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Inwiefern wird die Mobilität von Nachwuchswissenschaftlern durch nationale Gesetze und die EU-Osterweiterung beeinflusst? | bpb.de

Inwiefern wird die Mobilität von Nachwuchswissenschaftlern durch nationale Gesetze und die EU-Osterweiterung beeinflusst?

Jessica Guth

/ 5 Minuten zu lesen

Viele verschiedene Faktoren beeinflussen die Mobilität von Nachwuchswissenschaftlern. Wichtig sind z.B. der Zugang zum Arbeitsmarkt oder Sozialleistungen auch für Familienmitglieder. Die EU-Osterweiterung hat jedoch kaum Auswirkungen gehabt.

Italienischer Nachwuchswissenschaftler an der Universität Jena. (© picture alliance / ZB )

Gesetzgebung in Deutschland

Gesetzliche Bestimmungen hinsichtlich des Zugangs zu Arbeitsmärkten und Sozialleistungen sowie Verwaltungsvorschriften, die für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit erfüllt werden müssen, scheinen Wissenschaftlern bei ihrer Entscheidung für ein Zielland relativ wichtig zu sein – nicht so sehr wegen der Auswirkungen dieser Bestimmungen auf die Wissenschaftler selbst, sondern eher wegen ihrer Auswirkungen auf Partner und Familienangehörige.

Exemplarisch können die Erfahrungen einer ausländischen Doktorandin in Deutschland herangezogen werden, die erklärte warum Sie nach einer Stelle als Postdoktrandin im Vereinigten Königreich suchte : "Das ist der Vorteil, dass wir in der neuen Europäischen Union sind und [mein Partner] [im Vereinigten Königreich] arbeiten kann. [...] Wir haben gedacht, dass wenn ich hierher ziehe [nach Deutschland], es sehr schwer für ihn sein würde, Arbeit zu finden, weil er keine gute Ausbildung hat. Daher würde er sich nicht einfach bei einer Firma bewerben können und natürlich muss man auch die Sprache können [...] Ich kenne hier einige Polen, größtenteils junge Frauen und ihre Männer oder Freunde, sie versuchen einen Job hier zu finden, aber sie haben keinen gefunden."

Die deutsche Regierung hat erkannt, dass Ehegattenrechte wichtig sind, um hochqualifiziertes Personal ins Land zu holen. Im Aufenthaltsgesetz wird dem Ehepartner einer hochqualifizierten Fachkraft, die eine Niederlassungserlaubnis hat, ebenfalls zugestanden, in Deutschland zu arbeiten, ohne dass er oder sie eine Arbeitserlaubnis beantragen muss. Das gilt jedoch nur für die unter §19 des Aufenthaltsgesetzes genannten Hochqualifizierten. Von dieser Regelung scheinen allerdings Nachwuchswissenschaftler – wie oben dargestellt – bisher wenig profitiert zu haben.

Soziale Sicherheit und Vergünstigungen können ebenfalls entscheidende Faktoren sein, wie Alexanders Fall deutlich macht. Alexander war Postdoc-Forscher in Deutschland, bevor er eine Stelle in einem angesehenen Institut in England antrat. Seine Frau erwartete das erste Kind. Er kam nach nur einer Woche im neuen Job nach Deutschland zurück und erklärte seine Gründe: "Obwohl wir genau so viel Sozialversicherungsabgaben und Steuern zahlen wie jeder andere Brite mit ähnlichem Einkommen (eigentlich mehr Steuern, weil wir kein Anrecht auf irgendwelche Steuervergünstigungen haben, wie zum Beispiel Steuerentlastungen für Arbeitnehmer oder bei der Gemeindesteuer), haben wir doch nicht das Anrecht auf irgendwelche Sozialleistungen, jede Form von Unterhalt für die Kinder, wie Kindergeld oder Kinderfreibetrag[...] inbegriffen. Von meinem Gehalt allein zur gleichen Zeit in Deutschland zu leben, geht – wenn auch nicht gerade sehr gut, aber doch zumindest ganz ordentlich. Außerdem bekommen wir in Deutschland die Sozialleistungen für den Unterhalt des Kindes, obwohl wir es auch ohne sie geschafft hätten."

Die beiden Beispiele zeigen, dass die persönlichen Umstände der Wissenschaftler darüber entscheiden können, ob ein Zielland attraktiv für sie ist oder nicht. Nationalrechtliche Regelungen haben eine Auswirkung, nicht nur auf den Wissenschaftler selbst, sondern auch auf mitreisenden Familienmitglieder, was die Migrationsentscheidung beeinflussen kann.

