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Aktuelle Baustellen der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union | Landwirtschaft | bpb.de

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Aktuelle Baustellen der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union

Stephan von Cramon-Taubadel Sebastian Lakner Carsten Holst

/ 14 Minuten zu lesen

Manch populärer Reformvorschlag für die EU-Agrarpolitik erweist sich bei wissenschaftlicher Betrachtung als kaum realisierbar. Das zeigen etwa die drei Beispiele des Strukturwandels, der Subventionspolitik und des Zusammenhangs von Betriebsgröße und Umweltschutz.

In den Wirtschaftswissenschaften wie in der Politik gibt es schon seit Langem einen lebhaften Streit über die Rolle des Staats in der Wirtschaftspolitik und seine Lösungskompetenz in einer komplexen Welt: Während manche "weniger Staat" fordern, wünschen sich andere das Gegenteil. Auch in der Agrarpolitik ist der Ruf nach "mehr Staat" allzu oft zu vernehmen. Zuletzt hat die noch durch Bundeskanzlerin Angela Merkel eingesetzte Zukunftskommission Landwirtschaft im Juli 2021 ehrgeizige Pläne für den Umbau des Sektors vorgelegt. Weil die landwirtschaftliche Produktion auf der Nutzung verschiedener Umweltgüter beruht, werden marktwirtschaftliche Kräfte allein zwar nie zu einer optimalen Lösung führen, doch das heißt nicht automatisch, dass die Situation durch staatliches Eingreifen in jedem Fall besser werde. Die Erfahrungen vergangener Jahrzehnte mit weitreichenden und kostspieligen staatlichen Eingriffen in den Agrarsektor (etwa Preisstützung und Produktionsquoten) zeigen, dass trotz vielfältiger staatlicher Bemühungen eine allgemeine Unzufriedenheit bei Konsument*innen, Umweltschützer*innen, Steuerzahler*innen und gerade auch bei den Landwirt*innen selbst über das Erreichte besteht.

Diese Einschätzung müsste beim Ruf nach weiteren staatlichen Eingriffen viel stärker zu Bescheidenheit und Vorsicht mahnen. Nachhaltige (Agrar-)Politik setzt Kenntnisse über die Möglichkeiten, aber insbesondere auch die Grenzen staatlichen Handelns voraus. Deshalb werden in diesem Beitrag drei eng miteinander verwobene agrarpolitische "Baustellen" thematisiert, bei denen die Grenzen der Agrarpolitik in der öffentlichen Diskussion häufig übersehen oder sogar bewusst ignoriert werden, sodass Erwartungen geweckt werden, die von der Agrarpolitik gar nicht zu erfüllen sind.

Strukturwandel

Zwischen 1960 und 2020 ist die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe mit einer Mindestgröße von 2 Hektar in den westlichen Bundesländern von 1154882 auf rund 260000 und somit um durchschnittlich 2,5 Prozent pro Jahr gesunken. Über den gleichen Zeitraum hat sich die durchschnittliche Betriebsgröße von 10,9 auf 42,6 Hektar fast vervierfacht. Wird Ostdeutschland einbezogen, lag die durchschnittliche Betriebsgröße 2020 sogar bei rund 58 Hektar.

Der Rückgang der Betriebsanzahl bei gleichzeitigem Anstieg der durchschnittlichen Größe wird nicht nur in Deutschland beobachtet, sondern schreitet schon seit Jahrhunderten in fast allen Ländern der Welt voran und ist das Resultat des Zusammentreffens fundamentaler ökonomischer und sozialer Kräfte. Dennoch wird in der öffentlichen Diskussion häufig suggeriert, dass ein Aufhalten oder gar die Umkehr des Strukturwandels möglich und in erster Linie nur eine Frage der agrarpolitischen Überzeugung sei. Forderungen nach dem Ende des "Höfesterbens" und der Abkehr vom bisherigen "Wachsen oder Weichen" setzen voraus, dass die wirtschaftliche Existenz aller kleinbäuerlichen Betriebe dauerhaft garantiert werden könne. Doch die Geschwindigkeit des Strukturwandels kann von der Agrarpolitik höchstens kurzfristig und nur geringfügig beeinflusst werden. So ermöglichte technischer Fortschritt in der Vergangenheit den landwirtschaftlichen Betrieben, durch Investitionen in die Mechanisierung mit weniger Personal größere Flächen zu bewirtschaften und mehr Tiere zu halten. Gleichzeitig führte der zunehmende Bedarf an Arbeitskräften in den anderen Sektoren zum Anstieg der allgemeinen Lohnentwicklung und entfaltete somit eine Sogwirkung auf landwirtschaftliche Beschäftigte.

