Daten und Trends
Dieser signifikante Anstieg ist auf die steigende Zahl von Migranten, die häufigere Nutzung von offiziellen Transfermechanismen [3] und nicht zuletzt auf den schwächeren Dollar zurückzuführen. Der relative Anteil der Rücküberweisungen an den Gesamtkapitalströmen [4], die den Entwicklungsländern zugute kamen, hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Er stieg von ca. 20% in den 1990er Jahren auf 28% im Jahr 2004. Im Vergleich dazu betrugen im Jahr 2004 Direktinvestitionen 41%, Portfolioinvestitionen 18% und die offizielle Entwicklungshilfe 12% der Gesamtkapitalflüsse. Im Diagramm 1 ist der antizyklische Charakter der Rücküberweisungen deutlich zu erkennen. Während die Direkt- und die Portfolioinvestitionen Ende der 1990er Jahre bis zum Jahr 2002 wegen der Finanzkrise in Asien (1997/1998) und der Terroranschläge vom 11. September 2001 dramatisch zurückgingen, stiegen die Rücküberweisungen im gleichen Zeitraum deutlich an.
Um die wahre Dimension der Rücküberweisungen erfassen zu können, muss beachtet werden, dass die Zahlungsbilanz die informell übermittelten Gelder gänzlich außer Acht lässt. Experten schätzen, dass diese die Finanzflüsse über offizielle Kanäle noch weit übertreffen.
Datenermittlung
Nach Vorgaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) werden offizielle Rücküberweisungen in drei einzelne Posten der Zahlungsbilanz bilanziert:- Als Erwerbseinkommen (engl. compensation of employees) gelten die Bruttoeinkünfte von Arbeitskräften, die sich weniger als zwölf Monate im Ausland aufhalten.
- Zu Heimatüberweisungen der Arbeitsmigranten (engl. workers' remittances) zählen die tatsächlich transferierten Gelder von Arbeitnehmern, die sich über ein Jahr im Ausland aufhalten.
- Vermögensübertragungen von Migranten (engl. migrants' transfers) fassen alle Übertragungen von Nettovermögen zusammen, die Migranten bei grenzüberschreitenden Umzügen mit sich führen.
Es bestehen mehrere Probleme bezüglich der Schätzung der Rücküberweisungsflüsse und deren Vergleichbarkeit zwischen den Ländern. Erstens wird der reale Umfang der Rücküberweisungen ohne Zweifel unterschätzt, wenn er nur als Summe der Erwerbseinkommen, Heimatüberweisungen der Arbeitsmigranten und Vermögensübertragungen von Migranten berechnet wird (siehe oben). Auf der anderen Seite werden im Falle einer Zurechnung der Anderen Laufenden Übertragungen anderer Sektoren [9] Geldströme einbezogen, die eindeutig keine Rücküberweisungen sind, z.B. Humanitäre Hilfe, Rentenbeiträge, Versicherungs- und Rückversicherungszuwendungen, Überweisungen zu und von ausländischen Investitionsfonds oder privaten Auslandskonten und Transfers von illegalen Aktivitäten. In diesem Kurzdossier werden die Rücküberweisungsflüsse als Summe der Erwerbseinkommen und eines geschätzten Anteils der Privaten Laufenden Übertragungen (d.h. Heimatüberweisungen der Arbeitsmigranten + Andere Laufende Übertragungen anderer Sektoren) berechnet.[10] Aufgrund der Analyse von Zahlungsbilanzstatistiken einer Mehrzahl von Ländern nehmen wir an, dass die tatsächliche Höhe der Heimatüberweisungen der Arbeitsmigranten ca. 50% der Privaten Laufenden Übertragungen im Falle der Industrieländer beträgt. Im Falle der Entwicklungsländer, deren Finanzmärkte weniger liberalisiert sind und somit weniger Zu- und Ausflüsse anderer Transfers haben, beträgt der Anteil ca. 80%.


