Die Auswirkungen der Europäischen Strukturfonds auf die regionale Entwicklung in Portugal
Ralf Sänger
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Zusammenfassung
Die Strukturfonds der Europäischen Gemeinschaft erhielten nach der Einheitlichen Europäischen Akte (1986) und nach ihrer Reform (1988) verstärkt die Aufgabe, eine regionale Homogenisierung voranzutreiben und die benachteiligten Regionen an den Stand der entwickelten heranzuführen. Nach Aussage der zuständigen EG-Stellen soll ihnen diese Aufgabe mehr als zufriedenstellend gelungen sein. Eine mikroökonomisch angelegte Analyse für die Regionen Portugals, das in seiner Gänze zu den geförderten Gebieten zählt, offenbart jedoch, daß Gesamtportugal seine Stellung gegenüber dem Durchschnitt der EG-Länder nicht verbessern konnte und daß darüber hinaus innerhalb des Landes die regionalen Disparitäten Bestand hatten. Kann daraus geschlossen werden, daß die Strukturfonds ihre Aufgabe nur unzureichend erfüllen und daß eine erneute Reform einschließlich einer Mittelaufstockung -wie es die EG-Administration Anfang 1993 durch den Kohäsionsfonds für die vier benachteiligtsten Länder der Gemeinschaft beschlossen hat -notwendig ist? Der Aufsatz zeigt, daß die Verantwortung für die innerportugiesische Entwicklung nicht bei der EG, sondern bei den portugiesischen Stellen zu suchen ist. Innenpolitische Gründe bedingen die weiter bestehenden Disparitäten, weshalb die Verantwortlichen in Portugal gefordert sind, über Verteilung und Konzeption der Fonds nachzudenken. Eine rein quantitative finanzielle Aufstockung der Mittel ist zwar hilfreich, bietet aber keine ausreichende Gewähr für eine nachholende Entwicklung,
I. Zur Strukturpolitik der Europäischen Gemeinschaft
Die Strukturpolitik, die im wesentlichen Regionalpolitik ist erhielt durch den Beitritt der iberischen Länder -die die regionalen Disparitäten der Gemeinschaft verstärkten -ein größeres Gewicht. Die Einheitliche Europäische Akte nahm die Strukturfonds (Europäischer Fonds für regionale Entwicklung [EFRE], Europäischer Sozialfonds [ESF] und die Abteilung Ausrichtung des Europäischen Ausrichtungs-und Garantiefonds für die Landwirtschaft [EAGFL]) im Vertragsrecht mit dem ausdrücklichen Ziel der Verringerung der regionalen Ungleichgewichte auf. Zwar wurden die Fonds seitdem als „eines der Haupt-instrumente der Gemeinschaft zur Stärkung ihres wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhaltes“ betrachtet, aber erst die Rahmenverordnung 2052/88 vollzog ihre grundlegende Reform. Diese beschränkte die strukturpolitischen Investitionen auf fünf Ziele
Ziel 1: Förderung der Entwicklung und der strukturellen Anpassung der Regionen, in denen das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf weniger als 75 Prozent des EG-Durchschnitts erreicht;
Ziel 2: Industriegebiete mit Umstellungsproblemen, in denen bestimmte Industriezweige unter einem Rückgang leiden;
Ziel 3 und 4: Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit und Eingliederung von Jugendlichen in das Erwerbsleben;
Ziel Maßnahmen zugunsten landwirtschaftlicher Gebiete; dies umfaßt eine Modernisierung der Agrarstrukturen (Ziel 5 a) und eine Förderung von benachteiligten ländlichen Gebieten (Ziel 5 b).
Federführend für Ziel 1 und 2 ist der EFRE, für Ziel 3 und 4 der ESF, der sich auch an Ausbildungsmaßnahmen in Ziel-1-und Ziel-2-Gebieten beteiligt, und für Ziel 5 der EAGFL, dessen Ausgaben der Abteilung Ausrichtung zum Großteil in Ziel-l-Gebiete fließen
Einhergehend mit dieser Zielsetzung wurden die Finanzmittel der Strukturfonds für den Zeitraum von 1989 bis 1993 auf 60315 Mio. ECU aufgestockt; allein für Ziel 1 beliefen sich die Mittel auf 38300 Mio ECU oder 60 Prozent der Gesamt-mittel.
