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Analyse: Nationale Geschichtspolitik, restriktive Sicherheit und illiberale Demokratie – die polnische Ostpolitik unter der PiS-Regierung | bpb.de

Analyse: Nationale Geschichtspolitik, restriktive Sicherheit und illiberale Demokratie – die polnische Ostpolitik unter der PiS-Regierung

Adam Balcer Warschau Adam Balcer

/ 18 Minuten zu lesen

Während sich die polnisch-ukrainischen Beziehungen unter der Politik der PiS verschlechtert haben, hat sich dagegen das Verhältnis zum Belarus gebessert. Nach Einschätzung der Organisation Freedom House nimmt die Qualität der polnischen Demokratie unter der PiS-Regierung jedoch insgesamt ab.

Die polnische und ukrainische Flagge nebeneinander. Seit der Machtübernahme der PiS vor vier Jahren haben sich die Spannungen zwischen den beiden Ländern verstärkt. (© picture alliance/NurPhoto)

Zusammenfassung

In ihren knapp vier Jahren an der Regierung vollzog die Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) in verschiedenen Bereichen des öffentlichen Lebens radikale Veränderungen, u. a. in der polnischen Ostpolitik. In den Beziehungen zu den östlichen Nachbarn wird nun ein wesentlich größeres Gewicht auf die bilateralen Beziehungen als auf die EU-Perspektive gelegt, desgleichen auf die "nationale" Geschichtspolitik, auf eine sehr restriktive Sicherheitspolitik und die Marginalisierung von Fragen der Demokratisierung und der Menschenrechte. Diese Veränderungen ergeben sich aus der Ideologie der Regierungspartei.

Im Jahr 2015 übernahm die Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) die Regierungsverantwortung in Polen. Ihre Ideologie ist eine Mischung aus ethnischem Nationalismus (Umgestaltung der nationalen Identität in Anlehnung an die Geschichtspolitik), Populismus, Konservatismus und Elementen eines autoritären Systems (Infragestellung der Idee der Gewaltenteilung durch Unterordnung der Justiz unter die Exekutive, Priorisierung der Sicherheit vor den Menschenrechten) sowie einem gemäßigten Euroskeptizismus (Unterstützung der Mitgliedschaft Polens in der EU, Widerstand gegen den Beitritt Polens zur Eurozone, Forderung nach dem Rückbau der inneren Integration durch ein Vetorecht). Nach Einschätzung des Freedom House, einer US-Organisation, die seit mehr als 45 Jahren global politische Systeme bewertet, haben die vier Regierungsjahre der PiS zur Folge, dass sich die Qualität der polnischen Demokratie deutlich verschlechterte, mit der realen Aussicht, dass Polen in den kommenden Jahren in die Kategorie der teilweise freien Staaten zurückzustufen sei. Im Ergebnis befindet sich Warschau in einem präzedenzlosen Konflikt mit den EU-Institutionen sowie den wichtigsten EU-Mitgliedern. In Verbindung damit traten gleichzeitig deutliche Veränderungen in der polnischen Außenpolitik auf, darunter in den Beziehungen zu den östlichen Nachbarn. Generell hörte Polen unter der PiS-Regierung auf, im Rahmen der Östlichen Partnerschaft der EU der Hauptunterstützer für die Idee der Demokratisierung und der europäischen Integration zu sein. Katarzyna Pełczyńska-Nałęcz, ehemalige Botschafterin Polens in Russland, stellte fest: "Indem sie die Errungenschaften der eigenen Transformation negierte und die Richtigkeit des EU-Modells der liberalen Demokratie infrage stellte, verlor die Regierung Polens sowohl ihre eigene Motivation als auch die Legitimierung vonseiten der Partner, die proeuropäischen Reformen im Osten zu unterstützen." Eine weitere fundamentale Ursache für die "Enteuropäisierung" der polnischen Ostpolitik stellt die deutliche Verschlechterung der Beziehungen Polens zu den wichtigsten EU-Mitgliedern dar, u. a. zu Deutschland, dem einflussreichsten EU-Player im Osten. Allerdings lassen sich außer dem generellen Einfluss des europäischen Kontextes auf die polnische Ostpolitik unter der PiS-Regierung auch bedeutende Veränderungen wahrnehmen, die mit der Ideologie und Weltanschauung der Partei zu tun haben. Die wichtigsten Veränderungen dieser Art sind:

  • die präzedenzlose Verschlechterung der Beziehungen zur Ukraine im Zusammenhang mit den Konflikten über die gemeinsame Geschichte einschließlich der Vorgabe von PiS-Chef Jarosław Kaczyński, die weitere Unterstützung Warschaus für die europäischen Bestrebungen der Ukraine von Veränderungen in der Geschichtspolitik Kiews abhängig zu machen;

  • die deutliche Verbesserung der Beziehungen zum autoritären Belarus, verbunden mit der Marginalisierung der Frage der Menschenrechte und der Demokratisierung in der Außenpolitik Polens;

  • die sehr restriktive Definition der Sicherheit, die als wichtigste Priorität behandelt und mit der Frage der Identitätspolitik verknüpft wird (Identifikation des Islam mit Terrorismus).

