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Desinformation als Waffe | Krieg in Europa | bpb.de

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Desinformation als Waffe Über einen Krieg, den Russland seit Jahren führt

Jessikka Aro

/ 13 Minuten zu lesen

Russland bedroht die Sicherheit verschiedener Länder, möchte in demokratische Prozesse eingreifen und unterstützt potenziell gefährliche Gruppierungen, indem es einen Informations-krieg führt – und zwar schon lange. Die westlichen Gesellschaften müssen resilienter werden.

Russland bedroht die Sicherheit verschiedener Länder, möchte in demokratische Prozesse eingreifen und unterstützt potenziell gefährliche Gruppierungen, indem es einen Informationskrieg führt. Derzeit fällt eine unbekannte Zahl von Menschen aus dem Westen feindseligen Informationsoperationen zum Opfer, die ihren Ursprung in den international verbreiteten Fake News des Kremls und sogenannten Trollfabriken haben. Es gibt nur wenige Entscheidungsträger im Westen, die aktiv versuchen, dies zu unterbinden oder Bürgern bei der Gegenwehr helfen, aber es ist höchste Zeit, dass sie beginnen, ihre Bevölkerung zu schützen.

Ein Kind des KGB wird erwachsen

Russland praktiziert informationspsychologische Kriegführung bereits seit Jahrzehnten. Unter Putins Herrschaft hat der Kreml diesen Krieg weltweit in soziale Medienplattformen getragen und diese in psychologische Massenvernichtungswaffen verwandelt, insbesondere in Informationsräumen westlicher Länder. Der Grundstein für den modernen russischen Informationskrieg wurde vom berüchtigten Geheimdienst der Sowjetunion gelegt. Laut Peter Wright, dem wissenschaftlichen Leiter des britischen Auslandsgeheimdienstes MI5 während des Kalten Krieges, gaben sowjetische Überläufer preis, dass der KGB damit beauftragt war, Methoden zu finden, dem Westen Schaden zuzufügen, ohne einen konventionellen Krieg vom Zaun zu brechen. Der KGB-Vorsitzende Alexander Schelepin soll die Idee von Falschinformationskampagnen entwickelt haben.

Der russische Präsident Wladimir Putin, selbst ehemaliger Geheimdienstoffizier, verwendet die dunkelsten sowjetischen Methoden bei seinem Versuch, die Gedanken und das Verhalten der Öffentlichkeit inner- und außerhalb von Russland zu kontrollieren. Unter seinem Kommando führt der Kreml einen Informationskrieg, um dieselbe Mission zu erfüllen wie der KGB zur Zeit des Kalten Krieges, das heißt, den Westen so stark wie möglich zu verletzen, ohne ihn im physischen Sinne zu beschießen.

Putins innerer Kreis aus Russlands ranghöchsten Offizieren gibt offen zu, einen Informationskrieg zu führen: Verteidigungsminister Sergej Schojgu sagte 2015, dass Massenmedien und Informationen ebenfalls Waffen seien. Zwei Jahre später verkündete er, dass die russische Armee "Cyber-Truppen" geschaffen habe. Diese betrieben "effektive Gegenpropaganda". Russland sieht sich selbst als Opfer der vermeintlichen "hybriden und informationellen Kriegführung" des Westens und insbesondere der Nato, gegen die es sich verteidigen müsse. Der Kreml greift auf erfundene Feindbilder zurück, wie "die Nato als Aggressor" oder "der degenerierte Westen", um die Verwendung informationeller Kriegführung gegen die eigene Bevölkerung und ausländische Bürger jenseits der Grenzen zu rechtfertigen.