Bei der Finanzierung der verschiedenen Programme, für deren Durchführung die nationalen Behörden verantwortlich sind und für die das Subsidiaritätsprinzip gilt, werden die drei Struktur-fonds kombiniert und in einigen Fällen von der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EKG) oder der Europäischen Investitionsbank (EIB) unterstützt. Alle Programme sind Kofinanzierungssysteme, deren Fördersätze bei maximal 75 Prozent liegen 5.
Eine Beurteilung der praktischen Durchführung der Fonds und ihrer Ergebnisse bezüglich ihrer Zielsetzung durch die zuständigen EG-Stellen fiel Ende 1992/Anfang 1993 durchweg positiv aus. Sie sahen eine kontinuierliche Verbesserung des Programmplanungsverfahrens sowie eine Verringerung der regionalen Disparitäten
II. Eine Bestandsaufnahme für Portugal
Abbildung 11
Quelle: Schnellberichte der Regionen 1991/2, 1991/3; Kommission der EG, Die Regionen in den 90er Jahren: 4. Bericht, Luxemburg 1991. Tabelle 1: Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Einwohner gemessen am EG-Durchschnitt und Arbeitslosenrate
Quelle: Schnellberichte der Regionen 1991/2, 1991/3; Kommission der EG, Die Regionen in den 90er Jahren: 4. Bericht, Luxemburg 1991. Tabelle 1: Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Einwohner gemessen am EG-Durchschnitt und Arbeitslosenrate
Von der Strukturreform profitierte auch Portugal, dessen Gebiet vollständig unter Ziel 1 eingestuft wurde und auf das 6958 Mio. ECU oder 19, 2 Prozent der Mittel für die Ziel-l-Regionen entfielen. Die Gelder der Strukturfonds hatten im Jahr 1992 einen Anteil von 3, 5 Prozent am portugiesischen BIP bzw. von 8, 0 Prozent an den Buttoanlageinvestitionen Daneben trat die EIB als Kreditgeber auf. 1989 erhielt Portugal pro Kopf die meisten Gelder in der Gemeinschaft
Konnten die Strukturfonds jedoch zur Entwicklung, besonders zu einer regionalen Kohärenz, beitragen und damit die allgemeine positive Beurteilung stützen? Wie die folgende Tabelle verdeutlicht, ist sowohl eine Anpassung als auch eine , interne Homogenisierung Portugals nicht sichtbar:
Nach Berechnungen der Europäischen Kommission müßte Portugal in den nächsten 20 Jahren ein jährliches Wachstum von 1 Vi Prozentpunkten über dem EG-Durchschnitt aufweisen, um 75 Prozent des EG-Durchschnitts zu erreichen Eine Annahme, die bei einem von der OECD für Portugal prognostizierten jährlichen Wachstum für die neunziger Jahre zwischen 2, 4 Prozent und 1, 7 Prozent schwerfällt Daneben hat Portugal mit einer unzureichenden Ausbildung (nur 40 Prozent der 15-19jährigen gehen zur Schule oder machen eine Ausbildung -zum Vergleich: In Deutschland beträgt ihr Anteil ca. 85 Prozent) und mit einer verwundbaren Wirtschaft zu kämpfen; alle 40 anfälligen Sektoren der Gemeinschaft sind im Land vertreten Das einzige Pfund, mit dem Portugal wuchern kann, ist eine Arbeitslosenrate von knapp 4 Prozent, die regional jedoch bis zu 10 Prozent erreicht (vgl. Tabelle 1).
III. Regionale Disparitäten in Portugal
Abbildung 12
Tabelle 3: Regionale Verteilung der Mittel des EFRE (in Prozent) Quelle: Comissäo das CEE, Feder em Numeros 1987, Lissabon 1988; Kommission der EG, Der EFRE in Zahlen 1988, Luxemburg 1990; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Der EFRE im Jahr 1991, Luxemburg 1992.