Geschichtskonflikte mit der sich demokratisierenden Ukraine

Ein Schlüsselelement der Ideologie der PiS ist die Geschichtspolitik, deren Fundament die Vorstellung von den Polen als Nation von Opfern und Helden (Märtyrertum und Heroismus) mit einem enormen positiven Beitrag zur Geschichte und Zivilisation Europas ist. Einen außerordentlich wichtigen Platz nehmen die Kresy im historischen Narrativ der PiS ein, die östlichen Gebiete des ehemaligen Polen, die nun in Belarus, Litauen und der Ukraine liegen und eine Schlüsselrolle in der polnischen Kultur und Geschichte gespielt haben. Sie werden als Raum für Märtyrertum und Heldentum und gleichzeitig der positiven polnischen zivilisatorischen Mission dargestellt. Das Erbe der Kresy ist von der PiS eindeutig idealisiert, die tiefere Diskussionen über einen negativen Einfluss Polens auf die Geschichte der östlichen Nachbarn und die polnische Mitverantwortung für Konflikte mit ihnen vermeidet. Ein sehr deutliches Beispiel für diese Idealisierung ist die Begründung für den Gesetzesentwurf aus dem Jahr 2016 über die Festsetzung eines Nationalen Gedenktages für das Märtyrertum der Kresy-Einwohner. Dort heißt es: "In die polnische Tradition schrieben sich die Kresy sowohl als Gebiet der friedlichen Koexistenz als auch der Durchdringung unterschiedlicher Nationalitäten, Kulturen und Religionen ein. Es war ein Gebiet, das von der Toleranz freier, gegenseitig ihre Identität achtender Menschen gekennzeichnet war."

Die Hauptursache der Spannungen zwischen Polen und der Ukraine war seit vielen Jahren das Problem der unterschiedlichen Interpretationen mancher historischer Fragen. Die Machtübernahme der PiS verschärfte die Unterschiede; gleichzeitig fanden die Demokratisierung der Ukraine nach der "Revolution der Würde" (2014) statt und ihr Kampf gegen die russische Aggression, was mit der Stärkung der ukrainischen nationalen Identität einherging. In der polnischen Erinnerung und Geschichtspolitik nehmen aktuell die Verbrechen der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA), der nationalistische Partisanenkrieg gegen die Polen in den Jahren 1943 bis 1945 (insbesondere in Wolhynien), eine zentrale, im Vergleich zu anderen Ereignissen überproportionale Stellung ein. Andere wichtige historische Narrationen über die Koexistenz oder die polnisch-ukrainische Zusammenarbeit oder auch über das von Polen an den Ukrainern verübte Unrecht werden im offiziellen polnischen historischen Narrativ marginalisiert.

Das historische Bewusstsein von den Verbrechen der UPA ist in den vergangenen Jahren in der polnischen Gesellschaft gewachsen. Es bedarf keiner Diskussion, dass die Verbrechen der UPA an der Bevölkerung ein Völkermord waren und dass ihr Ausmaß wesentlich größer war als das der Verbrechen, die die Polen im Rahmen verschiedener Formationen an den Ukrainern begangen haben. Allerdings stellt die in Polen dominierende Narration die UPA in einer sehr vereinfachten, teilweise manipulativen Weise dar, in der die positive Rolle der UPA für die Geschichte der Ukraine kaum eine Rolle spielt. Ein Beispiel für die Dämonisierung der UPA ist die Aussage des PiS-Chefs Kaczyński, der in einem Interview für die Zeitschrift "Do Rzeczy" im Februar 2017 sagte: "Wir können nicht jahrelang damit einverstanden sein, dass in der Ukraine ein Kult um Personen aufgebaut wurde, die an den Polen einen Völkermord verübten, und zwar einen solchen, der die Grausamkeiten der Deutschen noch übertraf."