Treibende Kräfte des landwirtschaftlichen Strukturwandels sind also der technische Fortschritt und die allgemeine Lohnentwicklung. Selbst wenn es gelingen könnte, den technischen Fortschritt in der deutschen Landwirtschaft fortan gänzlich einzustellen, ließen sich die steigende Einkommensentwicklung für Fach- und Führungskräfte in den anderen Wirtschaftssektoren und der technische Fortschritt in anderen Ländern nicht aufhalten. Zwar spielen bei Landwirt*innen persönliche Präferenzen für eine selbstständige Tätigkeit, für das Arbeiten in der Natur und das Landleben sowie für die Weiterführung eines Familienbetriebes eine wichtige Rolle, doch werden größere Einkommensunterschiede gegenüber anderen Sektoren in der Regel nur von älteren Landwirt*innen hingenommen, denen die Hürden für einen Wechsel in einen anderen Sektor zu hoch erscheinen. Spätestens bei einer anstehenden Hofübergabe werden die potenziellen Hofnachfolger*innen abwägen und ihre Entscheidungen für oder gegen eine landwirtschaftliche Tätigkeit entsprechend ihrer Einkommensaussichten treffen.

Würde demzufolge der Strukturwandel aufhören, wenn der Staat mit Agrarpreisstützungen oder anderen Maßnahmen dafür sorgte, dass die Einkommensentwicklung aller bestehenden Betriebe mit der allgemeinen Einkommensentwicklung Schritt hielte? Denkbar könnte es vielleicht sein, aber es wäre sehr kostspielig. Eine exakte Schätzung dieser Kosten ist nicht möglich, denn hierzu müssten unter anderem Annahmen über die Auswirkungen eines erfolgreichen Aufhaltens des Strukturwandels auf die Investitionsentscheidungen der Betriebe getroffen werden. Eine realistische Größenordnung dieser Kosten lässt sich mit Blick auf die zurückliegenden zwei Jahrzehnte abschätzen.

Zwischen 1999 und 2020 fiel die Anzahl der in der deutschen Landwirtschaft auf Haupt- und Nebenerwerbsbetrieben tätigen Familien-Arbeitskräfte (FAK) von 406500 auf 252800. 2020 erwirtschaftete eine FAK einen durchschnittlichen Gewinn von 36851 Euro. Wäre 1999 die Entscheidung getroffen worden, die Abwanderung von in der Landwirtschaft beschäftigten FAK zu stoppen, müsste 2020 ein zusätzlicher Gewinn von 5,7 Milliarden Euro in der Landwirtschaft erwirtschaftet werden, wenn die "verloren gegangenen" 153700 FAK denselben Gewinn pro FAK generieren sollten. Natürlich würden zusätzliche Arbeitskräfte einen Teil dieser Summe erwirtschaften, aber um den gleichen Gewinn zu generieren wie die 2020 tatsächlich tätigen FAK, bräuchten sie auch eine entsprechend hohe Ausstattung mit Boden und Kapital. Eine Ausdehnung der Flächenausstattung pro FAK ist unmöglich, eine Ausdehnung der Kapitalausstattung wäre ebenfalls mit Kosten verbunden. Und selbst wenn 5,7 Milliarden Euro eine Überschätzung wären: Ein Betrag in Milliardenhöhe fiele jedes Jahr an und müsste im Zeitverlauf noch weiter steigen, wenn die Landwirtschaft mit der Einkommensentwicklung in anderen Sektoren Schritt halten sollte. Zudem ist bei dieser Betrachtung das Jahr 1999 eher willkürlich als Ausgangspunkt ausgewählt worden, denn bereits vor 1999 wurde schon häufig das Verschwinden vieler landwirtschaftlicher Betriebe beklagt.

