gruppen schließen wir auch auf das Vorhandensein charakteristischer Attribute und Kompetenzen, die unsere Deutung des Verhaltens anderer Menschen und unser Verhalten diesen gegenüber nachhaltig beeinflussen können. Vorurteile und Diskriminierungen gegenüber älteren Menschen bildeten von Beginn an den zentralen Gegenstand der wissenschaftlichen Untersuchung von Altersbildern. Bis heute einflussreich geblieben ist die von Robert Butler im Jahre 1969 formulierte These eines für westliche Gesellschaften charakteristischen Ageism. Die mit diesem Begriff bezeichnete Altenfeindlichkeit umfasst drei Aspekte, die der Annahme Butlers zufolge eng miteinander zusammenhängen:

  • Vorurteile gegenüber älteren Menschen, dem Alter und dem Alternsprozess;

  • soziale Diskriminierungen älterer Menschen und

  • institutionelle und politische Praktiken, die stereotype Überzeugungen (oft ohne dies zu beabsichtigen) bestätigen und aufrechterhalten.

    Folgt man der Sichtweise Butlers, dann ist politisches Handeln in westlichen Gesellschaften nicht nur durch negative Altersbilder beeinflusst, sondern trägt darüber hinaus auch zur Aufrechterhaltung stereotyper Überzeugungen bei. Diese Hypothese wird unseres Erachtens durch die gegenwärtige politische Diskussion widerlegt: Diese orientiert sich zunehmend an einer differenzierten Sichtweise von Alter und Altern.

    Die Sachverständigenkommission des Fünften Altenberichts der Bundesregierung, der unter der Überschrift "Potenziale des Alters in Wirtschaft und Gesellschaft" steht, geht im Einleitungskapitel des Berichts von fünf Leitbildern im Hinblick auf die Entwicklung, die Aufrechterhaltung und die gesellschaftliche Nutzung von Potenzialen im Alter aus. Das erste Leitbild lässt sich umschreiben mit Alter als Motor für Innovation. Die Kommission hebt hervor, dass sich die Innovationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft nur dann erhalten lässt, wenn es gelingt, das Beschäftigungspotenzial älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer besser auszuschöpfen. Die Wachstumschancen der deutschen Wirtschaft werden in Zukunft stark davon abhängen, inwieweit es gelingt, bei der Entwicklung und dem Angebot von Produkten und Dienstleistungen die Interessen und Bedürfnisse älterer Menschen gezielt anzusprechen. - Das zweite Leitbild lässt sich umschreiben mit Recht auf lebenslanges Lernen und Pflicht zum lebenslangen Lernen.

    Das geforderte Recht auf lebenslanges Lernen wird sofort Konsens in unserer Gesellschaft finden, die Pflicht hingegen weniger. Die Pflicht zum lebenslangen Lernen ergibt sich aus der Tatsache des sozialen, kulturellen und technischen Fortschritts, an dem ältere Menschen - im Hinblick auf die Erhaltung von Selbstständigkeit und Selbstverantwortung wie im Hinblick auf erhaltene soziale Teilhabe - in gleichem Maße partizipieren sollten wie jüngere Menschen. Dies erfordert Bildungsinteressen und Bildungsaktivitäten auf Seiten der älteren Menschen sowie entsprechende Angebote der verschiedenen Einrichtungen der Erwachsenenbildung. - Das dritte Leitbild lässt sich umschreiben mit Prävention in allen Phasen des Lebenslaufs, wobei der Präventionsbegriff nicht nur medizinisch, sondern auch soziologisch und psychologisch verstanden wird.