Die Geschichtspolitik der PiS ist bis zu einem gewissen Grad die Antwort auf die Idealisierung der UPA in der Ukraine (die Relativierung der von der UPA verübten Verbrechen oder ihre Behandlung als zweitrangige Frage in der Geschichtspolitik der Ukraine), insbesondere seit der "Revolution der Würde". Allerdings muss auch unterstrichen werden, dass in Polen das Ausmaß dieser Idealisierung übertrieben dargestellt wird – beispielsweise wurden bei der Umbenennung von mehreren zehntausend Straßen im Zuge der Dekommunisierung in der Ukraine nur ein verschwindend geringer Anteil mit Bezug zur UPA oder zur Organisation der Ukrainischen Nationalisten (OUN) benannt. Des Weiteren werden auch wesentliche Aspekte der aktuellen Geschichtspolitik der Ukraine nicht wahrgenommen, die nicht im Zusammenhang mit der UPA stehen, als da wären das Erbe der Kosaken, die Reinterpretation der Beziehung der Ukrainer zur eurasischen Steppe – die Entdeckung historischer Beispiele für Koexistenz und Kooperation zwischen den Kosaken und den Krimtataren –, außerdem der Holodomor, die Unabhängigkeit zwischen 1918 und 1920, der Beitrag der Ukrainer, die in der Roten Armee kämpften, zum Sieg über Nazi-Deutschland.

Die Thema des "Massakers in Wolhynien" ist mit der bereits genannten wachsenden Idealisierung des Erbes der historischen polnischen Präsenz in den Kresy-Gebieten verbunden ("Kresy-Sentimentalität") sowie mit der Stärkung der affirmativen Haltung zum Erbe der – deutlich antiukrainischen – Nationaldemokratie und der radikaleren nationalistischen Formationen (z. B. die Nationalen Bewaffneten Kräfte/Narodowe Siły Zbrojne) im Mainstream der polnischen Identität. Diese Identitätsprozesse werden von der PiS unterstützt und wurden von den Vorgängerregierungen zumindest toleriert. Gegenwärtig kann man bereits von der "Kanonisierung" des polnischen Narrativs über die Geschichte der polnisch-ukrainischen Beziehungen sprechen, die sich in der beschränkten inneren Debatte über dieses Thema zeigt.

Die Konflikte über historische Themen äußern sich in der Verschlechterung der Beziehungen zwischen Polen und Ukrainern in den vergangenen Jahren. Nach Untersuchungen der öffentlichen Meinung durch das Zentrum für Vorurteilsforschungen der Universität Warschau (Centrum Badań na Uprzedzeniami, Uniwersytet Warszawski) spielen gerade historische Fragen eine Schlüsselrolle in diesem Prozess. Zwar hatte die "Orangene Revolution" im Jahr 2004 in der Ukraine einen deutlichen Rückgang der Antipathie der Polen gegenüber den Ukrainern zur Folge, allerdings kam es in den letzten Jahren zu einem erneuten Anstieg der Abneigung. Nach der aktuellen Untersuchung des Meinungsforschungsinstituts CBOS vom Januar 2019 gaben über 40 % der Polen Antipathie gegenüber Ukrainern an, über 30 % Sympathie und knapp 30 % Gleichgültigkeit. Diese sich verschlechternde Einstellung der Polen zu den Ukrainern muss in den größeren Kontext des allgemeinen Anstiegs der Fremdenfeindlichkeit in der polnischen Gesellschaft gesetzt werden; vor allem ist er stark mit rechten Ansichten verknüpft. Nach den Untersuchungen von CBOS ist die Haltung der Polen gegenüber den Ukrainern nur unwesentlich besser als gegenüber den Russen. Die Einstellung der Ukrainer zu den Polen ist dagegen deutlich besser, was in gewisser Weise mit den unterschiedlichen Eigenschaften der polnischen und der ukrainischen nationalen Identität zu tun hat. Die vom Pew Research Centre in Mittel- und Osteuropa durchgeführten Untersuchungen zeigen, dass die polnische nationale Identität einen eher ethnischen Charakter hat, während in der ukrainischen Identität die staatsbürgerliche Orientierung vorherrscht.