Eine andere, in diesem Sine sehr offene russische Offizielle ist Margarita Simonjan. Sie dient als "Chefredakteurin" des Auslandssenders RT, ehemals bekannt als "Russia Today". Als ein zentrales Propagandainstrument des Kremls, das auf das Ausland gerichtet ist und von Putin persönlich entwickelt wurde, operiert die RT-Mediengruppe in verschiedenen Sprachräumen und nutzt gekonnt soziale Medien, um weltweit ein enormes Publikum anzulocken. Gegenüber der russischen Zeitung "Komersant" gab Simonjan bereits 2012 an, dass RT eine Waffe im globalen Informationskrieg sei und für Russland genauso wichtig wie das Verteidigungsministerium. Dem US-Geheimdienst zufolge spielte RT eine Schlüsselrolle bei der Beeinflussung der US- Präsidentschaftswahl 2016, indem es Donald Trump unterstützte und die demokratische Kandidatin Hillary Clinton verunglimpfte. Dem Büro des Director of National Intelligence zufolge war es Putin persönlich, der die Kampagne zur Beeinflussung der US-Wahl in Auftrag gegeben hatte.

Verschärfung ab 2014

Ich selbst begann 2014, also im Jahr, als Russland die Ukraine erstmals angriff, mit meinen journalistischen Recherchen zu russischen Propaganda-Operationen in sozialen Netzwerken. Um mehr über die Motive für Russlands Informationskrieg herauszufinden, führte ich ein Interview mit Andrei Illarionow, einem ehemaligen Wirtschaftsberater aus Putins engerem Umkreis, der jedoch 2005 Russland verlassen und erklärt hatte, dass es kein freies oder demokratisches Land sei. Ihm zufolge führt der Kreml einen Informationskrieg gegen Finnland und viele andere Staaten, um Tatsachen über den seit 2014 laufenden Krieg in der Ukraine zu verzerren. Darüber hinaus habe Russland erklären wollen, "warum es Krieg gegen die Ukraine führt", und seinen Nachbarländern verdeutlichen wollen, wer "der Boss ist". "Das Gefühl, in der Lage zu sein, einen Informationskrieg zu führen, ist das Wichtigste", berichtete er.

Nach der Verschärfung seines Krieges, seines Genozids und seiner Kriegsverbrechen in der Ukraine am 24. Februar 2022 hat Russland gleichermaßen seine internationalen Informationsattacken verschärft. Wie seine Social-Media-Trolle verbreitet Putin selbst niederträchtige, hasserfüllte Propaganda gegen die Ukrainer und gelobt, die Ukraine zu "demilitarisieren und entnazifizieren", da angeblich "Neonazis die Ukraine als Geisel genommen und Völkermord an Millionen von Menschen vorgenommen" hätten. Diese und ähnliche Äußerungen, die weiterhin aus dem Kreml kommen, sind Teil des Informationskrieges. Sie richten sich auf mehrere Ziele: Sie sollen den Hass der russischen Soldaten auf die Ukrainer anheizen und zugleich andere Länder davon abhalten, die Ukraine zu verteidigen, militärisch zu unterstützen und die Gräuel zu unterbinden.

Durch meine Recherchen ist mir klar geworden, dass der Kreml informationspsychologische Einflussnahme zudem nutzt, um politische Entwicklungen herbeizuführen, die im Interesse von Putins Regime sind. Der Westen und die Nato-Staaten stehen dabei ganz oben auf der Zielliste des Kremls. Im Frühjahr 2022 erklärte der Kreml etwa die Mitgliedstaaten der EU neben den USA zu "feindlich gesinnten Ländern". Die gefährlichsten Folgen der informationspsychologischen Kriegführung des Kremls manifestieren sich im Denken realer Menschen. Bedauerlicherweise haben meine Recherchen gezeigt, dass es dem Kreml gelungen ist, Gedanken, Einstellungen und sogar Verhaltensweisen zu beeinflussen.

Manche Bürger und sogar ganze Bevölkerungsgruppen fallen dem Informationskrieg des Kremls zum Opfer, der von den russischen Geheimdiensten orchestriert und von Trollfabriken ausgeführt wird, die international Fake News verbreiten. Die Länder des Westens sollten die Operationen des Kremls deshalb als ernstzunehmende Bedrohung sowohl für ihre nationale Sicherheit als auch für die Sicherheit und das Wohlergehen ihrer Bürger betrachten.