    Es geht zum einen um die Vermeidung von Krankheiten und funktionellen Einschränkungen, zum anderen um die Verringerung bestehender sozialer Ungleichheiten hinsichtlich materieller Ressourcen, Bildungsressourcen, gesundheitlicher Versorgung, Wohnsituation etc. Eine zentrale Komponente der Prävention ist die Vermittlung von Kompetenzen, die für die selbstständige und selbstverantwortliche Lebensführung wie auch für die soziale Integration und Kommunikation im Alter bedeutsam sind. Im Hinblick auf dieses Leitbild - wie auch das Leitbild des lebenslangen Lernens - sind empirische Befunde von Bedeutung, die auf die neuronale Plastizität (die Anpassungsfähigkeit der Nervenzellen) und damit auf die Lern- und Veränderungskapazität des Menschen über den gesamten Lebenslauf hindeuten. Aus diesem Grunde sind Generationen übergreifende Bildungsangebote wichtig, die ausdrücklich auch die Bildungsinteressen älterer Menschen ansprechen. - Das vierte Leitbild betont die Nachhaltigkeit und Generationensolidarität:

    Die Förderung der Lebensbedingungen älterer Menschen darf die Entwicklungschancen nachfolgender Generationen nicht beeinträchtigen. Aus diesem Grunde werden Fragen des Alters grundsätzlich in Generationen übergreifenden Kontexten behandelt. Dabei spielt auch die Frage, inwieweit die mittlere und junge Generation von den Potenzialen des Alters profitieren kann (zum Beispiel durch Beteiligung älterer Menschen an Erziehung und Bildung), eine wichtige Rolle. - Aus dem Leitbild der Generationengerechtigkeit geht jenes des mitverantwortlichen Lebens älterer Menschen hervor, das fünfte Leitbild der Kommission. Ältere Menschen verfügen über kognitive, lebenspraktische, sozialkommunikative Kompetenzen, die sie befähigen, innerhalb unserer Gesellschaft ein mitverantwortliches Leben zu führen - zum Beispiel im Sinne des Engagements in Kommunen, Vereinen, in der Nachbarschaft. Damit die Kompetenzen für mitverantwortliches Handeln genutzt werden, ist es notwendig, dass unsere Gesellschaft ältere Menschen in viel stärkerem Maße als mitverantwortlich handelnde Staatsbürgerinnen und Staatsbürger anspricht.

    Dabei ist zu bedenken, dass - wie bereits die altgriechische Philosophie des Aristoteles sehr klar beschreibt - der Mensch im Kern ein zoon politikon, das heißt, ein politisch denkendes und handelndes Wesen ist. In der Sprache der von Hannah Arendt 1960 verfassten Schrift "Vita activa oder vom tätigen Leben" lässt sich dieser Sachverhalt wie folgt ausdrücken: Es geht darum, dass wir das Alter in die Mitte der Gesellschaft (polis) holen und nicht an den Rand der Gesellschaft drängen.

    Altersbilder in unserer Gesellschaft



    In unseren eigenen Arbeiten gehen wir davon aus, dass Altersbilder nicht einfach positive oder negative Bewertungen älterer Menschen sein können. Auch wäre die Annahme zu einfach, in den Altersbildern jüngerer Menschen spiegele sich vor allem die Tendenz zur Abwertung von Mitgliedern sozialer Gruppen, denen man selbst nicht angehört, wider.

    Die im Alternsprozess auftretenden biologisch-physiologischen, psychologischen und sozialen Veränderungen können in sehr unterschiedliche Richtungen weisen. Persönlichkeitsentwicklung ist über die gesamte Lebensspanne sowohl mit Gewinnen und Chancen als auch mit Verlusten und Risiken verbunden, wobei in allen Lebensaltern große Unterschiede in den individuellen Alternsprozessen beobachtbar sind. Aus diesem Grunde lassen sich unsere Vorstellungen von Alter und Altern nicht auf einige wenige Aussagen reduzieren, hinsichtlich derer wir weitestgehend übereinstimmen. Wir verfügen vielmehr über sehr unterschiedliche Altersbilder, die wir je nach Situation in unserer Wahrnehmung, unseren Urteilen und unserem Verhalten berücksichtigen, zurückstellen oder gänzlich ignorieren. In einer eigenen empirischen Untersuchung, an der 1 275 Menschen im Alter zwischen 45 und 75 Jahren teilgenommen haben, wurden aus der aktuellen wissenschaftlichen und sozialpolitischen Diskussion vier Altersbilddimensionen abgeleitet und psychometrische Skalen zur Messung der Ausprägung dieser Dimensionen entwickelt (vgl. Tabelle 1 der PDF-Version).