Die Konflikte über historische Themen hatten zur Folge, dass unter der PiS-Regierung die bedeutendste Abkühlung der polnisch-ukrainischen Beziehungen seit der Erlangung der Unabhängigkeit der Ukraine im Jahr 1991 eintrat. Die Kontakte auf der Ebene der Staatspräsidenten wurden seltener. Präsident Andrzej Duda absolvierte nur vier Besuche in seiner dreieinhalbjährigen Amtszeit. Weder Ministerpräsidentin Beata Szydło noch Ministerpräsident Mateusz Morawiecki haben die Ukraine besucht. Im Ergebnis war die letzte Regierungschefin, die in die Ukraine fuhr, Ewa Kopacz (Bürgerplattform/Platforma Obywatelska – PO). Dieser Besuch fand im September 2015 statt und war interessanterweise mit dem 76. Jahrestag des sowjetischen Überfalls auf Polen verbunden. Die Streitigkeiten über die Geschichte übertrugen sich auch auf den europäischen Bereich der polnisch-ukrainischen Beziehungen. Die PiS, die eine kritischere Reflexion der Vergangenheit Polens ablehnt, ruft die Ukraine gleichzeitig auf – und beruft sich dabei auf europäische Standards – sich mit den dunklen Seiten ihrer Geschichte auseinanderzusetzen. Im Jahr 2017 machte Parteichef Kaczyński schlicht und einfach die Unterstützung Polens für die europäischen Bemühungen der Ukraine davon abhängig, dass sich diese vom Erbe der UPA lossage – "Die Ukraine wird mit Stepan Bandera [nationalistischer Politiker und Partisanenführer, offiziell ukrainischer Nationalheld – d. Red.] in Europa nicht reinkommen." In Polen wurde keine tiefergehende Diskussion über die Folgen einer vollständigen Loslösung vom Erbe der UPA für die ukrainische Identität und ihre proeuropäische Orientierung geführt. Selbstverständlich sollten die Ukrainer die schwarzen Seiten der Geschichte der UPA kritisch aufarbeiten. Allerdings ist auch zu beachten, dass die UPA unter den wichtigsten ukrainischen politischen Kräften des 20. Jahrhunderts am eindeutigsten den russischen Identitätsprotektionismus (die Russen als ältere Brüder) und den Kommunismus ablehnte und schrittweise das demokratische System anerkannte (1943).

Die Abneigung eines deutlichen Teils der Polen gegenüber den Ukrainern stellt langfristig eine ernstzunehmende Herausforderung für die Sicherheit Polens dar. Diese hängt u. a. von den guten Beziehungen mit der zwischen Polen und Russland gelegenen Ukraine ab. Mehr noch, die Antipathie wird von Russland und nationalistischen polnischen Milieus ausgenutzt, um mit Hilfe einer sehr großen Propagandaaktivität im Internet auf die (potentielle) Wählerschaft der PiS Einfluss zu nehmen, die sich durch eine größere Abneigung gegenüber den Ukrainern auszeichnet als die Wähler der Mitte oder des linken politischen Spektrums. Die Situation ist auch insofern heikel, als in Polen aktuell im Jahresdurchschnitt knapp eine Million Ukrainer vor allem saisonal in Polen arbeiten. Eine weitere Verschlechterung der Einstellungen der Polen zu den Ukrainern kann einen Anstieg der Angriffe auf Ukrainer zur Folge haben, was letztlich einen negativen Einfluss auf die innere Sicherheit in Polen hätte.

Die Erwärmung der Beziehungen zum autoritären Belarus

Bald nach der Machtübernahme der PiS trat eine präzedenzlose Verbesserung in den polnisch-belarussischen Beziehungen ein, die in zahlreichen diplomatischen Besuchen auf hoher Ebene zum Ausdruck kam. Die Normalisierung der Beziehungen zu Minsk begann schon die Regierung von Donald Tusk (PO) angesichts der russischen Aggression gegenüber der Ukraine: Gemeinsam mit der EU wurde vor dem Hintergrund einer befürchteten wachsenden Dominanz Moskaus in Osteuropa angestrebt, ein offenes Belarus zur Zusammenarbeit mit dem Westen zu locken. Allerdings nahm die Annäherung Polens an Belarus mit dem Regierungswechsel in Warschau deutlich an Fahrt auf. Im Jahr 2016 besuchte zum ersten Mal nach sechs Jahren mit Witold Waszczykowski ein polnischer Außenminister Belarus. 2018 fuhr erneut ein polnischer Außenminister nach Minsk. Im Jahr 2016 statteten außerdem der damalige stellvertretende Ministerpräsident und Minister für Finanzen und Entwicklung, Mateusz Morawiecki, sowie Senatsmarschall Stanisław Karczewski Belarus einen Besuch ab; letzterer besuchte Minsk erneut zwei Jahre später. Die PiS-Politiker wurden vom belarussischen Staatspräsidenten Aleksander Lukaschenko empfangen. Belarus revanchierte sich mit Gegenbesuchen in Warschau. Beispielsweise besuchte im Februar 2019 Michail Mjasnikowitsch, der Vorsitzende der zweiten Kammer des belarussischen Parlaments und einer der engsten Mitarbeiter Lukaschenkos, Polen. Er traf sich mit dem polnischen Präsidenten, dem Ministerpräsidenten, dem Außenminister und den Marschällen des Sejm und des Senats. Mjasnikowitsch erklärte, das historisch erste Treffen eines polnischen Präsidenten mit dem autoritären Führer von Belarus sei sehr wahrscheinlich. Der neue Kurs in der polnischen Politik gegenüber Belarus ruft beispiellose Spannungen zwischen der regierenden Partei und der Opposition hervor. Die Senatssitzung mit Mjasnikowitsch wurde von den Senatoren der Oppositionsparteien boykottiert. Dieses Verhalten bezeichnete Senatsmarschall Karczewski (PiS) als "erstaunlich und skandalös".