Die Aufgabe von landwirtschaftlichen Betrieben ist zweifelsohne auch mit Kosten verbunden, sowohl für die betroffenen Menschen als auch für Dörfer und ländliche Räume, die zunehmend ihren landwirtschaftlichen Charakter verlieren. Es ist daher legitim zu versuchen, den Strukturwandel zu gestalten und soziale Härten abzumildern, aber dauerhaft aufhalten oder völlig umkehren lässt er sich nicht. Wenn sich die Zukunftskommission Landwirtschaft bei der Ausarbeitung ihrer vielzitierten agrarpolitischen Empfehlungen von einer "Vision" leiten lässt, in der "eine stabile bis steigende Anzahl der Höfe" für "wünschenswert" erklärt wird, weckt sie Erwartungen, die nicht zu erfüllen sind.

Eine realistische und keine von Wunschdenken getriebene Auseinandersetzung mit dem Thema ist dringend geboten. Zwar war die Geschwindigkeit des Strukturwandels zwischen 2010 und 2020 nur etwa halb so hoch wie in den fünf Jahrzehnten davor, doch waren 46,7 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebsleiter*innen in Deutschland 2020 mindestens 55 Jahre alt. Das bevorstehende altersbedingte Ausscheiden der Baby-Boomer wird wieder zu einer Beschleunigung des Strukturwandels führen. Agrarpolitiker*innen können heute viel versprechen und womöglich auch die anstehenden individuellen Entscheidungen über die Weiterführung von Betrieben beeinflussen, doch letztendlich müssen die Hofnachfolger*innen mit den Folgen leben.

Einkommen in der Landwirtschaft

Die zweite Baustelle betrifft das Einkommen der landwirtschaftlichen Haushalte, das den Strukturwandel wesentlich mitbestimmt. Einkommensstützung ist auch eine der sehr oft genannten Begründungen für die Gewährung von Subventionen an landwirtschaftliche Betriebe. Die Betriebe in Deutschland erhalten verschiedene Subventionen wie die Agrardieselvergütung und Investitionsbeihilfen, laut landwirtschaftlicher Gesamtrechnung insgesamt 6,9 Milliarden Euro im Jahr 2020; auf die EU-Direktzahlungen entfallen davon 4,8 Milliarden.

Wie wichtig sind diese Subventionen für das Einkommen der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland? Laut EU-Kommission betrug der Anteil der Direktzahlungen am landwirtschaftlichen Faktoreinkommen in Deutschland im Durchschnitt der Jahre 2015 bis 2019 etwa 32 Prozent, der Anteil aller Subventionen am Faktoreinkommen betrug etwa 40 Prozent. Die Anteile variieren erheblich in Abhängigkeit von der Größe und Ausrichtung eines Betriebs (Ackerbau und/oder Tierhaltung) und sind insbesondere in kleinstrukturierten Regionen wesentlich höher. So schreibt Georg Wimmer, Generalsekretär des bayerischen Bauernverbands: "Gerade auf kleineren Höfen und bei Landwirten im Nebenerwerb kommen unterm Strich 90 Prozent des landwirtschaftlichen Einkommens aus Direktzahlungen. Im Schnitt sind es rund 50 Prozent. Kürzungen oder gar eine Streichung hätten verheerende Auswirkungen."

