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Hintergrund

Andreas Damelang Max Steinhardt Andreas Damelang und Max Steinhardt

/ 4 Minuten zu lesen

Deutschland hat in der Zeit von 1987 bis 2001 in absoluten Zahlen mehr Zuwanderer aufgenommen als die klassischen Zuwanderungsstaaten Australien und Kanada zusammen (vgl. Bade 2001). Dennoch war die Integration von zugewanderten Personen in Deutschland aus politischen Gründen keine Selbstverständlichkeit. Erst im Jahr 1991 war ein Paradigmenwechsel zu verzeichnen, als die CDU, die zusammen mit der FDP die Bundesregierung stellte, die Formel "Deutschland ist kein Einwanderungsland" aus dem Dresdner Manifest strich (vgl. Bade 2001).

Szene bei der Eröffnung der größten Moschee Deutschlands in Duisburg im Oktober 2008. (© AP)

Allerdings dauerte es weitere 14 Jahre, bis das Ausländergesetz im Jahr 2005 durch das Aufenthaltsgesetz (bzw. besser bekannt als Zuwanderungsgesetz) abgelöst und erstmals das Ziel der Integrationsförderung gesetzlich verankert und geregelt wurde. Seit 2007 liegt nun ein umfassender bundesweiter Maßnahmenkatalog zur Integration von zugewanderten Personen und deren Nachkommen vor: der "Nationale Integrationsplan", herausgegeben von der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (2007).

Da knapp ein Fünftel der ausländischen Bevölkerung in den sechs größten Städten Deutschlands lebt und zudem der städtische Handlungsspielraum bei der Ausgestaltung der Vorgaben des Nationalen Integrationsplans sehr hoch ist, beleuchtet und beschreibt das vorliegende Kurzdossier die verschiedenen Konzepte und Maßnahmen zur Integration ausländischer Mitbürger der sechs größten deutschen Städte: Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt und Stuttgart.

Einige Städte und Kommunen haben die Notwendigkeit der Integration ausländischer Mitbürger schon frühzeitig erkannt und eigene, auf die jeweiligen regionalen Besonderheiten abgestimmte Integrationspläne entwickelt. Stuttgart hat hier eine Vorreiterrolle übernommen und bereits 2001 ein eigenes Gesamtkonzept für die Integration und Partizipation von zugewanderten Personen und deren Kindern erarbeitet und umgesetzt.

Aber warum sind regional angepasste Integrationskonzepte notwendig? Welche Rolle spielt dabei die jeweilige demographische und wirtschaftliche Situation? Und inwiefern ist eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt schon erfolgt?

Eine Evaluation der städtischen Integrationsmaßnahmen kann an dieser Stelle noch nicht erfolgen, da diese erst vor Kurzem verabschiedet worden sind. Vielmehr ist es Ziel dieses Kurzdossiers, vor dem Hintergrund der jeweiligen regionalen Situation die Notwendigkeit städtischer Integrationskonzepte herauszustellen und die Möglichkeiten, aber auch Schwierigkeiten einer wissenschaftlich fundierten Evaluation zu ergründen. In diesem Zusammenhang werden ebenfalls einige Beispiele für integrationsfördernde Maßnahmen vorgestellt. Zuvor muss jedoch geklärt werden, was man unter Integration eigentlich versteht.

Wie definiert man Integration?

Spricht man von Integration, ist es wichtig zu bedenken, dass es verschiedene Konzepte der Integration gibt. Generell ist zwischen Systemintegration und Sozialintegration zu unterscheiden. Während die Erstgenannte den Zusammenhalt eines Systems (z. B. einer Gesellschaft) als Ganzes bezeichnet, wird unter Sozialintegration der Einbezug individueller Akteure in ein System verstanden. Typischerweise ist Sozialintegration gemeint, wenn von der Integration von Migranten gesprochen wird. Hierbei sind zusätzlich vier Dimensionen zu unterscheiden (vgl. Esser 2000):

  • Kulturation (auch: Sozialisierung) als Prozess der Wissensvermittlung, z. B. das Erlernen der Sprache sowie kultureller Standards. Sie ist notwendig, um erfolgreich am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können.