In den Vordergrund der PiS-Agenda gegenüber Belarus rückten eindeutig wirtschaftliche Angelegenheiten, wohingegen die PiS bewusst die Schlüsselfrage der vergangenen Jahre, nämlich nach Werten wie Demokratisierung, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit, an den Rand drängte. Während ihrer offiziellen Treffen mit den belarussischen Partnern und auf Pressekonferenzen vermeiden es die Politiker der PiS vollkommen, diese "schwierigen" Themen zu berühren. Die Haltung der polnischen Regierung steht im Kontrast zum Vorgehen anderer EU-Staaten und europäischer Institutionen, die der neue pragmatische Kurs in den Beziehungen zu Minsk nicht davon abhält, die Frage der Menschenrechte offen anzusprechen. Im Ergebnis, so die zutreffende Beschreibung von Krzysztof Mrozek, Experte der Stefan Batory-Stiftung, "balanciert die PiS-Regierung auf der schmalen Grenze zwischen nutzbringender pragmatischer Politik und Dialog und zweideutiger, aus Sicht der polnischen Staatsräson vollkommen unnötiger Vertraulichkeit mit dem Regime." Der wichtigste Ausdruck der übermäßigen Vertraulichkeit war die Anerkennung des belarussischen Parlaments durch Polen, einer autoritären Institution mit reinem Fassadencharakter. Diese Legitimierung erfolgte durch die Aufnahme enger Beziehungen zwischen dem polnischen und dem belarussischen Parlament; zweimal besuchten der Vizemarschall des Sejm, Ryszard Terlecki, und Senatsmarschall Stanisław Karczewski Minsk. Karczewski, der nach seinem letzten Besuch in Minsk von einem Journalisten nach seinen Eindrücken gefragt wurde, stellte fest, "was die menschliche [Dimension] angeht, sage ich Ihnen, dass Präsident Lukaschenko absolut am Interesse Belarus‘ gelegen ist, das sieht man. Und man sieht auch, dass er ein warmherziger Mensch ist." Solche Äußerungen polnischer Politiker über Lukaschenko waren in der Vergangenheit nicht vorstellbar. Der polnische Sejm und Senat luden auch das belarussische Parlament zur Teilnahme an den regelmäßigen Gipfeln der mittel- und osteuropäischen Parlamente ein. Zu dieser Initiative lud Polen außerdem die Abgeordnetenhäuser anderer autoritärer Regime ein, so Aserbaidschans und der Türkei. Während des ersten Gipfels in Warschau im Jahr 2016 sagte Senatsmarschall Karczewski zu den versammelten Repräsentanten der Parlamente aus der Region: "Jedes unserer Parlamente sollte sich aktiver in die internationale Zusammenarbeit einbringen, insbesondere weil es eine außerordentliche Legitimation hat: Es ist in direkten Wahlen gewählt worden." Hier sei daran erinnert, dass die Wahlen in Aserbaidschan und in Belarus eine komplette Farce sind und in keinerlei Weise die Standards der OSZE erfüllen. Karczewskis Legitimierung der Parlamente dieser Länder lässt sich mit der Einstellung von Michał Seweryński, Vizemarschall des Senats, verbinden, der beim zweiten Parlamentsgipfel erklärte, es gebe nicht nur eine Variante von Demokratie und die EU könne die ihre anderen nicht auferlegen. Ein weiteres Beispiel für die Anerkennung belarussischer autoritärer Institutionen vonseiten Polens ist die Aufnahme von Beziehungen zwischen dem polnischen Institut für Nationales Gedenken (Instytut Pamięci Narodowej – IPN), der wichtigsten Institution, die für die Geschichtspolitik entsprechend der PiS-Linie verantwortlich ist, und dem Museum des Großen Vaterländischen Krieges in Minsk. Der Präses des IPN, Jarosław Szarek, lobte die Arbeit der Museumsleitung, die eine affirmative Politik gegenüber dem sowjetischen Erbe einschließlich dem Stalinismus betreibt. Eine solche Einstellung steht in sichtbarem Widerspruch zur grundsätzlichen Haltung Polens gegenüber der Geschichtspolitik der Ukraine.