Häufig wird in diesem Zusammenhang auf das Einkommensziel der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU als Rechtfertigung für die Gewährung von Subventionen und insbesondere der Direktzahlungen verwiesen. Dieses lautet, "auf diese Weise der landwirtschaftlichen Bevölkerung, insbesondere durch Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens der in der Landwirtschaft tätigen Personen, eine angemessene Lebenshaltung zu gewährleisten". Dabei werden die einleitenden Worte "auf diese Weise" von Agrarpolitiker*innen und Vertreter*innen des Berufstands gern übersehen. Sie stellen nämlich eine direkte Verbindung zum ersten Ziel der GAP her, dem Produktivitätsziel, das folgendermaßen formuliert ist: "die Produktivität der Landwirtschaft durch Förderung des technischen Fortschritts, Rationalisierung der landwirtschaftlichen Erzeugung und den bestmöglichen Einsatz der Produktionsfaktoren, insbesondere der Arbeitskräfte, zu steigern".

Die EU-Verträge sehen somit keine direkte Subventionierung der Einkommen in der Landwirtschaft vor, denn gemäß Vertragstext sollen höhere Einkommen über die Förderung der Produktivität erzielt werden. Sollte die Stützung der landwirtschaftlichen Einkommen ein vorrangiges Ziel der EU-Agrarpolitik sein, müssten die zuständigen EU-Institutionen und Agrarpolitiker*innen ihre Entscheidungen und Maßnahmen auf Basis umfassender Statistiken über die tatsächliche Einkommenssituation der landwirtschaftlichen Haushalte treffen. Doch das ist nicht der Fall. Die in der EU erhobenen Statistiken erfassen nämlich nur das landwirtschaftliche Einkommen der landwirtschaftlichen Haushalte. Dabei bezieht nicht nur in Deutschland die Mehrheit dieser Haushalte auch außerlandwirtschaftliches Einkommen. 2020 hatte fast die Hälfte der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland Einkommen aus landwirtschaftsnahen Quellen wie der Erzeugung erneuerbarer Energie und dem Fremdenverkehr. Darüber hinaus bezogen insbesondere Nebenerwerbsbetriebe häufig auch Einkommen aus landwirtschaftsfernen Quellen wie Schichtarbeit in der Industrie oder Stellen in der öffentlichen Verwaltung.

Um die einkommensstützende Wirkung der Direktzahlungen zielgerichtet auf die Betriebe zu fokussieren, die besonders einkommensschwach sind, bräuchte man statistische Erhebungen, die das gesamte Einkommen der landwirtschaftlichen Haushalte und nicht nur den landwirtschaftlichen Teil dieses Einkommens erfassen. Allerdings wurden und werden solche Daten in der EU nicht erhoben. Im Rahmen der umfangreichen und detaillierten Erhebung der finanziellen Lage der landwirtschaftlichen Haushalte in der EU, das sogenannte Informationsnetz landwirtschaftlicher Buchführungen der Europäischen Union, werden Daten über das nicht-landwirtschaftliche Einkommen dieser Haushalte nicht systematisch erfasst. Vor 25 Jahren wurden Daten aus der deutschen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) ausgewertet, um Einblicke in die nicht-landwirtschaftlichen Einkommen und das Vermögen der landwirtschaftlichen Haushalte zu gewinnen. Inzwischen werden jedoch nur 135 landwirtschaftliche Haushalte in der EVS erfasst (von insgesamt rund 60000 erfassten Haushalten in der EVS-Erhebung 2013), sodass keine belastbaren Auswertungen möglich sind.

Das Fehlen einer adäquaten Informationsbasis über die Einkommenssituation in der Landwirtschaft ist lange bekannt. Bereits 2003 stellte der Europäische Rechnungshof in einem Sonderbericht über die Messung des landwirtschaftlichen Einkommens in der EU fest: "Folglich liefern die statistischen Instrumente der Gemeinschaft derzeit keine ausreichenden Informationen über das verfügbare Einkommen landwirtschaftlicher Haushalte, die eine Bewertung der Lebenshaltung der landwirtschaftlichen Bevölkerung ermöglichen würden." 2016 bekräftigte er dieses Defizit: "Die Kommission hat die statistischen Daten, die zur effektiven Bewertung der Leistung von GAP-Maßnahmen zur Stützung der Einkommen von Landwirten notwendig sind, nicht eindeutig ermittelt. Zum verfügbaren Einkommen landwirtschaftlicher Haushalte stehen keine repräsentativen Daten zur Verfügung, mit denen beurteilt werden könnte, ob das Vertragsziel der Sicherstellung eines angemessenen Lebensstandards für Landwirte erreicht wurde."