Wie Trolle arbeiten

2013 haben extrem mutige Journalisten aus Russland die erste bekannte Trollfabrik in Sankt Petersburg aufgedeckt. Offiziell präsentierte sich die Einrichtung als eine Firma namens "Agentur für Internet-Forschung", die im Internet Meinungsforschung betreibt. Tatsächlich aber handelt es sich um eine Organisation mit Verbindungen zum russischen Staat, die gegründet wurde, um die Politik des Kremls und falsche Berichte online zu verbreiten sowie Kommentare im Internet zugunsten des Kremls zu manipulieren. Den Journalisten zufolge, die die Organisation unterwandert und eine Weile dort gearbeitet hatten, ehe sie ihre Einblicke veröffentlichten, beschäftigt die Trollfabrik Hunderte junger Russen, die dafür bezahlt werden, in sozialen Medien falsche Profile und Inhalte zugunsten des Kremls zu erstellen. Jeden Morgen erhielten die Trolle, wie die Angestellten sich selbst bezeichneten, von ihren Vorgesetzten neue Themen, über die sie schreiben sollten. Die Themen reichten von der Diffamierung russischer Oppositioneller bis hin zu stumpfsinnigen Vorwürfen gegen das amerikanische Volk.

Bei meinen eigenen Recherchen ging es mir auch darum, herauszufinden, ob die russischen Social-Media-Trolle in der Lage sind, Ideen, Gedanken, sowie Haltungen von Menschen und dadurch letztlich deren Verhalten zu beeinflussen. Meiner Meinung nach war allein die Existenz der Trollfabrik eine Bedrohung für das universelle Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung. Zudem wollte ich mir genauer ansehen, was die Trolle im Schilde führten: wo sie operierten und welche Techniken sie verwendeten. Vor allem wollte ich wissen: Fielen finnische Bürger, die mit ihnen in Berührung kamen, auf ihre Täuschung herein?

Als mein Kollege Mika Mäkeläinen sich im Februar 2015 mit einer russischen Mitarbeiterin auf den Weg machte, um die Fabrik in Sankt Petersburg zu untersuchen, hatte die Agentur Stellenausschreibungen veröffentlicht: Sie suchte Social-Media-Manager, Werbetexter und Grafikdesigner, die in Zwölf-Stunden-Schichten arbeiten würden, auch nachts. Die Aufgaben umfassten auch das Schreiben von Nachrichtenbeiträgen, und interessanterweise wurden in den Ausschreibungen englische Sprachkenntnisse sowie Kenntnisse der Suchmaschinenoptimierung erwartet – vermutlich, um die Ergebnisse von Suchmaschinen zugunsten des Kremls zu manipulieren. Unsere russische Mitarbeiterin rief bei der Personalverantwortlichen der Agentur an und gab vor, sich für einen der ausgeschriebenen Jobs zu interessieren. Sie fragte die Personalverantwortliche, welche Art von Material sie produzieren würde, für den Fall, dass sie die Stelle bekäme. Die Personalverantwortliche räumte ein: politische Nachrichten. Sie gab zu, dass die Trollfabrik versuchte, Onlinedebatten auch im Ausland zu beeinflussen. Wir nahmen an, dass die Fabrik deshalb nachts in Betrieb war, um die Debatten in anderen Zeitzonen in Echtzeit angreifen zu können.

Die Arbeiter betraten die Fabrik in großer Menge um 9 Uhr morgens und verließen sie wieder um 9 Uhr abends. Als wir versuchten, sie zu interviewen, gaben sie keine Kommentare ab. Wir erfuhren, dass sie vertraglich zum Schweigen verpflichtet worden waren und somit keine Erlaubnis hatten, zu sprechen. Uns gelang es jedoch, mit einem Abteilungsleiter im Gebäude zu sprechen, der für die russischen "Nachrichten" zuständig war. Er behauptete, dass er ein "Unternehmen" leite und keine "Trolle" in seinen Räumlichkeiten arbeiteten. Doch die "Nachrichtenseite", von der fälschlicherweise behauptet wurde, dass sie von der Ukraine aus betrieben werde, trug keine Wesensmerkmale eines Unternehmens: Es gab weder Abonnements noch Werbung oder Paywalls.