Sicherheit und Islamfeindlichkeit

Unter der PiS-Regierung wurde die Frage der Sicherheit in sehr restriktiver Weise als wichtigste Priorität der Regierung definiert und in beispielloser Weise zu einem wesentlichen Element der polnischen Ostpolitik. Diese Veränderung ergab sich nicht nur aus der russischen Aggression gegenüber der Ukraine, sondern auch aus der politischen Philosophie der PiS, die Sicherheit und Identitätspolitik verknüpft (beispielsweise die Identifikation des Islam mit dem Terrorismus als Hauptgefahr für Europa). Im Juli 2016 hob Polen aufgrund des NATO-Gipfels in Warschau das Abkommen über den Kleinen Grenzverkehr mit Russland für das Gebiet der Oblast Kaliningrad auf. Bis heute wurde es nicht wieder in Kraft gesetzt, unter dem Vorwand der potentiellen Gefahr für die Sicherheit Polens aus der Oblast. Es sei allerdings daran erinnert, dass das Abkommen ohne größere Probleme funktionierte, und zwar auch in der Phase des Höhepunktes der russischen Aggression in der Ukraine (2014/15) und der sie begleitenden, seit dem Zerfall der UdSSR größten Verschlechterung der Beziehungen zwischen Russland und der NATO.

Am Anfang des 21. Jahrhunderts kamen über 90.000 Tschetschenen nach Polen, die vor dem Krieg in Tschetschenien geflohen waren. Die überwiegende Mehrheit verließ Polen nach einer gewissen Zeit und ging nach Westeuropa, insbesondere nach Deutschland. Damals unterstützte die PiS die Hilfe Polens für die Tschetschenen als Opfer russischer Aggression. Mehr noch, die Politiker der damals oppositionellen PiS kritisierten die Regierung für ihr zu geringes Engagement für die Asyl suchenden Tschetschenen. Einige Jahre später hat sich die Politik der PiS radikal verändert. Die Politik der Angst stellt Muslime als potentielle Terroristen dar und die Hauptbedrohung für die Sicherheit Polens wurde zum Schlüsselinstrument, um die Wähler der PiS zu mobilisieren.

Seit dem Jahr 2016 kampieren an der polnisch-belarussischen Grenze Hunderte von Menschen, die sich darum bemühen, einen Asylantrag in Polen zu stellen. Sie kommen vor allem aus Tschetschenien. Jeder von ihnen hat meistens mehr als ein Dutzend Mal, manchmal sogar Dutzende Male versucht, auf polnischer Seite Asyl zu beantragen, jedoch erfolglos. Auf der Grundlage von Untersuchungen von Menschenrechtsorganisationen kann man feststellen, dass ein deutlicher Teil dieser Personen Opfer von Folter oder Verfolgung war. Nach Informationen der Menschenrechtsorganisationen und des Bürgerrechtsbeauftragten behandeln die polnischen Grenzwächter Ausländer schlecht, sie ermöglichen ihnen die Antragstellung nicht und setzen manchmal unbegründet Gewalt ein. Zu verhindern, dass ein Asylantrag gestellt wird, ist ein Verstoß gegen das polnische, das europäische und das internationale Recht. Wenn es einem Tschetschenen gelang, den Antrag zu stellen, kam es vor, dass die polnischen Institutionen ihm kein Asyl gewährten, obwohl in der offiziellen Begründung die reale Bedrohung anerkannt worden war, dass die betreffende Person im Falle der Deportation Repressionen ausgesetzt werden würde. Die Anzahl der positiv beschiedenen Anträge der Tschetschenen auf Asyl oder Schutz durch polnische Behörden ist extrem niedriger als in den Ländern Westeuropas. Polen benutzt gegenüber manchen deportierten Tschetschenen das Argument, dass sie eine Gefahr für die Sicherheit seien, da sie laut Geheimdokumenten angeblich mit terroristischen Vereinigungen in Verbindung stünden. Allerdings sagen das polnische, das EU- und das internationale Recht, dass die Deportation einer Person nicht ausnahmslos vollzogen werden soll, wenn ihr Folter droht.