Etwas überspitzt ausgedrückt befindet sich die GAP im einkommenspolitischen Blindflug. Die Verantwortlichen in Brüssel und in den Mitgliedstaaten wissen nicht, welche Verteilungswirkung die Agrarsubventionen haben, und sie weigern sich seit Jahrzehnten, eine entsprechende Informationsbasis zu schaffen. Zudem ist zu bedenken, dass die Direktzahlungen zwar an die Flächenbewirtschafter*innen ausgezahlt werden, aber in nicht unerheblichem Umfang über den Pachtpreis an die Bodeneigentümer*innen weitergereicht werden, die deshalb von der Höhe und dem Fortbestand der Agrarsubventionen profitieren. Gelöst werden könnte dieses Informationsproblem durch die Datenauswertung von Steuererklärungen landwirtschaftlicher Haushalte – natürlich unter Berücksichtigung des Steuergeheimnisses und sonstiger relevanter Datenschutzbestimmungen.

Betriebsgröße und Umwelteffekte

Die Agrarumweltpolitik, hier unsere dritte Baustelle, hat in den vergangenen 30 Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen. Für die Förderperiode 2021 bis 2027 beziehen sich drei der neun Ziele der GAP auf die Umwelt, ab 2023 sind allein in Deutschland Ausgaben in Höhe von jährlich mehr als 2 Milliarden Euro für Agrarumweltmaßnahmen vorgesehen. Auch dieses Politikfeld ist von Irrtümern und Missverständnissen geprägt. Ein häufig anzutreffender Gedanke ist, man müsse kleine Betriebe nur ausreichend fördern, und schon würde sich wie von allein eine bäuerliche Landwirtschaft mit einer umweltfreundlichen Produktion und tierfreundlichen Haltungssystemen einstellen.

Diese Annahme beruht auf Ideen des Ökonomen Ernst F. Schumacher, der in den 1970er Jahren die Entwicklung hin zur modernen Landwirtschaft scharf kritisierte: "Es ist nun einmal das grundlegende ‚Prinzip‘ der Landwirtschaft, dass sie mit Leben, das heißt mit lebenden Substanzen, zu tun hat. (…) Das grundlegende ‚Prinzip‘ der modernen Industrie auf der anderen Seite besteht darin, dass sie mit vom Menschen entwickelten Prozessen zu tun hat, die nur dann zuverlässig wirken, wenn sie auf vom Menschen entwickelte, tote Materie angewendet werden. Das Ideal der Industrie ist die Ausschaltung lebender Substanzen." Der zentrale Kritikpunkt Schumachers besteht in der Entwicklung einer "Industrialisierung" hin zu größeren Betriebsgrößen und zur wachsenden "Mechanisierung und Chemisierung". Aus der Ablehnung des Wachstums entsteht bei Schumacher die Vision einer dezentralen, vielfältigen und kleinteiligen Wirtschaftsweise, der er die Aufgabe zuschreibt, "die weitere Umwelt des Menschen menschenwürdig zu gestalten und zu veredeln".

In der Agrardebatte wurde aus dieser Vision das Leitbild einer "bäuerlichen Landwirtschaft" entwickelt, die einerseits durch den Einsatz von Familienarbeitskräften, andererseits durch geringe Betriebsgrößen gekennzeichnet ist. Es ist vielfach angemerkt worden, dass der Begriff nicht trennscharf definiert und eine Projektionsfläche für idealistische Vorstellungen einer "Bilderbuch-Landwirtschaft" ist. Einige agrarpolitische Akteur*innen schreiben der bäuerlichen Landwirtschaft zahlreiche Umweltvorteile zu. Teile der "Agraropposition", einem Bündnis von Agrar- und Umweltverbänden, fordern daher eine stärkere Förderung von kleinen, bäuerlichen Betrieben. Aber inwieweit ergeben sich aus einer Orientierung der Umweltpolitik an der Betriebsgröße tatsächlich messbare Umweltvorteile?