Es war der Wachmann des Gebäudes, der uns eine äußerst interessante und bemerkenswerte Erkenntnis bescherte: Als ich mit unserer russischen Mitarbeiterin vor dem Haupteingang filmte und Fotos machte, rannte er nach draußen und brüllte uns an: "Ihr müsst gehen, Mädchen, sonst rufe ich die Polizei, könnt ihr nicht sehen, dass das hier ein Verwaltungsgebäude ist?" Dies war eine brisante Offenbarung, da Verwaltungsgebäude in Russland stets mit dem Staat verbunden und stark bewacht sind, etwa Polizeidienststellen, Atomkraftwerke und Militärbasen. Der Wächter bestätigte somit, was wir vermutet hatten: Die Fabrik war Teil der russischen Staatsstrukturen. Es war definitiv kein Privatunternehmen, wie man vorzutäuschen versuchte.

In meiner auf Crowdsourcing beruhenden Recherche zum Einfluss von Propaganda in sozialen Medien stellte sich zudem heraus, dass es russischen Trollen gelungen war, die Ideen, Haltungen und das Verhalten von Menschen zu beeinflussen. Ich erhielt Hinweise und Tipps zu Aktivitäten russischer Trolle aus rund 200 verschiedenen Quellen: gewöhnliche Internetnutzer aus Finnland, traditionelle Medienexperten, Moderatoren von Diskussionsforen sowie Sicherheitsexperten. Manche Internetnutzer, die ich interviewte, erzählten mir, dass sie aufgrund der im Netz verbreiteten Troll-Propaganda nicht länger unterscheiden könnten, welche Berichte über den Krieg in der Ukraine der Wahrheit entsprechen und welche nicht. Andere erzählten mir, dass sie nicht mehr an Diskussionen mit Bezug zu Russland teilnehmen und sich von allen öffentlichen Debatten zurückgezogen haben, weil sie von Trollen angegriffen worden waren, die sie mit verleumderischen Bezeichnungen wie "russophob" oder "CIA" versahen, nachdem sie ihre Meinung geäußert hatten.

Demnach hatten ausländische Social-Media-Propagandisten in Finnland bereits öffentliche Debatten über Russland unterdrückt und Teile der Bevölkerung manipuliert. Erstaunlicherweise fungierten Profile von russischen Botschaften in sozialen Medien oft als Dreh- und Angelpunkt für Troll-Profile: Die russische Botschaft in Finnland teilte auf Twitter beispielsweise Posts von Trollen und bescherte ihnen auf diese Weise mehr Reichweite und Prestige, sie veröffentlichte Fotos von verstorbenen Menschen, gab der Ukraine die Schuld für die Toten, und sie blockierte kritische Bürger. Ähnliche Aktivitäten gibt es heute von vielen verschiedenen Social-Media-Profilen russischer Botschaften in der ganzen digitalen Welt.

Ich begann, russische Trolle als Bedrohung für die nationale Sicherheit vieler Länder zu betrachten. Bereits damals, 2014/15, waren die russischen Trolle besonders interessiert an Themen mit Bezug zur Ukraine. Sie verbreiteten zum Beispiel falsche Behauptungen wie "Russland hat das internationale Recht durch die Annexion der Krim nicht gebrochen", "Putin will Frieden und Verhandlungen, der ukrainische Präsident ist der Kriegstreiber", "Die EU und die Nato führen Krieg in der Ukraine" oder "In Kiew sind Faschisten an der Macht". Die russischen Trolle legten innerhalb russischsprachiger Bevölkerungsgruppen, aber auch innerhalb des internationalen Informationsraums das informationspsychologische Fundament für Genozid und weitere Kriegsverbrechen.