Tabelle 3: Regionale Verteilung der Mittel des EFRE (in Prozent) Quelle: Comissäo das CEE, Feder em Numeros 1987, Lissabon 1988; Kommission der EG, Der EFRE in Zahlen 1988, Luxemburg 1990; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Der EFRE im Jahr 1991, Luxemburg 1992.
Zutreffender als eine Gesamtbetrachtung ist eine Analyse der Regionen bzw. Distrikte. Wie Tabelle 1 zeigt, weisen die Regionen, die -mit Ausnahme der Region Lissabon -zu den elf am meisten benachteiligten in Europa gehören starke Disparitäten auf, was auch folgende Tabelle bestätigt: Demnach blieben im Zeitraum 1970-1990 die regionalen Disparitäten relativ unverändert; die entwickelten Gebiete bauten ihre Position eher noch aus. Der Dualismus der industriell entwickelten Küstenregionen, besonders der Großräume Lissabon-Setubal und Aveiro-Porto-Braga, gegenüber dem rückständigen, landwirtschaftlich geprägten Hinterland wurde konserviert, was bei einem 85prozentigen Anteil der Küstenregion am BIP (ca. 9/10 der Industrieproduktion) -allein der Raum Lissabon wies 40 Prozent des Industrie und 53 Prozent des Dienstleistungsprodukts auf -problematisch ist. Für Portugal stellt sich daher neben der Frage, in welchem Maße und in welchen Bereichen die Strukturfonds genutzt wurden, auch die Frage, wohin die Gelder innerhalb Portugals gingen und aus welchen Gründen eine innerportugiesische Harmonisierung nicht begonnen werden konnte.
IV. Der Europäische Fonds für die regionale Entwicklung
Den größten Anteil der Strukturhilfen macht der EFRE aus Priorität besaß der Straßenbau, gefolgt von Sanitär-, Bildungs-, Gesundheits-und Forschungsmaßnahmen, die die Regionen aufwerten und vernachlässigte Sektoren beachten sollten
Federführend war bis 1989 das Programa Nacional de Interesse Comunitärio de Incentivo ä Actividade Produtiva (PNICIAP), das in drei Systeme untergliedert war: das SIBR (Sistema de Incentives de Base Regional -regionale Basisinitiativen), das SIFIT (Sistema de Incentivos Financeiros ao Investimento do Turismo -Tourismusinvestitionen) und das SIPE (Sistema de Incentivos ao Potencial Endögeno -Stärkung von vorhandenen [Energie-] Potentialen). Allein diese Bereiche sahen Gelder von ca. 520 Mio. DM vor. Daneben enthielt der EFRE Sonderprogramme zur Verbesserung der Telekommunikation, des Energie-potentials, des Forschungsbereichs und der regionalen Entwicklung mit einem Gesamtbetrag der Fördermittel von ca. 1, 25 Mrd. DM
Zielsetzung, Programme, Ausarbeitung und Vergabe konnten zwar kaum besser ausfallen, aber eine empirische Untersuchung für die Jahre 1986-89 zeigt die Schwächen des EFRE -Von den bereitgestellten Geldern bekam Portugal knapp 61, 5 Prozent. Dies lag nicht an der Vergabe der EG, sondern an den Zahlungsbitten; nur 61, 4 Prozent der Mittel wurden beantragt. -Hauptnutznießer war die Zentralverwaltung (34 Prozent), gefolgt von den Staatsuntemehmen (26 Prozent), der Lokalverwaltung (27 Prozent) und den autonomen Regionen (13 Prozent), wobei sich der Staat auf Groß-projekte verlegte, während die lokalen Behörden eine Vielzahl von Kleinprojekten beantrag--Die benachteiligten Regionen waren gegenüber den entwickelten Regionen bei der Vergabe der Fondsgelder im Hintertreffen und kamen auf einen geringeren Anteil -Wie sehr diese Regionen im Gegensatz zu den entwickelten jedoch die EFRE-Gelder in Anspruch nahmen, verdeutlichen ihre Zahlungsbitten: Die Region Algarve mit den geringsten Zuwendungen von 6, 9 Prozent beantragte 75, 8 Prozent und die Zentralregion (24, 6 Prozent) beantragte 66, 1 Prozent; dagegen fragte die Region Lissabon (25 Prozent) nur 35, 9 Prozent der Gelder ab -Die Ausführung der Projekte ging langsam voran und hinkte den Plänen hinterher: Bis Ende April 1989 waren nur 22 Prozent der geplanten Projekte abgeschlossen, und bei 24 Prozent waren noch keine Zahlungsbitten gestellt worden. Während die benachteiligten Gebiete am eifrigsten darum bemüht waren, lag die Region Lissabon an letzter Stelle.