Die Forschungsliteratur zu dieser Fragestellung ist überschaubar. Agrarökomische wie auch agrarökologische Studien belegen überwiegend keinen klaren Zusammenhang zwischen der Betriebsgröße und möglichen Umweltvorteilen. Lediglich bei der Vielfalt des Anbauprogramms haben kleine Betriebe Vorteile. Für Südniedersachsen und Thüringen dokumentieren Forschungen, dass die Größe eines zusammenhängenden Feldes (Schlag) und die Ausstattung mit Landschaftselementen für die Artenvielfalt wichtiger ist als der Unterschied zwischen ökologischer oder konventioneller Bewirtschaftung. Kleinteilige Flächen – nicht gleichzusetzen mit kleinen Betrieben – und eine vielfältig strukturierte Landschaft, über die Flächen eines einzelnen Betriebes hinaus, können die Artenvielfalt in der Landschaft fördern und zur umweltfreundlichen Gestaltung von Agrarökosystemen beitragen.

Mit Blick auf die Forschungsliteratur lässt sich insgesamt festhalten: Es gibt keinen nachweisbaren Zusammenhang zwischen Betriebsgröße und Umweltbilanz. Daher erscheint es naheliegend, Agrarumweltpolitik unabhängig von der Betriebsgröße zu fördern und eher die spezifischen Ziele und ökologischen Erfordernisse in den Blick zu nehmen. Eine Förderung kleiner Schläge sowie die Koordination von Maßnahmen auf Landschaftsebene lassen sich durchaus mit Umweltvorteilen begründen. Die Realität in der Agrarumweltpolitik stellt sich teilweise jedoch anders dar: Fördermaßnahmen zielen zunächst hauptsächlich auf den einzelnen Betrieb, mitunter sogar nur auf einzelne Schläge. Der größere Zusammenhang einer ganzen Landschaft spielt dagegen keine Rolle, auch eine Förderung von Kleinstrukturen ist bisher nicht gegeben. Die Förderrichtlinien sehen mitunter Limitierungen vor, die größere Betriebe benachteiligen. So gibt es in sieben Bundesländern eine flächenmäßige Obergrenze für die Förderung von Blühstreifen nach Hektaren. Eine prozentuale Obergrenze wäre hier sachgerecht, ist jedoch nur in drei Bundesländern vorgesehen.

Fazit

Die GAP ist eine über Jahrzehnte gewachsene Politik als Ergebnis von verschiedenen Pfadabhängigkeiten. Politische Forderungen, den Strukturwandel endlich zu stoppen, Landwirt*innen durch Einkommenshilfen zu unterstützen oder kleine Betriebe aus Umweltgründen prioritär zu fördern, erweisen sich häufig nicht als tragfähig beziehungsweise als schlicht nicht sinnvoll. Der Strukturwandel lässt sich agrarpolitisch allenfalls in seiner Geschwindigkeit bremsen, jedoch nicht als Phänomen insgesamt beeinflussen oder gar beenden. Die Direktzahlungen, das einkommenspolitische Hauptinstrument der GAP, sind wenig effizient und nicht auf das Einkommensziel ausgerichtet. Schließlich gibt es keinen nachweisbaren Zusammenhang zwischen Betriebsgröße und Umweltbilanz.