    Das ermittelte Ausmaß an Zustimmung versus Ablehnung für jene Aussagen, welche die ersten beiden Skalen konstituieren, verdeutlicht, dass die differenzierten Altersbilddimensionen weitgehend unabhängig voneinander sind. Einerseits war der überwiegende Anteil der Untersuchungsteilnehmer der Auffassung, im Alter sei die glücklichste Zeit des Lebens nicht vorüber, das Alter sei eine sehr schöne Lebensphase, ältere Menschen hätten mehr innere Ruhe als jüngere und würden viel aus ihrem Leben machen. Andererseits war die deutliche Mehrheit der Untersuchungsteilnehmer der Meinung, die meisten älteren Menschen fühlten sich einsam, ältere Menschen seien häufig deprimiert, viele hätten den Anschluss an die heutige Zeit verloren, und im hohen Alter hätten viele geistig abgebaut (vgl. Tabelle 2 der PDF-Version). Für jene Untersuchungsteilnehmerinnen und -teilnehmer, deren Werte für die Skala "Entwicklungsverluste und Risiken" im oberen Quartil lagen, die also negative Aspekte des Alter(n)s besonders betonten, verteilten sich die Werte für die Skala "Entwicklungsgewinne und Chancen" nahezu gleichmäßig über alle Quartile. Auch aus der Akzentuierung negativer Aspekte des Alter(n)s kann also nicht auf die fehlende Wahrnehmung positiver Aspekte des Alter(n)s geschlossen werden.

    In unserer Studie wurde die objektive Lebenssituation durch elf, die subjektive Lebenssituation durch sieben Merkmale abgebildet (vgl. Tabelle 3 der PDF-Version).

    Mit Ausnahme des Merkmals "städtische versus ländliche Region" fanden sich für alle Merkmale der objektiven Lebenssituation zumindest zu einzelnen der vier Altersstereotype bzw. Altersbilddimensionen bedeutsame Zusammenhänge. Die meisten und in quantitativer Hinsicht bedeutsamsten Zusammenhänge ermittelten wir für die Dimension "Gesellschaftliche Abwertung älterer Menschen". Berufstätige nahmen die Einstellung der Gesellschaft gegenüber den Leistungen älterer Menschen positiver wahr als Arbeitslose und Vorruheständler, Arbeitslose gaben negativere Urteile ab als Rentner. Für Beamte ermittelten wir geringere Werte als für Arbeiter und Angestellte, für geschiedene Untersuchungsteilnehmer höhere als für ledige und verheiratete Untersuchungsteilnehmer. Untersuchungsteilnehmer mit Ersparnissen, Wohneigentum oder einem höheren Haushaltsnettoeinkommen sahen ältere Menschen tendenziell als in unserer Gesellschaft weniger benachteiligt an. Weitere Zusammenhänge fanden sich zwischen Berufsprestige und der Haushaltsgröße und den Urteilen (je höher das Berufsprestige und je größer der Haushalt, desto günstiger die Urteile der Untersuchungsteilnehmer). Schließlich lagen die Werte auf der Skala "Gesellschaftliche Abwertung älterer Menschen" für die Untersuchungsteilnehmer aus den westdeutschen Bundesländern im Durchschnitt unter jenen für die Untersuchungsteilnehmer aus den ostdeutschen Bundesländern.

    Differenzierung von Altersbildern im mittleren Erwachsenenalter



    Eingangs hatten wir hervorgehoben, dass der demografische Wandel uns zum einen vor die Herausforderung stellt, zu einer differenzierten Einschätzung der Potenziale wie auch der Begrenzungen des Alters zu gelangen. Erst auf dieser Grundlage ist es möglich, den Beitrag des Alters zum Humanvermögen unserer Gesellschaft zu erhöhen. Zum anderen wurde auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern.