Diese Entwicklung der regionalen Verteilung und des Abrufs der Fondsgelder setzte sich auch nach der Reform der Strukturfonds fort. Bis Ende 1992 waren ca. 62, 4 Prozent der bereitgestellten EFRE-Mittel ausgezahlt worden Während der Anteil der direkten Zahlungen abnahm, stiegen die überregionalen Zusagen, die hauptsächlich in den allgemeinen Infrastrukturbereich flössen. Hierzu gehört auch die fragwürdige Unterstützung des VW/Ford-Automobilwerkes auf der Halbinsel Setübal mit einem Gesamtvolumen von ca. fünf Mrd. DM, für das die EG ca. 1, 2 Mrd. DM bereitstellt, wovon eine Mrd. DM aus dem Topf des ERFE kommt. Trotz kritischer Stimmen aus der EG-Administration konnte sich das Projekt aufgrund der nachdrücklichen Unterstützung von seiten der portugiesischen Regierung, die sich davon einen Wirtschaftsschub und den Eintritt in den Club der Industrieländer verspricht behaupten. Ein Großteil der Gelder geht nicht in die benachteiligten Gebiete, sondern in die entwickelten Regionen Portugals zur Bewältigung von Anpassungsproblemen.
Finanziell unterstützt werden diese Maßnahmen von der Europäischen Investitionsbank. Eine sektorale wie regionale Aufschlüsselung ergibt, daß die Darlehen größtenteils in Infrastrukturbereiche gingen, dabei vor allem Verkehrs-und Energie-maßnahmen betrafen und die entwickelten Regionen, in besonderem Maße Lissabon, bevorzugten
Obwohl durch den EFRE regionale Projekte realisiert wurden, die sonst nie zustande gekommen oder durchgeführt worden wären, und somit auch die schwachen Regionen in den Genuß einer Aufwärtsentwicklung kamen, blieben die strukturellen und regionalen Disparitäten bestehen. Eine Änderung wäre nur durch eine langfristige Planung und Programmerstellung einschließlich organisatorischer, technischer und finanzieller Hilfen des Staates für die strukturschwachen Gebiete, die aus eigener Kraft nur einen Bruchteil der sich bietenden Chancen ausschöpfen konnten, herbeizuführen. Diesen qualitativen Schritt unterließ jedoch die Regierung, so daß die Entwicklungsfähigkeit der Regionen eingeschränkt blieb.
V. Der Europäische Ausrichtungsund Garantiefonds für die Landwirtschaft
Die defizitären Agrarstrukturen in der Landwirtschaft erforderten besondere Übergangsregelungen, um Portugal die Anpassung an die Markt-und Preisverhältnisse der Gemeinschaft zu erleichtern und um schwerwiegende soziale Folgen zu vermeiden. Der Grund waren die Preise der meisten Agrarprodukte, die zum Zeitpunkt des Beitritts über dem EG-Durchschnitt lagen
Zwei Regelungen sind hier zu unterscheiden: ein klassischer Übergang für Produkte, die keine Schwierigkeiten bei der Übernahme der EG-Agrarpolitik erwarten ließen und innerhalb von sieben Jahren schrittweise durch einen Zollabbau an die EG-Preisstruktur angepaßt werden sollten, sowie ein stufenweiser Übergang für „empfindliche“ Produkte, die einen Anteil von ca. 80-85 Prozent ausmachten Diese Zielsetzung erforderte bzw. erfordert eine Umstrukturierung und Modernisierung, für die die Europäische Gemeinschaft den Landwirtschaftlichen Garantiefonds (EAGFL) und den Landwirtschaftlichen Garantiefonds, Abteil Ausrichtung (EAGFL -AA), als begleitende Maßnahmen bereitstellt.