Die Trolle operieren auf viele verschiedene Weisen. Manche verlinken zum Beispiel die unwahrheitsgemäßen Artikel der russischen Staatspropaganda in internationalen Foren. Manche von ihnen organisieren Gruppen und Seiten auf Facebook, in denen sie andere permanenter Desinformation aussetzen. Manche verbreiten Memes, die zum Beispiel Staatsoberhäupter von EU-Ländern diskreditieren. Manche Trolle provozieren Auseinandersetzungen. Kürzlich wurde aufgedeckt, dass manche der Profile nett und freundlich wirken sollen, um Follower anzulocken. Manche Twitter-Trolle versuchen ihre Themen und Sichtweisen an Journalisten traditioneller Medien heranzutragen. Manche wiederum melden massenweise faktenbasierte Beiträge in sozialen Medien, damit diese von Moderatoren der Plattform entfernt werden. Manche laden hundertmal den gleichen propagandistischen Kommentar in die Kommentarspalten traditioneller Medien hoch, und manche brechen Auseinandersetzungen in Diskussionsforen vom Zaun. Manche Trolle organisieren Proteste, und manche begehen gar Verbrechen, wenn sie Journalisten und Wissenschaftler verleumden oder bedrohen. Manche Trolle hingegen haben nur die Aufgabe, die Botschaften von kremlnahen Propagandisten zu verstärken, damit sie populärer wirken, als sie es eigentlich sind.

Von Brexit bis Covid

Nach meiner Recherche fanden andere Journalisten, Wissenschaftler und Sicherheitsdienste heraus, dass die russischen Trolle in den sozialen Medien zum Beispiel das Vereinigte Königreich attackiert hatten, indem sie 2016 den Brexit unterstützten, oder Deutschland, indem sie ultrarechte Kandidaten und die AfD bei der Bundestagswahl 2017 unterstützten, dass sie den Protest der Gelbwesten in Frankreich 2018 anheizten und ab 2020 weltweit Verschwörungstheorien rund ums Coronavirus verbreiteten.

Nachdem bekannt wurde, dass russische Trolle 2016 massiv in den US-Präsidentschaftswahlkampf eingegriffen hatten, erhoben die USA Anklage gegen die russischen Schlüsselfiguren hinter der Trollfabrik. Es stellte sich heraus, dass die Fabrik mit russischen Agenten in den USA kooperiert und Informationen über die am heißesten debattierten Themen in den swing states gesammelt hatte, um per Mikrotargeting spezifische Gruppen ansprechen und deren Entscheidung bei der Präsidentschaftswahl beeinflussen zu können.

Über die Jahre wurden auch Troll-Aktivitäten in Afrika aufgedeckt. Beispielsweise berichtete Facebook 2019, dass es drei Netzwerke von "unauthentischen" russischen Profilen gesperrt habe, die auf verschiedene afrikanische Länder zielten, darunter Madagaskar, die Zentralafrikanische Republik und Mosambik. Führende Köpfe der russischen Trollfabrik berieten etwa eine Reihe afrikanischer Diktatoren dahingehend, wie sich Unruhen durch Fake-News-Kampagnen in sozialen Medien unterdrücken lassen.

Eine der zynischsten Kampagnen der russischen Propagandisten und Trolle läuft seit einiger Zeit in mehreren Ländern: Von Anbeginn der Covid-19-Pandemie verbreiten russische Staatsmedien Verschwörungstheorien und unterziehen ihre eigenen Bürger gleichsam einer Gehirnwäsche. So wird beispielsweise behauptet, dass die USA und deren Geheimdienste die Verantwortung für das Entstehen des Virus trügen. Schon früh begannen die Architekten der Kreml-Propaganda, derlei Erzählungen auch an ein internationales Publikum zu richten, unter Nutzung von sozialen Medien und Sendern wie RT und Sputnik. Von dort aus verbreiten sich die Verschwörungsmythen auf scheinbar lokalen Proxy-Seiten, die den Anschein von glaubwürdigen, unabhängigen, "freien" Nachrichtenanbietern haben.