Alle Zahlen zu den Rücküberweisungen von Migranten, inklusive der Zahlen aus diesem Kurzdossier, müssen deswegen mit Vorsicht interpretiert werden.
Wohin fließen die Gelder?
Nominal waren im Jahr 2004 China (21,4 Mrd. US$), Indien (20,1 Mrd. US$) und Mexiko (15,2 Mrd. US$) die Spitzenreiter beim Erhalt von Rücküberweisungen. Aber auch die Philippinen konnten mit ihren weltweit verstreuten Arbeitsmigranten einen zweistelligen Milliardenbetrag (10,0 Mrd. US$) verzeichnen (vgl. hierzu auch Box 2). Indien und China besitzen nicht zuletzt wegen ihrer Bevölkerungsstärke weltweit große Diasporagemeinden, wohingegen sich beispielsweise die Emigration aus Mexiko hauptsächlich auf die USA konzentriert. Im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) fallen prozentual die Zuwendungen von Migranten in kleineren oder einkommensschwachen Volkswirtschaften deutlich stärker ins Gewicht.Insgesamt belaufen sich die Rücküberweisungen auf 2,2% des BIP aller Entwicklungsländer. Die Republik Moldau, das ärmste Land Europas, ist bezogen auf das BIP das Land mit den höchsten Rücküberweisungszuflüssen (29,0%). Jedoch gehen Schätzungen davon aus, dass unter Einbeziehung informeller Kanäle und Sachgüter die Höhe der Rücküberweisungen doppelt so hoch wie das Bruttoinlandsprodukt ist. Aufgrund der prekären wirtschaftlichen und politischen Lage des Landes arbeiten weite Bevölkerungsteile im Ausland.[11] Tonga, ein kleiner Archipelstaat im Süd-Pazifik, befindet sich auf Rang zwei. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt im Ausland und 28,7% des BIP besteht aus Rücküberweisungen.[12] Hinsichtlich Rücküberweisungen als Anteil des BIP liegen Lesotho (26,1%) und die Palästinensischen Gebiete (23,7%) an dritter bzw. vierter Stelle weltweit. Beim relativen Ranking muss beachtet werden, dass die Reihenfolge nicht nur durch Rücküberweisungen bestimmt wird, sondern dass auch die gegenwärtige wirtschaftliche Situation im Empfängerland, reflektiert durch das BIP, ausschlaggebend ist.

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Kollektive Rücküberweisungen
Aber auch hier besteht die Gefahr, dass die externen Geldzuflüsse neue Abhängigkeiten entstehen lassen, da der Entwicklung keine endogenen Mechanismen zugrunde liegen. Zudem werden viele Projekte nach ihrer Umsetzung nicht nachhaltig weiterverfolgt und verlaufen somit möglicherweise im Sande.
Aus diesen Anfangsfehlern entwickelte sich in der mexikanischen Provinz Zacatecas die staatlich geleitete Initiative Tres por uno ("Drei für Einen"). Sie versucht, die Rücküberweisungsgelder in produktive Vorhaben zu kanalisieren. Die Regierungen des Staates, des Landes und der Gemeinde geben zu jedem Dollar, der in Gemeinschaftsprojekte von Migrantenverbänden fließt, jeweils einen Dollar aus den eigenen Kassen dazu. Der große Vorteil dieser Initiative liegt nicht nur in der Mischfinanzierung, sondern auch in der verstärkten Zusammenarbeit zwischen Migrantenvereinigungen (sog. hometown associations) im Ausland, den lokalen Gemeinden und der Regierung. Die 1986 ins Leben gerufene Kooperation stellte von Anfang an das Zusammenwirken auf sozialer und politischer Ebene in den Vordergrund. Synergieeffekte und Lernprozesse, die aus dem Zusammentreffen der Interessengruppen entstehen, sind ihr eigentlicher Gewinn. Denn auch diese Initiative konnte trotz der Umsetzung von Baumaßnahmen für die Allgemeinheit noch keinen Anstoß für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum geben.