Verantwortlich für die Verteilung der Gelder ist das Institute Financeiro de Apoio ao Desenvolvimento da Agricultura e Pescas (Finanzierungsinstitut zur Entwicklung der Landwirtschaft und der Fischerei -IFADAP) das den Anforderungen anfangs nicht gewachsen war. Erst Mitte 1986 wurden die EG-Regelungen auf Portugal übertragen, und eine Informationskampagne fand erst Anfang 1987 via Fernsehen statt Die Konsequenz war, daß 1986 gerade 57 Mio. DM vom EAGFL an Portugal gingen. Wie sehr die Gelder jedoch angenommen wurden, zeigt die Entwicklung der folgenden Jahre: 1988 überwies die EG ca. 310 Mio. DM, und 1990 waren es ca. 440 Mio. DM Anfang 1993 sprach der neue Präsident des IFADAP, Ivo Pinho, von etwa 63000 Projekten, an denen das Institut beteiligt gewesen war
Eine ähnliche Entwicklung durchlief der EGAFL-AA. Nachdem die EG erstmals 1987 Gelder in Höhe von ca. 45 Mio. DM vergeben hatte, schnellten diese bis 1990 auf ca. 460 Mio. DM empor. Allein für die Verbesserung der Strukturprobleme und der Produktionsbedingungen -z. B.der Bewässerungsflächen, der ländlichen Wege, der Elektrifizierung, der Olivenkulturen, der Forstbestände oder der Entwässerung der Böden im Alentejo -wurde bis 1996 ein Finanzvolumen von 700 Mio. ECU veranschlagt
Eine regionale Analyse der Verteilung der Mittel des EAGFL ergibt, daß die stark familiär-landwirtschaftlich geprägten Gebiete im Hinterland von Nord-und Zentralportugal im Gegensatz zu den Küstengebieten sowie den Regionen Lissabon und Alentejo nur einen geringen Anteil der Mittel erhielten Viele Landwirte konnten nicht die Eigenmittel aufbringen, um an die Fondsgelder zu gelangen, wobei die hohen Kreditzinsen von 30 Prozent in Portugal eine nicht unwesentliche Rolle entnahmen.
Zwar stiegen die Gelder des EAGFL an, aber sie wurden zur Beibehaltung der früheren Agrarpoli tik genutzt Kooperativen und Kleinbauern erhielten kaum Gelder, während die Latifundisten und Großlandwirte davon profitierten Die Besitzstruktur konzentrierte sich weiter, und regional verlief die Verteilung der Fonds nach einem ähnlichen Prinzip: Die reicheren und entwickelteren Distrikte erhielten umgerechnet auf ihre Bewohner den größten Anteil.
Die geringe Berücksichtigung regionaler Problembereiche sowie eine allgemeine Vernachlässigung der Agrarpolitik verhinderten eine Reform des Landwirtschaftssektors. Die Erhaltung der Agrarstrukturen wirkte sich nicht nur negativ auf das Einkommen der abhängig Beschäftigten und der Produzenten aus, sondern ließ die Agrarproduktion auf einem geringen Stand verharren und konservierte die sozialen wie ökonomischen Strukturen der landwirtschaftlichen Regionen Nach einer Untersuchung des Gabinete de Estudos do Ministärio do Planeamento e da Administragäo do Territörio aus dem Jahr 1992 sind die sozioökonomischen Strukturen immer noch zu 90 Prozent landwirtschaftlich geprägt; von ca. 500000 Erwerbstätigen bewirtschaften 54 Prozent eine Fläche von unter zwei Hektar
Betroffen von dem Einkommensverlust aufgrund der Anpassung an die EG-Marktpreise waren fast sämtliche Produzenten pflanzlicher wie tierischer Produkte. Der Einkommensrückgang betrug im ersten Beitrittsjahr bis zu 15 Prozent, wobei das Einkommen in einigen Bereichen nur 50 Prozent des EG-Durchschnitts erreichte Die wenigen Ausnahmen stellten die Wein-und Milchproduzenten sowie die Forstwirtschaft dar. Aber selbst die Holz-und Papierindustrie wurde Anfang der neunziger Jahre von einer Krise getroffen.