    Nachfolgend werden wir daher auf ein Projekt eingehen, in dem Frauen in der Lebensmitte für den Wiedereintritt in den Beruf qualifiziert werden. Mit diesem Projekt soll nicht nur die Beschäftigungsfähigkeit in der Lebensmitte erhöht werden. Es zielt auch darauf, Anregungen zur Differenzierung von Altersbildern zu geben - sowohl auf individueller als auch auf kollektiver (gesellschaftlicher) Ebene. Und schließlich kann dieses Projekt das Erreichen des Zieles der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördern. Denn die Weiterqualifizierung von Frauen in der Lebensmitte kann dazu beitragen, dass sich mehr junge Frauen (und Männer) für Kinder entscheiden - stärken doch Projekte dieser Art die Überzeugung, dass sich auch die Gesellschaft dafür verantwortlich fühlt, nach Abschluss der Familienphase den Wiedereintritt in den Beruf zu unterstützen.

    In diesem von der Landesstiftung und dem Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg seit 2004 geförderten Projekt werden Frauen, die auf Grund familiärer Verpflichtungen ihre Erwerbstätigkeit für längere Zeit unterbrochen haben, mit dem Ziel des Erwerbs verschiedener Schlüsselkompetenzen geschult, um auf diese Weise die Chancen der Rückkehr in den Beruf zu erhöhen. Zu diesen Schlüsselkompetenzen gehören Strategien der Problemlösung, der Verhandlungsführung und der Bewerbung, sozialkommunikative Fertigkeiten wie Gesprächsführung im Dialog und in der Gruppe, Techniken der Moderation und Präsentation sowie Fertigkeiten zur Bedienung von Computern und zur gezielten Recherche im Internet. Eine bedeutende Komponente des Programms bildet ein mindestens sechswöchiges, fachlich begleitetes Praktikum.

    Das Projekt "Coming back 45+" macht deutlich, wie stark

    erstens die beruflichen Potenziale von Frauen im mittleren Erwachsenenalter ausgeprägt sind - die hohen kognitiven Potenziale, die differenzierten Erfahrungen und Wissenssysteme, die im früheren Beruf sowie in der Familienphase gewonnen wurden, stellen eine Ressource für die Berufs- und Arbeitswelt dar, auf die unser Land langfristig nicht verzichten kann;

    zweitens das Interesse dieser Frauen an dem Wiedereintritt in den Beruf ausgeprägt ist - die Möglichkeit, wieder in den Beruf einzutreten, wird von den Frauen als ein sehr bedeutsames Lebensziel gewertet, mit dem sie Sinnerleben, Neuorientierung und soziale Integration verknüpfen;

    drittens Offenheit und Innovationsfreude dieser Frauen ausgeprägt sind - die Frauen suchen nach Möglichkeiten neuen Engagements, und sie sind in hohem Maße offen für neue Anregungen und neue Herausforderungen;

    viertens die psychische Belastung dieser Frauen ist, dass sie ihre Potenziale sowie ihre Offenheit und Innovationsfreude nicht in ausreichendem Maße umsetzen können - diese psychische Belastung kann langfristig dazu führen, dass bei den Frauen Unzufriedenheit, wenn nicht sogar psychische Störungen auftreten.

    Solche Programme leisten zunächst einen wichtigen Beitrag zur vermehrten Nutzung des Humanvermögens von Frauen im mittleren Erwachsenenalter - eine Notwendigkeit, die angesichts des demografischen Wandels und der daraus erwachsenden Notwendigkeit, in Zukunft vermehrt mit älteren Belegschaften den Wirtschaftsstandort Deutschland zu sichern, zunehmend an Aktualität gewinnt. Sie leisten dadurch zudem einen substanziellen Beitrag zur Förderung von Lebensqualität und Lebenszufriedenheit sowie zur Vermeidung von psychischen Störungen.

    Und schließlich können solche Programme dazu dienen, die im Hinblick auf die beruflichen Entwicklungschancen immer noch bestehende, tief greifende Ungleichheit zwischen Frauen und Männern wenigstens in Teilen abzubauen.

    Bereits nach Durchführung der ersten Kurse "Coming back 45+" lässt sich die Feststellung treffen, dass die Teilnehmerinnen erstens einen sehr deutlichen Zuwachs an Selbstvertrauen, zweitens eine sehr deutliche Zunahme an Bewältigungskompetenz in Stresssituationen sowie drittens einen Zuwachs an kognitiven Ressourcen erfahren. Zudem nimmt viertens die Orientierung im Hinblick auf Anforderungen, Chancen und Barrieren in der Berufs- und Arbeitswelt erkennbar zu. Diese Ergebnisse - die durch die Aussagen aller Kursteilnehmerinnen gestützt werden - lassen sich in der Hinsicht interpretieren, dass durch die Kurse Grundlagen für eine erfolgreiche Bewerbung deutlich gefestigt und zum Teil erheblich ausgebaut wurden.