Im Juni 2017 entschied sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte für einstweilige Verfügungen im Falle von Tschetschenen an der polnisch-belarussischen Grenze, in denen er bestimmte, dass diese Personen solange "nicht nach Belarus zurückgeschickt werden dürfen" wie ihre Klagen vor dem Gerichtshof verhandelt werden, sowie, dass ihre Anträge auf Gewährung internationalen Schutzes von den entsprechenden Organen in Polen geprüft werden müssen. Im Jahr 2017 behandelten auch polnische Verwaltungsgerichte die Klagen einiger Tschetschenen und erkannten an, dass die Entscheidungen der Grenzwächter, ihnen die Einreise zu verweigern, nicht korrekt waren. Allerdings wendet der polnische Grenzschutz trotz Protesten von Menschenrechtsorganisationen die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sowie der polnischen Gerichte auf die große Mehrzahl der Tschetschenen nicht an und verwehrt ihnen weiterhin die Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen. Polen führte auch Deportationen mancher Tschetschenen nach Belarus durch, von wo sie nach Russland, genauer nach Tschetschenien, gelangten, wo sie spurlos verschwanden. Tschetschenen werden aus Polen auch auf der Grundlage geheimer Dokumente ausgeliefert, zu denen ihre Anwälte entgegen den Rechtsvorschriften keinen Zugang haben. Das Innenministerium erteilt auf Fragen polnischer Medien, ob es von der russischen Seite Sicherheitsgarantien für die deportierten Tschetschenen erhalten habe, keine Antwort, diese einzuholen gehört jedoch zu der Pflicht des Landes, das den Bürger eines anderen Staates deportiert. Vielmehr hat die polnische Regierung im Januar 2017 einen Änderungsentwurf für das Gesetz zur Gewährung von Schutz für Ausländer auf dem Territorium Polens vorbereitet, der infolge der Kritik der UN und von Nichtregierungsorganisationen zwei Jahre auf Eis gelegt wurde. Ein fast identischer Entwurf kehrte im Februar 2019 ins Parlament zurück. In diesem Entwurf schlägt die Regierung die Einführung sogenannter Grenzprozeduren vor. Dabei geht es darum, dass die Bewegungsfreiheit der Ausländer, die einen Asylantrag stellen, eingeschränkt werden soll (Internierungslager, das heißt Container und Stacheldraht) sowie die Liste der Länder gekürzt werden soll, deren Bürger sich um Asyl bewerben können. Der damalige Innenminister Mariusz Błaszczak ermunterte den Grenzschutz geradezu, das Recht weiter zu verletzen, indem er die Asyl suchenden Tschetschenen mit Terroristen identifizierte: "Wir werden nicht dem Druck derer nachgeben, die es zu einer Migrationskrise kommen lassen wollen. Unsere Politik ist vollkommen anders. So lange ich Innenminister bin, so lange die PiS die Regierung stellt, setzen wir Polen nicht der terroristischen Bedrohung aus." Błaszczak stellte auch fest, dass Tschetschenien ein sicheres Land sei, da ja dort kein Krieg herrsche. Die Ausländerbehörde stellte sogar fest, dass sich die Sicherheitslage in Tschetschenien deutlich verbessert habe. Diese Meinungen lassen die Berichte internationaler Organisationen völlig außer Acht, die die Menschenrechtslage in Tschetschenien als eine der schlechtesten der Welt mit der Tendenz systematischer Verschlechterung bewerten.

Das sehr negative Verhältnis der polnischen Regierung zu den Asyl suchenden Tschetschenen schreibt sich in das größere Phänomen der Politik der Angst gegenüber Muslimen ein, das die regierende Partei als ein wesentliches identitätsstiftendes Instrument und als Mittel zur Wählermobilisierung einsetzt. In den öffentlichen und privaten regierungsfreundlichen Medien wird dem Thema Muslime, die ausschließlich mit ernstzunehmenden Bedrohungen gleichgesetzt werden, deutlich mehr Raum gegeben als der aggressiven Politik Russlands. Dieses Narrativ kann die realistische Bewertung der Bedrohungen im Osten durch die (potentiellen) PiS-Wähler negativ beeinflussen. Es bewirkt auch die Gleichgültigkeit der polnischen Gesellschaft gegenüber Fragen von Menschenrechtsverletzungen, was die relativ beschränkte Debatte in Polen über die Situation der Tschetschenen an der polnisch-belarussischen Grenze zeigt.