Leidtragende dieser Preisentwicklung waren die Klein-und Kleinstbetriebe in Nord-und Zentral Portugal, wohingegen die mittleren und großen Betriebe in Südportugal und in einigen Gebieten von Zentralportugal überleben konnten. Jedoch wurden auch bei den mittleren Betrieben die Probleme immer schwerwiegender, da Faktorkosten, Zins-und Pachtraten über dem EG-Durchschnitt lagen, eine Vermarktungsstruktur fehlte und die Gelder des IFADAP nur langsam flössen Dies erschwerte eine Modernisierung der Betriebe bzw. ließ diese unrentabel werden. Die Konsequenz ist eine niedrige Agrarproduktion und ein Import von ca. 50 Prozent aller benötigten Nahrungsmittel EG-Importe bestimmen nicht nur das Waren-angebot, sondern verdrängen einheimische Produzenten aufgrund schlechterer Qualität und höherer Preise ihrer Produkte vom einheimischen Markt
Die EG-Hilfen brachten also im Agrarsektor nicht die erhoffte Steigerung der Produktion, die Verringerung der Importe, die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und eine Angleichung der regionalen Disparitäten. Weiterhin bestehen starke regionale Asymetrien, eine Konzentration der Eigentums-und Besitzstrukturen, rückständige Produktionsmethoden und damit eine nicht ausreichende Produktion. Auf den Binnenmarkt 1993 war die Landwirtschaft am schlechtesten vorbereitet.
Notwendig ist eine wirkliche Agrarreform, eine langfristige Planung unter Berücksichtigung der lokalen Potentiale, eine Abkehr von der intensiven Bewirtschaftung und eine Industrialisierung der ländlichen Räume, da ansonsten die neue Agrarpolitik der Gemeinschaft, die etwa 1, 2 Mrd. DM für die portugiesische Landwirtschaft bereithält, mehr Probleme als Lösungen aufwirft. Zu befürchten ist eine weitere Verödung der Agrarregionen, besonders des Alentejo, und ein immenser Abbau von Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft, falls nicht ein radikaler Wandel der Agrarpolitik einsetzt
VI. Der Europäische Sozialfonds
Die besten Ergebnisse wies der ESF auf, der vor allem zu dem bisher nur in Ansätzen vorhandenen Berufsausbildungssystem beitrug Von 220 Mio. DM (1986) stiegen die Gelder auf 420 Mio. DM (1989) an, gingen dann jedoch auf 340 Mio. DM (1990) zurück. An den Maßnahmen nahmen zwischen 150000 und 280000 und im Jahr 1991 gar 383000 Personen, vorrangig Jugendliche, teil Eine genaue Analyse offenbart aber die Schwächen des ESF -Im ersten Jahr wurden nur 50 Prozent der bereitgestellten Gelder genutzt und auch nach der Strukturreform erhielt Portugal bis Ende 1991 gerade 44, 7 Prozent der vereinbarten Gelder. -Regional flössen in den ersten Jahren 86, 2 Prozent der Gelder in die fünf entwickeltsten Distrikte Lissabon, Leiria, Aveiro, Porto und Coimbra. Hauptursache war der aufzubringende Eigenanteil, den die kleinen und finanz-schwachen Betriebe nicht leisten konnten. -Ein beachtlicher Teil der Gelder wurde -begünstigt durch eine mangelhafte Kontrolle -veruntreut, beispielsweise indem die Beschäftigten den Besuch einer fingierten Ausbildungsstätte bestätigen mußten. Daneben nutzten die Firmen die Fonds, um billige Arbeitskräfte einzustellen, die sie nach Ablauf der Ausbildungsprogramme entließen
Betrachtet man allein die Statistik, so könnte vorschnell ein positives Fazit gezogen werden Die Mikroanalyse weist allerdings auf die Schwächen des Fonds hin, der zwar zur Verringerung der Arbeitslosen beitrug, aber keinen Abbau der regionalen Disparitäten vorantrieb, im Gegenteil diese noch unterstützte. Zwar konnte durch die Fort-und Umschulungsmaßnahmen die Qualifikation der Arbeitnehmer verbessert werden, aber der Fonds deutete nur an, welche Möglichkeiten bestanden hätten, wenn der portugiesische Staat durch eine langfristige Planung und Kontrolle der Programme sowie durch eine organisatorische und finanzielle Unterstützung einen effizienten und gezielten Einsatz des ESF betrieben hätte.