    Umgekehrt lässt sich aber auch feststellen: Wenn es nicht gelingt, Frauen mit hohen kognitiven und psychischen Ressourcen, mit Offenheit für neue Erfahrungen und mit einer hohen Motivation zum Wiedereintritt in den Beruf tatsächlich in die Berufswelt zu vermitteln, so besteht bei einem nicht kleinen Teil dieser Frauen die Gefahr wachsender Resignation und Unzufriedenheit.

    Schlussfolgerungen



    Im Kontext der Ageism-These von Robert Butler ist die Auffassung populär geworden, weit verbreitete negative Stereotype über, Vorurteile gegenüber und Diskriminierungen von ältere(n) Menschen würden dazu beitragen, dass das Alter mit nicht zu leugnenden "faktischen" sozialen Benachteiligungen einhergeht, die auch von den älteren Menschen selbst nicht weiter hinterfragt werden und deren gesellschaftliche Rechtfertigung unabhängig vom Lebensalter zu einer Dominanz negativer Altersbilder beiträgt. Nachdem frühe Untersuchungen bei allen theoretisch-konzeptionellen und methodischen Mängeln diese Auffassung noch teilweise bestätigten, ist die Wahrnehmung des Alters heute sehr viel stärker durch Differenziertheit und Optimismus geprägt. Dabei ist allerdings zu beachten, dass sozialstrukturelle Merkmale einen bedeutsamen Einfluss auf die Wahrnehmung des Alter(n)s ausüben. Berücksichtigt man den dargestellten Einfluss von Altersbildern auf die Verwirklichung von Potenzialen, dann wird deutlich, dass eine stärkere Nutzung und Förderung von Potenzialen des Alters in unserer Gesellschaft auch eine differenzierte Berücksichtigung von Dimensionen sozialer Ungleichheit erfordert.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Diese mittlere Variante der 10. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung geht davon aus, dass die durchschnittliche Geburtenziffer pro Frau bis 2050 bei 1,4 konstant bleiben wird, mittelfristig per saldo jährlich 200 000 Menschen nach Deutschland kommen (Nettozuwanderung). Angenommen wird ferner, dass die durchschnittliche Lebenserwartung Neugeborener im Jahr 2050 bei 81 Jahren für Jungen und 87 Jahren für Mädchen liegen wird.

  2. Vgl. Bundesregierung, Fortschrittsbericht 2004 für die Bundesrepublik Deutschland. Bundespresseamt, Berlin 2004; Kommission, Fünfter Altenbericht der Bundesregierung: "Potenziale des Alters in Wirtschaft und Gesellschaft". Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Berlin 2005.

  3. Vgl. Axel Börsch-Supan/Matthias Sommer, Demografie und Kapitalmärkte. Die Auswirkungen der Bevölkerungsalterung auf Aktien-, Renten- und Immobilienvermögen. Deutsches Institut für Altersvorsorge, Köln 2003; Winfried Schmähl, Einkommenslage und Einkommensverwendungspotenzial Älterer in Deutschland, in: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, (2005) 85, S. 156 - 165.

  4. Vgl. Deutsches Institut für Wirtschaft, Mit der steigenden Wirtschaftskraft Älterer rechnen - Erste Ergebnisse der DIW-Studie zu den Auswirkungen des demographischen Wandels auf den Konsum. Pressemitteilung des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 13. August 2005, Berlin 2005.

  5. Vgl. Europäische Kommission, Mehr und bessere Arbeitsplätze für alle. Die europäische Beschäftigungsstrategie. Europäische Kommission, Luxemburg 2004 und dies., Beschäftigung in Europa 2003, Luxemburg 2003.

  6. Vgl. Gerhard Bosch/Sebastian Schief, Ältere Beschäftigte in Europa: Neue Formen sozialer Ungleichheit, in: WSI-Mitteilungen, (2005) 58, S. 32 - 39.