EU-Osterweiterung

Es ist schwierig, genau zu ermitteln, inwiefern die EU-Osterweiterung und die anschließende Öffnung der Grenzen Wissenschaftsmigration bisher beeinflusst haben. Das Datenmaterial deutet darauf hin, dass die Auswirkungen der EU-Osterweiterung auf die Wissenschaftsmigration vielschichtig sind. Die internationale wissenschaftliche Gemeinschaft existiert jenseits nationalstaatlicher Grenzen und internationale Mobilität ist schon lange ein Merkmal dieser Gemeinschaft, auch wenn die Beliebtheit der Ziele von historischen und politischen Entwicklungen abhängig ist. Man könnte meinen, dass die EU-Osterweiterung die Beziehung zwischen den alten und den neuen Mitgliedstaaten gestärkt hätte. Das Datenmaterial jedoch zeigt, dass die Mobilität von Wissenschaftlern zwischen Ost- und Westeuropa der EU-Osterweiterung zeitlich vorausging und seitdem nicht dramatisch zugenommen hat. Dies deutet darauf hin, dass die Öffnung der Grenzen und der leichtere Zugang zu wissenschaftlichen Arbeitsmärkten sich bisher nicht entscheidend bemerkbar gemacht haben.

Deutlich spürbar wirkte sich die EU-Osterweiterung mit dem Aufkommen von Billigflugreisen aus, die Mobilität in allen Bereichen zu fördern scheinen und auch die Wissenschaftler beeinflussen . Ein Forscher hat das Phänomen so beschrieben: "Atemberaubende Preise vereinen Ost und West, wie es die Gründerväter der Europäischen Union nie zu träumen gewagt hätten [...] War sie früher weitgehend eine theoretische Möglichkeit, wird diese Art von Arbeitsmobilität praktikabel, wenn Flüge weniger als das Gehalt eines Arbeitstages und nicht mehr als eine Busfahrt kosten." Schnell und billig nach Hause kommen zu können, fördert die Mobilitätsbereitschaft offenbar auch bei solchen Wissenschaftlern, die vorher nicht in Betracht gezogen hätten, ins Ausland zu gehen. Anderen erleichtert es ihre Mobilität mit Blick auf persönliche Bindungen, berufliche Netzwerke und die Zusammenarbeit.

Es ist vermutet worden, die positiven Effekte der EU-Erweiterung seien weniger auf den Zugang zu bestimmten Rechten, als vielmehr auf die symbolische Bedeutung der EU-Mitgliedschaft und offene Grenzen zurückzuführen . Durch die Mitgliedschaft gewinnen die neuen Mitgliedstaaten in den Augen der westlichen Länder einen gewissen Status. Ohne dabei auf ein bestimmtes Recht oder einen bestimmten Anspruch verweisen zu müssen, wird Mobilität nach Westeuropa auf diese Weise zu einer "Normalität", erfährt Unterstützung und bedarf keiner Rechtfertigung oder Erklärung. Außerdem entwickeln sowohl das Heimatland als auch das Gastland ein stärkeres Bewusstsein für das jeweils andere Land und für die Herausforderungen und Vorteile, die mit dem Austausch einhergehen. Nichtsdestotrotz verhindern insbesondere die Übergangsregelungen, dass osteuropäische Wissenschaftler sich den Staatsbürgern der EU 15 gegenüber als gleichrangig betrachten; sie fühlen sich eher wie Bürger dritter Klasse, die in die zweite Klasse aufgestiegen sind. So wie es ein Befragter ausdrückte: "Du bist nach wie vor ein Pole in England und es gibt alle diese Einschränkungen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit und für all die Sozialleistungen. Du weißt, du bist ein Bürger zweiter Klasse, irgendwie nicht Bürger erster Klasse wie jeder andere."

Fussnoten

Fußnoten

  1. Polnische Doktorandin in Deutschland. Alle Namen wurden geändert, um die Anonymität der Befragten zu schützen.

  2. Bulgarischer Postdoktorand in Deutschland.

  3. Siehe Van de Sande et al (2005).

  4. EU-Deregulierungsmaßnahmen für den Luftverkehr und das Open Skies Agreement ermöglichen Billigreisen.

  5. Siehe Underhill (2006).

  6. Siehe Guth (2006) und Stalford (2003).

  7. Polnischer Spezialist in der Berufsmitte im Vereinigten Königreich.

Jessica Guth ist Forschungsstipendiatin und Doktorandin am Zentrum für Rechts- und Politikwissenschaften in Europa an der University of Leeds. Außerdem war sie T.H. Marshall-Stipendiatin 2006 an der London School of Economics und verbrachte ihr sechsmonatiges Stipendium bei der Migration Research Group (MRG), Hamburgisches WeltWirtschaftsInstitut (HWWI).