VII. Beurteilung der Durchführung der Strukturfonds
Die Fonds ermöglichten in Portugal Investitionen ohne Belastung des Staatshaushaltes, schufen Arbeitsplätze, setzten eine Modernisierung in Gang und verbesserten die Infrastruktur. Aber die eigentlich angestrebte Verbesserung der regionalen Kohärenz unterblieb, und das vorhandene Entwicklungspotential wurde nicht ausgeschöpft.
Dies hatte vor allem endogene Gründe, wobei an erster Stelle die portugiesische Regierung zu nennen ist, die die rechtzeitige Erstellung eines übergreifenden und umfassenden Planes unterließ, so daß statt dessen in einer ersten Phase Einzelprojekte dominierten Die Langsamkeit der Bürokratie und die Vergabekriterien verhinderten einen Abruf sämtlicher Gelder und benachteiligten die am meisten vernachlässigten Distrikte.
Die Ursachen bilden eine zentralisierte Bürokratie, die den Ansprüchen nicht gewachsen ist, sowie ein regionaler wie zentraler Klientelismus. Zudem besaßen die regionalen Behörden zur Ausarbeitung von langfristigen Programmen nicht die organisatorischen wie technischen Kapazitäten und hatten mit finanziellen Problemen wie auch kurzfristigen Terminen zu kämpfen
VIII. Notwendige Maßnahmen zur Nutzung der Fondsgelder
Die Strukturfonds bieten zwar aufgrund ihrer finanziellen Mittel und ihrer Vergabekriterien die Möglichkeit für eine nachholende kohärente Entwicklung, allerdings ist zugleich eine grundlegende Reform der endogenen Entscheidungsstrukturen und ein Umdenken bei den langfristigen Planungen notwendig. Die Aufstockung der Finanzmittel durch den Kohäsionsfonds bedeutet zwar einen warmen Geldregen für Portugal, aber sie bietet ebensowenig wie die Strukturreform 1988 die Gewähr einer tatsächlichen regionalen Angleichung der Lebensverhältnisse.
Unabdingbar ist daher neben einer verstärkten Kontrolle eine von der portugiesischen Regierung zu initiierende Regionalpolitik, die auf die Probleme der Gebiete im Hinterland eingeht und den Dialog mit den Sozialpartnern aufnimmt. Eine Forderung, die außer von der EG-Kommission auch von der Confederagäo das Associagoes Empresariais Regionais (Vereinigung der regionalen Unternehmer) Anfang des Jahres 1993 aufgenommen und an die Regierung gerichtet wurde
Diese Forderung umfaßt auch eine verbesserte Mittelausstattung der Regionen von seiten der Regierung in technischer, organisatorischer und finanzieller Hinsicht, eine Stärkung ihrer Entscheidungsautonomie und damit eine Dezentralisierung der Entscheidungsstrukturen.
Nur unter diesen Prämissen ist eine langfristige kohärente Entwicklung und eine bessere ökonomische Eingliederung in die Europäische Gemeinschaft möglich. Ansonsten wird Portugals Wirtschaft -trotz des Vorhandenseins einzelner wirtschaftlicher Zentren -strukturschwach, heterogen, anfällig und abhängig bleiben.
Ralf Sänger, M. A., geb. 1960; Doktorand am Institut für Politikwissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen. Veröffentlichungen: Rezensionen verschiedener wissenschaftlicher Arbeiten zu Portugal in der Zeitschrift Tranvfa 1987-1992; Die Kolonialpolitik der Salazar-Diktatur, in: Tranvi'a, (1991) 22.
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