Kontinuität und Wandel

Die Ostpolitik der PiS zeigt, wie die Ideologie und die Weltanschauung der regierenden Partei, innere Prozesse (Systemveränderungen) sowie der europäische Kontext (die Stellung in der EU) die Position und die Handlungen des Staates auf der internationalen Bühne verändern. Natürlich brach die Ostpolitik Polens unter der PiS-Regierung nicht in sämtlichen Bereichen mit dem Kurs der Vorgänger. Polen blieb ein prinzipieller Befürworter von Sanktionen gegenüber Russland. Trotz Erklärungen des Parteipräses Kaczyński, der die Unterstützung für die europäischen Bestrebungen der Ukraine von Veränderungen in der Geschichtspolitik Kiews abhängig machte, änderte Polen auf der europäischen Bühne seine positive Haltung zur EU-Mitgliedschaft der Ukraine formal nicht. Manche Prozesse wie der Streit um historische Themen mit der Ukraine und die Normalisierung der Beziehungen zu Belarus begannen bereits vor der Übernahme der Regierungsverantwortung durch die PiS. Allerdings unterlagen sie einer qualitativen Veränderung im Laufe der vier Jahre Regierungstätigkeit der PiS.

In den Jahren 2019 und 2020 finden in Polen Parlaments- und Präsidentenwahlen statt, die als die wichtigsten seit dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems bewertet werden. Sie werden über den inneren Entwicklungspfad des Landes für die nächsten Jahre entscheiden und in der Folge auch über die Außenpolitik, die Ostpolitik inbegriffen. Wenn sich die PiS an der Macht hält, steht die Fortsetzung der Entdemokratisierung Polens zu erwarten und konsequenterweise, dass Freedom House Polen in die Kategorie der teilweise freien Länder platziert. In dieser Kategorie befindet sich auch Ungarn, das von der Warschauer Regierung als nachahmenswertes Beispiel angesehen wird. In der Folge können sich die Konflikte zwischen Polen und den EU-Institutionen sowie den wichtigsten EU-Mitgliedern verschärfen und eine weitere Schwächung der Position Warschaus in der EU bewirken sowie einen immer geringeren europäischen Charakter der polnischen Ostpolitik.

Die Machthaber der PiS werden ihre Geschichtspolitik fortsetzen, die Spannungen mit der Ukraine hervorrufen kann. Jedoch ist auch eine gewisse Verbesserung der Beziehungen zu Kiew nicht auszuschließen angesichts des geringeren Nachdrucks, den der neue Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, vermutlich auf das Erbe der UPA in der Geschichtspolitik legen wird. Andererseits wird die ukrainische Geschichtspolitik auch von anderen Institutionen der Ukraine mit gestaltet. Jedoch leitet sich die Beziehung der ukrainischen Gesellschaft zu ihrer Vergangenheit auch aus von unten kommenden Identitätsprozessen ab, die bis zu einem gewissen Grad den Charakter der Geschichtspolitik des neuen Präsidenten mit bestimmen können. Ein gefährliches Szenario für die polnisch-ukrainischen Beziehungen wäre, wenn die PiS eine Regierungskoalition mit kleinen, extrem rechten Parteien bilden würde, die sich durch eine besonders starke Abneigung gegenüber der Ukraine auszeichnen.

Gegenüber Belarus wird sich Polen unter einer PiS-Regierung bemühen, die Annäherung einerseits sowie die Marginalisierung der Themen Demokratisierung und Menschenrechte andererseits fortzusetzen. Allerdings wird das Manövrierfeld Warschaus gegenüber Minsk vor allem von den Beziehungen Belarus’ zu Russland abhängen. Der Kreml wird die Idee der Reintegration des postsowjetischen Raums in den kommenden Jahren noch stärker fördern. Die PiS wird in einer zweiten Wahlperiode auch ihre rigorose Sicherheitspolitik in Verbindung mit Islamfeindlichkeit weiter betreiben, was in der polnischen Gesellschaft die nicht angemessene Wahrnehmung von Gefahren vertiefen wird, zum Beispiel aufgebauschte Gefahren vonseiten des islamistischen Terrorismus, sowie die Marginalisierung von Werten und Normen in der polnischen Ostpolitik.

Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate

Fussnoten

Adam Balcer, Politologe, ist Projektmanager für den Bereich Außenpolitik im unabhängigen Think Tank WiseEurope (Warszawa/Warschau), Dozent am Studiengang Osteuropastudien der Universität Warschau (Studium Europy Wschodniej Uniwersytetu Warszawskiego) sowie wissenschaftlicher Mitarbeiter des internationalen Think Tanks European Council on Foreign Relations (ECFR) in Warschau. Seine Forschungsschwerpunkte sind die polnische Außenpolitik, Mittel- und Osteuropa und die Schwarzmeerregion.