  7. Vgl. Europäische Kommission (Anm. 5).

  8. Vgl. Prognos AG, Prognos Deutschland Report 2002 - 2020, Basel 2002.

  9. Vgl. Dean K. Simonton, Career paths and creative lives: A theoretical perspective on late life potential, in: Carolyn E. Adams-Price (Hrsg.), Creativity and successful aging. Theoretical and empirical approaches, New York 1998, S. 3 - 20.

  10. Vgl. Volker Volkholz/Udo Kiel/Sascha Wingen, Strukturwandel des Arbeitskräfteangebots, in: Peter Brödner/Matthias Knuth (Hrsg.), Nachhaltige Arbeitsgestaltung: Trendreports zur Entwicklung und Nutzung von Humanressourcen, München 2002, S. 241 - 302.

  11. Vgl. Henri Tajfel, Human groups and social categories, Cambridge 1981; Mark Snyder, On the self-perpetuating nature of social stereotypes, in: David L. Hamilton (Ed.), Cognitive processes in stereotyping and intergroup behavior, Hillsdale, NJ 1981, S. 183 - 211.

  12. Vgl. Robert Butler, Ageism: Another form of bigotry, in: Gerontologist, (1969) 9, S. 243 - 246.

  13. Vgl. Kommission (Anm. 2).

  14. Vgl. Gerhard Naegele, Wirtschaftliche Auswirkungen und Herausforderungen, in: Stefan Pohlmann (Hrsg.), Der demografische Imperativ, Hannover 2003, S. 57 - 64.

  15. Ursula M. Staudinger, Die Zukunft des Alterns und das Bildungssystem, in: S. Pohlmann (Hrsg.), (Anm. 14), S. S 65 - 81; Alan Walker, The principles and potential of active ageing, in: Stefan Pohlmann (Hrsg.), Facing an ageing world - recommendations and perspectives, Regensburg 2002, S. 113 - 118.

  16. Vgl. Andreas Kruse, Selbstständigkeit, Selbstverantwortung, bewusst angenommene Abhängigkeit und Mitverantwortung als Kategorien einer Ethik des Alters, in: Zeitschrift für Gerontologie & Geriatrie, (2005) 38, S. 273 - 286.

  17. Vgl. Andreas Hoff, Intergenerationale Familienbeziehungen im Wandel, in: Clemens Tesch-Römer/Heribert Engstler/Susanne Wurm (Hrsg.), Sozialer Wandel und individuelle Entwicklung in der zweiten Lebenshälfte, Wiesbaden 2005 (im Druck).

  18. Vgl. Andreas Kruse, Gesund altern. Stand der Präventionsforschung und Entwicklung ergänzender Präventionsstrategien, Baden-Baden 2002.

  19. Vgl. Enquete-Kommission "Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements", Bürgerschaftliches Engagement - auf dem Weg in eine zukunftsfähige Bürgergesellschaft. Endbericht, Opladen 2002.

  20. Vgl. Hanna Arendt, Vita activa oder vom tätigen Leben, Stuttgart 1960.

  21. Vgl. Andreas Kruse/Ursula Lehr/Eric Schmitt, Ressourcen des Alters erkennen und nutzen - Zur Produktivität älterer Menschen, in: Gerd Jüttemann (Hrsg.), Psychologie als Humanwissenschaft, Göttingen 2004, S. 345 - 360.

  22. Vgl. Eric Schmitt, Altersbild - Begriff, Befunde und politische Implikationen, in: Andreas Kruse/ Mike Martin (Hrsg.), Enzyklopädie der Gerontologie, Bern 2004, S. 135 - 148.

Dr. phil., geb. 1955; Professor am Institut für Gerontologie der Universität Heidelberg, Bergheimer Straße 20, 69115 Heidelberg.
E-Mail: E-Mail Link: andreas.kruse@urz.uni-heidelberg.de

Priv.-Doz. Dr. phil.; geb. 1964; Institut für Gerontologie der Universität Heidelberg, Bergheimer Straße 20, 69115 Heidelberg
E-Mail: E-Mail Link: eric.schmitt@urz.uni-heidelberg.de