Die drei in diesem Beitrag diskutierten "Baustellen" zeigen exemplarisch, dass in agrarpolitischen Debatten immer wieder populäre Lösungsvorschläge diskutiert werden, die sich aber aus wissenschaftlicher Sicht als nicht haltbar erweisen. Vielen agrarpolitischen Akteur*innen fällt es anscheinend zunehmend schwer, die Komplexität agrarpolitischer Zusammenhänge in der öffentlichen Debatte zu vermitteln und für entsprechend differenzierte und abgewogene Lösungen zu werben.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), Betriebsstruktur in der Landwirtschaft, Externer Link: http://www.bmel-statistik.de/landwirtschaft/landwirtschaftliche-betriebe. Vergleiche werden dadurch erschwert, dass die statistischen Erfassungsgrenzen für landwirtschaftliche Betriebe angepasst wurden. Seit 2010 werden in der Regel nur Betriebe mit mehr als 5 Hektar erfasst. 2020 wurden 237256 Betriebe in den alten Bundesländern gezählt; wir gehen von weiteren rund 23000 Betrieben zwischen 2 und 5 Hektar aus und folglich von schätzungsweise etwa 260000 Betrieben mit mindestens 2 Hektar.

  2. Bei adäquater Berücksichtigung aller mit Umwelt und Tierwohl verbundenen Kosten wäre der Strukturwandel vermutlich langsamer verlaufen. Aber auch in der ökologischen Landwirtschaft werden die Betriebe stetig größer und die Produktion entsprechend kapitalintensiver.

  3. Die Agrarstatistik unterscheidet zwischen Einzelunternehmen, Personengesellschaften und juristischen Personen. 87 Prozent aller Betriebe in Deutschland werden als Einzelunternehmen geführt. Übersteigt das landwirtschaftliche Einkommen von Betriebsleiter*in und ggf. Ehepartner*in das außerbetriebliche Einkommen, handelt es sich um einen Haupterwerbsbetrieb.

  4. Neben den Fremd-Arbeitskräften, die ständig oder saisonal auf landwirtschaftlichen Betrieben angestellt sind und regulär entlohnt werden, wird die überwiegende Arbeitsleistung in Einzelunternehmen durch die bzw. den Betriebsleiter*in sowie weitere, in der Regel nicht-entlohnte Familienangehörige erbracht. Als Einkommen ist der Betriebsgewinn anzusehen. Alle Beschäftigten bei Personengesellschaften und juristischen Personen sind per Definition Fremd-Arbeitskräfte.

  5. Vgl. Statistisches Bundesamt, Arbeitskräfte, Fachserie 3, Reihe 2.1.8, Tabelle 256 R (1999); Arbeitskräfte und Berufsbildung der Betriebsleiter/Geschäftsführer, Fachserie 3, Reihe 2.1.8, Tabelle 0601.1 R (2020). Die genannten Werte beziehen sich auf Arbeitskraft-Einheiten, die Vollzeitäquivalenten entsprechen.

  6. Vgl. Deutscher Bauernverband, Situationsbericht 2021/2022, Berlin 2021, S. 166.

  7. Zukunftskommission Landwirtschaft, Zukunft Landwirtschaft. Eine Gesamtgesellschaftliche Aufgabe, Berlin 2021, S. 49.

  8. BMEL, Landwirtschaftliche Gesamtrechnung 2020, Externer Link: http://www.bmel-statistik.de/log-in/414/landwirtschaftliche-gesamtrechnung/landwirtschaftliche-gesamtrechnung-2020.

  9. Das landwirtschaftliche Faktoreinkommen entspricht der Nettowertschöpfung zu Faktorkosten und misst das Einkommen, das zur Vergütung von gepachteten oder eigenen Produktionsfaktoren (Kapital, Arbeit und Boden) zur Verfügung steht.

  10. Vgl. EU-Kommission, Common Agricultural Policy: Key Graphs and Figures, Oktober 2021, ec.europa.eu/info/sites/default/files/food-farming-fisheries/farming/documents/cap-expenditure-graph5_en.pdf.

  11. Georg Wimmer, EU-Subventionen: Sollen die Direktzahlungen an Bauern abgeschafft werden? Nein, 14.11.2019, Externer Link: http://www.bayerische-staatszeitung.de/staatszeitung/politik/detailansicht-politik/artikel/eu-subventionen-sollen-die-direktzahlungen-an-bauern-abgeschafft-werden.html.

