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Vorbilder, Integrationsmodelle: Wo geht es hin? | bpb.de

Vorbilder, Integrationsmodelle: Wo geht es hin?

Ines Michalowski

/ 2 Minuten zu lesen

Vor diesem Hintergrund hat die niederländische Integrationspolitik in den letzten Jahren stärker assimilative Züge entwickelt. So gibt es bereits seit 1998 ein obligatorisches Integrationsprogramm für Neuzuwanderer, bei denen Aussicht auf dauerhaften Verbleib besteht.

Es beinhaltet 600 Stunden Sprachkurs, Gesellschaftskunde und Berufsberatung. Wurde die gesetzlich festgelegte Verpflichtung zu Beginn u.a. aufgrund ihrer assimilationistischen Tendenzen noch heftig kritisiert, so gilt sie nun als Selbstverständlichkeit. Darüber hinaus ist geplant, dass potentielle Neuzuwanderer noch im Herkunftsland einen Basissprachtest Niederländisch ablegen sowie nach der Einreise in die Niederlande für einen dauerhaften Aufenthaltstitel ein weiteres Sprachdiplom erwerben sollen. Diese Tendenz der Formulierung von Integrationsanforderungen ist als post-multikulturell zu verstehen (Michalowski, 2004). Damit wird in der öffentlichen Debatte das vollzogen, was in der wissenschaftlichen Diskussion seit Anfang der 2000er Jahre unter dem Begriff der Rückkehr der Assimilation - "the return of assimilation" (Brubaker, 2003) - diskutiert wird.

Nimmt man etwas Abstand von der großen Frage der Integrationsmodelle, die bisher die Debatten zur Integration dominiert haben, stellt sich heute die oftmals pragmatischere Frage nach der Definition von Integration einerseits und die Frage nach der Messung der in einem Land tatsächlich erzielten Integrationsergebnisse andererseits. Wie kann man Integration erfassen und messen? Welche Maßnahmen sind in welchen Länder erfolgreich und aus welchen Gründen? Die Integration von Zuwanderern auf dem Arbeitsmarkt ist ein wichtiger Aspekt, der sich vergleichsweise einfacher messen lässt, jedoch sollten andere wichtige Aspekte nicht übersehen werden. Hierzu zählen beispielsweise die gesellschaftliche Interaktion sowie Fragen der Identifi zierung mit und der Loyalität gegenüber der Aufnahmegesellschaft. Bestimmte Aspekte lassen sich schwieriger messen und sind dennoch Teil einer eventuell erfolgreichen Integrationsrealität. Bei der Suche nach solch messbaren Integrationserfolgen, die die faktenorientierte Beurteilung einer Integrationspolitik erleichtern sollen, spielen die klassischen nationalen "Integrationsmodelle" wie Assimilation oder Multikulturalismus keine Rolle. Ziel ist es, die tatsächliche Integrationsrealität näher zu untersuchen. Mit solchen Fragen der Definition und Messbarkeit von Integration befassen sich zur Zeit nicht nur eine Reihe wissenschaftlicher Untersuchungen, sondern - in offener Zusammenarbeit mit der europäischen Kommission – auch die Staaten der EU.

KommentarDr. Jeroen Doomernik, Institute for Migration and Ethnic Studies (IMES), Universität Amsterdam

Seit dem Jahr 2002 und insbesondere seit den Ereignissen um den Politiker Pim Fortuyn steht die Integration von Zuwanderern und ihren Kindern im Mittelpunkt der niederländischen Politik-Agenda. Selten werden jedoch Anstrengungen unternommen, näher zu bestimmen, was mit diesem Begriff eigentlich gemeint ist. Es scheint hierbei einzig um kulturelle Anpassung zu gehen. Insbesondere der Islam wird häufig ohne weitere Nuancierung als Problem dargestellt; sogar, als per Definition nicht zu den liberalen Niederlanden passend.

Einzelne Aspekte der Integration werden außer Acht gelassen. So haben sich beispielsweise der Anteil der Allochtonen am Arbeitsmarkt sowie die Möglichkeiten des Zugangs zum Arbeitsmarkt für Allochtonen stetig verbessert. Auch im Bereich der Bildung wurden große Fortschritte erzielt, welche ebenfalls keine Beachtung in den Debatten zu finden scheinen.

Die Diskussionen mit dem Schwerpunkt auf kultureller Anpassung erstaunen umso mehr, als dass die Niederlande in der Tat als erfolgreiches Beispiel eines Jahrhundertelangen Respekts für religiöse Pluralität galten. Diese Form des innergesellschaftlichen Umgangs schloss ebenfalls die Politik und Verwaltung mit ein. Dies ist heute jedoch eine Selbstverständlichkeit mehr. Die Art und Weise der öffentlichen Debatten ruft starke Widerstände bei der Zielgruppe hervor und provoziert damit vermutlich genau das Gegenteil, im schlimmsten Fall also eine "self- fulfilling prophecy". Multikulturelles Zusammenleben wird zur "Anpassung" und Maßnahmen im Rahmen der Neuzuwanderung könnte man eher als "ungastlich" bezeichnen.

Nun stellt sich die Frage, ob es sich um eine Phase handelt, welche die niederländische Gesellschaft zur Zeit durchläuft, um sich dann wieder auf ihren traditionellen Wert der Toleranz zurück zu besinnen. Oder durchleben wir derzeit eine Periode grundlegender Veränderungen?

In Zeiten der Globalisierung mit mobilen Menschen, von Regierungen geförderter internationaler Zusammenarbeit und Austausch von Studenten sowie Arbeitskräften als Grundlage für wissensbasierte Wirtschaften, müssen die Länder offen – und konstruktiv - Stellung nehmen zu Fragen der Zuwanderung und Integration. Es bleibt abzuwarten, wie die Niederlande mit diesen gegensätzlichen Zielrichtungen umgehen werden.

Fussnoten

Ines Michalowski ist Doktorandin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Münster und am Centre de Sociologie des Organisations (Sciences-Po/CNRS), Paris.