  • Unter Platzierung wird die Einnahme von Positionen in einer Gesellschaft verstanden, z. B. im Schul- oder Wirtschaftssystem, aber auch als Bürger. Mit dem Prozess der Platzierung geht die Übernahme von Rechten einher und damit die Möglichkeit, gesellschaftlich relevante Kapitalien zu erwerben.

  • Interaktion bezeichnet die Herausbildung von interethnischen Netzwerken und Beziehungen. Dies beinhaltet Freundschaften, Eheschließungen, Vereinsmitgliedschaften oder ganz allgemein die Einbindung in soziale Gruppen und damit die Möglichkeit, soziales und kulturelles Kapital zu erwerben.

  • Identifikation bezeichnet die individuelle Identifikation mit der Gesellschaft. Die Person sieht sich als Teil des Ganzen. Identifikation spielt sich sowohl auf der kognitiven als auch auf der emotionalen Ebene ab.

Die verschiedenen Dimensionen der Integration sind natürlich nicht unabhängig voneinander. So setzt die Platzierung ein gewisses Maß an Kulturation (vor allem Spracherwerb) voraus. Und darauf aufbauend ist erst die Interaktion und schließlich die Identifikation mit einer Gesellschaft möglich. Ist eine Person in allen vier Dimensionen vollständig integriert, spricht man von Assimilation oder Angleichung, womit allerdings auch die kulturelle Eigenständigkeit des Einzelnen und damit die kulturelle Vielfalt verloren gehen kann. Sieht man jedoch Einwanderung als Möglichkeit an, verschiedene Kulturen als gleichberechtigt zu akzeptieren und miteinander zu verbinden (Multikulturalismus) , so muss die kulturelle Eigenständigkeit gewahrt bleiben. Die kulturellen und sozialen Verflechtungsbeziehungen von Menschen mit ihren Praktiken, Symbolen und Gegenständen ersetzen oder verdrängen sich nicht gegenseitig, sondern differenzieren die Möglichkeiten des Zusammenlebens der Menschen aus (vgl. Pries 2005).

Sozialintegration kann man also definieren als die Inklusion und Akzeptanz von Migranten in Institutionen, Netzwerken und Positionen einer Gesellschaft. Der Prozess der Integration ist als interaktiver dialektischer sozialer Prozess zwischen Zuwanderern und der Aufnahmegesellschaft zu verstehen und erfolgt generationenübergreifend. Als Grundlage für ein multikulturelles Zusammenleben wird ein Pool von geteilten Werten und Normen (z. B. Rechtsstaatlichkeit) betont.

Als Schlüssel für die Sozialintegration in das Aufnahmeland wird der Spracherwerb (Kulturation) angesehen und darauf aufbauend die strukturelle Angleichung der nationalen Gruppen an das Bildungssystem und den Arbeitsmarkt (Platzierung). Die Platzierung in die Gesellschaft ist daher so zentral, weil sie zur Teilhabe am gesellschaftlichen Geschehen befähigt. Denn neben der Möglichkeit, ökonomisches Kapital zu erwerben und Anerkennung zu erlangen, vermittelt eine erfolgreiche Platzierung dem Positionsinhaber das Gefühl, gebraucht zu werden und ein Teil der Gesellschaft zu sein.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Generell wird zwischen ökonomischem, kulturellem und sozialem Kapital unterschieden (vgl. Bourdieu 1983). Zudem impliziert der Begriff "Kapitalien" die Möglichkeit, diese nutzbringend einzusetzen. Borjas (1992) führt zudem das ethnische Kapital ein, da ihm zufolge die Integrationsmöglichkeiten auch von der Beschaffenheit des ethnischen Umfelds abhängen.

  2. Einen kritischen Diskurs über Multikulturalismus am Beispiel der Niederlande bietet das Kurzdossier Nr. 1 (vgl. Michalowski 2005).

Andreas Damelang ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg.

Max Steinhardt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitutes (HWWI) und des Centro Studi Luca D´Agliano in Mailand (ab Mai 2008).