  12. Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, Artikel 39.

  13. Vgl. Statistisches Bundesamt, Einkommenskombinationen Landwirtschaftszählung, Fachserie 3, Reihe 2.1.7, Tabelle 0701 R (2020).

  14. Vgl. Silke Thiele, Das Privatvermögen der Landwirtschaft und dessen Einfluss auf die soziale Lage, in: Agrarwirtschaft 6/1996, S. 239–245.

  15. Vgl. Sabrina Bethge/Jost-F. Wendt/Sebastian Lakner, The Economic Well-Being of Farm Households in Germany, in: German Journal of Agricultural Economics 4/2021, S. 236–250.

  16. Europäischer Rechnungshof, Über die Messung des landwirtschaftlichen Einkommens durch die Kommission, Sonderbericht 14/2003.

  17. Ders., Stützung der Einkommen von Landwirten: Ist das Leistungsmessungssystem der Kommission gut konzipiert und basiert es auf soliden Daten?, Sonderbericht 1/2016.

  18. Etwa 60 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche in Deutschland befindet sich nicht im Eigentum der jeweiligen Bewirtschafter*innen.

  19. Vgl. Sebastian Lakner, Neustart oder Rückschritt? Wie die Zukunft der EU-Agrarförderung in Deutschland gestaltet werden kann, Studie im Auftrag von Greenpeace, Hamburg 2021.

  20. Ernst F. Schumacher, Small is Beautiful, München 2019 (1973), S. 119, S. 123f.

  21. Vgl. Stephan von Cramon-Taubadel/Carsten Holst/Sebastian Lakner, Probleme moderner Landwirtschaft, in: Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 1/2011, S. 52–57.

  22. Vgl. Hiltrud Nieberg, Werden die Umweltwirkungen der Agrarproduktion durch die Betriebsgröße und Erwerbsform landwirtschaftlicher Betriebe beeinflusst?, Dissertation, Universität Göttingen, 1994.

  23. Vgl. David Wuepper/Stefan Wimmer/Johannes Sauer, Is Small Family Farming More Environmentally Sustainable? Evidence from a Spatial Regression Discontinuity Design in Germany, in: Land Use Policy Jg. 90/2020, Artikelnr. 104360.

  24. Vgl. Péter Batáry et al., The Former Iron Curtain Still Drives Biodiversity–Profit Trade-Offs in German Agriculture, in: Nature Ecology and Evolution 1/2017, S. 1279–1284.

  25. Vgl. Biodiversität und Management von Agrarlandschaften, Stellungnahme der Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Halle/S. 2020; Teja Tscharntke, Bedeutung einer vielfältigen und kleinteiligen Agrarstruktur für die Biodiversität und ihre Förderung im Rahmen der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP), Studie für die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Berlin 2021.

  26. Vgl. Uwe Latacz-Lohmann et al., Zur effektiven Gestaltung der Agrarumwelt- und Klimaschutzpolitik im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU, Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Agrar- und Ernährungspolitik beim BMEL, Berlin 2019, S. 73.

  27. Vgl. Tscharntke (Anm. 25).

  28. Vgl. Rainer Oppermann/Sebastian Lakner, Ökonomische Impact-Analyse zur Umsetzung von biodiversitätsbezogenen Umweltauflagen bei der Zulassung von PSM, Gutachten für das Umweltbundesamt, Dessau 2020.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autoren/-innen: Stephan von Cramon-Taubadel, Sebastian Lakner, Carsten Holst für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de

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ist Agrarökonom und Inhaber des Lehrstuhls für Agrarpolitik am Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung der Universität Göttingen.
E-Mail Link: scramon@gwdg.de

ist Professor für Agrarökonomie an der Agrar- und Umweltwissenschaftlichen Fakultät der Universität Rostock.
E-Mail Link: sebastian.lakner@uni-rostock.de

ist promovierter Agrarökonom und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung der Universität Göttingen.
E-Mail Link: cholst@gwdg.de