Laut StratCom, der Anti-Desinformations-Einheit des Europäischen Auswärtigen Dienstes der EU, die russische Desinformationskampagnen in EU-Ländern beobachtet, umfassen die russischen Theorien zum Coronavirus häufig zwei wiederkehrende Themen: Demzufolge hat das Virus seinen Ursprung im Westen – oder es ist eine absichtlich entwickelte chemische Waffe, das Werk der Nato oder der USA.

Resilienz aufbauen

Ich werde oft gefragt, wie westliche Gesellschaften resilienter werden können, um zu verhindern, dass ihre Bürger dem russischen Informationskrieg zum Opfer fallen. Noch öfter sehe ich mich mit der Frage konfrontiert, wie sich einzelne Bürger selbst gegen die asymmetrische Kriegführung im Netz schützen können.

Der erste Schritt liegt darin, zu verstehen, dass dieser Krieg tatsächlich existiert und dass er gefährlich ist. Die gefährlichsten Formen des russischen Informationskrieges bedrohen das Leben von Menschen: Beispielsweise haben kremlnahe Propagandisten in Finnland die russische Kriegspropaganda auf Twitter, Facebook und Youtube seit 2014 derart gekonnt kultiviert, dass auch finnische Bürger sich der russischen Seite im Krieg angeschlossen haben, um gegen die Ukraine zu kämpfen.

Der zweite Schritt liegt darin, die Plattformen, die die russischen Operationen ermöglichen und finanziell davon profitieren, auszumachen und um Unterstützung zu bitten: In erster Linie Facebook, Twitter und Youtube. Nachdem sie Troll-Operationen gegen die US-Wahl 2016 zugelassen hatten, waren sie mit Aussagen vor dem US-Kongress konfrontiert. Die Firmen haben oft versprochen, "vulnerable Communitys zu schützen", aber bislang ist es ihnen nicht gelungen, die russische Propaganda und Hate Speech abzuschütteln. Für Youtube und Facebook brauchte es erst Russlands Überfall auf die Ukraine, ehe sie ankündigten, dass sie die monetarisierenden Möglichkeiten ihrer Plattformen für RT beenden würden. Um Gesellschaften und uns Bürger zu schützen, sollten die westlichen Führer diese Firmen deutlich stärker regulieren.

Gegenattacken können manchen Operationen zuvorkommen. Das United States Cyber Command etwa hat die Trollfabrik während der Midterms 2018 angegriffen, indem es sie für einen Tag vom Internet abschnitt. Im Frühling 2022 waren es die Hacker von Anonymous, die am aktivsten gegen den Informationskrieg des Kremls vorgegangen sind und das getan haben, was Entscheidungsträger in Europa schon vor Jahren hätten tun sollen: russische Propaganda-Kanäle abschalten und unschädlich machen. Ihnen ist es sogar gelungen, sachgemäße Informationen in die Newsfeeds russischer Staatsmedien einzuschleusen.

Die Gesellschaften im Westen sollten klären, wessen Aufgabe es ist, Bürger vor feindlichen Angriffen aus kremlnahen Einheiten zu schützen. Manche Bürger brauchen Hilfe, um die Hassgruppen und Verschwörungskulte zu verlassen. Weitere Forschung sowie konstante Information von Bürgern über die fortwährenden Operationen sind ratsam, um Resilienz in der Gesellschaft aufzubauen. In vielen Ländern, etwa in Finnland und Litauen, nehmen die Bürger eine aktive Rolle ein, um andere Bürger zu informieren und ihnen dabei zu helfen, Trolle und Fake News zu erkennen und diesen entgegenzutreten. Allerdings handelt es sich bei russischen Trollattacken und Fake-News-Kampagnen um Angriffe auf Staaten, weshalb es auch an den Staaten liegt, dagegen anzutreten.

Übersetzung aus dem Englischen: Maximilian Murmann, München.

Weitere Inhalte

ist Journalistin bei der finnischen Rundfunkanstalt Yleisradio (Yle). Ihr Buch über den russischen Informationskrieg erscheint Ende August 2022 in deutscher Übersetzung unter dem Titel "Putins Armee der Trolle" im Goldmann Verlag.